[231] Du schlugst mich brausend wie der Sturm den Strand,
Brachst mich in Trümmer, heiliger Zerstörer,
Du zeigst mich mir ein gnädiger Erhörer:
Du kommst die Flammenfackeln in der Hand.
Da liegt zerschellt des Stolzes Mauerwand,
Des Trotzes Turm, der Gotteshuld Verwehrer,
Des Irrthums Götzentempel und Ernährer,
Der Luft Altar, die mich als Opfer fand.
Ich bin erhellt von deinem hehren Schimmer,
Ich glühe auf in deinem reinen Licht,
Hin schmilzt es mich mit jeder meiner Trümmer.
Und neu gestaltet aus dem Feuer bricht
Der neue Mensch, dein Tempel nun und immer,
O du mein Leben, meine Zuversicht.[231]
Ich werde dich erkennen, mein Schöpfer; werde erkennen dich, wie auch ich erkannt bin. Deine Kraft gehe ein in meine Seele, gehe ein in sie und bereite sie dir, daß du sie habest ohne Flecken und besitzest ohne Falten. Das ist meine Hoffnung, darum rede ich, und in dieser Hoffnung freue ich mich, so oft ich wahre Freude habe. Was das Leben noch hat außer diesem. das ist um so weniger zu beweinen, ja mehr in ihm geweint wird, und um so mehr zu beweinen, je weniger, man in ihm weint. Denn siehe, du liebtest die Wahrheit, und wer sie thut, der kommt an's Licht. Ich will sie von Herzen thun vor dir in meinen Bekenntnissen und vor vielen Zeugen mit diesen Worten.
Und was wäre dir von mir unbekannt, auch wenn ich es nicht bekennen wollte, dir, vor dem der verborgene Grund unseres Bewußtseins offen liegt? Dich würde ich mir, nicht mich dir verbergen. Nun aber, wenn mein Seufzen sagt, wie ich mir misfalle, da leuchtest du mir entgegen, da gefällst du und wirst geliebet und verlangt, daß ich erröthe über mich selbst, und mich verwerfe und dich erwähle, und weder dir noch mir gefalle, wenn ich nicht wohlgefällig gemacht wurde durch dich. Dir also, Herr, bin ich offenbar, wie ich auch sein mag, und warum ich dieß dir bekenne, sprach ich aus. Denn nicht thue ich das mit fleischlichem Wort und leidlicher Stimme, sondern, mit der Seele Wort und mit der Gedanken Stimme, die du kennest; wenn ich böse bin, so sind mein Misfallen an mir und mein Bekennen vor dir eins; und wenn ich fromm bin, so ist[233] mein Bekenntnis nur, daß ich mein Frommsein nicht mir zurechne; denn du, Herr, segnest den Gerechten, aber vorher machst du ihn dazu aus einem Ungerechten. Still, und doch schweigend nicht, ist daher mein Bekenntnis vor dir, o Herr, es schweiget dem Ohr und ruft so laut doch aus dem Herzen. Nichts kann ich Gutes den Menschen sagen, du habest es denn zuvor vernommen, und du hörst es nicht von mir, du habest es mir denn zuvor gesagt.
Warum aber will ich auch die Menschen meine Bekenntnisse hören laßen, als wäre auch sie fähig, mich von allen meinen Schwächen zu heilen? Neugierig will ihr Geschlecht ein fremdes Leben kennen lernen, und ist so träge doch, sein eigenes zu beßern. Was wollen sie von mir denn hören, wer ich sei, wenn sie von dir nicht hören wollen, wer sie sind? Und woher sind sie denn gewis, daß, was sie durch mich über mich hören, auch nur wahr ist, da Niemand weiß, was im Menschen vorgeht, als der Geist des Menschen, der in ihm selbst ist? Wenn sie aber dich hören über sich, so werden sie nicht sagen können: der Herr lügt. Und was ist dich hören über sich Anderes, als sich selbst erkennen? Wer aber das Erkannte für falsch ausgibt, ist selbst ein Lügner. Weil jedoch die Liebe Alles glaubt, weil sie es hauptsächlich bei denen thut, die sie in ihren Bund vereint, so will auch ich, o Herr, meine Bekenntnisse vor dir den Menschen hörbar machen, und wenn ich ihnen auch nicht beweisen kann, daß ich Wahrheit rede, so werden mir doch diejenigen glauben, die mich in Liebe vernehmen. Aber du, Arzt meiner Seele, offenbare es mir, warum ich dieß thun soll. Wenn gelesen und gehört werden die Bekenntnisse meiner vergangenen Sünden, welche du vergeben und bedeckt hast, damit[234] du mich selig machst in dir, und meine Seele umwandelst durch Glauben und Gnadenmittel – so erwecken sie das Herz, daß es nicht schlafe in Verzweiflung und sage: ich kann nicht, sondern erwache in der Liebe deines Erbarmens und in der Süßigkeit deiner Gnade, durch die der Schwache stark, durch die er seiner Schwäche sich bewußt wird. Und die Guten freuet, von meinem vergangenen Sünden zu hören, von denen sie schon frei sind, es freuet sie, nicht weil es Sünden sind, sondern weil sie es waren und nicht mehr sind. Zu welchem Nutzen aber, mein Gott, dem täglich mein Gewißen Bekenntnis ablegt – sicherer durch seine Hoffnung auf dein Erbarmen, als durch seine Unschuld – zu welchem Nutzen bekenne ich dir vor den Menschen auch mit diesen Worten, wer ich noch bin, nicht nur wer ich war? Denn jenen Nutzen sah und erwähnte ich. Aber was ich noch bin, jetzt eben in der Zeit meiner Bekenntnisse, das wollen Viele wißen, die mich kennen und nicht kennen, aber von mir hörten; aber ihr Ohr ist nicht an meinem Herzen, wo ich doch bin, ich mag sein, wie ich will. So wollen sie denn hören, was ich sei im inwendigen Menschen, zu dem ihr Auge, ihr Ohr und ihr Verstand nicht bringt, sie wollens im Glauben und werden sie's erkennen? Ihnen sagt die Liebe, in der sie mir gut sind, ich lüge nicht, wenn ich über mich bekenne, und die Liebe selbst, die in ihnen ist, glaubt mir.
Aber zu welchem Nutzen wollen sie das? Wollen sie mir Glück wünschen, wenn sie vernehmen, wie ich zu dir komme durch deine Gnade; wollen sie beten für mich, wenn sie hören, wie sehr ich von meiner Last zurückgehalten werde? Ja, diesen will ich mich entdecken. Denn groß ist der Nutzen, o Herr, wenn Viele für uns danken und zu dir beten. Es liebe in[235] mir des Bruders Seele, was du ihr Liebenswerthes zeigst, sie fühle Schmerz um mich, wo du ihr Schmerzendes in mir offenbarst. Nicht kann das eine fremde Seele, eines andern Vaters Kind thun; Solcher Mund redet Eitelkeit und Solcher Rechte häuft Unrecht; nur der Bruder kann es, welcher mein sich freut, wenn er meine Thaten billigt, und über mich trauert, wenn er sie misbilligt, weil er mich liebt, er mag mich loben oder tadeln. Solchen will ich mich entdecken, damit sie sich freuen meines Guten und trauen über mein Böses. Mein Gutes ist deine Schickung und dein Geschenk, mein Böses meine Fehle und dein Gericht; sie mögen freuen sich über jenes, und trauern über dieses, ja Loblied und Thränen mögen zu dir aufsteigen aus der Brüder Herzen, deinen Weihrauchschalen. Und du, Herr, der du mit Wohlgefallen annimmst deines Tempels süßen Geruch, erbarme dich mein, nach der Größe deines Erbarmens, um deines Namens willen. Der du nie aufgibst, was du begannest, mein Unvollendetes wollende du. Das ist die Frucht meiner Bekenntnisse, die nicht aussprechen was ich war, sondern was ich bin, daß ich es bekenne nicht nur vor dir in heimlichem Jubel mit Schrecken, in heimlicher Trauer mit Hoffnung, sondern auch vor den Ohren der glaubigen Menschenkinder, der Genoßen meiner Sterblichkeit, meiner Mitbürger und Mitwanderer, meiner Vorgänger und Nachfolger, der Gefährten meines Lebens. Deine Knechte sind sie und meine Brüder. Und du machtest sie zu deinen Söhnen und zu meinen Herren, denen ich dienen muß, wenn ich durch dich mit dir leben will. Von wenig Heil wäre mir dein ewiges Wort, wenn es mir nur geböte mit Worten, und nicht als mein Vorbild mir vorangienge. Ich will das thun mit Wort und That, aber ich thäte es in größter Gefahr, wenn unter dem Schatten deiner Flügel sich meine Seele dir nicht ergäbe, wenn dir meine Schwachheit[236] nicht bekannt wäre. Wohl bin ich klein, aber mein Vater lebt immerdar und hat Macht, mich zu schirmen. Er selber ist's, der mich schuf und schirmt. O du bist all mein Gut. Allmächtiger, der du mit mir bist, noch ehe ich mit dir bin. So will ich mich denn entdecken, welchen ich nach deinem Befehl dienen soll, nicht als den, der ich war, sondern als den, der ich schon bin und noch bin, aber mich selbst will ich nicht beurtheilen. Nur so will ich vernommen werden.
Du allein, Herr, richtest mich; denn wenn auch Niemand weiß, was im Menschen ist, außer des Menschen Geist, der in ihm ist, so ist doch etwas im Menschen, das selbst der Geist nicht weiß, der in ihm ist. Du, Herr, der du ihn schufest, weißest Alles in ihm. Ich aber, obgleich ich vor dir mich verachte, der ich Staub und Asche bin, weiß doch etwas von dir, das ich von mir nicht weiß, ob wir auch jetzt dich nur durch einen Spiegel in Räthseln sehen, und noch nicht von Angesicht zu Angesicht. So lange ich hienieden als dein Fremdling walle, bin ich mir näher als dir und weiß doch von dir, du könnest auf keine Weise verletzt werden; ich aber weiß nicht von mir, welchen Versuchungen ich zu widerstehen vermag, und welchen nicht. Doch Hoffnung ist, du, Getreuer, werdest uns nicht versuchen laßen über unser Vermögen, und werdest machen, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß wir sie ertragen können. Und so will ich bekennen, was ich von mir weiß, und will mich zu dem bekennen, was ich nicht von mir weiß, zu den verborgenen Schwächen und Fehlern, von denen ich noch nicht weiß, wie sie mich versuchen werden, und wie ich sie durch dich überwinden werde. Denn was ich von mir weiß, das weiß ich nur, wenn du mir leuchtest, und was ich nicht von mir weiß,[237] das werde ich wißen, wenn einst meine Finsternisse werden, wie der Mittag vor deinem Angesichte.
Mein Bewußtsein bezeugt mir in fester Zuversicht, daß ich dich liebe, Herr, denn mit deinem Wort hast du mein Herz getroffen, da mußte ich dich lieben. Ja auch Himmel und Erde, und Alles was darin ist, siehe, sie sagen mir überall, ich soll dich lieben, sie sagen es ohne Aufhören Allen, also daß sie keine Entschuldigung haben. Und derer du dich erbarmt hast, ihrer wirst du dich weiter erbarmen, daß sie nicht taub bleiben, da Himmel und Erde dein Lob verkünden, daß sie dich fühlen in Liebe, du Leben ihres Lebens. Aber was liebe ich, wenn ich dich liebe? Nicht Körpergestalt, nicht zeitliche Schöne, nicht des Lichtes Glanz, der diesen Augen so freundlich ist, nicht das süße Tönen alles dessen, was da singt und klingt, den lieblichen Duft der Blumen nicht, und alles dessen, was ihn aushaucht, nicht Manna und Honig, nicht der Glieder Reiz, der die Umarmung empfängt. Das Alles liebe ich nicht, wenn ich, meinen Gott liebe, und liebe doch irgend ein Licht und eine Stimme, einen Duft und eine Speise, liebe eine Umarmung, wenn ich meinen Gott liebe, ihn, das Licht und die Stimme, den Duft, die Speise und die Umarmung meines innern Menschen; wo meiner Seele zustrahlt, was kein Raum erfaßt, wo ihr tönet, was in keiner Zeit verhallt, wo ihr duftet, was kein Lufthauch verweht, wo sie kostet, was durch kein Speisen vermindert wird, wo sie nimmer satt wird, zu liegen in der seligen Umarmung. Das liebe ich, wenn mein Gott liebe. Und was ist dieses? Ich fragte die Erde und sie sprach: ich bin es nicht, und Alles was auf ihr ist, hat mir dasselbe bekannt. Das Meer fragte ich und seine Gründe alle und belebten Wesen, und sie antworteten:[238] wir sind nicht dein Gott, such' ihn über uns. Ich fragte die wehenden Lüfte, und der Luftraum sprach mit allen seinen Bewohnern: Anaximenes irrt, ich bin nicht Gott. Den Himmel fragte ich, die Sonne, den Mond und die Sterne, und ihre Rede war: wir sind Gott nicht, den du suchst. Da sprach ich zu Allen, die sich darstellten meiner Augen Gesichtskreis: wohl sagtet ihr mir, ihr wäret nicht mein Gott; was ist es, das ihr von ihm mir sagen könnt? Und sie riefen zusammen Alle mit großer Stimme: er selber schuf uns! Und siehe, ihre Schönheit war ihre Antwort. – Da wendete ich mich zu mir und fragte mich: Du, was bist du? Und ich antwortete: ich bin ein Mensch aus Leib und aus Seele, die sind an mir das Aeußere und Innere. In was hier habe ich meinen Gott zu suchen, der ich mit meinem Leibe schon suchen gieng von der Erde bis zum Himmel, so weit ich senden konnte meine Boten, die Strahlen meiner Augen? aber höher steht mein innerer Mensch, denn der war der Herr jener Boten, er sandte sie, und vor sein Urtheil brachten sie der Antworten jede, die ihnen Himmel und Erde gaben, da sie sprachen: wir sind nicht Gott, aber er schuf uns. Das erfuhr der innere Mensch durch den Dienst des äußern; ich, ich die Seele erkannte das durch die leiblichen Sinne. Die ganze Welt fragte ich über meinen Gott und sie hat mir geantwortet: ich bin er nicht, aber er selbst hat mich bereitet. Und derselbe Anblick wird Allen, denen gesunde Sinne wurden, und doch nicht Alle vernehmen die hohe Runde. Die Thiere alle, die kleinen und großen, sehen dasselbe und vermögen doch nicht zu fragen, denn ihre Boten, die Sinne, haben keine Vernunft, die sie sendet und ihre Antwort beurtheilt. Die Menschen[239] aber vermögen zu fragen, damit Gottes unsichtbares Wesen von ihnen erkannt werde durch die leibliche Schöpfung. Aber sie werfen ihre Liebe nur auf diese und werden ihr unterthan, und in ihrer Unterwerfung vermögen auch sie nicht, jene hohe Runde zu beurtheilen; denn die Körperwelt steht denen nur Antwort, die mit des befreiten Geistes Urtheil forschen. Und doch spricht die Körperwelt keine verschiedenartige Sprache, sie hat verschiedenerlei Gestalt, so daß der gedankenlos und der im Geiste fragende Verschiedenes schaute und sie dem Einen so, dem Andern anders erschiene. Sie ist dieselbe überall, aber Jenen ist sie stumm, zu Diesem redet sie: ja sie redet zum Allen, aber die nur vernehmen ihre Sprache, welche sie mit der urtheilenden Wahrheit vergleichen, die in ihnen selber spricht. Denn diese Wahrheit sagt mir: weder Himmel noch Erde, noch alles Leibliche sind dein Gott. Das sagt ihre Natur dem Schauenden, und sie ist nur Körpermasse, kleiner im Einzelnen als im Ganzen. Schon du bist höher, meine Seele, denn du belebst deine Körpermasse, du reichst ihr das Leben, was kein Körper kann dem Körper reichen; dein Gott aber, meine Seele, ist das Leben deines Lebens, der es belebt, der es dir erhält.
Was liebe ich denn nun, wenn ich meinen Gott liebe? Was ist er hoch über meiner Seele? Durch meine Seele selbst steige ich zu ihm empor. aber ich muß über jene Seelenkraft hinaus, durch die ich an meinem Leibe hange und ihn belebend erfülle. Fände ich ihn mit dieser, so fände ihn auch Ross und Maulthier, die wie ich jene Kraft, nur ihnen nicht bewußt, haben. Es ist noch eine andere Kraft in mir, durch welche ich meinen Leib nicht nur belebe, sondern lenke an dem Bande seiner[240] Sinne; darum wies Gott jedem meiner Sinne seine eigene Verrichtung an, dem Auge gebietend, nicht zu hören, und dem Ohr gebietend, nicht zu sehen, sondern jenem das Gesicht, diesem das Gehör. Und wie Verschiedenartiges ich durch die Sinne auch thue, doch bin ich dabei immer ein und dieselbe Seele. Doch auch über diese Seelenkraft muß ich hinaus, wenn ich meinen Gott erkennen will, denn auch dem Ross und Maulthier ist sie gegeben, auch sie führen ein fühlendes Leben durch das Band ihrer leiblichen Sinne.
Ueber die Sinnlichkeit erhob ich mich auf meinem Wege zu Gott, und komme nun in die weiten Paläste meines Gedächtnisses, wo der Schatz unzähliger Bilder aufgehäuft liegt, die aller Art durch die Sinne eingezogen. Dort ist aufbewahrt, was wir je gedacht; bald ist es mehr, bald weniger als das, was die Sinne vernahmen und in vielfach wechselnder Gestalt, indem die Seele selbst dazu oder davonthat oder änderte. So ist alles, was da eingegangen und aufbewahrt ist, wenn es von der Vergeßlichkeit nicht verzehrt und bestattet wurde. Von dort aus kann ich, so lang ich bin, Befehl thun, daß hervortrete, was ich will. Manches tritt sogleich vor, Manches nach längerem Suchen; Anderes muß ich erst aus dem verworrenen sich mir Darbietenden auslesen; wieder Anders stürzt sich geschaart heraus; während etwas ganz Anderes verlangt und gesucht wird, springt es auf den Plan und ruft: ich bin auch noch da! Da weise ich es mit meiner geistigen Hand zurück aus dem Blick meiner Erinnerung, bis sich enthüllt was ich will, und aus der Verborgenheit vor die innern Augen tritt. Vieles stellt sich leicht in ununterbrochener Reihe auf, sobald es gefordert wird. Das Frühere weicht dem Späteren und verbirgt sich um neu[241] vorzutreten, wenn ich ihm rufe. Das Alles geschieht, so oft ich etwas aus dem Gedächtniß erzähle. Dort liegt Alles nach seiner Gattung geordnet aufbehalten, jedes fand seinen eigenen Weg herein: durch die Augen fand ihn das Licht sammt allen Farben und körperlichen Gestalten, durch die Ohren alles was schallt, durch die Nase jeglicher Duft, durch den Mund jeder Geschmack, durch das im ganzen Körper verbreitete Gefühl das Harte und Weiche, das Warme und Kalte, das Gelinde und Herbe, das Schwere und Leichte, sowohl im Geistigen als im Leiblichen. Das Alles nimmt der große Sammelort des Gedächtnisses in Wohnung und zum Herausholen; ich weiß nicht, in welche geheime, unerforschliche Kammer geht es durch seine besonderen Pforten ein und wird dort zurecht gelegt. Aber nicht die Dinge selbst gehen ein, nur ihre Bilder sind dort den Gedanken des sich Erinnernden gegenwärtig. Wer kann es aussprechen, wie diese Bilder gemacht wurden, da nur offenbar ist, durch welche Sinnen sie aufgefangen und im Innern niedergelegt wurden. Denn selbst in der schweigenden Nacht ruft mein Gedächtniss die Farben herauf, unterscheide ich zwischen Weiß, Schwarz und allen andern. Und die rauschenden Töne verwirren nicht, was ich mit den innern Augen heraufhole, obgleich sie selbst auch dort sind in besonderem Bergungsort. Ich rufe sie und sie sind da, und ich singe sie lautlos im Geist. Auch sie werden von Farben-und Gestaltenbildern nicht gestört, denn dort hat Alles seine eigene Schatzkammer. So ist's mit Allem, was durch die Sinne eingegangen, sein erinnere ich mich, wenn ich will, unterscheide Lilien- und Veilchenduft und rieche doch nichts, Honig und Most, Süßes und Saures und schmecke doch nichts.
Innerlich thu ich's am großen Hof meines Gedächtnisses. Dort sind mit Himmel, Erde und Meer zu Gebot, sammt Allem[242] was ich in ihm fand, mit Ausnahme dessen, was ich vergaß. Auch mir selbst begegne ich hier und wiederhole mich selbst mit Allem, was ich that, sammt Zeiten und Raum darin ich's that, und der Stimmung, die ich damals hatte. Dort ist Alles, was ich selbst erfuhr oder Andern glaubte. Aus derselben Schatzkammer vergegenwärtige ich mir die Bilder des Erfahrenen und Geglaubten und verbinde sie mit einander, ja selbst mit künftigen Thaten, Hoffnungen und Erfolg. Ich will Dieses oder Jenes thun, so sprach ich zu mir inmitten der unermeßlichen Bilderheere meiner Seele und es muß geschehen. Ach, daß es schon wäre! Ach, daß Gott es abwende! Und während ich so zu mir rede, ist Alles da, aus dem Gedächtnißschatz, von dem ich rede, nur das nicht, von dem ich rede.
Ja, mein Gott, unendlich groß ist das Reich des Gedächtnisses, dieß geheimnißvolle Heiligthum. Wer kommt zu seinem Grunde? Es ist eine Kraft meiner Seele und gehört meiner Natur an und doch faß' ich nicht ganz, was ich bin. Zu eng ist die Seele um sich selbst zu erfaßen. Wo ist, was sie nicht erfaßt? Ist es außer ihr, nicht in ihr? Auf welche Weise ist es ihr unerfaßlich? Deß wundere ich mich mit Staunen. Da ziehen die Menschen hin, um zu bewundern der Berge Höhe, des Meeres mächtige Wogen, der Ströme weiten Fall, des Ozeans und des Sternenkreises Weiten und verlassen sich selbst und staunen nicht, daß ich alles das, von dem ich sprach, nicht mit den Augen sah, und doch nur von Bergen, Wogen, von Strömen und Gestirnen sprach, die ich gesehen und vom Weltmeere, daß ich nie gesehn und schaute das Alles im ungeheuren Raum meines Gedächtnisses, als wäre es mir vor die Augen getreten, und doch haben es meine Augen nicht aufgezehrt und verschlungen, als sie es einst gesehen. Die Dinge sind nicht selbst in[243] mir nur ihre Bilder sind in mir, und bewußt ist mir, durch welchen Sinn meines Körpers sie in mich eingezogen.
Mit noch mehr trägt sich die unermeßliche Faßungskraft unseres Gedächtnisses. In ihm ist auch Alles, was auch von erlernten Wissenschaften behielt, in einem Raum bewahrt, der doch kein Raum ist, und die habe ich selbst in mir, nicht nur ihre Bilder. Denn was ich an Wortvorrath, an Disputirkunst und gelehrten Untersuchungen weiß, ist darin nach Grad meines Wißens; nicht als ob ich die Sache selbst draußen gelaßen und nur ihr Bild in mich aufgenommen hätte. Was mir je getönt, tönt mir wieder ohne Ton, wie der Wind verwehte Duft von meinem Gedächtnis noch gerochen wird, wie die längst verdaute Speise dem Gedächtnis noch nachmundet, wie was ich Körperliches berührte auch fern von mir Gedächtnis berührt wird. Nicht jene Dinge selbst, nur ihre Bilder werden wunderbar schnell vom Gedächtnis ergriffen, in wunderbaren Zellen aufgehoben und wunderbarlich durch Erinnerung herausgeholt.
Ich höre dreierlei gelehrte Fragen: ob etwas sei, was es sei und welcher Art es sei. Der Worte Schall zwar, von dem ich hier erlernte, prüfte und ergründete, ist verhallt, die Sache selbst aber ist mir geblieben. Sage mir, wer es kann, wie das in mich eingieng? Ich frage an allen Pforten meiner leiblichen Sinne, und sie sagten es nicht; denn das schallende oder gelesene Wort waren diese Dinge nicht selbst; und da ich sie lernte, glaubte ich keinem Fremden, in mir selbst erkannte ich, was wahr gewesen, und behielt es in mir, daß ich es vortrüge, wann ich wollte. Wohl war es da, ehe ich es lernte, aber nicht in[244] meinem Gedächtnis. Wo war es, und wie lernte ich es und hielt es für wahr, noch ehe es in meinem Gedächtnis gewesen? Aus einem andern, verborgenen Schatz wurde es mir angeboten; wäre das nicht, ich hätte nicht vermocht es zu denken.
Lernen wir jene Gegenstände, so schöpfen wir nicht ihre Bilder ein, sondern sehen sie selbst, wie sie sind, in uns. Was aber allmählich und ungeordnet das Gedächtnis enthielt, das sammeln wir durch Nachdenken und verarbeiten es, als etwas, das uns im Gedächtnis zur Hand ist, wo es zerstreut und vernachläßigt lag und nun leicht dem wohlbewanderten Suchen entgegenkommt. Wie viel der Art trägt mein Gedächtnis was schon aufgespürt und, wie gesagt, mir zur Hand ist, wovon man sagt, wie hätten es eingelernt. Aber wenn ich das Erlernte nach einem Zwischenraum der Zeit wieder hervorrufen will, so weicht es wieder in einem tiefer verborgenen Ort zurück, so daß es von Neuem wieder denken, aus seiner Tiefe und Zerstreuung holen und sammeln muß.
Ebenso enthält mein Gedächtnis Zahl und Maas von allem und auch das kommt nicht in mich durch leibliche Sinne, hat nicht Farbe und Ton, nicht Geruch und Geschmack und läßt sich nicht betasten. Mit Worten wurde es mir erklärt, aber Wort und Sinn war nicht das Gleiche, denn jene töne anders in griechischer, anders in lateinischer Sprache, der Sinn aber ist weder griechisch, noch lateinisch, noch einer andern Sprache. So sah ich auch die Linien der Künstler, oft zart, wie Spinngewebe hingezeichnet. Aber jene Linien der Mathematiker sind in meinem Gedächtnis nicht nur Bilder sinnlich wahrnehmbarer[245] Linien, wie diese, die man auch ohne Nachdenken in sich aufnimmt. Und denk ich vollends der unbenannten Zahlen, die kein Körperliches zählen und meßen, so sind sie, was sie sind, an sich schon, ohne alles Bild. Mag mich verlachen, wer sie nie gesehen, er dauert mich.
Das Alles behalte ich im Gedächtnis, sammt der Weise, in der ich es erlernt. Auch viel Irrthümliches habe ich darüber gehört und behalten. Aber ob es gleich falsch ist, so ist doch sein Behalten nicht falsch. Und auch das behielt ich, daß ich jenes Falsche mit Wahrheit aufhellte, ganz anders unterschiede ich es jetzt, als damals, da ich erst den Unterschied aufsuchte und mein Gedächtnis sagt mir von beidem. Ich erinnere mich dessen, was ich einst erlernt, nehme in mein Gedächtnis auf, was ich jetzt lerne, damit ich mich in Zukunft seiner erinnere. Ich erinnere mich meines früheren Erinnerns, so wie ich das nicht zu Herzen nehmen werde, dessen ich mich jetzt erinnere.
Auch die Gefühle meiner Seele sind mir im Gedächtnis geliebten, aber nicht, wie sie die Seele empfand, während sie von ihr empfangen wurden. Ich erinnere mich ohne Freude empfangener Freuden und ohne Trauer empfundener Traurigkeit; ohne Furcht bin ich gefühlter Furcht, ohne Begierde früherer Begierde eingedenk. Ja ich denke an manche Trauer mit Freude und an manche Freude mit Trauer.
Bei den Leiden und Freuden des Körpers wäre dieß nicht zu verwundern, denn er ist etwas anderes als die Seele, und das Gedächtnis ist nur Sache der Seele. Aber der Schmerz trifft auch die Seele, wie wandelt ihn das Gedächtnis nun in[246] Freude? Ich möchte es, selbst wenn das Bild lächerlich wäre, ich möchte es den Magen der Seele, Schmerz und Freude seine bittere und süße Speise nennen. Werden die nun im Gedächtnis aufbewahrt, so können sie in ihm nicht mehr den Geschmack haben, den sie nur hatten, während sie gekostet wurden, und so ist ihr Geschmack dahin, auch wenn das Gedächtnis sie wieder heraufbringt. So werde ich denn auch von jenen Gemüthserschütterung, von Begierde und Lust, Furcht und Trauer nicht mehr erschüttert, wenn ich sie aus meinem Gedächtnis zurückrufe.
Und vom Gedächtnis rede ich, wenn ich von den vier Bewegungen der Seele spreche, von der Begierde, Freude, Furcht und Traurigkeit; wenn ich sie nach ihren Eigenthümlichkeiten von einander trenne, so kann ich das Gedächtnis. Ihre Bewegungen erfaßen mich nicht mit ihrer Unruhe, wenn ich mich ihrer erinnere und doch wecke ich sie aus der Ruhe, in der sie im Schatzhause des Gedächtnis lagen. Sie stoßen mir daraus auf, wie die Speisen aus dem Magen, aber der Freude fehlt nun ihre Süßigkeit und der Trauer ihrer Bitterkeit. Ist das darum unähnlich, weil es nicht allerwegs ähnlich ist? Wer möchte über etwas Trauriges und Furchtbares reden, wenn er dadurch jedesmal mit Trauer und Furcht erfüllt würde? Und doch redeten wir nicht darüber, wenn wir nur die Bilder körperlicher Eindrücke und nicht auch die Begriffe fänden, die wir durch keine Sinnenpforte empfiengen. Die Seele selbst hat sie in ihrem Leidensgefühl dem Gedächtnis eingepflanzt, oder das Gedächtnis hat sie behalten, ohne solche Einpflanzung.
Aber wer mag leicht behaupten, ob das Gedächtnis die Vorstellung der Bilder sei oder nicht? Ich nenne einen Stein, oder die Sonne da diese selbst nicht vor meine Sinne treten[247] und nur ihre Bilder dem Gedächtnis sich stellen. Einem Körperschmerz nenne ich, während nichts von ihm da ist, und mir nichts weh thut. Wäre aber sein Bild nicht in meinem Gedächtnis, so könnte ich ihn in meiner Aussage nicht von der Lust unterscheiden, wüßte gar nicht, was ich sagte. Ich nenne ein körperliches Behagen, während mir wohl ist. Da ist mir die Sache selber gegenwärtig, aber wäre ihr Bild nicht in mein Gedächtnis, so würde ich mich nicht erinnern, was das Wort bedeutet, mir dem ich diesen Zustand benenne. Auch die Kranken würden, wenn man ihnen vom Wohlbefinden spräche, nicht verstehen, was des Wortes Sinn ist, wenn nicht, troz ihres Uebelbefindens, die Vorstellung des Wohlbefindens in ihrem Gedächtnis lebte. Nenne ich die Zahlen, mit welchen wir zählen, sie selbst, nicht ihr Bild, sind in meinem Gedächtnis. Rede ich von der Vorstellung der Sonne, so ist diese Vorstellung in meinem Gedächtnis, ich aber meine nicht die Vorstellung von dieser Vorstellung, sondern sie, die Vorstellung, selbst, sie schwebt mir vor. Ebenso nenne ich das Gedächtnis und erkenne, was ich nenne. Erkenne ich es wo anders, als im Gedächtnis selbst? Nur seine Vorstellung ist mir gegenwärtig, nicht es selbst.
Erkenne ich, was ich nenne, wenn ich die Vergeßenheit nenne? Woher würde ich erkennen, wenn ich mich erinnerte? Ich rede nicht vom Wort, sondern von dem Gegenstande, den es bezeichnet; hätte ich den vergeßen, was sollte mir das Wort? Nenne ich das Gedächtnis, so ist es selbst von mir, nenne ich die Vergeßenheit, so sind Gedächtnis und Vergeßenheit vor mir, das Gedächtnis, durch das ich mich erinnere, die Vergeßenheit an die ich mich erinnere. Aber was ist Vergeßenheit als Beraubung des Gedächtnisses? Wie kann sie da sein um mich an[248] sie zu erinnern, da ich mich nicht erinnern kann, wenn sie da ist? Wenn wir das, dessen wir uns erinnern, im Gedächtnis behalten, so wird auch die Vergeßenheit im Gedächtnis behalten, wenn ihr Nennen nicht sinnloser Schall sein soll. Sie ist also da, damit wir sie nicht vergeßen, während wir vergeßen, wenn sie da ist. Ist sie vielleicht nicht selbst da, sondern nur ihre Vorstellung? Wäre sie selber da, so würden sie bewirken, daß wir sie vergäßen und nicht, daß wir uns ihrer erinnerten. Wer vermag das zu erforschen, wer kann begreifen, wie es damit zugeht?
Ich mach mir, o Herr, Arbeit in mir selber, bin mir der Acker voll vom Schweiß der Mühsal. Nicht gilt es jetzt des Himmels Zonen zu erkunden und die Sternenräume zu messen, noch der Erde Gewicht zu erwägen, ich bins der sich seiner erinnert, ich die Seele. Es ist nicht zu verwundern, wenn das mir fern ist, was ich nicht selbst bin; aber was ist mir näher als ich selbst? Und meines Gedächtnisses Macht wird nicht von mir begriffen und ich bin doch selbst nicht außer ihm. Was soll ich sagen, wenn mir gewiß ist, ich erinnere mich meiner Vergeßenheit? Soll ich sagen, das, dessen ich mich erinnere, sei nicht in meinem Gedächtnis? Oder die Vergeßenheit sei darum in meinem Gedächtnis, damit ich nicht vergeße? Beides ist ganz sinnlos. Oder gilt es Drittes? Soll ich sagen, nicht die Vergeßenheit, nur die Vorstellung von ihr werde von meinem Gedächtnis behalten? Aber das Bild einer Sache kann sich nur als ihr Abbild einprägen, vor ihm muß sie selbst da sein. So erinnere ich mich Karthagos und aller meiner Wohnorte, so der Menschengestalten, die ich sah und alles sinnlich Wahrnehmbaren, so selbst des Wohl- und Uebelbefindens meines Leibes. Das Alles ließ seine Vorstellung dem Gedächtnis, nur diese rief ich hervor, statt der abwesenden Dinge selbst. So mußte also die[249] Vergeßenheit selbst sich vergegenwärtigen, wenn ihre Vorstellung im Gedächtnis stattfand. Wie konnte sie aber ihr Bild in's Gedächtnis zeichnen, während sie doch alles darin Verzeichnete auslöscht, sobald sie auftritt? So unbegreifliches es ist, ich bin gewiß, daß ich mich auch der Vergeßenheit erinnere, die alles auslöscht, wessen ich mich erinnere.
Eine große Kraft ist das Gedächtnis, mein Gott, voll unergründlicher, unzähliger Fälle, und so ist meine Seele, und so bin ich selbst. Was bin ich also, mein Gott, und welche Natur bin ich? Ein unaussprechlich vielfaches Leben bin ich. Siehe in den unzähligen Gefilden und Gründen meines Gedächtnisses die Arten unzähliger Dinge, mögen sie in mich gekommen sein als Bilder, wie sie von der Körperwelt kommen, oder als die Sachen selbst, wie bei den Wissenschaften, oder gar unergründlich, wie bei den Gefühlen der Seele! Durch das Alles bewege ich mich und finde das Ende nicht. Solche Lebenskraft ist das Gedächtnis im sterblicher Menschen! Und auch über sie muß ich mich erheben, wenn ich zu dir gelangen will, zu dir, mein süßes Licht, denn durch meine Seele hindurch muß ich zu dir, der du über ihr bleibest, der ich dich erreichen will, wo du erreichbar bist und dir anhangen um an dir zu bleiben. Denn auch die Thiere haben Gedächtnis – wie könnten sie sonst ihre Lager und Nester wiederfinden – und finden dich nicht; du aber erhebst mich über sie, du machtest mich weiser als sie. Aber wo finde ich dich nun, meine Friedenswonne? Wo find ich dich? Wenn ich dich außerhalb meines Gedächtnisses finde, vergeß ich dich und wie soll ich dich finden, wenn ich dein vergaß?
[250] Jenes Weib verlor ihren Groschen und suchte ihn mit der Leuchte; wäre er ihr nicht im Gedächtnis gewesen, so hätte sie ihn nicht gefunden. Und hätte sie ihn gefunden, so hätte sie nicht gewußt, daß er es war. Auch ich suchte und fand schon viel Verlorenes.
Als man mir, dem Suchenden, Verschiedenes mit der Frage zeigte: ist es das? verneinte ich es bis ich gefunden hatte, was ich suchte. Hätte ich mich seiner nicht erinnert, so hätte ich es, selbst wenn man mir es gezeigt hätte, nicht gefunden, denn ich hätte es ja nicht erkannt. Aber was aus den Augen schwindet, das schwindet nicht aus dem Gedächtnis, im Innern ruht sein Bild und wird gesucht, bis es geschaut wird, gleich einem sichtbar Körperlichen und aus dem Bild wirds erlernt, das in meinem Innern ist. Verlorenes halten wir nur für gefunden, wenn wir es erkennen und erkennen es nicht ohne Erinnerung, wohl aus den Augen wars, doch nicht aus dem Gedächtnis.
Selbst wenn das Gedächtnis etwas verliert, wie das geschieht durch Vergeßen, so können wir es nun darum suchen, damit wir uns sein wieder erinnern. Wir suchen es also allein im Gedächtnis. Mag uns Eins ums Andere darauf hervortreten, wir verwerfen es, bis das uns entgegentritt, was wir suchen und nun sprechen wir: das ist es! was wir nicht sagen würden, wenn wir es nicht erkennten und was wir nicht erkennen würden, wenn wir uns seiner nicht erinnerten. Wir hatten es also zuverläßig vergeßen gehabt. Oder war es uns nicht ganz ausgefallen? War etwas daran geblieben, bei dem man nach dem Uebrigen fragen konnte? Denn das Gedächtnis[251] merkt wohl, daß nicht alles zumal und zugleich in sich in Bewegung setzt, was es zusammt in sich hat, daß es damit nur zeitweisen, oberflächlichen Umgang pflegt, bis es nach dem wieder verlangt, was ihm fehlt. So können wir den Namen eines an- oder abwesenden Menschen vergeßen haben und werden nun alle Namen, die uns über ihn einfallen, abweisen, bis der uns aufkommt, mit dem wir an ihn zu denken pflegten. Und woher kommt er, als aus dem Gedächtnis? Selbst dann kommt er daraus, wenn ihn uns ein Anderer sagt. Diesem glauben wir nichts Neues, sondern unsere Erinnerung bejaht, was er spricht. Wäre der Name im Gedächtnis ganz erloschen, wir erinnerten uns seiner nicht, wie oft man ihn uns auch sage. Wir müßen uns ja erinnern, daß wir ihn vergeßen haben und nichts ganz Vergeßens werden wir ja wieder suchen können.
Wie nun such ich dich, Herr? Wenn ich meinen Gott suche, so suche ich das selige Leben. Ich will dich suchen, auf daß meine Seele lebe, denn mein Leib lebt durch meine Seele, sie aber lebt durch dich. Wie soll ich suchen das selige Leben? Noch habe ich nicht, daß ich sagen könnte: es ist genug, noch muß ich es suchen durch Erinnerung, als hätte ich es vergeßen und wüßte noch, daß ich es vergaß? Oder soll ich es suchen, nach ihm verlangend als einem noch Unbekannten, von dem ich noch nie wußte, oder das ich so ganz vergaß, daß ich nicht einmal mehr weiß, ich habe sein vergeßen? Ist es nicht ein seliges Leben, was Alle wollen, und ist wirklich Keiner, der nicht wollte? Woher kennen sie es, daß sie alle so nach ihm verlangen? Wo sahen sie es, daß sie es lieben? Wir haben es, ich weiß nicht wie. Aber verschieden ist die Weise, in der Jeder glücklich ist, wenn er es hat. Und es[252] gibt welche, die in der Hoffnung glücklich sind. Sie haben es in niedererem Grade, als diejenigen, welche schon glücklich im Besitze sind, und doch sind sie beßer daran, als solche, die wieder sein Besitz noch seine Hoffnung beglückt. Und hätten diese gar nichts von Glückseligkeit je beseßen, so wollten sie nicht so glücklich sein, wie sie es waren, was sie doch zuverläßig wollen. Wie lernten nun sie es kennen? Sie haben es durch irgend eine Kunde, und ist diese nicht in ihrem Gedächtnis? Ist sie in ihm, so waren wir schon einmal glücklich. Waren das alle Einzelnenen schon, oder waren sie es in dem Menschen, welcher der erste Sünder war, in welchem wir Alle gestorben sind, aus dem wir Alle im Elend geboren wurden. Wenn ich das auch jetzt nicht frage, so frag ich doch, ob uns das selige Leben im Gedächtnis sei. Wir liebten es ja nicht, wenn wir nichts von ihm wüßten. Wir hören das Wort und bekennen, daß wir Alle die Sache selbst verlangen, denn nicht am Worte finden wir die Freude. Hört es der Grieche latein aussprechen, so freut es ihn nicht, denn er versteht das ihm fremde Wort nicht. Wir Lateiner freuen und dann, wie sich der Grieche freuen würde, wenn er das Wort in seiner Sprach hörte. Der Gegenstand selbst ist ja weder lateinisch, noch griechisch. Könnte man alle Menschen und Völker in einer Sprache: wollet ihr selig werden? Sie würden alle antworten: wir wollen! Die Seligkeit selbst also, nicht ihr Name nur, ist in Aller Gedächtnis.
Ist es mit diesem Gedächtnis, wie mit dem Gedächtnis einer Stadt, die man gesehen? So ist es nicht; das selige Leben wird nicht gesehen, es ist nicht körperlich. Ist es, wie mit dem Gedächtnis der Zahlen? Nein, wer dieses hat, der hat die Zahlen selbst und braucht sie nicht erst zu verlangen; vom seligen[253] Leben aber haben wir Kunde, darum lieben wir es, und doch sehen wir uns erst, seine Wonne zu erreichen. Ist es damit, wie mit der Erinnerung der Beredsamkeit? Nein, wenn auch Manche, welche noch nicht selbst beredet sind, es zu werden wünschen, so liegt zwar Erinnerung von Beredsamkeit in ihnen, jedoch von einer gehörten fremden; das selige Leben aber sehen wir nicht durch leibliche Sinne im Besitze Anderer. Ist es damit, wie mit dem Gedächtnis der Freude? Vielleicht ist es so. Denn meiner Freude Gedächtnis bleibt mir auch in meiner Trauer, wie das seligen Lebens in meinem Elend. Denn nie habe ich mit einem leiblichen Sinn meine Freude selbst gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt und betastet, sondern das war Erfahrung meiner Seele, dessen mein Gedächtnis eingedenk ist, so daß ich mich sein mit Geringschätzung oder Sehnsucht erinnere nach seinem Werth. Denn auch die schändlichen Genüße durchdringen mich mit einer Freude, deren Erinnerung ich jetzt verwerfe und verwünsche, der edlen Freuden aber denk ich mit Trauer darüber, daß sie nicht mehr sind. Aber wann und wo erfuhr ich von meinem seligen Leben, daß ich sein gedenke, daß ich es liebe und sein begehre? Und so Alle, wie ich nicht ich allein, nicht nur Wenige mit mir. Und kennten sie's nicht, so wollten sie es nicht. Zwar, wenn man zwei Menschen fragte, ob sie Kämpfer werden wollten im Kriege, so könnte der eine es wollen, der andere nicht, und doch wollten beide dasselbe, beide wollten Glück, der Eine im Kampf, der Andere ohne Kampf. So mögen die Menschen auf verschiedenen Wegen ihre Freunden suchen, alle stimmen doch darin überein, daß sie Freude wollen, und nennen ihre Freude ihre Glückseligkeit. Mögen sie dieselbe von hierher, oder von dorther erreichen, sie wollen Alle doch zum gleichen Ziel, zur Freude. Und weil sie im Gedächtnis liegt[254] und aus ihm erkannt wird, so oft man sie nennt, so kann Keiner sagen, ich kenne sie nicht.
Lerne sei es, Herr, ferne sei es von dem Herzen deines Knechts, der dir bekennt, ferne sei es, daß ich in jeder Freude, der ich mich freue, mich für glückselig halte. Denn eine Freude gibts, die kein Gottloser empfängt, aber die empfangen sie, die dich ehren, ohne es sich zum Verdienst anzurechnen, und ihre Freude bist du. Das selige Leben ist, sich freuen nach dir, aus dir und deinetwegen, und kein selig Leben gibt es außer diesem. Die ein anderes dafür halten, suchen auch andere Freude, aber sie ist nicht wahre Freude; nach irgend einem Freudenbild wendet sich doch ihr Willen.
So ist es also nicht erwiesen, daß alle glückselig zu sein wünschen, da ja Alle, welche sich nicht dein freuen wollen, der allein das selige Leben ist, das selige Leben gar nicht verlangen? Oder, ist es dennoch so, wollen es Alle? – Wohl, weil das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch – also daß sich nicht thun, was sie wollen, so fallen sie in das, zu dem sie vermögend sind, und sind mit ihm zufrieden, weil sie das, zu dem sie nicht vermögend sind, nicht so weit wollen, daß es sie vermögend machte. Denn ich fragte Alle, ob sie nicht lieber sich der Wahrheit als des Irrthums freuen wollen? Und sie werden so wenig anstehen, sich zur Freude an der Wahrheit zu bekennen, als sie anstehen, zu bekennen, sie wollen sich des seligen Lebens freuen; denn das selige Leben ist Freude an der Wahrheit, und das ist die Freude aus dir, der du die Wahrheit bist, Herr, mein Licht, meines Angesichtes Heil, mein Gott. Dieß[255] selige Leben wollen Alle, dieß Leben, das allein selig ist, wollen Alle; die Freude, die aus der Wahrheit kommt, wollen Alle! Ich lernte zwar Viele kennen, die betrügen wollten, aber kein Einzigen, der betrogen werden wollte. So lieben auch sie das selige Leben, das nur aus der Wahrheit zu erkennen ist, die sie lieben, weil sie nicht betrogen werden wollen. Und die Wahrheit liebten sie nicht, wäre ihrem Gedächtnis nicht Kunde von ihr geliebten. Warum aber freuen sie sich ihrer nicht, warum sind sie nicht glückselig? Weil sie mächtiger von andern Dingen befangen werden, die sie elend machen, da sie sich dessen, was sie glückselig macht, nur schwach erinnern. Denn noch ist ein schwacher Lichtschein in den Menschen; sie mögen eilen, eilen, daß sie die Finsternis nicht ergreife. – Warum aber zeugt die Wahrheit den Haß, warum behandeln sie als Feind den Mann, der ihnen die Wahrheit verkündigt, wenn doch das ewige Leben geliebt wird und dieß nichts Anders ist, als die Freude an der Wahrheit? Weil sie die Wahrheit also lieben, daß sie nur das, was sie lieben, für Wahrheit gehalten wißen wollen; und weil, die nicht betrogen werden wollen, sich doch selbst nicht wollen überweisen laßen, daß sie falsch sind. Wegen dessen, was sie für Wahrheit halten, haßen sie die Wahrheit. Sie lieben ihr Licht und haßen sie, wenn sie von ihr an's Licht gebracht und überwiesen werden. Denn weil sie nicht betrogen werden wollen, und doch selbst betrügen wollen, so lieben sie die Wahrheit, wenn sie sich offenbart, und haßen sie, wenn sie selbst vor ihr geoffenbart werden. Und deswegen wird sie ihnen damit vergelten, daß sie wider ihren Willen sie offenbar macht, und sich selbst ihnen doch nicht offenbart. So, auch so will die blinde und schlafsüchtige, die sündliche und schmachvolle Seele verborgen bleiben, und will doch nicht, daß vor ihr etwas verborgen bleibe. Aber es wird ihr vergolten werden, daß sie vor der Wahrheit[256] nicht verborgen bleibe, sondern die Wahrheit vor ihr. Und doch auch, wenn sie so elend ist will sie lieber sich des Wahren freuen, als des Falschen. Und darum wird sie nur selig sein, wenn sich kein selbstverschuldetes, lastendes Hindernis entgegen stellt, da sie sich freuen will allein an der Wahrheit, durch welche Alles wahr ist.
Siehe, Herr, wie weit ich mich immer nur in meinem Gedächtnis ergangen habe, da ich dich suchte und dich doch nicht außer ihm fand. Denn ich fand nichts von dir, dessen ich mich nicht erinnert hätte, seit ich dich lerne; seit ich dich ja lerne, habe ich dein nicht vergeßen. Und wo ich die Wahrheit fand, da fand ich meinem Gott, die Wahrheit selbst, die ich, seit ich lerne, nie vergaß. Darum, seit ich dich lerne, bleibst du in meinem Gedächtnis, und da finde ich dich, wenn ich dein gedenke und mich dein erfreue. Das sind meine heiligen Wonnen, die du mir schenktest durch dein Erbarmen, weil du ansahest meine Armut.
Aber, o Herr, wo weilest du in meinem Gedächtnis? Welch ein Lager hast du dir darin bereitet, welch ein Heiligthum dir in ihm erbaut? Du hast mein Gedächtnis gewürdigt, in ihm zu weilen, aber in welchem Theile desselben du weilest, möchte ich erfahren. Dein gedenkend durchgieng ich den niedern Raum der Erinnerung, welchen auch die Thiere besitzen; und als ich dich, unter den Bildern der leiblichen Dinge, nicht fand, wandte ich mich dahin wo ich die Empfindungen meiner Seele aufbewahrte, und fand dich auch dort nicht. Da gieng ich zum Sitz meiner Seele selbst, der in meinem Gedächtnis ist, weil sich die Seele auch ihrer selbst erinnert, und auch da warst du nicht. Denn du bist nicht das Bild eines Körperlichen; du bist[257] nicht das Gefühl des Lebens, wir mögen uns freuen oder trauern, begehrten oder fürchten, eingedenk sein oder vergeßen, und was dieser Art ist; du bist nicht meine Seele weil du der Herr und Gott meiner Seele bist. Das Alles wandelt sich, du aber bleibest unwandelbar über Allem. Und du hast mich gewürdigt, in meinem Gedächtnis zu wohnen, seit ich dich lerne. Was frage ich noch, an welchem Ort meines Gedächtnisses du wohnest, als ob dort Orte wären? Du wohnest in ihm zuversichtlich, weil ich dein eingedenk bin, seit ich dich lerne, und in ihm dich finde, so oft ich dein gedenke.
Wo nun fand ich dich, daß ich dich lernte? Denn ehe ich dich lernte, warest du nicht in meinem Gedächtnis. Wo fand ich dich, daß ich dich lernte, als nur in dir selbst und über mir? Und nirgends ist dieser Ort, wir mögen ihm zu weichen oder ihm zu nahen suchen; nirgends ein solcher Ort! Die allgegenwärtige Wahrheit, waltest du über Allen, die nach dir fragen, und antwortest Allen, wie verschieden sie auch fragen. Klar antwortest du, aber klar hören dich nicht Alle. Alle fragen, über was sie wollen, aber nicht immer vernehmen sie das, was sie wißen wollen. Der aber ist dein bester Diener, welcher mehr das will, was er von dir gehört, als daß er das hören wollte, was er will.
Ich habe spät dich geliebt, die Schönheit, so uralt und so neu, ich habe spät dich geliebt! Und siehe, du warst im Innern, aber ich war draußen und suchte dich dort. Und in deine schöne Schöpfung stürzte ich mich in meiner Häßlichkeit, denn du warest mit mir und ich nicht mit dir! Ferne von dir hielt mich die Außenwelt, und wäre doch nicht, wenn sie nicht wäre in dir.[258] Du riefest laut und lauter und durchbrachtest meine Taubheit. Du schimmertest strahlend und strahlender und schlugest meine Blindheit. Du wehte stund ich kam zu Odem wieder und Leben, und athme in dir. Ich kostete dich und hungre und dürste. Du berührtest mich und ich lebte auf in deinem Frieden.
Wenn ich einst in dir leben werde mit Allem, was in mir ist, dann wird mich nimmer treffen Schmerz und Ungemacht; ganz von dir erfüllt, wird Alles an mir Leben sein. Nun aber, da du nur den erleichterst, den du erfüllst, bin ich mir selbst zur Last, weil ich noch nicht völlig erfüllt bin vor dir. Noch streiten in mir zu beweinende Freuden mit erfreulicher Traurigkeit, und wer den Sieg gewinne, weiß ich nicht. Weh mir, Herr, erbarme dich mein! Auch unreine Trauer ist mit reinen Freuden in mir in Streit, und wer den Sieg gewinne, weiß ich nicht. Weh mir! Herr, erbarme dich mein! Weh mir! Siehe, meine Wunden verberge ich nicht; du bist der Arzt ja, ich bin der Kranke; der Erbarmer bist du, und ich bin der Eebarmenswerthe; denn aller Menschen Leben ist Anfechtung, so lange es auf Erden dauert. Wer wünschte aber seine Widerwärtigkeiten und Beschwerden? Du heißest sie tragen uns, nicht lieben, und Niemand liebt, was er trägt, wenn er auch lieber zu tragen; ihm dünken die Lasten leicht, und er hofft sie mit Freuden zu tragen; aber wird die Last seine Last, so dünkt sie ihm zu schwer, und nun will er lieber, es wäre nicht, das er zu tragen hätte. Und darum sehne ich nach Glück mich im Unglück und fürchte vor Unglück mich im Glück. Läßt sich zwischen diesem die Mitte finden, in der das Leben keine Anfechtung ist? Doppelt Weh dem Glück dieser Welt über der Furcht vor Unglück und seiner zerstörlichen Freude! Und dreifach Weh[259] dem Unglück der Welt, über dem Sehnen nach Glück, über seiner eigenen Härte, über dem Schiffbruch, den die Geduld an ihm leidet! Ja, Aller Leben auf Erden ist ununterbrochene Anfechtung!
Alle meine Hoffnung ruht nur in deinem reichen Erbarmen, so gibt denn, was du befiehlst, und befiel, was du willst. Du befiehlst uns Enthaltsamkeit – gib sie mir; denn ich kann nicht anders enthaltsam sein, es gebe mir sie denn Gott; und Weisheit ist, erkennen was solche Gnade ist. Durch Enthaltsamkeit werden wir gesammelt und wiedergebracht zu dem Einen, von dem wir uns in Vieles zerstreuten. Denn weniger liebt dich, der neben dir etwas liebt, das er nicht liebt deinetwegen. O Liebe, du immer brennende und immer erlöschende Liebe, die du mein Gott bist, entzünde mich! Enthaltsamkeit gebeutst du mir; gib, was du gebeutst, und gebeut, was du willst.
Du gebeutst mir, daß ich enthalte mich von des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffährtigem Leben. Du gebeutst Enthaltsamkeit von fleischlicher Lust, denn du gestattest die Ehe; aber mahnst auch zu Beßerem, zum bräutlichen Bunde allein mit dir. Und das gabest du mir, ehe ich noch in ein Amt deiner Kirche trat. Aber in meinem Gedächtnisse sind noch die alten Bilder meiner Verirrung, denn dort hat Gewohnheit sie eingebürgert, und wenn ich sie von mir banne im Wachen, so kommen sie lockend und verlockend in meine Träume. Und so mächtig ist dann das Trugbild in meiner Seele und in meinem Fleisch, daß es dem Träumenden als wahr erscheint, was es am Wachenden nicht zu thun vermag. Herr, mein Gott, bin ich im Traum nicht, der ich bin? Es ist ein so großer Unterschied[260] zwischen mir und mir im Augenblick des Einschlafens und Aufwachens. Wo ist die Vernunft des Schlafenden, die im Wachen solchen Einwirkungen widerstehen, die da unerschüttert bleibt, wenn jene lüsternen Bilder sich zeigen? Schließt sie sich mit den Augen zu? Woher kommt es, daß wir ihnen oft auch im Traum widerstehen, unseres Vorsatzes auch da eingedenk, und rein bleiben, den Lockungen nicht bestimmend? Und doch welch ein Unterschied zwischen mir und mir! Stimmte ich jenen Lockungen bei, so kehrt mir beim Erwachen die Ruhe des Bewußtseins zurück und ich finde, daß ich das selbst nicht gethan habe, daß es an mir zu meinem Leid gethan worden ist. Aber sollte deine Hand nicht mächtig sein, allmächtiger Gott, alle Schlafsucht meiner Seele zu heilen und mit reichlicher Gnade selbst der Träume Lüsternheit zu vertilgen? Du wirst mir mehr und mehr deine Gabe reichen, daß mir meine Seele folge zu dir und selbst im Traume voll Reinheit bei dir sei, der du mehr kannst, als wir bitten und verstehen. So freue ich mich mit Zittern dessen, was du gabst, ich traure über das, in dem ich noch nicht vollkommen bin, und hoffe, völlig werde dein Erbarmen werden an mir, bis zum vollen, ungestörten Frieden des äußern und innern Menschen mit dir, wenn der Tod verschlungen sein wird in den Sieg.
Noch eine andere, schlimme Versuchung hat jeglicher Tag; wäre es genug an ihr! Des Leibes Hinfälligkeit müßen wir täglich mit Speise und Trank begegnen, bis du Nahrung und des Leibes Nahrungswerkzeuge von uns abthust und unsern Mangel endest mit wundervoller Sättigung, wenn du dieß Vergängliche in ewige Unvergänglichkeit wandelt. Nun ist mir diese Nothwendigkeit der täglichen Nahrung angenehm und[261] streiten muß ich gegen dieß ergötzende Gefühl, daß ich nicht von ihm gefangen werde. Aber wie ich auch täglich mit Enthaltung gegen mich streite und meinem Leib zu unterwerfen suche, der Schmerz davon wird doch zum Vergnügen, denn gegen des Hungers und des Durstes Schmerzen wird die Nahrung zum Heilmittel, das du uns reichest von der Erde, den Waßern und den Lüften, aber der Genuß dieses Heilmittels bringt Ergötzung nach des Mangels Schmerz. Und doch lehrst du mich damit, ich soll meine Nahrung nur als Heilmittel empfangen; aber nach des Mangels Beschwernis befängt sie mich mit den Schlingen der Begehrlichkeit: denn dieser Uebergang vom Mangel zur Sättigung ist Vergnügen. Und so heftet sich dem Heilmittel der Speise und des Trankes die gefährliche Lust an die Ferse, ja geht ihm gewöhnlich voran und wird zur Hauptsache, und was für des Hungers und Durstes Heilung genug wäre, das ist für die begehrliche Lust noch zu gering, so daß es oft ungewis ist, ob die Sorge für des Leibes Wohl noch mehr verlange, oder ob die trügliche Lüsternheit noch Befriedigung forderte. An dieser Ungewisheit freut sich die unglückliche Seele, und wendet sie als Entschuldigung vor, sich vergnügend an dem, was über des Körpers und seiner Gesundheit Bedürfnis ist und unter dem Vorwand der Gesundheit nur der Lust fröhnt. Diesen Versuchung muß ich täglich widerstehen und anrufen zu meinem Heil deine Rechte, weil ich hier noch nicht in Klarheit bin. Ich höre die gebietende Stimme meines Gottes: »hütet euch, daß eure Herzen nicht beschweret werden mit Freßen und Saufen.« (Luk. 21, 34.) Wohl ist das ferne von mir, aber erbarme dich, daß es ferne von mir bleibe. Denn zu große Lust an Speis und Trank ließ deinen Knecht doch schon mehr genießen, als ihm kann nicht enthaltsam sein, es werde mir denn durch dich. Du gibst uns Vieles auf unsere[262] Bitten, und was wir Gutes empfangen, noch ehe wir darum baten, haben wir von dir empfangen wir, daß wir hernach es erkennen. Nie war ich ein Knecht der Unmäßigkeit und Trunksucht, aber ich lernte Trunksüchtig kennen, die du zu Mäßigen machtest. Und so hast du bewirkt, daß ich nie war, was diese waren, damit wir beide wißen, es komme allein von dir, was ich gewesen sei nicht, und was wir Beide jetzt seien. Auch vernahm ich dein Wort: »Folge nicht bösen Lüsten, sondern brich deinen Willen«. (Sir. 18, 30.) Und: »Eßen wir, so werden wir darum nicht beßer sein; eßen wir nicht, so werden wir darum nicht weniger sein« (1. Cor. 8, 8.) Auch hörte ich: »Ich habe gelernt, bei welchem ich bin, mir genügen zu laßen; ich kann übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht.« (Phil. 4, 12.) So spricht der Streiter im himmlischen Herr, der Staub nicht, der wir sind. Aber ich weiß, daß du es bist, der aus Staub den Menschen machte, der verloren war und wieder gefunden wurde. Auch Paulus konnte das nicht durch sich: auch er war Staub, er, der mir so lieb ist, weil er dieß sagen konnte, angeweht von deines Geistes Beseligung. Er sagt: ich vermag Alles durch den, der mich mächtig machte. Stärke auch mich, daß ich das könne! Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst! Paulus gesteht, es empfangen zu haben, und wenn er sich rühmt, so rühmt er sich des Herrn. Einen Andern hörte ich flehen um diese Gnadengabe: »wende von mir alle unreinen Lüste.« (Sir. 23, 5.) So gibst du, wenn geschieht, was du befiehlst. Du lehrtest mich, gütiger Vater: »es ist zwar Alles rein, aber es ist nicht gut dem, der es ißet mit dem Anstoß seines Gewißens. (Röm. 14, 20.) Und alle Kreatur Gottes ist gut und nichts verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird. (1. Tim. 4, 4.) Aber die Speise[263] fördert uns nicht vor Gott«. (1. Cor. 8, 8.) Das lernte ich, Lob und Dank dir, meinem Gott und Lehrer, der du mein Ohr mir aufgethan und mein Herz mir erleuchtet hast. Reiße mich aus aller Versuchung! Ich fürchte nicht die Unreinigkeit der Speise, ich fürchte die Unreinigkeit der Begierde. Ich weiß, daß Noa alle eßbaren Thiere erlaubt waren (1. Mos. 9, 3.) und daß Elias mit dem Fleisch der Thiere sich labte (1. Kön. 17, 7), daß Johannes in seiner hohen Enthaltsamkeit Heuschrecken aß, ohne sich zu beflecken. Aber ich weiß auch, daß Eschau durch seine Lüsternheit nach Speise betrogen wurde; daß David einst seine Eier nach einem labenden Waßertrunke selber tadelte (2. Sam. 23, 7.) und daß unser himmlischer König nicht mit Fleisch, sondern mit Brot versucht ward; daß das Volk in der Wüste misfällig wurde vor Gott, weil es um Speise murrte. – In diese Versuchungen gestellt, muß ich täglich, so oft ich mich der lüsternen Begehrlichkeit streiten und meiner Kehle den Zügel halten; denn ich kann es damit nicht halten, wie mit der geschlechtlichen Lust, die ich aufgab für immer. Und wer ist, o Herr, der nicht etwas über das Maaß des Nothwendigen schritte? Gibt es einen Solchen, so steht er hoch und erhöhe dankend deinen Namen. Der Art aber bin ich nicht; ich bin noch ein sündiger Mensch. Doch auch ich erhöhe dankend deinen Namen und bitte meiner Sünden wegen zu dir, der die Welt überwand, der mich zählt zu den schwachen Gliedern seines Leibes, auf dessen unvollkommene Theile auch in Gnaden deine Augen sehen, denn du wirst deine Treuen alle in das Buch des Lebens schreiben.
Die Wohlgerüche sind mir nicht sehr zur Versuchung; ich suche sie nicht und verschmähe sie nicht, und konnte sie auch[264] immer entbehren. Doch die Seele liegt in kläglicher Finsternis und kann sich über ihre Kräfte nicht trauen, es sei denn, daß ihre Erfahrung den Schleier lüfte. Und Niemand soll in diesem Leben sicher werden; denn muß nicht der Mensch immer im Streit sein auf Erden, damit er, aus einem Schlechtern ein Beßerer geworden, nicht wieder ein Schlechterer werde? Deine Erbarmung ist die einzige sichere Verheißung.
Hartnäckiger und beherrschten mich die Vergnügungen der Ohren, aber du hast mich gelöst und befreiten. Wohl ruhe ich etwas in den Tönen, welche deine Worte beseelen, wenn sie lieblich und kunstreich gesungen werden; doch feßeln sie mich nicht, ich kann von ihnen gehen, wenn ich will. Aber mit den Worten selbst, aus denen sie ihr Leben ziehen, verlangen sie in meinem Herzen einen Ehrenplatz und ich weiß ihnen kaum einen paßenden, gleich dem der Worte selbst, zu gewähren. Oft mein ich, sie zu hoch zu stellen, weil uns die heiligen Worte durch ihren Sang mehr zur Andacht entstammen, als ohne ihn. Aber auf mir verborgene Weise entsprechen in unsere Seele den Liedertönen verwandte Regungen. Das Gemüth darf nicht durch sinnliche Ergötzungen entnervt, und doch hat mich diese oft auch bei jenen Tönen befangen, so daß der sinnliche Eindruck den geistigen nicht nur als Beiwerk begleitete. So fehlte ich auch hierin, ob ich es gleich hernach erst merke. Bin ich aber zu behutsam gegen jene Trugmacht der Töne, so irre ich aus zu großer Strenge. Und gar oft wollte ich, alle die lieblichen Sangweisen der davidischen Psalmen möchten von mir und von der Kirche fern bleiben und scheint mir gefahrloser, was mir von Athanasius, Alexandriens Bischof, hinterbracht[265] wurde, welcher den Vorleser die Psalmen nur mit wenigen Tönen psalmodiren ließ, so daß der Vertrag mehr ein Sprechen als ein Singen war. Wenn ich aber der Thränen denke, welche ich am Anfang meiner Bekehrung bei deinen Kirchenmelodien vergoß und wenn ich auch jetzt noch von ihnen gerührt werde, wo mit reiner Stimme und paßender Melodie gesungen wird, freilich nicht vom Sang nur, sondern auch von seinen Worten, so erkenne ich den großen Nutzen unserer ambrosianischen Einrichtung wieder. So schwanke ich zwischen der vergnügenden Gefahr und der erfahrenen heiligen Wirkung unserer Einrichtung und ohne maßgebend reden zu wollen, ist sie mir doch lieber, damit schwächere Gemüther durch Ohrenlust zu frommer Andacht erhoben werden. Wenn es mir jedoch widerfährt, daß mich mehr der Sang, als seine Worte rührt, so fehle ich sträflich und wollte lieber den Sänger nicht hören. So steht es um mich! Weint um mich und mit mir weinet, die ihr des Guten etwas im Herzen bewegt, aus dem ihm angemeßene Thaten folgen. Die ihr nichts davon in euch bewegt, wie könnte euch rühren, was ich rede? Du aber, Herr, mein Gott, sieh erhörend auf mich nieder, erbarme dich mein und heile mich, du von dessen Augen ich mir selbst zum Räthsel werde, o du, dem meine schwankende Schwäche bekannt ist.
In meinen Bekenntnissen, welche hören mögen die Ohren deines Tempels, die Ohren der Brüder und Frommen, muß ich noch reden von der fleischlichen Augenergötzung, um alle fleischliche Lust zu erwähnen, welche mich seufzen macht nach meiner Behausung, die vom Himmel ist, nach der ich verlange, daß ich damit überkleidet werde. Die Augen lieben schöne und verschiedene wechselnde Formen, leuchtende und reizende Farben.[266] Sie sollen meine Seele nicht feßeln, die feßle Gott, der diese Dinge schuf, der gut sie schuf; er ist mein Gut, nicht sie. Sie treffen mich, so lange ich wache, die ganzen Tage über; nicht wird mir Ruhe vor ihnen, wie vor den Stimmen de Gesangs, die mir verstummen, wenn ich in Einsamkeit mich von ihnen trenne. Denn der Farben Königin ist das Licht, das alles Sichtbare durchströmt, das mich unabweisbar schmeichelnd umwallt, was ich auch thun mag; das sich so lieb uns macht, daß wir sein begehren, wenn es einen Augenblick nur uns fehlt und traurig sind, so es lange entfernt ist. – O Licht, das Tobias schaute, da er mit erblindeten Augen den Sohn den Weg des Lebens lehrte, den er ihm in Liebe vorangieng, ohne irgendwo irr zu gesehen, als ihm das Alter seine leiblichen Augen verdunkelte und ihm nicht gegeben war, seine Söhne zu segnen, indem er sie mit leiblicher Augen erkannte, sondern sie durch seinen Segen als das anzuerkennen, was sie werden sollten, und er es nicht erlangte, seine Kinder zu segnen, weil er sie erkannte, aber sie durch den Segen, den er ihnen gab, als seine Kinder erkannte mit der Liebe innerem Auge. Jakob schaute dich, da ihn das Alter des Lichtes beraubt, und seine Söhne segnend, sprach er mit erleuchtetem Herzen über die Söhne das aus, was ihren Nachkommen, dem Volke Gottes, widerfahren sollte. Und Josephs Söhnen legte er die Hände auf, mit erleuchtetem Herzen des Volkes kommenden Geschlechtern, nicht wie es ihr Vater verlangte, sondern wie er ihres Stammes geheime Zukunft sah im inneren Licht. (1. Mos. 48, 19.) Das ist das alleinige Licht, das wahre Licht allein, und eins sind Alle, die es schauen und lieben. – Aber das leibliche Licht verbringt das Leben mit lockend gefährlichen Reiz vor den blinden Anhängern dieser Sinnenwelt. Doch, die dich zu loben wißen auch über dieses Licht, Gott, Schöpfer von Allem, sie[267] wenden es an zu deinem Lobgesang und laßen sich nicht von ihm abwenden in geistigem Schlaf, dem du fehlst, du Licht des Lichtes. So wünsche ich zu sein. Ich widerstehe der Augen sinnlicher Lockung, damit sie meinen Wandel auf deinem Wege nicht umstricke; und erhebe zu dir die unsichtbare Augen, daß du meinen Wandel von allen Schlingen befreiest. Du hörst nicht auf, mich loszumachen, ob ich auch oft noch an den überall gelegten Netzen hafte, denn du schläfst nicht und wirft nimmermehr schlafen, der du Israel hütest. Wie unzählig Vieles, in Kleidern und Geräthen, in Gemälden und andern Bildwerken, bereiten sich die Menschen, um die Augen zu befragen, wie Vieles, das weit das Bedürfnis und die auch im Bilde mögliche Bezeichnung des Heiligen überschreitet, und kehren sich nach dem nur, das sie äußerlich schaffen, im Innern den verlaßend, von dem sie geschaffen sind, und vergeßend, daß sie selbst nur geschaffene Wesen bleiben. Aber, o Gott du, meine Schönheit, auch für die Werke und Kunst und des Fleißes singe ich dir meinen Lobgesang und opfere mein Lob dem, der sich für mich geopfert hat, weil auch, was des Künstlers Seele mit seiner Hand in's Dasein rief, von der Schönheit kommt, die über unsern Seelen ist, nach der Tag und Nacht meine Seele seufzt. Doch die Meister und Liebhaber des äußern Schönen wißen dieß Schöne zu loben, und nicht zu nützen, und du, der du selbst dieser Nutzen bist, du bist da in allem Schönen, und sie sehen dich nicht. Möchten sie ihre bildende Kraft in deinem Schirm geben, damit sie nicht weiter irren, und sich nicht zerstreuten in ergötzender Entkräftung! Davon befreie du mich, du, dessen Erbarmung vor meinen Augen ist, denn auch ich werde befragen, oft, ohne daß ich es weiß, weil ich nur aus Uebereilung hineinfiel, oft zu meinem Schmerz, weil ich mich fester befangen ließ.
[268] Noch nenne ich eine andere, vielseitiger gefährliche Versuchung; denn außer der fleischlichen Lust, welche in dem Reiz aller Sinne und ihrer Vergnügung ist, und die den, der sich in ihrem Dienste von dir entfernt, zu Gnade richtet, ist in der Seele noch eine andere, welche sie zwar nicht sinnlich ergötzen will, aber die Sinne zu Werkzeugen ihrer Eitelkeit und Neugier macht und sich hinter den Namen des Erkenntnisdranges verschanzt. Sie ist die Neugier, und zu ihr frühen die Augen vor allen Sinnen, daher wird sie von deinem Wort auch der Augen Lust genannt. Denn das Auge will sehen, wir sprechen freilich auch ein Sehen den andern Sinnen zu, wenn wir mit ihnen etwas erkennen wollen. Wir sagen zwar nicht: horch was schimmert, riech wie es glänzt, schmeck wie es strahlt, greif wie es leuchtet, man sagt bei diesem Allem, es werde gesehen. Und doch sagen wir nicht nur: sieh was leuchtet, was allein mit den Augen vernommen wird, sondern wir sagen auch: sieh was tönt, sieh was riecht, sieh was schmeckt, sieh wie hart das ist, und so wird alles, was die Sinne begehren, ausgedrückt als geschehe es durch die Augen, weil auch die übrigen Sinne sich der Augen Beruf, das Sehen zuschreiben, so oft sie den Augen Aehnliches thun, auf etwas ausgehen nämlich, um es zu erkunden.
Nach diesem wird genau unterschieden, was die Sinne für Vergnügen suchen und was sie für eine Neugier treibt. Vergnügen bringt das Schöne, Wohllautende, lieblich Duftende, Geschmackvolle und weich Anzufühlende, die Neugier will auch das Gegentheil von diesen versuchen, nicht um sich damit zu belästigen, sondern aus Wißbegierde. Was ist denn für ein Vergnügen, den erschreckenden Anblick eines zerfleischten Leichnams zu haben? und doch laufen sie da zusammen wo er liegt,[269] um zu bedauern und zu erschrecken. Nicht einmal im Traume möchten sie so etwas sehen, sie gehen wachend darnach, als hätte sie Jemand genöthigt, oder etwas schön Ausgegebenes zu schauen. So ists auch mit den andern Sinnen, bei denen ich mich jetzt nicht aufhalte. Um diese krankhafte Neugier zu befriedigen, gibt man im Theater Effektstücke; will man die außermenschliche Natur ergründen, nur aus Neugier, ohne Nutzen. Die Neugier verblendet den Menschen zum Glauben an magische Künste, sie versucht Gott, Zeichen und Wunder von ihm fordernd, nicht um Heil damit zu erwerben, nur um sich zu vergnügen. Unzählig sind ihre Lockungen: viele davon half deine Gnade mir überwinden. Aber es ist nicht auszusprechen, wie vielfach sie das tägliche Leben umschwirren; und ich kann nicht behaupten, niemehr von ihnen ergriffen zu werden. Wohl lockt mich kein Schauspieler mehr, noch der Sterndeuter Trug, wohl suche ich keine Kunde bei den Todten und verabscheuen gottlose Gebräuche; aber, mein Gott, dem ich in Demuth und in Einfalt dienen soll – wie versucht mich der Feind noch mit seinen Eingebungen, daß ich ein Zeichen zuweilen von dir fordern möge? Ich beschwöre dich bei unserm König, bei der reinen Heimat der Einfalt, bei der himmlischen Jerusalem – wie ich schon ferne bin, dem Versucher beizustimmen, so laß mich ferner immer davon werden und verleiht mir immer dir zu folgen, der du an mir thust nach deinem Wohlgefallen. Von wie unzähligen werthlosen Kleinigkeiten wird unsere Neugier täglich erregt! Fade Schwätzer hören wir anfänglich an, um diese Schwachen nicht zu beleidigen, allmählich aber hören wir ihnen gerne zu. Ich seh dem Hund nicht nach, der den Hasen verfolgt, wenn das im Circus geschieht, aber auf dem Felde draußen stört er mich vielleicht an nichtigen Gedanken und ich lauf ihm wenigstens mit der Seele nach. Gedankenlos starr ich hin, wenn du[270] mir nicht diese Schwäche vorhältst und mich durch beßere Gedanken zu dir erhebst. Und zu Hause erregt oft meine Aufmerksamkeit eine Eidechse, die Fliegen fängt, oder eine Spinne, die sie umkrallt, wenn sie in ihr Netz gerathen. Es geht mir dabei, wie dort auf dem Felde, so klein auch diese Thierchen sind. Und lob ich dich dann, den weisen Schöpfer und Ordner aller Wesen? Nicht von dir aus schaue ich ja zu deinem Lob auf diese Dinge. Ein Anders aber ist, schnell sich wieder faßen, ein Anderes, gar nicht in Zerstreuung fallen. Von solcher Dingen voll ist mein Leben, und meine Hoffnung ist nur dein reiches Erbarmen. Wird unser Herz der Sammelplatz solch werthloser Dinge, so werden selbst unsere Gebete oft unterbrochen und gestört, und vor deinem Angesicht, da wir des Herzens Stimme vor dich bringen, wird diese große Sache durch das Einschleichen jener nichtigen Gedanken zerrißen. Wenn wir solches Zerstreutsein verwerfen, so können wir nur hoffen, dein Erbarmen werde uns davon befreien, der du begonnen hast uns zu erneuern.
Du weißest, wie du mich wandeltest, der du zuerst nicht heiltest von der Sucht, mich für gerecht zu halten in meinem Uebermuth, auf daß du gnädig alle meine übrigen Sünden vergebest, und heilest alle meine Gebrechen: daß du mein Leben vom Verderben erlösest und mich krönest mit Gnade und Barmherzigkeit, daß du mein Verlangen sättigest mit deinen Gütern, der du mit deiner Furcht meinen Stolz gebeugt und meinem Nacken hast unter deinem Joch gebändigt. Und nun trage ich es und es liegt sanft auf mir, weil geschehen ist, was du verhießest; und so war es und ich wußte es nicht, da ich mich fürchtete es aufzunehmen. Aber Herr, der du allein herrschest ohne Stolz, weil du allein bist der wahre Herr, der keinen[271] Herrn du hast – ist endlich nach des Fleisches und der Auge Lust auch die dritte Hauptversuchung, die Hoffahrt, von mir gewichen oder kann sie welchen in diesem Leben? Gefürchtet und geliebt sein wollen von den Menschen, nicht wegen etwas Anderem, sondern damit daraus schon Freude entstehe, die doch keine Freude ist, das ist ein elend Leben und ein unfläthig Prahlen. Daraus kommt es vor Allem, daß man dich nicht liebt, und dich nicht in Lauterkeit fürchtet. Darum widerstehst du den Hoffährtigen, den Demüthigen aber gibst du Gnade; darum donnerst du über dem Prahlen der Welt und machst zittern die Gründe der Berge. Wohl müßten wir, wegen mancher Aemter und Pflichten in der Menschengesellschaft, von den Menschen gefürchtet und geliebt werden, und da erhebt sich der Feind unserer Seligkeit und schreit in die Schlingen, die er uns legt: wohlauf, wohlauf! Und wenn wir gierig uns herzumachen, werden wir, in unserer Unvorsichtigkeit, gefangen, und setzen unsere Freude nicht mehr in die Wahrheit, setzen sie nur in die Trüglichkeit der Menschen, wollen geliebt und gefürchtet werden nicht deinetwegen, sondern an deiner Statt. So hat der Feind uns und macht uns sich ähnlich, nicht zu liebender Eintracht, sondern zur Genoßenschaft im Gerichte; er, der seinen Thron gesetzt hat gegen Mitternacht, daß ihm, der auf verkehrtem, qualvollem Wege dich nachäfft, die dunkeln und die kalten Herzen dienen. Wir aber, Herr, siehe, wir sind deine kleine Heerde, besitze du uns und breite über uns deine Flügel, daß wir uns unter sie flüchten. Sei du unser Ruhm; deinetwegen wollen wir geliebt werden, dein Wort nur werde in uns gefürchtet. Wer da gelobt will werden von den Menschen, wenn du ihn tadelst, der wir nicht vertheidigt werden von den Menschen, wenn du ihn richtest, und nicht befreit werden, wenn du ihn verdammst. Der Sünder wird nicht gelobt über seinen[272] Muthwillen, noch gesegnet für seine Uebelthaten, sondern gelobt wird der Mensch über eine Gnadengabe, die er von dir empfieng, und freut er sich mehr nur des Lobes, als der löblichen Gabe, so wird auch er von dir getadelt, da er gelobt wird, und ist der Lobende beßer als der Gelobte; denn jenem gefiel die Menschengabe mehr als die Gottesgabe.
Täglich, o Herr, ohne Aufhören werden wir von diesen Versuchungen angefochten. Und eine täglich aufglühende Feueresse ist unsere Zunge. Auch hier gebeutst du uns Enthaltsamkeit. Gib was du befielst, und befiel, was du willst. Auch darüber kennst du die Seufzer meines Herzens und die Ströme meiner Augen. Nicht leicht faße ich, wie weit ich von dieser Pest frei sei, und sehr fürchte ich meine verborgenen Fehler, welche von deinen Augen erkannt werden, nicht von den meinen. In allen andern Versuchungen kann ich mich erforschen, in dieser fast nicht. Bei des Fleisches und der Augen Lust sehe ich, wie weit ich meine Seele zügeln kann, sobald diese Lockungen – durch meinen Willen, oder durch ihre Abwesenheit – von mir sind; denn so kann ich mich fragen, wie ich ihr Entbehren ertrage. Auch die Reichthümer, welche verlangt werden, damit man diese Lüste alle oder theilweise sich mit ihnen erkaufe, können verlaßen werden, damit die Seele beweisen könne, daß sie dieselben verachte, was sie nicht kann, wenn sie dieselben besitzt. Ein größerer Unsinn könnte allerdings weder behauptet noch gedacht werden, als wenn Jemand, um nicht gelobt zu werden, so schlecht und verworfen lebte, daß er von Jedermann verwünscht würde. Wenn das Lob der Begleiter eines guten Wandels und guter Werke zu sein pflegt und sein soll, so soll man weder[273] den guten Wandel, noch seinen Begleiter verlaßen. Ob ich aber diesen Begleiter mit Gleichmuth oder entbehren kann, empfinde ich erst, wenn er mir fehlt. Ich muß dir, Herr, bekennen, daß das Lob, mehr aber noch die Wahrheit mich erfreuen; denn wenn mir die Wahl gegeben würde, ob ich verrückt und in Allem irrend von allen Menschen gelobt, oder in der Wahrheit bestehend von allen getadelt werden wollte, so weiß ich was ich wählte. Ich wollte nicht, daß mir die Freude an einem Gut erst durch Menschengunst erhöht würde. Und doch erhöht mir das Lob die Freude und der Tadel mindert sie, und wenn ich davon beunruhigt werde, so suche ich mich, ich weiß nicht warum, zu entschuldigen. Du hast uns nicht nur Enthaltsamkeit von der Liebe zu Manchem, du hast uns auch Gerechtigkeit geboten, mit der wir die Liebe Manchem zuwenden sollen. Und so wolltest du nicht nur, daß wir dich, du wolltest auch, daß wir den Nächsten lieben. Und oft glaube ich mich über die Fortschritte oder das Hoffnungsvolle meines Nächsten zu erfreuen, wenn ich mich an seinem verständigen Lob erfreue, und über ihn zu trauen, wenn ich ihn tadeln höre, was er an mir nicht versteht, oder was gar an mir gut ist. Oft aber traure ich auch über mir gewordenes Lob, wenn das an mir gelobt wird, über dem ich mir selbst misfalle, oder wenn kleineres und werthloseres Gute höher geschätzt wird, als es zu schätzen ist. Geschieht das deswegen, weil ich nicht will, daß, der mich lobt, anders über mich denke, als ich selbst? Geschieht es nicht deswegen, weil mir sein Nutzen am Herzen liegt, sondern nur weil mein mir wohlgefallendes Gute mir noch wohlgefälliger wird, wenn es auch einem Andern gefällt? Gewissermaßen ist das kein Lob für mich, wenn man an mir übertrieben lobt oder das lobt, was mir an mir misfällt, da man damit die Meinung, die ich von mir selbst habe, nicht lobt. Ich bin mir darüber[274] nicht gewis. Aber in dir sehe ich, o heilige Wahrheit, daß mich das Lob nicht meinetwegen, sondern wegen des Nutzens, den es dem Nächsten bringt, bewegen darf. Aber ob es so sei, weiß ich nicht. Ich bin mir darin selbst weniger bekannt, als du, dessen Lob Jeden beglückt, der dich lobt. Mein Gott, zeige mich mir selbst, daß ich den Brüdern, die für mich beten, bekenne, wo ich mich verwundet weiß. Noch genauer will ich mich fragen: wenn mich des Nächsten Nutzen bei dem Lob bewegt, das ich empfange, warum bewegt es mich weniger, wenn ein Anderer, als ich, ungerecht getadelt wird? Warum werde ich von demselben Schimpfe mehr gequält, wenn er mich, als wenn er in meiner Gegenwart meinen Nächsten, ganz mit derselben Ungerechtigkeit, trifft? Weiß ich auch das nicht? Ist auch das noch übrig, daß ich mich selbst verführe, und mit Herz und Mund das Wahre nicht thue in deiner Gegenwart? Entferne weit von mir diese schädliche Thorheit, o Herr, damit nicht mein eigener Mund meine Sünde schmücke. Ich bin elend und arm, und beßer bin ich, wenn ich in verborgenem Seufzen mir selbst misfalle, und dein Erbarmen suche, bis meinem Mangel abgeholfen, bis es im Frieden vollendet wird, den nimmer kennt das Auge des Stolzen.
Die dem Munde entgehende Rede aber, und die bekannt werdenden Thaten werden höchst gefährlich durch die Lobsucht, mit welcher wir den erbettelten Beifall nur zur Erhöhung unserer Selbstsucht verwenden. Ja die Lobsucht versucht mich selbst da, wo ich sie in mir verwerfe, denn eben durch ihr Verwerfen komme ich mir lobwürdig vor. Und oft rühmt sich selbst der Mensch, durch seine Verachtung des eitlen äußerlichen Ruhmes noch viel eitler, und hat sich jetzt doch über die Verachtung des[275] Ruhmest nicht zu rühmen, denn er verachtet ihn ja nicht, wenn er ihn zwar nicht zwar nicht mehr durch Andere, aber durch sich selbst sucht, wenn er verschmäht, von Andern gerühmt zu werden, nur um sich selbst zu rühmen.
Innerlich, tief kommt auch ein versuchendes Uebel dieser Gattung vor, wodurch an geistlichen Güter leer werden, die ein Wohlgefalle an sich selber haben, obwohl sie Anderen nicht gefallen, oder misfallen, oder sich über ihren Beifall hinwegsetzen. Aber die sich selbst gefallen, misfallen dir sehr, mögen sie sich nun gefallen über Gütern, die keine Güter sind, oder deinen Gütern, als wäre sie die ihren, oder wenn sie solche zwar für die deinen halten, aber ihren Empfang dem eigenen Verdienst zuschreiben; ja selbst wenn sie in solchen die Gaben deiner Gnade sehen, aber sich ihrer nicht in gemeinnütziger Verwendung freuen, sondern sie den Andern in neidischer Ungunst nicht mittheilen. In allen diesen Gefahren siehst du beben mein Herz, und ich erkenne nicht, daß ich von ihnen nie verwundert wurde, sondern nur, daß du solche Wunden heilest.
O Wahrheit, du warest mein Geleite und lehrtest mich, was ich meiden und verlangen sollte, so oft ich, was ich in mir sehen konnte, vor dich brachte und deinen Rath erbat. Ich durchgieng die Welt, die vor meinen Sinnen liegt, und fand, daß mein Leib und meine Sinne ihr Leben aus meiner Seele haben. Dann zog ich mich zurück in die weiten Räume meines Gedächtnisses, so wunderbar voll von Unzähligem; ich betrachtete und staunte und konnte nichts davon unterscheiden ohne dich, und fand doch, daß du selbst nichts von diesem Allem seiest. Ich selbst aber war der Erfinder dieser Dinge nicht, ob ich sie[276] alle auch durchmusterte und nach ihrem Werth beurtheilte, denn einige davon nahm ich mit den Sinnen in mich auf, andere fand ich in mir selbst, sie als deine Boten unterscheiden und aufzählend, indem ich sie in den weiten Wohnung meines Gedächtnisses musterte, zurückwies oder vortreten ließ. Aber nicht ich, nicht meine Kraft war es, mit der ich das gethan, auch du warest sie nicht, denn du bist das ewig unveränderliche Licht, das ich bei Allem fragte, das zwischen mir und dir gewesen, ob es sei, was es sei und wie hoch zu schätzen. So hörte ich deine Lehren und Mahnungen, und thue das oft noch, denn das ist meine Freude, zu der ich fliehe, so oft mich des Tages Arbeit entläßt. Aber in diesem Allem, das ich, dich fragend, durchgehe, finde ich keine Ruhestätte für meine Seele; nur in dir ist sie, in dem ich sammle von meiner Zerstreutheit; o nichts von dir weiche mehr aus mir! Und zuweilen nimmst du mich auf in selige Gefühle und Wonnen, die nicht von dieser Welt sind; o was wird es sein und wo werde ich sein, wenn diese Wonnen in mir einst völlig sind und bleibend? Aber jetzt falle ich von diesen Wonnegefühlen wieder zurück in die Sorgenlasten dieser Erde und werde wiederverschlungen vom Gewöhnten und von ihm festgehalten; da weine ich so viel, denn ich werde so vielfach gehalten. Ach eine wahre Last ist nur die Gewohnheit! Hier kann ich sein und will nicht, dort will ich sein und kann nicht; so bin ich elend in beidem.
So lernte ich meiner Sünden Uebel in der dreifachen Lust, in des Fleisches, der Augen und der Hoffahrt Lust, erkennen, und flehe deine Rechte zu meiner Hilfe an. Da sah ich deinen Lichtglanz mit verwundetem Herzen, und rief zurückgeschlagen von seinem Strahl: wer kann dorthin? Ich bin verworfen vor[277] deinen Augen! Denn du bist die allwaltende Wahrheit, und in meiner Habsucht wollte ich dich nicht verlieren und doch neben dir noch im Besitz der Lüge bleiben: so wie niemand so weit im Lügen kommen möchte, daß er selbst nicht mehr wüßte, was wahr ist. Und so verlor ich dich, denn du verschmähst es dich besitzen zu laßen neben der Lüge.
Wo finde ich den, der mich wieder mit dir vereint? Sollte ich an die Engel mit Gebeten und Mysterien mich wenden? Viele, die zu dir zurückkehren wollten, und dazu die Kraft nicht in sich selbst hatten, versuchen das, und stürzten sich in die vorwitzige Sucht nach Visionen, während sie nur Täuschungen sich bereiteten. Im stolz ihrer falschen Lehren suchten sie dich und erhoben ihr Herz statt es zu zerschlagen und so wurden sie eins mit den bösen Geistern, die in der Luft herrschten, denn gleicher Hochmuth brachte beide zusammen. Durch magische Kräfte ließen sie sich fangen und statt des Mittlers, den sie suchten, kam der Satan, in einen Engel des Lichts sich verstellt, über sie. Und vielfach verlockte er das übermüthige Fleisch, der selbst keinen fleischlichen Leib hat. Sie waren sterblich und waren Sünder, du aber, Gott, mit dem sie in Uebermuth sich vereinen wollten, bist unsterblich und ohne Sünde. So mußte der Mittler zwischen Gott und den Menschen etwas Gott und etwas den Menschen Aehnliches haben, damit er nicht in Beidem den Menschen ähnlich fern von Gott sei, oder in Beidem Gott ähnlich fern von den Mensch, also nicht ihr Mittler. Er konnte mit[278] den Menschen ihre Natur, nicht ihre Sünde gemein haben, und mit Gott seine Natur, nicht seine Unsterblichkeit. Jener Lügengeist, der sich den Irrenden als Mittler bot, und durch den der Uebermuth, nach deinem verborgenen und gerechten Rathschluß, irre geleitet wird, hat Eins mit den Menschen gemein: die Sünde; das Andere, sagt er, habe er mit Gott gemein, seine Unsterblichkeit, deren er sich rühmt, weil er nicht von der Sterblichkeit umfangen ist. Aber weil der Tod der Sold der Sünden ist, so hat er auch den mit den Menschen gemeinen, denn er wird mit ihnen zum Todeselend verdammt.
Der wahrhaftige Mittler, den du mit tiefem Erbarmen den Gedemüthigten gezeigt und gesendet hast, damit sie von ihm die Demuth selber lernten, der Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Jesus Christus ist gestorben mit den sterblichen Menschen und gerecht geblieben mit dem gerechten Gott. Und weil die Frucht der Gerechtigkeit Leben und Frieden ist, so hat er mit seiner göttlichen Gerechtigkeit den Tod der gerechtgemachten Gottlosen vertiligt, den er mit ihnen wollte gemein haben. Es ist geoffenbart worden den Heiligen des alten Bundes, daß sie gerettet würden durch den Glauben an sein künftiges Leiden, wie wir gerettet werden durch den Glauben an sein vergangens Leiden. So weit er Mensch ist, so weit ist er Mittler, so weit er das ewige Wort ist, steht er nicht nur in der Mitte zwischen Gott und den Menschen, er ist Gott gleich, Gott mit Gott, zugleich mit dem heiligen Geist der alleinige Gott.
Wie hast du geliebt uns, Vater der Güte, der du deines eingebornen Sohnes nicht verschont hast, sondern hast ihn für uns Gottlose dahin gegeben! Wie hast du geliebt uns, für die Der gehorsam war bis zum Tod am Kreuze, der seine Gottgleichheit[279] nicht zur Schau trug, der allein todesfrei war unter den Kindern des Todes, da er Macht hatte, sei Leben zu laßen, und Macht, es wieder zu nehmen: für uns Sieger und todt und Sieger, weil er gestorben war, Priester für uns und Opfer war, der unser Knecht ist und aus Knechten uns zu deinen Kindern macht; aus dir gezeugt von Ewigkeit an und uns dienend. Wohl habe ich in ihm sichere Hoffnung, daß du heilen wendest alle meine Gebrechen, durch ihn, der sitzt zu deiner Rechten und uns vertritt. Und ich müßte verzweifeln ohne ihn! Denn groß und viel sind meine Gebrechen, aber größer und weiter ist deine heilende Gnade. Wir können nicht glauben, dein Wort sei ferne von uns und habe uns aufgegeben, daß wir verzweifelnd uns selbst müßten aufgeben, denn es ward Fleisch und wohnte unter uns. Von meinen Sünden geschreckt und von der Last meines Elends, bewegte ich's im Herzen und dachte zu fliehen ins ewige Verlaßensein, einsam, ohne Trost; aber du hast mich gehalten und mich aufgerichtet, denn gesprochen hast du: »Er ist darum für Alle gestorben, auf daß die, so da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern ihm, der für sie gestorben und auferstanden ist«. (2. Kor. 5, 15.) Siehe, Herr, auf, auf dich warf ich mein Anliegen, auf daß ich lebe und sehe die Wunder in deinem Gesetz. Dir ist bekannt meine Unerfahrenheit und Schwäche; lehre mich und gib mir Kraft. Er selbst, dein Eingeborner, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, hat mich losgekauft mit seinem Blut. Nicht sollen mich schmähen die Stolzen, weil ich gedenk bin des Preises meiner Erlösung, eße und trinke und darum flehe, weil ich in meiner Armut Sättigung suche aus ihm, mit denen wallend, die da eßen und satt werden, und den Herrn loben, da sie ihn finden.[280]
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