III. Das Unbewusste im Instinct

[68] Instinct ist zweckmässiges Handeln ohne Bewusstsein des Zwecks. – Ein zweckmässiges Handeln mit Bewusstsein des Zwecks, wo also das Handeln ein Resultat der Ueberlegung ist, wird Niemand Instinct nennen; ebenso wenig ein zweckloses blindes Handeln, wie die Wuthausbrüche rasender, oder zur Wuth gereizter Thiere. – Ich glaube nicht, dass die an die Spitze gestellte Definition von denen, die überhaupt einen Instinct annehmen, Anfechtungen zu erleiden haben dürfte; wer aber alle gewöhnlich so genannte Instincthandlungen der Thiere auf bewusste Ueberlegung derselben zurückführen zu können glaubt, der leugnet in der That jeden Instinct, und muss auch consequenterweise das Wort Instinct aus dem Wörterbuch streichen. Hiervon später.

Nehmen wir zunächst die Existenz von Instincthandlungen im Sinne der Definition an, so könnten dieselben zu erklären sein: 1) als eine blosse Folge der körperlichen Organisation, 2) als ein von der Natur eingerichteter Gehirn- oder Geistesmechanismus, 3) als eine Folge unbewusster Geistesthätigkeit. In den beiden ersten Fällen liegt die Vorstellung des Zweckes weit rückwärts, im letzten liegt sie unmittelbar vor der Handlung; in den beiden ersten wird eine ein für allemal gegebene Einrichtung als Mittel benutzt, und der Zweck nur einmal bei Herstellung dieser Einrichtung gedacht, im letzten wird der Zweck in jedem einzelnen Falle gedacht. Betrachten wir die drei Fälle der Reihe nach.

Der Instinct ist nicht blosse Folge der körperlichen Organisation, denn: a) die Instincte sind ganz verschieden bei gleicher Körperbeschaffenheit. Alle Spinnen haben denselben Spinnapparat, aber die eine Art baut strahlenförmige, die andere unregelmässige Netze, die dritte gar keine, sondern lebt in Höhlen, deren Wände sie überspinnt und deren Eingang sie mit einer Thür verschliesst. Zum Nestbau haben fast alle Vögel im Wesentlichen dieselbe Organisation (Schnabel und Füsse), und wie unendlich verschieden sind ihre Nester an Gestalt, Bauart, Befestigungsweise (stehend, klebend, hängend), Oertlichkeit (Höhlen, Löcher, Winkel, Zwiesel,[68] Sträucher, Erde) und Güte, wie verschieden oft bei den Arten einer Gattung, z.B. Parus (Meise). Manche Vögel bauen auch gar kein Nest. Die meisten Vögel mit Schwimmfüssen schwimmen, aber einige schwimmen auch nicht, z.B. Hochlandsgänse, welche selten oder nie ins Wasser gehen, oder der Fregattenvogel, der immer in der Luft schwebt, und den ausser Audubon noch niemand auf den Meeresspiegel sich hat niederlassen sehen.A25 Ebenso wenig hängt die verschiedene Sangesweise der Vögel von Verschiedenheit der Stimmwerkzeuge, oder die eigenthümliche Bauart der Bienen und Ameisen von ihrer Körperorganisation ab; in allen diesen Fällen befähigt die Organisation nur zum Singen resp. Bauen überhaupt, hat aber mit dem Wie der Ausführung nichts zu thun. Die geschlechtliche Auswahl hat mit der Organisation ebenfalls nichts zu thun, da die Einrichtung der Geschlechtstheile für jedes Thier bei unzähligen fremden Arten ebenso gut passen würde, wie bei einem Individuum seiner eigenen Art. Die Pflege, Schutz und Erziehung der Jungen kann noch weniger von der Körperbeschaffenheit abhängig gedacht werden, ebenso wenig der Ort, wohin die Insecten ihre Eier legen, oder die Auswahl der Fischeierhaufen ihrer eigenen Gattung, auf welche die männlichen Fische ihren Samen entleeren. Das Kaninchen gräbt, der Hase nicht, bei gleichen Werkzeugen zum Graben aber er bedarf der unterirdischen Zufluchtsstätte weniger wegen seiner grösseren Schnelligkeit zur Flucht. Einige vortrefflich fliegende Vögel sind Standvögel (z.B. Gabelweihe und andere Raubvögel) und viele mittelmässige Flieger (z.B. Wachteln) machen die grössten Wanderzüge.

b) Bei verschiedener Organisation kommen dieselben Instincte vor. Auf den Bäumen leben Vögel mit und ohne Kletterfüsse, Affen mit und ohne Wickelschwanz, Eichhörnchen, Faulthier, Puma u.s.w. Die Maulwurfsgrille gräbt mit ihren ausgesprochenen Grabscheiten an den Vorderfüssen, der Todtengräberkäfer gräbt ohne irgend eine Vorrichtung dazu. Der Hamster trägt mit seinen 3" langen und 1 1/2" breiten Backentaschen Wintervorräthe ein die Feldmaus thut dasselbe ohne besondere Einrichtung. Im Wasser leben ebensowohl Vögel mit als ohne Schwimmfüsse; wenigstens sind Lappentaucher (Podiceps) und Wasserhühner (Fulica) ausgezeichnete Wasservögel, obgleich ihre Zehen nur mit einer Schwimmhaut gesäumt sind. Die Vögel mit lang entwickeltem Tarsus und langen unverbundenen Zehen sind meistens Sumpfvögel, aber bei demselben Fussbau ist das Rohrhuhn (Ortygometra) fast eben so sehr[69] Wasservogel als das Wasserhuhn, und die Landralle (Crex) fast eben so sehr Landvogel als die Wachtel oder das Feldhuhn. Der Wandertrieb spricht sich in Thieren der verschiedensten Ordnungen mit gleicher Stärke aus, mit welchen Mitteln dieselben auch zu Wasser, zu Lande, oder zu Luft ihre Wanderschaft antreten.

Man wird hiernach anerkennen müssen, dass der Instinct in hohem Maasse von der körperlichen Organisation unabhängig ist. Dass ein gewisses Maass von körperlicher Organisation conditio sine qua non der Ausführung ist, versteht sich von selbst, denn z.B. ohne Geschlechtstheile ist keine Begattung möglich, ohne gewisse geschickte Organe kein künstlicher Bau, ohne Spinndrüsen keine Spinnen; aber trotzdem wird man nicht sagen können, dass die Organisation die Ursache des Instincts sei. Im blossen Vorhandensein des Organs liegt noch nicht das geringste Motiv für Ausübung einer entsprechenden Thätigkeit, dazu muss mindestens noch ein Wohlgefühl beim Gebrauch des Organs treten, erst dieses kann dann als Motiv zur Thätigkeit wirken. Aber auch dann, wenn das Wohlgefühl den Impuls zur Thätigkeit giebt, ist durch die Organisation nur das Dass, nicht das Wie dieser Thätigkeit bestimmt; das Wie der Thätigkeit enthält aber gerade das zu lösende Problem. Kein Mensch würde es Instinct nennen, wenn die Spinne den Saft aus ihrer überfüllten Spinndrüse auslaufen liesse, um sich das Wohlgefühl der Entleerung zu verschaffen, oder der Fisch aus demselben Grunde seinen Samen einfach in's Wasser entleerte; der Instinct und das Wunderbare fängt erst damit an, dass die Spinne Fäden spinnt, und aus den Fäden ein Netz, und dass der Fisch seinen Samen nur über den Eiern seiner Gattung entleert. Endlich ist das Wohlgefühl im Gebrauch der Organe ein ganz unzureichendes Motiv für die Thätigkeit selbst; denn das ist gerade das Grosse und Achtungeinflössende am Instinct, dass seine Gebote mit Hintenansetzung alles persönlichen Wohlseins, ja mit Aufopferung des Lebens erfüllt werden. Wäre bloss das Wohlgefühl der Entleerung der Spinndrüse das Motiv, warum die Raupe überhaupt spinnt, so würde sie nur so lange spinnen, als bis ihr Drüsenbehälter entleert ist, aber nicht das immer wieder zerstörte Gespinnst immer wieder ausbessern, bis sie vor Erschöpfung stirbt Ebenso ist es mit allen anderen Instincten, die scheinbar durch eigenes Wohlgefühl motivirt sind; sobald man die Umstände so einrichtet, dass an Stelle des individuellen Wohls das individuelle Opfer tritt, zeigt sich unverkennbar ihre höhere Abstammung. So z.B. meint man, dass die Vögel sich begatten um des geschlechtlichen[70] Genusses willen; warum wiederholen sie dann aber die Begattung nicht mehr, wenn die gehörige Anzahl Eier gelegt ist? Der Geschlechtstrieb besteht ja fort, denn so wie man ein Ei aus dem Nest herausnimmt, begatten sie sich von Neuem und das Weibchen legt ein Ei hinzu, oder wenn sie zu den klügeren Vögeln gehören, verlassen sie das Nest und machen eine neue Brut. Ein Weibchen von ignex torquilla (Wendehals), dem man das nachgelegte Ei stets wieder aus dem Neste nahm, legte immer wieder von Neuem begattet ein Ei zu, von denen jedes folgende immer kleiner wurde, bis man beim neunundzwanzigsten Ei den Vogel todt auf dem Neste liegen fand. Wenn ein Instinct die Probe eines auferlegten Opfers an individuellem Wohlsein nicht aushält, wenn er wirklich bloss aus dem Bestreben nach körperlicher Lust hervorgeht, dann ist es kein Instinct und nur irrthümlich kann er dafür gehalten werden.

Der Instinct ist nicht ein von der Natur eingepflanzter Gehirn- oder Geistesmechanismus, so dass die Instincthandlung ohne eigene (wenn auch unbewusste) individuelle Geistesthätigkeit und ohne Vorstellung des Zweckes der Handlung maschinenmässig vollzogen würde, indem der Zweck ein für allemal von der Natur oder einer Vorsehung gedacht wäre und diese nun das Individuum psychisch so organisirt hätte, dass er nur mechanisch das Mittel ausführte. Es handelt sich also hier um eine psychische Organisation, wie vorher um eine physische, als Ursache des Instincts. Diese Erklärung wäre ohne weiteres annehmbar, wenn jeder Instinct, der einmal zu dem Thiere gehört, unaufhörlich functionirte; aber das thut keiner, sondern jeder wartet, bis ein Motiv an die Wahrnehmung herantritt, welches für uns bedeutet, dass die geeigneten äussern Umstände eingetreten sind, welche die Erreichung des Zweckes durch dieses Mittel, das der Instinct will, gerade jetzt möglich machen; dann erst functionirt der Instinct als actueller Wille, welchem die Handlung auf dem Fusse folgt; ehe das Motiv eintritt, bleibt der Instinct also gleichsam latent und functionirt nicht. Das Motiv tritt in Form der sinnlichen Vorstellung im Geiste auf, und die Verbindung ist constant zwischen dem functionirenden Instinct und allen sinnlichen Vorstellungen, welche anzeigen, dass die Gelegenheit zur Erreichung des Zweckes des Instincts gekommen sei. In dieser constanten Verbindung wäre mithin der psychische Mechanismus zu suchen. Es wäre also hier wieder gleichsam eine Claviatur zu denken; die angeschlagenen Tasten wären die Motive, und die erklingenden Töne die functionirenden Instincte. Das könnte[71] man sich noch allenfalls gefallen lassen, wenn auch das Wunderliche stattfindet, dass ganz verschiedene Tasten denselben Ton geben, – wenn nur die Instincte wirklich bestimmten Tönen vergleichbar wären, d.h. ein und derselbe Instinct auf die ihm zugehörigen Motive auch wirklich immer auf dieselbe Weise functionirte. Dies ist aber eben nicht der Fall, sondern nur der unbewusste Zweck des Instincts ist das Constante, der Instinct selbst aber als der Wille zum Mittel variirt eben so, wie das zweckmässig anzuwendende Mittel nach den äusseren Umständen variirt. Hiermit ist der Annahme das Urtheil gesprochen, welche die unbewusste Vorstellung des Zwecks in jedem einzelnen Falle verwirft; denn wollte man nun noch die Vorstellung des Geistesmechanismus festhalten, so müsste für jede Variation und Modification des Instincts nach den äusseren Umständen eine besondere constante Vorrichtung, eine neue Taste mit einem Ton von anderer Klangfarbe eingefügt sein, wodurch der Mechanismus in eine geradezu unendliche Complication gerathen würde. Dass aber bei aller Variation in den vom Instinct gewählten Mitteln der Zweck constant ist, das sollte doch schon ein genügend deutlicher Fingerzeig sein, dass man eine so unendliche Complication des Geistes gar nicht braucht, sondern statt dessen bloss einfach die unbewusste Zweckvorstellung anzunehmen braucht.

So ist z.B. der constante Zweck für den Vogel, der Eier gelegt hat, die Küchlein zur Reife zu bringen; bei einer hierzu nicht genügenden äusseren Temperatur bebrütet er sie deshalb, nur in den wärmsten Ländern der Welt unterbleibt das Brüten, weil das Thier den Instinctzweck ohne sein Zuthun erfüllt sieht; in warmen Ländern brüten viele Vögel nur bei Nacht. Auch wenn zufällig bei uns kleine Vögel in warmen Treibhäusern genistet haben, so sitzen sie wenig oder gar nicht auf den Eiern. Wie abstossend ist hier nicht die Annahme eines Mechanismus, der den Vogel zum Brüten zwingt, sobald die Temperatur unter einen gewissen Grad sinkt, wie einfach und klar die Annahme des unbewussten Zwecks, der zum Wollen des geeigneten Mittels nöthigt, von welchem Process aber nur das Endglied, als unmittelbar dem Handeln vorausgehender Wille, in's Bewusstsein fällt. – Im südlichen Afrika umzäunt der Sperling sein Nest zum Schutz gegen Schlangen und Affen mit Dornen. – Die Eier, die der Kukuk legt, gleichen an Grösse, Farbe und Zeichnung immer den Eiern des Nestes, wohinein er legt; z.B. bei sylvia rufa weiss mit violetten Tüpfeln, sylvia hippolais rosa mit schwarzen Tüpfeln, regulus ignicapellus rothgewölkt, und immer ist[72] das Kukuksei so täuschend ähnlich, dass es fast nur an der Structur der Schale unterschieden werden kann. Dabei zählt Brehm einige fünfzig Vogelarten auf, in deren Nestern Kukukseier constatirt worden sind (Illustrirtes Thierleben Bd. IV. S. 197). Nur durch Versehen, wenn ein Kukuk sich vom Ablegen überrascht findet, wird ein Ei auch einmal in ein falsches Nest gelegt, so wie auch gelegentlich eins auf der Erde verkümmert, wenn die Mutter nicht zu rechter Zeit ein geeignetes Nest hat ausfindig machen können. – Huber brachte es durch besondere Einrichtungen dahin, dass die Bienen ihre instinctmässige Bauart von oben nach unten nicht ausführen konnten, worauf sie von unten nach oben oder auch horizontal bauten. Wo die äussersten Zellen von der Decke des Korbes ausgehen, oder an die Wandung anstossen, sind es nicht sechsseitige, sondern zu dauerhafterer Befestigung fünfseitige Prismen, welche mit der einen Basis angeklebt sind. Im Herbst verlängern die Bienen die vorhandenen Honigzellen, wenn nicht genug da sind; im Frühjahr verkürzen sie sie wieder, um zwischen den Waben breitere Gänge zu gewinnen. Wenn die Waben von Honig zu schwer geworden sind, so ersetzen sie die Wachswände der obersten (tragenden) Zellen durch dickere, aus Wachs und Propolis gebildete. Bringt man Arbeitsbienen in die für Drohnen bestimmten Zellen, so bringen die Arbeiterinnen hier die entsprechenden flachen Deckel statt der den Drohnen zukommenden runden an. Im Herbste tödten sie regelmässig die Drohnen, nicht aber dann, wenn sie die Königin verloren haben, damit dieselben die aus den Arbeiterinnenlarven aufzuziehende junge Königin befruchten. Gegen Räubereien von Sphinxen bemerkte Huber, dass sie ihnen den Eingang durch künstliche Bauwerke von Wachs und Propolis versperren. Propolis tragen sie nur dann ein, wenn sie welchen zum Ausbessern oder zu besonderen Zwecken brauchen. Auch Spinnen und Raupen zeigen eine merkwürdige Geschicklichkeit in dem Ausbessern ihrer zerstörten Gewebe, was doch eine entschieden andere Thätigkeit ist, als die Neuanfertigung eines Gespinnstes.

Die angeführten Beispiele, welche sich in's Unzählige vermehren liessen, beweisen zur Genüge, dass die Instincte nicht nach festen Schematen maschinenmässig abgehaspelte Thätigkeiten sind, sondern dass sie sich vielmehr den Verhältnissen auf das Innigste anschmiegen und so grosser Modificationen und Variationen fähig sind, dass sie bisweilen in ihr Gegentheil umzuschlagen scheinen. Mancher wird diese Modification der bewussten Ueberlegung der Thiere zuschreiben wollen, und gewiss ist bei geistig höher[73] stehenden Thieren in den meisten Fällen eine Combination von Instinctthätigkeit und bewusster Ueberlegung nicht zu leugnen; indessen glaube ich, dass die angeführten Beispiele zur Genüge beweisen, dass es auch viele Fälle giebt, wo ohne jede Complication mit der bewussten Ueberlegung die gewöhnliche und aussergewöhnliche Handlung aus derselben Quelle stammen, dass sie entweder beide wirklicher Instinct, oder beide Resultate bewusster Ueberlegung sind. Oder sollte es wirklich etwas anderes sein, was die Biene in der Mitte sechsseitige, am Rande fünfseitige Prismen bauen heisst, was den Vogel unter diesen Umständen die Eier bebrüten, unter jenen sie nicht bebrüten lässt, was die Bienen dazu bringt, bald ihre Brüder unbarmherzig zu ermorden, bald ihnen das Leben zu schenken, was die Vögel den Nestbau ihrer Species und die besonderen Vorkehrungen lehrt, was die Spinne ihr Netz weben und das beschädigte ausbessern lässt? Wenn man dies zugiebt, dass die Modificationen des Instincts mit seiner gewöhnlichsten Grundform, die oft gar nicht zu bestimmen sein möchte, aus Einer Quelle stammen, dann findet der Einwand in Betreff der bewussten Ueberlegung seine Erledigung später von selbst, da wo derselbe gegen den Instinct überhaupt gerichtet ist. Eine Bemerkung aus späteren Capiteln andeutend vorwegzunehmen, dürfte hier nicht unangemessen scheinen, dass nämlich Instinct und organische Bildungsthätigkeit ein und dasselbe Princip enthalten, nur in Bethätigung unter verschiedenen Umständen, und dass beide ohne jede Grenze fliessend in einander übergehen. Hieraus geht ebenfalls eclatant hervor, dass der Instinct nicht auf der Organisation des Leibes oder des Gehirns beruhen kann, da man viel richtiger sagen kann, dass die Organisation durch eine Bethätigung des Instincts entstehe. Dies nur beiläufig. –

Dagegen haben wir nunmehr unseren Blick noch einmal schärfer auf den Begriff eines psychischen Mechanismus zu richten, und da zeigt sich, dass derselbe, abgesehen davon, wie viel er erklärt, so dunkel ist dass man sich kaum etwas dabei denken kann. Das Motiv tritt in Gestalt einer bewussten sinnlichen Vorstellung in der Seele auf, dies ist das Anfangsglied des Processes; das Endglied tritt als bewusster Wille zu irgend einer Handlung auf: beide sind aber ganz ungleichartig und haben mit der gewöhnlichen Motivation nichts zu thun, welche ausschliesslich darin besteht, dass die Vorstellung einer Lust oder Unlust das Begehren erzeugt, erstere zu erlangen, letztere sich fern zu halten. Beim Instinct tritt wohl[74] meistens die Lust als begleitende Erscheinung auf, wenn sie auch, wie wir schon oben gesehen haben, durchaus nicht erforderlich ist, sondern die ganze Macht und Grösse sich erst in der Aufopferung des Individuums zeigt; aber das eigentliche Problem liegt hier weit tiefer; denn jede Vorstellung einer Lust setzt voraus, dass man diese Lust schon erfahren hat; daraus folgt aber wieder, dass in dem früheren Falle ein Wille vorhanden war, in dessen Befriedigung die Lust bestand, und woher der Wille kommt, ehe die Lust gekannt ist, und ohne dass wie beim Hunger ein körperlicher Schmerz dringende Abhülfe fordert, das ist eben die Frage, da man an jedem einsam aufwachsenden Thiere sehen kann, dass die instinctiven Triebe sich einfinden, ehe es die Lust ihrer Befriedigung kennen lernen konnte. Es muss folglich beim Instinct eine causale Verbindung zwischen der motivirenden sinnlichen Vorstellung und dem Willen zur Instincthandlung geben, mit welcher die Lust der später folgenden Befriedigung nichts zu thun hat. Diese causale Verbindung fällt erfahrungsmässig, wie wir von unsern menschlichen Instincten wissen, nicht in's Bewusstsein; folglich kann dieselbe, wenn sie ein Mechanismus sein soll, nur entweder eine nicht in's Bewusstsein fallende mechanische Leitung und Umwandlung der Schwingungen des vorgestellten Motivs in die Schwingungen der gewollten Handlung im Gehirn, oder ein unbewusster geistiger Mechanismus sein. Im ersten Fall wäre es sehr wunderbar, dass dieser Vorgang unbewusst bliebe, da doch der Process so mächtig ist, dass der aus ihm resultirende Wille jede andere Rücksicht, jeden anderen Willen überwindet, und derartige Schwingungen im Gehirn immer bewusst werden; auch ist es schwer, sich davon eine Vorstellung zu machen, wie diese Umwandlung in der Weise vor sich gehen soll, dass der ein für allemal festgestellte Zweck unter variabeln Umständen durch den resultirenden Willen in variirender Weise erreicht werden soll. Nimmt man aber den andern Fall, einen unbewussten Geistesmechanismus, an, so kann man sich den in demselben vorgehenden Process doch nicht füglich in anderer Form denken, als in der für den Geist allgemein gültigen der Vorstellung und des Willens. Man hat sich also zwischen dem bewussten Motiv und dem Willen zur Instincthandlung eine causale Verbindung durch unbewusstes Vorstellen und Wollen zu denken, und ich weiss nicht, wie diese Verbindung einfacher gedacht werden könnte, als durch den vorgestellten und gewollten Zweck. Damit sind wir aber bei dem allem Geiste eigenthümlichen und immanenten Mechanismus[75] der Logik angelangt, und haben die unbewusste Zweckvorstellung bei jeder einzelnen Instincthandlung als unentbehrliches Glied gefunden; hiermit hat also der Begriff des todten, äusserlich prädestinirten Geistesmechanismus sich selbst aufgehoben und in das immanente Geistesleben der Logik umgewandelt, und wir sind bei der letzten Möglichkeit angekommen, welche für die Auffassung eines wirklichen Instinctes übrig bleibt: der Instinct ist bewusstes Wollen des Mittels zu einem unbewusst gewollten Zweck. Diese Auffassung erklärt ungezwungen und einfach alle Probleme, welche der Instinct darbietet, oder richtiger, indem sie das wahre Wesen des Instincts ausspricht, verschwindet alles Problematische daran. In einem allein stehenden Aufsatz über den Instinct würde vielleicht der unserem gebildeten Publicum noch ungewohnte Begriff der unbewussten Geistesthätigkeit Anstoss erregen; aber hier, wo jedes Capitel neue Thatsachen häuft, welche die Existenz dieser unbewussten Geistesthätigkeit und ihre hervorragende Bedeutung beweisen, muss jedes Bedenken vor der Ungewohnheit dieses Gedankens schwinden.

Wenn ich die Auffassung mit Entschiedenheit zurückweisen musste, dass der Instinct das blosse Functioniren eines ein für allemal hergerichteten Mechanismus sei, so will ich doch keineswegs damit ausgeschlossen haben, dass in der Constitution des Hirns, der Ganglien und des ganzen Körpers sowohl hinsichtlich der morphologischen als der molecular-physiologischen Beschaffenheit Prädispositionen niedergelegt sein können, welche die unbewusste Vermittelung zwischen Motiv und Instincthandlung leichter und bequemer in die eine Bahn als in eine andere lenken. Diese Prädisposition ist dann entweder ein Werk der sich tiefer und tiefer eingrabenden und zulezt unvertilgbare Spuren hinterlassenden Gewohnheit, sei es im einzelnen Individuum, sei es in einer Reihe von Generationen durch Vererbung, oder sie ist ausdrücklich vom unbewussten Bildungstrieb hervorgerufen, um das Handeln nach einer bestimmten Richtung zu erleichtern. Letzterer Fall wird mehr auf die äussere Organisation Anwendung finden (z.B. die Waffen und die Arbeitsinstrumente der Thiere), ersterer mehr auf die moleculare Beschaffenheit von Hirn und Ganglien, namentlich in Bezug auf die immer wiederkehrenden Grundformen der Instincte (z.B. die sechsseitige Gestalt der Bienenzelle). Wir werden später (Cap. B. IV.) sehen, dass man die Summe der individuellen Reactionsmodi auf alle möglichen Arten von Motiven den individuellen Charakter nennt,[76] und (Cap. C. XI. 2) dass dieser Charakter wesentlich auf einer – zum kleineren Theil individuell durch Gewohnheit erworbenen, zum grösseren Theil ererbten – Hirn- und Körperconstitution beruht; da es sich nun auch beim Instinct um den Reactionsmodus auf gewisse Motive handelt, so wird man auch hier von Charakter sprechen können, wenn gleich es sich hier nicht sowohl um den Individual-, als um den Gattungscharakter handelt, also im Charakter hinsichtlich des Instincts nicht das zur Sprache kommt, wodurch ein Individuum sich vom andern, sondern wodurch eine Thiergattung sich von der andern unterscheidet. Will man nun eine solche Prädisposition des Hirns und Körpers für gewisse Bethätigungsrichtungen einen Mechanismus nennen, so kann man das in gewissem Sinne gelten lassen, doch ist dabei zu bemerken 1) dass alle Abweichungen von den gewöhnlichen Grundformen des Instincts, insofern sie nicht bewusster Ueberlegung zugeschrieben werden können, in diesem Mechanismus nicht prädisponirt sind, 2) dass die Vererbung nur möglich ist unter beständiger Leitung der embryonalen Entwickelung durch die zweckmässige unbewusste Bildungsthätigkeit (allerdings wieder beeinflusst durch die im Keim gegebenen Prädispositionen); 3) dass die Eingrabung der Prädisposition in demjenigen Individuum, von welchem die Vererbung ausgeht, nur durch lange Gewohnheit an die nämliche Handlungsweise stattfinden konnte, also der Instinct ohne Hülfsmechanismus die Ursache der Entstehung des Hülfsmechanismus ist; 4) dass alle nur selten oder gar bloss ein Mal in jedem Individuum vorkommenden Instincthandlungen (z.B. die auf die Fortpflanzung und Metamorphose bezüglichen der niederen Thiere und alle solche instinctiven Unterlassungen, bei denen Zuwiderhandlungen stets den Tod zur Folge haben) nicht füglich durch Gewohnheit sich eingraben können, sondern eine etwaige für dieselbe prädisponirende Ganglienconstitution nur durch zweckthätiges Bilden herbeigeführt werden könnte; 5) dass auch der fertige Hülfsmechanismus das Unbewusste nicht etwa zu dieser bestimmten Instincthandlung necessitirt, sondern bloss prädisponirt, wie die möglichen Abweichungen von der Grundform zeigen, so dass der unbewusste Zweck stets stärker bleibt als die Ganglienprädisposition, und nur Veranlassung findet, unter gleich nahe liegenden Mitteln das der Constitution nach nächstliegendste und bequemste zu wählen. –

Wir treten jetzt der bis zuletzt aufgesparten Frage näher: »giebt es einen wirklichen Instinct, oder sind die sogenannten Instincthandlungen[77] nur Resultate bewusster Ueberlegung?« Was zu Gunsten der letzteren Annahme angeführt werden könnte, ist die bekannte Erfahrung, dass, je beschränkter der Gesichtskreis der bewussten Geistesfähigkeiten eines Wesens ist, desto schärfer im Verhältniss zur Grösse der Gesammtcapacität die Leistungsfähigkeit in der einseitig beschränkten Richtung zu sein pflege. Diese an Menschen viel bestätigte und gewiss auch auf Thiere anwendbare Erfahrung findet ihre Erklärung darin, dass die Höhe der Leistung nur zum Theil von der Geistesanlage, zum andern Theil aber von der Uebung und Ausbildung der Anlage nach dieser bestimmten Richtung hin abhängig ist. So ist z.B. ein Philologe ungeschickt in juristischen Denkprocessen, ein Naturforscher oder Mathematiker in philologischen, ein abstracter Philosoph in poetischen Erfindungen, ganz abgesehen vom speciellen Talent, nur in Folge der einseitigen Geistesbildung und Uebung. Je einseitiger nun die Richtung ist, in der die Geistesthätigkeit eines Wesens sich bewegt, desto mehr wird die ganze dem Geiste zu Theil werdende Ausbildung und Uebung nach dieser einen Seite hin concentrirt, folglich ist es kein Wunder, dass die schliesslichen Leistungen in dieser Richtung im Verhältniss zur Gesammtanlage durch die Verengung des Gesichtskreises erhöht werden. Wenn man aber diese Erscheinung zur Erklärung von Instincthandlungen benutzen will, so darf man die Einschränkung: »im Verhältniss zur Gesammtanlage« nicht unberücksichtigt lassen. Da indessen die Gesammtanlage bei den niederen Thieren immer mehr sinkt, die Instinctleistungen aber sich in ihrer Vollkommenheit auf allen Stufen des Thierreichs ziemlich gleich bleiben, während diejenigen Leistungen, welche unbestritten aus bewusster Ueberlegung hervorgehen, augenscheinlich mit der Geistesfähigkeit proportional gehen, so scheint schon hieraus hervorzugehen, dass wir es im Instinct mit einem andern Princip als dem bewussten Verstande zu thun haben. Ferner sehen wir, dass die Leistungen des bewussten Verstandes der Thiere in der That der Art nach mit den unserigen ganz gleich stehen, dass sie durch Lehre und Unterricht erworben, und durch Uebung vervollkommnet werden; auch bei den Thieren heisst es, der Verstand kommt erst mit den Jahren; dagegen ist den Instincthandlungen gerade das eigenthümlich, dass sie von einsam aufwachsenden Thieren gerade ebenso vollkommen vollzogen werden, als von solchen, die den Unterricht ihrer Eltern genossen haben, und dass das erste Mal vor jeder Erfahrung und Uebung gerade so gut gelingt, wie die späteren[78] Male. Auch hierbei ist die Verschiedenheit des Princips unverkennbar. Alsdann lehrt die Erfahrung: je bornirter und schwächer ein Verstand ist, desto langsamer lösen sich in ihm die Vorstellungen ab, d.h. desto langsamer und schwerfälliger ist sein bewusstes Denken; dies bestätigt sich sowohl bei Menschen von verschiedener Fassungskraft, als auch bei Thieren, insoweit eben der Instinct nicht ins Spiel kommt. Der Instinct aber hat gerade das Eigenthümliche, dass er niemals zaudert und schwankt, sondern momentan eintritt, wenn das Motiv für sein Wirken ins Bewusstsein tritt. Diese Rapidität des Entschlusses bei Instincthandlungen ist beim niedrigsten und beim höchsten Thiere gleich; auch dieser Umstand weist auf eine Verschiedenheit des Princips im Instinct und in der bewussten Ueberlegung hin.

Was endlich die Höhe der Leistungen selbst betrifft, so lehrt ein kurzer Hinblick unmittelbar das Missverhältniss zwischen ihr und der Stufe der geistigen Entwickelung. Man betrachte die Raupe des Nachtpfauenauges (Saturnia pavonia minor): sie frisst die Blätter auf dem Gesträuch, wo sie ausgekrochen, geht höchstens bei Regen auf die Unterseite des Blattes und wechselt von Zeit zu Zeit ihre Haut, – das ist ihr ganzes Leben, welches wohl keine, auch nicht die einseitigste Verstandesbildung erwarten lässt. Nun aber spinnt sie sich zur Verpuppung ein und baut sich aus steifen, mit den Spitzen zusammentreffenden Borsten ein doppeltes Gewölbe, das von innen sehr leicht zu öffnen ist, nach aussen aber jedem Versuch, einzudringen, genügenden Widerstand entgegensetzt. Wäre diese Vorrichtung ein Resultat ihres bewussten Verstandes, so bedürfte es folgender Ueberlegung: »ich werde in Puppenzustand gerathen, und unbeweglich, wie ich bin, jedem Angriff ausgesetzt sein; darum werde ich mich einspinnen. Da ich aber als Schmetterling nicht im Stande sein werde, mir aus dem Gespinnst, weder durch mechanische noch durch chemische Mittel (wie manche andere Raupen) einen Ausgang zu bahnen, so muss ich mir einen solchen offen lassen; damit aber diesen meine Verfolger nicht benutzen, so werde ich ihn durch federnde Borsten verschliessen, die ich wohl von innen leicht auseinander biegen kann, die aber gegen aussen nach der Theorie des Gewölbes Widerstand leisten.« Das ist doch wirklich von der armen Raupe zuviel verlangt! Und doch ist jedes dieser Argumente unentbehrlich wenn das Resultat richtig herauskommen soll.

Es könnte diese theoretische Unterscheidung des Instincts von der bewussten Verstandesthätigkeit von den Gegnern meiner Auffassungsweise[79] leicht dahin missdeutet werden, als ob aus ihr auch für die Praxis zwischen beiden eine trennende Kluft aufgethan würde. Letzteres ist aber keineswegs meine Meinung; im Gegentheil habe ich schon weiter oben auf die Möglichkeit hingewiesen, dass beide Arten der Seelenthätigkeit sich in verschiedenen Maassverhältnissen combiniren, so dass durch diese graduell verschiedenen Mischungen ein ganz allmähliger Uebergang vom reinen Instinct zur reinen bewussten Ueberlegung stattfindet. Wir werden aber später (Cap. B. VII.) sogar sehen, dass selbst in der höchsten und abstractesten Verstandesthätigkeit des menschlichen Bewusstseins gewisse Momente von der grössten Wichtigkeit sind, welche in ihrem Wesen ganz mit dem des Instincts übereinstimmen.

Andrerseits aber greifen auch die wunderbarsten Leistungen des Instincts nicht nur (wie wir in Cap. C. IV. sehen werden) in das Pflanzenreich, sondern auch in jene niedrigsten Organismen von einfachstem, zum Theil einzelligem Körperbau hinunter, die an bewusstem Verstande jedenfalls weit unter den höheren Pflanzen stehen, denen ja doch gewöhnlich ein solcher ganz abgesprochen wird. Wenn wir an solchen mikroskopischen einzelligen Organismen, für welche alle Unterscheidungsversuche zwischen thierischer und pflanzlicher Natur falsch gestellte Fragen sind, noch ein instinctiv-zweckmässiges Gebahren bewundern müssen, das über bloss reflectorische Reizbewegungen weit hinausgeht, dann muss wohl jeder Zweifel verstummen, ob wirklich ein Instinct existirt, für welchen jeder Versuch einer Ableitung aus bewusster Verstandesthätigkeit von vornherein als hoffnungslos erscheint. Ich führe ein Beispiel an, das so erstaunlich ist, wie kaum irgend eine bisher erkannte Erscheinung, weil die Aufgabe darin gelöst wird, mit unglaublich einfachen Mitteln verschiedene Zwecke zu erfüllen, denen bei höheren Thieren das complicirte System der Bewegungsorgane dient.

Arcella vulgaris ist ein Protoplasmaklümpchen in einer concav-convexen, braunen fein gegitterten Schale, aus dessen concaver Seite es durch eine kreisförmige Oeffnung durch Fortsätze (Scheinfüsse) hervorragt. Beobachtet man durch das Mikroskop einen Wassertropfen mit lebenden Arcellen, so sieht man, dass ein Exemplar, welches am Boden des Wassertropfens zufällig auf dem Rücken liegt, ein bis zwei Minuten lang vergebliche Anstrengungen macht, mit seinen Scheinfüssen einen festen Punct zu ergreifen; dann aber erscheinen plötzlich meist 2-5, bisweilen auch mehr dunkle Puncte im Protoplasma in geringer Entfernung von der Peripherie und meist[80] in regelmässigen Abständen von einander, und vergrössern sich schnell zu deutlichen kugligen Luftbläschen, welche zuletzt einen ansehnlichen Theil des Hohlraums der Schale füllen, und dadurch einen Theil des Protoplasma's nach aussen hinausdrängen. Zahl und Grösse der einzelnen Bläschen stehen im umgekehrten Verhältniss. Nach 5-20 Minuten ist das specifische Gewicht der Arcella, so weit ermässigt, dass das Thierchen vom Wasser gehoben mit seinen Scheinfüssen gegen die obere Fläche des Tropfens geführt wird, an der es nun fortspaziert. Alsdann verschwinden die Bläschen nach 5-10 Minuten, das letzte Pünctchen gleichsam ruckweise. Kam aber die Arcella in Folge einer zufälligen Drehung mit der Rückseite nach oben an der Oberfläche des Tropfens an, so wachsen die Blasen noch weiter, aber nur auf einer Seite, und werden auf der andern Seite kleiner; in Folge dessen nimmt die Schale eine immer schiefer werdende und zuletzt verticale Stellung an, bis endlich einer der Fortsätze Fuss fasst, und das Ganze umschlägt. Von dem Augenblick an, wo das Thier Fuss gefasst hat, werden die Blasen sofort kleiner und kann nach ihrem Verschwinden der Versuch beliebig oft wiederholt werden. Die Stellen des Protoplasma's, welche die Bläschen bilden, wechseln beständig; nur das körnerfreie Protoplasma der Scheinfüsse entwickelt keine Luft. Bei längerer vergeblicher Anstrengung stellt sich eine sichtliche Ermüdung ein; das Thier giebt den Versuch vorläufig auf, und nimmt ihn nach einer Pause der Erholung von Neuem auf. Engelmann, der Entdecker dieser Erscheinung, sagt (Pflüger's Archiv für Physiologie Bd. II.): »Die Volumänderungen finden meist bei allen Luftblasen desselben Thieres gleichzeitig in gleichem Sinne und in gleichem Maasse statt. Es kommen aber nicht wenig Ausnahmen vor. Häufig wachsen oder verkleinern sich einige viel schneller als die andern. Es kann selbst geschehen, dass eine Luftblase kleiner wird, während eine andere zunimmt. Alle diese Aenderungen sind durchgehends vollkommen zweckmässig. Das Entstehen und Wachsen der Luftblasen bezweckt, das Thier in eine solche Lage zu bringen, dass es sich mittelst seiner Pseudopodien festhalten kann. Ist dieser Zweck erreicht, dann verschwindet die Luft, ohne dass man im Stande ist, einen andern Grund für dieses Verschwinden zu entdecken.... Man kann, wenn man auf diese Umstände achtet, mit beinahe vollkommener Sicherheit voraussagen, ob eine Arcelle Luft entwickeln wird oder nicht, und falls schon Gasblasen vorhanden sind, ob diese wachsen oder sich verkleinern werden.... Die Arcellen besitzen in[81] dem Vermögen, ihr specifisches Gewicht zu ändern, ein ausgezeichnetes Hülfsmittel, um an die Oberfläche des Wassers zu steigen oder sich auf den Grund niederzulassen. Sie machen von diesem Mittel nicht nur unter den abnormen Umständen, unter welchen sie sich während der mikroskopischen Untersuchung befinden, sondern auch unter normalen Umständen Gebrauch. Dies folgt daraus, dass man an der Oberfläche des Wassers, worin sie leben, immer einzelne Exemplare findet, die Luftblasen enthalten.« –

Für wen alles Bisherige nicht entscheidend sein sollte, um die Erklärung der Instincte aus bewusster Ueberlegung zu verwerfen, der wird dem nunmehr folgenden, für die ganze Auffassung des Instincts höchst wichtigen Zeugniss der Thatsachen unbedingte Beweiskraft einräumen müssen. So viel nämlich ist doch sicher, dass die Ueberlegung des bewussten Verstandes nur solche Data in Berechnung ziehen kann, die dem Bewusstsein gegeben sind; wenn man also bestimmt nachweisen kann, dass Data, welche für das Resultat unentbehrlich sind, dem Bewusstsein unmöglich bekannt sein können, so ist damit bewiesen, dass dies Resultat nicht aus der bewussten Ueberlegung hervorgegangen sein kann. Der einzige Weg, auf welchem nach der gewöhnlichen Annahme das Bewusstsein die Kenntniss äusserer Thatsachen erlangen kann, ist die sinnliche Wahrnehmung; wir haben also zu zeigen, dass für das Resultat unentbehrliche Kenntnisse unmöglich durch sinnliche Wahrnehmung erworben sein können. Dieser Beweis ist dadurch zu führen: erstens, dass die betreffenden Thatsachen in der Zukunft liegen, und in den gegenwärtigen Verhältnissen alle Anhaltepuncte fehlen, um ihr zukünftiges Eintreten aus denselben zu erschliessen, zweitens, dass die betreffenden Thatsachen zwar in der Gegenwart, aber augenscheinlich dem bewussten Verständniss dadurch verschlossen liegen, dass nur die Erfahrung früherer Fälle über die Deutung der durch die sinnliche Wahrnehmung gegebenen Anhaltspuncte belehren kann, und diese Erfahrung laut der Beobachtung ausgeschlossen ist. Es würde für unsere Interessen keinen Unterschied machen, wenn, was ich für wahrscheinlich halte, bei fortschreitender physiologischer Erkenntniss alle jetzt für den ersten Fall anzuführenden Beispiele sich als solche des zweiten Falls ausweisen sollten, wie dies unleugbar bei vielen früher gebrauchten Beispielen schon geschehen ist; denn ein apriorisches Wissen ohne jeden sinnlichen Anstoss ist wohl kaum wunderbarer zu nennen, als ein Wissen, welches zwar bei Gelegenheit gewisser sinnlicher Wahrnehmungen[82] zu Tage tritt, aber mit diesen nur durch eine solche Kette von Schlüssen und angewandten Kenntnissen in Verbindung stehend gedacht werden könnte, dass deren Möglichkeit bei dem Zustande der Fähigkeiten und Bildung der betreffenden Thiere entschieden geleugnet werden muss. – Ein Beispiel des ersten Falls bietet der Instinct der Hirschhornkäferlarve, sich Behufs der Verpuppung eine passende Höhle zu graben. Die weibliche Larve gräbt die Höhle so gross wie sie selbst ist; die männliche aber bei gleicher Leibesgrösse noch einmal so gross, weil das ihr wachsende Geweih ziemlich die Länge des Thieres hat. Die Kenntniss dieses Umstandes ist für das Resultat der Ueberlegung unentbehrlich, und doch fehlt jeder Anhalt in der Gegenwart, um auf dieses zukünftige Ereigniss im Voraus schliessen zu können. Ein Beispiel des zweiten Falles ist folgendes Frettchen und Bussarde fallen über Blindschleichen oder andere nichtgiftige Schlangen ohne Weiteres her, und packen sie, wie es kommt; die Kreuzotter aber greifen sie, auch wenn sie vorher noch keine gesehen haben, mit der grössten Vorsicht an, und suchen vor allen Dingen, um nicht gebissen zu werden, ihr den Kopf zu zermalmen. Da etwas Anderweitiges, Furcht Einflössendes in der Kreuzotter nicht liegt, so ist zu diesem Benehmen, wenn es aus bewusster Ueberlegung hervorgehen soll, die bewusste Kenntniss der Gefährlichkeit ihres Bisses unentbehrlich. Da nun diese nur durch Erfahrung erworben werden kann, und sich bei von Jugend angefangenen Thieren das Statthaben solcher Erfahrungen controliren lässt, so kann es nicht aus Ueberlegung hervorgehen. Andererseits geht aber aus diesen beiden Beispielen mit Evidenz das Vorhandensein einer unbewussten Kenntniss der betreffenden Umstände, die Existenz einer unmittelbaren Erkenntniss ohne Vermittelung der sinnlichen Wahrnehmung und des Bewusstseins hervor.

Man hat dieselbe jederzeit anerkannt und mit den Worten Vorgefühl oder Ahnung bezeichnet; indess beziehen sich diese Worte einerseits nur auf zukünftiges, nicht auf gegenwärtiges, räumlich getrenntes Unwahrnehmbares, andererseits bezeichnen sie nur die leise, dumpfe, unbestimmte Resonanz des Bewusstseins mit dem unfehlbar bestimmten Zustande der unbewussten Erkenntniss. Daher das Wort Vorgefühl in Rücksicht auf die Dumpfheit und Unbestimmtheit, während doch leicht zu sehen ist, dass das von allen, auch den unbewussten Vorstellungen entblösste Gefühl für das Resultat gar keinen Einfluss haben kann, sondern nur eine Vorstellung, weil diese allein Erkenntniss enthält. Die im Bewusstsein mitklingende[83] Ahnung kann allerdings unter Umständen ziemlich deutlich sein, so dass sie sich beim Menschen in Gedanken und Worte fixiren lässt; doch ist dies auch im Menschen erfahrungsmässig bei den eigentlichen Instincten nicht der Fall, vielmehr ist bei diesen die Resonanz der unbewussten Erkenntniss im Bewusstsein meistens so schwach, dass sie sich wirklich nur in begleitenden Gefühlen oder der Stimmung äussert, dass sie einen unendlich kleinen Bruchtheil des Gemeingefühls bildet. Dass solche dunkle Mitleidenschaft des Bewusstseins ganz ungenügend ist, um der bewussten Ueberlegung Stützpuncte zu bieten, liegt auf der Hand; andrerseits liegt es auch nahe, dass die bewusste Ueberlegung überflüssig sein würde, da der betreffende Denkprocess sich bereits unbewusst vollzogen haben muss; denn jene dumpfe Ahnung des Bewusstseins ist ja nur die Folge einer bestimmten unbewussten Erkenntniss, und die Erkenntniss, um welche es sich dabei handelt, ist fast immer die Vorstellung des Zwecks der Instincthandlung oder doch eine ganz eng damit zusammenhängende. Z.B. bei der Hirschhornkäferlarve ist der Zweck: Platz zu haben für das wachsende Geweih; das Mittel: den Platz durch Ausgraben zu schaffen; die unbewusste Erkenntniss: das zukünftige Wachsen des Geweihs. Endlich machen alle Instincthandlungen den Eindruck so absoluter Sicherheit und Selbstgewissheit, und kommt bei denselben niemals, wie bei der bewussten Entschliessung, ein Zaudern, Zweifeln oder Schwanken des Willens vor, niemals (wie Cap. C. I. zeigen wird) ein Irrthum des Instincts, dass man ganz unmöglich der unklaren Beschaffenheit der Ahnung ein so unwandelbar präcises Resultat zuschreiben kann; vielmehr ist dieses Merkmal der absoluten Sicherheit so charakteristisch, dass es als einzig scharfes Unterscheidungskennzeichen zwischen Handeln aus Instinct und aus bewusster Ueberlegung gelten kann. Hieraus geht aber wiederum hervor, dass dem Instinct ein anderes Princip zu Grunde liegen muss als dem bewussten Handeln, und kann dasselbe nur in der Bestimmung des Willens durch einen im Unbewussten liegenden Process gesucht werden, für welchen sich dieser Charakter der zweifellosen Selbstgewissheit in allen folgenden Untersuchungen bewähren wird.

Dass ich dem Instinct eine unbewusste Erkenntniss zugeschrieben habe, welche durch keine sinnliche Wahrnehmung erzeugt und dennoch unfehlbar gewiss ist, wird Manchen Wunder nehmen, doch ist dies keine Consequenz meiner Auffassung des Instincts, sondern vielmehr eine unmittelbar aus den Thatsachen geschöpfte starke Stütze[84] dieser Auffassung und darf darum die Mühe nicht gescheut werden, noch eine Anzahl Beispiele darauf hin zu betrachten. Um für die unbewusste Erkenntniss, welche nicht durch sinnliche Wahrnehmung erworben, sondern als unmittelbarer Besitz vorgefunden wird, Ein Wort setzen zu können, wähle ich, weil »Ahnen« aus den angegebenen Gründen nicht passt, das Wort »Hellsehen«, welches hier durchaus nur die Bedeutung der gegebenen Definition haben soll.

Betrachten wir nun nach einander einige Beispiele aus den Instincten der Feindesfurcht, Ernährung, des Wandertriebs und der Fortpflanzung. – Die meisten Thiere kennen ihre natürlichen Feinde vor jeder Erfahrung über deren feindliche Absichten. So wird ein Flug junger Tauben auch ohne ältere Führerin scheu und fährt auseinander, wenn ein Raubvogel sich naht; Ochsen und Pferde, die aus Gegenden stammen, wo es keine Löwen giebt, werden, wenn sich in der Nacht einer heranschleicht, unruhig und ängstlich, sobald sie denselben wittern; Pferde, die einen hinter den alten Raubthierhäusern des Berliner zoologischen Gartens draussen vorbeiführenden Reitweg passirten, wurden durch die Witterung ihrer ihnen gänzlich unbekannten Feinde scheu und unruhig. Die Stichlinge schwimmen ruhig unter den räuberischen Hechten herum, welche sich nicht an ihnen vergreifen; denn wenn wirklich einmal ein Hecht aus Versehen einen Stichling verschlingen will, so bleibt dieser mit seinen aufgerichteten Rückenstacheln ihm im Schlunde sitzen, und der Hecht muss unfehlbar verhungern, kann also seine schmerzliche Erfahrung nicht einmal auf Nachkommen vererben. Die Vorsicht der Frettchen und Bussarde den Kreuzottern gegenüber ist schon erwähnt; ähnlich wurde beobachtet, dass ein junger Wespenbussard, dem man die erste Wespe vorlegte, dieselbe erst verzehrte, nachdem er ihr den Stachel aus dem Leibe gedrückt hatte. In einigen Gegenden giebt es Leute, die sich vorzugsweise von Hundefleisch nähren; diesen gegenüber sollen die Hunde sich ganz ungeberdig und wild benehmen, als ob sie in ihnen Feinde erkennten, auf die sie losgehen möchten. Dies ist um so wunderbarer, als äusserlich angebrachtes (z.B. auf die Stiefel geriebenes) Hundefett durch seinen Geruch die Hunde anlockt. Ein junger Schimpanse gerieth, wie Grant beobachtete, beim ersten Anblick einer Riesenschlange in die höchste Angst, und auch unter uns Menschen ist es nicht so selten, dass ein Gretchen den Mephistopheles herausspürt. Sehr merkwürdig ist, dass ein Insect Bombex ein anderes Parnope angreift und tödtet, wo es dasselbe findet, ohne von der Leiche irgend[85] einen Gebrauch zu machen; wir wissen aber, dass letzteres den Eiern des ersteren nachstellt, also der natürliche Feind seiner Gattung ist. Die den Hirten von Rinder- und Schafheerden unter dem Namen »das Biesen des Viehes« bekannte Erscheinung giebt ebenfalls einen Belag. Wenn nämlich eine Dassel- oder Biesfliege sich einer Heerde naht, so wird diese ganz wild und rennt wie toll durcheinander, weil die aus den auf ihrem Fell abgelegten Eiern der Fliege auskriechenden Larven sich später in ihre Haut einbohren und schmerzhafte Eiterungen veranlassen. Diese gar nicht stechenden Dasselfliegen sehen anderen stechenden Bremsen sehr ähnlich und doch werden die letzteren wenig, die ersteren ausserordentlich vom Vieh gefürchtet. Da die Folgen des für das Rind schmerzlosen Ablegens der Eier auf seinem Fell erst lange nachher eintreten, so kann man nicht ein bewusstes Erschliessen des Zusammenhangs annehmen.

Kein Thier, dessen Instinct nicht durch naturwidrige Gewöhnung ertödtet ist, frisst Giftgewächse: selbst den durch den Aufenthalt bei Menschen verwöhnten Affen kann man noch mit Sicherheit in den Urwäldern als Vorkoster der Früchte brauchen, wo er die giftigen, die man ihm reicht, mit Geschrei wegwirft. Jedes Thier wählt gerade diejenigen pflanzlichen oder thierischen Stoffe zu seiner Nahrung aus, welche seiner Verdauungseinrichtung entsprechen, ohne darüber Unterricht zu empfangen, selbst ohne vom Geschmackswerkzeug vorher Gebrauch zu machen. Wenn man nun freilich annehmen muss, dass der Geruch und nicht das Gesicht das für die Unterscheidung der Stoffe Bestimmende ist, so ist es doch nicht minder räthselhaft, wie das Thier am Geruchseindruck, als wie es am Gesichtseindruck das seiner Verdauung Zusagende erkennt. So genoss das von Galen aus der Mutter geschnittene Zicklein von allen vorgesetzten Nahrungsmitteln und Getränken nur Milch, ohne das Andere zu berühren. Der Kernbeisser spaltet den Kirschkern, indem er ihn so dreht, dass der Schnabel auf die Naht trifft, und macht dies bei seinem ersten Kirschkern im Leben ebenso wie beim letzten; Iltis, Marder und Wiesel machen an der entgegengesetzten Seite des auszusaufenden Eies kleine Löcher, damit die Luft beim Saugen nachströmen kann. Nicht bloss die angemessene Nahrung kennen die Thiere, sondern auch angemessene Heilmittel suchen sie häufig mit richtiger Selbstdiagnose und unerworbener therapeutischer Kenntniss auf. So fressen die Hunde öfters viel Gras, besonders solches von Quecken, wenn sie unwohl sind, unter Anderem nach Lenz, wenn sie Würmer haben, die dann in das unverdaute Gras eingewickelt mit[86] abgeben sollen, oder wenn sie Knochensplitter aus dem Magen entfernen wollen. Als Abführmittel gebrauchen sie Stachelkräuter. Hühner und Tauben picken Kalk von Wänden und Dächern, wenn ihnen die Nahrung nicht genug Kalk zur Bildung der Eierschalen bietet. Kleine Kinder essen Kreide, wenn sie Magensäure haben, und Stücken Kohle, wenn sie an Blähungen leiden. Auch bei erwachsenen Menschen finden wir diese besonderen Nahrungsinstincte oder Heilmittelinstincte unter Umständen, wo die unbewusste Natur an Macht gewinnt, z.B. bei Schwangeren, deren capriciöse Appetite sich vermuthlich dann einstellen, wenn ein besonderer Zustand der Frucht eine eigenthümliche Blutmischung wünschenswerth macht. Die Feldmäuse beissen den eingesammelten Körnern die Keime aus, damit sie im Winter nicht auswachsen.

Einige Tage vor eintretender Kälte sammelt das Eichhörnchen noch auf's Fleissigste ein, und verschliesst dann die Wohnung. Die Zugvögel ziehen aus unseren Gegenden nach wärmeren Ländern zu Zeiten, wo sie bei uns noch keinen Nahrungsmangel haben, und bei erheblich höherer Temperatur, als bei der sie zurückkehren; dasselbe gilt von der Zeit, wo die Thiere ihr Winterlager beziehen, was die Käfer häufig gerade an den wärmsten Herbsttagen thun. Wenn Schwalben und Störche Hunderte von Meilen weit ihre Heimath wieder finden, bei noch dazu ganz verändertem Aussehen der Landschaften, so schreibt man dies der Schärfe ihres Ortssinnes zu, wenn aber Tauben und Hunde zwanzigmal herumgedreht im Sack forttransportirt sind, und doch im unbekannten Terrain den geraden Weg nach Hause laufen, da weiss man nichts mehr zu sagen, als: ihr Instinct hat sie geleitet, d.h. das Hellsehen des Unbewussten hat sie den rechten Weg ahnen lassen. In Jahren, wo ein zeitiger Winter eintreten wird, sammeln sich die meisten Zugvögel früher als gewöhnlich zum Abziehen; wenn ein sehr milder Winter bevorsteht, ziehen manche Arten gar nicht, oder nur eine kleine Strecke nach Süden; kommt ein strenger Winter, so macht die Schildkröte ihr Winterlager tiefer. Wenn Graugänse, Kraniche u.s.w. bald wieder aus den Gegenden fortziehen, in denen sie beim Beginn des Frühjahrs sich gezeigt hatten, so ist ein heisser und trockener Sommer in Aussicht, wo der in diesen Gegenden eintretende Wassermangel den Sumpf- und Wasservögeln das Brüten unmöglich machen würde. In Jahren, wo Ueberschwemmungen eintreten, baut der Biber seine Wohnung höher, und wenn eine Ueberschwemmung in Kamschatka bevorsteht, ziehen die Feldmäuse plötzlich schaarenweise[87] fort. Wenn ein trockener Sommer bevorsteht, sieht man im April und Mai die Hängespinnen von der Höhe herab mehrere Fuss lange Fäden spinnen. Wenn man im Winter die Winkelspinnen oder Winterspinnen viel bin und her rennen, kühn mit einander kämpfen, neue und mehrere Gewebe über einander fertigen sieht, so tritt in 9-12 Tagen Kälte ein; wenn sie sich dagegen verstecken, Thauwetter.A26

Ich bezweifle keineswegs, dass viele dieser Vorsichtsmaassregeln gegen zukünftige Witterungsverhältnisse durch Gefühlswahrnehmungen gegenwärtiger atmosphärischer Zustände bedingt sind, welche uns entgehen, diese Wahrnehmungen beziehen sich doch aber immer nur auf gegenwärtige Witterungsverhältnisse, und was kann im Bewusstsein des Thieres die durch die gegenwärtige Witterung erzeugte Affection des Gemeingefühls mit der Vorstellung des zukünftigen Wetters zu schaffen haben? Man wird doch wahrlich nicht den Thieren zumuthen wollen, durch meteorologische Schlüsse das Wetter auf Monate im Voraus zu berechnen, ja sogar Ueberschwemmungen vorauszusehen. Vielmehr ist eine solche Gefühlswahrnehmung gegenwärtiger atmosphärischer Einflüsse nichts weiter, als die sinnliche Wahrnehmung, Welche als Motiv wirkt, und ein Motiv muss ja doch immer vorhanden sein, wenn ein Instinct functioniren soll.8 Es bleibt also trotzdem bestehen, dass das Voraussehen der Witterung ein unbewusstes Hellsehen ist, von dem der Storch, der vier Wochen früher nach Süden aufbricht, so wenig etwas weiss als der Hirsch, der sich vor einem kalten Winter einen dickeren Pelz als gewöhnlich wachsen lässt. Die Thiere haben eben einerseits das gegenwärtige Witterungsgefühl im Bewusstsein, daraus folgt andererseits ihr Handeln gerade so, als ob sie die Vorstellung der zukünftigen Witterung hätten; im Bewusstsein haben sie dieselbe aber nicht, also bietet sich als einzig natürliches Mittelglied die unbewusste Vorstellung, die nun aber immer ein Hellsehen ist, weil sie etwas enthält, was dem Thier weder durch sinnliche Wahrnehmung direct gegeben ist, noch durch seine Verstandesmittel aus der Wahrnehmung geschlossen werden kann.

Am wunderbarsten von allen sind die auf die Fortpflanzung bezüglichen[88] Instincte. – Jedes Männchen findet das Weibchen seiner Species heraus, um mit ihm die Begattung zu vollziehen, – aber gewiss nicht bloss an der Aehnlichkeit mit sich; denn bei vielen Thierarten, z.B. Schmarotzerkrebsen, sind die Geschlechter so grundverschieden an Gestalt, dass das Männchen eher auf die Begattung mit Weibchen von Tausenden von anderen Specien geführt werden sollte, als mit denen der seinigen. Bei einigen Schmetterlingen besteht ein Polymorphismus, nach welchem nicht nur Männchen und Weibchen verschieden sind, sondern auch im weiblichen Geschlecht selbst wieder zwei ganz verschiedene Erscheinungsformen derselben Art zu Tage treten, von denen dann in der Regel die eine zu den natürlichen Masken (Mimicry) einer fern stehenden gut geschützten Art gehört. Und doch begatten sich die Männchen nur mit den Weibchen ihrer Art, nie mit fremden, die ihnen selbst vielleicht weit ähnlicher sind. Bei der Insectenordnung der Strepsipteren ist das Weibchen ein unförmlicher Wurm, der lebenslänglich im Hinterleibe einer Wespe wohnt und nur mit dem linsenförmigen Kopfschilde zwischen zwei Bauchringen der Wespe hervorragt. Das nur wenige Stunden lebende, einer Motte ähnlich sehende Männchen erkennt an diesem verkümmerten Vorstand sein Weibchen, und vollzieht durch eine unmittelbar unter dessen Munde zu Tage tretende Oeffnung die Begattung.

Vor jeder Erfahrung, was Gebären sei, treibt es das schwangere Säugethier in die Einsamkeit, um seinen Jungen in einer Höhle oder an sonst einem geschützten Orte ein Lager zu bereiten; der Vogel baut sein Nest, sobald ihm die Eier im Eierstock reifen. Die auf dem Lande lebenden Schnecken, Krabben, Laubfrösche, Kröten gehen in's Wasser, die Seeschildkröten an's Land, viele Seefische in die Flüsse hinauf, um ihre Eier dort zu legen, wo dieselben allein die Bedingungen zu ihrer Entwickelung vorfinden. Die Insecten legen ihre Eier an die verschiedensten Orte in den Sand, auf Blätter, unter Haut und Nägel anderer Thiere, oft an solche Orte, wo erst später die künftige Nahrung der Larve entsteht, z.B. im Herbst auf Bäume, die erst im Frühjahr ausschlagen, oder im Frühjahr auf Blüthen, die erst im Herbst Früchte tragen, oder in Raupen, die erst als Puppen den Schmarotzerlarven als Nahrung und Schutz dienen. Andere Insecten legen ihre Eier an Orte, von denen aus sie erst auf vielen Umwegen an den eigentlichen Ort ihrer Entwickelung befördert werden, z.B. gewisse Bremsen auf die Lippen der Pferde, andere an solche Stellen, wo die Pferde sich zu lecken pflegen, wodurch die[89] Eier in die Eingeweide derselben, als ihren Entwickelungsort, gelangen, und erwachsen mit dem Koth entleert werden. Die Rinderbremsen wissen mit solcher Sicherheit die kräftigsten und gesündesten Thiere auszuwählen, dass die Viehhändler und Gerber sich ganz auf sie verlassen, und am liebsten die Thiere und Häute nehmen, die die meisten Spuren von Engerlingsfrass zeigen. Diese Auswahl der besten Rinder durch die Bremsen wird doch gewiss kein Resultat ihrer bewussten Prüfung und Ueberlegung sein, wenn die Menschen, deren Gewerbe es ist, sie als ihre Meister anerkennen. Die Mauerwespe macht ein mehrere Zoll tiefes Loch in den Sand, legt ein Ei hinein, und schichtet ohnfüssige grüne Maden, die der Verpuppung nahe, also recht wohl genährt sind, und lange ohne Nahrung leben können, so eng hinein, dass sie sich nicht rühren noch verpuppen können, und zwar gerade so viel, als die Larve bis zu ihrer Verpuppung an Nahrung braucht. Eine Wespenart, cerceris bupresticida, die selbst nur von Blüthenstaub lebt, legt zu jedem ihrer in unterirdischen Zellen aufbewahrten Eier drei Prachtkäfer (buprestidae), deren sie sich dadurch bemächtigt, dass sie ihnen auflauert, wenn sie eben aus ihrer Verpuppung treten, und sie dann, wo sie noch schwach sind, tödtet, zugleich aber ihnen einen Saft beizubringen scheint, welcher sie frisch und zur Nahrung tauglich erhält. Manche Wespenarten öffnen die Zellen ihrer Larven, gerade wenn diese ihre Nahrung verzehrt haben, um neue hineinzulegen, und verschliessen sie dann wieder; in ähnlicher Weise treffen die Ameisen stets den rechten Zeitpunct, wo ihre Larven reif zum Auskriechen sind, um ihnen das Gespinnst zu öffnen, aus dem jene sich nicht selbst befreien könnten. Was weiss nun wohl ein Insect, dessen Leben bei wenigen Arten mehr als ein einmaliges Eierlegen überdauert, von dem Inhalt und dem günstigen Entwickelungsort seiner Eier, was weiss es von der Art der Nahrung, deren die auskriechende Larve bedürfen wird, und die von der seinigen ganz verschieden ist, was weiss es von der Menge der Nahrung, die dieselbe verbraucht, was kann es von alledem wissen, d.h. im Bewusstsein haben? Und doch beweist sein Handeln, seine Bemühungen und die hohe Wichtigkeit, welche es diesen Geschäften beimisst, dass das Thier eine Kenntniss der Zukunft hat; sie kann also nur unbewusstes Hellsehen sein. Ebenso unzweifelhaft muss es Hellsehen sein, welches in Thieren gerade in dem Moment den Willen erweckt, die Zellen oder das Gespinnst zu öffnen, wo die Larven mit ihrem Nahrungsvorrath fertig, resp. reif zum Auskriechen sind.[90]

Der Kukuk, dessen Eier nicht, wie bei anderen Vögeln, einen bis zwei, sondern sieben bis elf Tage brauchen, um im Eierstock zu reifen, der deshalb seine Eier nicht selbst bebrüten kann, weil die ersten verfault sein würden, ehe das letzte gelegt ist, legt dieselben deshalb anderen Vögeln in die Nester, natürlich jedes Ei in ein anderes Nest. Damit nun aber die Vögel das fremde Ei nicht erkennen und hinaus werfen, ist es nicht nur viel kleiner, als man nach der Grösse des Kukuks erwarten sollte, weil er nur bei kleinen Vögeln Gelegenheit findet, sondern auch, wie erwähnt, den übrigen Nesteiern in Farbe und Zeichnung täuschend ähnlich. Da nun der Kukuk sich gern einige Tage vorher das Nest aussucht, in welches er legen will, so könnte man bei den offenen Nestern daran denken, dass das eben reitende Ei darum die Farbe der Nesteier annimmt, weil der trächtige Kukuk sich an denselben versieht; aber diese Erklärung passt nicht auf die Nester, die in hohlen Bäumen versteckt sind (z.B. sylvia phoenicurus), oder eine backofenförmige Gestalt mit engem Eingang haben (z.B. sylvia rufa); in diesen Fällen kann der Kukuk weder hineinschlüpfen, noch hineinsehen, er muss sogar sein Ei draussen ablegen, und es mit dem Schnabel hineinthun, er kann also gar nicht sinnlich wahrnehmen, wie die vorhandenen Nesteier aussehen. Wenn nun trotzdem sein Ei den anderen genau gleicht, so ist dies nur durch unbewusstes Hellsehen möglich, welches den Process im Eierstock nach Farbe und Zeichnung regelt. Sollte aber die Vermuthung richtig sein, dass ein und dasselbe Kukuksweibchen immer nur in die Nester ein und derselben Vogelart, und demgemäss immer Eier von derselben Farbe und Zeichnung lege, so würde das Problem nur die umgekehrte Gestalt annehmen, und die Frage lauten: wodurch erfährt der Kukuk, welchen Nesteiern seine Eiersorte ähnlich sieht, wenn er in die betreffenden Nester nicht hineinsehen kann?

Eine wesentliche Stütze und Bestätigung für die Existenz des Hellsehens in den Thierinstincten liegt in den Thatsachen, welche auch am Menschen in verschiedenen Zuständen ein Hellsehen documentiren: die Heilinstincte der Kinder und Schwangeren sind schon erwähnt. Meistentheils tritt aber hier der höheren Bewusstseinsstufe des Menschen entsprechend eine stärkere Resonanz des Bewusstseins mit dem unbewussten Hellsehen hervor, die sich als mehr oder minder deutliche Ahnung darstellt. Ausserdem entspricht es der grösseren Selbstständigkeit des menschlichen Intellects, dass diese Ahnung nicht ausschliesslich Behufs der unmittelbaren Ausführung einer Handlung[91] eintritt, sondern bisweilen auch unabhängig von der Bedingung einer momentan zu leistenden That als blosse Vorstellung ohne bewussten Willen sich zeigt, wenn nur die Bedingung erfüllt ist, dass der Gegenstand dieses Ahnens den Willen des Ahnenden im Allgemeinen in hohem Grade interessirt. Nach Unterdrückung eines Wechselfiebers oder einer anderen Krankheit kommt es nicht selten vor, dass die Kranken genau die Zeit voraussagen, zu welcher ein Anfall von Krämpfen erfolgen und enden wird; dasselbe findet fast regelmässig bei spontanem Somnambulismus statt, und häufig bei künstlich erzeugtem; schon die Pythia bestimmte bekanntlich jedesmal die Zeit ihrer nächsten Ekstase. Ebenso sprechen sich in somnambülen Zuständen die Heilinstincte oft in Ahnungen der geeigneten Medicamente aus, welche ebenso oft zu glänzenden Resultaten geführt haben, als sie dem heutigen Standpuncte der Wissenschaft zu widersprechen scheinen. Die Bestimmung der Heilmittel ist auch gewiss der einzige Gebrauch, welchen anständige Magnetiseure von dem halbwachen Schlaf ihrer Somnambülen machen. »Es kommt auch bisweilen vor, dass ganz gesunde Personen vor dem Gebären oder im ersten Anfange ihrer Krankheit ein sicheres Vorgefühl ihres nahen Todes haben; die Erfüllung desselben kann man schwerlich für einen blossen Zufall erklären, denn sonst müsste sie ungleich seltener vorkommen als die Nichterfüllung, was doch gerade umgekehrt sich verhält; auch zeigen manche dieser Personen weder Sehnsucht nach dem Tode, noch Furcht vor demselben, und man kann ihn daher nicht für eine Wirkung der Phantasie erklären« (Worte des berühmten Physiologen Burdach, aus dessen Werk: »Blicke in's Leben«, Capitel Ahnung, woher ein grosser Theil der einschlagenden Beispiele entlehnt ist). Diese beim Menschen ausnahmsweise eintretende Vorahnung des Todes ist bei Thieren, selbst bei solchen, die den Tod nicht kennen und verstehen, etwas ganz Gewöhnliches; sie verkriechen sich, wenn sie ihr Ende herannahen fühlen, an möglichst entlegene, einsame und versteckte Orte; dies ist z.B. der Grund, warum man selbst in Städten so selten den Leichnam oder das Gerippe einer Katze findet. Nur ist anzunehmen, dass das bei Mensch und Thier wesensgleiche unbewusste Hellsehen Ahnungen von verschiedener Deutlichkeit hervorruft, also z.B. die Katze bloss instinctiv treibt sich zu verkriechen, ohne dass sie weiss weshalb, im Menschen aber das klare Bewusstsein seines nahen Todes erweckt. Aber nicht bloss vom eigenen Tode giebt es Ahnungen, sondern auch von dem theurer, dem Herzen nahe stehender Personen, wie die vielen[92] Erzählungen beweisen, wo ein Sterbender in der Todesstunde seinem Freunde oder Gatten im Traume oder in einer Vision erschienen ist; Erzählungen, welche sich durch alle Völker und Zeiten hindurchziehen und theilweise unzweifelhaft wahre Facta einschliessen. Hieran schliesst sich die namentlich in Schottland früher und den dänischen Inseln jetzt noch vorkommende Fähigkeit des zweiten Gesichts, wo gewisse Personen ohne Ekstase bei voller Besinnung künftige oder entfernte Begebenheiten vorhergehen, die für sie Interesse haben, wie Todesfälle, Schlachten, grosse Brände (Swedenborg den Brand von Stockholm), Ankunft oder Schicksale ferner Freunde u.s.w. (vgl. Ennemoser: Geschichte der Magie, 2. Aufl. § 86). Bei manchen Personen beschränkt sich dieses Hellsehen nur auf Todesfälle ihrer Bekannten oder Ortsangehörigen; die Beispiele solcher Leichenseherinnen sind zahlreich und auf's Beste, zum Theil gerichtlich beglaubigt. Vorübergehend findet sich diese Fähigkeit des zweiten Gesichts in ekstatischen Zuständen, spontanem oder künstlich erzeugtem Somnambulismus von höheren Graden des Wachträumens, sowie auch in lichten Momenten vor dem Tode ein. Häufig sind die Ahnungen, in denen das Hellsehen des Unbewussten sich dem Bewusstsein offenbart, dunkel, unverständlich und symbolisch, weil sie im Gehirn sinnliche Form annehmen müssen, während die unbewusste Vorstellung an der Form der Sinnlichkeit keinen Theil haben kann (siehe Cap. C. I.); daher kann man so leicht Zufälliges in Stimmungen, Träumen oder krankhaften Bildern für bedeutungsvoll halten. Die hieraus folgende grosse Wahrscheinlichkeit des Irrthums und der Selbsttäuschung, und die Leichtigkeit der absichtlichen Täuschung Anderer, sowie der überwiegende Nachtbeil, welchen im Allgemeinen die Kenntniss der Zukunft dem Menschen bringt, erheben die practische Schädlichkeit aller Bemühungen um die Kenntniss der Zukunft ausser allen Zweifel; dies kann aber der theoretischen Wichtigkeit dieses Gebiets von Erscheinungen keinen Abbruch thun, und darf keinenfalls die Anerkennung der, wenn auch unter einem Wust von Unsinn und Betrug begrabenen wahren Thatsachen des Hellsehens hindern. Freilich findet es die überwiegend rationalistische und materialistische Tendenz unserer Zeit bequem, alle Thatsachen dieses Gebietes zu leugnen oder zu ignoriren, weil sie sich von materialistischen Gesichtspuncten aus nicht begreifen lassen, und nicht nach der Inductionsmethode der Differenz auf das Experiment ziehen lassen; als ob letzteres bei Moral, Socialwissenschaft und Politik nicht ebenso unmöglich wäre! Ausserdem aber liegt die Möglichkeit des absoluten[93] Leugnens aller solcher Erscheinungen für gewissenhafte Beurtheiler nur in dem Nichtkennen der Berichte, welches wieder aus dem Nichtkennenlernenwollen stammt. Ich bin überzeugt, dass viele Leugner aller menschlichen Divination anders und mindestens vorsichtiger urtheilen würden, wenn sie es der Mühe werth hielten, sich mit den Berichten der einschlagenden Thatsachen bekannt zu machen, und bin ich der Meinung, dass heute noch Niemand sich zu schämen braucht, wenn er einer Ansicht beitritt, der alle grossen Geister des Alterthums (ausser Epikur) gehuldigt haben, deren Möglichkeit kaum einer der grossen neueren Philosophen zu bestreiten gewagt hat, und welche die Vorkämpfer der deutschen Aufklärung so wenig geneigt waren, in das Gebiet der Ammenmährchen zu verweisen, dass vielmehr Göthe aus seinem eigenen Leben ein Beispiel des zweiten Gesichts erzählt, das sich ihm bis in die Details bestätigt hat.

So wenig ich dieses Gebiet von Erscheinungen für geeignet halten würde, um es zur alleinigen Grundlage wissenschaftlicher Beweise zu machen, so sehr finde ich es erwähnenswerth als Vervollständigung und Fortsetzung der Erscheinungsreihe, welche uns in dem Hellsehen der Thier- und Menscheninstincte gegenübertritt. Eben weil es diese Reihe nur in gesteigerter Bewusstseinsresonanz fortsetzt, stützt es jene Aussagen der Instincthandlungen über ihr eigenes Wesen ebenso sehr, wie seine Wahrscheinlichkeit selbst in jenen Analogien mit dem Hellsehen des Instinctes eine Stütze findet, und dies, sowie der Wunsch, eine Gelegenheit zur Erklärung gegen ein modernes Vorurtheil nicht unbenutzt zu lassen, ist der Grund, warum ich mir erlaubt habe, dies heutzutage so in Misscredit stehende Gebiet in einer wissenschaftlichen Arbeit, wenn auch nur beiläufig, zu erwähnen. –

Endlich haben wir noch eine besondere Art von Instinct zu erwähnen, der für das ganze Wesen desselben ebenfalls höchst lehrreich ist, und zugleich wieder zeigt, wie unmöglich es ist, die Annahme des Hellsehens zu umgehen. In den bisherigen Beispielen nämlich handelte jedes Wesen nur für sich, ausser in den Fortpflanzungsinstincten, wo sein Handeln stets einem anderen Individuum zu Gute kommt, nämlich seinen Kindern; jetzt haben wir noch die Fälle zu betrachten, wo unter mehreren Individuen eine Solidarität der Instincte besteht, so dass einerseits die Leistung jedes Individuums Allen zu Gute kommt, andererseits erst durch das einhellige Zusammenwirken mehrerer eine nützliche Leistung hervorgerufen werden kann. Bei höheren Thieren findet diese Wechselwirkung der Instincte[94] auch statt, doch sind sie hier um so schwerer von der Vereinbarung durch bewussten Willen auszuscheiden, als die Sprache eine vollkommenere Mittheilung der gegenseitigen Pläne und Absichten möglich macht. Wir werden trotzdem diese gemeinsame Wirkung eines Masseninstincts in der Entstehung der Sprache und den grossen politischen und socialen Bewegungen in der Weltgeschichte deutlich wieder erkennen; hier handelt es sich um möglichst einfache und deutliche Beispiele, und darum greifen wir zu niederen Thieren, wo die Mittel der Gedankenmittheilung bei fehlender Stimme, Mimik und Physiognomie so unvollkommen sind, dass die Uebereinstimmung und das Ineinandergreifen der einzelnen Leistungen in den Hauptsachen unmöglich der bewussten Verständigung durch Sprache zugeschrieben werden darf.

Nach Huber's Beobachtungen (Nouvelles observations sur les abeilles) nahm beim Baue neuer Waben ein Theil der grösseren Arbeitsbienen, welche sich voll Honig gesogen hatten, keinen Antheil an den gewöhnlichen Beschäftigungen der übrigen, sondern verhielt sich völlig ruhig. Nach vierundzwanzig Stunden hatten sich unter ihren Bauchschienen Blättchen von Wachs gebildet. Diese zog die Biene mit ihrem hinteren Fusse hervor, kaute sie und bildete sie in Form eines Bandes. Die so zubereiteten Wachsblättchen wurden dann an die Decke des Korbes aufeinandergeklebt. Hatte die eine Biene auf diese Art ihre Wachsblättchen verbraucht, so folgte ihr eine andere nach, welche die nämliche Arbeit ebenso fortsetzte. So wurde eine kleine, an den Bienenkorb befestigte, eine halbe Linie dicke, rauhe Mauer in senkrechter Richtung gebildet. Nun kam eine der kleineren Arbeitsbienen, die einen leeren Unterleib hatte, untersuchte die Mauer, und machte in die Mitte der einen ihrer Seiten eine flache, halbovale Höhlung; das abgebissene Wachs häufte sie am Rande derselben auf. Nach kurzer Zeit wurde sie von einer anderen ähnlichen abgelöst, und so folgten mehr als zwanzig nach einander. In dieser Zeit fing auf der entgegengesetzten Seite der Mauer wieder eine andere Biene an, dort eine ähnliche Aushöhlung, aber entsprechend dem Rande der diesseitigen Aushöhlung, vorzunehmen. Bald arbeitete eine neue Biene an ihrer Seite an einer zweiten solchen Höhlung. Auch diese wurde von immer neuen Arbeitern abgelöst. Inzwischen kamen wieder andere Bienen herbei, zogen unter ihren Bauchringen Wachsschienen hervor und erhöhten damit den Rand der kleinen Wachsmauer. Immer neue Arbeiter höhlten darin den Grund zu neuen Zellen aus, indess andere fortfuhren,[95] die schon früher angefangenen nach und nach in ganz regelmässige Form zu bringen, und zugleich die prismatischen Wandungen derselben zu verlängern. Dabei arbeiteten die Bienen auf der gegenüberstehenden Seite der Wachsmauer immer nach demselben Plane des Ganzen in der genauesten Uebereinstimmung mit den Arbeitsbienen der anderen Seite, bis endlich die Zellen beider Seiten in ihrer bewunderungswürdigen Regelmässigkeit und ihrem Ineinandergreifen nicht nur der neben einander stehenden, sondern auch der durch ihre Pyramidenböden einander gegenüber befindlichen vollendet waren. Man denke sich nun, wie Wesen, die sich durch sinnliche Mittheilungsmittel über ihre gegenseitigen Absichten und Pläne einigen sollten, in tausendfache Meinungsverschiedenheit, in Zank und Streit gerathen würden, wie oft etwas verkehrt gemacht würde, und zerstört und noch einmal gemacht werden müsste, wie sich zu diesem Geschäft zu viele drängen, zu jenem zu wenige finden würden, welch' ein Hin- und Herlaufen es geben würde, ehe jeder seinen rechten Platz gefunden hätte, wie oft sich jetzt mehrere zur Ablösung drängen, jetzt wieder welche fehlen würden, wie wir dies bei gemeinschaftlichen Arbeiten der so viel höher stehenden Menschen finden. Von alle dem sehen wir bei den Bienen nichts; das Ganze macht vielmehr den Eindruck, als ob ein unsichtbarer höchster Baumeister den Plan des Ganzen der Versammlung vorgelegt und jedem Individuum eingeprägt hätte, als wenn jede Art von Arbeitern ihre bestimmte Arbeit, Stelle und Nummer der Ablösung auswendig gelernt hätte, und durch geheime Signale von dem Augenblick benachrichtigt würde, wo sie an die Reihe kommt. Alles dies ist aber eben Leistung des Instincts, und wie durch Instinct der Plan des ganzen Stocks in unbewusstem Hellsehen jeder einzelnen Biene einwohnt, so treibt ein gemeinsamer Instinct jede einzelne zu der Arbeit zu der sie berufen ist, im rechten Moment; nur dadurch ist die wunderbare Ruhe und Ordnung möglich. Wie dieser gemeinsame Instinct zu denken sei, kann erst viel später aufgeklärt werden, aber die Möglichkeit desselben ist schon jetzt einleuchtend, indem jedes Individuum den Plan des Ganzen und sämmtliche gegenwärtig zu ergreifende Mittel im unbewussten Hellsehen hat, wovon aber nur das Eine, was ihm zu thun obliegt, in sein Bewusstsein fällt. So z.B. spinnt eine Bienenlarve sich ihr seidenes Puppengehäuse selbst, aber den schliessenden Wachsdeckel müssen andere Bienen daran setzen; der Plan des ganzen Puppengehäuses schwebt also beiden Theilen unbewusst vor, aber jeder leistet durch bewussten Willen nur den[96] ihm zukommenden Theil. Dass die Larve nach der Verwandlung von anderen Bienen aus ihrem Gehäuse befreit werden muss, ist schon früher erwähnt, ebenso dass die Arbeiterinnen die Drohnen im Herbste tödten, um nicht die nutzlosen Mitesser den Winter hindurch zu ernähren, und dass sie dieselben nur leben lassen, wenn sie eine neue aufzuziehende Königin befruchten sollen. Die Arbeiterinnen bauen ferner die Zellen für die reifenden Eier der Königin, und zwar in der Regel gerade so viel, als die Königin Eier legen wird, und noch dazu in der Folge, wie die Eier gelegt werden, nämlich erst für die Arbeiterinnen, dann für die Drohnen, dann für die Königinnen. Hier sieht man wieder, wie die Instincthandlungen der Arbeiterinnen sich nach versteckten, organischen Vorgängen richten, welche doch offenbar nur durch unbewusstes Hellsehen auf sie einen Einfluss haben können. Im Bienenstaat ist die arbeitende Thätigkeit und die geschlechtliche, die sonst vereinigt sind, in drei Arten von Individuen personificirt; und wie bei einem Individuum die Organe, so stehen hier die Individuen in innerer, unbewusster, geistig-organischer Einheit. –

Wir haben also in diesem Capitel folgende Resultate erhalten: der Instinct ist nicht Resultat bewusster Ueberlegung, nicht Folge der körperlichen Organisation, nicht blosses Resultat eines in der Organisation des Gehirns gelegenen Mechanismus, nicht Wirkung eines dem Geiste von aussen angeklebten todten, seinem innersten Wesen fremden Mechanismus, sondern selbsteigene Leistung des Individuums, aus seinem innersten Wesen und Charakter entspringend. Der Zweck, dem eine bestimmte Art von Instincthandlungen dient, ist nicht von einem ausserhalb des Individuums stehenden Geiste, etwa einer Vorsehung, ein für allemal gedacht, und nun dem Individuum die Nothwendigkeit, nach ihm zu handeln, als etwas ihm Fremdes äusserlich aufgepfropft, sondern der Zweck des Instinctes wird in jedem einzelnen Falle vom Individuum unbewusst gewollt und vorgestellt, und danach unbewusst die für jeden besonderen Fall geeignete Wahl der Mittel getroffen. Häufig ist die Kenntniss des Zwecks der bewussten Erkenntniss durch sinnliche Wahrnehmung gar nicht zugänglich; dann documentirt sich die Eigenthümlichkeit des Unbewussten im Hellsehen, von welchem das Bewusstsein theils nur eine verschwindend dumpfe, theils auch, namentlich beim Menschen, mehr oder minder deutliche Resonanz als Ahnung verspürt, während die Instincthandlung selbst, die Ausführung des Mittels zum unbewussten Zweck stets mit voller Klarheit in's Bewusstsein fällt, weil sonst die[97] richtige Ausführung nicht möglich wäre. Das Hellsehen äussert sich endlich auch in dem Zusammenwirken mehrerer Individuen zu einem gemeinsamen, unbewussten Zweck.

Das Hellsehen steht bis hierher noch als eine unverständliche empirische Thatsache da, und man könnte einwenden: »dann bleibe ich lieber gleich beim Instinct als einer unverständlichen Thatsache stehen.« Dem steht aber entgegen, erstens, dass wir das Hellsehen auch ausserhalb des Instincts finden (namentlich beim Menschen), zweitens, dass bei Weitem nicht bei allen Instincten ein Hellsehen vorzukommen braucht, dass also Instinct und Hellsehen schon empirisch als zwei getrennte Thatsachen gegeben sind, von denen wohl das Hellsehen zur Erklärung des Instincts beitragen kann, aber nicht umgekehrt, und drittens endlich, dass das Hellsehen des Individuums nicht als eine so unverständliche Thatsache stehen bleiben wird, sondern im späteren Verlauf der Untersuchung sehr wohl seine Erklärung finden wird, während man auf das Verständniss des Instincts auf jede andere Weise verzichten müsste.

Nur die hier ausgeführte Auffassung macht es möglich, den Instinct als den innersten Kern jedes Wesens zu begreifen; dass er dies in der That ist, zeigt schon der Trieb der Selbsterhaltung und Gattungserhaltung, der durch die ganze Schöpfung hindurchgeht, zeigt der heroische Opfermuth, mit welchem das individuelle Wohl, ja selbst das Leben, dem Instinct zum Opfer gebracht wird. Man denke an die Raupe, die immer wieder ihr Gespinnst ausbessert, bis sie der Entkräftung erliegt, an den Vogel, der vor Erschöpfung durch Eierlegen stirbt, an die Unruhe und Trauer aller Wanderthiere, die man am Wandern verhindert. Ein gefangener Kukuk stirbt jedesmal im Winter an der Verzweiflung, nicht fortziehen zu können; die Weinbergsschnecke, der man den Winterschlaf versagt, ebenso; das schwächste Mutter-Thier nimmt den Kampf mit dem überlegensten Gegner auf, und erleidet freudig für seine Jungen den Tod; ein unglücklich liebender Mensch wird wahnsinnig oder greift zum Selbstmord, wie jedes Jahr mit einigen Fällen von Neuem bestätigt; eine Frau, die den Kaiserschnitt einmal glücklich überstanden hatte, liess sich durch die sichere Aussicht auf Wiederholung dieser furchtbaren, meist tödtlichen Operation so wenig von der ferneren Begattung abhalten, dass sie dieselbe Operation noch dreimal durchmachte. Und eine so dämonische Gewalt sollte durch etwas ausgeübt werden können, was als ein dem inneren Wesen fremder Mechanismus dem Geiste aufgepfropft ist, oder gar durch eine bewusste Ueberlegung,[98] welche doch stets nur im kahlen Egoismus stecken bleibt, und solcher Opfer für die Gattung gar nicht fähig ist, wie sie der Fortpflanzungs- und Mutterinstinct darbietet!

Wir haben schliesslich noch die Frage zu berücksichtigen, wie es kommt, dass innerhalb einer Thierspecies die Instincte so gleichmässig sind, ein Umstand, der nicht wenig dazu beigetragen hat, die Ansicht von dem aufgepfropften Geistesmechanismus zu bestärken. Nun ist aber klar, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben, und hieraus erklärt sich jene Erscheinung ganz von selbst. Nämlich die körperlichen Anlagen innerhalb einer Thierspecies sind dieselben, die Fälligkeiten und Ausbildung des bewussten Verstandes ebenfalls (was bei den Menschen und zum Theil den höchsten Thieren nicht der Fall ist, und woher theilweise bei diesen die Verschiedenheit der Individuen kommt); die äusseren Lebensbedingungen sind gleichfalls ziemlich dieselben, und insofern sie wesentlich verschieden sind, sind auch die Instincte verschieden: wofür es wohl keiner Beispiele bedarf (vgl. S. 68-69). Aus gleicher Geistes- und Körperbeschaffenheit (worunter gleiche Hirn- und Ganglienprädispositionen schon mit inbegriffen sind) und gleichen äusseren Umständen folgen aber nothwendig gleiche Lebenszwecke als logische Consequenz, aus gleichen Zwecken und gleichen inneren und äusseren Umständen folgt aber gleiche Wahl der Mittel, d.h. gleiche Instincte. Die letzten beiden Schritte würden nicht ohne Einschränkung zuzugeben sein, wenn es sich um bewusste Ueberlegung handelte, da aber diese logischen Consequenzen vom Unbewussten gezogen werden, welches ohne Schwanken und Zaudern unfehlbar das Richtige ergreift, so fallen sie auch aus gleichen Prämissen immer gleich aus.

So erklärt sich aus unserer Auffassung des Instinctes auch das letzte, was als Stütze entgegengesetzter Ansichten geltend gemacht werden könnte.

Ich schliesse dieses Capitel mit den Worten Schelling's (I. Bd. 7. S. 455): »Es sind keine anderen als die Erscheinungen des thierischen Instinctes, die für jeden nachdenkenden Menschen zu den allergrössten gehören – wahrer Probirstein ächter Philosophie.«[99]

A25

S. 69. Z. 7. In einer geringschätzigen Kritik im »Ausland«, 1872, Nr. 40. in welcher von J. H. Klein vom Standpunkt der Naturwissenschaft über die Phil. d. Unb. der Stab gebrochen wird, wird gerade die vorhergehende Stelle als Hauptbeweismittel für die leichtsinnige Oberflächlichkeit und Werthlosigkeit meiner Arbeit benutzt (S. 939), und mir Darwin's exacte Forschungsmethode als Muster vorgehalten (S. 943). Dabei ist Herrn Klein nur das kleine Malheur passirt, zu übersehen, dass gerade in dem angegriffenen Punkte nicht nur Darwin mit mir völlig übereinstimmt, sondern auch die wichtigsten der von mir angeführten Beispiele (ebenso wie die auf S. 69 unten bis 70 oben) direct aus Darwin's »Entstehung der Arten« (4. deutsche Auflage S. 204-205) entlehnt sind. Herr Klein warnt ferner jedermann vor einem Philosophen, der so sehr sich selbst widerspricht, dass er im Anfang eines Capitels behauptet, es kämen bei gleicher Körperbeschaffenheit in verschiedenen Specien verschiedene Instincte vor, und am Schlüsse desselben beweisen will, warum innerhalb derselben Species aus gleicher Körperbeschaffenheit gleiche Instincte folgen müssten (S. 941). »Gott möge die exacte Wissenschaft vor solcher Oberflächlichkeit bewahren!« (S. 939.)

A26

S. 88 Z. 6. Die Kreuzspinne geht schon einen Tag vor dem Wetterumschlag in den Regenwinkel ihres Netzes, und beginnt einen Tag vor dem Wiedereintritt schönen Wetters, vielleicht schon mitten im Regen, ihr Netz zu untersuchen. »Das gute Wetter aber dauert dann nicht lange. Zuweilen reisst die Spinne ihr Netz ein und baut dann ein ganz neues. Dies ist nun ein sicheres Zeichen von schönem Wetter. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man, dass das Netz nicht immer gleich ist; bald sind seine Maschen weiter, bald enger. Sind dieselben weit so ist dies ein Zeichen, dass das schöne Wetter höchstens fünf Tage anhält, sind sie aber eng, kann man sicher auf acht schöne Tage rechnen« (»Ausland«, 1875, Nr. 18, S. 360). Man sieht leicht, dass für den Fliegenfang zwar das engere Netz das vortheilhaftere ist, dass aber in Anbetracht der Zerstörung des Netzes durch Regen und Wind eine gewisse berechnete Sparsamkeit mit der Productionskraft ihrer Spinndrüse für die Spinne nothwendig ist, welche nach der zukünftigen Witterung bemessen wird.

8

Wo ein solches Motiv in Gestalt einer gegenwärtigen Wahrnehmung gänzlich fehlt, fehlt es auch an einer Veranlassung zum Functioniren des warnenden Instinctes; so z.B. wenn Zugvögel zur gewöhnlichen Zeit aus ihren Winterquartieren nach dem fernen Norden aufbrechen, dort aber wegen ungewöhnlicher Verspätung des Frühlings Noth leiden müssen, für welche sie natürlich in einer viele Hunderte von Meilen entfernten Gegend in keiner atmosphärischen Wahrnehmung auch nur den leisesten Anhaltspunct finden konnten.

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 1, Leipzig 10[o.J.], S. 68-100.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (7); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Philosophie des Unbewussten: 2
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