12. Hoffnung

[348] »Und damit, was er auch trage,

Er verzweifle nicht am Heil,

Führt ihn Schicksal bis zum Grabe

An der Hoffnung Narrenseil!«


Wenn es dem Menschen noch so schlecht geht, – so lange noch ein Fünkchen Lebenskraft in ihm glimmt, klammert er sich an die Hoffnung auf zukünftiges Glück. Wäre die Hoffnung nicht in der Welt, so wäre die Verzweiflung an der Tagesordnung und wir würden dem Selbsterhaltungstriebe und der Todesfurcht zum Trotze unzählige Selbstmorde zu registriren haben.

So ist die Hoffnung der nothwendige Hülfsinstinct des Selbsterhaltungstriebes, sie ist es, die uns armen Narren die Liebe zum Leben, unserem Verstande zum Hohne, erst möglich macht.

Die Hoffnung ist ein Charakterzug. Es giebt Menschen, welche von Naturanlage stets schwarz, und andere, welche stets rosig in die Zukunft schauen (Dyskolie und Eukolie). Die Eukolie entspringt aus einer gewissen Elasticität des Geistes, einer Fülle an Lebenskraft und Lebenstrieb, die durch die handgreiflichsten Erfahrungen nicht vermindert wird, und nach den schwersten Schlägen[348] des Schicksals das Haupt mit dem alten Muthe erbebt. Keine Charaktereigenschaft ist so sehr wie diese Neigung zum hoffnungsvollen Vorwärtsschauen von der allgemeinen körperlichen Constitution und den Einflüssen des Blutlebens auf das Nerven- und Gehirnleben abhängig. Keine Charaktereigenschaft ist aber auch so wichtig in Bezug auf die subjective Beeinflussung des Denkens bei Betrachtung der Frage über Werth und Unwerth des Lebens. Da nun offenbar auch bei dem grössten Unwerthe des Lebens die Hoffnung ein nützlicher Instinct ist (während andererseits, wenn das Leben wirklich einen Werth hätte, nicht einzusehen wäre, wozu eine Schwarzseherei als Charaktereigenthümlichkeit dem Menschen nützen könnte), so hat man sich auf das Aeusserste vor einer Bestechung und Verfälschung seines Urtheiles durch ersteren Instinct zu hüten.

Ohne Zweifel ist die Hoffnung eine ganz reale Lust. Aber worauf hofft man denn? Doch wohl darauf, das Glück im Leben zu erwischen und festzuhalten. Wenn aber das Glück im Leben nicht zu finden ist, weil, so lange man auch lebt, immer die Lust die Unlust überwiegt, so folgt doch daraus, dass die Hoffnung verkehrt und nichtig, dass sie recht eigentlich die Illusion kat' exochên ist, dass sie recht eigentlich dazu da ist, um uns zu dupiren, d.h. zum Narren zu haben, damit wir nur aushalten, um unsere anderweitige, von uns noch nicht begriffene, Aufgabe zu lösen. Wer aber einmal die Ueberzeugung gewonnen hat, dass das Hoffen selbst so nichtig und illusorisch wie sein Gegenstand ist, bei dem muss doch sehr bald der Instinct der Hoffnung durch diese Erkenntniss des Verstandes abgeschwächt und niedergedrückt werden; das Einzige, was ihm als Gegenstand der Hoffnung noch möglich bleibt, ist nicht das gröst-möglichste Glück, sondern das kleinst-möglichste Unglück. Dies spricht schon Aristoteles (Eth. Nicom. VII. 12) aus: ho phronimos to alypon diôkei, ou to hêdy. Damit ist aber auch der Hoffnung jede positive Bedeutung abgeschnitten.

Aber selbst wer niemals, oder nicht vollständig hinter die illusorische Bedeutung der Hoffnung kommt, dürfte doch, wenigstens für seine Vergangenheit (denn für die Zukunft beirrt ihn ja der Instinct), gezwungen sein, zuzugeben, dass nenn Zehntel aller Hoffnungen, ja weit mehr noch, zu Schanden werden, und dass in den allermeisten Fällen die Bitterkeit der Enttäuschung grösser war, als die Süssigkeit der Hoffnung. Die Richtigkeit dieser Behauptung wird durch die Regel der ganz gemeinen Lebensklugheit bestätigt, dass man an alle Dinge mit möglichst geringen Erwartungen herangehen[349] solle, da man dann erst das Gute, was an den Dingen sei, zu geniessen vermöge, während einem sonst der unmittelbare Genuss der Gegenwart durch die getäuschte Erwartung beeinträchtigt würde. Sonach ergiebt sich auch für den Instinct der Hoffnung das Resultat, dass er sowohl illusorisch ist, als auch innerhalb dieser Illusionen, in denen er sich bewegt, eher mehr als weniger Unlust wie Lust bringt.

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 2, Leipzig 10[o.J.], S. 348-350.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (7); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Philosophie des Unbewussten: 2
Philosophie des Unbewussten: 3