III. Die Pfalz

[146] Von Karlsruhe gingen wir nach der Pfalz, und zwar zunächst nach Speyer, wo sich d'Ester und die provisorische Regierung befinden sollten. Sie waren indes schon nach Kaiserslautern abgereist, wo die Regierung als am »strategisch gelegensten Punkte der Pfalz« ihren endlichen Sitz aufschlug. Statt ihrer fanden wir in Speyer Willich mit seinen Freischärlern. Er hielt mit einem Korps von ein paar hundert Mann die Garnisonen von Landau und Germersheim, zusammen über 4000 Mann, im Schach, schnitt ihnen die Zufuhren ab und molestierte sie auf jede mögliche Weise. Denselben Tag hatte er mit ungefähr 80 Schützen zwei Kompanien der Germersheimer Garnison angegriffen und, ohne einen Schuß zu tun, sie in die Festung zurückgejagt. Am nächsten Morgen fuhren wir mit Willich nach Kaiserslautern, wo wir d'Ester, die provisorische Regierung und die Blüte der deutschen Demokratie überhaupt antrafen. Von einer offiziellen Beteiligung an der Bewegung, die unsrer Partei ganz fremd stand, konnte natürlich auch hier keine Rede sein. Wir gingen also nach ein paar Tagen nach Bingen zurück, wurden unterwegs, in Gesellschaft mehrerer Freunde, von den hessischen Truppen, als der Teilnahme am Aufstande verdächtig, verhaftet, nach Darmstadt und von da nach Frankfurt transportiert und hier endlich wieder freigegeben.

Kurz nachher verließen wir Bingen, und Marx ging mit einem Mandat des demokratischen Zentralausschusses nach Paris, wo ein entscheidendes Ereignis nahe bevorstand, um bei den französischen Sozial-Demokraten die deutsche revolutionäre Partei zu vertreten. Ich ging nach Kaiserslautern zurück, um dort einstweilen als einfacher politischer Flüchtling zu leben und später vielleicht, wenn sich eine passende Gelegenheit bieten sollte, beim Ausbruch des Kampfes die einzige Stellung einzunehmen, die die »Neue Rheinische Zeitung« in dieser Bewegung einnehmen konnte: die des Soldaten.

Wer die Pfalz nur einmal gesehen hat, begreift, daß eine Bewegung in diesem weinreichen und weinseligen Lande einen höchst heitern Charakter[146] annehmen mußte. Man hatte sich endlich einmal die schwerfälligen, pedantischen altbayrischen Bierseelen vom Halse geschafft und an ihrer Stelle fidele pfälzische Schoppenstecher zu Beamten ernannt. Man war endlich jene tiefsinnig tuende bayrische Polizeischikane los, die in den sonst so ledernen »Fliegenden Blättern« ergötzlich genug persifliert wurde und die dem flotten Pfälzer schwerer auf dem Herzen lag als irgend etwas andres. Die Herstellung der Kneipfreiheit war der erste revolutionäre Akt des pfälzischen Volks: Die ganze Pfalz verwandelte sich in eine große Schenke, und die Massen geistigen Trankes, die »Im Namen des pfälzischen Volks« während dieser sechs Wochen verzehrt wurden, übersteigen alle Berechnung. Obwohl in der Pfalz die aktive Teilnahme an der Bewegung lange nicht so groß war als in Baden, obwohl es hier viele reaktionäre Bezirke gab, war doch die ganze Bevölkerung einstimmig in dieser allgemeinen Schoppenstecherei, wurde selbst der reaktionärste Spießbürger und Bauer hineingerissen in die allgemeine Heiterkeit.

Man brauchte eben keinen großen Scharfblick, um zu erkennen, welche unangenehme Enttäuschung in wenigen Wochen die preußische Armee über diese vergnügten Pfälzer bringen werde. Und doch waren die Leute in der Pfalz zu zählen, die nicht in der größten Sicherheit schwelgten. Daß die Preußen kommen würden, daran glaubten die wenigsten, daß sie aber, wenn sie kämen, mit der größten Leichtigkeit wieder hinausgeschlagen würden, das stand allgemein fest. Jene gesinnungstüchtige Finsterkeit, deren Motto »Ernst ist der Mann« allen badischen Volkswehroffizieren auf der Stirn geschrieben stand und die dennoch keineswegs alle jene Wunderdinge verhinderte, von denen ich später zu erzählen haben werde – jene biedre Feierlichkeit, die der spießbürgerliche Charakter der Bewegung der Mehrzahl ihrer Teilnehmer in Baden aufgedrückt hatte, existierte hier zwar nicht. In der Pfalz war der Mann nur nebenbei »ernst«. Die »Begeisterung« und der »Ernst« dienten hier nur dazu, die allgemeine Lustigkeit zu beschönigen. Aber man war immer »ernst« und »begeistert« genug, um sich allen Mächten der Welt, und namentlich der preußischen Armee gegenüber, unüberwindlich zu glauben; und wenn in stillen Stunden der Sammlung einmal ein leiser Zweifel aufstieg, so wurde er mit dem unwiderleglichen Argument beseitigt: Wenn dem auch so wäre, so dürfte man es doch nicht sagen. Je länger die Bewegung sich hinausspann, je unleugbarer und massenhafter die preußischen Bataillone sich von Saarbrücken bis Kreuznach konzentrierten, desto häufiger wurden freilich diese Zweifel, desto heftiger wurde aber auch, grade bei den Zweifelnden und Ängstlichen, die Renommage mit der Unüberwindlichkeit eines »Volks, das für seine Freiheit begeistert ist«, wie man die Pfälzer nannte. Diese Renommage entwickelte sich bald zu einem vollständigen Einschläferungssystem, das, von der[147] Regierung nur zu sehr begünstigt, alle Tätigkeit in den Verteidigungsmaßregeln erschlaffte und jeden, der dagegen opponierte, der Gefahr einer Verhaftung als Reaktionär aussetzte.

Diese Sicherheit, diese Renommage mit der »Begeisterung« und ihrer Allmacht, verbunden mit ihren winzigen materiellen Mitteln und mit dem kleinen Terrainwinkel, auf dem sie sich geltend machte, liefert: die komische Seite der pfälzischen »Erhebung« und bot den wenigen Leuten, deren avancierte Ansichten und unabhängige Stellung ein freies Urteil erlaubten, Stoff genug zur Erheiterung.

Die ganze äußere Erscheinung der Pfälzer Bewegung trug einen heitern, sorglosen und ungenierten Charakter. Während in Baden jeder neuernannte Unterleutnant, Linie und Volkswehr, sich in eine schwere Uniform einschnürte und mit silbernen Epauletten paradierte, die später, am Tage des Gefechts, sofort in die Taschen wanderten, war man in der Pfalz viel vernünftiger. Sowie die große Hitze der ersten Junitage sich fühlen ließ, verschwanden alle Tuchröcke, Westen und Krawatten, um einer leichten Bluse Platz zu machen. Mit der alten Bürokratie schien man auch den ganzen alten ungeselligen Zwang losgeworden zu sein. Man kleidete sich ganz ungeniert, nur nach der Bequemlichkeit und der Jahreszeit; und mit den Unterschied der Kleidung verschwand momentan jeder andre Unterschied im geselligen Verkehr. Alle Klassen der Gesellschaft kamen in denselben öffentlichen Lokalen zusammen, und ein sozialistischer Schwärmer hätte in diesem ungebundenen Verkehr die Morgenröte der allgemeinen Brüderlichkeit sehen können.

Wie die Pfalz, so ihre provisorische Regierung. Sie bestand fast nur aus gemütlichen Schoppenstechern, die über nichts mehr erstaunt waren, als daß sie plötzlich die provisorische Regierung ihres bacchusgeliebten Vaterlandes vorstellen sollten. Und doch ist nicht zu leugnen, daß diese lachenden Regenten sich besser benommen und verhältnismäßig mehr geleistet haben als ihre badischen Nachbarn unter der Führung des »gesinnungstüchtigen« Brentano. Sie hatten wenigstens guten Willen und trotz der Schoppenstecherei mehr nüchternen Verstand als die spießbürgerlich-ernsten Herren in Karlsruhe, und die wenigsten von ihnen entrüsteten sich, wenn man sich über ihre bequeme Manier des Revolutionierens und über ihre impotenten kleinen Maßregelchen lustig machte.

Die provisorische Regierung der Pfalz konnte nichts ausrichten, solange sie von der badischen Regierung im Stich gelassen wurde. Und in Beziehung auf Baden hat sie vollkommen ihre Schuldigkeit getan. Sie schickte Gesandte über Gesandte, machte eine Konzession nach der andern, uni nur ein Einverständnis zu erzielen: umsonst, Herr Brentano wollte ein für allemal nicht.[148]

Während die badische Regierung alles vorfand, fand die pfälzische nichts vor. Sie hatte kein Geld, keine Waffen, eine Menge reaktionärer Bezirke und zwei feindliche Festungen im Lande. Frankreich verbot sofort die Waffenausfuhr nach Baden und der Pfalz, Preußen und Hessen ließen alle dorthin spedierten Waffen mit Beschlag belegen. Die pfälzische Regierung schickte sogleich Agenten nach Frankreich und Belgien, um Waffen aufzukaufen und hereinzubesorgen; die Waffen wurden gekauft, kamen aber nicht. Man kann der Regierung vorwerfen, daß sie nicht energisch genug hierin verfuhr, daß sie namentlich mit der großen Menge Kontrebandiers an der Grenze keinen Schmuggel von Gewehren organisierte; die größere Schuld fällt aber auf ihre Agenten, die sehr lässig verfuhren und sich teilweise mit leeren Versprechungen hinhalten ließen, statt die französischen Waffen wenigstens nach Saargemünd und Lauterburg zu schaffen.

Was die Geldmittel anging, so war in der kleinen Pfalz mit Papiergeld wenig zu machen. Als die Regierung sich in pekuniärer Verlegenheit sah, hatte sie wenigstens den Mut, zu einer Zwangsanleihe mit, wenn auch schwach steigenden, progressiven Sätzen ihre Zuflucht zu nehmen.

Die Vorwürfe, die der pfälzischen Regierung gemacht werden können, beschränken sich darauf, daß sie im Gefühl ihrer Impotenz sich zu sehr von der allgemeinen Sorglosigkeit und den damit verbundenen Illusionen über ihre eigne Sicherheit anstecken ließ; daß sie daher, statt die freilich beschränkten Mittel zur Verteidigung des Landes energisch in Bewegung zu setzen, sich lieber auf den Sieg der Montagne in Paris, auf die Einnahme von Wien durch die Ungarn oder gar auf wirkliche Wunder verließ, die irgendwo zur Rettung der Pfalz geschehen sollten – Aufstände in der preußischen Armee usw. Daher die Fahrlässigkeit in der Herbeischaffung von Waffen, in einem Lande, wo schon tausend brauchbare Musketen mehr oder weniger unendlich viel ausmachten und wo schließlich an dem Tage, wo die Preußen einrückten, die ersten und letzten vierzig Gewehre aus dem Auslande, nämlich aus der Schweiz, ankamen. Daher die leichtsinnige Auswahl der Zivil- und Militärkommissäre, die meist aus den unfähigsten, verworrensten Schwärmern bestanden, und die Beibehaltung so vieler alten Beamten und sämtlicher Richter. Daher endlich die Vernachlässigung aller, selbst der nächstliegenden Mittel zur Belästigung und vielleicht zur Einnahme von Landau, auf die ich später zurückkommen werde.

Hinter der provisorischen Regierung stand d'Ester als eine Art geheimer Generalsekretär oder, wie Herr Brentano es nannte, als »rote Kamarilla, welche die gemäßigte Regierung von Kaiserslautern umgab«. Zu dieser »roten Kamarilla« gehörten übrigens noch andre deutsche Demokraten, namentlich[149] Dresdner Flüchtlinge. In d'Ester fanden die Pfälzer Regenten jenen administrativen Überblick, der ihnen abging, und zugleich einen revolutionären Verstand, der ihnen dadurch imponierte, daß er sich stets nur auf das Zunächstliegende, unleugbar Mögliche beschränkte und daher nie um Detailmaßregeln verlegen war. D'Ester erlangte hierdurch einen bedeutenden Einfluß und das unbedingte Vertrauen der Regierung. Wenn auch er zuweilen die Bewegung zu ernsthaft nahm und z.B. durch Einführung seiner für den Moment total unpassenden Gemeindeordnung etwas Wichtiges leisten zu können glaubte, so ist doch gewiß, daß d'Ester die provisorische Regierung zu allen einigermaßen energischen Schritten forttrieb und namentlich in Detailkonflikten stets passende Lösungen zur Hand hatte.

Wenn in Rheinpreußen reaktionäre und revolutionäre Klassen von vornherein sich gegenüberstanden, wenn in Baden eine anfangs für die Bewegung schwärmende Klasse, die Kleinbürgerschaft, sich allmählich beim Heranrücken der Gefahr zuerst zur Gleichgültigkeit, später zur Feindseligkeit gegen die von ihr selbst provozierte Bewegung herüberführen ließ, so waren es in der Pfalz weniger einzelne Klassen der Bevölkerung als einzelne Distrikte, die sich, durch Lokalinteressen geleitet, teils von Anfang an, teils nach und nach gegen die Bewegung erklärten. Allerdings war in Speyer von vornherein die Bürgerschaft reaktionär, wurde sie es mit der Zeit in Kaiserslautern, Neustadt, Zweibrücken usw.; aber die Hauptmacht der reaktionären Partei saß in den über die ganze Pfalz verteilten Ackerbaubezirken. Diese konfuse Gestaltung der Parteien hätte nur durch eine Maßregel beseitigt werden können: durch einen direkten Angriff auf das in den Hypotheken und im Hypothekenwucher angelegte Privateigentum zugunsten der verschuldeten, von Wucherern ausgesogenen Bauern. Diese eine Maßregel, die sofort die ganze Landbevölkerung am Aufstand interessiert hätte, setzt aber ein viel größeres Terrain und viel entwickeltere Gesellschaftszustände in den Städten voraus, als die Pfalz sie besitzt. Sie war nur möglich im Anfang der Insurrektion, zugleich mit einer Ausdehnung des Aufstandes nach der Mosel und Eifel, wo dieselben Zustände auf dem Lande existieren und in der industriellen Entwicklung der rheinischen Städte ihre Ergänzung finden. Und ebensowenig wie von Baden war von der Pfalz aus die Bewegung nach außen getrieben worden.

Die Regierung hatte unter diesen Umständen nur wenig Mittel, die reaktionären Bezirke zu bekämpfen: einzelne militärische Expeditionen in die widersetzlichen Ortschaften, Verhaftungen, besonders der katholischen Pfarrer, die an die Spitze des Widerstands traten usw.; Ernennung von tätigen Zivil- und Militärkommissären und endlich die Propaganda. Die Expeditionen, meistens sehr komischer Natur, hatten nur momentane Wirkung, die Propaganda[150] hatte gar keine, und die Kommissäre begingen meistens in ihrer wichtigtuenden Ungeschicklichkeit Schnitzer über Schnitzer oder beschränkten sich auf eine großartige Konsumtion Pfälzer Weins nebst der unvermeidlichen Wirtshausrenommage.

Unter den Propagandisten, den Kommissären und den Beamten der Zentraladministration nahmen die in der Pfalz noch mehr als in Baden versammelten Demokraten einen sehr bedeutenden Platz ein. Es hatten sich hier nicht nur die Flüchtlinge aus Dresden und Rheinpreußen, sondern auch sonst noch eine Menge mehr oder weniger begeisterter »Volksmänner« eingefunden, um sich hier dem Dienste des Vaterlandes zu weihen. Die Pfälzer Regierung, die ungleich der Karlsruher den richtigen Instinkt hatte, daß die Kapazitäten der Pfalz allein der Last selbst dieser Bewegung nicht gewachsen seien, nahm sie mit Freuden auf. Man konnte keine zwei Stunden in der Pfalz sein, ohne ein Dutzend der verschiedensten und im ganzen sehr ehrenvollen Ämter angetragen zu bekommen. Die Herren Demokraten, die in der pfälzisch-badischen Bewegung nicht einen täglich lokaler und unbedeutender werdenden Lokalaufstand, sondern die glorreiche Morgenröte der glorreichen Erhebung der gesamten deutschen Demokratie sahen, die überhaupt in der Bewegung ihre mehr oder weniger kleinbürgerliche Tendenz herrschend sahen, beeiferten sich, auf diese Anerbietungen einzugehen. Zugleich aber glaubte jeder, nur eine solche Stellung einnehmen zu dürfen, in der er seinen natürlich meistens sehr hohen Ansprüchen bei einer allgemeinen deutschen Bewegung nichts vergebe. Im Anfang ging das. Wer sich meldete, wurde sofort Bürochef, Regierungskommissär, Major oder Oberstleutnant. Allmählich aber nahm die Zahl der Konkurrenten zu, die Stellen wurden seltner, und es entwickelte sich eine kleinliche, spießbürgerliche Stellenjägerei, die für den unbeteiligten Zuschauer ein höchst ergötzliches Schauspiel bot. Daß bei dem seltnen Mischmasch von Industrialismus und Konfusion, von Aufdringlichkeit und Inkapazität, den die »Neue Rheinische Zeitung« bei der deutschen Demokratie so oft zu bewundern Gelegenheit hatte, daß da die Beamten und Propagandisten der Pfalz ein getreuer Abklatsch dieses unangenehmen Gemenges war, brauche ich wohl nicht erst ausdrücklich zu versichern.

Es versteht sich, daß auch mir Zivil- und militärische Stellen in Menge angetragen wurden, Stellen, die ich in einer proletarischen Bewegung anzunehmen keinen Augenblick gezaudert hätte. Ich lehnte sie unter diesen Umständen sämtlich ab. Das einzige, worauf ich einging, war, einige aufregende Artikel für ein kleines Blättchen zu schreiben das die provisorische Regierung in Massen in der Pfalz verbreiten ließ. Ich wußte, daß auch dies nicht gehen würde, nahm den Antrag aber auf d'Esters und mehrerer Mitglieder[151] der Regierung dringende Aufforderung endlich an, um wenigstens meinen guten Willen zu beweisen. Da ich mich natürlich wenig genierte, so fand schon der zweite Artikel als zu »aufregend« Anstoß; ich verlor weiter kein Wort, nahm den Artikel zurück, zerriß ihn in d'Esters Gegenwart, und damit hörte die Sache auf.

Unter den auswärtigen Demokraten in der Pfalz waren übrigens diejenigen die besten, die soeben aus dem Kampf in ihrer Heimat kamen: die Sachsen und die Rheinpreußen. Die wenigen Sachsen waren meistens in den Zentralbüros beschäftigt, arbeiteten fleißig und zeichneten sich durch administrative Kenntnisse, ruhigen, klaren Verstand und Abwesenheit aller Ansprüche und Illusionen aus. Die Rheinländer, meistens Arbeiter, gingen in Masse zur Armee; die wenigen, die anfangs in den Büros arbeiteten, ergriffen später ebenfalls die Muskete.

Auf den Büros der Zentralverwaltung, in der Fruchthalle zu Kaiserslautern, ging es höchst gemütlich her. Bei dem allgemeinen laisser aller, bei der gänzlichen Abwesenheit jedes aktiven Eingreifens in die Bewegung, bei der ungemeinen Anzahl von Beamten war im ganzen wenig zu tun. Es handelte sich fast nur um die laufenden Verwaltungsgeschäfte, und diese wurden tant bien que mal besorgt. Wenn nicht irgendeine Stafette ankam, ein patriotischer Bürger einen tiefsinnigen Vorschlag zur Rettung des Vaterlandes zu machen hatte, ein Bauer sich beschwerte oder eine Gemeinde eine Deputation schickte, hatten die meisten Büros nichts zu tun. Man gähnte, man schwatzte, man erzählte sich Anekdoten, man machte schlechte Witze oder strategische Pläne, man ging von einem Büro ins andre und suchte die Zeit so gut wie möglich totzuschlagen. Das Hauptgespräch waren natürlich die politischen Tagesereignisse, über die die widersprechendsten Gerüchte im Umlauf waren. Die Herbeischaffung von Nachrichten war im höchsten Grade vernachlässigt. Die alten Postbeamten waren fast ohne Ausnahme im Amt geblieben und natürlich sehr unzuverlässig. Neben ihnen war eine »Feldpost« errichtet, die von den übergegangnen Pfälzer Chevaulegers besorgt wurde. Die Kommandanten und Kommissäre der Grenzbezirke kümmerten sich nicht im mindesten um das, was jenseits der Grenze vorging. Auf der Regierung hatte man nur das »Frankfurter Journal« und die »Karlsruher Zeitung«, und ich erinnere mich noch mit Vergnügen der Verwunderung, die darüber entstand, als ich auf dem Kasino in einer schon vor mehreren Tagen angekommenen Nummer der »Kölnischen Zeitung« die Nachricht von der Zusammenziehung von 27 preußischen Bataillonen, 9 Batterien und 9 Regimentern[152] Kavallerie nebst ihrer genauen Dislozierung zwischen Saarbrücken und Kreuznach entdeckt hatte.

Ich komme endlich zur Hauptsache, zur militärischen Organisation. Ungefähr dreitausend Pfälzer aus der bayrischen Armee waren mit Sack und Pack übergegangen. Eine Anzahl Freiwilliger, Pfälzer und Nichtpfälzer, hatten sich zu gleicher Zeit unter die Waffen gestellt. Zudem dekretierte die provisorische Regierung die Aushebung des ersten Aufgebots, zunächst aller Unverheirateten vom achtzehnten bis zum dreißigsten Jahre. Diese Aushebung ging aber nur auf dem Papier vor sich, teils aus Unfähigkeit und Nachlässigkeit der Militärkommissäre, teils aus Mangel an Waffen, teils durch die Indolenz der Regierung selbst. Wo, wie in der Pfalz, der Mangel an Waffen das Haupthindernis aller Verteidigung war, mußten alle Mittel aufgeboten werden, um Waffen aufzubringen. Waren vom Ausland keine herbeizuschaffen, so mußte jede Muskete, jede Büchse, jede Jagdflinte, die in der Pfalz aufzutreiben war, hervorgeholt und in die Hände der aktiven Kämpfer gegeben werden. Es waren aber nicht nur sehr viele Privatwaffen vorhanden, sondern auch noch wenigstens 1500 bis 2000 Gewehre, die Karabiner ungerechnet, in den Händen der verschiednen Bürgerwehren. Man konnte mindestens verlangen, daß die Privatwaffen und die Gewehre derjenigen Bürgerwehrmänner abgeliefert würden, die zum Eintritt ins erste Aufgebot nicht verpflichtet waren oder die nicht als Freiwillige darunter eintreten wollten. Aber nichts der Art geschah. Nach vielem Drängen wurde endlich ein derartiger Beschluß wegen der Bürgerwehrwaffen gefaßt, aber nie ausgeführt; die Kaiserslauterer Bürgerwehr, über 300 Philister zählend, paradierte täglich in Uniform und Waffen als Wache an der Fruchthalle, und als die Preußen einrückten, hatten sie noch das Vergnügen, diese Herren entwaffnen zu können. Und so war es überall.

Man erließ im Amtsblatt eine Aufforderung an die Forstbeamten und Waldhüter, sich in Kaiserslautern zur Bildung eines Schützenkorps zu stellen; wer nicht kam, waren die Forstbeamten.

Man ließ im ganzen Lande Sensen schmieden, oder man forderte wenigstens dazu auf; einige Sensen wurden wirklich angefertigt. Bei dem rheinhessischen Korps in Kirchheimbolanden sah ich mehrere Fässer mit Sensenklingen aufladen und nach Kaiserslautern spedieren. – Die Entfernung ist etwa sieben bis acht Stunden; vier Tage nachher mußte die Regierung Kaiserslautern den Preußen überlassen, und die Sensen waren noch nicht angekommen. Hätte man diese Sensen der nicht mobilen Bürgerwehr, dem sogenannten zweiten Aufgebot, als Entschädigung für ihre abzutretenden Flinten gegeben, so wäre die Sache gut gewesen; statt dessen behielten die faulen Philister ihre[153] Perkussionsflinten, und die jungen Rekruten sollten mit Sensen gegen die preußischen Kanonen und Zündnadelmusketen marschieren.

Während an Gewehren ein allgemeiner Mangel war, herrschte dagegen ein ebenso merkwürdiger Überfluß an Schleppsäbeln. Wer kein Gewehr bekommen konnte, hing sich um so eifriger ein klirrendes Schlachtschwert um, als er sich dadurch allein schon zum Offizier gestempelt glaubte. In Kaiserslautern namentlich waren diese selbstgestempelten Offiziere gar nicht zu zählen, ertönten die Straßen Tag und Nacht vom Gerassel ihrer fürchterlichen Waffen. Besonders waren es die Studenten, die sich durch diese neue Manier, dem Feinde Schrecken einzujagen, und durch ihre Prätention, eine akademische Legion von lauter Kavalleristen zu Fuß zu bilden, seltene Verdienste um die Rettung des Vaterlandes erwarben.

Außerdem war noch eine halbe Schwadron übergegangener Chevaulegers vorhanden, die aber durch ihre Zersplitterung im Feldpostdienst usw. nie dazu kam, ein besonders fechtendes Korps zu bilden. Die Artillerie, unter dem Kommando des »Oberstleutnants« Anneke, bestand aus ein paar Dreipfündern, deren Bespannung ich mich nie gesehen zu haben erinnere, und aus einer Anzahl Böller. Vor der Fruchthalle in Kaiserslautern lag die schönste Sammlung alter eiserner Böllerrohre, die man sich wünschen konnte. Die meisten blieben natürlich unbenutzt liegen. Die beiden größten wurden auf kolossale, eigens angefertigte Lafetten gelegt und mitgenommen. Die badische Regierung verkaufte der Pfalz endlich eine ausgeschossene sechspfündige Batterie nebst etwas Munition; aber Bespannung, Bedienung und zureichende Munition fehlte. Die Munition wurde, soweit möglich, angefertigt; die Bespannung wurde tant bien que mal durch requirierte Bauern und Pferde besorgt; zu der Bedienung suchte man sich einige alte bayrische Artilleristen zusammen und übte die Leute mit dem schwerfälligen und komplizierten bayrischen Exerzitium ein.

Die obere Leitung der Militärangelegenheiten war in der schlechtesten Händen. Herr Reichardt, der in der provisorischen Regierung das Militärdepartement übernommen hatte, war tätig, aber ohne Energie und Sachkenntnisse. Der erste Oberkommandant der Pfälzer Streitkräfte, der Industrielle Fenner von Fenneberg, wurde zwar bald wegen zweideutigen Benehmens abgesetzt; an seine Stelle trat für den Augenblick ein polnischer Offizier, Raquilliet. Endlich erfuhr man, Mieroslawski werde das Oberkommando für Baden und die Pfalz übernehmen und der Befehl der Pfälzer Truppen sei dem »General« Sznayde, ebenfalls einem Polen, anvertraut.

Der General Sznayde kam an. Es war ein kleiner, dicker Mann, der eher wie ein bejahrter Bonvivant als wie ein »Rufer im Streit Menelaos« aussah.[154] Der General Sznayde übernahm das Kommando mit vieler Würde, ließ sich Bericht über den Stand der Angelegenheiten abstatten und erließ sofort eine Reihe Tagesbefehle. Die meisten dieser Befehle erstreckten sich auf die Uniformierung – die Bluse, und die Abzeichen für Offiziere – trikolore Armbinden oder Schärpen, auf Aufforderungen an gediente Kavalleristen und Schützen, sich freiwillig zu stellen – Aufforderungen, die schon zehnmal fruchtlos gemacht worden waren, u. dgl. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran, indem er sich sofort einen Attila mit trikoloren Schnüren anschaffte, um der Armee Respekt einzuflößen. Was in seinen Tagesbefehlen wirklich Praktisches und Wichtiges war, beschränkte sich auf Wiederholung längst erlassener Befehle und auf Vorschläge, die von den wenigen anwesenden guten Offizieren schon früher gemacht, aber nie durchgesetzt worden waren und die erst jetzt vermittelst der Autorität eines kommandierenden Generals durchgesetzt werden konnten. Im übrigen verließ sich der »General« Sznayde auf Gott und Mieroslawski und lebte den Freuden der Tafel, das einzig Vernünftige, das ein so total unfähiges Individuum tun konnte.

Unter den übrigen Offizieren in Kaiserslautern war der einzig tüchtige Techow, derselbe, der als preußischer Premierleutnant mit Natzmer beim Berliner Zeughaussturm das Zeughaus dem Volk übergeben hatte und, zu 15 Jahren Festung verurteilt, von Magdeburg entkommen war. Techow, Chef des pfälzischen Generalstabs, bewies sich überall kenntnisreich, umsichtig und ruhig, vielleicht etwas zu ruhig, als daß man ihm die Raschheit des Entschlusses zutrauen könnte, die auf dem Schlachtfeld oft alles entscheidet. »Oberstleutnant« Anneke bewies sich unfähig und Indolent in der Organisation der Artillerie, obwohl er im Laboratorium gute Dienste leistete. Bei Ubstadt hat er als Feldherr keine Lorbeeren geerntet, und aus Rastatt, wo ihm Mieroslawski für die Belagerung den Befehl über das Material übertrug, ist er auf seltsame Weise und mit Hinterlassung seiner Pferde noch vor der Zernierung über den Rhein entkommen.

An den Offizieren in den einzelnen Bezirken war auch nicht viel. Eine Anzahl von Polen war teils schon vor Sznayde, teils mit ihm gekommen. Da die besten Leute der polnischen Emigration schon in Ungarn waren, so läßt sich denken, daß diese polnischen Offiziere von ziemlich gemischter Gattung waren. Die meisten beeilten sich, für eine gehörige Anzahl Reitpferde zu sorgen und einige Befehle zu geben, und kümmerten sich um die Ausführung nicht viel. Sie traten ziemlich herrisch auf, wollten den Pfälzer Bauern wie den knechtischen polnischen Leibeigenen traktieren, kannten weder das Land noch die Sprache, noch das Kommando und richteten daher als Militärkommissäre, d.h. Organisatoren von Bataillonen, wenig oder gar nichts aus.[155] Im Laufe des Feldzugs verliefen sie sich bald in den Sznaydeschen Stab und verschwanden kurz nachher ganz, als Sznayde von seinen Soldaten angefallen und mißhandelt wurde. Die Besseren unter ihnen kamen zu spät, um noch etwas organisieren zu können.

Unter den deutschen Offizieren waren auch nicht viel brauchbare Köpfe. Das rheinhessische Korps, das sonst manche auch militärisch bildungsfähige Elemente enthielt, stand unter der Führung eines gewissen Häusner, eines gänzlich unbrauchbaren Menschen, und unter dem noch viel erbärmlicheren moralischen und politischen Einfluß der beiden Helden Zitz und Bamberger, die sich später in Karlsruhe so glorreich aus der Affäre zogen. In der Hinterpfalz organisierte ein ehemaliger preußischer Offizier, Schimmelpfennig, ein Korps.

Die einzigen beiden Offiziere, die sich schon vor dem Einfall der Preußen im aktiven Dienst auszeichneten, waren Willich und Blenker.

Willich übernahm mit einem kleinen Freikorps die Beobachtung und später die Zernierung von Landau und Germersheim. Eine Kompanie Studenten, eine Kompanie Arbeiter, die mit ihm in Besannen zusammen gelebt hatten, drei schwache Kompanien Turner – aus Landau, Neustadt und Kaiserslautern –, zwei aus Freiwilligen der umliegenden Ortschaften gebildete Kompanien und endlich eine mit Sensen bewaffnete Kompanie Rheinpreußen, die meisten von den Prümer und Elberfelder Aufständen her flüchtig, fanden sich nach und nach unter seinem Kommando zusammen. Es, waren zuletzt zwischen 700 bis 800 Mann, jedenfalls die zuverlässigsten Soldaten der ganzen Pfalz, die Unteroffiziere meist gediente, teilweise in Algerien an den kleinen Krieg gewöhnte Leute. Mit diesen wenigen Streitkräften legte sich Willich mitten zwischen Landau und Germersheim, organisierte die Bürgerwehren in den Dörfern, benutzte sie zur Bewachung der Straßen und zum Vorpostendienst, schlug alle Ausfälle aus beiden Festungen trotz der Überlegenheit, namentlich der Germersheimer Garnison, zurück, zernierte Landau derart, daß so gut wie alle Zufuhren abgeschnitten waren, schnitt ihm die Wasserleitungen ab, stauchte die Queich auf, so daß alle Keller der Festung überschwemmt waren und doch Mangel an Trinkwasser eintrat, und beunruhigte die Garnison jede Nacht durch Patrouillen, die nicht nur die verlassenen Außenwerke ausräumten und die dort gefundenen Wachtstubenöfen für fünf Gulden per Stück versteigerten, sondern auch bis in die Festungsgräben selbst vordrangen und die Garnison häufig veranlaßten, auf einen Gefreiten und zwei Mann ein ebenso gewaltiges wie harmloses Feuer aus Vierundzwanzigpfündern zu eröffnen. Diese Epoche war bei weitem die glänzendste während der Existenz des Willichschen Freikorps. Hätten ihm damals[156] nur einige Haubitzen zu Gebote gestanden, und wären es nur Feldgeschütze gewesen, so war nach den Berichten der täglich nach Landau aus- und eingehenden Spione die Festung bei ihrer demoralisierten, schwachen Garnison und ihrer rebellischen Einwohnerschaft in wenig Tagen genommen. Selbst ohne Artillerie hätte eine Fortsetzung der Zernierung in acht Tagen die Kapitulation erzwungen. In Kaiserslautern waren zwei siebenpfündige Haubitzen, gut genug, um während der Nacht einige Häuser in Landau in Brand zu schießen. Wären sie an Ort und Stelle gewesen, so war das Unerhörte wahrscheinlich, daß eine Festung wie Landau mit ein paar Feldgeschützen eingenommen wurde. Ich predigte täglich dem Generalstab in Kaiserslautern die Notwendigkeit vor, wenigstens den Versuch zu machen. Umsonst. Die eine Haubitze blieb in Kaiserslautern, die andere wanderte nach Homburg, wo sie fast den Preußen in die Hände fiel. Beide kamen über den Rhein, ohne einen Schuß getan zu haben.

Noch mehr aber als Willich zeichnete sich der »Oberst« Blenker aus. Der »Oberst« Blenker, ein ehemaliger Weinreisender, der in Griechenland als Philhellene gewesen war und sich später als Weinhändler in Worms etabliert hatte, gehört jedenfalls zu den hervorragendsten militärischen Persönlichkeiten dieser ganzen glorreichen Kampagne. Stets hoch zu Roß, von einem zahlreichen Stab umgeben, groß, stark, mit einem trutzigen Antlitz, einem imponierenden Heckerbart, einer allgewaltigen Stimme und allen übrigen Eigenschaften begabt, die den süddeutschen »Volksmann« ausmachen und zu denen bekanntlich der Verstand nicht gerade gehört, machte »Oberst« Blenker den Eindruck eines Mannes, vor dessen bloßem Anblick Napoleon sich verkriechen müßte und der würdig war. In jenem Refrain zu figurieren, mit dem wir diese Schilderungen eröffnet haben. »Oberst« Blenker fühlte das Zeug in sich, auch ohne »Hecker, Struve, Zitz und Blum« die deutschen Fürsten umzuschmeißen, und gab sich sofort ans Werk. Seine Meinung war, den Krieg nicht als Soldat, sondern als Weinreisender zu führen, und zu diesem Zweck nahm er sich vor, Landau zu erobern. Willich war damals noch nicht da. Er raffte alles zusammen, was in der Pfalz disponibel war, Linie und Volkswehr, und organisierte durcheinanderbummelnde Truppen, Kavallerie und Artillerie, und rückte auf Landau los. Vor der Festung wurde Kriegsrat gehalten, die Angriffskolonnen formiert, die Stellung der Artillerie bestimmt. Die Artillerie bestand aber aus einigen Böllern, deren Kaliber von 1/2 Pfund bis 13/8 Pfund variierten, und wurde auf einem Heuwagen nachgefahren, der zugleich zum Munitionswagen diente. Die Munition dieser verschiednen Böller bestand nämlich in einer, sage einer vierundzwanzigpfündigen Kugel; von Pulver war keine Rede. Nachdem alles geordnet, rückte man voll Todesverachtung[157] vor. Man kam bis ans Glacis, ohne Widerstand zu finden; man marschierte weiter, bis man ans Tor kam. Voran die aus Landau übergegangenen Soldaten. Auf den Wällen zeigten sich einige Soldaten als Parlamentäre. Man rief ihnen zu, das Tor zu öffnen. Es entspann sich bereits ein ganz gemütliches Zwiegespräch, und alles schien nach Wunsch zu gehen. Auf einmal ertönt vom Wall ein Kanonenschuß, Kartätschen sausen über den Köpfen der Angreifer weg, und in einem Nu löst sich die ganze heldenmütige Armee samt ihrem pfälzischen Prinzen Eugen in wilde Flucht auf. Alles läuft, läuft, läuft mit einer so unwiderstehlichen Heftigkeit, daß die bald nachher von den Wällen abgeschossenen paar Kanonenkugeln schon nicht mehr über den Köpfen der Fliehenden, daß sie nur noch über ihren weggeworfenen Flinten, Patronentaschen und Tornistern dahinsausen. Einige Stunden von Landau wird endlich haltgemacht, die Armee wieder gesammelt und von Herrn »Oberst« Blenker ohne die Schlüssel von Landau, aber darum nicht minder stolz wieder heimgeführt. Das war die noch nie dagewesene Eroberung Landaus mit drei Böllern und einer vierundzwanzigpfündigen Kugel.

Der Kartätschschuß war von einigen bayrischen Offizieren in der Eile abgefeuert worden, als sie sahen, daß ihre Soldaten Lust hatten, das Tor zu öffnen. Das Geschütz wurde von den Soldaten selbst aus der Richtung gebracht, und daher kam es, daß niemand getroffen wurde. Als die Besatzung von Landau aber sah, welche Wirkung dieser Schuß ins Blaue machte, war von Übergabe natürlich keine Rede mehr.

Held Blenker war aber nicht der Mann, für solches Mißgeschick keine Revanche zu nehmen. Er beschloß, nunmehr Worms zu erobern. Von Frankenthal, wo er ein Bataillon befehligte, rückte er vor. Die paar hessischen Soldaten, die in Worms lagen, machten sich auf und davon, und Held Blenker zog mit klingendem Spiel in seine Vaterstadt ein. Nachdem die Befreiung von Worms mit einem solennen Frühstück gefeiert war, schritt man zur Hauptfeierlichkeit, nämlich zur Vereidigung von zwanzig krank zurückgebliebenen hessischen Soldaten auf die Reichsverfassung. In der Nacht aber nach diesen gewaltigen Resultaten fuhren die Peuckerschen Reichstruppen auf dem rechten Rheinufer Geschütz auf und weckten die siegreichen Eroberer höchst unsanft durch frühen Kanonendonner. Es war kein Mißverständnis: Die Reichstruppen schossen Vollkugeln und Granaten herüber. Ohne ein Wort zu sagen, versammelte Held Blenker seine Tapfern und zog in aller Stille von Worms wieder nach Frankenthal ab. Von seinen späteren Heldentaten wird die Muse am gehörigen Orte ein Weiteres berichten.

Während so in den Distrikten die verschiedenartigsten Charaktere sich jeder in seiner Weise Luft machten, während die Soldaten und Volkswehrmänner,[158] statt zu exerzieren, in den Schenken saßen und sangen, beschäftigten sich in Kaiserslautern die Herren Offiziere mit der Erfindung der tiefsinnigsten strategischen Pläne. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Möglichkeit, eine von mehreren Seiten zugängliche kleine Provinz wie die Pfalz mit einer fast ganz imaginären Streitmacht gegen eine höchst reelle Armee von über 30000 Mann und 60 Kanonen zu halten. Grade weil hier jedes Projekt gleich nutzlos, gleich absurd war, grade weil hier alle Bedingungen jedes strategischen Plans fehlten, grade deswegen nahmen sich die tiefen Kriegsmänner, die denkenden Köpfe der Pfälzer Armee erst recht vor, ein strategisches Wunder auszutüfteln, das den Preußen den Weg in die Pfalz versperren sollte. Jeder neugebackene Leutnant, jeder Säbelschlepper von der unter den Auspizien des Herrn Sznayde endlich, nebst dem Leutnantsrang für jedes Mitglied, zustande gekommenen akademischen Legion, jeder Büroschreiber stierte tiefsinnig auf die Karte der Pfalz in der Hoffnung, den strategischen Stein der Weisen zu finden. Man kann sich leicht denken, welche ergötzlichen Dinge dabei herauskamen. Namentlich die ungarische Methode der Kriegführung war sehr beliebt. Vom »General« Sznayde bis herab zum annoch verkanntesten Napoleon der Armee konnte man stündlich die Phrase hören: »Wir müssen es machen wie Kossuth, wir müssen einen Teil unsres Terrains aufgeben und uns – hierhin oder dahin, in die Berge oder in die Ebene, je nachdem – zurückziehen.« »Wir müssen es machen wie Kossuth«, hieß es in allen Wirtshäusern. »Wir müssen es machen wie Kossuth«, wiederholte jeder Korporal, jeder Soldat, jeder Gassenjunge. »Wir müssen es machen wie Kossuth«, wiederholte gutmütig die provisorische Regierung, die am besten wußte, daß sie sich in diese Sachen nicht zu mischen hatte, und der es am Ende gleichgültig war, wie man's machte. »Wir müssen es machen wie Kossuth, sonst sind wir verloren.« – Die Pfalz und Kossuth!

Ehe ich zur Schilderung des Feldzugs selbst übergehe, muß ich noch kurz einer Angelegenheit erwähnen, die in verschiedenen Blättern berührt worden ist: meine momentane Verhaftung in Kirchheim. Wenige Tage vor dem Einrücken der Preußen begleitete ich meinen Freund Moll auf einer von ihm übernommenen Mission bis an die Grenze, bis Kirchheimbolanden. Hier stand ein Teil des rheinhessischen Korps, bei dem wir Bekannte hatten. Wir saßen abends mit diesen und mehreren andern Freischärlern des Korps im Gasthof. Unter den Freischärlern waren einige jener ernsten, begeisterten »Männer der Tat«, von denen schon mehrfach die Rede war und die gar keine Schwierigkeiten darin sahen, mit wenig Waffen und viel Begeisterung jede beliebige Armee der Welt zu schlagen. Es sind Leute, die vom Militär höchstens die Wachtparade gesehen haben, die sich überhaupt nie um die materiellen Mittel[159] zur Erreichung irgendeines Zwecks bekümmern und die dabei meistens, wie ich später mehrfach zu beobachten Gelegenheit hatte, im ersten Gefecht eine so niederschmetternde Enttäuschung erleben, daß sie sich eiligst auf und davon machen. Ich trug einen dieser Helden, ob er wirklich vorhabe, mit den in der Pfalz vorhandenen dreißigtausend Schleppsäbeln und viertehalb Flinten, worunter mehrere verrostete Karabiner, die Preußen zu schlagen, und war überhaupt im besten Zuge, mich über die heilige Entrüstung des in seiner edelsten Begeisterung verwundeten Mannes der Tat zu amüsieren, als die Wache eintritt und mich für verhaftet erklärt. Zu gleicher Zeit sehe ich hinter mir zwei Leute wutschnaubend auf mich losspringen. – Der eine gab sich als Zivilkommissär Müller zu erkennen, der andre war Herr Greiner, das einzige Mitglied der Regierung, mit dem ich wegen seiner häufigen Abwesenheit von Kaiserslautern – der Mann machte in der Stille sein Vermögen mobil – und wegen seines verdächtigen, heulerisch-finstern Aussehens nicht in nähere Berührung getreten war. Zugleich stand ein alter Bekannter von mir, Hauptmann im rheinhessischen Korps, auf und erklärte, wenn ich verhaftet würde, werde er und eine bedeutende Anzahl der besten Leute das Korps sofort verlassen. Moll und andre wollten mich sogleich mit Gewalt schützen. Die Anwesenden spalteten sich in zwei Parteien, die Szene drohte interessant zu werden, und ich erklärte, ich werde mich natürlich mit Vergnügen verhaften lassen: Man werde endlich sehen, welche Farbe die Pfälzer Bewegung habe. Ich ging mit der Wache.

Am nächsten Morgen wurde ich nach einem komischen Verhör, das mich Herr Zitz bestehn ließ, dem Zivilkommissär und von diesen einem Gendarmen übergeben. Der Gendarm, dem eingeschärft worden war, mich als Spion zu behandeln, schloß mir beide Hände zusammen und führte mich zu Fuß nach Kaiserslautern, angeklagt der Herabwürdigung der Erhebung des pfälzischen Volks und der Aufreizung gegen die Regierung, von der ich beiläufig kein Wort gesagt hatte. Unterwegs setzte ich durch, daß ich einen Wagen bekam. In Kaiserslautern, wohin Moll mir vorausgeeilt war, traf ich natürlich die Regierung höchst bestürzt über die Bevue des wackern Greiner, noch bestürzter über die mir widerfahrene Behandlung. Man begreife, daß ich den Herren in Gegenwart des Gendarmen eine artige Szene machte. Da noch kein Bericht von Herrn Greiner eingetroffen war, bot man mir an, mich auf Ehrenwort freizulassen. Ich verweigerte das Ehrenwort und ging ins Kantonalgefängnis – ohne Begleitung, was auf d'Esters Antrag angenommen wurde. D'Ester erklärte, nachdem einem Parteigenossen solche Behandlung widerfahren, nicht länger bleiben zu können. Tzschirner, der eben ankam, trat auch sehr entschieden auf. Die Sache wurde denselben Abend stadtkundig, und[160] alle, die der entschiedenen Richtung angehörten, ergriffen sofort meine Partei. Dazu kam, daß die Nachricht eintraf, im rheinhessischen Korps seien wegen dieser Angelegenheit Unruhen ausgebrochen, und ein großer Teil des Korps wolle sich auflösen. Weniger als das hätte hingereicht, den provisorischen Regenten, mit denen ich täglich zusammen gewesen war, die Notwendigkeit zu zeigen, mir Satisfaktion zu geben. Nachdem ich mich 24 Stunden im Gefängnis ganz gut amüsiert hatte, kamen d'Ester und Schmitt zu mir; Schmitt erklärte mir, ich sei ohne alle Bedingung frei, und die Regierung hoffe, ich werde mich nicht abhalten lassen, mich fernerhin bei der Bewegung zu beteiligen. Außerdem sei der Befehl gegeben, daß von nun an kein politischer Gefangener geschlossen eingebracht werde, und die Untersuchung gegen den Urheber der infamen Behandlung sowie über die Verhaftung und deren Ursache gehe fort. Nachdem somit die Regierung, da Herr Greiner noch immer keinen Bericht geschickt, mir alle ihr augenblicklich mögliche Genugtuung gegeben, wurden beiderseits die feierlichen Gesichter abgesetzt und im Donnersberg einige Schoppen zusammen getrunken. Tzschirner ging am nächsten Morgen zum rheinhessischen Korps ab, um es zu beruhigen, und ich gab ihm einige Zeilen mit. Herr Greiner trat, als er wiederkam, so erschrecklich heulerisch auf, daß er von seinen Kollegen erst recht doppelt den Kopf gewaschen bekam. Von Homburg ausrückten gleichzeitig die Preußen ein, und da hiermit die Sache eine interessante Wendung bekam, da ich die Gelegenheit, ein Stück Kriegsschule durchzumachen, nicht versäumen wollte und da endlich die »Neue Rheinische Zeitung« honoris causa auch in der pfälzisch-badischen Armee vertreten sein mußte, so schnallte ich mir auch ein Schlachtschwert um und ging zu Willich.[161]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1960, Band 7, S. 146-162.
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