XII

[49] Nach der Dienerinnen Weggang, als, von minder Scheu bedrängt,

Von Gefühlsiegs Ausdruck schwellend, lächeltaubenetzten Munds,

Rādhā, die verlangenvolle, dastand und am laub'gen Bett

Ihre Augen niederschlug, sprach zur Geliebten Hari so:

(1)


Liebende! Setz' auf das Lager von Laube den Fuß, der den Lotos besieget,

Mach' es zum glänzenden Zeugen, wie leicht ihm sein blühender Gegner erlieget!

Im Augenblick dem Nārāyaṇa, dem genaheten, nah', o Rādhikā!

(2)
[49]

Soll in die Hand ich nicht fassen den Fuß dir? So weit her bist du gegangen;

Laß auf dem Bett wie mich selber nur ruhen die mutig begleitenden Spangen!

Im Augenblick dem Nārāyaṇa, dem genaheten, nah', o Rādhikā!

(3)


Träufle vom Nektarbehälter des Mundes ambrosische Worte zur Feier!

Sieh, wie die Trennung entheb' ich dem Busen den brüstebedrängenden Schleier.

Im Augenblick dem Nārāyaṇa, dem genaheten, nah', o Rādhikā!

(4)


Den nach des Freundes Umfangen verlangenden, bangenden, einzig erkornen

Busen laß wallen am Busen mir, stille die Glut des Gemütegebornen!

Im Augenblick dem Nārāyaṇa, dem genaheten, nah', o Rādhikā!

(5)


Reizende, reiche den Nektar der Lippe, belebe den Sklaven, den toten,

Den in dir lebenden, welchem die Gluten der Trennung zu atmen verboten.

Im Augenblick dem Nārāyaṇa, dem genaheten, nah', o Rādhikā!

(6)


Klingle mit Gürteljuwelen ins Klingen der Kehle, du Mond von Gesichte![50]

Meine zu lange von Kokila's Gellen ermüdeten Ohren beschwichte!

Im Augenblick dem Nārāyaṇa, dem genaheten, nah', o Rādhikā!

(7)


Jetzo den Freund, den von deinem so nutzlosen Grolle gequälten, zu sehen,

Blinzet dein Auge vor Scham; o laß es und löse der Liebe die Wehen!

Im Augenblick dem Nārāyaṇa, dem genaheten, nah', o Rādhikā!

(8)


Wo dem engeren Umfahn vom Schauern,

Und dem Minneblickspiel von des Augs

Blinzelung, dem Lippennektartrinken

Von dem scherzenden Liebkosungswort,

Selbst dem Liebeskampfe vom Entzücken

Immer eine Schranke ward gesetzt:

Unter solchen Hemmungen ergehend,

Ward ihr Lustaustausch genußreich erst.

(10)


Von Nageldruck blaßrote Brust, von Schlummerlosigkeit getrübte Augen,

Der Lippen Purpur weggehaucht, des Hauptes Wald wirr mit zerstörten Kränzen,

Der Gürtel klaffend, schlapp das Kleid: ein solches Morgenbild war sie den Augen;

O Wunder, wie des Gatten Herz von diesen Kāma- Pfeilen ward durchbohret!

(13)
[51]

Zum liebebegnügten nach Wonnegenuß,

Sie mit gelösten Gliedern,

Rādhā mit ehrerbietiger Scheu

Sprach also zu Govinda:

(17)


Yadu-Beglücker! Mit sandelerkühlender Hand an die strahlende Busenschal',

An die mit Madana's Opfergefäße sich messende, male das Muscusmal!

Sie gebot dem Yadu-Geborenen,

Dem spielenden Herzenserkorenen.

(18)


Laß hier, o Liebster, am liebesgeschosse-versendenden blendenden Augenpaar

Nun die vom Kusse der Lippen zerstobenen blinkenden Schminken enttauchen klar!

Sie gebot dem Yadu-Geborenen,

Dem spielenden Herzenserkorenen.

(19)


Holder Gesell! An die augengazellenbewegung-umhegenden Ohren bring'

Hier den geschickt sich wie Madana's Fangstrick dehnenden sehnenden Ohrenring;

Sie gebot dem Yadu-Geborenen,

Dem spielenden Herzenserkorenen.

(20)


Fang' ins Geflechte die flatternden, lange wie Bienen in schwärmenden Flocken mein

Lilienlicht des Gesichtes umhängenden, fange die lockeren Locken ein!

Sie gebot dem Yadu-Geborenen,

Dem spielenden Herzenserkorenen.

(21)
[52]

Male mir, muntrer, am Monde der Stirne das Zeichen aus Muscus gemischt mit Fleiß,

Daß an dem Monde die Flecken nicht fehlen, nachdem du ihn ab hast gewischt den Schweiß.

Sie gebot dem Yadu-Geborenen,

Dem spielenden Herzenserkorenen.

(22)


Flicht nur, und sträube dich nicht, hier ins wallende Banner Anaṅga's die Blumenschleif',

Hier in das wirre Geflirre des Schopfes, der spielt wie ein spiegelnder Pfauenschweif.

Sie gebot dem Yadu-Geborenen,

Dem spielenden Herzenserkorenen.

(23)


Den Schmuck der Brüste rüste zu, laß Farb' auf Wangen prangen!

Lind um die Lende leg den Gurt, den Kranz am Haarnetz kräusle!

Schling um die Hand die Spangenschlang', am Fuße fest die Fessel! –

So angewiesen, jedes tat gewandt der Gelbgewand'ge.

(24)

Quelle:
Gītagovinda: Das indische Hohelied des bengalischen Dichters Jayadeva. Leipzig [1920], S. 49-53.
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