[451] Wir treten jetzt an die Frage heran, ob die Idee Attribut oder Substanz sei, ob sie der Gedanke eines vor, hinter oder über ihr Seienden sei, oder ob sie ihrerseits selbst ein Letztes sei. Wir haben gesehen, dass Plato sich zu keiner dieser Auffassungen bestimmt entscheidet. Hegel behauptet, dass der Begriff die alleinige Substanz, dass die Idee Gott sei, während Schelling die von Hegel postulirte Selbstbewegung des Begriffes läugnet (Werke I. 10, S. 132): »Es liegt also in dieser angeblichen nothwendigen Bewegung eine doppelte Täuschung:
1) indem dem Gedanken der Begriff substituirt und dieser als etwas sich selbst Bewegendes vorgestellt wird und doch der Begriff für sich selbst ganz unbeweglich liegen würde, wenn er nicht der Begriff eines denkenden Subjectes, d.h. wenn er nicht Gedanke wäre;
2) indem man sich vorspiegelt, der Gedanke werde nur durch eine in ihm selbst liegende Nothwendigkeit weiter getrieben, während er doch offenbar ein Ziel hat, nach welchem er hinstrebt.«[451]
Zunächst möchte ich bemerken, dass der Unterschied beider Anffassungen, wenn auch theoretisch wichtig genug, doch wohl kaum so bedeutend ist, als er auf den ersten Blick scheinen könnte, weil wir uns hier bereits in einer Region des Ueberseienden befinden, wo unsere Begriffe uns nachgerade im Stiche lassen, und selbst da, wo sie uns genügend erscheinen, wohl schwerlich jene transcendente Objectivität in der Weise zu decken im Stande sind, wie der Metaphysiker sich nur zu leicht einbildet.
Gleichwohl steht soviel fest, dass, welcher Art auch das oder die letzten metaphysischen Principien eines Systems sein mögen, unser Denken sich stets unter dem unausweichlichen Zwange befindet, dieselben entweder als functionirende Substanzen zu fassen, oder aber eine Substanz hinter ihnen anzunehmen, als deren Attribute sie erscheinen, und welche als thätiges Subject functionirt, wenn die Principien in Wirksamkeit treten. So können wir uns die Hegel'sche Idee oder das unbewusste intuitive Vorstellen nicht anders denken, als dass entweder sie selbst zur Substanz erhoben wird, oder aber von einer andern Substanz als Attribut getragen wird; wir haben ebenso beim Schopenhauer'schen Willen nur die Wahl, den Willen selbst zu hypostasiren, oder ihn als Attribut einer hinter ihm liegenden Substanz anzusehn. Unser Denken ist schlechterdings ausser Stande, eine Function zu denken ohne thätiges Subject, welches zugleich als auf sich beruhendes letztes Princip metaphysische Substanz sein muss; wir können das Vorstellen nicht ohne vorstellendes, das Wollen nicht ohne wollendes Subject denken, und es fragt sich nur, ob wir als vorstellendes Subject die Idee selbst, als wollendes Subject den Willen selbst denken wollen und denken können, oder ob wir einen hinter ihnen liegenden Träger der Attribute des Wollens und Vorstellens anzunehmen uns veranlasst finden. Diese Denknothwendigkeit geht sogar noch hinter die Functionen als solche zurück, und verfolgt die Principien in den Zustand ihrer überseienden Stille und Verborgenheit; selbst da müssen wir am »Seinkönnenden« und »rein Seienden« den Unterschied dessen, was da sein kann, resp. rein ist, und der Zustände des sein-Könnens, resp. rein-Seins, unterscheiden. Die Nothwendigkeit dieser Trennung in unserem Denken ist nicht zu bestreiten, es fragt sich nur, ob man sie als bloss subjective ignoriren, ober ob man sie als transcendent-objective gelten lassen will, eine Frage, die wohl kaum a priori zu entscheiden sein dürfte.
Ersteres müsste Hegel thun, wenn er an diese Alternative herangeführt[452] würde. Letzteres ist der Standpunct Schelling's. Im ersteren Falle spricht man die ganze Idee oder den ganzen Willen ohne Rücksicht auf diese Trennung als Substanz an, im letzteren setzt man das Functionirende oder das den Zustand tragende Subject als Substanz, die Function oder den Zustand als Attribut; im ersteren Falle ist die Idee, resp. der Wille, das Ganze, also Substanz und Attribut zugleich, im letzteren sind sie im engeren Sinne nur die Function oder das Zuständliche, also nur Attribut, und setzen eine Substanz hinter sich als ihr functionirendes Subject oder ihren Träger voraus.
Wichtig wird der Unterschied erst, wo es sich um eine Zweiheit von Principien und um deren Verhältniss zu einander handelt. Hegel und Schopenhauer, deren jeder nur das Eine der beiden Principien gelten lässt, haben folgerichtig gar keinen Grund mehr, jene Trennung zu vollführen, da sie werthlos für sie wäre; sowie aber das Bedürfniss der Einheit von beiden Principien, Idee und Wille, sich geltend macht, ist die Vollziehung jener Trennung gefordert. Wenn nämlich auch die Functionen oder Zustände des Vorstellens und Wollens verschieden sind, so hindert dies doch nicht, das Substantielle beider Principien, oder das Subject beider Functionen, das, was vorstellt, und das, was will, als Ein und dasselbe zu setzen. Sowie die substantielle Identität und nur functionelle zuständliche Verschiedenheit beider Principien anerkannt ist, haben wir Spinoza's Eine Substanz mit zwei Attributen erreicht.
Das unerlässliche Bedürfniss der wesentlichen oder substantiellen Identität von Wille und Vorstellung ist also zugleich das entscheidende Moment auch für die Frage nach dem substantiellen oder attributiven Charakter der Idee für sich und des Willens für sich. Jenes Bedürfniss ist ganz unabweislich. Wären Wille und Vorstellung getrennte Substanzen, so wäre die Möglichkeit eines Einflusses derselben auf einander ebenso wenig abzusehen, wie die Möglichkeit eines realen Aufeinanderwirkens von getrennten Individuen nach den Principien eines consequenten Pluralismus denkbar ist (vgl. oben S. 522 ff.); es wäre nicht einzusehen, wie das Eine zum Anderen in Beziehung treten soll, wie der Wille das Logische als Inhalt an sich reissen, wie das Logische zur Reaction gegen ein ihm ganz fremdes, es gar nichts angehendes Unlogisches und dessen vernunftwidriges Thun sich veranlasst finden kann. Wenn es hingegen ein und dasselbe Wesen ist, welches diese beiden ist, d.h. von welchem und[453] an welchem sie Attribute sind, so ist der innige Connex beider so selbstverständlich, dass sogar sein Gegentheil unmöglich wird. Dasselbe, was das Eine ist, ist auch das Andere; das Wollende ist das Vorstellende, und das Vorstellende ist das Wollende, – nur das Wollen und das Vorstellen ist verschieden, nicht das Wollende und das Vorstellende. Das Wollen ist vernunftlos, aber die Vernunft des Wollenden ist eben die Idee; das Vorstellen ist energielos, aber die Kraft des Vorstellenden ist eben das Wollen. Es ist kein conträrer Gegensatz entgegengesetzter Richtungen ein und derselben Thätigkeit, denn ein solcher würde sich zum Resultat Null aufheben, oder höchstens von der einen quantitativ überwiegenden Richtung einen Ueberschuss bestehen lassen; es ist auch kein negativ contradictorischer Gegensatz zwischen zwei Gliedern, von denen nur das Eine positiv, das Andere aber negativ oder privativ in Bezug auf dieses ist, sondern es ist ein positiv contradictorischer Gegensatz, bei dem jedes Glied positiv auf einem ganz andern Gebiete ist, also freilich, auf das andere bezogen, das nicht ist, was das andere ist. Ein solcher Gegensatz involvirt auch keinen Widerspruch; der Wille und das Logische oder Macht und Weisheit im Absoluten widersprechen sich ebenso wenig, wie etwa die Röthe und der Duft in einer Rose, oder Güte und Wahrhaftigkeit in einem Menschen sich widersprechen. Es sind nicht zwei Schubfächer im Unbewussten, in deren einem der vernunftlose Wille, im deren anderem die kraftlose Idee liegt, sondern es sind zwei Pole Eines Magneten mit entgegengesetzten Eigenschaften, auf deren Gegensatz in ihrer Einheit die Welt ruht; wie bei einem Magneten es nicht gelingt, die nordmagnetische Function von der südmagnetischen zu isoliren, sondern bei fortgesetzter Theilung des Magneten die Doppelthätigkeit oder Polarität selbst an die kleinsten Theilstücke gefesselt erscheint, so sind auch die beiden Attribute des Unbewussten in jeder einzelnen, noch so kleinen Function des All Einen als Inhalt und Form, als ideales und realisirendes Moment antrennbar vereint. Es ist nicht ein Blinder der den wegweisenden Lahmen trägt, sondern es ist ein einziger Ganzer und Heiler, der freilich aber mit den Beinen nicht sehen und auf den Augen nicht gehen kann.
Wären Wille und Vorstellung getrennte Substanzen, so würde ein unüberwindlicher Dualismus durch die Welt hindurchgehen, und in der Seele des Individuums sich geltend machen, ein Dualismus, von dem in diesem Sinne nirgends etwas zu merken ist. Der Monismus, nach welchem, wie wir gesehen haben, Alles strebt, wäre[454] damit absolut aufgehoben und ein reiner Dualismus an seine Stelle gesetzt. Jetzt erst ist die heimliche Furcht vor dieser Spaltung, welche sich namentlich im Cap. C. VII. störend geltend machen konnte, beseitigt, indem wir dieselbe als einen Dualismus nur der Attribute erkannt haben, welcher die Einheit der Substanz nicht beeinträchtigt, welcher aber unmöglich entbehrt werden kann, wo überhaupt ein Daseiendes zu erklären ist. Ein bloss und schlechterdings Eines ist in demselben Sinne wie ein bloss und schlechthin Vieles ein sich selbst aufhebender Unbegriff, wie schon Plato im Parmenides zeigt; um, sei es als Begriff, sei es als Existirendes bestehen zu können, muss die Einheit des Einen schon Einheit einer inneren Mannichfaltigkeit oder Vielheit sein, welche Vielheit zunächst am einfachsten Zweiheit ist. Die innere Zweiheit ist demnach unerlässliche Bedingung des All-Einen zu seinem Dasein, oder mit andern Worten: so unhaltbar jeder Dualismus als absoluter, so unentbehrliche Voraussetzung ist ein relativer immanenter Dualismus für die Wahrheit des absoluten Monismus.A100
Dies wird noch deutlicher, wenn wir auf die Nothwendigkeit der Erklärung des Processes achten. Könnte selbst ein vielheitslos Eines existiren, so könnte es doch nur als schlechthin starres, identisch mit sich verharrendes existiren, und wir kämen nie darin zu der Möglichkeit eines Processes. Um einen Process zu erklären, brauchen wir nothwendig einen Störenfried in der starren Ruhe des All-Einen, der die Initiative zur Unterbrechung derselben ergreift. Aber auch solches Moment der Initiative allein gäbe noch keinen wirklichen Process, sondern käme höchstens bis zu der blossen Velleität des Processes (zum leeren Wollen). Damit ein wirklicher Process entstehe, muss ausser dem anhebenden Moment mindestens noch eines sein, das dem ersteren entgegenkommt, und zwar in dem doppelten Sinne des Worts von zu Hülfe kommen und entgegentreten, denn erst aus dem Zusammenwirken und Gegeneinanderwirken mindestens zweier Momente kann ein Process hervorgeben. Das Zweite hilft dem Ersten erst dazu, das zu erreichen, was es mit der Initiative erreichen will, den Process, wie wir dies oben näher gesehen; andererseits aber kommt es doch nur deshalb zu der Betheiligung eines Zweiten, weil vom Standpunct des Zweiten das Erste ein nicht sein Sollendes ist, gegen welches das Zweite sich durch seine Natur gedrungen fühlt, sich zu kehren, um das nicht sein Sollende wieder zum nicht Seienden zu machen. In diesem Sinne sagt auch Schelling (1. 10, 247): »Es gäbe überhaupt keinen[455] Process, wenn nicht irgend etwas wäre, was nicht sein sollte, oder wenigstens auf eine Weise wäre, wie es nicht sein sollte« (nämlich das wollen Könnende als blind Wollendes, oder wie Schelling gewöhnlich sagt, das Seinkönnende als Blindseiendes).
Dass etwas nicht so sein soll, wie es ist, kann immer nur von einem gewissen Standpunct aus gesagt werden, und zwar nur von einem entgegengesetzten Standpunct aus, als worauf sich das Soseiende befindet; so z.B. kann nur vom Standpuncte des Logischen gesagt werden, dass das Unlogische als solches nicht sein sollte, so dass letzten Endes das sich-gegen-das-Wollen-Kehren des Logischen und damit die Möglichkeit des Processes darauf beruht, dass ein logischer Gegensatz zwischen den beiden Attributen besteht, d.h. dass das Eine nicht das ist, was das Andere ist (der Wille nicht logisch und die Idee nicht willenskräftig). Nur aus dem logischen Gegensatz der Zwei im Einen kann ein Process erwachsen. Nicht zwar so, als ob dieser logische Gegensatz sofort und unmittelbar zum realen Widerstreit würde, in dem Sinne, wie wir den Widerstreit zwischen den getheilten Willensacten des All-Einen als realen Conflict kennen, denn dazu fehlt, wie wir wissen, der logischen Idee die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit vom Willen, so wie jede Energie des Wirkens; es bleibt vielmehr dieser Gegensatz zunächst ein logischer und führt nur dadurch mittelbar zu einem realen Gegensatz, dass ein Theil des Willens im Laufe des Processes vermittelst der Emancipation der bewussten Vorstellung dazu gebracht wird, sich als negatives Wollen gegen das positive Wollen zu kehren, bis bei fortgesetzter Steigerung des Bewusstseins der negative Theil des Wollens soweit angewachsen ist, um den positiven zu paralysiren und so das nicht sein Sollende in's Nichtsein zurückzuwerfen. Das, was den realen Gegensatz bildet, ist demnach immer das Wollen mit entgegengesetztem Inhalt, und Wille und Vorstellung als solche kommen niemals in realen, sondern verbleiben in dem ihnen von Natur anhaftenden logischen Gegensatz; allerdings aber sind die gegeneinander gekehrten Hälften des Wollens dadurch mit der Signatur eben dieses Gegensatzes behaftet, dass im positiven Wollen die (noch unbewusste) Vorstellung, unfrei dem Willen zum Leben sich hingebend, dient, um ihn nur erst auf den Punct zu bringen, wo die bewusste Vorstellung in der pessimistischen Selbsterkenntniss die Thorheit des Wollens begreift und nun das Wollen des Nichtmehr-wollens motivirt.
Es schien die Ausschliessung eines solchen Missverständnisses[456] deshalb wünschenswerth, um nicht durch diese irrthümliche Annahme eines realen Conflicts zwischen den Attributen das Verständniss der untrennbaren Einheit beider Attribute, wie wir dieselbe kurz zuvor dargelegt haben, zu erschweren oder gar zu verhindern.A101
Gerade so wie wir fasst Schelling den Dualismus im Monismus auf (Werke II. 3, S. 218): »Die Identität muss vielmehr im strengsten Sinne genommen werden als substantielle Identität. Die Meinung ist nicht, dass das Seinkönnende und das rein Seiende jedes als ein für sich Seiendes, d.h. als Substanz, gedacht werde (denn Substanz ist, was für sich selbst ausser einem Anderen besteht). Sie sind nicht selbst Substanz, sondern nur Bestimmungen des Einen Ueberwirklichen. Die Meinung ist also nicht, dass das Seinkönnende ausser dem rein Seienden sei, sondern die Meinung ist, dass eben dasselbe, d.h. eben dieselbe Substanz in ihrer Einheit und ohne darum zwei zu werden, das Seinkönnende und das rein Seiende sei.«
Man könnte diese in Wille und Vorstellung identische Substanz, dieses individuelle Einzelwesen, welches erst jene abstracten Allgemeinheiten trägt, »das absolute Subject« nennen, als dasjenige, »das zu nichts Anderem, und zu dem alles Andere nur als Attribut sich verhalten kann« (Schelling II. 1, 318); aber leider ist das Wort Subject so vieldeutig, dass man damit leicht Missverständnisse hervorrufen könnte (z.B. wenn man es hier als Correlat zu einem Object nehmen wollte). Dahingegen, wenn man berechtigt ist, irgend etwas Ursprüngliches den absoluten Geist zu nennen, so wird gewiss jeder nicht von Hegel's willkürlicher Einschränkung des Wortes Geist auf dessen Erscheinung in der beschränkten Form des Bewusstseins voreingenommene Leser zugestehen, dass es diese Einheit von Wille und Vorstellung, von Macht und Weisheit, diese Eine Substanz, die überall sowohl will als vorstellt, – wie wir es bisher genannt haben: das Unbewusste, sein muss. Das Eine »Ueberseiende, welches alles Seiende ist«, dürfen wir also nunmehr als reinen, unbewussten (unpersönlichen, aber untheilbaren, also individuellen) Geist bestimmen, wonach unser Monismus sich näher als spiritualistischer Monismus charakterisirt. Hiermit erst haben wir den Gipfel der Pyramide erreicht, und die auf I, 3 vorläufig zur Orientirung vorangeschickte Erläuterung des Begriffes »das Unbewusste« zur principiellen Erkenntniss erhoben.A102
Zur Auseinandersetzung mit Spinoza haben wir schliesslich noch[457] folgende Differenzen hervorzuheben. Zunächst wäre es ein grosser Irrthum, wenn man das Verhältniss unserer Substanz zu unseren Attributen so fassen wollte, wie es bei Spinoza von manchen Auslegern geschehen ist, als ob nämlich erstere die Potenz der Attribute, und diese deren actus oder Thätigkeiten wären. Ueber den Begriff der Potenz sind wir längst hinweg, denn die Potenz des Seins oder Wollene ist ja selbst das Eine der Attribute, und das Andere haben wir ausdrücklich als das rein Seiende bestimmt, welches aus keiner Potenz mehr hervorgegangen ist. Zu keinem von beiden kann also die Substanz im Verhältnisse der Potenz stehen, und keines von beiden ist actus, welcher aus einer Potenz hervorginge. Dies ist ein Hauptunterschied von Spinoza, bei welchem ganz offenbar die Substanz als die Potenz der Attribute erscheint. Darin aber kann man mit Spinoza übereinstimmen, dass die Existenz erst in dem herausgesetzten (existamenon oder exestamenon) Modus zu finden ist, der Substanz als solcher sammt ihren Attributen aber nur die Subsistenz zukommt (was dem Herausgesetzten zu Grunde liegt, subsistit).
Der zweite Unterschied liegt in der Bestimmung des einen Attributes, welches Spinoza nach dem Vorgange des Cartesius Ausdehnung nennt. Nun sind aber Denken und Ausdehnung gar keine Gegensätze, denn die Ausdehnung ist ja auch im Denken. Einen Gegensatz bilden nur Denken und reale Ausdehnung, welche von Spinoza auch nur gemeint ist. Indessen zwischen den Begriffen Denken und reale Ausdehnung besteht der Gegensatz wiederum nicht zwischen »Denken« und »Ausdehnung«, sondern zwischen »Denken« und »real« oder »Idealem und Realem«; nicht die Ausdehnung macht die Realität, sondern sie selbst muss erst real gemacht werden, um mit dem Denken einen Gegensatz zu bilden. Das zweite Attribut Spinoza's müsste also dasjenige sein, welches – und nun nicht bloss die Ausdehnung, sondern auch alles übrige Ideale – real macht, dies ist aber nichts Anderes, als der Wille. Dann erst, wenn man statt der Ausdehnung den Willen setzt, wird Spinoza's Metaphysik zu dem, was sie sein sollte, dann aber fällt auch der Gipfel unserer Pyramide mit der von Spinoza mystisch postulirten Einen Substanz zusammen.
Ueber das, was das Subsistirende alles Existirenden ist, kann keine Philosophie hinaus, hier stehen wir an dem seiner Natur nach unlößbaren Urproblem. Die Erde ruht auf dem Elephanten, der Elephant steht auf der Schildkröte, und die Schildkröte?? Die Fähigkeit,[458] vor dem Problem der grundlosen Subsistenz wie vor einem Medusenhaupt zu erstarren, ist der wahre Prüfstein metaphysischer Anlage. Das Befriedigtsein mit dem Rückgang auf Gott den Schöpfer oder ein Surrogat desselben ist das rechte Kennzeichen gedankenloser Behaglichkeit. Der Versuch einer dialektischen Selbsterzeugung des ersten Anfangs wäre der Gipfelpunct einer vernunftmörderischen Sophistik. Für den Begriff ist das Nichts und das Etwas wenigstens gleichberechtigt, aber nur für den Begriff, der doch immer schon die Subsistenz des Denkens voraussetzt. Aber woher diese dem Begriff vorhergehende Subsistenz? Wenn gar nichts wäre, keine Welt, kein Process und keine Substanz, so wie auch keiner, der sich philosophisch wundert, daran wäre gar nichts Wunderbares, das wäre ungeheuer natürlich und gäbe nie ein Problem zu lösen, – aber dass ein Subsistiren des ist, ein Letztes, an dem Alles hängt (und wäre dies auch nur der Hegel'sche Begriff selbst), das ist so bodenlos wunderbar, so schlechthin unlogisch und sinnlos, dass der arme kleine Mensch, nachdem er dieses letzte aller Probleme einmal begriffen hat, und eine Zeit lang mit den Armen seiner Vernunft ohnmächtig an den Gittern dieses Kerkers des Nichtnichtseins gerüttelt hat, zunächst vollständig aufhört, sich noch über die Einzelnheiten der Welteinrichtung zu wundern, ungefähr so wie ein aufgeklärter moderner Naturforscher, wenn er bei einer zu wissenschaftlichen Zwecken unternommenen Luftfahrt jenseits der Wolken auf ein Feenschloss der Luftgeister träfe, vor übermässigem Erstaunen über das pure Vorhandensein dieses Schlosses schwerlich noch Athem finden würde, sich über die Einzelnheiten der inneren Ausstattung zu wundern. Es ist für dieses metaphysische Problem auch absolut gleichgültig, was man für das Letzte hält, ob den selbstbewussten Gott oder Spinoza's Substanz, ob den Begriff oder den Willen, ob den subjectiven Traum oder die Materie, das ist Alles ganz gleich, es bleibt ein subsistirendes Etwas sammt seiner Beschaffenheit als Letztes, – dieses Etwas sammt seiner Beschaffenheit aber, wie kommt es dazu, zu subsistiren, und als ein solches zu subsistiren, da aus Nichts Nichts werden kann? Ein selbstbewusster Gott müsste vor Verzweiflung über die Unlösbarkeit dieses Räthsels seiner von ihm ewig vorgefundenen Subsistenz wahnsinnig werden, oder, wenn er nur könnte, zum Selbstmörder! Die Natur des menschlichen Geistes freilich steht in ihrer Stumpfheit viel zu niedrig, um sich nicht bald auch an das höchste der ihn umgebenden Wunder zu gewöhnen, und schliesslich die exacte Formulirung des Problems, nicht dessen Lösung, für seine[459] Aufgabe zu halten. Und doch ist es, wie es einmal ist, gut, dass das philosophische Pathos nur in gehobenen Momenten aufblitzt, damit nämlich die Verwunderung über die untergeordneten Probleme wieder in ihre Rechte trete.
A100 | S. 455 Z. 17. Diese Erklärungen hätten füglich genügen sollen, um allen Einwürfen eines substantiellen Dualismus, oder einer Verselbstständigung der Attribute gegen einander, oder einer Hypostasirung der functionellen Principien, oder einer Erneuerung des Gnosticismus, jeden Boden zu entziehen. Alle diese Vorwürfe sind nur entweder daraus erklärlich, dass die sie erhebenden Gegner das Buch nicht bis zu Ende gelesen und die früheren Abschnitte mit vorgefassten Meinungen gelesen und deshalb missverstanden haben, oder aber daraus, dass die Missverständnisse sich in ihrem Kopfe vor der Lectüre dieser ausdrücklichen Erklärungen schon unausrottbar festgesetzt hatten, und dass sie deshalb in den letzteren nicht meine wirkliche Meinung, sondern einen gelegentlichen Selbstwiderspruch gegen meine eigentlichen Ansichten sehen wollten. Es ist aber durchaus nur der inductive Ausbau meines Systems, welcher es mit sich bringt, dass die Frage nach der substantiellen Einheit der Principien bis an's Ende zurückgestellt werden musste, und dass während der Untersuchung nothwendig von den zwei Principien als Zweien gesprochen werden musste. Wenn nun ein Leser unfähig ist, die Frage nach der Art und Weise, wie diese Zweiheit zu verstehen ist, bis an's Ende in suspenso zu lassen, und sich darauf versteift, dieselbe in einem Sinne zu. beantworten, der dem meinigen entgegengesetzt ist, so kann ich dagegen nichts thun; wenn er aber sein Vorurtheil mir als meine eigentliche und wahre Ansicht unterstellt und meine entgegengesetzten ausdrücklichen Erklärungen ignorirt oder nicht ernst nimmt, so muss ich gegen eine so unlogische Willkür entschiedene Verwahrung einlegen. Gerade das falsche Vorurtheil, als ob ich die Principien gnostisch hypostasirte und gegen einander verselbstständigte (vgl. oben S. 523-524 den Zusatz zu S. 397 Z. 19), hat nicht wenig dazu beigetragen, das andere falsche Vorurtheil, als ob meine Principienlehre mythologisch wäre (vgl. oben S. 533 den Zusatz zu S. 435 Z. 25) zu unterstützen. |
A101 | S. 457 Z. 5. (Vgl. meine »Erl. zur Met. d. Unb.« S. 22-28.) |
A102 | S. 457 Z. 2 V. U. Vgl. »Phil. Fragen der Gegenwart« S. 66-68, wo diese Synthese des Panthelismus und Panlogismus als »Panpneumatismus« bezeichnet ist. Mit der Feststellung, dass »das Unbewusste« seinem positiven Wesen nach absolute Substanz, absolutes Subject und absoluter Geist ist, sollte doch endlich die bis zum Ueberdruss wiederholte Einwendung erledigt sein, dass »das Unbewusste« nur ein gewaltsam substantivirtes Eigenschaftswort, und noch dazu ein solcher Substantivirung unfähiges, weil rein negatives Adjectiv sei. Den Grund aber, warum ich auf diese negative Eigenschaft solches Gewicht gelegt habe, um von ihr die Bezeichnung des mit diesem Prädicat belegten Subjects zu entlehnen, habe ich bereits oben (II 201) deutlich genug angegeben. Nur eine unbewusste Substanz kann die absolute, d.h. die einzige, allen Modis gemeinsame Substanz, das All-Eine sein; nur ein unbewusstes Subject kann das absolute, d.h. das einzige, allen Individualfunctionen und Individualbewusstseinen gemeinsame Subject sein; nur ein unbewusster Geist kann absoluter Geist, d.h. die gemeinsame Wurzel der Materie und des bewussten beschränkten Geistes, oder der objectiven und subjectiven Erscheinung, oder des Daseins oder Bewusstseins sein. Erst durch die Unbewusstheit der absoluten Substanz wird der concrete Monismus, erst durch die Unbewusstheit des absoluten Subjects die Immanenzlehre (oder der Panentheismus), erst durch die Unbewusstheit des absoluten Geistes die Identitätsphilosophie ohne Widerspruch möglich. Concreter Monismus, Immanenzlehre und Identitätsphilosophie sind aber das dreigliedrige Ziel, nach dem von jeher die gesammte philosophische Entwickelung bewusst oder unbewusst hingedrängt hat, ohne es erreichen zu können und ohne das Hinderniss klar einzusehen. Darum ist der Begriff des absoluten Unbewussten oder unbewussten Absoluten der Centralbegriff in meinem System, weil er das Hinderniss wegräumt und nach allen drei Richtungen die Erreichung des Zieles zum ersten Male ermöglicht. (Vgl. den Zusatz zu Theil I S. 35 letzte Zeile.) |
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