Fußnoten

1 Diese reine und eben darum erhabene Wissenschaft scheint sich etwas von ihrer Würde zu vergeben, wenn sie gesteht, daß sie, als Elementargeometrie, obzwar nur zwei, Werkzeuge zur Konstruktion ihrer Begriffe brauche, nämlich den Zirkel und das Lineal, welche Konstruktion sie allein geometrisch, die der höheren Geometrie dagegen mechanisch nennt, weil zu der Konstruktion der Begriffe der letzteren zusammengesetztere Maschinen erfodert werden. Allein man versteht auch unter den ersteren nicht die wirkliche Werkzeuge (circinus et regula), welche niemals mit mathematischer Präzision jene Gestalten geben könnten, sondern sie sollen nur die einfachste Darstellungsarten der Einbildungskraft a priori bedeuten, der kein Instrument es gleichtun kann.


2 Hier ist der Ort, einen Fehler zu verbessern, den ich in der Grundl. zur Met. der Sitten beging. Denn, nachdem ich von den Imperativen der Geschicklichkeit gesagt hatte, daß sie nur bedingterweise und zwar unter der Bedingung bloß möglicher, d.i. problematischer, Zwecke geböten, so nannte ich dergleichen praktische Vorschriften problematische Imperativen, in welchem Ausdruck freilich ein Widerspruch liegt. Ich hätte sie technisch, d.i. Imperativen der Kunst nennen sollen. Die pragmatische, oder Regeln der Klugheit, welche unter der Bedingung eines wirklichen und so gar subjektiv-notwendigen Zweckes gebieten, stehen nun zwar auch unter den technischen (denn was ist Klugheit anders, als Geschicklichkeit, freie Menschen und unter diesen so gar die Naturanlagen und Neigungen in sich selbst, zu seinen Absichten brauchen zu können). Allein daß der Zweck, den wir uns und andern unterlegen, nämlich eigene Glückseligkeit, nicht unter die bloß beliebigen Zwecke gehöret, berechtigt zu einer besondern Benennung dieser technischen Imperativen: weil die Aufgabe nicht bloß, wie bei technischen, die Art der Ausführung eines Zwecks, sondern auch die Bestimmung dessen, was diesen Zweck selbst (die Glückseligkeit) ausmacht, fodert, welches bei allgemeinen technischen Imperativen als bekannt vorausgesetzt werden muß.


3 Die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt ist die Möglichkeit empirischer Erkenntnisse als synthetischer Urteile. Sie kann also nicht analytisch aus bloßen verglichenen Wahrnehmungen gezogen werden (wie man gemeiniglich glaubt), denn die Verbindung zweier verschiedenen Wahrnehmungen in dem Begriffe eines Objekts (zum Erkenntnis desselben) ist eine Synthesis, welche nicht anders ab nach Prinzipien der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d.i. nach Grundlätzen, wodurch sie unter die Kategorien gebracht werden, ein empirisches Erkenntnis, d.i. Erfahrung möglich macht. Diese empirische Erkenntnisse nun machen nach dem, was sie notwendiger weise gemein haben (nämlich jene transzendentale Gesetze der Natur), eine analytische Einheit aller Erfahrung aber nicht diejenige synthetische Einheit der Erfahrung als eines Systems aus, welche die empirische Gesetze auch nach dem was sie Verschiedenes haben (und wo die Mannigfaltigkeit derselben ins Unendliche gehen kann) unter einem Prinzip verbindet. Was die Kategorie in Ansehung jeder besonderen Erfahrung ist, das ist nun die Zweckmäßigkeit oder Angemessenheit der Natur (auch in Ansehung ihrer besonderen Gesetze) zu unserem Vermögen der Urteilskraft, wornach sie nicht bloß als mechanisch sondern auch als technisch vorgestellt wird; ein Begriff, der freilich nicht so wie die Kategorie die synthetische Einheit objektiv bestimmt, aber doch subjektiv Grundsätze abgibt, die der Nachforschung der Natur zum Leitfaden dienen.


4 Dieses Prinzip hat beim ersten Anblick gar nicht das Ansehen eines synthetischen und transzendentalen Satzes, sondern scheint vielmehr tautologisch zu sein und zur bloßen Logik zu gehören. Denn diese lehrt, wie man eine gegebene Vorstellung mit andern vergleichen, und dadurch, daß man dasjenige, was sie mit verschiedenen gemein hat, als ein Merkmal zum allgemeinen Gebrauch herauszieht, sich einen Begriff machen könne. Allein, ob die Natur zu jedem Objekte noch viele andere als Gegenstände der Vergleichung, die mit ihm in der Form manches gemein haben, aufzuzeigen habe, darüber lehrt sie nichts; vielmehr ist diese Bedingung der Möglichkeit der Anwendung der Logik auf die Natur ein Prinzip der Vorstellung der Natur, als eines Systems für unsere Urteilskraft, in welchem das Mannigfaltige, in Gattungen und Arten eingeteilt, es möglich macht, alle vorkommende Naturformen durch Vergleichung auf Begriffe (von mehrerer oder minderer Allgemeinheit) zu bringen. Nun lehrt zwar schon der reine Verstand (aber auch durch synthetische Grundsätze), alle Dinge der Natur als in einem transzendentalen System nach Begriffen a priori (den Kategorien) enthalten zu denken; allein die Urteilskraft, die auch zu empirischen Vorstellungen, als solchen. Begriffe sucht (die reflektierende), muß noch überdem zu diesem Behuf annehmen, daß die Natur in ihrer grenzenlosen Mannigfaltigkeit eine solche Einteilung derselben in Gattungen und Arten getroffen habe, die es unserer Urteilskraft möglich macht, in der Vergleichung der Naturformen Einhelligkeit anzutreffen und zu empirischen Begriffen, und dem Zusammenhange derselben untereinander, durch Aufsteigen zu allgemeinern gleichfalls empirischen Begriffen zu gelangen: d.i. die Urteilskraft setzt ein System der Natur auch nach empirischen Gesetzen voraus und dieses a priori, folglich durch ein transzendentales Prinzip.


5 Auch die aristotelische Schule nannte die Gattung Materie, den spezifischen Unterschied aber die Form.


6 Man kann überhaupt sagen: daß Dinge durch eine Qualität, die in jede andere durch die bloße Vermehrung oder Verminderung ihres Grades übergeht, niemals für spezifisch-verschieden gehalten werden müssen. Nun kommt es bei dem Unterschiede der Deutlichkeit und Verworrenheit der Begriffe lediglich auf den Grad des Bewußtseins der Merkmale, nach dem Maße der auf sie gerichteten Aufmerksamkeit, an, mithin ist sofern eine Vorstellungsart von der andern nicht spezifisch verschieden. Anschauung aber und Begriff unterscheiden sich von einander spezifisch; denn sie gehen in einander nicht über: das Bewußtsein beider, und der Merkmale derselben, mag wachsen oder abnehmen, wie es will. Denn die größte Undeutlichkeit einer Vorstellungsart durch Begriffe (wie z.B. des Rechts) läßt noch immer den spezifischen Unterschied der letztern in Ansehung ihres Ursprungs im Verstande übrig und die größte Deutlichkeit der Anschauung bringt diese nicht im mindesten den ersteren näher, weil die letztere Vorstellungsart in der Sinnlichkeit ihren Sitz hat. Die logische Deutlichkeit ist auch von der ästhetischen himmelweit unterschieden und die letztere findet statt, ob wir uns gleich den Gegenstand gar nicht durch Begriffe vorstellig machen, das heißt, obgleich die Vorstellung, als Anschauung, sinnlich ist.


7 Es ist von Nutzen: zu Begriffen, welche man als empirische Prinzipien braucht, eine transzendentale Definition zu versuchen, wenn man Ursache hat zu vermuten, daß sie mit dem reinen Erkenntnisvermögen a priori in Verwandtschaft stehen. Man verfährt alsdenn wie der Mathematiker, welcher die Auflösung seiner Aufgabe dadurch sehr erleichtert, daß er die empirische Data derselben unbestimmt läßt und die bloße Synthesis derselben unter die Ausdrücke der reinen Arithmetik bringt. Man hat mir aber wider eine dergleichen Erklärung des Begehrungsvermögens (Krit. d. p. V., Vorrede Seite 16) den Einwurf gemacht: daß es nicht als das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein, definiert werden könne, weil bloße Wünsche auch Begehrungen wären, von denen man sich doch selbst bescheidet, daß sie ihre Objekte nicht hervorbringen können. Dieses beweiset aber nichts weiter, als daß es auch Bestimmungen des Begehrungsvermögens gebe, da dieses mit sich selbst im Widerspruche steht: ein zwar für die empirische Psychologie merkwürdiges Phänomen (wie etwa die Bemerkung des Einflusses, den Vorurteile auf den Verstand haben, für die Logik), welches aber auf die Definition des Begehrungsvermögens objektiv betrachtet, was es nämlich an sich sei, ehe es irgend wodurch von seiner Bestimmung abgelenkt wird, nicht einfließen muß. In der Tat kann der Mensch etwas aufs lebhafteste und anhaltend begehren, wovon er doch überzeugt ist, daß er es nicht ausrichten kann, oder daß es wohl gar schlechterdings unmöglich sei: z.B. das Geschehene als ungeschehen zu wünschen, sehnsüchtig den schnelleren Ablauf einer uns lästigen Zeit zu begehren, u.s.w. Es ist auf für die Moral ein wichtiger Artikel, wider solche leere und phantastische Begehrungen, welche häufig durch Romanen, bisweilen auch durch diesen ähnliche mystische Vorstellungen übermenschlicher Vollkommenheiten und fanatischer Seligkeit, genährt werden, nachdrücklich zu warnen. Aber selbst die Wirkung, welche solche leere Begierden und Sehnsuchten, die das Herz ausdehnen und welk machen, aufs Gemüt haben, das Schmachten desselben durch Erschöpfung seiner Kräfte, beweisen gnugsam, daß diese in der Tat wiederholentlich durch Vorstellungen angespannt werden, um ihr Objekt wirklich zu machen, aber eben so oft das Gemüt in das Bewußtsein seines Unvermögens zurück sinken lassen. Für die Anthropologie ist es auch eine nicht unwichtige Aufgabe zur Untersuchung: warum wohl die Natur in uns zu solchem fruchtlosen Kraftaufwande, als leere Wünsche und Sehnsuchten sind (welche gewiß eine große Rolle im menschlichen Leben spielen), die Anlage gemacht habe. Mir scheint sie hierin, so wie in allen anderen Stücken, ihre Anstalt weislich getroffen zu haben. Denn sollten wir nicht eher, als bis wir uns von der Zulänglichkeit unseres Vermögens zur Hervorbringung des Objekts versichert hätten, durch die Vorstellung desselben zur Kraftanwendung bestimmt werden, so würde diese wohl größtenteils unbenutzt bleiben. Denn gemeiniglich lernen wir unsere Kräfte nur kennen, dadurch daß wir sie versuchen. Die Natur hat also die Kraftbestimmung mit der Vorstellung des Objekts noch vor der Kenntnis unseres Vermögens verbunden, welches oftmals eben durch diese Bestrebung, welche dem Gemüte selbst anfangs ein leerer Wunsch schien, allererst hervorgebracht wird. Nun liegt es der Weisheit ob, diesen Instinkt in Schranken zu setzen, niemals aber wird es ihr gelingen, oder sie wird es niemals nur verlangen, ihn auszurotten.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 10, Frankfurt am Main 1977.
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