Johann Gottlieb Fichte

Appellation an das Publicum über die durch ein Churf. Sächs. Confiscationsrescript ihm beigemessenen atheistischen Aeusserungen

Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet,

ehe man sie confiscirt.


Aus der Nationalzeitung von 1798 St. 51.

Chursachsen.

Folgendes Churfürstl. sächs. Rescript ist an die beiden Universitäten Leipzig und Wittenberg ergangen:


Von Gottes Gnaden, Friedrich August, Churfürst u.s.w. Würdige, Hochgelahrte, Liebe, Andächtige und Getreue. Wir haben, wegen der in dem ersten und zweiten Aufsatze des ersten Heftes des von den Professoren zu Jena, Fichte und Niethammer herausgegebenen Philosophischen Journals p. ao. 1798 enthaltenen atheistischen Aeusserungen die Confiscation dieser Schrift angeordnet. Und da wir zu den Lehrern unserer Universitäten das gegründete Vertrauen hegen, dass sie jede Gelegenheit, welche ihnen ihr Amt, und ihr Einfluss auf die Jugend und das Publicum überhaupt an die Hand giebt, dazu benutzen werden, die angegriffene Religion mit Nachdruck, Eifer und Würde in Schutz zu nehmen, und dafür zu sorgen, dass vernünftiger Glaube an Gott, und lebendige Ueberzeugung von der Wahrheit des Christentums überall gegründet, verbreitet, und befestiget werde. So lassen wir Euch solches hierdurch unverhalten seyn. Datum Dresden am 19. Nov. 1798.

Heinrich Ferdinand v. Zedlwitz.

Carl Gottlieb Kühn.
[193]

Der erste Aufsatz in dem genannten ersten Hefte des genannten Journals ist von mir; ich habe in demselben den Grund unsers Glaubens an Gott untersucht; ich habe Sätze aufgestellt, welche von einer gewissen abgöttischen und atheistischen Partei unter uns atheistisch genannt werden; jene Beschuldigung des Atheismus geht also auf mich.

Möchte man doch immer in Chursachsen die von mir verfassten oder nur herausgegebenen Schriften verbieten. Sie haben da schon so manches Buch verboten, und werden noch so manches verbieten; und es ist keine Schmähung, in dieser Reihe mit aufgeführt zu werden Ich schreibe und gebe heraus nur für diejenigen, die unsere Schriften lesen wollen; ich begehre keinen zu zwingen; und ob die einzelnen selbst, oder ob in ihrer aller Namen die Regierung versichert, dass sie meine Schriften nicht mögen, ist mir ganz einerlei. Sind etwa die einzelnen nicht gleicher Meinung mit ihrer Regierung, so mögen sie das mit ihr ausmachen; es ist nicht meine Sache.

Also – vom Verbote ist gar nicht die Rede, sondern von dem Grunde desselben. Sie geben mich für einen Atheisten aus. Dies ist meine Sache: dagegen muss eine Vertheidigung erfolgen, und ich selbst muss diese Vertheidigung übernehmen.

Die Beschuldigung der Gottlosigkeit ruhig ertragen, ist selbst eine der ärgsten Gottlosigkeiten. Wer mir sagt, du glaubst keinen Gott, sagt mir: du bist zu dem, was die Menschheit eigentlich auszeichnet, und ihren wahren Unterscheidungs-Charakter bildet, unfähig; du bist nicht mehr als ein Thier. Ich lasse ihn bei diesem Gedanken; und sage ihm dadurch: du bist unfähig über dergleichen Gegenstände zu urtheilen, und unwürdig, dass man dich darüber urtheilen lehre; dergleichen Gegenstände sind für dich gar nicht vorhanden; und ich mache ihn dadurch zum blossen Thiere. – Ich konnte, nachdem man wissen muss, dass diese Beschuldigung zu meinen Ohren gelangt, nicht stilleschweigen, ohne eine Verachtung gegen mein Zeitalter zur Schau auszulegen, die ich nicht empfinde, und welche zu empfinden, mir mein Gewissen verbieten würde.

Ich konnte nicht stillschweigen, ohne meinen ganzen Wirkungskreis[194] aufzugeben. Ich bin Professor an der Landesuniversität mehrerer Herzogthümer, deren Akademie auch von Ausländern zahlreich besucht wird; ich bin philosophischer Schriftsteller, der einige neue Ideen in das Publicum bringen zu können glaubt. Es müsste in Deutschland alle Achtung für das Heilige völlig verloschen, und unsere Nation müsste wirklich seyn wessen jene mich zeihen, wenn nicht die christlichen Fürsten, welche die Hoffnung ihrer Länder, die Väter und Mütter, welche ihre Söhne auf dieser Akademie wissen, alle, welche angefangen meine Philosophie zu studiren, ohne sie auf den Grund zu kennen, in ihrem Innern erbebten; wenn von nun an meine Person und meine Schriften nicht geflohen würden, wie verpestete. Wer mir sagt, du bist ein Atheist, lähmt und vernichtet mich unwiederbringlich, wenn er Glauben findet. Ich bin jenen Erschrockenen Beruhigung, ich bin mir selbst Vertheidigung meines Wirkungskreises schuldig. Geduldig mich lähmen zu lassen, verbietet mir die Pflicht.

Ich konnte zu dieser Beschuldigung nicht stillschweigen, ohne mich politischen Folgen, ohne mich der sichtbarsten Gefahr für meine bürgerliche Existenz, für meine Freiheit, vielleicht für mein Leben, auszusetzen. Jenes Verbot ist nicht wie so manches andere Verbot durch das Ungefähr aus einem Loostopfe herausgezogen worden; es ist die Folge eines durchdachten, und langsam und bedächtig ausgeführten Plans. Von geheimen Intriguen und Stadtgeschwätz zwar nimmt der rechtliche Mann keine Notiz; nachdem sie aber eine öffentliche Begebenheit veranlasst haben, ist es Zeit, auch sie selbst der Publicität zu übergeben, damit jedes Ereigniss in seinem Zusammenhange erscheine. Also – es ist mir sehr wohl bekannt gewesen, dass schon seit einem Vierteljahre und darüber die Partei, welche es für Gottesdienst halten würde, mich zu verfolgen, in demjenigen ihrer berühmten Sitze, der mir am nächsten liegt, über jenen Aufsatz berathschlagt, gemurmelt, gescholten, gepoltert hat; anfangs weniger laut, dann, durch die in Geheim angeworbene Beistimmung dreistgemacht, lauter und entscheidender. Für aufgeklärt, für wohldenkend bekannte[195] Theologen haben geäussert: dass sie nicht wissen würden, was sie von meiner Landesobrigkeit ferner zu denken hätten, wenn ich dasmal nicht abgesetzt würde. Andere haben, auf den Fan, dass sie in dieser Hoffnung doch sich täuschten, vom Reichsfiscal und Reichstage gesprochen. Der erste Schritt, den sie auf ihrem Wege zu thun hatten, ist gelungen; sie haben ein öffentliches Verbot jenes Journals, eine öffentliche Rüge jenes Aufsatzes, als eines atheistischen, sich zu verschaffen gewusst. Ich darf nicht hoffen, dass diese Helden mit dem ersten Siege sich begnügen, und auf dem errungenen Lorbeer ruhen werden. Ich müsste sie nicht kennen, oder sie werden, so man sie nicht bei Zeiten entkräftet, alle die angekündigten Schritte thun, so wie sie den ersten gethan haben, und nicht ruhen, bis ihr Ziel erreicht ist. Sie haben ihren ganzen Grimm und allen Schimpf, den sie vor der Hand, mit jenem Verbote ausgerüstet, mir anthun konnten, erschöpft: sie haben ihn übertrieben, und ein Verbot, das nur auf das erste Heft des Journals geht, auch auf das zweite öffentlich, und durch geheime Intriguen auf das ganze Journal ausgedehnt. – Vanini zog aus dem Scheiterhaufen, auf welchem er soeben als Atheist verbrannt werden sollte, einen Strohhalm, und sagte: wär' ich so unglücklich, an dem Daseyn Gottes zu zweifeln, so würde dieser Strohhalm mich überzeugen. Armer Vanini, dass du nicht laut reden konntest, ehe du an diesen Platz kamest! Ich will es thun, Doch ehe mein Scheiterhaufen gebaut ist; ich will, so lange ich mir noch Gehör zu verschaffen hoffen kann, so laut, so warm, so kräftig sprechen, als ich es vermag. Dies zu thun, gebietet mir die Pflicht. Ich will ruhig erwarten, welche Wirkung es haben wird. Diese Ruhe giebt mir mein Glaube.

Der Erfolg für meine Person ist mir ganz gleichgültig. Ich weiss es, und fühle es mit herzerhebender Gewalt, meine Sache ist die gute Sache, aber an meiner Person ist nichts gelegen. Unterliege ich in diesem Kampfe, so bin ich zu frühe gekommen, und es ist der Wille Gottes, dass ich unterliegen sollte; Er hat der Diener mehrere, und er wird, wenn seine[196] Zeit kommt, die Sache, die seine eigene Sache ist, ohne allen Zweifel siegen lassen. Wann er dies thun wird, und ob durch mich oder einen andern, davon weiss ich nichts und soll ich nichts wissen: nur so viel weiss ich, dass ich auch meine Person vertheidigen muss, so lange ich kann, indem für mich der Sieg der guten Sache allerdings auch an die Thätigkeit dieser Person mit geknüpft ist. Aber selbst, wenn ich gewiss wissen könnte, dass ich bestimmt sey, die unzähligen Opfer, welche schon für die Wahrheit fielen, um Eines zu vermehren, so müsste ich doch noch meine letzte Kraft aufbieten, um Grundsätze in das Publicum bringen zu helfen, welche wenigstens diejenigen sichern und retten könnten, die nach mir dieselbe Sache vertheidigen werden. Unter den Ruinen der Wahrheitsmärtyrer hat von jeher höhere Freiheit und Sicherheit für die Wahrheit gekeimt. In einem jeden Zeitalter ist die grössere Menge unwissend, verblendet und gegen neue Belehrungen verstockt. Jedes Zeitalter würde das Verfahren der vorhergehenden gegen diejenigen, welche alte Irrthümer bestreiten, in allen Stücken nachahmen; wenn man sich doch nicht zuweilen schämte, selbst zu thun, was man nur soeben an den Vorfahren laut gemisbilligt hat. Die Zeitgenossen Jesu errichteten den Propheten Denkmäler, und sagten: wären sie in unseren Tagen gekommen, wir hätten sie nicht getödtet; und so thut bis auf diesen Augenblick jedes Zeitalter an den Märtyrern der vorhergehenden. Jedes hat darin ganz recht, dass es dieselben Personen, wenn sie wiederkämen, nicht verfolgen würde, indem diese ja nun grösstentheils ihre untrüglichen Heiligen geworden sind; sie verfolgen jetzt nur die, welche jene nicht für untrüglich anerkennen wollen; aber darin muss man ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie es doch allmählig mit mehrerer Bedenklichkeit und mit besserem Anstande thun lernen.

War es je nothwendig, dergleichen Grundsätze zur Vertheidigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in das Publicum zu bringen, so ist es gegenwärtig dringende Nothwendigkeit. Vertheidigen wir nicht jetzt, nicht auf der Stelle unsere[197] Geistesfreiheit, so möchte es gar bald zu spät seyn. Man unterdrückt den freien Forschungstrieb nicht etwa mehr, wie es ehemals geschah, hier und da, so wie es die augenblickliche Laune gebietet; man thut es aus Grundsätzen, und verfährt systematisch. Welcher ist unter meinen Lesern, der nicht den durch das Unglück der Zeiten herbeigeführten Grundsatz behaupten, predigen, einschärfen gehört habe: Freiheit der eigenen Untersuchung gefährdet die Sicherheit der Staaten; Selbstdenken ist die Quelle aller bürgerlichen Unruhen; hier, hier ist die Stelle, wo man das Uebel mit der Wurzel ausrotten kann? Die einzige untrügliche Wahrheit, über die kein menschlicher Geist hinauskann, die keiner weitern Prüfung, Erläuterung oder Auseinandersetzung bedarf, ist schon längst fertig; sie liegt aufbewahrt in gewissen Glaubensbekenntnissen; das Geschäft des Selbstdenkens ist schon längst für das Menschengeschlecht geschlossen: – so muss man sprechen. Diese Wahrheit auswendig zu lernen, sie unverändert zu wiederholen, und immer zu wiederholen, darauf muss man alle Geistesbeschäftigung einschränken; dann stehen die Throne fest, die Altäre wanken nicht, und kein Heller geht an den Stolgebühren verloren. – Diesen Grundsatz auszuführen, schicken sie sich jetzt ernstlicher als je an. Für den Anfang musste, um die Laulichkeit des Zeitalters aufzuschrecken, ein grosses, die Ohren gehörig füllendes Wort, das des Atheismus gewählt, und dem Publicum das selten zu erlebende Schauspiel einiger Gottesläugner gegeben werden. Wie gerufen fiel gerade ich mit meinem Aufsatze ihnen unter die Hände. Man lasse sie nur erst mit mir fertig seyn, sie werden dann allmählig schon weiter schreiten; und vor dem Ende eines Jahrzehends wird über die geringste Abweichung von der geringsten Phrase in der Concordienformel kein kleineres Aufheben gemacht werden, als jetzt über meinen vermeinten Atheismus.

Es könnten daher zwar wohlmeinende, aber mit dem menschlichen Herzen und ihrem Zeitalter sicherlich unbekannte, oder leichtsinnige und eines ernsthaften Nachdenkens unfähige Leser seyn, welche mit dem Einwurf meine Schrift in die Hand nähmen, mit dem Einwurfe sie fortläsen dass ich einer geringfügigen[198] Sache eine zu grosse Wichtigkeit gäbe, und viel Lärmens erhöbe über wenig oder nichts. Abgerechnet, dass ohne alle Rücksicht auf die Umstände die Beschuldigung der Gottlosigkeit schlechterdings nicht für geringfügig aufgenommen werden darf, sind diesesmal die Umstände in der That so, dass meine ganze fernere Wirksamkeit, dass meine bürgerliche Sicherheit, dass die allgemeine Gewissensfreiheit sieh in Gefahr befindet. Schon jetzt, – ich schreibe dies einige und zwanzig Tage nach der Ausfertigung des Verbots – hat sie ohne mein Zuthun und Mitwissen eine misbilligende Stimme gegen meine Ankläger hören lassen; es würden, wenn ich auch beharrlich schwiege, deren mehrere sieh vernehmen lassen; denn die öffentliche, feierliche, aus einem hohen Regierungscollegio ausgehende Beschuldigung des Atheismus ist zu unerhört, zu ungeheuer; die Veranlassung dazu ist so offenbar und so gänzlich ohne Grund, und es sind denn doch noch nicht alle Exemplare meines Aufsalzes weggenommen, dass kein Mensch in ganz Deutschland mehr denselben mit dem deswegen ergangenen Rescripte vergleichen könnte. Meine Gegner werden sonach in kurzem zu ihrer eigenen Vertheidigung genöthiget seyn, fort zu intriguiren und zu kabaliren, ihre Partei gegen mich in Geheim zu verstärken, die Mächtigen gegen mich zu verhetzen, meine Worte so lange zu verdrehen, bis sie sagen, was sie wünschten, dass ich gesagt hätte, Lügen auf mich zu erdichten und herumzubieten; kurz mich völlig schwarz zu machen, damit sie neben mir ein wenig weisser erscheinen. Oder, wenn auch möglich wäre, was ich zur Ehre meines Zeitalters für unmöglich halte, dass keiner unter allen freien Denkern ein Wort zu meinem Besten sagte, und auf diese Weise meine Gegner von aussen nicht weiter gereizt würden; wenn möglich wäre, was ich für noch unmöglicher halte, dass sie selbst durch ihren Feuereifer von innen nicht weiter gereizt würden, und sich für diese Sache mit dem erhaltenen Triumphe begnügten: welches soll denn für die Zukunft unser beiderseitiges Verhältniss werden? – Ich habe in jenem Aufsatze, der meine Gegner gegen mich so erbittert hat, meine Grundsätze über Religion bloss angedeutet; es war ein Gelegenheitsaufsatz,[199] welchen ich der gleich nach ihm abgedruckten Schrift eines anderen philosophischen Schriftstellers zur Begleitung mitgeben zu müssen glaubte; ich muss meine Grundsätze noch weiter auseinandersetzen, noch tiefer begründen, noch eingreifender anwenden. Können sie ohne ihre vorhergehenden Lügen laut zu bekennen, zu diesem Unternehmen stillschweigen? müssen sie nicht, nachdem ich durch die gegenwärtig getroffene mildere Maassregel, wie sie sie nennen mögen, mich nicht warnen, ihr gelinderes Zuchtmittel nicht an mir anschlagen lassen; – müssen sie nicht nothwendig, um consequent zu er scheinen, zu härteren greifen, und alle jene Schritte, die sie schon so bestimmt angekündigt, einen nach dem andern, thun? Also, ich müsste über dergleichen Gegenstände in offenem Drucke ganz schweigen, wenn ich vor ihnen Friede haben sollte. – Aber nur über dergleichen Gegenstände? man würde sich sehr irren, wenn man glaubte, dass sie es nur mit meinem vermeinten Atheismus zu thun hätten: mit meiner ganzen Philosophie, mit aller neueren Philosophie haben sie es zu thun, und daran haben sie ganz recht, und zeigen, dass sie ihren wahren Feind wohl kennen; jener vorgebliche Atheismus ist nur Vorwand. Sie haben in der Freude des Herzens ihr Geheimniss verrathen, indem sie frohlockend ausgerufen: nun sähe man doch Gottlob endlich klar, worauf die neuere Philosophie hinauslaufe, auf puren Atheismus. Meine Philosophie, meine ganze Denkart ist durch sie nun einmal in allen ihren Theilen für eine Lehre erklärt, die nothwendig zum Atheismus führt, und sie können consequenterweise keinen einzigen Zweig derselben anders aufnehmen, als alle übrigen; was ich auch nur vorbringen mag, sind sie durch ihre Lage genöthigt zu verfolgen. Ich müsste sonach überhaupt nichts mehr drucken lassen, wenn ich vor ihnen Frieden haben sollte – Aber ist denn der Druck der einzige Weg, auf welchem ich meine Ueberzeugung mittheile? Bin ich nicht auch akademischer Docent? O sie haben sich das nicht entgehen lassen, denn noch gellen mir die Ohren von der oft gehörten Litanei es ist kläglich, wie viele junge Leute dieser Verführer in den Abgrund des Verderbens mit sich hineinzieht! Nachdem einmal[200] bekannt ist, dass sie es wissen, ich sey akademischer Docent, können sie nun, so gewiss man bei meiner Verfolgung sie vom Eifer für die Ehre Gottes und für die Wohlfahrt des Nächsten getrieben glauben soll – sie können nicht ruhen, bis meine Stimme ebenso auf dem Katheder, als in öffentlichen Schriften verstummt ist. – Aber man bleibt doch in der Gesellschaft; man kann doch durch Unterredungen zwar nicht mehr ganze Haufen von Seelen, aber denn doch immer Seelen verführen, und ihr Wächteramt erstreckt sich auf die Erhaltung aller. Sie müssen sonach nothwendig, wenn sie consequent sind, mich sogar aus der menschlichen Gesellschaft vertreiben; und nun erst könnten sie nach ihren Grundsätzen vernünftigerweise ruhen. Also, wenn auch der unerwarteteste Zusammenfluss von Umständen, und eine noch weniger zu erwartende Milde meiner Gegner es ihnen möglich machte, das Vergangene zu verzeihen, so ist doch ihre Ehre, ihre Würde, ihr ganzes äusserliches Ansehen, die Möglichkeit ihrer inneren Selbsttäuschung, unauflöslich daran gebunden, mir nur auf diese Bedingung zu verzeihen, dass ich vom literarischen Schauplatze und dem der Gesellschaft gänzlich verschwinde. In dieses Verhältniss mit einer zahlreichen, kühnen, politisch geltenden Partei gekommen zu seyn, – wer möchte dieses für geringfügig, und für eine Begebenheit halten, bei der man ruhig seyn und zusehen könnte?

Wer möchte meine Vorhersagung und Befürchtung für übertrieben halten, wenn er sich nur einen Augenblick an die Erfahrung der vorigen Zeilen erinnert? Auch da hob man nicht, weder in den älteren Zeiten beim Verbrennen, noch in den neueren bei der Vertreibung vom Amt, Haus und Hof durch den Reichsfiscal, an. Das erste waren immer Confiscationsbefehle, und selten so geschärfte, als gegen unser Journal ergangen; dass die Schrift atheistisch genannt worden, dass man den Debit derselben bei Geld- und Gefängniss- – ich sage Gefängnisstrafe, verboten hätte. Hätten die unglücklichen Opfer der Wahrheit die ersten Angriffe ihrer Gegner nicht so gleichgültig behandelt, hätten sie nicht von ihnen erwartet, was man von Feinden der Wahrheit nie erwarten muss,[201] Menschlichkeit und Vernunft – es wäre wohl mit den wenigsten so weit gekommen, als es kam. Bahrdt, auch im übrigen wenig werth, für die Wahrheit zu leiden, verdarb sich durch seinen Leichtsinn; Lessing widerstand unter dem Schutze eines grossmüthigen und aufgeklärten Fürsten kräftig seinem unbarmherzigen Ankläger Gör, der auch vom Reichsfiscal redete, und seine Gegner schämten sich und verstummten.

Also – vertheidigen muss ich mich, jetzt da es noch Zeit ist, und ich will mich vertheidigen.


I.

Meine Lehre ist atheistisch, sagen sie. Was enthält denn nun eigentlich diese atheistische Lehre, und was wird insbesondere in jenem verschrienen Aufsatze über Religion und Glauben an Gott behauptet?

Ich hätte der Strenge nach zu meiner Vertheidigung nichts weiter zu thun, als jenen Aufsatz noch einmal abdrucken zu lassen, und um ein nicht unaufmerksames Lesen desselben zu bitten. Er enthält seine Vertheidigung ganz in sich selbst, und ich kann auch jetzt nichts neues hinzusetzen. Ich will das dort gesagte bloss auf eine andere Art sagen, weil ich in jenem Journale für ein philosophisches, hier für ein gemischtes Publicum rede.

Was ist wahr; was ist gut? – Die Beantwortung dieser Fragen, die jedes philosophische System beabsichtigen muss, ist auch das Ziel des meinigen. Dieses System behauptet zuvörderst gegen diejenigen, welche alles Gewisse in der menschlichen Erkenntniss läugnen, dass es etwas absolut wahres und gutes gebe. Es zeigt gegen diejenigen, welche unsere gesammte Erkenntniss aus der Beschaffenheit unabhängig von uns vorhandener Dinge erklären wollen, dass es nur insofern Dinge für uns giebt, als wir uns derselben bewusst sind, und wir sonach mit unserer Erklärung des Bewusstseyns zu den von uns unabhängig, vorhandenen Dingen nie gelangen können. Es behauptet – und darin besteht sein Wesen, – dass durch den Grundcharakter und die ursprüngliche Anlage der Menschheit überhaupt eine bestimmte Denkart festgesetzt sey,[202] die zwar nicht nothwendig bei jedem einzelnen in der Wirklichkeit sich finde, auch sich ihm nicht andemonstriren lasse, wohl aber einem jeden schlechterdings angemuthet werden könne. Es gebe etwas den freien Flug des Denkens anhaltendes und bindendes, bei welchem jeder Mensch sich beruhigen müsse; welches in unserer eigenen Natur, aber freilich ausserhalb des Denkens selbst, liege; indem, was das letztere betrifft, dem Skepticismus die absolute Unaufhaltsamkeit der Speculation durch ihre eigenen Gesetze vollkommen zuzugeben sey. Es ist in dieser Rücksicht in jenem verrufenen Aufsatze (Seite 182.) gesagt worden: »hier (bei dem Bewusstseyn meiner moralischen Bestimmung) liegt dasjenige, was dem sonst ungezähmten Fluge des Räsonnements seine Grenzen setzt, was den Geist bindet, weil es das Herz bindet; hier der Punct, der Denken und Wollen in Eins vereinigt, und Harmonie in mein Wesen bringt. Ich könnte an und für sich wohl weiter, wenn ich mich in Widerspruch mit mir selbst versetzen wollte; denn es giebt für das Räsonnement keine immanente Grenze in ihm selbst, es geht frei heraus ins Unendliche, und muss es können, denn ich bin frei in allen meinen Aeusserungen, und nur ich selbst kann mir eine Grenze setzen durch den Willen.«

Jenes, unser freies Denken Bindende, unsere Vorstellung in eine Erkenntniss Verwandelnde, und durch das ganze Gebiet unsers Bewusstseyns Gewissheit Verbreitende sucht unsere Philosophie, und findet hierüber folgendes:

Es drängt sich öfters unter den Geschäften und Freuden des Lebens aus der Brust eines jeden nur nicht ganz unedlen Menschen der Seufzer: unmöglich kann ein solches Leben meine wahre Bestimmung seyn, es muss, o es muss noch einen ganz andern Zustand für mich geben! Ein heiliger Mann sagt dies mit besonderer Stärke: sogar die Creatur möchte sich sehnen mit uns, und seufzen immerdar, dass sie frei werde vom Dienste der Eitelkeit, dem sie unterworfen ist wider ihren Willen. Sage man es, wie man wolle, dieser Ueberdruss an dem Vergänglichen, dieses Sehnen Dach einem Höheren, Besseren und Unvergänglichen liegt unaustilgbar im Gemüthe des Menschen.[203]

Ebenso unaustilgbar ertönt in ihm die Stimme, dass etwas Pflicht sey und Schuldigkeit, und lediglich darum, weil es Schuldigkeit ist, gethan werden müsse. Ergehe es mir auch, wie es immer wolle, sagt dann der in sich zurückgetriebene Mensch, ich will meine Pflicht thun, um mir nichts vorzuwerfen zu haben. Durch diese Ansicht allein wird ihm das an sich zum Ekel gewordene menschliche Thun und Treiben wieder erträglich. Die Pflicht gebeut nun einmal, sagt er sich, dass ich dieses Leben fortführe, und in ihm frisch und fröhlich vollbringe, was mir vor die Hand kommt; und so wenig Werth auch dieses Leben um sein selbst willen für mich hat, so soll es mir doch um der Pflicht willen heilig seyn.

Die Stimmung bei dem Bewusstseyn des Vorsatzes, unsere Schuldigkeit zu thun, weil es Schuldigkeit ist, deutet uns jenes wunderbare Sehnen. Indem man die Pflicht schlechthin um ihrer selbst willen erfüllt, erhebt man sich über alle sinnliche Antriebe, Absichten und Endzwecke; man thut etwas, nicht damit dies oder jenes in der Welterfolge, sondern bloss und lediglich, damit es selbst geschehe, und der Stimme in unserm Innern Gehorsam geleistet werde. Durch dieses Bewusstseyn wird nun zwar jenes Sehnen nicht befriedigt, aber doch das schmerzhafte Gefühl, mit welchem es sich äusserte, gehoben; man erhält nicht Ausfüllung seines Strebens, aber doch Ruhe und inneren Frieden. Jenes Sehnen heischt Befreiung von den Banden der Sinnlichkeit überhaupt, in unserem ganzen Zustande, von dem uns die Vollbringung der Pflicht in Rücksicht unseres Handelns wirklich befreiet. Durch jene Anlage in unserm Wesen eröffnet sich uns eine ganz neue Welt. Ohne dieselbe geht alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens lediglich auf sinnlichen Genuss, höchstens auf Herrschaft unseres unbedingten Eigenwillens; sonach immer auf etwas in der äusseren Erfahrung gegebenes, und vom Zufalle abhängendes. Durch sie erhalten wir eine höhere Existenz, die von der ganzen Natur unabhängig und lediglich in uns selbst gegründet ist; durch sie kommen wir in eine Reihe hinein, die sehr schicklich eine übersinnliche genannt wird.

An jenes Bewusstseyn nun, unsere Pflicht um ihrer selbst[204] willen gethan zu haben, knüpft unmittelbar sich ein neues an: die unerschütterliche Zuversicht, dass man durch Befreiung seines Willens von der Sinnlichkeit der Befreiung von derselben in Absicht seines ganzen Zustandes wenigstens würdig werde, und dass, nachdem man nur gethan hat, was von uns abhing, das, was nicht in unserer Gewalt steht, von selbst sich allmählig einfinden werde.

Dieses Bewusstseyn einer höheren, über alle Sinnlichkeit erhabenen Bestimmung, eines absolut pflichtmässigen, eines nothwendigen Zusammenhanges der Erfüllung des letzteren mit der Würdigkeit und der allmähligen Erreichung der ersteren, welches jeder gebildete Mensch in sich finden wird, kann aus keiner Erfahrung hervorgehen; denn es erhebt uns ja über alle Erfahrung. Wir müssen es in unserem eigenen von aller Erfahrung unabhängigen Wesen finden; wir müssen es unmittelbar dadurch wissen, dass wir von uns selbst wissen. Es ist so gewiss, als unser eigenes Daseyn, und von nichts abhängig als von diesem Daseyn selbst.

Dieses Bewusstseyn, welches in der Selbstbeobachtung gleichsam abgebrochen, jedes der genannten Stücke einzeln als ein besonderes Factum in uns vorkommt, wird durch mein System in einen nothwendigen Zusammenhang gesetzt. Es ist, zeigt dieses System, der zwar zu keiner Zeit zu erreichende, jedoch unaufhörlich zu befördernde Zweck unseres ganzen Daseyns und alles unseres Handelns, dass das Vernunftwesen absolut und ganz frei, selbstständig und unabhängig werde von allem, das nicht selbst Vernunft ist. Die Vernunft soll ihr selbst genügen. Diese unsere Bestimmung kündigt sich uns eben an durch jenes Sehnen, das durch kein endliches Gut zu befriedigen ist. Diesen Zweck sollen wir schlechthin, müssen wir schlechthin, wenn wir uns selbst treu bleiben wollen, uns setzen. Was wir unseres Orts zu thun haben, um denselben zu befördern, und inwieweit seine Erreichung von uns abhängt, lehrt uns gleichfalls die unmittelbar gebietende, unaustilgbare und untrügliche innere Stimme des Gewissens. Das Gewissen ist es, das in jeder Lage des Lebens, wenn wir nur dasselbe befragen, uns entscheidend sagt, was in dieser Lage[205] unsere Pflicht sey, das heisst, was wir in derselben zur Beförderung jenes Zweckes aller Vernunft beizutragen haben. Wir müssen schlechthin jenen Zweck wollen, dies ist die einige unabänderliche Bestimmung unseres Willens; – die besondere, durch Zeit und Lage bestimmte Pflicht, ohnerachtet sie im gemeinen Bewusstseyn als etwas unmittelbares erscheint, wollen wir doch nur, wie sich bei einer gründlichen philosophischen Untersuchung des gesammten Bewusstseyns ergiebt, als Theil und als Mittel jenes Endzwecks. – Hieraus erklärt sich auch die unerschütterliche Zuversicht dessen, der um des Gewissens willen recht thut, dass er der Erfüllung seines Zweckes sich annähere. Er fühlt unwiderstehlich, wenn er es sich auch nicht bis zum deutlichen Denken entwickeln sollte, dass jene Gesinnung eben die Bedingung und das Mittel sey zu seiner Befriedigung und Befreiung, und dass er durch dieselbe schon eintrete in die Reihe, die sein unaustilgbares Sehnen fordert. – Ich will jene absolute Selbstgenügsamkeit der Vernunft, jene gänzliche Befreiung von aller Abhängigkeit. Seligkeit nennen; unter welchem Worte ich ausdrücklich das Beschriebene, und schlechterdings nicht irgend einen Genuss, von welcher Art er auch sey, verstanden wissen will.

Und nun lässt der behauptete Zusammenhang sich so beschreiben: Ich will nothwendig meine Seligkeit, nicht als einen Zustand des Genusses, sondern als den der mir zukommenden Würde; nicht weil ich die Seligkeit begehre, sondern weil sie dem vernünftigen Wesen schlechterdings gebühret; und ich kann diese Forderung nicht aufgeben, ohne mich selbst, ohne mein wahres Seyn aufzugeben, und mich für einen leeren Schein und für ein Truggebilde zu halten. Als das einzige, aber untrügliche Mittel der Seligkeit zeigt mir mein Gewissen die Erfüllung der Pflicht; nicht, dass nur überhaupt das Pflichtmässige geschehe, sondern das es lediglich um der Pflicht willen geschehe. An dieser unmittelbar in meinem Innern aufgestellten Heilsordnung kann ich abermals nicht zweifeln, ohne mich selbst aufzugeben; ohnerachtet ich freilich nicht begreife, auch nicht zu begreifen bedarf, wie und auf welche Weise jene pflichtmässige Gesinnung mich zu meinem nothwendigen[206] Zwecke führen möge. Kurz, es ist so, es ist schlechthin so, es ist ohne allen Beweis so; ich weiss es unmittelbar, so gewiss als ich irgend etwas weiss, und so gewiss als ich von mir selbst weiss. Es dringt sich mir auf der unerschütterliche Glaube, dass es eine Regel und feste Ordnung gebe – ich Sterblicher bin wohl genöthiget, das Uebersinnliche durch Begriffe, die von der Sinnenwelt hergenommen sind, zu denken – dass es eine feste Ordnung gebe, nach welcher nothwendig die reine moralische Denkart selig mache, sowie die sinnliche und fleischliche unausbleiblich um alle Seligkeit bringe; eine Ordnung, welche mir unerklärlich ist, und der mir allein bekannten Ordnung in der Sinnenwelt geradezu entgegen, – indem in der letzten der Erfolg davon abhängt, was geschieht, in der ersteren davon, aus welcher Gesinnung es geschieht; eine Ordnung, in welcher alle sinnliche Wesen begriffen, auf die Moralität aller, und vermittelst derselben auf aller Seligkeit gerechnet ist; eine Ordnung, deren Glied ich selbst bin, und aus welcher hervorgeht, dass ich gerade an dieser Stelle in dem Systeme des Ganzen stehe, gerade in die Lage komme, in welcher es Pflicht wird, so oder so zu handeln, ohne Klügelei über die Folgen, indem gar nicht auf Folgen in der sichtbaren, sondern in der unsichtbaren und ewigen Welt gerechnet ist, welche, vermittelst jener Ordnung, zufolge des untrüglichen Ausspruchs in meinem Innern, nicht anders als selig seyn können. »Indem ich jenen durch mein eigenes Wesen mir gesetzten Zweck (der Seligkeit) ergreife, – sage ich darüber in dem verrufenen Aufsatze (Seite 183.) – und ihn zu dem meines wirklichen Handelns mache, setze ich zugleich die Ausführung desselben durch wirkliches Handeln als möglich. Beide Sätze sind identisch; denn, ich setze mir etwas als Zweck vor, heisst: ich setze es in irgend einer zukünftigen Zeit als wirklich; in der Wirklichkeit aber wird die Möglichkeit nothwendig mitgesetzt. Ich muss, wenn ich nicht mein eigenes Wesen verläugnen will, das erste, die Ausführung jenes Zweckes mir vorsetzen; ich muss sonach auch das zweite, seine Ausführbarkeit annehmen: ja es ist eigentlich hier nicht ein erstes, und ein zweites, sondern es ist[207] absolut Eins; beides sind in der That nicht zwei Acte, sondern ein und ebenderselbe untheilbare Act des Gemüths.«

Das der Mensch, der die Würde seiner Vernunft behauptet, auf den Glauben an diese Ordnung einer moralischen Welt, dieses Uebersinnliche, über alles Vergängliche unendlich erhabene Göttliche, sich stütze, jede seiner Pflichten betrachte als eine Verfügung jener Ordnung, jede Folge derselben für gut, d. i. für seligmachend halte, und freudig sich ihr unterwerfe, ist absolut nothwendig und das wesentliche der Religion. Dass er die verschiedenen Beziehungen jener Ordnung auf sich und sein Handeln, wenn er mit anderen davon zu reden hat, in dem Begriffe eines existirenden Wesens zusammenfasse und fixire, dass er vielleicht Gott nennt, ist die Folge der Endlichkeit seines Verstandes; aber unschädlich, wenn er jenen Begriff nur zu weiter nichts benutzt, als eben zu diesem Zusammenfassen der unmittelbar in seinem Innern sich offenbarenden Verhältnisse einer übersinnlichen Welt zu ihm. Er thut dann nichts anderes, als was wir alle thun, indem wir gewisse Bestimmungen unseres Gefühls in dem Begriffe einer ausser uns vorhandenen Kälte oder Wärme zusammenfassen; ohnerachtet wohl kein Vernünftiger behaupten wird, dass für ihn eine solche Wärme und Kälte unabhängig von diesen Beziehungen auf sein Gefühl vorhanden sey. Die Beziehung jener Gedanken-Dinge auf unser sinnliches, – die Beziehung einer übernatürlichen Weltordnung auf unser sittliches Gefühl, ist das erste schlechthin unmittelbare; der Begriff entsteht später und ist durch das erste vermittelt. Es ist im ersten Falle Schwäche des Kopfes, es ist im zweiten Falle Schwäche des Herzens, das Verhältniss zu ändern, und das Gefühl vom Begriffe abhängig machen zu wollen. Wer nicht eher glauben wollte, dass er friere oder erwärme, bis man ihm ein Stück reine substantielle Kälte oder Wärme zum Zerlegen in die Hände geben könnte, über diesen würde ohne Zweifel jeder Vernünftige lächeln; wer aber einen auch nur im mindesten ohne Beziehung auf unsere moralische Natur entworfenen, und von ihr im kleinsten Stücke unabhängigen Begriff vom Wesen Gottes verlangt, der hat Gott nie erkannt, und ist entfremdet von dem Leben,[208] das aus ihm ist. Ich werde diese letztere Behauptung tiefer unten, sonnenklar, wie ich hoffe, erweisen.

Moralität und Religion sind absolut Eins; beides ein Ergreifen des Uebersinnlichen, das erste durch Thun, das zweite durch Glauben. Hat es irgendwo der Menschheit geschadet, eine durch die Philosophie gemachte Distinction der Ansicht für eine wirkliche Unterscheidung der Sachen zu halten, so war es hier. Religion ohne Moralität ist Aberglaube, die den Unglückseligen mit einer falschen Hoffnung betrügt, und ihn zu aller Besserung, unfähig macht. Vorgebliche Moralität ohne Religion mag wohl ein äusserer ehrbarer Lebenswandel seyn, da man das, was recht ist, thut, und das Böse meidet, aus Furcht vor den Folgen in der Sinnenwelt; nimmermehr aber das Gute liebt, und es um sein selbst willen vollzieht. Aber sobald man sich zum Wollen der Pflicht, schlechthin weil sie Pflicht ist, erhebt, zu einem Wollen, das keine sinnliche Triebfedern hat, sondern nur das Uebersinnliche des Gedankens, und dem es schlechthin nicht um das Object der That, sondern um das Uebersinnliche der Gesinnung zu thun ist, – also durch seine Denkart sich selbst in eine andere Welt versetzt; dringt sich uns sogleich unwiderstehlich der Geist und die Gewissheit dieser anderen Welt auf; die Befreiung des Willens, welche wir uns selbst verschaffen, wird uns Mittel und Unterpfand einer Befreiung unseres ganzen Seyns, welche wir uns selbst nicht verschaffen können. – Diejenigen, welche sagen: die Pflicht muss schlechthin, ohne Rücksicht auf irgend einen Zweck geschehen, drücken sich nicht genau aus. Abgerechnet, dass sie in ihren Philosophien nimmermehr werden erklären können, woher denn dem bloss formalen Sittengebote ein materieller Inhalt entstehe – welches, als eine Schwierigkeit des Systems, nur für innige Kenner der Philosophie angemerkt wird; – dies abgerechnet, verkennen sie gänzlich die Denkart des endlichen Wesens. Es ist schlechthin unmöglich, das der Mensch ohne Aussicht auf einen Zweck handele. Indem er sich zum Handeln bestimmt, entsteht ihm der Begriff eines Zukünftigen, das aus seinem Handeln folgen werde, und dies eben ist der Zweckbegriff. Jener durch die[209] pflichtmässige Gesinnung zu erreichende Zweck ist nur kein Genuss, – das wollen sie sagen, und darin haben sie recht; er ist die Behauptung der der Vernunft gebührenden Würde. Welche sagen: selbst wenn jemand an Gott und Unsterblichkeit verzweifelte, müsste er dennoch seine Pflicht thun, setzen absolut unvereinbare Dinge zusammen. Erzeuge nur in dir die pflichtmässige Gesinnung, und du wirst Gott erkennen, und während du uns anderen noch in der Sinnenwelt erscheinst, für dich selbst schon hienieden im ewigen Leben dich befinden. Darin aber haben sie abermals recht, das die pflichtmässige Gesinnung sich nicht auf den Glauben an Gott und Unsterblichkeit, sondern dass umgekehrt der Glaube an Gott und Unsterblichkeit auf die pflichtmässige Gesinnung sich gründet.

Man kann jedem, welcher nur der wahren Speculation und einer anhaltenden Aufmerksamkeit fähig ist, leicht und klärlich darthun, dass unsere gesammte Erfahrung nichts ist, als das Product unseres Vorstellens. Consequente Idealisten haben dies von jeher angenommen, und bis diesen Augenblick gründet der sich selbst verstehende und durchgeführte Skeptizismus sich auf die sehr wahre Behauptung, das es nichts Bindendes für das freie Vorstellen gebe. Was ist es denn nun, das, zufolge des gemeinen Bewusstseyns uns dennoch bindet; das da macht, dass wir unsere eigenen Producte für von uns unabhängige Dinge halten, unsere eigenen Geschöpfe fürchten, bewundern, begehren, und unser Schicksal von einem Schein abhängig glauben, den ein einziger Hauch des freien Wesens zerstören sollte? Das Uebersinnliche, dessen Wiederschein in uns unsere Sinnenwelt ist, – dieses ist es, welches uns hält und zwingt, auch seinem Wiederscheine Realität beizumessen: dies ist das wahre »Ansich«, das aller Erscheinung zum Grunde liegt; und nicht auf die Erscheinung, sondern nur auf ihren übersinnlichen Grund geht unser Glaube. Meine sittliche Bestimmung, und was mit dem Bewusstseyn derselben verknüpft ist, ist das einzige unmittelbar Gewisse, das mir gegeben wird, sowie ich mir selbst gegeben werde, das einzige, welches mir selbst für mich Realität giebt. Auch wenn ich mir jener hohen[210] Bestimmung nicht deutlich bewusst würde, und noch weniger sie zu erreichen arbeitete, so dauert denn doch die Anforderung, sie anzuerkennen, fort, und diese Anforderung allein ist es, die mir noch Leben und Daseyn giebt. Der gleichfalls unmittelbare Ausspruch meines Gewissens, was meine Pflicht sey, auch wenn ich nicht auf ihn höre, bestimmt mir mein Verhältniss in der Reihe anderer sittlicher Wesen; und dieses Verhältniss allein ist es, welches meinem sinnlichen Auge nach nachzuweisenden Gesetzen sich in eine Körperwelt verwandelt. Es giebt keine Gewissheit, als die moralische; und alles, was gewiss ist, ist es nur insofern, inwiefern es unser moralisches Verhältniss andeutet. – Ich sage hierüber in dem verrufenen Aufsatze (S. 184/85): »die ursprünglichen Schranken meines Wesens sind ihrer Entstehung nach allerdings unbegreiflich; aber was verschlägt dir auch dies, – sagt die praktische Philosophie; die Bedeutung derselben ist das klarste und gewisseste, was es giebt, sie sind deine bestimmte Stelle in der moralischen Ordnung der Dinge. Was du zufolge ihrer wahrnimmst, hat Realität, die einzige, die dich angeht, und die es für dich giebt; es ist die fortwährende Deutung des Pflichtgebots, der lebendige Ausdruck dessen, was du sollst, da du ja sollst. Unsere Welt ist das versinnlichte Materiale unserer Pflicht; dies ist das eigentlich Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist. Niemand kann ohne Vernichtung seine moralische Bestimmung so weit aufgeben, dass sie ihn nicht wenigstens noch in diesen Schranken für die künftige höhere Veredlung aufbewahre.«

Weit entfernt sonach, dass das Uebersinnliche ungewiss seyn sollte, ist es das einige gewisse, und alles andere ist nur um seinetwillen gewiss; weit entfernt, dass die Gewissheit des Uebersinnlichen aus der des Sinnlichen folgen sollte, folgt vielmehr umgekehrt die theoretische Nothwendigkeit, das letztere für existirend zu halten, und die moralische Verbindlichkeit, dasselbe als Mittel zu ehren, aus dem ersteren. Die übersinnliche[211] Welt ist unser Geburtsort, und unser einziger fester Standpunct; die sinnliche ist nur der Wiederschein der ersteren. Du glaubst nicht an Gott, weil du an die Welt glaubst, du erblickst vielmehr eine Welt, lediglich darum, weil du an Gott zu glauben bestimmt bist.

Nach allem ist meiner Lehre zufolge der Charakter des wahren Religiösen der: es ist nur Ein Wunsch, der seine Brust hebt und sein Leben begeistert, die Seligkeit aller vernünftigen Weser.. Dein Reich komme, ist sein Gebet. Ausser diesem Einen hat nicht das geringste für ihn Reiz; er ist der Möglichkeit, noch etwas anderes zu begehren, abgestorben. Er kennt nur Ein Mittel, jenen Zweck zu befördern, das, der Stimme seines Gewissens in allen seinen Handlungen unverrückt, ohne Furcht und Klügeln zu folgen. Das verknüpft ihn wiederum mit der Welt, nicht als einem Gegenstande des Genusses, sondern als mit der, durch sein Gewissen ihm angewiesenen Sphäre seines pflichtmäßigen Wirkens; er liebt die Welt nicht, aber er ehrt sie, um des Gewissens willen. Zweck wird sie ihm nie, in ihr hat er nie etwas zu beabsichtigen oder hervorzubringen, sondern nur durch sie, nach einem ihm unbegreiflichen und ihn nicht kümmernden Zusammenhange. Seine Absicht geht immer auf das Ewige, welches nie erscheint, das aber der untrüglichen Zusage in seinem Inneren zufolge sicherlich erreicht wird. Darum sind ihm auch die Folgen seiner pflichtmässigen Handlungen in der Welt der Erscheinungen völlig gleichgültig; wie sie auch scheinen mögen, an sich sind sie sicherlich gut; denn wo die Pflicht geübt wird, da geschieht der Wille des Ewigen, und dieser ist nothwendig gut. Nicht mein Wille, sondern Seiner geschehe, nicht mein Rath, sondern der Seinige gelle von statten, ist der Wunsch seines Lebens; und so verbreitet sich unerschütterliche Freudigkeit über sein ganzes Daseyn.

Dieser jedem Menschen anzumuthende Charakter kann nun, meinen Grundsätzen zufolge, nur dadurch entwickelt werden, dass man den Menschen vors erste nicht zur äusseren Ehrbarkeit, sondern zur inneren Rechtschaffenheit führe. Mit der letzteren, wenn sie nur wirkliche innere Rechtschaffenheit[212] ist, findet der wahre Glaube und die äussere Ehrbarkeit sich von selbst; ohne sie ist die äussere Ehrbarkeit eine innere Verkehrtheit, und die Religion ein verderblicher und den Menschen völlig zu Grunde richtender Aberglaube.


II.

Diese hier im Zusammenhange dargestellte, auch in meinen anderen Schriften, z.B. in meiner Sittenlehre enthaltene, in jenem verrufenen Aufsatze zwar nicht in derselben Sprache, der ich mich hier bediene, aber doch demselben Inhalte nach klar und vollständig vorgetragene Lehre – dieselbe und keine andere ist es, welche jene Atheismus nennen, deren Verbreitung sie bei Gefängnissstrafe verbieten, um deren willen sie mir Absetzung, und Vertreibung durch den Reichsfiscal drohen.

Ehe ich weiter gehe, frage ich jeden Leser, frage ich selbst meine unbarmherzigen Verfolger auf ihr Gewissen, ob sie im Ernste für gefährlich halten würden, dass alle Menschen in der Welt dem soeben aufgestellten Bilde meines Religiösen glichen; ob sie im Ernste glauben, dass sie sich werden entbrechen können, einen Menschen dieses Charakters zu verehren; – ich frage sie auf ihr Gewissen, ob sie nicht selbst dieser Mensch seyn möchten, wenn sie es durch ein plötzliches Wunder werden könnten? Ich frage jeden, der nur einigemale in das neue Testament geblickt hat! ob er da nichts von einer gänzlichen Wiedergeburt, als der ausschliessenden Bedingung unseres Heils, gefunden; nichts von einer Ertödtung des Fleisches, und einem Absterben der Welt, nichts von einem Leben im Himmel, ohnerachtet man sich noch in diesem Leibe befinde; ich frage ihn, ob diese Worte wohl einen Sinn haben, und welches dieser Sinn seyn möge?

Jedoch, so ist nun einmal die Sache, sie haben festgesetzt, dass diese Lehre atheistisch sey. Sie mögen ihre guten Gründe dafür haben. Ich mag sehen, wie ich diese Gründe entdecke.

O ich kenne die Partei, welche ein solches Verbot veranlassen konnte, und ihre Denkart zu wohl, als dass mir schwerfallen könnte, ihre Gründe zu errathen.[213]

Diese Gründe sind soeben in der gegebenen Darstellung enthalten. Nach mir ist die Beziehung der Gottheit auf uns, als sittliche Wesen, das unmittelbar gegebene; ein besonderes Seyn dieser Gottheit wird gedacht lediglich zufolge unseres endlichen Vorstellens, und in diesem Seyn liegt schlechthin nichts anderes, als jene unmittelbar gegebenen Beziehungen; nur dass sie darin in die Einheit des Begriffs zusammengefasst sind. Nach meinen Gegnern sollen jene Beziehungen der Gottheit auf uns erst gefolgert und abgeleitet seyn aus einer, unabhängig von diesen Beziehungen stattfindenden Erkenntniss des Wesens Gottes an und für sich; und in dieser Erkenntniss soll überdies noch, nach einigen mehr, nach anderen weniger, liegen, das gar keine Besiegung auf uns hat. Ich bekenne von Wärme oder Kälte nur dadurch zu wissen, dass ich wirklich erwärme oder friere; sie kennen, ohne je in ihrem Leben eine Empfindung von dieser Art gehabt zu haben, die Wärme und Kälte, als Dinge an sich, und bringen erst nun, zufolge dieser Erkenntniss, Frost oder Hitze in sich hervor durch die Kraft ihrer Syllogismen. Mein Unvermögen, dergleichen Syllogismen zu machen, ist es, was sie meinen Atheismus nennen.

Um zu dieser Erkenntniss des göttlichen Wesens, welche sie selbst keinesweges für eine unmittelbare Erkenntniss ausgeben, unabhängig von den Beziehungen der Gottheit auf uns, welche sie erst davon ableiten wollen, zu gelangen, müssen sie nothwendig Erkenntnissquellen haben, die mir verschlossen sind. So ist es; aus der Existenz und Beschaffenheit einer Sinnenwelt schliessen sie auf das Daseyn und die Eigenschaften Gottes. Eben indem man ihnen eine solche Existenz der Sinnenwelt, als unabhängig von unserer Vorstellung, und diese Vorstellung, als unabhängig von unserer sittlichen Bestimmung, geradezu abläugnet, machen sie diesen Schluss; beweisen sie aus dieser Existenz, anstatt, wie nun Noth thäte, sie selbst erst zu beweisen; und zur wohlverdienten Strafe ihrer Beweise im Cirkel bringen sie bei dieser Gelegenheit sehr unverständliche Lehren vor. Sie lassen entweder aus Nichts nicht nur Etwas und Viel, sondern Alles entstehen; oder sie lassen durch die blossen Begriffe einer reinen Intelligenz einen unabhängig[214] von denselben vorhandenen Stoff an sich geformt werden; fassen den Unendlichen in einen endlichen Begriff; und bewundern die Weisheit Gottes, dass er alles gerade so eingerichtet hat, wie sie selbst es auch gemacht hätten. Da ich hier nicht in die Tiefen der Speculation hinabzusteigen, sondern lediglich auf den unaustilgbaren sittlichen Sinn in jeder menschlichen Brust mich zu stützen habe, so will ich in diesem Aufsatze über eine solche Beweisart weiter kein Wort verlieren. – – Bloss folgender Wunsch an meine Gegner! Möchte es ihnen doch gefallen haben, bei dieser Gelegenheit das von mir erbetene erste verständliche Wort darüber vorzubringen, was das doch eigentlich heissen möge: Gott habe die Welt erschaffen, und wie man sich eine solche Schöpfung zu denken habe? – inwiefern nur von der wirklichen Welt, von der Sinnenwelt, nicht aber etwa von der sittlichen Ordnung der reinen geistigen Intelligenzen die Rede ist. Möge es ihnen noch gefallen; Möchten sie auf dieses erste verständliche Wort Preise aussetzen, doppelte, zehnfache Preise! So lange aber dieses einige Wort nicht vorgebracht wird, habe ich das Recht, dafür zu halten, dass man seinen gesunden Verstand verlieren müsse, um wie sie an Gott zu glauben; und dass mein Atheismus lediglich darin besteht, dass ich meinen Verstand gern behalten möchte.

Jedoch verhalte sich auch dies, wie es immer wolle, und mögen darin meine Gegner recht haben oder ich, so haben sie doch darin sicherlich unrecht, dass sie deshalb das Verbot meiner Schrift auswirkten. Ist es der einige Zweck der Religion, jenen rein religiösen Charakter zu bilden, den wir oben beschrieben haben, so ist alles, was auf diese Bildung keinen Einfluss hat, für gleichgültig zu achten. Aber es hat sicherlich darauf keinen Einfluss, wie man sich die lediglich philosophische Frage über den Entstehungsgrund dieses Glaubens im menschlichen Geiste beantworte. Der gemeine Verstand bleibt bei der Tatsache stehen, und überlässt das Erklären dem Philosophen. Es hat auf dieselbe sicherlich keinen Einfluss, ob man in sei nem Begriffe Merkmale von Gott mit aufnehme oder nicht, von denen ausdrücklich zugestanden[215] wird, dass sie keine Beziehung auf unsere sittliche Bestimmung haben. –

Sonach hätten meine Gegner gar nicht als Wächter über die Volksreligion, und als selbst Religiöse, sondern sie hätten lediglich als Philosophen, als meine philosophische Gegenpartei, das Verbot meiner Schrift ausgewirkt. Ueberlegen sie selbst, ob es für die Güte ihrer Sache und für ihren Muth ein günstiges Vorurtheil errege, dass sie lieber verbieten mögen, als widerlegen.

So steht die Sache, wenn sie mir nur zugeben, dass die von mir auseinandergesetzte moralische Ueberzeugung von einer göttlichen Weltregierung – möglich sey, und hinreichend für die Bildung einer ächtreligiösen Gesinnung. Geben sie mir dies nicht zu; behaupten sie vielmehr, dass der von ihnen angegebene Weg der Ueberzeugung nicht nur möglich, sondern auch der einzig mögliche sey, und dass ich ihnen mit ihrem unhaltbaren Beweise zugleich die Gottheit selbst geraubt habe, dann steht freilich unsere Sache anders: dann läugne ich ihren Gott in der That, dann bin ich wirklich für sie ein erklärter Atheist. – Ich kenne das System meiner Gegner von Grund aus; ich kenne es besser, als es viele unter ihnen selbst kennen, und weiss nur zu wohl, dass das letztere unser Fan ist; und dies nöthigt mich, noch ein wenig länger bei ihnen zu verweilen.

Ich sage (Seite 188 jenes Aufsatzes), dass der Begriff von Gott, als einer besonderen Substanz, ein unmöglicher und widersprechender Begriff sey. (Substanz nemlich bedeutet nothwendig ein im Raum und der Zeit sinnlich existirendes Wesen, aus Gründen, deren Anführung ich hier mich überheben kann; es ist für meinen gegenwärtigen Zweck genug, dass ich meinen philosophischen Sprachgebrauch erkläre.) Ich sage, dass der Beweis des Daseyns Gottes aus dem Daseyn einer Sinnenwelt unmöglich und widersprechend ist. Ich läugne sonach allerdings einen substantiellen, aus der Sinnenwelt abzuleitenden Gott. Dadurch nun, dass ich dies läugne, werde ich ihnen, ohnerachtet alles anderen, was ich über einen übersinnlichen Gott und über den moralischen Glaubensgrund bejahe, zum[216] Gottesläugner überhaupt. Was ich bejahe, ist sonach für sie nichts, absolut nichts: es giebt für sie überhaupt nichts anderes, als substantielles und sinnliches, sonach auch nur einen substantiellen und aus der Sinnenwelt abzuleitenden Gott. Zuförderst nun: warum giebt es für sie nichts anderes, und warum ist ihnen denn das Uebersinnliche nichts, für sie gar nicht, auch nicht seiner Möglichkeit nach, vorhanden? Das kann ich ihnen sagen. Die Sphäre unserer Erkenntniss wird bestimmt durch unser Herz; nur durch unser Streben umfassen wir, was je für uns daseyn wird. Jene bleiben mit ihrem Verstande bei dem sinnlichen Seyn stehen, weil ihr Herz durch dasselbe befriedigt wird; sie kennen nichts über dasselbe hinaus Liegendes, weil ihr Trieb nicht darüber hinausgeht. Sie sind Eudämonisten in der Sittenlehre, müssen sonach wohl Dogmatiker werden in der Speculation. Eudämonismus und Dogmatismus sind, wenn man nur consequent ist, nothwendig bei einander, ebenso wie Moralismus und Idealismus.

Dieser ihr substantieller und um der Sinnenwelt willen angenommener Gott, was ist er denn nun für ein Wesen? Dass die fromme Einfalt Gott als eine ungeheuere Ausdehnung durch den unendlichen Raum, oder die noch einfältigere ihn so, wie er vor dem alten Dresdner Gesangbuche abgemalt ist, als einen alten Mann, einen jungen Mann und eine Taube, sich bilde; – wenn dieser Gott nur sonst ein moralisches Wesen ist, und mit reinem Herzen an ihn geglaubt wird – das kann der Weise gutmüthig belächeln; aber dass man denjenigen, der die Gottheit unter dieser Form sich nicht vorstellen will, einen Atheisten nenne, seine Schriften verbiete, und ihn vor den Ohren der Nation verschreie, ist um vieles ernsthafter zu nehmen. Und dieses ist ohne Zweifel hier der Fall. Der Hauptgrund dieser Bezüchtigung ist ohne Zweifel der, das ich Gott als eine besondere Substanz läugne. Ein substantieller Gott aber ist nothwendig ein im Raume ausgedehnter Körper, welche Umrisse man übrigens auch seiner Gestalt gebe.

Ich gehe zum zweiten Gliede ihrer Rüge, bei welchem ich mich noch verständlicher machen kann. Wie fällt denn ein Gott, der um der Sinnenwelt willen angenommen wird,[217] und von einem Herzen, das über dieselbe sich nicht zu erheben vermag, – nothwendig aus?

Ihr Endzweck ist immer Genuss, ob sie denselben nun grob begehren, oder noch so fein ihn geläutert haben, Genuss in diesem Leben, und wenn sie eine Fortdauer über den irdischen Tod hinaus sich gedenken, auch dort Genuss: – sie kennen nichts anderes, als Genuss. Dass nun der Erfolg ihres Ringens nach diesem Genusse von etwas unbekanntem, das sie Schicksal nennen, abhänge, können sie sich nicht verhehlen. Dieses Schicksal personificiren sie – und dies ist ihr Gott. Ihr Gott ist der Geber alles Genusses, der Austheiler alles Glücks und Unglücks an die endlichen Wesen: dies ist sein Grundcharakter.

Auf dem angezeigten Wege des unausfüllbaren Sehnens nach Genusse sind sie zu diesem Gotte gekommen; und sie irren sich sonach und thun ihrem eigenen Glauben Unrecht, wenn sie ihn für mittelbar, für eine Folge von anderen Erkenntnissen halten. Er ist ebenso unmittelbar wie der unsrige; er geht, so wie dieser, vom Herzen aus, und nicht vom Verstande. Dass sie die Sinnenwelt, welche den letzten Zweck auch von ihrem Daseyn in sich enthält, für an sich existirend, für etwas wirkliches halten; und ihrem Gotte, der in derselben Glück und Unglück austheilen soll, die absolute Herrschaft über dieselbe zuschreiben, so dass er auch ihr Schöpfer seyn muss, indem sie sonst nicht gänzlich von ihm abhinge, ist ganz consequent und in ihrem Systeme nothwendig. Nur irren sie sich über die Weise, wie sie zu dieser Annahme kommen. Sie wissen es in der That unmittelbar und haben es nicht durch Schlüsse. Was sie für Demonstrationen ausgeben, sind blosse Wiederholungen dessen, was ihr Herz unabhängig von allen Demonstrationen glaubt.

Dass ihr Gott den oben angegebenen Grundcharakter wirklich trage, dass er der Herr des Schicksals und der Geber der Glückseligkeit sey, dass es bei Schöpfung der Welt sein Plan gewesen sey, die höchstmögliche Summe des Genusses hervorzubringen; dessen haben sie gar kein Hehl; es geht durch ihr ganzes System hindurch, sie erschöpfen ihre Beredsamkeit,[218] um es als etwas sehr sublimes einzuschärfen, sie sind darüber so unbefangen, dass ich es im Geiste mit ansehe, mit welchem Beifalle die mehrsten von dieser Denkart die von mir soeben gegebene Beschreibung ihres Gottes lesen, sich freuen, dass ich die Sache so wohl darstelle, und ihnen Gerechtigkeit widerfahren lasse, und wie weit entfernt sie sind, sich einfallen zu lassen, dass man dagegen etwas haben könne.

Und dadurch legen sie denn ihre radicale Blindheit über geistliche Dinge, ihre gänzliche Entfremdung von dem Leben, das aus Gott ist, völlig an den Tag. Wer da Genuss will, ist ein sinnlicher, fleischlicher Mensch, der keine Religion hat und keiner Religion fähig ist; die erste wahrhaft religiöse Empfindung ertödtet in uns auf immer die Begierde. Wer Glückseligkeit erwartet, ist ein mit sich selbst und seiner ganzen Anlage unbekannter Thor; es giebt keine Glückseligkeit, es ist keine Glückseligkeit möglich; die Erwartung derselben, und ein Gott, den man ihr zufolge annimmt, sind Hirngespinnste. Ein Gott, der der Begier dienen soll, ist ein verächtliches Wesen; er leistet einen Dienst, der selbst jedem erträglichen Menschen ekelt. Ein solcher Gott ist ein böses Wesen; denn er unterstützt und verewigt das menschliche Verderben, und die Herabwürdigung der Vernunft. Ein solcher Gott ist ganz eigentlich »der Fürst der Welt«, der schon längst durch den Mund der Wahrheit, welchem sie die Worte verdrehen, gerichtet und verurtheilt ist. Ihr Dienst ist Dienst dieses Fürsten. Sie sind die wahren Atheisten, sie sind gänzlich ohne Gott, und haben sich einen heillosen Götzen geschaffen. Dass ich diesen ihren Götzen nicht statt des wahren Gottes will gelten lassen, dies ist, was sie Atheismus nennen; dies ists, dem sie Verfolgung geschworen haben.

Das System, in welchem von einem übermächtigen Wesen Glückseligkeit erwartet wird, ist das System der Abgötterei und des Götzendienstes, welches so alt ist, als das menschliche Verderben, und mit dem Fortgange der Zeit bloss seine äussere Gestalt verändert hat. Sey dieses übermächtige Wesen ein Knochen, eine Vogelfeder, oder sey es ein allmächtiger, allgegenwärtiger, allkluger Schöpfer Himmels und der[219] Erde; – wenn von ihm Glückseligkeit erwartet wird, so ist es ein Götze. Der Unterschied beider Systeme liegt bloss in der besseren Wahl der Ausdrücke; das Wesen des Irrthums ist in beiden dasselbe, und bei beiden bleibt das Herz gleich verkehrt.

Hier sonach ist der wahre Sitz meines Streites mit ihnen. Was sie Gott nennen, ist mir ein Götze. Mir ist Gott ein von aller Sinnlichkeit und allem sinnlichen Zusatze gänzlich befreietes Wesen, welchem ich daher nicht einmal den mir allein möglichen sinnlichen Begriff der Existenz zuschreiben kann. Mir ist Gott bloss und lediglich Regent der übersinnlichen Welt. Ihren Gott läugne ich und warne vor ihm, als vor einer Ausgeburt des menschlichen Verderbens, und werde dadurch keineswegs zum Gottesläugner, sondern zum Vertheidiger der Religion. Meinen Gott kennen sie nicht und vermögen sich nicht zu dessen Begriffe zu erheben. Er ist für sie gar nicht da, sie können ihn sonach auch nicht läugnen, und sind in dieser Rücksicht nicht Atheisten. Aber sie sind ohne Gott; und sind in dieser Rücksicht Atheisten. – Aber es ist fern von meinem Herzen, sie auf eine gehässige Weise mit dieser Benennung zu bezeichnen. Meine Religion lehrt mich vielmehr, sie zu bedauern, dass sie das höchste und edelste gegen das geringfügigste aufgeben. Diese Religion lehrt mich hoffen, dass sie über kurz oder lang ihren bejammernswürdigen Zustand entdecken, und alle Tage ihres Lebens für verloren betrachten werden, gegen das ganz neue und herrliche Daseyn, welches ihnen dann aufgehen wird.

Jetzt, um sie mit sich selbst noch näher bekannt zu machen, prüfen wir noch ferner ihren Götzen – der heilige Name Gottes kommt ihm nun einmal nicht mit Recht zu. – – Eigenwillig, wie sie selbst es sind, nach deren Bilde er geformt ist, knüpft er die von ihm zu erwartende Glückseligkeit an die Erfüllung gewisser Bedingungen, schlechthin weil er nun einmal diese Bedingungen will. Je unbegreiflicher dieser Wille, desto glaubwürdiger ist es, dass es sein Wille sey; denn dadurch wird er umsomehr ein unerforschlicher, d. i. ein eigensinniger Gott, dem seine Uebermacht statt alles Rechts[220] gilt. Erfüllung gewisser Ceremonien, Hersagen gewisser Formulare, Glauben an unverständliche Sätze, wird das Mittel, bei ihm sich einzuschmeicheln, und seiner Segnungen theilhaftig zu werden. Geht die Sache noch am erträglichsten, so wird die Tugend dieses Mittel; es versteht sich, die blosse äussere Ehrbarkeit: denn die wahre Moralität besteht darin, dass die Pflicht schlechthin um ihrer selbst willen geübt werde, und wo Genuss als Belohnung beabsichtigt wird, da ist die Sittlichkeit schon aufgegeben und unwiederbringlich vertilgt. In dieser Function hat jener Gott wenigstens das Verdienst, mangelhaften Polizeianstalten nachzuhelfen.

In diesem Systeme wird Gott ohne Unterlass gelobt und gepriesen, wie kein rechtlicher Mensch sich selbst möchte preisen lassen. Da ist nur immer die Rede von seiner Güte, und wieder von seiner Güte, und sie können nicht müde werden, dieser Güte zu gedenken, ohne auch nur einmal seiner Gerechtigkeit zu erwähnen. Da ist ihm alles einerlei; er lässt sich alles gefallen, und muss sich alles gefallen lassen; und was die Menschen auch thun mögen, er ist mit seinem Segen immer hinterdrein. Und, was noch das Heilloseste dabei ist, sie glauben es selbst nicht, indem sie es sagen, sondern meinen nur, dass das ihr Gott gern höre, und wollen ihm nach dem Munde reden.

Da hört man erbauliche Gedanken, wie folgende: wie gütig ist doch Gott; er hat uns nicht nur Nahrung gegeben, um unser Leben zu erhalten, sondern derselben noch einen besonderen Wohlgeschmack mitgetheilt. Nun so schmecke doch recht hin, andächtige Seele, wie süss diese Traube, wie würzhaft dieser Apfel sey, damit du die Güte Gottes recht schätzen lernst. Armer, vielleicht wohlmeinender, aber blinder Schwätzer: alle auch durch deine sinnliche Existenz verbreiteten Annehmlichkeiten sind nicht dazu da, dass du über denselben andächtig brütest, sondern dass deine Kran gestärkt, belebt, erhöhet werde, das Werk des Herrn auf der Erde freudig zu thun. So lehre sie die Sache ansehen; und dann werden sie auch über dergleichen Dinge Gott preisen, wie er gepriesen seyn will.[221]

Dieses System ists, in dessen Munde die erhabenste und heiligste Lehre, die je unter Menschen kam, die des Christentums, allen ihren Geist und Kraft verloren, und sich in eine entnervende Glückseligkeitslehre verwandelt hat. – Ich will sie nicht beschuldigen, dass sie diese Lehre muthwillig verdrehen; aber so wie dieselbe nur in ihre Sphäre gelangt, verliert sie ihren erhabenen Sinn. Jene sehen in ihr absolut nichts; und deuten und drehen nun so lange an ihr, bis ein Sinn herauskommt, den sie fassen können. Durch ihren Mund redet der, der die Leiden erduldete, da er Freuden hätte haben können, wie ein feiner Epikuräer. »Kreuziget euer Fleisch, sammt den Lüsten und Begierden« – das sind bei ihnen orientalische Bilder und Redensarten, welche nach unserer Denkart ohngefähr so viel heissen: sparet und vertheilet weislich eure Genüsse, damit ihr desto mehr geniessen könnt; esst nicht zu viel, damit ihr nicht Bauchgrimmen bekommt, betrinkt euch nicht, damit ihr nicht des anderen Tags Kopfschmerzen bekommt. »Werdet wiedergeboren, werdet aus dem Geiste geboren, werdet eine neue Creatur« – heisst nach ihnen in unserer Sprache ungefähr soviel: werdet von Tage zu Tage verständiger und klüger auf eure wahren Vortheile. »Unser Wandel ist im Himmel; ich lebe, doch nicht ich, sondern ein neuer Mensch lebt in mir« – ist nach ihnen blosses Bild, das in unserer Sprache gar nichts bedeutet.

Wer weiss dies alles besser, wer könnte es besser wissen, als mehrere ehrwürdige Mitglieder der chursächsischen höheren Regierungscollegien? Sie, die in einer gewissen Gemeine, deren Sprache ich zwar nicht gebrauchen würde, welche aber allerdings das hohe Verdienst hat, das Uebersinnliche und Ewige nicht zu verkennen – die in dieser Gemeine, oder vielleicht auf anderen Wegen, vor jener entnervenden Lehre verwahrt, die Anpreisung der Religion Jesu, als einer Glückseligkeitslehre, von chursächsischen Kanzeln und in Kinderlehren gewiss oft, und gewiss nicht ohne innigen Widerwillen gehört haben. Wer könnte es besser wissen, als sie; – von deren Einzelnen mir bekannt ist, dass sie sogar die wabre Quelle dieses Uebels sehr wohl kennen, – die eudämonistische, oberflächliche,[222] schöngeisterische, süssschwatzende Philosophie, welche bei ihren Studirenden so viel Beifall gefunden; und dass sie gewünscht haben, diese seichte Philosophie durch das Studium einer allerdings gründlicheren und kräftigeren, der Crusiussischen, zu verdrängen. Möchten doch diese die neuere Philosophie kennen; möchten sie, nicht zufrieden mit einseitigen Berichten anderer, sie mit eigenen Augen kennen lernen wollen! Allerdings liess sich das Studium derselben damals. als sie in ihren Hauptquellen noch äusserst unverständlich war, und Ausleger erhielt, welche selbst von ihr nichts verstanden, anderwärts beschäftigten Männern nicht füglich anmuthen. Diese Zeit ist vorbei; gegenwärtig lässt sich diese Philosophie wohldenkenden und unbefangenen auf die leichteste Weise beibringen. – Möchten jene Männer wenigstens die gegenwärtige Schrift eines aufmerksamen Lesens würdigen; und sie würden schon aus ihr die eigentliche Tendenz dieses Systems ersehen können. Dass ich es mit wenigen Worten sage: in Absicht der Religionslehre ist ihr einiger Zweck der, dem Menschen alle Stützen seiner Trägheit, und alle Beschönigungsgründe seines Verderbens zu entreissen, alle Quellen seines falschen Trostes zu verstopfen; und weder seinem Verstande noch seinem Herzen irgend einen Standpunct übrig zu lassen, als den der reinen Pflicht und des Glaubens an die übersinnliche Welt. Daher auch in ihrem theoretischen Theile die Behauptung der absoluten Idealität alles sinnlichen Seyns, gegen den Dogmatiker; dessen Kopf dem letzteren für sich bestehende Realität beimisst, weil sein Herz sich mit demselben begnügt. – Unsere Philosophie läugnet nicht alle Realität; sie läugnet nur die Realität des Zeitlichen und Vergänglichen, um die des Ewigen und Unvergänglichen in seine ganze Würde einzusetzen. Es ist sonderbar, diese Philosophie der Abläugnung der Gottheit zu bezüchtigen, da sie vielmehr die Existenz der Welt, in dem Sinne, wie sie vom Dogmatismus behauptet wird, abläugnet. Welch ein Gott wäre dies, der mit der Welt zugleich verloren ginge? Unsere Philosophie läugnet die Existenz eines sinnlichen Gottes, und eines Dieners der Begier; aber der übersinnliche Gott ist ihr Alles in Allem; er ist ihr derjenige, welcher allein [223] ist; und wir anderen vernünftigen Geister alle leben und weben nur in Ihm. – Das Christentum ist kein philosophisches System; es wendet sich nicht an die Speculation, sondern an den moralischen Sinn des Menschen; es kann daher nicht so sprechen und nicht so articulirt seyn, wie ein philosophisches Lehrgebäude. Aber wenn nicht neun Zehntheile desselben aufgegeben werden sollen, als absolut ohne Sinn; und in der Erklärung des noch übrigbleibenden Zehntheils die oben angeführten Auslegungen die einzig richtigen seyn sollen: so hat es denselben Zweck, als unsere Philosophie. Diesen Zweck des Christentums nun kennen jene würdigen Männer sehr wohl; möchten sie nur auch den der neueren Philosophie kennen lernen wollen! Sie würden sich dann nicht mehr durch andere, welche weder Christentum noch Philosophie kennen, verleiten lassen, Aufsätze im Geiste dieser Philosophie als atheistisch zu verbieten; und der Name eines verehrungswürdigen Fürsten, welcher wohl wahrhaft religiös seyn muss, da er so gut und gerecht ist, würde nicht an der Spitze von Rescripten stehen, in denen Vertheidigungen der wahren Religion Angriffe auf dieselbe genannt werden.

Selbst vor denjenigen Staatsmännern, die um Religion sich nun eben nicht kümmern, denen aber gründliches Studium, und der Fortgang der Wissenschaften am Herzen liegt, kann ich meine Sache mit dem höchsten Vortheile führen. Alle Kraft des Menschen wird erworben durch Kampf mit sich selbst, und Ueberwindung seiner selbst; und die Geisteskraft insbesondere durch Kampf mit den uns angebornen, und in unserer sinnlichen Natur begründeten Vorurtheilen, und durch Ueberwindung des blinden Hanges der Ideenassociation. Wer nur treibt, wozu er eben Lust hat, nie mit eigentlicher Selbstthätigkeit, d. i. einem Hange zuwider, producirt, sondern sich nur durch den Strom seiner Einfälle forttreiben lässt, der ist und bleibt, so glücklich auch zuweilen diese Einfälle, und so fliessend ihr Strom seyn mag, ein seichter Kopf, unwürdig des Namens eines Gelehrten. Nur derjenige, der mit Willkür und Vorsatz seine Aufgabe, von welcher Art sie auch sey, übernimmt, mit Abhaltung aller fremden Gedanken systematisch[224] seinen Weg verfolgt; nicht ruht, bis er Grund gefunden, oder wenigstens weiss, wie weit der Grund geht, und wo keiner weiter zu suchen ist, der nicht glaubt, etwas gethan zu haben, so lange noch etwas zu thun übrig ist, – nur derjenige ist ein gründlicher Gelehrter. Dieses Vermögen erhält man nur dadurch, dass man mit Mühe und Anstrengung Grundsätze verstehen und wahrfinden lernt, die sich uns nicht von selbst darbieten, sondern der gewöhnlichen ersten Ansicht des Menschen zuwider sind. Dieser einzig möglichen Methode der Geistesbildung ist nichts entgegengesetzter, es giebt nichts, das den Jüngling so von Grund aus verseichte, und um allen Geist bringe, als jenes eudämonistische System. Hier bleibt der Mensch so ganz in seinem Geleise, in welches ihn die Natur stellte, und hat keine Mühe ein neues einzuschlagen; denn jenes System ist uns allen angeboren, und es bedarf keiner Anstrengung, um den Zweck unseres Daseyns in Genuss zu setzen. Der nur um des Genusses willen studirende Jüngling fasst mit Widerwillen auf der Oberfläche seines Gedächtnisses, wessen er doch schlechterdings bedarf, um durch die, leider! verordneten Prüfungen zu kommen, und treibt übrigens in geistlosen Gedichten und Romanen die Jagd ästhetischer Floskeln, damit er den Menschen einst ihre Lüsternheit recht rührend an das Herz legen könne. Selbstdenken, seine Gedanken ordnen, über die Ordnung derselben Rechenschaft ablegen, ist ihm eine harte, unbillige, unerhörte Zumuthung. – Ich fordere jeden, der die Welt kennt und zu beobachten Gelegenheit hat, auf, mir zu sagen, ob er nicht diese eudämonistisch Gesinnten überall und in allen Fächern, in welche sie gerathen, als Schwätzer und seichte Nachbeter befunden habe. – Ich maasse mir nicht an, zu entscheiden, sondern überlasse den Pflegern der Wissenschaft in dem Lande, von dessen Grenzen man die neuere Philosophie so sorgfältig abhält, selbst zu untersuchen, inwiefern diese Schilderung auf den wissenschaftlichen Zustand dieses Landes passe.

Selbst vor denjenigen Staatsmännern, die weder um Religion noch Wissenschaft sich kümmern, sondern die lediglich die Erhaltung der bürgerlichen Ruhe und Ordnung beabsichtigen,[225]

kann ich meine Sache mit dem höchsten Vortheile führen. Wenn es wahr ist, – was ich hier weder behaupten noch läugnen will – wenn es wahr ist, dass in unserem Zeitalter ungezähmtere Lüsternheit und Willkür, und Abneigung gegen das Gesetz, ein vermessenes Klügeln über Dinge, die man nur von einem höheren Standpuncte aus beurtheilen kann, ein lebhafteres Drängen vieler, ihren angewiesenen Platz in der Ordnung der Dinge zu verlassen, und auf einen höheren zu treten, ein zügelloseres Streben, sich neue Quellen der Genüsse zu eröffnen, nachdem die alten versiegt sind, häufiger und unverholener sein Haupt emporhebt, als in den vorigen Zeitaltern: so höre man doch ja auf, die neuere Philosophie darüber anzuklagen. In die Denkart des grossen Haufens greift eine verderbliche Philosophie nicht eher ein, als bis sie eine Zeitlang ausschliessend die Schule beherrscht, in dieser Ruhe durch ihre Bearbeiter, die keine auswärtigen Kriege zu fahren hatten, popularisirt worden, in die einige Philosophie des Volks, in seine Religion, und zu seinen einigen Lehrern, den Geistlichen, herabgekommen ist; bis sie das Sträuben des gesunden Menschensinnes in dem Zeitalter, dem sie zuerst vorgetragen worden, überwunden, und sich schon vom Katechismusunterricht aus ihre Generation selbst gebildet hat. Ihr selbst wisst nur zu wohl, dass die neuere Philosophie, ihr inneres Wesen jetzt ganz bei Seite gesetzt, in diese äussere Lage noch nicht gekommen, und noch weit entfernt ist, darein zu kommen. Ihr selbst, Aufseher der Nationen, wisst höchstens, dass so etwas herumgehe, aber nicht, was es eigentlich sey; was eure Prediger etwa hier und da aus dieser Philosophie vorgebracht haben, sind Formeln, die ihnen selbst, so wie den andern allen, unverständlich sind, und die weder schaden noch helfen können. Soll der Unfug von einem philosophischen Systeme abgeleitet werden, so müsst ihr weiter zurückgeben, zu demjenigen, welches vor dem neueren das herrschende war; und da findet ihr denn abermals jenen Eudämonismus. Dass nach diesem die Religion Jesu umgeschaffen, dass dieser den Unmündigen aus der Seele abgefragt, und den Mündigen von der Kanzel gepredigt werde, daran habe ich euch schon oben erinnert.[226] Und ihr könnt noch fragen, woher das Verderben des Zeitalters entstehe? Predigt nur dem Menschen, und predigt ihm immer wieder, der einige Zweck seines Daseyns, der Zweck der ganzen Schöpfung, der wahre Wille Gottes, sey seine Glückseligkeit; schon durch sich selbst geneigt, wird er euch ohne Zweifel glauben; wird er, da unstreitig er selbst der beste Richter ist, was ihn für seine Person glücklich mache, dieses sein Glück auf alle Weise zu befördern streben; in der Erringung dieses höchsten Zwecks seines Daseyns durch keinen nur untergeordneten Zweck sich irremachen lassen, und, nach der Lehre, die ihr ihm beigebracht habt, daran nichts weiter zu thun glauben, als was der Wille Gottes ist. Nachdem ihr durch jene Formel ihn des wahren Bandes, das ihn halten sollte, der Moralität, entledigt habt, werdet ihr vergebens durch eine andere – aber dies ist nicht dein wahres Glück, – ihn wieder zu binden suchen. Er lacht eurer, denn was sein Glück erfordere, müsse er selbst wohl besser wissen, als ihr, denkt er, und denkt daran recht. Ihr mögt das wohl nur so sagen, denkt er, weil auch ihr euer Glück zu befördern strebt, und er gegenwärtig anfängt, demselben im Wege zu stehen. Ihr werdet ihn nimmermehr überreden, dass es sein Glück sey, sich abzuarbeiten, damit ihr, wie es ihm scheint, und vielleicht in der That ist, müssiggehen könnt; dass er des nothwendigsten entbehre, damit ihr, wie es ihm scheint, und vielleicht in der That ist, euch gütlich thun könnt; dass er gehorche, damit ihr herrschen könnt. – Hättet ihr ihm dagegen beigebracht, von Jugend auf ihm eingeprägt, zu einem Bestandtheile seines Selbst gemacht jenen erhebenden Gedanken: diese Welt ist nicht meine Heimath, und nichts, was sie zu geben vermag, kann mich befriedigen; mein wahres Seyn hängt nicht von der Rolle ab, die ich unter den Erscheinungen spiele, sondern von der Art, wie ich sie spiele. Da ich an diesem Platze stehe, so ist es der Wille Gottes, dass ich an ihm stehe, und freudig und muthig vollbringe, was an diesem Platze sich gehört. So unscheinbar mein Geschäft sey, es geschieht um Gottes und der Pflicht willen, und dadurch erhält es Würde. Nachzusehen, ob auch andere auf ihren Plätzen thun, was dort sich[227] gehört, ist nicht meine Sache: ich habe mit mir selbst vollauf zu thun. Thun sie es nicht, so sündigen sie auf eigene Gefahr: Gott aber wird ohne Zweifel alle Unordnungen, die daraus entstehen, zu seiner Zeit in die schönste Harmonie auflösen. – Hättet ihr ihm diesen Gedanken beigebracht; den Grundgedanken des Christentums, wie ich glaube, und meiner Philosophie – der Heldensinn, und die unaussprechliche Ruhe, welche derselbe über sein Leben verbreiten müsste, würde ihn ohne allen Zweifel zum nützlichen und ruhigen Bürger gemacht haben.


*


Dass ich alles zusammenfasse: –

Der Mittelpunct des Streits zwischen mir und den Gegnern ist der: dass wir in zwei verschiedenen Welten stehen, und von zwei verschiedenen Welten reden, – sie von der Sinnenwelt, ich von der übersinnlichen; dass sie alles auf Genuss beziehen, welche Gestalt nun auch dieser Genuss haben möge, ich alles auf reine Pflicht.

Durch diese absolute Entgegensetzung der Principien wird nun, inwieweit wir beide consequent sind, nothwendig unser ganzes Denksystem, unsere Philosophie und unsere Religion, entgegengesetzt. Was mir das allein Wahre und Absolute ist, ist für sie gar nicht vorhanden, ist für sie Chimäre und Hirngespinnst: was sie für das Wahre und Absolute halten, ist nach mir blosse Erscheinung, ohne alle wabre Realität.

Zu diesen Principien alles unseres Denkens sind wir nun beide nicht durch das Denken selbst gelangt, sondern durch etwas, das höher liegt, als alles Denken, und das ich hier füglich das Herz nennen kann. Aber was wir selbst nicht auf dem Wege des Räsonnements erlangt haben, können wir auf diesem Wege auch keinem anderen mittheilen; wir können also gegenseitig uns unsere Principien nicht erweisen. Was wir uns auch demonstriren mögen, demonstriren wir doch immer[228] aus jenen Prämissen, und unsere Folgerungen gelten uns gegenseitig nur, wenn wir uns die Prämissen zugeben; diese aber läugnen wir uns ja von beiden Seiten entschieden ab. Es ist also schlechthin unmöglich, dass wir uns gegenseitig widerlegen, überzeugen, belehren. Ich müsste ihre Gesinnung annehmen, um ihre Wahrheit anzuerkennen; und dieses ist, nachdem ich nun einmal da bin, wo ich bin, unmöglich. Oder sie müssten meine Gesinnung annehmen, um meine Wahrheit anzuerkennen; und dies halte ich von meiner Seite allerdings für möglich; ja ich bin im Gewissen verbunden, zu glauben, dass sie dieselbe dereinst noch annehmen werden, aber nöthigen kann ich sie dazu auf keine Weise.

Ich habe mich wohl zuweilen noch eines anderen Vortheils über sie gerühmt; aber derselbe verschwindet, wenn die Sache schärfer angesehen wird, beinahe in Nichts. Sie können, habe ich zuweilen geäussert, nicht erklären, was sie zu erklären unternehmen, und bringen, statt der gehofften Erklärungen, leere und unverständliche Worte vor; und dieses wenigstens sollte man ihnen ja nachweisen können. Aber selbst dies kann man ihnen so schwer nachweisen, indem sie in derjenigen Höhe der Speculation, in welcher die Unverständlichkeit ihrer Behauptungen erhellet, grösstentheils selbst nichts mehr verstehen.

Was ist nun bei dieser Lage der Sachen zu thun?

Zuvörderst: was könnte etwa zunächst den Gegnern einfallen, zu thun?

Wollen erhitzte, feindliche Gemüther – ach, dass das edle Ringen um Wahrheit in persönliche Gehässigkeit ausarten kann! – wollen diese auch über diese Schrift herfallen, wie sie es bisher mit so vielen meiner Schriften gethan haben, Stellen aus ihrem Zusammenhange gerissen, oder wirklich verfälscht anführen, um dem Verf. einen Sinn anzudichten, den sein Herz verabscheut, und ihn leidenschaftlich zu verschmähen und zu verunglimpfen; so sey ihnen dies vergönnt! Ich hatte gehofft, man werde in meinen bisherigen Antworten auf dergleichen Begegnungen den guten Muth und die fröhliche Laune nicht verkennen, noch sie selbst für leidenschaftliche Hitze nehmen;[229] man hat sie verkannt, und sich daran geärgert, und so gebe ich denn dem Publicum bei dieser Gelegenheit auf immer das Wort, auf keine leidenschaftliche Aeusserung gegen mich weiter Rücksicht zu nehmen.

Wollen andere ganz unleidenschaftlich auch jetzt mir abermals erzählen, was wir schon so oft gehört haben, dass es nun einmal nicht im Menschen liege, auf allen Genuss Verzicht zu leisten; so erinnere ich dieselben bloss, dass darin eben der Sitz unseres Streits ist, dass sie mir da eben das Princip anführen, um meinen Aufsatz zu widerlegen, welches ich im ganzen Aufsatze durchaus abgeläugnet habe; und dass sie wohl wissen werden, wie dieser Fehler im Beweisen in der Logik genannt wird. Das können sie gegen andere vorbringen, die es ihnen glauben; nur nicht gegen mich.

Will eine dritte Partei, – und ich fürchte, dass diese sehr zahlreich seyn werde – sagen: der Fehler liege nur darin, dass man jene Stützen zu plötzlich wegreissen wolle; man solle doch gemach gehen, durch jene Lockungen und Schreckmittel des Aberglaubens die Menschen nur erst zur Legalität bringen, um sie von da aus zur Moralität zu erheben; so erinnere ich dieselben, dass sie da nur die gewöhnliche Ausrede der Schwäche und der Halbheit vorbringen, welche die Wahrheit einsieht, ohne den Muth zu haben, sie anzuerkennen, und zu befolgen; und dass Sie sich in einem sehr gefährlichen Irrthume befinden. Es giebt von der Sinnlichkeit zur Sittlichkeit keinen stätigen Uebergang, der etwa durch die äussere Ehrbarkeit hindurchgehe; die Umänderung muss durch einen Sprung geschehen, und nicht blosse Ausbesserung, sondern gänzliche Umschaffung, sie muss Wiedergeburt seyn.

Da wir sonach, wie die Sache gegenwärtig steht, weder an-, noch auseinander kommen können, so erlauben sie mir einen Vorschlag zur Güte:

Dass ich bei ihnen unrecht habe, das versteht sich, und hierüber eben will ich vor der Hand nicht weiter mit ihnen rechten. Aber es wird doch wohl auch bei ihnen einen Unterschied in meiner Schuld machen, ob meine Behauptungen nur so frech und kühn, und gleichsam ihnen zum Trotze hingeworfen[230] worden; oder ob sich Gründe dafür und einiges scheinbare zu ihrem Vortheile anführen lässt. Sie werden denn doch hoffentlich, nachdem sie diese Schrift bis zu Ende gelesen, das letztere nicht ganz abläugnen wollen. – Ferner müssen sie mir doch wohl zugestehen, dass diese Lehre in ihren Folgen nicht gefährlich ist. Wenn sie recht haben, und ich unrecht, so ist die schlimmste Folge die, dass die Anhänger und praktischen Befolger dieser Lehre gutmüthige Schwärmer werden, die sich selbst um den Genuss des Lebens bringen; aber was schadet dies ihnen? Wenn sie in ihrer Denkart consequent sind, so müssen sie sich vielmehr freuen, und von ihrer Seite alles mögliche beizutragen suchen, um auf diese Weise recht vieler Mitringer und Mitbewerber um ihre Glückseligkeit entledigt zu werden. Schon diese ihre Inconsequenz, diese ihre Begierde, andere ebenso klug und so glückselig zu machen, als sie selbst es sind, ohne dass ihnen daraus der geringste Vortheil erwächst, könnte sie bedenklich machen: ob denn nicht doch sogar ihrem eigenen Verfahren ein erhabeneres Princip zu Grunde liege, als sie zugestehen wollen. – Endlich regt sich doch – ich weiss das sicher, und kann es wissen – selbst in ihrem eigenen Innern in Geheim der Zweifel, ob ich nicht doch recht haben dürfte; und sie mögen – ich weiss das sicher – nicht ihr ganzes Glück in Zeit und Ewigkeit daransetzen, dass ich gewiss unrecht habe: eigentlich, wenn sie sich recht prüfen, werden sie finden, dass sie nur eine gelegnere Zeit abwarten wollen, um die Sache zu überlegen. Nun so erwarten sie diese gelegnere Zeit ! – Wenn ich ganz allein so etwas behauptete, als ich behaupte, so dürfte ihnen allenfalls noch eher geglaubt werden, dass ich ein Schwärmer, und meiner Vernunft nicht mächtig sey; aber stehe ich denn auch so ganz allein? Welchen durch keinen Parteinamen bezeichneten ganz unverdächtigen Theologen nenne ich doch, als meinen Gewährsmann? Möchtest du, ehrwürdiger Vater Spalding, dessen Bestimmung des Menschen es war, die den ersten Keim der höheren Speculation in meine jugendliche Seele warf, und dessen Schriften alle, sowie die genannte, das Streben nach dem Uebersinnlichen und Unvergänglichen[231] so trefflich charakterisiren, – möchtest du in meiner Sache stimmen können und wollen! Und der Herr Oberhofprediger Reinhard, der im chursächsischen Kirchenrathe unter den Richtern über meinen Atheismus, und über meine Angriffe auf die Religion gesessen haben muss – ich habe keine seiner neuesten Schriften bei der Hand, aber ich finde in einer gelehrten Zeitung eine Anzeige seiner neuesten Predigtsammlungen; – was kann er in Predigten »über den frohen menschenfreundlichen Glauben, dass es immer besser auf Erden werden müsse, – dass man ohne einen gewissen Grad edler Begeisterung kein wahrer Christ seyn könne, – von dem Gefühle der Unvergänglichkeit, mit welchen Christen die Hinfälligkeit alles Irdischen befrachten sollen,« – was kann der geistvolle und gründliche Mann in dergleichen Predigten anderes sagen, als was auch ich in jenem verbotenen Aufsatze, und in diesem gesagt habe, und was jeder sagen muss, dem wahre innere Religion am Herzen liegt? Und unter den Philosophen du, edler Jacobi, dessen Hand ich zutrauungsvoller fasse; so verschieden wir auch über die blosse Theorie denken mögen, das, worauf es hier ankommt, hast du schon längst, gerade so, wie ich es denke, gesagt, mit einer Kraft und Wärme gesagt, mit welcher ich es nie sagen kann,1 hast es zur Seele deines Philosophirens gemacht: »durch ein göttliches Leben wird man Gottes inne

Also, da dieses alles sich so verhält, mein Vorschlag zur Gotte! – Haben wir beide lieber von nun an unmittelbar gar nichts mehr mit einander zu thun. Wenden sie sich lieber an diejenigen, bei denen sie noch hoffen können, Eingang für ihre Lehre zu finden; und ich will dasselbe von meiner Seite thun. Jede Partei thue für sich alles, was sie vermag, um Einstimmigkeit mit sich ausser sich hervorzubringen. Nur thue darin keine der anderen Eintrag; nur sey unser Wetteifer redlich, und keiner bediene sich unerlaubter Waffen. So wie ich ihre[232] Schriften sicher nicht verbieten und confisciren, die Besuchung der Universitäten, auf denen sie ihren Sitz haben, und ihrer Vorlesungen, gewiss nicht untersagen und verschreien würde, auch wenn ichs vermöchte; so thun auch sie von ihrer Seite nicht. Erwarten sie, dass zwischen uns die Zeit richte. Nur eine kurze Frist erbitte ich mir. Wenn nicht nach einem Jahrzehend die grössere Menge der guten Köpfe und Herzen auf meiner Seite seyn werden, wenn dann nicht selbst viele, die jetzt gegen mich eifern, ganz meiner Meinung, und die anderen wenigstens gemässigter seyn werden; dann will ich kein Wort weitersagen; sie mögen dann gegen mich verfahren, wie sie können.

Den chursächsischen Kirchenrath, oder welches Collegium es war, das den Confiscationsbefehl und die Beschuldigung des Atheismus aussprach, rechne ich, nicht nur wegen der Ungleichheit des Verhältnisses, sondern überhaupt nicht unter meine Gegner. Geschäftsmänner haben weder Zeit noch Beruf, dergleichen Gegenstände zu ergründen; sie müssen sich darüber an die Berichte ihrer Gelehrten halten. Aber werden denn nun diese Geschäftsmänner auch meinen Bericht vernehmen und beherzigen? Werden sie einsehen, was das zu bedeuten habe, öffentlich, vor den Ohren der deutschen Nation, als Atheisten und Feind aller Religion einen Mann anzukündigen, von welchem – denn jetzt will ich als das äusserste ihnen die Denkart meiner Gegner zuschreiben, und annehmen, dass sie mir nichts weiter zugestehen müssen, als diese zugestehen; – von welchem es denn doch nicht unmöglich ist, dass er recht habe, und dass seine Schrift vielmehr eine Vertheidigung der Religion, als ein Angriff auf dieselbe sey? Werden sie den Muth haben, sich zu gestehen, welches die allermindeste Genugthuung sey, die sie meinem, so viel an ihnen war, verunglimpften guten Namen, meinem, soviel an ihnen war, angegriffenen Wirkungskreise schuldig sind; und den daraus folgenden Muth, diese Genugthuung zu geben? Alles dies sey lediglich ihnen selbst überlassen, und kann um destomehr ihnen überlassen werden, nachdem gar nicht mehr mein Interesse, sondern lediglich das ihrige – wenn sie ein solches Interesse haben – in diese Angelegenheit verwickelt ist. Mir[233] konnte ihre Beschuldigung nur durch die Wirkung derselben auf das deutsche Publicum bedeutend werden. Ich habe jetzt die Sache unmittelbar an dieses Publicum gebracht, und eine grosse Stimmenmehrheit wird, wie ich hoffe, schon jetzt, oder, wie ich nicht hoffe, sondern gewiss weiss, nach Verlauf einiger Jahre, für mich entscheiden. Es kann nunmehr nur noch ihnen nachtheilig sein – denn dass sie sagen sollten: ei, wer kann uns etwas schaden, wir sitzen viel zu hoch, was machen wir uns daraus? erwarte ich nicht – es kann, sage ich, nun nur noch ihnen nachtheilig seyn, jene harte Beschuldigung ausgesprochen und sie nicht zurückgenommen zu haben; so wie es nur noch ihnen Ehre, Zutrauen der Nation in ihre Urtheile, und Einfluss auf die gesammte Literatur des deutschen Vaterlandes bringen kann, wenn sie freimüthig erklären: wir sind infallibel in bürgerlicher Gesetzgebung und Richterspruch, und verlangen da unbedingte Unterwerfung; aber in unseren Urtheilen über literarische Angelegenheiten können wir uns irren, denn wir sind Menschen; hier haben wir uns geirrt, und nehmen frei und offen unseren Irrthum zu rück. – Ich traue ihnen diese Grossmuth zu; und die Erfahrung mag lehren, ob ich ihnen zu viel zutraute.

Ich gebe ihnen durch diese Schrift eine Veranlassung, dies auf eine schickliche Weise zu thun. Ihre Leipziger Büchercommission hat nebst dem ersten durch das churfürstl. Rescript confiscirten Hefte, auch noch das zweite, aus eigener Machtvollkommenheit, confiscirt.2 Ich klage sie dessen hierdurch öffentlich an. Befehle der chursächsische Kirchenrath, dass dieses zweite Heft zurückgegeben werde; gebe er bei dieser Gelegenheit auch den Verkauf des ersteren frei, auf die[234] Bedingung, dass mein gegenwärtiger Aufsatz mit ihm zugleich verkauft werde, indem dieser letztere zur Erklärung mehrerer bedenklichen und leicht miszuverstehenden Aeusserungen in den beiden ersten Aufsätzen des ersteren diene; oder welchen Mittelweg sonst ihnen ihre Weisheit eingiebt; behandle man diesen Befehl nicht, wie gewöhnlich geschieht, als ein Geheimniss, sondern lasse ihn öffentlich bekannt werden; und ich werde diese Grossmuth dankbar verehren.

Ich wende mich an die unbefangenen Leser, welche in dieser Angelegenheit weder gehandelt, noch für oder wider die Meinungen, welche hier streitig geworden sind, schon Partei genommen haben. Es war die Absicht meiner Schrift, diese Unbefangenen zu einem Publicum für diese Angelegenheit zu erheben, und sie zu meinem Richter zu machen. Nur die Unbefangenen: – denn so wenig meine Gegner eine Stimme fordern können, ebensowenig verlange ich, das die Freunde der neuesten, und selbst der neueren Philosophie gehört werden; welche letzten, so wenig sie auch meinen Schlüssen folgen mögen, dennoch mehr oder minder mit meinem Princip, dem des reinen Moralismus, einverstanden sind.

Ich habe die Lehre meiner Gegner, zufolge welcher die meinige ihnen als Atheismus erscheinen muss, und die meinige, zufolge welcher die ihrige mir als abgöttisch und götzendienstlich erscheinen muss, treu und klar dargestellt. Es ist jetzt an diesen Unbefangenen, vorerst bei sich selbst, und dann auch, wenn sie wollen, vor anderen zu entscheiden, ob ihnen denn die Lehre meiner Gegner so vortrefflich, die meinige so heillos erscheine; zu entscheiden, nach welcher von beiden sie ihren eigenen geistigen Charakter lieber gebildet sähen; zu entscheiden, welche selbst in der Schilderung ihrem Herzen wohlthätiger ist. Sie erlauben mir nur noch eine solche Beziehung auf ihr Herz; und dann überlasse ich sie ruhig ihrer eigenen Ueberlegung.

Durch jene Lehre machen Sie euch lüstern, durch eure Lüsternheit bedürftig, durch eure Bedürftigkeit abhängig, klein und niedrig. Der Anfang eurer Erscheinung Für euch ist zwar allerdings nicht glänzend; ihr findet euch zuerst als Product[235] der Sinnenwelt, durch euren Mangel an dieselbe gekettet, ein unsterbliches Wesen, bedürftig dessen, was nur Staub und Asche ist. Von diesem Zustande euch zu erlösen, giebt es nur Einen Weg, die Erhebung zur reinen Sittlichkeit; und ihr seyd bestimmt, und berufen, diesen Weg zu gehen. Von dem Augenblicke an, da ihr ihn einschlagt, wird eure bisherige Gebieterin, die Natur, euch unterworfen, und verwandelt sich in euer folgsames leidendes Instrument. – Jene aber wollen das Denkmal eures anscheinenden Ursprungs aus der Eitelkeit eurem unsterblichen Geiste unauslöschlich einbrennen, indem sie es billigen und heiligen. Indem sie die Begier in euch nicht ausrotten lassen, sondern sie pflegen und zu Ehren erheben, und einen Gott mit derselben beschäftigen, verewigen sie eure Bedürftigkeit.

Die andere Lehre will alles, was ihr zu bewundern, zu begehren, zu fürchten pflegt, vor eurem Auge in Nichts verwandeln, indem sie auf ewig eure Brust der Verwunderung, der Begier, der Furcht verschliesst. Ihr sollt euch nur zum Bewusstseyn eures reinen sittlichen Charakters erheben; und ihr werdet, verspricht sie euch, ihr werdet finden, wer Ihr selbst seyd; und werdet finden, dass dieser Erdball mit allen den Herrlichkeiten, welcher zu bedürfen ihr in kindischer Einfalt wähntet, dass diese Sonne, und die tausendmal tausend Sonnen, die sie umgeben, dass alle die Erden, die ihr um jede der tausendmaltausend Sonnen ahnet, und die in keine Zahl zu fassenden Gegenstände alle, die ihr auf jedem dieser Weltkörper ahnet, wie ihr auf eurer Erde sie findet, dass dieses ganze unermessliche An, vor dessen blossem Gedanken eure sinnliche Seele bebt, und in ihren Grundtesten erzittert – dass es nichts ist, als in sterbliche Augen ein matter Abglanz eures eigenen, in euch verschlossenen und in alle Ewigkeiten hinaus zu entwickelnden ewigen Daseyns. Ihr werdet, verspricht sie euch, bloss selbstthätiges Princip, und allein durch euer pflichtmässiges Handeln bestehend – den Genuss nicht entbehren, sondern verschmähen, alles was da Ding ist, die Herrlichkeiten eurer Erde, und jener tausendmaltausend Weltkörper, und des ganzen unermesslichen All, vor dessen blossem Gedanken eure sinnliche Seele erbebt, tief unter eurer eigenen geistigen Natur finden,[236] und die Liebe und die Berührung damit für Befleckung und Entweihung eures höheren Ranges halten. Ihr werdet, verspricht sie euch, kühn eure Unendlichkeit dem unermesslichen All, vor dessen blossem Gedanken eure sinnliche Seele erbebt, gegenüberstellen und sagen: wie könnte ich deine Macht fürchten, die sich nur gegen das richtet, was dir gleich ist, und nie bis zu mir reicht. Du bist wandelbar, nicht ich; alle deine Verwandlungen sind nur mein Schauspiel, und ich werde stets unversehrt über den Trümmern deiner Gestalten schweben. Dass die Kräfte schon jetzt in Wirksamkeit sind, welche die innere Sphäre meiner Thätigkeit, die ich meinen Leib nenne, zerstören sollen, befremdet mich nicht; dieser Leib gehört zu dir, und ist vergänglich, wie alles, was zu dir gehört, aber dieser Leib ist nicht Ich. Ich selbst werde über seinen Trümmern schweben, und seine Auflösung wird mein Schauspiel seyn. Dass die Kräfte schon in Wirksamkeit sind, welche meine äussere Sphäre, die erst jetzt angefangen hat, es in den nächsten Puncten zu werden; – welche euch, ihr leuchtenden Sonnen alle, und die tausendmaltausend Weltkörper, die euch umrollen, zerstören werden, kann mich nicht befremden; ihr seyd durch eure Geburt dem Tode geweiht. Aber wenn unter den Millionen Sonnen, die über meinem Haupte leuchten, die jüngstgeborne ihren letzten Lichtfunken längst wird ausgeströmt haben, dann werde ich noch unversehrt und unverwandelt derselbe seyn, der ich jetzt bin; und wenn aus euren Trümmern so vielemale neue Sonnensysteme werden zusammengeströmt seyn, als eurer alle sind, ihr über meinem Haupte leuchtende Sonnen, und die jüngste unter allen ihren letzten Lichtfunken längst wird ausgeströmt haben, dann werde ich noch seyn, unversehrt und unverwandelt, derselbe, der ich heute bin; werde noch wollen, was ich beute will, meine Pflicht; und die Folgen meines Thuns und Leidens werden noch seyn, aufbehalten in der Seligkeit aller. Ihr sollt, verspricht sie euch, auch in eurem mütterlichen Lande, der übersinnlichen Welt, und Gott gegenüber, frei und aufgerichtet dastehen. Ihr seyd nicht seine Sklaven, sondern freie Mitbürger seines Reichs. Dasselbe Gesetz, das euch verbindet, macht sein Seyn aus,[237] so wie es euren Willen ausmacht. Selbst ihm gegenüber seyd ihr nicht bedürftig, denn ihr begehrt nichts, als was er ohne euer Begehr thut; selbst von ihm seyd ihr nicht abhängig, denn ihr sondert euren Willen nicht ab von dem seinigen. »Ihr nehmt die Gottheit auf in euren Willen, und sie steigt für euch von ihrem Weltenthrone herab.«

Und jetzt habt ihr, noch uneingenommene und unbefangene Leser, bei euch selbst zu entscheiden, nach welcher von diesen beiden Lehren ihr gebildet zu seyn wünscht: ob nach der, die euch erniedrigt, oder nach der, die euch unaussprechlich zu erheben verspricht? Wie die erstere auf ein menschliches Gemüth wirke, werdet ihr ohne Zweifel an euch selbst empfunden haben; wir haben es alle empfunden, denn wir sind bisjetzt noch alle genöthigt, durch diese Denkart hindurch zu gehen. Ob die zweite ihre grossen Versprechungen halte, könnt ihr zwar allerdings durch Einbildungskraft und Nachdenken, wenn beides nicht in ganz gemeinem Grade euch zu Gebote steht, zum Theil ermessen; aber wahrhaft zur Ueberzeugung darüber kommen, könnt ihr nur dadurch, dass ihr wirklich thut, was sie von euch fordert. Möchten diese Schilderungen recht viele unter euch reizen, den Versuch an ihrem eigenen Herzen zu machen! Macht ihr ihn recht, und findet euch getäuscht; nun dann verdammt mich, wozu ihr wollt.

Und hiermit lege ich denn die Feder nieder, mit der Ruhe, mit welcher ich einst mein ganzes irdisches Tagewerk niederzulegen und in die Ewigkeit hinüberzutreten hoffe. Das noch zu sagen, was ich hier gesagt habe, war meine Sache; was nun weiter geschehen soll, ist Sache eines Anderen.[238]


Fußnoten

1 Besonders: Briefe über die Lehre des Spinoza, S. 234 ff. 2. Ausgabe, in seiner Vertheidigung gegen Mendelssohn; und so in allen seinen Schriften.


2 Nunmehr zwar scheinen sie dies bemänteln zu wollen. In einem, Namen dieser Commission ausgestellten, von dem Bücherinspector Herrn Mechau unterschriebenen Attestate, das sich in meinen Händen befindet, wird gesagt: dass man den ersten und zweiten Aufsatz (die doch nur noch mit einem dritten zusammengeheftet, und nirgend einzeln vorhanden waren) des ersten Heftes in den Buchhandlungen aufgesucht. – Nach demselben Attestate steht in dem Rescripte der Ausdruck: dass jene beiden Aufsätze die gröbsten atheistischen Aeusserungen enthalten.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 5, Berlin 1845/1846.
Erstdruck: Jena (Gabler) und Tübingen (Cotta) 1799.
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