Siebenter Teil

[84] Doch hier bei der Prüfung des alten Systems einer Weltseele, fuhr Philo fort, kommt mir plötzlich eine neue Vorstellung, welche, wenn sie richtig ist, nahezu alle Eure Argumentation umstoßen und selbst Eure ersten Folgerungen, worauf Ihr so großes Vertrauen setzt, zerstören muß. Wenn die Welt größere Ähnlichkeit mit tierischen Körpern und Pflanzen als mit den Werken menschlicher Kunst hat, so ist es wahrscheinlicher, daß ihre Ursache der Ursache der ersteren als der letzteren gleicht, und ihr Ursprung müßte eher von Zeugung und Wachstum, als von Vernunft und Absicht hergeleitet werden. Euer Schluß ist daher nach Euren eigenen Prinzipien lahm und unvollkommen.

Ich bitte, entwickelt dies Argument etwas weiter, sagte Demea, denn ich fasse es in der kurzen Form, worin Ihr es ausgedrückt habt, nicht ganz.

Unser Freund Cleanthes, erwiderte Philo, behauptet, wie Ihr gehört habt, daß, da keine Frage, Tatsachen betreffend, anders als durch Erfahrung entschieden werden kann, die Existenz einer Gottheit keinen Beweis durch ein anderes Mittel zuläßt. Die Welt, sagt er, gleicht[84] den Werken menschlicher Erfindung, deshalb muß ihre Ursache der Ursache solcher gleichen. Hier ist zu bemerken, daß die Wirkung eines sehr kleinen Teiles der Natur, nämlich des Menschen, auf einen andern sehr kleinen Teil, nämlich die unbelebte Materie, welche innerhalb seines Bereiches liegt, der Maßstab ist, nach welchem Cleanthes den Ursprung des Ganzen beurteilt, und er mißt Gegenstände, die so ganz außer Verhältnis sind, mit demselben individuellen Maß. Doch alle Einwendungen, welche von diesem Gesichtspunkte aus gemacht werden könnten, beiseite gesetzt, behaupte ich, daß es andere Teile des Universums (außer den Maschinen menschlicher Erfindung) gibt, welche mit dem Aufbau der Welt noch größere Ähnlichkeit zeigen, und welche daher eine bessere Vermutung bezüglich des allgemeinen Ursprungs dieses Systems an die Hand geben. Diese Teile sind Tiere und Pflanzen. Die Welt gleicht offenbar mehr einem Tier oder einer Pflanze als einer Uhr oder einem Webstuhl. Ihre Ursache gleicht daher, wie wahrscheinlicher ist, der Ursache der ersteren. Die Ursache der ersteren ist Zeugung oder Wachstum. Die Ursache der Welt, schließen wir also, ist einigermaßen ähnlich oder vergleichbar der Zeugung oder dem Wachstum.

Aber wie ist es faßbar, sagte Demea, daß die Welt aus einem ähnlichen Ursprung, wie Zeugung oder Wachstum hervorgehe?

Sehr leicht, erwiderte Philo. Gleich wie ein Baum seinen Samen über die benachbarten Felder schüttet und andere Bäume hervorbringt, so erzeugt die große Pflanze, die Welt oder dies Planetensystem, in sich selbst eine Art Samen, welcher in das umgebende Chaos gestreut, zu neuen Welten erwächst. Ein Komet z.B. ist der Same einer Welt; nachdem er, von Sonne zu Sonne, von Stern zu Stern wandernd, völlig reif geworden ist, wird er zuletzt unter die ungeformten Elemente geschleudert, welche dies Universum überall umgeben, und sproßt sogleich als neues System auf.

Oder wenn wir der Mannigfaltigkeit zuliebe (denn einen andern Vorteil sehe ich nicht) annehmen wollen, die Welt sei ein Tier, so ist ein Komet ein Ei dieses[85] Tieres, und gleichwie ein Strauß sein Ei in den Sand legt, welcher ohne weitere Sorge das Ei ausbrütet und ein neues Tier hervorbringt, so – –. Ich verstehe Euch, sagte Demea; doch was für wilde und willkürliche Annahmen sind das! Was für Data habt Ihr für so ungewöhnliche Schlüsse? Und ist die oberflächliche, der Einbildungskraft angehörige Ähnlichkeit der Welt mit einer Pflanze oder einem Tiere hinlänglich, dieselben Folgerungen mit Bezug auf beide zu begründen? Gegenstände, welche im allgemeinen so sehr verschieden sind, dürfen sie zum Maßstab für einander gemacht werden?

Ganz recht, rief Philo, das ist der Punkt, den ich schon immer urgierte. Ich habe behauptet, daß wir keine Data haben, irgendein System der Kosmogonie aufzurichten. Unsere an sich selbst so unvollkommene und in Raum und Zeit so begrenzte Erfahrung kann uns keine begründete Vermutung über das Ganze der Dinge an die Hand geben. Wenn wir jedoch genötigt sind, eine Annahme uns zu eigen zu machen, nach welcher Regel, ich bitte Euch, sollten wir unsere Wahl treffen? Gibt es eine andere Regel, als die größere Ähnlichkeit der verglichenen Gegenstände? Und hat nicht eine Pflanze oder ein Tier, welche aus Zeugung oder Wachstum entspringen, eine größere Ähnlichkeit mit der Welt, als eine künstliche Maschine, welche aus Vernunft und Absicht ihren Ursprung hat?

Aber was ist dieses Wachstum, diese Zeugung, wovon Ihr sprecht? sagte Demea. Könnt Ihr den Vorgang erklären und die feine innere Struktur, wovon sie abhängt, zergliedern?

Wenigstens ebensogut, erwiderte Philo, als Cleanthes das Verfahren der Vernunft erklären oder die innere Struktur, worauf sie beruht, zergliedern kann. Aber wenn ich ein Tier sehe, so folgere ich ohne solche mühevolle Untersuchungen, daß es aus Zeugung hervorging, und das mit so großer Sicherheit, als Ihr schließt, daß ein Haus durch Absicht entstand. Die Worte Zeugung, Vernunft bezeichnen bloß gewisse Kräfte und Energien in der Natur, deren Wirkungen bekannt sind, aber deren Wesen unbegreiflich ist, und das eine dieser Prinzipien[86] hat kein Vorrecht vor dem andern, zum Maßstab der ganzen Welt gemacht zu werden.

In Wahrheit, Demea, mag mit gutem Grund erwartet werden, daß, je umfassender der Blick, unter dem wir die Dinge sehen, er um so besser uns leitet in unsern Schlüssen betreffs so außerordentlicher und großartiger Gegenstände. In diesem kleinen Winkel der Welt allein gibt es vier Prinzipien: Vernunft, Instinkt, Zeugung, Wachstum, welche einander ähnlich und Ursachen ähnlicher Wirkungen sind. Eine wie große Menge anderer Prinzipien mögen wir mit Recht in der unendlichen Ausdehnung und Mannigfaltigkeit des Universums voraussetzen, könnten wir von Planet zu Planet und von System zu System wandern, um jeden Teil dieses gewaltigen Baues zu untersuchen? Eines dieser vier erwähnten Prinzipien (und hundert andere, welche der Vermutung frei stehen) mag uns eine Theorie an die Hand geben, wonach über den Ursprung der Welt zu urteilen ist, und es ist handgreifliche und außerordentliche Voreingenommenheit, unseren Blick ganz auf das Prinzip einzuschränken, nach welchem unser eigener Geist verfährt. Wäre dies Prinzip mehr aufgeklärt in dieser Hinsicht, so möchte solche Voreingenommenheit einigermaßen entschuldbar sein. Aber Vernunft ist in ihrer inneren Einrichtung und Struktur in Wahrheit uns ebensowenig bekannt, als Instinkt oder Wachstum, und vielleicht ist eben jenes vage unbestimmte Wort ›Natur‹, welcher die Menge alles zuschreibt, nicht im mindesten unerklärlicher. Die Wirkungen dieser Prinzipien sind uns allen aus Erfahrung bekannt, aber die Prinzipien selbst und ihre Wirkungsweise sind gänzlich unbekannt; und es ist nicht weniger verständlich oder in Einstimmung mit der Erfahrung, zu sagen: die Welt entstand durch Wachstum aus einem von einer andern Welt ausgeschütteten Keim, als zu sagen: sie entsprang aus göttlicher Vernunft oder Erfindung, in dem Sinne, wie Cleanthes dies versteht.

Aber mich dünkt, sagte Demea, wenn die Welt die Eigenschaften einer Pflanze hätte und die Samen neuer Welten in das unendliche Chaos ausstreuen könnte, so würde dies Vermögen nur ein fernerer Beweis für die Absicht[87] in ihrem Urheber sein. Denn woher könnte ein so wunderbares Vermögen stammen, als aus Absicht? Oder wie kann Ordnung von etwas entspringen, das von der Ordnung, die es hervorbringt, selbst nichts weiß?

Ihr braucht Euch bloß umzugehen, erwiderte Philo, um die Antwort auf diese Frage zu finden. Ein Baum verleiht dem Baum, der von ihm entspringt, Ordnung und Organisation, ohne die Ordnung zu kennen; ebenso ein Tier seinen Abkömmlingen, ein Vogel seinem Nest: Beispiele von dieser Art sind in der Welt häufiger, als Beispiele einer Ordnung, welche aus Vernunft und Erfindung entspringt. Sagen, daß alle diese Ordnung in Tieren und Pflanzen zuletzt aus Absicht hervorgeht, heißt für zugestanden annehmen, was in Frage steht; diese große Angelegenheit kann nur durch den Beweis a priori entschieden werden, daß Ordnung ihrer Natur nach untrennbar mit Denken verbunden ist und daß sie niemals von selbst oder durch ursprüngliche unbekannte Prinzipien der Materie angehören kann.

Ferner aber, Demea, dieser Einwendung, welche Ihr vorbringt, darf sich Cleanthes nicht bedienen, ohne auf eine Verteidigung zu verzichten, welche er gegen eine meiner Einwendungen schon benutzt hat. Als ich nach der Ursache jener höchsten Vernunft und Intelligenz fragte, worauf er alles zurückführt, sagte er, daß die Unmöglichkeit, solchen Fragen genug zu tun, in keiner philosophischen Untersuchung als ein Einwand gelten dürfe. »Irgendwo,« sagt er, »müssen wir Halt machen; menschlicher Fähigkeit ist die Erklärung letzter Ursachen nicht erreichbar. Es ist genügend, wenn unsere Schritte, so weit sie uns führen, sich auf Erfahrung und Beobachtung stützen.« Nun ist es eine unleugbare Erfahrung, daß Wachstum und Zeugung so gut als Vernunft Prinzipien der Ordnung in der Natur sind. Wenn ich mein kosmogonisches System lieber auf erstere, als auf letztere begründe, so ist das in meinem Belieben. Es scheint gänzlich willkürlich. Und wenn mich Cleanthes fragt, was die Ursache meines großen Wachstums- oder Zeugungsvermögens sei, so bin ich ebenso berechtigt, ihn nach der Ursache seines großen Vernunftprinzips[88] zu fragen. Wir sind von beiden Seiten übereingekommen, diese Fragen nicht zu erheben, und es ist vor allem sein Interesse an diesem Abkommen festzuhalten. Wollen wir nach unserer begrenzten und unvollkommenen Erfahrung urteilen, so hat Wachstum einigen Vorzug vor Vernunft, denn wir sehen täglich diese aus jenem, nicht aber jenes aus dieser hervorgehen.

Ich ersuche Euch, die Folgen auf beiden Seiten zu vergleichen. Die Welt, sage ich, gleicht einem Tier, also ist sie ein Tier, also entsprang sie aus Zeugung. Die Schritte sind, ich gestehe es, groß; doch ist bei jedem Schritt ein Anschein von Analogie. Die Welt, sagt Cleanthes, gleicht einer Maschine, also sie ist eine Maschine, also entsprang sie aus Absicht. Die Schritte sind hier ebenso groß und die Analogie weniger augenscheinlich. Und will er meine Hypothese einen Schritt weiter führen, und Absicht oder Vernunft folgern aus dem großen Prinzip der Zeugung, worauf ich mich stütze, so kann ich mit besserem Recht dieselbe Freiheit in Anspruch nehmen, seine Hypothese einen Schritt weiter zu führen und göttliche Zeugung und Theogonie aus seinem Vernunftprinzip folgern. Ich habe wenigstens einen schwachen Schatten von Erfahrung, überhaupt das höchste, was in dieser Sache erreicht werden kann. Vernunft entspringt nach der Beobachtung unzähliger Fälle aus Zeugung, niemals aus etwas anderem.

Hesiod und alle alten Mythologen waren von dieser Analogie so betroffen, daß sie allgemein den Ursprung der Natur von tierischer Geburt und Zeugung ableiteten. Auch Platon, so weit er verständlich ist, scheint in seinem Timäus eine derartige Vorstellung sich zu eigen gemacht zu haben.

Die Brahminen behaupten, daß die Welt ihren Ursprung von einer unendlichen Spinne hat, welche diese ganze verwickelte Masse aus ihrem Eingeweide spann und nachher das Ganze oder einen Teil vernichtet, indem sie es wieder in sich zurücknimmt und in ihr eigenes Wesen auflöst. Das ist eine Art Kosmogonie, welche uns lächerlich erscheint, weil eine Spinne ein kleines verächtliches Tier ist, deren Tätigkeit wir nicht geneigt[89] sind, als Modell des ganzen Universums gelten zu lassen. Aber doch ist hier eine neue Form der Analogie, selbst auf unserer Erdkugel. Und gäbe es einen ganz von Spinnen bewohnten Planeten (was wohl möglich ist), so würde dort diese Folgerung ebenso natürlich und unwidersprechlich erscheinen, als diejenige, welche auf unserem Planeten den Ursprung aller Dinge aus Vernunft und Intelligenz herleitet, wie sie von Cleanthes vorgetragen worden ist. Warum ein geordnetes System nicht so gut aus dem Bauch als aus dem Gehirn sollte hervorgesponnen werden können, dafür möchte es ihm schwer werden, einen zureichenden Grund anzugeben.

Ich muß gestehen, erwiderte Cleanthes, daß das Geschäft, welches Ihr übernommen habt, Zweifel und Einwendungen zu erheben, von allen lebenden Menschen Euch am besten ansteht und in gewisser Weise natürlich und unvermeidlich für Euch zu sein scheint. So groß ist Eure Fruchtbarkeit an Erfindungen, daß ich mich nicht schäme, meine Unfähigkeit zu gestehen, solche abgelegenen Schwierigkeiten, als Ihr fortwährend gegen mich heraufwälzt, so ohne weiteres regelrecht zu widerlegen, obgleich ich im allgemeinen ihre Trüglichkeit und Falschheit deutlich einsehe. Und es ist mir nicht fraglich, daß Ihr selbst gegenwärtig in dem gleichen Fall seid und die Lösung nicht so bei der Hand habt, als die Einwendung; da Ihr doch Euch selbst sagen müßt, daß der gesunde Menschenverstand und die Vernunft Euch völlig entgegen sind, und daß solche Einfälle, als Ihr vorgebracht habt, uns beunruhigen, aber nie überzeugen können.

Quelle:
David Hume: Dialoge über natürliche Religion. Über Selbstmord und Unsterblichkeit der Seele. Leipzig 31905, S. 84-90.
Lizenz:
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Universal-Bibliothek Nr. 7692: Dialoge über natürliche Religion
Dialog über natürliche Religion
Philosophische Bibliothek, Bd.36, Dialoge über natürliche Religion
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