Einleitung.

Vom Verhältnisse des Vernunftstaates zu dem wirklichen, und des reinen Staatsrechts zur Politik.

Das reine Staatsrecht lässt unter seinen Augen den Vernunftstaat nach Rechtsbegriffen entstehen; indem es die Menschen ohne alle vorherige den rechtlichen ähnliche Verhältnisse voraussetzt.

Aber in diesem Zustande findet man die Menschen nirgends. Allenthalben sind sie unter einer, grossentheils nicht nach Begriffen und durch Kunst, sondern durch das Ohngefähr oder die Fürsehung entstandenen Verfassung schon beisammen. In dem letzteren Zustande findet sie der wirkliche Staat; und er kann diese Verfassung nicht plötzlich zerstören, ohne die Menschen zu zerstreuen, zu verwildern, und so seinen wahren Zweck, einen Vernunftstaat aus ihnen aufzubauen, aufzuheben. Er kann nicht mehr thun, als sich dem Vernunftstaate allmählig annähern. Der wirkliche Staat lässt sich sonach vorstellen, als begriffen in der allmähligen Stiftung des Vernunftstaates.

Es ist bei ihm nicht bloss, wie beim Vernunftstaate die Frage, was Rechtens sey, sondern: wie viel von dem, was Rechtens ist, unter den gegebenen Bedingungen ausführbar sey? Nennt man die Regierungswissenschaft des wirklichen[397] Staats nach der eben angegebenen Maxime Politik, so läge diese Politik in der Mitte zwischen dem gegebenen Staate und dem Vernunftstaate: sie beschriebe die stete Linie, durch welche der erstere sich in den letzteren verwandelt, und endigte in das reine Staatsrecht.

Wer es unternimmt zu zeigen, unter welche Gesetze insbesondere der öffentliche Handelsverkehr im Staate zu bringen sey, hat daher zuvörderst zu untersuchen, was im Vernunftstaate über den Verkehr Rechtens sey; dann anzugeben, was in den bestehenden wirklichen Staaten hierüber Sitte sey; und endlich den Weg zu zeigen, wie ein, Staat aus dem letzteren Zustande in den ersteren übergehen könne.

Ich vertheidige mich nicht darüber, dass ich von einer Wissenschaft und einer Kunst den Vernunftstaat allmählig herbeizuführen, rede. Alles Gute, dessen der Mensch theilhaftig worden soll, muss durch seine eigene Kunst, zufolge der Wissenschaft, hervorgebracht werden: dies ist seine Bestimmung. Die Natur giebt ihm nichts voraus, als die Möglichkeit, Kunst anzuwenden. In der Regierung ebensowohl als anderwärts muss man alles unter Begriffe bringen, was sich darunter bringen lässt, und aufhören, irgend etwas zu Berechnendes dem blinden Zufalle zu überlassen, in Hoffnung, dass er es wohl machen werde.[398]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1845/1846, S. 395,399.
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