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[370] »Dagegen habe ich bisher immer noch gefunden, daß die Grundbegriffe dieses Gebiets« (d.h. »die physikalischen Grundbegriffe der Arbeit und ihrer Unveränderlichkeit«) »denjenigen Personen, welche nicht durch die Schule der mathematischen Mechanik gegangen sind, bei allem Eifer, aller Intelligenz und selbst bei einem ziemlich hohen Maße naturwissenschaftlicher Kenntnisse sehr schwer faßlich sind. Auch ist nicht zu verkennen, daß es Abstrakta von ganz eigentümlicher Art sind. Ist ihr Verständnis doch [selbst] einem Geiste, wie I. Kant, nicht ohne Schwierigkeit aufgegangen, wie seine darüber gegen Leibniz geführte Polemik beweist.« So Helmholtz (»Pop. wiss. Vortr.«, II, Vorrede, [S. VI/VII]).
Hiernach wagen wir uns jetzt auf ein sehr gefährliches Gebiet, um so mehr, als wir uns nicht gut erlauben können, den Leser »durch die Schule der mathematischen Mechanik« zu führen. Vielleicht aber stellt sich heraus, daß da, wo es sich um Begriffe handelt, dialektisches Denken mindestens ebenso weit führt wie mathematisches Rechnen.
Galilei entdeckte einerseits das Fallgesetz, wonach die durchlaufenen Räume fallender Körper sich verhalten wie die Quadrate der Fallzeiten. Daneben stellte er den, wie wir sehn werden, diesem nicht ganz entsprechenden Satz auf, daß die Bewegungsgröße eines Körpers (sein impeto oder momento) bestimmt wird durch Masse und Geschwindigkeit, derart, daß sie bei konstanter Masse der Geschwindigkeit proportional ist. Descartes nahm diesen letzteren Satz auf und machte das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit eines sich bewegenden Körpers ganz allgemein zum Maß seiner Bewegung.
Huygens fand bereits, daß beim elastischen Stoß die Summe der Produkte aus den Massen in die Quadrate der Geschwindigkeiten vor und nach dem Stoß dieselbe sei, und daß ein analoges Gesetz gelte für verschiedne andere Fälle von Bewegung zu einem System verbundner Körper.[370]
Leibniz war der erste, der einsah, daß das Descartessche Maß der Bewegung mit dem Fallgesetz in Widerspruch siehe. Andrerseits ließ sich nicht leugnen, daß das Descartessche Maß in vielen Fällen richtig sei. Leibniz teilte also die bewegenden Kräfte in tote und lebendige. Die toten waren die »Drucke« oder »Züge« ruhender Körper, ihr Maß das Produkt der Masse in die Geschwindigkeit, mit der der Körper sich bewegen würde, wenn er aus dem Ruhezustand in die Bewegung überginge; als Maß der lebendigen Kraft, der wirklichen Bewegung eines Körpers dagegen, stellte er das Produkt der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit auf. Und zwar direkt aus dem Fallgesetz leitete er dieses neue Bewegungsmaß her.
»Es ist«, so schloß Leibniz, »die nämliche Kraft erforderlich, einen Körper von vier Pfund Gewicht einen Fuß, wie einen Körper von einem Pfund Gewicht um vier Fuß zu heben; nun sind aber die Wege dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional, denn wenn ein Körper um vier Fuß gefallen ist, so hat er die doppelte Geschwindigkeit erlangt, wie wenn er nur um einen Fuß gefallen ist. Beim Fallen erlangen aber die Körper die Kraft, wieder auf dieselbe Höhe zu steigen, von der sie gefallen sind; also sind die Kräfte dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional.« (Suter, »Gesch. der math[ematischen Wissenschaften]«, II, S.367.)
Weiter aber wies er nach, daß das Bewegungsmaß mv im Widerspruch stehe mit dem Cartesischen Satz von der Konstanz der Bewegungsquantität, indem, wenn es wirklich gelte, sich die Kraft (d.h. Bewegungsmenge) in der Natur fortwährend vermehre oder vermindere. Er entwarf sogar einen Apparat (»Acta Eruditorum«, 1690), der, wenn das Maß mv richtig sei, ein Perpetuum mobile mit steter Kraftgewinnung darstellen müsse, was doch absurd sei. Helmholtz hat neuerdings diese Art der Argumentation wieder häufig angewandt.
Die Cartesianer protestierten aus Leibeskräften, und es entspann sich ein langjähriger und berühmter Streit, an dem auch Kant in seiner ersten Schrift (»Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte«, 1746) sich beteiligte, ohne indes in der Sache klar zu sehn. Die heutigen Mathematiker schauen mit ziemlicher Verachtung herab auf diesen »unfruchtbaren« Streit, der
»über 40 Jahre lang hinausgezogen wurde und die Mathematiker Europas in zwei feindliche Lager teilte, bis endlich d'Alembert durch seinen ›Traité de dynamique‹ (1743) gleichsam wie durch einen Machtspruch dem unnützen Wortstreite,A19 denn etwas andres war es nicht, ein Ende machte«. (Suter, a.a.O., S.366.)
Nun sollte es doch scheinen, als ob eine Streitfrage nicht so ganz auf einem unnützen Wortstreit beruhen kann, wenn sie von einem Leibniz[371] gegenüber einem Descartes aufgeworfen wurde und einen Mann wie Kant derart beschäftigte, daß er ihr seine Erstlingsschrift, einen ziemlich starken Band, widmete. Und in der Tat, wie ist es zu reimen, daß die Bewegung zwei einander widersprechende Maße hat, das eine Mal der Geschwindigkeit, das andre Mal dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist? Suter macht sich die Sache sehr leicht; er sagt, beide Teile hatten recht und beide hatten unrecht;
»der Ausdruck ›lebendige Kraft‹ hat sich dennoch bis heute erhalten; allein er gilt nicht mehr als Maß der Kraft,A20 sondern ist eine bloße einmal angenommene Bezeichnung für das in der Mechanik so bedeutungsvolle Produkt der Masse in das halbe Quadrat der Geschwindigkeit« [S. 368].
Also mv bleibt Maß der Bewegung, und lebendige Kraft ist nur ein andrer Ausdruck für mv2/2, von welcher Formel wir zwar erfahren, daß sie in der Mechanik sehr bedeutungsvoll ist, jetzt aber erst recht nicht mehr wissen, was sie denn bedeutet.
Nehmen wir indes den rettenden »Traité de dynamique« zur Hand und sehen wir uns d'Alemberts »Machtspruch« näher an: derselbe steht in der Vorrede.
Im Text, heißt es, komme die ganze Frage gar nicht vor, wegen »des Umstandes, daß sie für die Mechanik ohne jeden Nutzen ist« [p. XVII].
Dies ist für die rein rechnende Mechanik ganz richtig, bei der, wie oben bei Suter, Wortbezeichnungen nur andre Ausdrücke, Namen für algebraische Formeln sind, Namen, bei denen man sich am besten gar nichts denkt.
Indes, da so bedeutende Leute sich mit der Sache beschäftigt, wolle er sie doch in der Vorrede kurz untersuchen. Unter der Kraft sich bewegender Körper könne man, klar gedacht, nur ihre Eigenschaft verstehn, Hindernisse zu überwinden oder ihnen zu widerstehn. Also weder durch mv noch durch mv2 sei die Kraft zu messen, sondern einzig durch die Hindernisse und deren Widerstand.
Nun gebe es drei Arten Hindernisse: 1. unüberwindliche, die die Bewegung total vernichten, und diese können schon deswegen hier nicht in Betracht kommen; 2. Hindernisse, deren Widerstand grade hinreicht, die Bewegung aufzuheben, und dies augenblicklich tun: Fall des Gleichgewichts; 3. Hindernisse, die die Bewegung nur allmählich aufheben: Fall der verzögerten Bewegung, [p. XVII/XVIII.] »Nun sind darüber wohl alle einig, daß zwischen zwei Körpern Gleichgewicht besteht, sobald die Produkte ihrer Massen mit ihren virtuellen Geschwindigkeiten, d.h. den Geschwindigkeiten, mit denen sie sich zu bewegen streben, auf beiden Seiten gleich sind. Somit[372] kann im Gleichgewichtsfalle das Produkt der Masse mit der Geschwindigkeit, oder, was dasselbe ist, die Bewegungsquantität die Kraft: darstellen. Jedermann gesteht auch zu, daß bei verzögerter Bewegung die Anzahl der überwundenen Hindernisse dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist, so daß ein Körper, der z.B. mit einer gewissen Geschwindigkeit eine Feder gespannt hat, mit einer doppelten Geschwindigkeit imstande sein wird, entweder gleichzeitig oder nacheinander nicht zwei, sondern vier der ersten gleiche Federn zu spannen, mit einer dreifachen Geschwindigkeit neun, und so fort. Daraus schließen die Anhänger der lebendigen Kräfte« (die Leibnizianer), »daß die Kraft: der in Bewegung befindlichen Körper allgemein dem Produkte der Masse mit dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional sei. Welchen Nachteil kann es im Grunde haben, wenn das Maß der Kräfte für das Gleichgewicht und für die verzögerte Bewegung verschieden ist, da bei Zugrundelegung völlig klarer Ideen unter dem Worte Kraft nur die in der Überwindung eines Hindernisses oder in dem demselben geleisteten Widerstande bestehende Wirkung verstanden werden soll?« (Vorrede, S. XIX/XX der Originalausgabe.)
Nun aber ist d'Alembert noch viel zu sehr Philosoph, um nicht einzusehn, daß er so leichten Kaufs doch nicht über den Widerspruch eines doppelten Maßes einer und derselben Kraft hinwegkommt. Nachdem er also im Grunde nur dasselbe wiederholt, was Leibniz schon gesagt – denn sein »équilibre« ist ganz dasselbe, was bei Leibniz die »toten Drucke« –, schlägt er plötzlich um auf die Seite der Cartesianer und findet folgenden Ausweg:
Das Produkt mv kann auch bei verzögerter Bewegung als Kräftemaß gelten, »wenn man im letzteren Falle die Kraft nicht durch die absolute Größe der Hindernisse, sondern durch die Summe der Widerstände dieser Hindernisse mißt. Denn man darf wohl nicht zweifeln, daß diese Summe der Widerstände der Bewegungsgröße« (mv) »proportional ist, da, wie jedermann zugibt, die Bewegungsgroße, welche der Körper in jedem Augenblicke verliert, dem Produkt aus dem Widerstand und der unendlich kleinen Zeitdauer proportional und die Summe dieser Produkte augenscheinlich der Ausdruck für den ganzen Widerstand ist.« Diese letztere Berechnungsweise scheint ihm die natürlichere, »denn ein Hindernis ist ein solches, nur so lange es Widerstand leistet, und der richtige Ausdruck für das überwundene Hindernis ist die Summe seiner Widerstände. Man hat übrigens, wenn man die Kraft in dieser Weise mißt, den Vorteil, für Gleichgewicht und verzögerte Bewegung ein gemeinsames Maß zu haben.« Doch könne das jeder halten, wie er wolle. [p. XX/XXI.]
Und nachdem er so, wie selbst Suter zugibt, mit einem mathematischen Bock die Frage gelöst glaubt, schließt er mit unliebsamen Bemerkungen über die Konfusion, die bei seinen Vorgängern geherrscht, und behauptet,[373] nach obigen Bemerkungen sei nur noch eine sehr futile metaphysische Diskussion oder gar ein noch unwürdigerer bloßer Wortstreit möglich.
D'Alemberts Versöhnungsvorschlag läuft auf folgende Rechnung hinaus:
Masse 1 mit Geschwindigkeit 1 schließt 1 Springfeder in der Zeiteinheit.
Masse 1 mit Geschwindigkeit 2 schließt 4 Federn, braucht dazu aber 2 Zeiteinheiten, also in der Zeiteinheit nur 2 Federn.
Masse 1 mit Geschwindigkeit 3 schließt 9 Federn in drei Zeiteinheiten, also in der Zeiteinheit nur 3 Federn.
Dividieren wir also die Wirkung durch die dazu erforderte Zeit, so kommen wir von mv2 wieder auf mv.
Es ist dasselbe Argument, das namentlich Catelan schon früher gegen Leibniz angewandt hatte: Ein Körper mit Geschwindigkeit 2 steigt allerdings gegen die Schwere viermal so hoch als einer mit Geschwindigkeit 1; aber er braucht auch die doppelte Zeit dazu; folglich ist die Bewegungsmenge durch die Zeit zu dividieren und = 2, nicht = 4. Und dies ist sonderbarerweise auch die Ansicht Suters, der ja dem Ausdruck »lebendige Kraft« allen logischen Sinn genommen und ihm nur einen mathematischen gelassen. Dies ist indes natürlich. Für Suter handelt es sich darum, die Formel mv in ihrer Bedeutung als einziges Maß der Bewegungsmenge zu retten, und deshalb wird mv2 logisch geopfert, um im Himmel der Mathematik verklärt wiederaufzuerstehn.
Soviel ist indes richtig: Die Catelansche Argumentation bildet eine der Brücken, die mv2 mit mv vermittelt, und ist damit von Bedeutung.
Die Mechaniker nach d'Alembert nahmen keines wegs seinen Machtspruch an, denn sein schließliches Urteil war ja zugunsten von mv als Maß der Bewegung. Sie hielten sich eben an den Ausdruck, den er der schon von Leibniz gemachten Unterscheidung von toten und lebendigen Kräften gegeben hatte: Für das Gleichgewicht, also für die Statik, gilt mv, für die gehemmte Bewegung, also für die Dynamik, gilt mv2. Obwohl im ganzen und großen richtig, hat diese Unterscheidung in dieser Form doch nicht mehr logischen Sinn als die bekannte Unteroffiziersentscheidung: Im Dienst immer Mir, außerm Dienst immer Mich. Man nimmt sie schweigend an, es ist nun einmal so, wir können es nicht ändern, und wenn in diesem doppelten Maß ein Widerspruch steckt, was können wir dafür?
So z.B. Thomson and Tait »A Treatise on Natural Philosophy«, Oxford 1867, p. 162:
[374] »Die Quantität der Bewegung, oder die Bewegungsgröße eines starren, ohne Rotation sich bewegenden Körpers ist seiner Masse und zugleich seiner Geschwindigkeit proportional. Eine doppelte Masse oder eine doppelte Geschwindigkeit würde einer doppelten Bewegungsgröße entsprechen.«
Und gleich dahinter:
»Die lebendige Kraft oder kinetische Energie eines in Bewegung befindlichen Körpers ist seiner Masse und zugleich dem Quadrate seiner Geschwindigkeit proportional.«
In dieser ganz krassen Form werden die beiden widersprechenden Bewegungsmaße nebeneinander gestellt. Auch nicht der geringste Versuch wird gemacht, den Widerspruch zu erklären, oder auch nur zu vertuschen. Das Denken ist im Buch dieser beiden Schotten verboten, es darf nur gerechnet werden. Kein Wunder, daß wenigstens einer von ihnen, Tait, zu den gläubigsten Christen des gläubigen Schottlands zählt.
In Kirchhoffs Vorlesungen über mathematische Mechanik kommen die Formeln mv und mv2 in dieser Form gar nicht vor.
Vielleicht hilft uns Helmholtz. In der »Erhaltung der Kraft« schlägt er vor, die lebendige Kraft durch mv2/2 auszudrücken, ein Punkt, auf den wir noch zurückkommen. Dann zählt er, S. 20 ff., die Fälle kurz auf, in denen das Prinzip von der Erhaltung der lebendigen Kraft ( also von mv2/2 bisher schon benutzt und anerkannt ist. Dazu gehört dann unter Nr. 2:
»Die Übertragung der Bewegung durch die inkompressiblen festen und flüssigen Körper, sobald nicht Reibung oder Stoß unelastischer Stoffe stattfindet. Unser allgemeines Prinzip wird für diese Fälle gewöhnlich als die Regel ausgesprochen, daß eine durch mechanische Potenzen fortgepflanzte und abgeänderte Bewegung stets in demselben Verhältnis an Kraftintensität abnimmt, als sie an Geschwindigkeit zunimmt. Denken wir uns also durch eine Maschine, in welcher durch irgendeinen Vorgang gleichmäßige Arbeitskraft erzeugt wird, das Gewicht m mit der Geschwindigkeit c gehoben, so wird durch eine andre mechanische Einrichtung das Gewicht nm gehoben werden können, aber nur mit der Geschwindigkeit c/n, so daß in beiden Fällen die Quantität der von der Maschine in der Zeiteinheit erzeugten Spannkraft durch mgc darzustellen ist, wo g die Intensität der Schwerkraft darstellt.« [S.21.]
Also auch hier der Widerspruch, daß eine »Kraftintensität«, die im einfachen Verhältnis der Geschwindigkeit ab- und zunimmt, zum Beweise dienen soll für die Erhaltung einer Kraftintensität, die nach dem Quadrat der Geschwindigkeit ab- und zunimmt.[375]
Allerdings zeigt sich hier, daß mv und mv2/2 zur Bestimmung zweier ganz verschiedner Vorgänge dienen, aber das hatten wir ja längst gewußt, mv2 kann ja nicht = mv sein, es sei denn v = 1. Es handelt sich darum, uns verständlich zu machen, warum die Bewegung zweierlei Maß hat, eine Sache, die doch auch in der Wissenschaft sonst ebenso unzulässig ist wie im Handel. Versuchen wir es also anders.
Nach mv wird also gemessen
»eine durch mechanische Potenzen fortgepflanzte und abgeänderte Bewegung«;
dies Maß gilt also für den Hebel und alle seine abgeleiteten Formen, Räder, Schrauben etc., kurz für alle Übertragungsmaschinerie. Nun stellt sich aber durch eine sehr einfache und keineswegs neue Betrachtung heraus, daß hier, soweit mv gilt, auch mv2 seine Geltung hat. Wir nehmen irgendeine mechanische Vorrichtung, an der die Summen der Hebelarme der beiden Seilen sich verhalten wie 4 : 1, an der also ein Gewicht von 1 kg einem von 4 kg das Gleichgewicht hält. Durch einen ganz geringen Kraftzusatz an dem einen Hebelarm heben wir also 1 kg um 20 Meter; derselbe Kraftzusatz, alsdann am andern Hebelarm angebracht, hebt nun 4 kg um 5 Meter, und zwar sinkt das überwiegende Gewicht in derselben Zeit, die das andre zum Steigen braucht. Massen und Geschwindigkeiten verhalten sich umgekehrt: mv, 1 × 20 = m'v', 4 × 5. Lassen wir dagegen jedes der Gewichte, nachdem es gehoben, frei herabfallen auf das ursprüngliche Niveau, so erlangt das eine, 1 kg, nach durchlaufenem Fallraum von 20 Meter (die Beschleunigung der Schwere hier rund = 10m, statt 9,81 m gesetzt) eine Geschwindigkeit von 20 Meter; das andre, 4 kg, dagegen nach einem Fallraum von 5 m eine Geschwindigkeit von 10 m.
mv2 = 1 × 20 × 20 = 400 = m'v'2 = 4 × 10 × 10 = 400.
Dagegen sind die Fallzeiten verschieden: Die 4 kg durchlaufen ihre 5 Meter in 1 Sekunde, das 1 kg seine 20 m in 2 Sekunden. Reibung und Luftwiderstand sind hier selbstredend vernachlässigt.
Nachdem aber jeder der beiden Körper von seiner Höhe herabgefallen, hat seine Bewegung aufgehört. Hier zeigt sich also mv als Maß einfach übertragner, also fortdauernder, mv2 als Maß verschwundener mechanischer Bewegung.
Weiter. Beim Stoß vollkommen elastischer Körper gilt dasselbe: Die Summe der mv, wie die Summe der mv2 sind vor wie nach dem Stoße unverändert. Beide Maße haben gleiche Geltung.[376]
Nicht so beim Stoß unelastischer Körper. Hier lehren die landläufigen elementaren Lehrbücher (die höhere Mechanik beschäftigt sich fast gar nicht mehr mit solchen Kleinigkeiten), daß ebenfalls nach wie vor dem Stoße die Summe der mv dieselbe sei. Dagegen finde ein Verlust an lebendiger Kraft statt, denn wenn man die Summe der mv2 nach dem Stoße von der vor dem Stoß abziehe, so bleibe ein unter allen Umständen positiver Rest; um diesen Betrag (oder dessen Hälfte, je nach der Auffassungsweise) sei die lebendige Kraft durch das gegenseitige Eindringen sowie durch die Formveränderung der stoßenden Körper verringert worden. – Dies letztere ist nun klar und augenscheinlich. Nicht so die erste Behauptung, daß die Summe der mv dieselbe bleibe nach wie vor dem Stoß. Lebendige Kraft ist trotz Suter Bewegung, und wenn ein Teil von ihr verlorengeht, so geht Bewegung verloren. Entweder also drückt mv die Bewegungsmenge hier unrichtig aus, oder die obige Behauptung ist falsch. Überhaupt ist der ganze Lehrsatz aus einer Zeit überkommen, in der man von der Verwandlung der Bewegung noch keine Ahnung hatte, wo also ein Verschwinden von mechanischer Bewegung nur dazugegeben wurde, wo es nicht anders ging. So wird hier die Gleichheit der Summe der mv vor und nach dem Stoß daraus bewiesen, daß ein Verlust oder Gewinn derselben nirgends zugeführt wird. Geben die Körper aber in der ihrer Unelastizität entsprechenden inneren Reibung lebendige Kraft ab, so geben sie auch Geschwindigkeit ab, und die Summe der mv muß nach dem Stoß geringer sein als vorher. Denn es geht doch nicht an, die innere Reibung bei Berechnung der mv zu vernachlässigen, wenn sie bei Berechnung der mv2 so deutlich sich geltend macht.
Indes verschlägt dies nichts. Selbst wenn wir den Lehrsatz zugeben und die Geschwindigkeit nach dem Stoß unter der Annahme berechnen, daß die Summe der mv dieselbe geblieben, selbst dann finden wir jene Abnahme der Summe der mv2. Hier also kommen mv und mv2 in Konflikt, und zwar um die Differenz wirklich verschwundener mechanischer Bewegung. Und die Rechnung selbst beweist, daß die Summe der mv2 die Bewegungsmenge richtig, die Summe der mv sie unrichtig ausdrückt.
Dies sind so ziemlich alle Fälle, in denen mv in der Mechanik angewandt wird. Sehen wir uns nun einige Fälle an, bei denen mv2 verwandt wird.
Wenn eine Kanonenkugel abgefeuert wird, so erschöpft sie auf ihrer Flugbahn eine Bewegungsgröße, die mv2 proportional ist, gleichviel ob sie gegen ein festes Ziel einschlägt oder durch Luftwiderstand und Schwere zum Stillstand kommt. Wenn ein Eisenbahnzug in einen zweiten, stehenden hineinfahrt, so ist die Gewalt, mit der dies geschieht, und die entsprechende Zerstörung seinem mv2 proportional. Ebenso gilt mv2 bei der[377] Berechnung jeder zur Überwindung eines Widerstandes erforderlichen mechanischen Kraft.
Was heißt aber diese bequeme, den Mechanikern so geläufige Redensart: Überwindung eines Widerstandes?
Wenn wir durch Hebung eines Gewichts den Widerstand der Schwere überwinden, so verschwindet dabei eine Bewegungsmenge, eine Menge mechanischer Kraft, welche gleich ist derjenigen, die wieder erzeugt werden kann durch den direkten oder indirekten Fall des gehobenen Gewichts aus der erlangten Höhe bis herab auf sein ursprüngliches Niveau. Sie wird gemessen durch das halbe Produkt seiner Masse in das Quadrat der im Fall erlangten Endgeschwindigkeit, mv2/2. Was ist bei der Hebung also geschehn?
Mechanische Bewegung oder Kraft ist als solche verschwunden. Aber sie ist nicht zu nichts geworden: Sie ist verwandelt worden in mechanische Spannkraft, um Helmholtz' Ausdruck zu gebrauchen; in potentielle Energie, wie die Neueren sagen; in Ergal, wie Clausius es nennt, und diese kann jeden Augenblick, und in jeder beliebigen, mechanisch zulässigen Weise wieder zurückverwandelt werden in dasselbe Quantum mechanischer Bewegung, das zu ihrer Erzeugung notwendig war. Die potentielle Energie ist nur der negative Ausdruck der lebendigen Kraft und umgekehrt.
Eine 24pfündige Kanonenkugel schlägt mit einer Geschwindigkeit von 400 Meter in der Sekunde gegen die einen Meter dicke Eisenwand eines Panzerschiffs und hat unter diesen Umständen keine sichtbare Wirkung auf den Panzer. Es ist also eine mechanische Bewegung verschwunden, die = mv2/2, also, da die 24 Zollpfund = 12 kg sind, = 12 × 400 × 4001/2 = 960000 Meterkilogramm war. Was ist aus ihr geworden? Ein kleiner Teil von ihr ist verwendet worden zur Erschütterung und molekularen Umsetzung des Eisenpanzers. Ein zweiter zur Zersprengung der Kugel in zahllose Stücke. Aber der größte Teil hat sich in Wärme verwandelt und die Kugel zur Glühhitze erwärmt. Als die Preußen beim Übergang nach Alsen 1864 ihre schweren Batterien gegen die Panzerwände des »Rolf Krake« spielen ließen, sahn sie in der Dunkelheit bei jedem Treffer das Aufblitzen der plötzlich erglühenden Kugel, und Whitworth hatte schon früher durch Versuche bewiesen, daß Sprenggeschosse gegen Panzerschiffe keines Zünders bedürfen; das glühende Metall selbst entzündet die Sprengladung. Das mechanische Äquivalent der Wärmeeinheit zu 424 Meterkilogramm angenommen, entspricht obiger Menge mechanischer Bewegung eine Wärmemenge von 2264 Einheiten. Die spezifische Wärme des Eisens[378] ist = 0,1140, d.h. dieselbe Wärmemenge, die 1 kg Wasser um 1°C erwärmt (die als Wärmeeinheit gilt), reicht hin, um die Temperatur von 1/0,1140 = 8,772 kg Eisen um 1°C zu erhöhen. Obige 2264 Wärmeeinheiten erhöhen also die Temperatur von 1 kg Eisen um 8,772 × 2264 = 19860° oder 19860 kg Eisen um 1°C. Da sich diese Wärmemenge auf Panzer und Geschoß gleichmäßig verteilt, würde dieses um 19860°/(2 × 12) = 828° erhitzt werden, was schon eine ganz hübsche Glühhitze ergibt. Da aber die vordere aufschlagende Seite jedenfalls den weitaus größten Teil der Erhitzung erhält, wohl doppelt soviel als die hintere Hälfte, so würde jene auf 1104°, diese auf 552°C erhitzt, was zur Erklärung des Glüheffekts vollständig hinreicht, selbst wenn wir noch für beim Aufschlag wirklich geleistetes mechanisches Werk einen starken Abzug machen.
Bei der Reibung verschwindet ebenfalls mechanische Bewegung, um als Wärme wiederzuerscheinen; durch möglichst genaue Messung der beiden sich entsprechenden Vorgänge gelang es bekanntlich Joule in Manchester und Colding in Kopenhagen, zuerst das mechanische Äquivalent der Wärme experimentell annähernd festzustellen.
Ebenso bei der Erzeugung eines elektrischen Stroms in einer magnetoelektrischen Maschine vermittelst mechanischer Kraft, z.B. einer Dampfmaschine. Die in einer bestimmten Zeit erzeugte Menge sog. elektromotorischer Kraft ist proportional und, wenn in demselben Maß ausgedrückt, gleich der in derselben Zeit verbrauchten Menge mechanischer Bewegung. Diese können wir uns erzeugt denken, statt durch die Dampfmaschine, durch ein sinkendes Gewicht, das dem Druck der Schwere folgt. Die mechanische Kraft, die dies abzugeben imstande ist, wird gemessen durch die lebendige Kraft, die es erhalten würde, wenn es durch die gleiche Höhe frei fiele, oder durch die Kraft, die erforderlich, um es auf die ursprüngliche Höhe wieder zu heben: beide Male mv2/2.
Wir finden also, daß die mechanische Bewegung allerdings ein doppeltes Maß hat, aber auch, daß jedes dieser Maße für eine sehr bestimmt abgegrenzte Reihe von Erscheinungen gilt. Wenn schon vorhandene mechanische Bewegung derart übertragen wird, daß sie als mechanische Bewegung erhalten bleibt, so überträgt sie sich nach dem Verhältnis des Produkts der Masse in die Geschwindigkeit. Wird sie aber derart übertragen, daß sie als mechanische Bewegung verschwindet, um in der Form von potentieller Energie, von Wärme, von Elektrizität usw. neu zu erstehn, wird sie mit[379] einem Wort in eine andre Form der Bewegung verwandelt, so ist die Menge dieser neuen Bewegungsform proportional dem Produkt der ursprünglich bewegten Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit. Mit einem Wort: mv ist mechanische Bewegung, gemessen in mechanischer Bewegung; mv2/2 ist mechanische Bewegung, gemessen an ihrer Fähigkeit, sich in ein bestimmtes Quantum einer andern Bewegungsform zu verwandeln. Und daß diese beiden Maße, weil verschieden, sich dennoch nicht widersprechen, haben wir gesehn.
Es stellt sich somit heraus, daß der Streit Leibniz' mit den Cartesianern keineswegs ein bloßer Wortstreit war, und daß d'Alemberts »Machtspruch« in der Tat gar nichts erledigte. D'Alembert hätte sich seine Tiraden über die Unklarheit seiner Vorgänger ersparen können, denn er war ebenso unklar wie sie. Und in der Tat, solange man nicht wußte, was aus der scheinbar vernichteten mechanischen Bewegung wird, mußte man im unklaren bleiben. Und solange mathematische Mechaniker wie Suter hartnäckig in den vier Wänden ihrer Spezialwissenschaft befangen bleiben, solange bleiben sie auch ebenso unklar wie d'Alembert und müssen uns mit leeren und widerspruchsvollen Redensarten abspeisen.
Wie aber drückt die moderne Mechanik diese Verwandlung von mechanischer Bewegung in eine andre, ihr der Menge nach proportionelle Form der Bewegung aus? – Sie hat Arbeit geleistet, und zwar soundso viel Arbeit.
Aber der Begriff Arbeit im physikalischen Sinn ist hiermit nicht erschöpft. Wenn, wie in der Dampf- oder kalorischen Maschine, Wärme in mechanische Bewegung, also Molekularbewegung in Massenbewegung umgesetzt wird, wenn Wärme eine chemische Verbindung löst, wenn sie in der Thermosäule sich in Elektrizität verwandelt, wenn ein elektrischer Strom die Elemente des Wassers aus verdünnter Schwefelsäure abscheidet, oder umgekehrt die bei dem chemischen Prozeß einer Erregerzelle freigesetzte Bewegung (alias Energie) die Form von Elektrizität annimmt, und diese wiederum im Schließungskreis sich in Wärme umsetzt – bei allen diesen Vorgängen verrichtet die Bewegungsform, die den Prozeß einleitet und durch ihn in eine andre verwandelt wird, Arbeit, und zwar ein ihrer eignen Menge entsprechendes Quantum.
Arbeit ist also Formwechsel der Bewegung, betrachtet nach seiner quantitativen Seite hin.
Aber wie? Wenn ein gehobnes Gewicht oben ruhig hängen bleibt, ist seine potentielle Energie, während der Ruhe, auch eine Form der Bewegung? Allerdings. Sogar Tait ist bei der Überzeugung angekommen, daß[380] potentielle Energie demnächst sich in eine Form aktueller Bewegung auflösen werde (»Nature«). Und abgesehen davon geht Kirchhoff noch viel weiter, wenn er sagt (»Math. [Physik.] Mech.«, S. 32):
»Die Ruhe ist ein spezieller Fall der Bewegung«,
und damit beweist, daß er nicht nur rechnen, sondern auch dialektisch denken kann.
Der Begriff der Arbeit, der uns ohne mathematische Mechanik als so schwer faßbar geschildert wurde, hat sich uns also ganz nebenbei, spielend und fast von selbst, aus der Betrachtung der beiden Maße der mechanischen Bewegung ergeben. Und jedenfalls wissen wir jetzt mehr davon, als wir aus dem Vortrag Helmholtz' »Über die Erhaltung der Kraft« von 1862 erfahren, und worin er grade
»die physikalischen Grundbegriffe der Arbeit und ihrer Unveränderlichkeit möglichst klarzumachen« [Vorrede, S. VI]
bezweckt. Alles was wir von der Arbeit da erfahren, ist, daß sie etwas ist, was in Fußpfunden oder auch Wärmeeinheiten ausgedrückt wird, und daß die Zahl dieser Fußpfunde oder Wärmeeinheiten für ein bestimmtes Quantum Arbeit unveränderlich ist. Ferner, daß außer mechanischen Kräften und Wärme auch chemische und elektrische Kräfte Arbeit leisten können, daß aber alle diese Kräfte ihre Arbeitsfähigkeit erschöpfen in dem Maß, als sie Arbeit wirklich hervorbringen. Und daß daraus folgt: daß die Summe der wirkungsfähigen Kraftmengen im Naturganzen bei allen Veränderungen in der Natur ewig und unverändert dieselbe bleibt. Der Begriff der Arbeit wird weder entwickelt noch auch nur definiert.8 Und es ist grade die quantitative Unveränderlichkeit der Arbeitsgröße, die ihm die Einsicht verbirgt, daß die qualitative Veränderung, der Formwechsel, Grundbedingung aller physikalischen Arbeit ist. Und so kann sich denn Helmholtz zu der Behauptung versteigen:
»Reibung und unelastischer Stoß sind Vorgänge, bei denen mechanische Arbeit vernichtetA21 und dafür Wärme erzeugt wird.« (»Pop. Vortr.«, II, S. 166.)
Ganz im Gegenteil. Hier wird nicht mechanische Arbeit vernichtet, hier[381] wird mechanische Arbeit getan. Mechanische Bewegung ist es, die scheinbar vernichtet wird. Aber mechanische Bewegung kann nie und nimmer für ein Milliontel Meterkilogramm Arbeit tun, ohne als solche scheinbar vernichtet zu werden, ohne sich in eine andre Form der Bewegung zu verwandeln.
Das Arbeitsvermögen nun, das in einer bestimmten Menge mechanischer Bewegung steckt, heißt, wie wir gesehn haben, ihre lebendige Kraft und wurde bis vor kurzem gemessen durch mv2. Hier aber entstand ein neuer Widerspruch. Hören wir Helmholtz (»Erh. d. Kraft«, S. 9). Hier heißt es, die Arbeitsgröße sei ausdrückbar durch ein in die Höhe h gehobnes Gewicht m, wo dann, die Schwerkraft durch g ausgedrückt, die Arbeitsgröße = mgh ist. Um senkrecht frei in die Höhe h zu steigen, braucht die Geschwindigkeit v = √2gh, und erlangt dieselbe wieder beim Herabfallen. Also ist mgh = mv2/2, und Helmholtz schlägt vor,
»gleich die Größe 1/2mv2 als Quantität der lebendigen Kraft zu bezeichnen, wodurch sie identisch wird mit dem Maß der Arbeitsgröße. Für die bisherige Anwendung des Begriffs der lebendigen Kraft... ist diese Abänderung ohne Bedeutung, während sie uns im folgenden wesentliche Vorteile gewähren wird.«
Es ist kaum zu glauben. So wenig klar war sich Helmholtz 1847 über die gegenseitige Beziehung von lebendiger Kraft und Arbeit, daß er gar nicht einmal merkt, wie er das frühere proportionelle Maß der lebendigen Kraft in ihr absolutes verwandelt; daß ihm ganz unbewußt bleibt, welche bedeutende Entdeckung er mit seinem kühnen Griff gemacht, und er sein mv2/2 nur aus Bequemlichkeitsrücksichten empfiehlt gegenüber dem mv2! Und aus Bequemlichkeit haben die Mechaniker das mv2/2 sich einbürgern lassen. Erst allmählich hat man das mv2/2 auch mathematisch bewiesen; eine algebraische Entwicklung findet sich bei Naumann, »Allg. Chemie«, S. 7, eine analytische bei Clausius, »Mech. Wärmetheorie«, 2. Aufl., I, S. 18, die dann bei Kirchhoff (a.a.O., S. 27) anders abgeleitet und ausgeführt wird.
Eine hübsche algebraische Ableitung von mv2/2 aus mv gibt Clerk Maxwell (a.a.O., S. 88). Was unsre beiden Schotten Thomson und Tait nicht verhindert zu sagen (a.a.O., S. 163):
»Die lebendige Kraft oder kinetische Energie eines in Bewegung befindlichen Körpers ist seiner Masse und zugleich dem Quadrate seiner Geschwindigkeit proportional. Wenn wir die früheren Einheiten der Masse [und der Geschwindigkeit] beibehalten«[382] (nämlich unit of mass moving with unit velocity, »so ist es von besonderem Vorteil,A22 die lebendige Kraft als das halbe Produkt der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit zu definieren.«
Hier ist also bei den beiden ersten Mechanikern Schottlands nicht nur das Denken, sondern auch das Rechnen zum Stillstand gekommen. Der particular advantage, die Handlichkeit der Formel, erledigt alles aufs schönste.
Für uns, die wir gesehn haben, daß lebendige Kraft nichts andres ist als das Vermögen einer gegebnen mechanischen Bewegungsmenge, Arbeit zu leisten, für uns ist es selbstverständlich, daß der mechanische Maßausdruck dieses Arbeitsvermögens und der der von ihm wirklich geleisteten Arbeit einander gleich sein müssen; daß also, wenn mv2/2 die Arbeit mißt, die lebendige Kraft ebenfalls mv2/2 zum Maß haben muß. Aber so geht's in der Wissenschaft. Die theoretische Mechanik kommt auf den Begriff der lebendigen Kraft, die praktische der Ingenieurs auf den der Arbeit, und zwingt ihn den Theoretikern auf. Und so sehr hat man sich über dem Rechnen des Denkens entwöhnt, daß man jahrelang den Zusammenhang beider nicht erkennt, die eine nach mv2, die andre nach mv2/2 mißt, und endlich für beide mv2/2 akzeptiert, nicht aus Einsicht, sondern der Einfachheit der Rechnung halber!9[383]
A19 | Hervorhebung von Engels |
A20 | Hervorhebung von Engels |
8 | Nicht weiter kommen wir, wenn wir Clerk Maxwell konsultieren. Dieser sagt (»Theory of Heat«, 4th ed., London 1875), S. 87: »Work is done when resistance is overcome« und S. 185: »The energy of a body is its capacity for doing work«. Das ist alles, was wir darüber erfahren. |
A21 | Hervorhebung von Engels |
A22 | Hervorhebung von Engels |
9 | Das Wort Arbeit wie die Vorstellung kommen von den englischen Ingenieuren her. Aber im Englischen heißt die praktische Arbeit work, die Arbeit im ökonomischen Sinn labour. Die physikalische Arbeit wird daher auch mit work bezeichnet, und alle Vermischung mit der Arbeit im ökonomischen Sinn ist ausgeschlossen. Dies ist im Deutschen nicht der Fall, und daher sind in der neueren pseudowissenschaftlichen Literatur verschiedne sonderbare Anwendungen der Arbeit im physikalischen Sinn auf ökonomische Arbeitsverhältnisse und umgekehrt möglich geworden. Wir haben aber auch das Wort Werk, das sich wie das englische work ganz vortrefflich zur Bezeichnung der physikalischen Arbeit eignet. Da aber die Ökonomie unsern Naturforschern viel zu weit abliegt, werden sie sich schwerlich entschließen, es statt des einmal eingebürgerten Worts Arbeit einzuführen – es sei denn, wenn es schon zu spät ist. Nur bei Clausius wird der Versuch gemacht, wenigstens neben dem Ausdruck Arbeit den Ausdruck Werk beizubehalten. |
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Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.
68 Seiten, 4.80 Euro
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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro