[322] Philosophie des Geistes. Epikurs Moral nun ist das Verschrienste seiner Lehre (und daher auch das Interessanteste); aber man kann auch sagen, sie ist das Beste daran. Er beschreibe zwar die Seele, den Geist; das heiße aber nicht viel, es ist so nach der Analogie geschlossen, verbunden mit der Metaphysik der Atome. Das Logische in unserer Seele ist eine Zusammenhäufung von feinen Atomen, und in dieser Zusammenhäufung haben sie erst eine Kraft, Tätigkeit durch die Empfindung, d.h. durch Sympathie untereinander, d.h. durch die Gemeinschaft, die hervorkommt durch das Einströmen der Atome von außen in sie; dies ist eine schale, triviale Vorstellung, die uns nicht aufhalten kann. Das Ziel der praktischen Philosophie Epikurs geht gleichfalls auf die[322] Einzelheit des Selbstbewußtseins, wie die stoische; und das Ziel seiner Moral ist insofern dasselbe, ist gleichfalls die Unerschütterlichkeit des Geistes, ist näher ein ungetrübter reiner Genuß seiner selbst.
Wenn wir das abstrakte Prinzip der Moral Epikurs betrachten, so kann das Urteil nicht anders als sehr unvorteilhaft ausfallen. Wenn nämlich die Empfindung, das Gefühl des Angenehmen und Unangenehmen, das Kriterium sein soll für das Rechte, Gute, Wahre, für das, was der Mensch sich zum Zweck machen soll im Leben, so ist die Moral eigentlich aufgehoben, oder das moralische Prinzip ist in der Tat ein unmoralisches; wir glauben, aller Willkür im Handeln sei Tor und Tür geöffnet. Wird jetzt behauptet, daß das Gefühl Grund des Handelns sei (»weil ich Trieb in mir finde, so ist er recht«), so ist dies epikureisch. Jeder kann anderes fühlen, derselbe in anderen Momenten anderes Gefühl haben; so kann auch bei Epikur das Handeln der einzelnen Subjektivität freigelassen werden. Allein es ist dies wesentlich zu bemerken: wenn Epikur als Vergnügen den Zweck bestimme, so ist dies nur, insofern der Genuß desselben Resultat der Philosophie ist. Wenn ein Mensch weiter nichts ist als ein gedankenloser, ausgelassener Mensch, der ebenso ohne allen Verstand sich in den Vergnügungen ersäufe und ein liederliches Leben führt, so ist er gar nicht für einen Epikureer zu halten, oder [es ist] nicht vorzustellen, daß Epikur den Zweck des Lebens hierin erfüllt sehe. Es ist schon früher bemerkt, daß allerdings zwar einerseits die Empfindung zum Prinzip gemacht wird, aber daß auch damit wesentlich verbunden sein soll der logos die Vernunft, der Verstand, das Denken, – Ausdrücke, die jedoch hier nicht bestimmt zu unterscheiden sind. Es ist bei Epikur der Fall, daß, indem er das Vergnügen als Kriterium des Guten bestimmte, er gefordert hat für das Denken eine Besonnenheit (hochgebildetes Bewußtsein), welche das[323] Vergnügen berechnet, ob es nicht mit größerem Unangenehmen verbunden ist, und es richtig hiernach beurteilt. Mit dem logos der Besonnenheit, der vernünftigen Überlegung, mit der Berechnung dessen, was Vergnügen macht, tritt die Reflexion ein, daß einiges wohl unmittelbar angenehm sein, aber doch üble Folgen haben könne; diese Reflexion schon bringt es mit sich, daß auf manches Vergnügen verzichtet wird. Das einzelne Vergnügen wird nur im Ganzen betrachtet: »Klugheit ist das höchste der Güter«, das allein durch Philosophie zuteil wird; Klugheit eben nicht unmittelbar, sondern in der Beziehung auf das Ganze. »Ohne Klugheit, Tugend und Gerechtigkeit kann man nicht glücklich leben.« Andererseits aber haben die Epikureer auch, indem sie das Vergnügen zum Prinzip machten, die Glückseligkeit, die Seligkeit des Geistes zum Prinzip gemacht; so daß diese Glückseligkeit auf solche Weise gesucht werden solle, daß sie ein von äußerlichen Zufälligkeiten, Zufälligkeiten der Empfindung Freies, Unabhängiges sei. Und sie haben so dasselbe Ziel wie die Stoiker. Epikur hat zum Ziel gesetzt wieder Zustand des Weisen, die ataraxia ein von Furcht und Begierde freies Sichselbstgleichundruhigbleiben des Geistes. Epikur erfordert so hierzu (um von Aberglauben frei zu sein) besonders auch physische Wissenschaft, von allen den Meinungen befreit zu sein, die die vorzüglichste Unruhe den Menschen machen: die Meinungen von den Göttern, ihren Strafen, besonders vom Tode, der kein Übel ist, denn er ist eine bloße Privation, nichts Positives. Von aller dieser Furcht und Vorstellungen der Menschen befreit, die in irgend etwas Bestimmtes ihr Wesen setzen, sucht der Weise nur das Vergnügen als etwas Allgemeines, hält nur dies für positiv. Es begegnet sich hier das Allgemeine und Einzelne; oder das Einzelne ist in die Form der Allgemeinheit erhoben, nur im Ganzen betrachtet. Es geschieht, daß – indem materiellerweise (oder dem Inhalt[324] nach) Epikur die Einzelheit zum Prinzip macht, er dagegen die Allgemeinheit des Denkens auf der andern Seite fordert – seine Philosophie mit der stoischen übereinstimmt. Der Weise bei Epikur wird mit denselben Bestimmungen (die negativ sind) geschildert als bei den Stoikern.
Wenn man das Prinzip abstrakt betrachtet, so ist einerseits das Allgemeine, das Denken, andererseits das Einzelne, die Empfindung, und sind die beiden Prinzipien schlechthin einander entgegengesetzt. Die Empfindung ist aber nicht das ganze Prinzip der Epikureer, sondern dies ist die durch Vernunft erworbene und nur so zu erwerbende Glückseligkeit; und so haben beide Prinzipien dasselbe Ziel. Diogenes Laertios (X, § 135) führt über diesen Gesichtspunkt an: »Es ist vorzuziehen, mit Vernunft unglücklich zu sein (eulogistôs atychein), als mit Unvernunft glücklich (alogistôs). Denn es ist besser, daß in den Handlungen das richtig Geurteilte durch das Glück nicht recht gemacht werde (beltion gar to krithen en tais praxesi kalôs, mê orthôthênai dia tautês)«, – es ist besser, daß in den Handlungen richtig geurteilt werde, als durch das Glück begünstigt zu sein; das richtige Urteil ist das, was vorzuziehen ist. »Dies habe bei Tag und Nacht in der Überlegung«: der Vernunft zu folgen, richtig zu urteilen. »Lasse durch nichts dich nicht aus der Ruhe der Seele bringen, daß du wie ein Gott unter den Menschen lebst; denn es hat nichts gemein mit einem sterblichen Lebendigen der Mensch, der in todlosen (unsterblichen) Gütern lebt.«
Seneca ist als bestimmter, beschränkter Stoiker bekannt; er kommt auch auf Epikureer zu sprechen. Ein unverdächtiges Zeugnis über Epikurs Moral findet sich bei Seneca. Seneca in seiner Schrift De vita beata (c. XIII) sagt: »Mein Urteil jedoch ist, und ich sage zum Teil gegen viele meiner Landsleute, daß die moralischen Gebote Epikurs ein Heiliges und Richtiges vorschreiben und, wenn man es näher betrachtet, sogar Trauriges. Denn jenes Vergnügen geht auf etwas sehr Geringes und Dürftiges zusammen. Dasselbe Gesetz, was[325] wir für die Tugend, schreibt er fürs Vergnügen vor. Er verlangt, daß es der Natur gehorche; es ist aber sehr wenig Üppigkeit, mit der die Natur sich befriedigt.« Die Lebensweise eines Stoikers ist nicht anders beschaffen als das Leben eines Epikureers, der das vor Augen hat, was Epikur vorschreibt. »Wenn derjenige, welcher ein faules und schlemmerisches und liederliches Leben führt, das Glückseligkeit nennt« und dies Epikureismus nennt (dabei auf Epikur sich stützt), »so sucht er nur eine gute Autorität für eine schlimme Sache und folgt nicht einem Vergnügen, das er von Epikur hat, sondern denen, die er selbst mit herbeibringt.« »Solche suchen nur ihre Schlechtigkeit unter dem Mantel der Philosophie zu verbergen; denn Epikurs Vergnügen ist mäßig und trocken.« Auch dieser Name (denn durch ihn wenden sich viele dahin) ist es, welcher einer schlechten Sache gegeben wird. »Sie suchen nur einen Vorwand, eine Ausrede, einen Titel für ihre Ausschweifungen«, indem sie dies Leben epikureische Philosophie nennen (c. 12). Wenn nämlich das Vergnügen zum Prinzip gemacht wird, so wird zugleich befohlen, daß Vernunft und Besonnenheit darüber wache; und es tritt eine Berechnung ein, wo sich Vergnügen finden könne, wenn z.B. ein Vergnügen mit Gefahren, Furcht, Angst und anderem Mißvergnügen verbunden ist. So wird das, was reines und ungetrübtes Vergnügen machen könne auf sehr weniges reduziert. Ruhe des Gemüts in sich selbst zu erhalten, ist Epikurs Prinzip; und dazu gehört gerade, demjenigen und dem vielen zu entsagen, wovon die Menschen beherrscht sind und worin sie ihr Vergnügen finden, – frei, leicht und ruhig, ohne Unruhe und ohne Begierde zu leben.
Die Kyrenaiker haben mehr das Vergnügen als ein Einzelnes, Epikur als Mittel: »Schmerzlosigkeit ist Lust«, – es gibt keinen Mittelzustand. Zunächst kann uns einfallen, daß die Kyrenaiker dasselbe Prinzip gehabt haben wie die Epikureer.[326] Diogenes Laertios gibt den Unterschied jedoch so an: »Die Kyrenaiker nehmen das Vergnügen in der Ruhe (tên hêdonên, tên katastêmatikên, constitutivam) nicht auch an, sondern nur das in der Bestimmung der Bewegung«, oder als etwas Affirmatives, d.h. im Genuß eines Vergnügens, es muß etwas angenehm sein; »er hingegen beides, sowohl des Körpers als der Seele«. Epikur verbindet einerseits mit der angenehmen Empfindung auch die affirmative Weise des Vergnügens, aber andererseits ist in seinem Prinzip auch das Vergnügen in Ruhe; dieses ist das Negative, dann auch innere Zufriedenheit, Ruhe des Geistes mit sich selbst. »Epikur sagt: Freiheit von Furcht und Begierde (ataraxia) und Mühelosigkeit (aponia) sind die höchsten Vergnügen (katastêmatikai hêdonai)«, – Freiheit von Sorgen und Arbeit, kein Interesse zu haben, sich an nichts zu knüpfen, was wir in Gefahr kommen können zu verlieren. Sinnliche Vergnügen, »Freuden, Fröhlichkeit (charade kai euphrosynê, laetitia), Leidenschaften sind Lust nur nach Bewegung (kata kinêsin energeia blepontai) «, und darein setzten die Kyrenaiker ihr Prinzip. Epikur setzte beides, jenes aber als das Wesentliche. »Außerdem gelten den Kyrenzikern die Schmerzen des Körpers für schlimmer als die der Seele; bei Epikur sei es aber umgekehrt.«
Die Hauptlehren Epikurs in Rücksicht auf Moral sind in einem Briefe an Menoikeos enthalten, den Diogenes Laertios aufbewahrt hat (X, § 122-123). In einigen Stellen äußert er sich auf folgende Weise: »Weder der Jüngling muß zaudern (melletô, es anstehen lassen) zu philosophieren, noch dem Greise muß es zu mühselig sein. Denn niemand ist weder unreif (aôros) noch überreif (parôros), – es ist weder zu früh für ihn noch zu spät dazu, daß sein Geist gesunde. Es ist sich zu bemühen um das, was das glückselige Leben macht«, – daß es durch den Gedanken, durch Philosophie erkannt, gewußt wird. »Folgendes sind seine Elemente«: [327] Zuerst, daß dafür zu halten ist, daß Gott ein unzerstörbares (aphtharton) und seliges Lebendiges ist, wie der allgemeine Glaube von ihm annimmt, und daß ihm nichts zur Unvergänglichkeit noch Seligkeit fehle. Götter aber sind, und die Erkenntnis derselben ist evident (enargês). Gottlos (asebês) ist nicht der, welcher die Götter der Menge (tôn pollôn) leugnet oder aufhebt, sondern welcher ihnen die Meinungen der Menge anheftet: gottlos ist der, welcher die gemeine Ansicht des Pöbels von den Göttern annimmt. Unter diesem Göttlichen ist nichts anderes verstanden als das Allgemeine überhaupt. § 139 fängt ohne weiteres so an: »Was selig und unzerstörlich ist, hat selbst keine Mühe, noch macht es deren anderen. Daher es weder durch Zorn noch durch Gunstbezeugungen (charisi) angerührt wird (synechetai); denn dergleichen findet nur in der Schwäche statt. Anderswo sagt er, daß die Götter durch die Vernunft erkannt werden können (logô theôrêtous einai). Sie bestehen teils in der Zahl (kat' arithmon hyphestôtas)« – wie die Zahl, sind Zahl; d.h. ganz abstrakt vom Sinnlichen, Sichtbaren, das Abstrakte im Sinnlichen. Wenn wir sagen »das höchste Wesen«, so glauben wir, weit über die epikureische Philosophie hinauszusein, und sind doch in der Tat nicht weiter. Also die Götter sind teils wie die Zahlen, »teils sind sie das vollendete Menschenförmliche« (in menschlicher Weise vollendet worden, apotetelesmenous anthrôpoeidôs), »was entsteht durch die Gleichheit der Bilder (kata homoeidian) aus dem kontinuierlichen Zusammenfluß der gleichen Bilder auf eins und dasselbe«, die wir empfangen, – die ganz allgemeinen Bilder in uns. Das sind die Götter; einzeln fallen sie im Schlaf in uns. Dies allgemeine Bild, ein Konkretes, das zugleich menschlich vorgestellt ist, ist dasselbe, was wir Ideal nennen; nur daß ihm hier der Ursprung so gegeben ist, daß Bilder aufeinanderfallen.
Noch sind die epikureischen Götter zu erwähnen, wie sie[328] einen Gedanken seiner Philosophie ausdrücken; die Stoiker hielten sich dagegen mehr an die gewöhnlichen Vorstellungen, ohne eben viel Gedanken über das Wesen Gottes zu haben; bei den Epikureern drücken sie mehr eine unmittelbare Idee des Systems aus. Sie scheinen ihm Ideale des seligen Lebens zu sein. Denn der Selbstgenuß ist in seiner Konsequenz ohne Tun, weil Tun immer etwas Fremdes in sich, den Gegensatz seiner und einer Wirklichkeit, hat und darin die Arbeit, Mühe vielmehr Seite des Bewußtseins der Entgegensetzung als des Verwirklichtseins. Götter sind Wesen des reinen untätigen Selbstgenusses. Sie sind auch seiende Dinge, aus den feinsten Atomen bestehend, reine Seelen, die nicht mit Gröberem vermischt und daher auch der Arbeit, Mühe und den Leiden gar nicht ausgesetzt sind. In ihrem Selbstgenusse bekümmern sie sich nicht um die Angelegenheiten der Welt und der Menschen. Epikur fährt fort: Das Selige, Allgemeine, das Allgemeine in konkreter Gestalt, das Menschenförmliche hat weder selbst Geschäfte (pragmata), noch Unruhe, noch ist es anderen beschwerlich; es ist nicht zornig, noch wird es durch Gefälligkeiten, Opfer gerührt. Die Menschen müssen den Göttern Ehre erweisen, um der Vortrefflichkeit ihrer Natur und Seligkeit willen, – nicht um etwas Besonderes von ihnen zu erhalten, nicht um dieses oder jenes Vorteils willen.
Es ist viel über die Art gespottet worden, wie Epikur sie als körperliche, menschenähnliche Wesen darstellt. Cicero macht sich über Epikur lustig; er sagt nämlich, sie haben nur Gleichsamkörper, Gleichsamblut, Gleichsamfleisch (quasi sanguinem, carnem) usf. Es folgt aber daraus, daß sie gleichsam nur das Ansich sind, wie wir von der Seele und den sinnlichen Dingen ein solches Gleichsam-Ansich sahen; Gegenstände der sinnlichen Empfindung sind das Wahre, doch haben sie ein Ansich hinter ihnen. Unser Reden von den[329] Eigenschaften ist auch nicht besser. Gerechtigkeit, Güte soll in sensu eminentiori gemeint sein, nicht wie bei uns, d.h. also gleichsamgerecht usw.
Epikur läßt die Götter im leeren Raume, in den Zwischenräumen der Welt (Gedanken) wohnen, wo sie keinem Regen, Wind, Schnee und dergleichen ausgesetzt sind, – Zwischenräume, denn das Leere ist das Prinzip der Bewegung der Atome, die Atome-an-sich sind im Leeren. Das Erscheinende ist das Erfüllte, Kontinuierliche; aber inwendig hängt dies so oder so zusammen. So sind die Welten Konkretionen solcher Atome, aber Konkretionen, die nur äußere Beziehungen sind. Zwischen ihnen als dem Leeren ist also auch dies Ansich, diese Wesen, welche selbst wohl Konkretionen von Atomen sind, aber Konkretionen, die Ansich bleiben. (Doch kommt man hier nur in Verwirrung, wenn etwas Näheres bestimmt wird; denn die Konkretion macht das Sinnliche aus. Wenn die Götter auch Konkretionen wären, so doch nicht solche eigentliche Wirklichkeiten. Auf gedankenlose Weise ist eben das Allgemeine herausgehoben, das Ansich aus der Wirklichkeit nicht als die Atome, sondern selbst wieder als eine Verbindung dieser Atome; so daß diese Verbindung selbst nicht das Sinnliche ist.) Dies sieht lächerlich aus, aber es hängt zusammen mit den genannten Unterbrechungen und dem Verhältnis des Leeren zur Erfüllung, zum Atom. Insofern gehören also die Götter der Seite des Negativen gegen das Sinnliche an; und dies Negative ist das Denken. Das, was Epikur so über die Götter sagt, kann man zum Teil noch sagen. Zur Bestimmung Gottes gehört zwar allerdings noch mehr Objektivität; aber daß Gott dies Selige ist, was nur um seiner selbst willen geachtet werden soll, ist ganz richtig. Epikur schreibt dieser Erkenntnis, daß Gott das Allgemeine usf. ist, Evidenz, Energie zu. – Das Erste ist also Verehrung der Götter, nicht aus Furcht oder Hoffnung.[330]
Ein zweiter Punkt ist bei Epikur ferner die Betrachtung des Todes, des Negativen für die Existenz, für das Selbstgefühl des Menschen; man muß eine richtige Vorstellung vom Tode haben, weil dieser sonst die Ruhe trübt. Er sagt nämlich: »Alsdann gewöhne dich an den Gedanken, daß« das Negative, »der Tod uns nichts angeht. Denn alles Gute und Übel ist ja in der Empfindung«; auch wenn es Ataraxie, Schmerzlosigkeit usf. ist, so gehört es doch zu der Empfindung; »der Tod aber ist eine Beraubung«, ein Nichtsein, ein Aufhören (sterêsis) der Empfindung. »Darum macht denn der richtige Gedanke, daß der Tod uns nichts angeht, das Sterbliche des Lebens zum Genußvollen (apolauston)«, – insofern also die Vorstellung des Negativen, was der Tod ist, sich nicht einmischt in das Gefühl der Lebendigkeit, »indem dieser Gedanke« (in der Vorstellung) »nicht eine unendliche Zeit hinzusetzt, sondern die Sehnsucht nach Unsterblichkeit benimmt. Warum sollte ich mich vor dir fürchten, o Tod? Der Tod geht uns nichts an. Denn wenn wir sind, so ist der Tod nicht da (ou parestin); und wenn der Tod da ist, dann sind wir nicht da. Also geht der Tod uns nichts an.« Dieses ist richtig in Ansehung des Unmittelbaren; es ist ein geistreicher Gedanke, die Furcht ist entfernt. Das Negative, das Nichts ist nicht hereinzubringen, festzuhalten im Leben, das positiv ist; es ist nicht sich selbst damit zu quälen. »Das Zukünftige überhaupt aber ist weder unser noch auch nicht unser; auf daß wir nicht es erwarten als ein solches, das sein wird, noch auch daran verzweifeln, als ob es nicht sein werde.« Es geht uns nichts an, weder daß es ist, noch daß es nicht ist; wir dürfen keine Unruhe deshalb haben. Dies ist der richtige Gedanke über die Zukunft.
Epikur geht dann auf die Triebe über. Er sagt: »Ferner ist der Gedanke zu haben, daß von den Trieben (epithymiôn) einige natürlich sind, andere aber leer; und von den natürlichen einige notwendig, andere aber nur natürlich. Die[331] notwendigen sind teils für die Glückseligkeit, teils gehen sie auf die Mühelosigkeit des Körpers (tou sômatos aochlêsian) «, daß uns der Körper keinen Verdruß, Ungelegenheit macht, »teils auf das Leben überhaupt.«
»Die irrtumlose Theorie«, die epikureische Philosophie, »lehrt die Wahl und Verwerfung dessen, was zur Gesundheit des Körpers und zur Ataraxie der Seele gehört oder derselben im Wege steht, indem dies der Zweck des seligen Lebens ist«, daß der Körper gesund und die Seele ohne Unruhe, im Gleichmute sei. »Um deswillen tun wir (Epikureer) alles, daß wir weder Schmerzen haben, noch im Geiste beunruhigt werden (tarbômen). Wenn wir dies einmal erlangt haben, so ist aller Sturm der Seele aufgelöst, indem das Leben nicht mehr nach etwas, dessen es bedarf, zu gehen hat, und nicht mehr ein anderes zu suchen hat, wodurch das Gute« (der Zweck) »der Seele und des Körpers erfüllt werde.«
»Wenn nun aber schon das Vergnügen das erste und eingeborne (symphyton) Gute ist, so wählen wir darum doch nicht alles Vergnügen, sondern übergehen viele, wenn mehr Beschwerde daraus folgt, und viele Schmerzen ziehen wir sogar dem Vergnügen vor, wenn daraus ein größeres Vergnügen entsteht. – Die Mäßigung (autarkeian, Genügsamkeit) halten wir für ein Gut, nicht um schlechthin (pantôs) das Dürftige, Geringe zu gebrauchen« wie die Kyniker, »sondern um uns zu begnügen, wenn wir das Viele nicht haben, – wissend, daß die den größten Genuß vom Reichlichen (polyteleias) haben, die desselben nicht bedürfen« (die reich sind, welche des Reichtums nicht bedürfen), »und daß, was natürlich ist, leicht zu haben, was aber leer ist, schwer zu erwerben sei, – einfache Speisen. Wenn wir also das Vergnügen uns zum Zweck machen, so sind es nicht[332] die Genüsse der Schweiger, wie es falsch verstanden wird, sondern weder körperliche Beschwerde zu haben, noch im Geiste beunruhigt zu sein (mête algein kata sôma, mête tarattesthai kata psychên)«, sondern der Geist soll sich selbst gleich erhalten.
»Dieses glückselige Leben (hêdyn bion) verschafft uns allein die nüchterne (richtige, besonnene) Vernunft (nêphôn logismos), welche die Ursachen (den Grund) aller Wahl und alles Verwerfens (phygês) untersucht und die Meinungen austreibt, von denen die Seele am meisten thorybos befängt (befangen ist).« Es ist vorzuziehen, mit Vernunft unglücklich zu sein, als unvernünftig glücklich zu sein; denn es ist vorzuziehen, daß im Handeln recht geurteilt werde, dem, daß man nur im Glück sei. So lebst du wie ein Gott unter den Menschen; denn der Mensch hat mit sterblichen Menschen nichts gemein, welcher in solchen Gütern lebt, als Ruhe des Geistes. »Von allem diesen ist der Anfang und das größte Gut die Vernünftigkeit (phronêsis), das Vortrefflichste der Philosophie; aus ihr erzeugen sich die übrigen Tugenden. Denn sie zeigen, daß man nicht glückselig leben könne ohne Verständigkeit, ohne schön (kalôs) und gerecht (dikaiôs) zu sein, noch verständig (phronimôs), schön und gerecht sein kann ohne das Angenehme (tou hêdeôs)«, – teils angenehme Empfindung, teils Schmerzlosigkeit; nur durch Verständigkeit kann das Vergnügen hervorgebracht werden. So schlimm es um das Prinzip Epikurs zu stehen scheint, so schlägt durch diese Umwendung, daß der vernünftige Gedanke das Leitende ist, dieses Prinzip in den Stoizismus um, wie Seneca auch selbst zugegeben hat.
Es kommt daher eigentlich dasselbe Resultat heraus als bei den Stoikern; und die Epikureer machen wenigstens ebenso schöne Beschreibungen von ihrem Weisen als diese. Den Stoikern ist das Allgemeine das Wesen, – nicht das[333] Vergnügen, das Selbstbewußtsein des Einzelnen als Einzelnen; aber die Wirklichkeit dieses Selbstbewußtseins ist ebenso ein Angenehmes. Den Epikureern ist das Vergnügen das Wesen, aber gesucht und genossen: daß es rein und unvermischt ist, verständig, ohne sich selbst zu zerstören durch größere Übel, im Ganzen betrachtet wird, d.h. selbst als etwas Allgemeines. Nur hat die epikureische Darstellung des Weisen einen Charakter von größerer Milde, er richtet sich mehr nach den eingeführten Gesetzen; dahingegen der stoische Weise sich nichts aus diesen macht. Der epikureische Weise trotzt weniger als der stoische, weil der stoische vom Gedanken der Selbständigkeit ausgeht, die sich negierend, tätig verhält, die Epikureer hingegen vom Gedanken des Seins, der sich mehr gefallen läßt und nicht sowohl diese Tätigkeit nach außen als vielmehr die Ruhe sucht. Sein Zweck ist die ataraxia des Geistes, eine Ruhe, die aber nicht durch Stumpfheit, sondern durch die höchste Bildung des Geistes erworben wird. Der Inhalt der epikureischen Philosophie, das Ganze, der Zweck ist ein Hohes und ist dem Zweck der stoischen Philosophie hiernach ganz parallel.
Es ist schon erinnert, daß seine Schüler sich nicht ausgezeichnet; denn die Auszeichnung hätte eben darin bestehen müssen, weiterzugehen als Epikur. Dies Weitergehen eben wäre ein Verfallen ins Begreifen gewesen, was nur das epikureische System verwirrt hätte; denn das Gedankenlose wird durch den Begriff verwirrt, und diese Gedankenlosigkeit ist eben zum Prinzip gemacht. Sie ist nicht selbst gedankenlos, sondern der Gedanke wird eben gebraucht, den Gedanken abzuhalten, verhält sich negativ gegen sich selbst; und dies ist die philosophische Tätigkeit des Epikur, eben sich aus dem Begriffe, der das Sinnliche verwirrt, es sich herzustellen und es festzuhalten.
Das stoische und das epikureische System sind sich entgegengesetzt,[334] aber jedes ist einseitig, und daher sind beide Dogmatismen nach der Notwendigkeit des Begriffs inkonsequent gegen sich, d.h. das entgegengesetzte Prinzip an ihnen zu haben. α) Die Stoiker nehmen den Inhalt ihres Denkens aus dem Sein, dem Sinnlichen, fordern, daß das Denken Denken eines Seienden ist; β) umgekehrt die Epikureer erweitern ihre Einzelheit des Seins zu den Atomen, denn sie sind nur Gedankendinge, und zum Vergnügen als einem Allgemeinen; nach ihrem Prinzip aber genommen, wissen sie sich als Bestimmte gegeneinander. Gegen diese einseitigen Prinzipien ist nun ihre negative Mitte der Begriff, der solche fixierte Bestimmtheiten, Extreme der Bestimmung aufhebt und sie, die nur als entgegengesetzt sind, in Bewegung und Auflösung setzt.
Diese Bewegung des Begriffs, die Wiederherstellung der Dialektik – gegen diese einseitigen Prinzipien des abstrakten Denkens und der Empfindung – zunächst als negativ sehen wir nun teils in der Neuen Akademie, teils in den Skeptikern. Schon die Stoiker, als ihr Prinzip im Denken habend, bildeten die Dialektik aus, aber, wie gesehen, als eine gemeine Logik, der die Form der Einfachheit für den Begriff gilt, nicht als solcher, der das Negative an ihm darstellt und die Bestimmtheiten, die in jene Einfachheit aufgenommen werden, auflöst. Es ist eine höhere Erscheinung des Begriffs des dialektischen Wesens, das sich nicht nur an das sinnliche Sein wendet, sondern an die bestimmten Begriffe, und den Gegensatz des Begriffs und des Seins als des Denkens und Seins zum Bewußtsein bringt und das Allgemeine nicht als einfache Idee, eine Allgemeinheit ausspricht, sondern worin alles ins Bewußtsein zurücktritt als wesentliches Moment des Wesens.
Mit dem Skeptizismus will ich zugleich die neuakademische Philosophie verbinden. Im Skeptizismus haben wir ein Aufheben der beiden bisher behandelten Einseitigkeiten, aber dieses Negative, welches nur negativ bleibt und nicht zu etwas Affirmativem umzuschlagen weiß. Außerdem haben[335] wir noch zwei Formen des Gegensatzes besonders gegen den Stoizismus, welche besonders aus der Akademie hervorgingen, zu behandeln.
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