Vorrede

§. 1.

Ich übergebe hiermit dem Publikum eine Auswahl von Text-Uebersetzungen aus dem Suttapiṭakaṃ. Dasselbe ist der zweite des aus drei Theilen bestehenden südbuddhistischen Kanons, des Tipiṭakaṃ, welches in die natürliche Ordnung von Vinaya-, Sutta- und Abhidhammapiṭakaṃ eingetheilt wird. Vom Vinayapiṭakaṃ besitzen wir bereits eine genügende Auswahl von Uebersetzungen, die Oldenberg und Rhys Davids in den Sacred Books of the East (Bde. XII, XVII und XX, Oxford 1881-85) herausgegeben haben. Aus dem Abhidhammapiṭakaṃ ist noch nichts in eine europäische Sprache übersetzt worden; sein Inhalt ist, als eine, meist scholastische, spätere Bearbeitung gewisser Stellen des Sutta- und Vinayapiṭakaṃ, hierzu wenig geeignet. Das Suttapiṭakaṃ, die reichste Quelle für die Erkenntniss der buddhistischen Lehre, ist aber bisher nur sehr wenig durch Uebersetzungen bekannt gemacht. Das Beste von dem Wenigen findet man, freilich zumeist paraphrasirt, in Oldenbergs epochemachendem Werk: »Buddha«, 2. Aufl. Berlin 1890. Sieben Suttas hat Rhys Davids im XI. Bande der S.B.E., einige Suttas Léon Feer in den Annales du Musée Guimet, im Journal Asiatique und in der Revue de l'histoire des religions, eins Richard Pischel, »Assalāyanasuttam«, Chemnitz 1880, und zwei Suttas habe ich in meiner »Inneren Verwandtschaft buddhistischer und christlicher Lehren«, Leipzig 1891, übersetzt. Ausserdem ist eine verhältnismässig gute Prosa-Uebertragung zweier der wichtigsten poëtischen Texte, des Dhammapadaṃ von Max Müller [von Fausböll lat. üb. bereits 1855, Kopenh.] und des Suttanipāto von Fausböll (beide als X. Band der S.B.E.), sowie eine treffliche Uebersetzung des zumeist metrischen, schönen Khuddakapāṭho von Childers (im Journal of the Royal Asiatic Society, London 1870, pp. 309-339), erschienen. Dies ist, nebst einigen älteren, hierher gehörigen Arbeiten Burnouf's, Gogerly's u.A., Alles, was aus dem Suttapiṭakaṃ übersetzt wurde, nicht viel mehr als etwa 1/30 des Originaltextes.

»So wenig soll erst vom authentischen Buddhismus bekannt geworden sein?« wird Mancher ungläubig ausrufen: leider ist es so. Die Zahl der über den Buddhismus geschriebenen und alljährlich erscheinenden Bücher ist freilich Legio; aber die meisten liefern nur eine Illustration zu der bekannten Thatsache, dass Jeder sich für kompetent hält, über eine Sache zu schreiben und sie zu beurtheilen, die er nicht kennt. Die gesammte, stattliche Bibliothek in fünf europäischen Sprachen über den Buddhismus weist nur ein einziges Werk auf, das seiner Darstellung den ächten, d.i. ältesten buddhistischen Kanon, das Pāli-Tipiṭakaṃ, zugrunde gelegt hat: das Buch [887] Oldenbergs. Die übrigen zerfallen in fünf Klassen: solche, die ihrer Darstellung schon bekannte ältere, oder aber jüngere, also nicht zuverlässige, Pāli-Texte untergelegt haben: hierher gehören vor allem die ausgezeichneten Arbeiten Spence Hardy's, dann Köppen's, Sangermano's, Bigandet's, Alabaster's; solche, die den nördlichen, d.i. degenerirten Buddhismus aus seinen nepalischen, tibetischen, chinesischen, mongolischen, oder japanischen Quellen geschöpft haben: die sehr zahlreichen Werke dieser Klasse – ich nenne vor Allen Burnouf, I.J. Schmidt, Csoma Körösi, Feer, Beal, Bunyiu Nanjio, Wassiljew – bieten überaus viel Hochbedeutendes in philosophischer und kulturhistorischer Hinsicht, aber für die Erkenntniss des ursprünglichen Buddhismus sind sie ohne jeden Werth; drittens solche, die eine allgemeine kulturhistorische Uebersicht des Buddhismus geben: ein sehr lehrreiches, aber schwierig zu bewältigendes Thema, das zwar häufig, doch ganz unzulänglich bearbeitet wurde; es erfordert umfassende Kenntnisse, Scharfsinn und unbefangenes Urtheil, drei seltene Eigenschaften, die noch seltener vereint auftreten; viertens solche, die den Buddhismus mit ächter Begeisterung, jedoch ohne wirklich zureichende Mittel verkünden: das sind z.B., die, theilweise vorzüglichen, sog. buddhistischen Katechismen; und endlich solche, die, meistens mit triumphirender Anpreisung des unendlich vollkommeneren »Christenthums«, den Buddhismus kritisiren, depreziren, kondamniren: es ist die Messwaare des volgi tam chlamydati quam coronati, die unversiegliche Produktion der »Bestia trionfante« Giordano Bruno's, die weit überwiegende Mehrzahl. In der That ist also nur ein kleines Bruchstück der uns erhaltenen authentischen Denkmäler des Buddhismus bisher bekannt geworden.

Die vorliegende Anthologie wird daher Denen willkommen sein, welche den wahren Buddhismus aus seinen eigenen Urkunden genauer kennen lernen wollen: denn sämmtliche Stücke sind, mit möglichster Sorgfalt, zum ersten Mal aus dem Urtext übersetzt worden. Das Suttapiṭakaṃ aber ist sowohl als das älteste und zuverlässigste Denkmal des ursprünglichen Buddhismus, als auch als dessen reichste und vielseitigste Quelle anerkannt. Es ist nämlich, als der hervorragendste Bestandtheil des Kanons, in den ältesten buddhistischen Schriften selbst, dem Vinayapiṭakaṃ übergeordnet, indem stets zuerst der Dhammo (= Suttapiṭakaṃ, Lehre) und dann erst der Vinayo (Vinayapiṭakaṃ, Disciplin) genannt wird. Sutta- und Vinayapiṭakaṃ sind gleichzeitig entstanden, und ihre Anfänge reichen aller Wahrscheinlichkeit nach bis auf Gotamo Buddho selbst (etwa 500 v. Chr.) hinauf, so dass wir mit Oldenberg (Vinayapiṭakaṃ, London 1879, vol. I, p. X) ein ursprüngliches Dvipiṭakaṃ, das Suttapiṭakaṃ als Lehre und das Vinayapiṭakaṃ als Ordensregel, für die älteste Form des Kanons halten dürfen. Während wir nun durch das Vinayapiṭakaṃ mehr einen klaren Einblick in das äussere Leben der Jünger Gotamo Buddho's gewinnen, eröffnet uns das Suttapiṭakaṃ ein volles, erschöpfendes Verständniss des inneren Gehaltes der Lehre des Meisters.

Ein volles Verständniss sage ich, und so ist es. Wer das Suttapiṭakaṃ objektiv studirt [888] hat, wird, wenn er nicht von allen Göttern verlassen ist, schwerlich die Stirne haben, mit hochgezogenen Brauen in salbungsvollem Tone zu beklagen, daß auch der Buddhismus voller Widersprüche sei –


»›Wir quälen uns immerfort

In des Irrthums Banden.‹

Wie manches verständliche Wort

Habt ihr missverstanden!«


Das ruft uns Goethe zu, und Lichtenberg zweifelt bekanntlich, ob, wenn ein Kopf und ein Buch zusammen stossen und es klingt hohl, Das allemal im Buche sein müsse. – Das Licht der buddhistischen Lehre ist endlich auch auf unserem Horizonte aufgegangen: und es wird Allen leuchten, die das Antlitz der Wahrheit ertragen können.


§. 2.

Die Anordnung der Texte in dieser ersten buddhistischen Anthologie ist eine chronologische. Es wäre in mancher Hinsicht zwar besser gewesen, wenn ich die übersetzten Stücke sachlich zusammengestellt hätte; in diesem Falle hätten jedoch die verschiedenen kanonischen Werke, also die fünf Nikāyos, aus denen das Suttapiṭakaṃ besteht, durcheinander geworfen werden müssen, was bei einer Anthologie höchst misslich wäre. Ich habe mich daher entschlossen, die Texte ihrer eigenen, traditionellen Ordnung gemäss folgen zu lassen, d.h. aus jedem Schriftenkomplex, der natürlichen, bunten Reihe nach, eine Auswahl gegeben, und zwar in der wahrscheinlichsten chronologischen Folge, nach welcher die Suttas des Majjhima-Nikāyo als die ältesten, die folgenden in absteigender, etwa bis an die Gränze des fünften vorchristlichen Jahrhunderts (vergl. Oldenberg, l.c.p. XXXIX) heranreichender Linie zu betrachten sind1. Was das Werk durch diese chronologische Anordnung an Uebersichtlichkeit [889] verliert, gewinnt es andererseits an Unmittelbarkeit des Eindrucks, da jeder Text dem Leser als ein für sich bestehendes Ganze sich darbietet. Ein besseres Verständniss der einzelnen Texte sowohl wie der ganzen Anthologie wird man allerdings erst nach wiederholtem Durchlesen erlangen; und gar treffend ist der Ausspruch Jean Paul's: »Ein Buch, das nicht werth ist, mehrmals gelesen zu werden, ist auch nicht würdig, dass man's einmal lieset.« Es versteht sich von selbst, dass ich mir alle Bemerkungen oder »Erläuterungen« versagt habe und den Text, ungekürzt, in seiner ursprünglichen Naïvetät, allein reden lasse. So verdienstvoll auch Oldenbergs pragmatische Darstellung und paraphrasirende Zusammenziehung der Texte ist: ich halte es für eine fundamentale Wichtigkeit zum tieferen Verständnisse der buddhistischen Lehre, die Texte ungekürzt wiederzugeben und sich des den Leser nur verwirrenden besserverstehnwollenden Dareinsprechens, wenigstens einstweilen, gänzlich zu entschlagen. Dann wird Vieles, was in den europäischen Darstellungen des Buddhismus als unauflösbare Dissonanz erscheint, sich von selbst in harmonische Melodie auflösen.

Freilich macht man den buddhistischen Schriften oft den Vorwurf, ihr Stil sei zu monoton, sie enthielten endlose Wiederholungen derselben Begriffskomplexe u. dergl. m. Wenn wir aber bedenken, dass die vollkommen reine Erhaltung dieser kostbarsten Urkunden, welche das Menschengeschlecht besitzt, durch mehr als 2300 Jahre hindurch, nur durch die peinlichste, minutiöseste Akribie, in Allem und Jedem, überhaupt zu ermöglichen war, dann werden wir es vielleicht nicht mehr so überaus plump finden, zu sehn, wie jene ehrwürdigen Mönche der Vorzeit dieselben Begriffsreihen in den verschiedenen Suttas immer von neuem wiederholen, um durch eine durchgängige, organische Uebereinstimmung der Texte untereinander das Aechte für immer festzustellen und der Nachwelt rein zu überliefern. – Doch der Geschmack ist verschieden wie die Farben: Manchen sagt die leidenschaftlich-unruhige, oft wilde Diction unserer Bibel besser zu, als der einfache, gemessene, erhaben-ruhige und dabei doch tiefergreifende Stil des buddhistischen Kanons. Für Solche ist diese Anthologie nicht bestimmt, oder nur cum grano salis: als unfehlbares Schlafmittel. Wird sie dagegen von der Oligarchie Heraklits sympathisch begrüsst, so hat sie ihren Zweck erreicht.


§. 3.

Ein Wort sei mir hier gestattet über meine Auffassung des Buddhismus als Kunstwerks. Die bisherigen, z. Th. vorzüglichen Darstellungen der buddhistischen [890] Lehre haben einen wichtigen Punkt entweder kaum berührt, oder, noch häufiger, ganz verkehrt behandelt. Es ist dies die Frage der Originalität, bez. der Abhängigkeit des Buddhismus von früheren und gleichzeitigen philosophischen und religiösen Anschauungen. Bei weitem am treffendsten hat Oldenberg sich hierüber ausgesprochen: »Den Ausgangspunkt für die Darstellung der buddhistischen Lehre giebt uns die Ueberlieferung wie die Natur der Sache deutlich an die Hand. Dem gesammten Gedankenkreis des Buddhismus liegt als die überall sich hindurchziehende Voraussetzung die Anschauung vom Leiden alles Daseins hienieden zugrunde. Die vier heiligen Wahrheiten der Buddhisten handeln vom Leiden, von der Entstehung des Leidens, von der Aufhebung des Leidens, vom Wege zur Aufhebung des Leidens: immer ist es das Wort Leiden, das den Grundton des buddhistischen Denkens angiebt. – In jenen vier Wahrheiten haben wir den ältesten, authentischen Ausdruck dieses Denkens zu erkennen. Wir dürfen sie als das religiöse Credo bezeichnen. Während die meisten Kategorien und Sätze, welche wir in der buddhistischen Lehre berührt finden, nicht als etwas diesem Glauben Eignes, sondern als der selbstverständliche Gemeinbesitz aller religiös Denkenden behandelt werden, erscheinen die vier heiligen Wahrheiten immer als etwas, das die Buddhisten vor den Nichtbuddhisten voraushaben, als Kern und Angelpunkt des Dhammo (Lehre).« [Buddha, 2. Aufl. p. 225ff.]. Der ausgezeichnete Gelehrte, dem wir erst ein reineres Verständniss des Buddhismus verdanken, hat hiermit das Wesen der buddhistischen Lehre klar gezeigt, jedoch nicht begründet. Das Folgende ist ein erster Versuch eine erschöpfende, kurze Begründung der vollkommen richtigen Darlegung zu geben.

Die Lehre Gotamo Buddho's ist, wie die Philosophie Schopenhauer's, die Religion als Kunst und nicht als Wissenschaft. Sie erkennt die platonischen Ideen und folgt nicht dem Satz vom Grunde. Sie liefert daher ein Ganzes, ein durchaus Vollständiges, ein organisch Zusammenhängendes – wo jeder Theil nothwendig zum Ganzen gehört, dieses aber nur durch das Erblicken des inneren Zusammenhanges aller Theile erkannt wird – da sie nur einen Gedanken aussprechen will und zwar einen Gedanken, der das Wesen dieser uns Allen anschaulich vorliegenden Welt erschöpft. Wie also der Künstler, z.B. der Bildhauer einen Apollo schafft und damit das Wesen der menschlichen Gestalt, der höchsten Jünglingsschönheit, vollkommen adäquat ausspricht, sein Kunstwerk also nicht »historisch« sondern allein als Spiegel der Idee erklärt werden kann: so auch ist die Lehre Gotamo Buddho's der vollendete Ausdruck der tiefsten Erkenntniss des Wesens der Welt.

»Was durch dieses Buch mitgetheilt werden soll, ist ein einziger Gedanke. Dennoch konnte ich, aller Bemühungen ungeachtet, keinen kürzeren Weg ihn mitzutheilen finden, als dieses ganze Buch. – Ich halte jenen Gedanken für Dasjenige, was man unter dem Namen der Philosophie sehr lange gesucht hat, und dessen Auffindung, eben daher, von den historisch Gebildeten für so unmöglich gehalten wird, wie die des Steines [891] der Weisen« – mit diesen Worten hat Schopenhauer im Jahre 1818 »Die Welt als Wille und Vorstellung« eingeleitet: und mit wachsendem Erstaunen und inniger Bewunderung sehn wir jetzt, da uns die authentischen Texte des Buddhismus, der Pāli-Kanon in der Editio princeps allmälig zugänglich wird, wie sich Schopenhauer und Gotamo Buddho, über die Jahrtausende hinweg, die Hand reichen. Jeder von ihnen hat durch sich selbst die Wahrheit erkannt, jenen einzigen Gedanken, der in verschiedener Beleuchtung das alleinige Thema ihrer Lehre ist. Gewiss hat Schopenhauer, und auch Gotamo Buddho, von seinen Vorgängern gelernt, ebenso, wie etwa Raphael, oder Mozart von seinem Vater im Technischen, überhaupt im Untergeordneten der betreffenden Kunst unterwiesen wurde; aber der Künstler, sei er nun Maler, Dichter, Musiker oder Philosoph, sieht mit seinem eigenen, völlig ungetrübten reinen Auge in die Welt hinein. Er erfasst einen bestimmten Gegenstand, der Allen anschaulich vorliegt – als Philosoph das Ganze der Anschauung, innerer sowohl wie äusserer – und stellt ihn objektiv, so wie er sich im reinen, willenslosen Subjekt des Erkennens, als seinem Spiegel, zeigt, dar: ein Fall gilt für tausend, und das Wesen des betreffenden Gegenstandes ist ein für allemal adäquat dargestellt. Daher ist die Kunst allgenugsam, während die Wissenschaft ewig bedürftig bleibt und niemals zu einem wirklich befriedigenden Resultate gelangen kann. Ein Kunstwerk erstrahlt in ewiger Jugend, eine Wissenschaft wird von Tag zu Tag älter, und die vorhergehende ist, wenn sie auch zu ihrer Zeit unübertrefflich gehalten wurde, veraltet. Der Apollo vom Belvedere oder die kapitolinische Venus sagen uns das Selbe, was sie einst den Griechen gesagt haben; die Astronomie des Aristoteles oder die Farbenlehre Newton's sind uns nur mehr wissenschaftliche Mumien.

Man möge uns also mit dem beliebten historischen Schellengeklingel


»Mit trefflichen pragmatischen Maximen,

Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!«


verschonen – als ob von der historischen Entwicklung und geschichtlichen Wirkung der buddhistischen Lehre Wunder was abhienge! »Nur Eines, ihr Jünger, verkündige ich, heute wie früher: das Leiden und des Leidens Vernichtung.« Diese Worte Gotamo Buddho's (Majjhima-Nikāyo, vol. I., p. 140, SN III, 119 SN IV, 384) enthalten die Quintessenz seiner Lehre, gleichwie auch Schopenhauer uns oft mit wenigen Worten die tiefste Welterkenntniss erschliesst: »Der Geschichte bedürfte es zur Philosophie, also zum Verständniss des Wesens des Lebens?! Nur hineinzusehn braucht man in die Welt, gleichviel wo, aber mit klaren Augen, um das Wesen des Lebens zu erkennen. Noth, Tod und als Köder die Wollust – diese die Sünde, das Leben die Busse: Das ist's überall und in allen zehntausend kaleidoskopisch wechselnden Gestalten. Am Durchschnitt erkenne ich den ganzen Marmor und brauche nicht dessen Adern zu verfolgen: der Durchschnitt aber zeigt überall das Selbe.« (Nachlass, Leipzig 1864, p. 306).

[892] Auch Gotamo Buddho hat seine Vorgänger gehabt, die Philosophie der Upanischaden war für ihn das, was für Schopenhauer Kant war, und er hat von ihnen ebensoviel und ebensowenig gelernt und aufgenommen, wie etwa Shakespeare oder Richard Wagner von ihren Vorgängern: diese anschauliche Welt war sein Lehrbuch, wie das Schopenhauer's und jedes ächten Künstlers; was er gesehn und erkannt hat, das hat er verkündet, nicht für Kinder und Thoren, sondern für die wenigen Einsichtigen, für Jeden, der sein Jünger im Geiste und der That ist. An einen Solchen wendet er sich auch heute noch mit dem Goethe'schen Wort:


»Er stehe fest und sehe hier sich um!

Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.«


§. 4.

Die Uebertragung der pālischen Termini ad hoc in eine andere Sprache bietet aussergewöhnliche Schwierigkeiten. Dieselben unübersetzt herüberzunehmen geht nicht wohl an, sie kurz und treffend wiederzugeben ist fast unmöglich, und langathmige Umschreibungen liefern ein dem Original durchaus unähnliches Zerrbild. Ich war vor allen Dingen darauf bedacht eine möglichst genaue Uebertragung der betreffenden philosophischen Kunstausdrücke zu erreichen, natürlich sehr oft auf Kosten des Stils und Wohlklangs. Jedoch: klar zu sein ist das Hauptgesetz eines jeden Schriftstellers und Uebersetzers, und diesem hoffe ich treu geblieben zu sein.

Der aufmerksame Leser und Forscher wird bei eingehenderem Studium bemerken, dass ich bei der Verdeutschung einiger der wichtigsten philosophischen Begriffe von meinen Vorgängern, also hauptsächlich von Oldenberg, beträchtlich abgewichen bin. Ich habe mich dazu erst nach langer Zögerung und reiflicher Ueberlegung entschlossen, weil es bedenklich scheint, aus einem sorgfältig aufgeführten Baue, wie es die musterhafte Darstellung Oldenbergs ist, wohleingefügte Quadersteine zu entfernen und durch andere zu ersetzen. Es musste jedoch geschehn. Ein oder zwei Beispiele mögen zu meiner Rechtfertigung angeführt werden.

Oldenberg giebt »viññāṇaṃ« stets durch »Erkennen« wieder. Nun ist aber der buddhistische Begriff »viññāṇaṃ«, als seltenster Ausnahmefall, vollkommen identisch mit Dem, was wir durch »Bewusstsein« ausdrücken2. Dies zeigen, nebst zahllosen anderen Stellen des Kanons, insbesondere die Schlussverse des Kevaṭṭasuttantaṃ (Dīgha-Nikāyo, vol. I., p. 223). Ein Mönch, der nirgends eine Lösung seiner Frage, wo die vier Elemente restlos aufgehn, erhalten kann, wendet sich endlich an den Buddho;[893] dieser belehrt ihn, dass seine Frage nach dem Orte der Vernichtung der Elemente eine verkehrte sei, man könne vielmehr nur fragen:


»Wo ist nicht mehr das Erdige, das Wasser, Feuer und der Wind?

Wo löst sich auf, was lang und kurz, was klein und gross, was gut und schlecht?

Wo wird so Subjekt wie Objekt vollkommen restlos aufgelöst?«


Und diese Frage löst nun der Buddho:


»Wo das Bewusstsein nicht mehr brennt, wo es total entwurzelt ist,

Da ist nicht mehr das Erdige, das Wasser, Feuer und der Wind,

Da löst sich auf, was lang und kurz, was klein und gross, was gut und schlecht,

Da wird so Subjekt wie Objekt vollkommen restlos aufgelöst:

Durch des Bewusstseins Aufhebung geht dieses Ganze restlos auf.3«


Wie übersetzt nun Oldenberg die letzteren Verse?! –:

»Das Erkennen, das Unzeigbare, das Unendliche, das Allleuchtende: das ist es, wo nicht Wasser noch Erde, nicht Feuer noch Luft eine Stätte findet, in welchem Grösse und Kleinheit, Geringes und Mächtiges, Schönes und Unschönes, in welchem Name und Körperlichkeit ganz und gar aufhört.« (»Buddha«, 2. Aufl. p. 246). Das klingt zwar orthodox vedāntisch, aber der Buddhismus hat dergleichen niemals vorgebracht, und die Verse des Kevaṭṭasuttantaṃ besagen etwas ganz Anderes. Abgesehn von der ein Missverständniss kaum ermöglichenden, feinen Pointirung des zweiten Theiles des Kevaṭṭasuttantaṃ, die gerade in den Schlussversen kulminirt, erhellt schon allein aus dem letzten Vers:


»Viññāṇassa nirodhena etth' etam uparujjhati«,


»durch die Vernichtung des Bewusstseins geht dann dies Alles (d.i. die Elemente und ihre Derivate) restlos auf« – wie der, freilich nicht so leichte, erste aufzufassen [894] ist: wir haben da keine Nominative, wie Oldenberg meint, sondern lauter Accusative, abhängig von pahaṃ:


»Viññāṇaṃ anidassanam anantaṃ sabbato pahaṃ«,


»wenn man das Bewusstsein mit seiner ganzen Leuchtkraft, ohne Rest, total aufgiebt«. Dass diese Konstruktion die richtige ist, und man nicht etwa mit D'Alwis (Childers' Dict. p. 272) »pabhaṃ« lesen dürfe, wird u.a. durch die Parallele im Saṃyuttaka-Nikāyo, vol. III., p. 27, festgestellt, wo es heisst: »Viññāṇaṃ pajaham bhabbo dukkhakkhayāya«. Auch hier ist die Konstruktion genau die selbe: in obigem Verse des Kevaṭṭasuttantaṃ ist aber »pajahaṃ« einfach metri causā zu »pahaṃ« geworden4. – Die Verse sagen klar: Durch die Aufhebung des Bewusstseins wird auch die Welt aufgehoben: denn ohne Subjekt kein Objekt. »Viññāṇaṃ« ist das empirische Bewusstsein, welches in das Bewusstsein des eigenen Selbst (Selbstbewusstsein, manoviññāṇaṃ) und in das Bewusstsein anderer Dinge (äussere Anschauung, rūpādiviññāṇaṃ) zerfällt, was sogleich durch einen der ältesten kanonischen Texte selbst unwiderleglich bewiesen werden soll. Das empirische Bewusstsein aber ist es, von dem Schopenhauer sagt: Das Dasein der Welt, so unermesslich und massiv sie auch sein mag, hängt dennoch an einem einzigen Fädchen: und dieses ist das jedesmalige Bewusstsein, in welchem sie dasteht. (Siehe W.W.V., II. Bd., I. Kap.).

Oldenberg hat also diese wichtige Stelle völlig irrverstanden, und so oft er auch anderwärts vom »Erkennen« spricht, will er es als eine Art kosmischer Substanz auffassen, wovon der Buddhismus freilich ebenso himmelweit entfernt ist, wie Schopenhauer von Hegel. »Dieses höchste der irdischen Elemente«, wie es Oldenberg nennt, wird nämlich im Sammādiṭṭhisuttaṃ (Majjhima-Nikāyo, vol. I., p. 53) sehr palpabel und einfach definirt: »Was ist das Bewusstsein? Sechs Bewusstseinskomplexe giebt es: das Sehbewusstsein, das Hörbewusstsein, das Riechbewusstsein, das Schmeckbewusstsein, das Tastbewusstsein5, das Denkbewusstsein6. Durch die Entstehung der Unterscheidung (des Objektseins für ein Subjekt) tritt die Entstehung des Bewusstseins ein, durch die Vernichtung der Unterscheidung tritt die Vernichtung des Bewusstseins ein.7« Und im Mahāhatthipadopamasuttaṃ (Majjhima-Nikāyo, vol. I., p. 185) wird auf die Frage: »Was ist die heilige Wahrheit vom Leiden?« geantwortet: »Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden etc., kurz: die fünf Elemente des Haftens an der Existenz sind Leiden; was sind [895] aber die fünf Elemente des Haftens an der Existenz? Das Element des Haftens am Körperlichen, das Element des Haftens am Gefühl, das Element des Haftens an der Wahrnehmung, das Element des Haftens an der Unterscheidung, das Element des Haftens am Bewusstsein.8« Das Bewusstsein ist also im Buddhismus nichts Anderes, als ein handgreifliches Substrat des Lebens, d.i. des Leidens. Die Ueberlegenheit des Buddhismus zeigt sich ja vornehmlich darin, dass er, so wie Schopenhauer, sich stets nur an die Anschauung, innere sowohl wie äussere, hält, also im besten Sinne des Wortes immanent bleibt, und es den rechtgläubigen Brāhmaṇen überlässt, sich Wolkenkuckucksheime, Erkenntniss-Substanzen, absoluten Geist und was dergl. Sächelchen mehr sind auszumalen. Taṇhā, die Lebenslust, und ihre Verkörperung als Leiden ist sein »Ens realissimum«, der Denkprocess aber nur ihr Spiegelbild, nur eine traumartige Efflorescenz ebendieser Lebenslust, blosses Gehirnphaenomen, dem ein rastloses Entstehn und Vergehn, Entwickeln und Zerstören, Sichbilden und Wiederauflösen nothwendig inhärirt. Die höchste Potenzirung dieses Gehirnphaenomens, das Bewusstsein, ist ihm daher geradezu der Inbegriff der leidvollen Nichtigkeit der ganzen Erscheinungswelt. Die Nummern 35-42 der Anthologie bieten einige wenige Beispiele dieser Art, welche Jeder mit den Pāli-Schriften bekannte leicht durch hunderte ähnlicher vermehren kann. Nirgends findet man diese Erkenntniss so entschieden zum Ausdrucke gebracht, wie im Buddhismus. Er ist auch hier des grössten Philosophen würdiger Vorgänger (und man muss hinzufügen: der einzige), der, über die brahmanische Spekulation sich hoch emporhebend, das Vorstellungsvermögen, den Intellekt des Menschen als etwas ganz und gar Sekundäres klar erkannt und, wohl zum ersten Mal auf dieser Erde, die paradoxe Wahrheit verkündet hat, die Gesetzmässigkeit der Erscheinungen habe ihren Ursprung nicht ausser, sondern in uns. Er steht also auf dem sicheren Boden des vollendeten transscendentalen Idealismus, jener Weltanschauung, die auch durch den strengsten und konsequentesten Skepticismus nicht im mindesten erschüttert werden kann, während der Brahmanismus sich niemals von einem gewissen Spiritualismus und daher transscendenten Realismus, und wieder anderseits auch nicht vom absoluten Idealismus, der ebenso unhaltbar ist wie seine Kehrseite, losmachen konnte. Der Buddhismus erweist sich, wenn wir von den Aphorismen Lao-tse's absehn, als die älteste, jedenfalls aber als die tiefsinnigste und klarste, nur Schopenhauern ebenbürtige, monistische Lehre. – Die auf dem oben dargelegten Missverstehn der Schlussverse des Kevaṭṭasuttantaṃ beruhende Behauptung Oldenbergs (»Buddha«, 2. Aufl. p. 246): »Der Stoff, aus dem das Erkennen gemacht ist, ist über die anderen Elemente hoch erhaben; er wohnt gleichsam in seiner eigenen Welt« – entbehrt natürlich jeder thatsächlichen Begründung.

[896] Nicht ebenso leicht wie bei dem Begriffe »viññāṇaṃ«, aber, bei eingehender Betrachtung, ebenso evident erhellt meine zutreffendere Uebersetzung von »saṇkhāro« (pl. -ā) durch »Unterscheidung«. »Saṇkhāro« ist, um mit Kant zu reden, ein Begriff nicht von konstitutivem, sondern von regulativem Inhalte. Seine Stelle zwischen »saññā« und »viññāṇaṃ« in der Reihe der fünf Khandhos kennzeichnet ihn zur Genüge als solchen. Bereits Spence Hardy hatte diesen Begriff durch »discrimination« wiedergegeben, Oldenberg aber und gar Rhys Davids haben ihn später durch »Gestaltungen«, bez. »Confections«, verballhornt, trotzdem auch Childers »discrimination« beibehielt (Diction. p. 198 B). Die lichtvollen Ausführungen dieses vortrefflichen, der Wissenschaft leider so früh entrissenen Mannes sind auch s.v. saṇkhāro (Diction. p. 453ff.) bis heute unübertroffen und gewähren einen tiefen Blick in die buddhistische Transscendental-Lehre. Mit gründlicher, feinsinniger Sachkenntniss bemerkt er u.a.: »The term Saṇkhāro is applied to many things that cannot be brought under our term ›Matter‹, such as qualities, attributes and modes of beings and things. Thus not only is a plant a saṇkhāro but its greenness is a saṇkhāro, not only is a rock a saṇkhāro but its hardness is a saṇkhāro, not only is a man a saṇkhāro but his vital principle is a saṇkhāro, not only is the eye a saṇkhāro but vision is a saṇkhāro, and the image depicted on the retina is a saṇkhāro«. – »Saṇkhāro«, in der buddhistischen Dianoiologie die nächsthöhere Potenz von »saññā«, »Wahrnehmung«, entspricht genau dem Kantischen Begriffe »Synthesis der Wahrnehmungen«: K.R.V. ed. Rosenkranz p. 764. Die Synthesis der Wahrnehmungen, heisst es dort, ist nicht schon in der blossen Wahrnehmung enthalten, sondern sie ist die synthetische Einheit der Wahrnehmung; Dies ist das Wesentliche einer Erkenntniss der Sinnesobjekte, während die Wahrnehmung allein bloss die Anschauung oder Empfindung der Sinne ausmacht. »Nun kommen zwar«, fährt Kant nach dieser Definition fort, »in der Erfahrung die Wahrnehmungen nur zufälliger Weise zu einander, so dass keine Nothwendigkeit ihrer Verknüpfung aus den Wahrnehmungen selbst erhellt, noch erhellen kann, weil Apprehension nur eine Zusammenstellung des Mannichfaltigen der empirischen Anschauung ist, aber keine Vorstellung von der Nothwendigkeit der verbundenen Existenz der Erscheinungen, die sie zusammenstellt, im Raum und Zeit in derselben angetroffen wird. Da aber Erfahrung ein Erkenntniss der Objekte durch Wahrnehmungen ist, folglich das Verhältniss im Dasein des Mannichfaltigen, nicht wie es in der Zeit zusammengestellt wird, sondern wie es objektiv in der Zeit ist, in ihr vorgestellt werden soll, die Zeit selbst aber nicht wahrgenommen werden kann, so kann die Bestimmung der Existenz der Objekte in der Zeit nur durch ihre Verbindung in der Zeit überhaupt, mithin nur durch a priori verknüpfende Begriffe, geschehn. Da diese nun jederzeit zugleich Nothwendigkeit bei sich führen, so ist Erfahrung nur durch eine Vorstellung der nothwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich.« Hiermit vergleiche man nun die auf Seite XXI angeführten, so oft vorkommenden, anerkannt ältesten dogmatischen Stellen aus dem Majjhima-Nikāyo, [897] insbesondere aber die vollständigen, mit der Erkenntnisslehre sich wesentlich beschäftigenden beiden Suttas (das 2. und 4. der Anthologie) – und man wird überrascht sein, die schwierige, bisweilen sogar dunkle transscendentale Elementarlehre Kant's so einfach dargelegt und, dem Sinne nach, gewiss nicht minderwerthig wiederzufinden. Ita res accendent lumina rebus.

Obzwar also der Begriff »saṇkhāro« eigentlich nur durch die Kantische »synthetische Einheit der Wahrnehmung« adäquat dargestellt werden kann, habe ich denselben dennoch durch »Unterscheidung« wiedergegeben, weil dieser Ausdruck sehr viel kürzer und daher, im oft wiederholten Gebrauche, leichter beweglich ist. Die »Unterscheidung« ist als Monogramm der »synthetischen Einheit der Apperception« zu betrachten. Diese Synthesis der Wahrnehmungen ist aber, mit anderen Worten: die im Subjekt liegende, vom Subjekt erst geschaffene Einheit der Wahrnehmung äusserer Dinge, die lediglich durch die Gehirnthätigkeit bedingte, mit ihr stehende und fallende intellektuelle Wahrnehmung der charakteristischen Merkmale, d.i. Unterschiede der verschiedenen dem Subjekt erscheinenden Objekte, kurz: die Unterscheidung, allgemeiner, die Vorstellung.

In metaphorischem Sinne sprechen die buddhistischen Schriften vom Leben und der Welt sehr oft als den Saṇkhāros schlechthin und bezeichnen damit kurz und treffend das Reich der ephemeren, trügenden, nichtigen Unterscheidungen, den ewigen Fluss dieses Wechselseins, das ὀντως οὐδεποτε ὀν, die in Raum, Zeit und Kausalität unendlich erscheinende Wandelwelt des Todes und der Geburt: den Samsāro, so dass die Saṇkhāros häufig gleichbedeutend mit Welt, Leben, Dasein überhaupt sind. Das ist jedoch, wie gesagt, erst die übertragene Bedeutung. Die Grundbedeutung, die man überall ohne weiteres substituiren kann, ist nie und nirgends eine andere als »Unterscheidung«, »Vereinigung« (nämlich der Gehirnfunctionen), »Vorstellung«. So sprechen auch wir, der Anschauung gemäss, von der Mondscheibe, meinen aber damit die Mondkugel.

Die Wichtigkeit der Begriffe »saṇkhāro« und »viññāṇaṃ« hat eine etwas ausführlichere Begründung meiner Uebersetzung derselben erfordert. Auf ähnliche Weise wird der mit den buddhistischen Schriften vertraute Leser eine zureichende Erklärung meiner abweichenden Verdeutschung anderer Termini, sowie mancher bisher, wie ich glaube, durchaus unrichtig übersetzter Textstellen finden; eine einzelne Begründung aller der vielen Punkte halte ich für überflüssig.


§. 5.

Die metrischen Stellen der von mir übersetzten Texte habe ich zum grössten Theil in den Versmaassen des Originals wiedergegeben. Die Schönheit und Innigkeit des [898] Urtextes abzuspiegeln stand leider nicht in meiner Macht. Diese Umdichtungen können nur als blasser Reflex der ächten buddhistischen Poësie gelten; so matt sie auch, trotz aller Sorgfalt, im Vergleich mit dem Urbild sind, halte ich sie doch für ähnlichere Ektypa, als die bisher üblichen Prosa-Uebersetzungen buddhistischer Verse, und besser, als die metrischen Uebertragungen meiner Vorgänger.


§. 6.

In der Wiedergabe der Masculina des Pāli hat man bisher allgemein die Endung -o des Nom. Sing. durch das sog. stammhafte -a verdrängt. Da nun alle Manuscripte ausnahmslos die Endung -o zeigen (die übrigens schon Gogerly, Turnour und Childers adoptiert haben), und auch die Aussprache der buddhistischen Mönche, heute so gut wie einst, diese Regel vollkommen bestätigt, müssen auch wir beim Gebrauche solcher Wörter die Endung -o wiedergeben, also Dhammo, Buddho, Nikāyo etc. sagen. Die neutrale Endung -aṃ des Nom. Sing., die man zumeist ebenso schlechtweg in -a entstellt hat, ist aus denselben Gründen in ihr Recht einzusetzen, daher Padaṃ, Kammaṃ, Nibbānaṃ etc. anzuwenden ist. Der wirklich gebrauchte Nom. Sing. ist für uns maassgebend, nicht aber ein niemals gesprochener und niemals geschriebener philologisch herausgeschälter Stamm, der die charakteristischen Merkmale verwischt. Durch diesen willkürlich und widersinnig eingeführten kraftlosen Alphacismus wird das ausdrucksvolle Wort gleichsam neutralisirt, die frei entwickelte Individualität von Wörtern wie z.B. Kammaṃ, Kāmo, Taṇhā, Saṃsāro, Suttaṃ, Vinayo, Nibbānaṃ, erscheint, einer gelehrten Marotte zu Liebe in die allgemeine a-Uniform gezwängt, als Kamma, Kāma, Tanhā, Saṃsāra, Sutta, Vinaya, Nibbāna, kurz, wir haben -a, -a, -a, überall, in infinitum, den wirklichen Verhältnissen und dem guten Geschmack zum Hohne. Keiner (Rumänen ausgenommen) spricht von einem Globu, sondern wir haben, mit richtigem Takt, in lateinischen sowie in griechischen Wörtern die Nominativ-Endung beibehalten. Wir dürfen also ebensowenig den Pāli-Wörtern ihre lebendige, ihnen eigenthümliche Färbung rauben. – Auch Dhyāna, Bhikshu, Nirvāṇa und viel dergleichen trifft man zwar in den europäischen Darstellungen des Buddhismus regelmässig an; es sind dies aber (unvollständige) Saṃskṛt-Formen, die mit dem ursprünglichen Buddhismus schlechterdings nichts zu schaffen haben, und die man sich denn doch allmälig wird abgewöhnen müssen, um sie durch die rechten zu ersetzen.


»So nimmt ein Kind der Mutter Brust

Nicht gleich im Anfang willig an,

Doch bald ernährt es sich mit Lust.«


Pāli-Wörter sollen, wenn sie unübersetzbar sind, als solche bewahrt bleiben. –

Die in dieser buddhistischen Anthologie vorkommenden wenigen Termini ad hoc und Eigennamen habe ich nach der vom Altmeister der Pāli-Wissenschaft in Europa, [899] Fausböll, eingeführten Transscription, die durch Einfachheit und Schönheit alle übrigen weit übertrifft, umschrieben. Man spricht also:


c, cc, cch wie deutsches tsch,

j, jj, jjh wie deutsches dsch,

y wie deutsches j,

v wie deutsches w,

ṭ, ḍ, ṇ lingual, etwa wie in Welt, Land, Hunger,

ṃ wie französ. m zwischen e und b (embellir),


und bei den aspirirten Konsonanten wie:


kh, gh, th, dh, ph, bh etc.


ist der Spirant vollkommen deutlich zu hören, so dass diese selbständig-entwickelten Aspiraten etwa so klingen, wie unsere entsprechenden zufällig-zusammengekommenen, z.B. in: starkherzig, zaghaft, Bruthenne, Waldhain, Kap-Horn, Abhülfe etc.,


die anderen Lautzeichen aber sind wie im Deutschen auszusprechen.


§. 7.

Endlich habe ich noch die Pflicht, Herrn Professor T.W. Rhys Davids, Ph. Dr., LL. Dr., und seinen Mitarbeitern öffentlich herzlichen Dank auszusprechen: durch seine edle, unermüdete Thätigkeit als Präsident und Texteditor der Pāli-Text-Society, deren Seele er ist, wurde es mir möglich, den Stoff zu dieser Anthologie zu sammeln.


Leiden, an Schopenhauers 104. Geburtstage.


K.E.N.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 885-901.
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