1. Physik

[262] Was zuerst ihre Physik betrifft, so enthält diese nicht viel Eigentümliches. Sie ist mehr ein aus älteren Physiken zusammengefaßtes Ganzes, nach der Heraklitischen gebildet.

Die drei jetzigen Schulen haben jede eine sehr eigentümlich bestimmte Terminologie gehabt, von Platons und Aristoteles' Philosophie kann man dies weniger sagen; mit den besonderen Ausdrücken und ihrer Bedeutung muß man sich jetzt also bekannt machen. Wir haben nun näher die Hauptgrundlage ihrer Physik zu betrachten. Der Hauptgedanke ist dies: Der logos, bestimmende Vernunft, ist das Regierende, Herrschende, Hervorbringende, durch alles Verbreitete, die allen Naturgestalten – als Produktionen des logos – zugrunde liegende Substanz und Wirksamkeit; diesen in seiner vernünftig wirkenden Tätigkeit nennen sie Gott. Es ist verständige Weltseele; indem sie ihn Gott nannten, ist es Pantheismus; alle Philosophie ist pantheistisch, – der Begriff, die Vernunft ist in der Welt. Die Hymne des Kleanthes ist in diesem Sinne gedichtet: »Es geschieht nichts auf der Erde ohne dich, o Dämon, noch in dem ätherischen göttlichen Pol, noch im Pontos, außer was die Bösen durch ihren eigenen Unverstand tun. Du weißt aber auch das Ungerade gerade zu machen und ordnest das Ordnungslose, und das Feindliche ist dir freundschaftlich. Denn so hast du[262] alles zu einem, das Gute mit dem Bösen zusammengeeint; so daß nur ein logos ist in allem, der immer ist, den die fliehen, die unter den Sterblichen die Bösen sind. Unglückliche, welche, den Besitz des Guten (tôn agathôn) immer verlangend, nicht einsehen Gottes allgemeines Gesetz (koinon nomon), noch darauf hören, dem sie gehorchend mit Vernunft (syn nô) ein gutes (esthlon) Leben hätten!« Die Stoiker hielten eben darum das Studium der Natur für wesentlich und nützlich, daß wir das allgemeine Gesetz derselben, die allgemeine Vernunft daraus erkennen, um dann auch unsere Pflichten, das Gesetz für den Menschen daraus zu erkennen und dem logos, dem Naturgesetze, gemäß zu leben, uns übereinstimmend mit jenem allgemeinen Gesetze zu machen. Sie haben diesen logos weniger um seiner selbst willen erkennen wollen. Die Natur ist nur Äußerung, Darstellung eines gemeinsamen Gesetzes.

Näher einige Ideen ihrer Physik. Sie unterscheiden am Körperlichen das Moment der Tätigkeit (der tätige logos, natura naturans bei Spinoza) und der Passivität (der passive logos, natura naturata). »Das Letzte ist die Materie, die Substanz ohne Qualität« (to poion, Beschaffenheit von Schaffen, das, was gesetzt, gemacht ist, das negative Moment). Die Qualität, überhaupt die Form, »das Tätige ist das Verhältnis (logos) in der Materie; und dies ist Gott«, das Tuende oder Qualitative, d.h. das die allgemeine Materie zu etwas Besonderem Machende.

Bei den näheren Formen der Natur, über diese allgemeinen Gesetze der Natur haben sie vornehmlich die Idee Heraklits aufgenommen; Zenon hatte ihn besonders viel studiert. Sie machen so das Feuer zum Grundprinzip, zum realen logos. Die Welt entstehe so, daß der für sich selbst seiende Gott die ganze Substanz (ousian, alle Materie) durch die Luft ins Wasser treibe; und wie in aller Erzeugnis das[263] Feuchte, das einen Samen um sich hat, das Erste ist (hôsper en tê gonê to sperma periechetai, wohl das Spätere), das Erzeugende alles Besonderen, so auch jener logos, welcher insofern spermatikos; (samenerzeugend) heißt, bleibe in dem Wasser, der die Materie dann zur Entstehung des Übrigen betätige. Das Erste sind die Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde. Näher sprechen sie dann weiter in der Weise des Heraklit so: daß die ousia, d.h. allgemeine Materie, unbestimmtes Sein überhaupt, aus dem Feuer durch die Luft in Feuchtigkeit verwandelt wird. Und das Dickteilige (pachymeres) derselben, zusammengestanden (systan), wird zur Erde vollendet (apotelesthê gê); das Feinere wird luftig (exaerôthê), und dies noch dünner gemacht, erzeugt sich das Feuer. Aus der Vermischung hiervon gehen die Pflanzen, die Tiere und die anderen Geschlechter hervor. Auch die denkende Seele ist ein solches Feuriges; und alle Seelen der Menschen, das tierische Prinzip der Lebendigkeit, und auch die Pflanzen sind Teile der allgemeinen Weltseele, des allgemeinen Logos, des allgemeinen Feuers; und dieser Mittelpunkt ist das Herrschende, Treibende. Oder: Sie sind ein feuriger Hauch (pneuma enthermon, Atem). »Das Sehen ist ein Hauch vom Herrschenden (apo tou hêgemonikou), logos, bis mechris zu den Augen geschickt; ebenso ist das Hören ein spannender, durchdringender Hauch (pneuma diateinon), von dem hêgemonikon bis zu den Ohren geschickt.«

Über den Prozeß noch Folgendes. Das Feuer werde kat' exochên stoicheion von ihnen genannt, weil aus ihm, als dem Ersten, das Übrige durch Umwandlung (metabolên) bestehe (synistasthai) und in dasselbe, als in ihr Letztes, alles geschmolzen aufgelöst werde (eis auto eschaton panta cheomena dialyesthai). So hat Heraklit und der Stoizismus[264] den allgemeinen ewigen Naturprozeß richtig aufgefaßt. Flacher ist dies schon bei Cicero, der diesen Gedanken falsch auffaßte, so daß er die Weltverbrennung und das Ende der Welt darin sieht, – in der Zeit, ein ganz anderer Sinn. De natura deorum (II, 46) läßt er einen Stoiker so sprechen: »Am Ende wird alles vom Feuer verzehrt werden«; das ist die Weise der Vorstellung. Alles ist so auch den Stoikern nur ein Werdendes. Das Feuer ist hier hiermit das tätige Prinzip. Indem das Feuer die unbestimmte Materie verwandelt in bestimmte Elemente, so sind Pflanzen, Tiere Vermischungen aus diesen Elementen; dies ist mangelhaft. Aber Gott ist überhaupt alle Tätigkeit der Natur, des Feuers und somit die Weltseele. Die stoische Naturanschauung ist so vollkommener Pantheismus. Gott, die Weltseele, ist das Feurige, das zugleich logos ist, – die vernünftige Ordnung und Tätigkeit der Natur. Diesen logos, das Ordnende nennen sie Gott, auch Natur, auch Schicksal, Notwendigkeit, bewegende Kraft des Materiellen; und als produzierender logos ist es auch Vorsicht. Das ist gleichbedeutend. Das Logische bringt alles hervor; das treibende Tätige wird mit Samen verglichen. Sie sagen: »Der Same, der ein Logisches hervortreibt (to proiemenon sperma logikou), ist selbst logisch. Die Welt schickt (proietai) den Samen des Logischen hervor, ist also in ihr selbst logisch«, sowohl allgemein das Ganze, als in jeder besonderen, existierenden Gestaltung. »Aller Anfang der Bewegung in irgendeiner Natur und Seele entspringt (ginetai) aus einem Beherrschenden (Anführenden, hêgemonikou), und alle Kräfte, die auf die einzelnen Teile des Ganzen ausgesandt sind (exapostellomenai), werden ausgeschickt von dem Beherrschenden wie von einer Quelle; so daß jede Kraft, die im Teile (Organe) ist, auch im Ganzen ist (perito holon), weil es ihm von dem Beherrschenden in ihm hineingegeben worden[265] (diadidosthai). Das Ganze umhält (periechei) die Samen der logischen Lebendigen (spermatikous logous logikôn zôôn)«, – alle besonderen Prinzipien; »das Ganze ist so ein Logisches (logikos ara estin ho kosmos).« Die Physik ist so Heraklitisch, das Logische stimmt aber ganz mit Aristoteles überein; und wir können sie so gelten lassen.

Von Gott und den Göttern sprechen sie dann wieder in der Weise der gewöhnlichen Vorstellung, daß Gott der unerzeugte und unvergängliche Werkmeister dieser ganzen Anordnung und Systems ist, der zuweilen die ganze Substanz wieder in sich hinein verzehrt und sie wieder aus sich heraus erzeugt. Es kommt da zu keiner bestimmten Einsicht. Sonst sprechen sie von der Gestalt der Welt, den vier Elementen teils nach Heraklit, daß das Feuer das Tätige unter ihnen und das in die übrigen Elemente als seine Formen Übergehende [sei] usf., auf eine Weise, die weiter kein philosophisches Interesse hat. Auch jene Beziehung Gottes, der absoluten Form, auf die Materie ist zu keiner entwickelten Klarheit gekommen. Das Universum ist einmal die Einheit der Form und der Materie und Gott die Seele der Welt, – das andere Mal das Universum, als die Natur, das Sein der geformten Materie, und jene Seele ihr entgegengesetzt und die Wirksamkeit Gottes eine Anordnung der ursprünglichen Formen der Materie, logoi spermatikoi. Das Wesentliche der Vereinung und Entzweiung dieses Gegensatzes fehlt. Überhaupt hatten nur die früheren Stoiker einen physischen Teil bei ihrer Philosophie. Die späteren vernachlässigten die Physik ganz und hielten sich allein an Logik und Moral.

Dies ist die allgemeine Vorstellung der Stoiker. Die Stoiker bleiben beim Allgemeinen stehen. Es ist allgemeiner Zweck: Jedes Einzelne ist in einem logos gefaßt, dieser ist wieder im allgemeinen logos gefaßt, der der kosmos selbst ist. Indem[266] die Stoiker das Logische als das Tätige der Natur überhaupt erkannten, so nahmen sie die Erscheinungen derselben in ihrer Einzelheit als Äußerungen des Göttlichen. Und ihr Pantheismus hat sich dadurch an die gemeinen Volksvorstellungen von den Göttern sowie an den damit zusammenhängenden Aberglauben, an allen Wunderglauben, auch an die Divination angeschlossen: daß nämlich in der Natur Andeutungen seien, denen der Mensch dann durch Gottesdienste zu begegnen habe. Der Epikureismus geht darauf, den Menschen davon zu befreien; die Stoiker hingegen sind ganz abergläubisch. So hat Cicero (De divinatione) das meiste aus ihnen genommen, vieles als Räsonnement der Stoiker angegeben; Cicero spricht von den Zeichen bei menschlichen Begebenheiten, – alles dieses ist der stoischen Philosophie angemessen. Daß ein Adler rechts fliegt, nahmen sie als Äußerung des Göttlichen, so daß dadurch Andeutung für die Menschen geschehe, was für dieselben rätlich zu tun sei unter diesen Umständen. Wie wir die Stoiker von Gott als der allgemeinen Notwendigkeit haben sprechen sehen, so sprechen sie auch von den besonderen Göttern; Gott als logos hat auch eine Beziehung auf den Menschen und die menschlichen Zwecke, in dieser Rücksicht ist er Vorsehung; und so kamen sie auf die Vorstellung der besonderen Götter. Cicero sagt: »Chrysipp, Diogenes und andere Stoiker schließen so. Wenn Götter sind und sie dem Menschen nicht zum voraus andeuten, was in Zukunft geschehen soll, so würden sie die Menschen nicht lieben; oder sie wissen selbst nicht, was in der Zukunft bevorsteht; oder sie sind der Meinung, es liege nichts daran, ob der Mensch es wisse; oder sie halten eine solche Offenbarung nicht ihrer Majestät angemessen; oder sie können es ihnen nicht erkenntlich machen.« Dies alles widerlegen sie (nihil est beneficentia praestantius etc.). Und nun schließen sie: »Die Götter machen den Menschen mit der Zukunft bekannt«, –[267] ein Räsonnement, wo die ganz besonderen Zwecke der Individuen auch Interessen der Götter sind. Bald wissen lassen, eingreifen, bald auch nicht, ist Inkonsequenz, d. i. unbegreiflich; aber eben diese Unbegreiflichkeit, Unverständlichkeit ist der Triumph. Der ganze römische Aberglaube hatte so an den Stoikern seine stärksten Patrone; aller äußerliche, teleologische Aberglaube wird von ihnen in Schutz genommen und gerechtfertigt. Indem die Stoiker von der Bestimmung ausgingen, daß die Vernunft Gott sei (sie ist göttlich, erschöpft aber das Göttliche nicht), so machten sie sogleich den Sprung von diesem Allgemeinen zum Besonderen. Das wahrhafte Vernünftige ist den Menschen allerdings als Gesetz Gottes offenbart; das Nützliche aber, was einzelnen Zwecken entspricht, ist nicht in diesem wahrhaft Göttlichen geoffenbart. Die Stoiker machten aber den Sprung zum Geoffenbartsein des für die einzelnen Zwecke Dienlichen.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 262-268.
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