Vorwort.

Denk, wie verärgert der Ochse der russischen Steppe sich hinlegt,

Platt auf den Boden, dumpfstörrig, den Pflug noch zu ziehen verweigernd.

Schläge beprasseln den Rücken und Stachel durchbohren die Haut ihm:

Liegen bleibt er versteinert. Sie drehen und drehen am Schwanz ihm,

Rasend im Kreise herum, daß es knackt. Doch der Ochse bleibt liegen.

Dürres Gezweige und Stroh wird geholt und der Starrkopf umschichtet.

Höhnisch kichert und frißt die entzündete Lohe ins Fleisch ihm,

Leckt vielzüngig sein Blut. Der zermarterte Ochse bleibt liegen.

Oder gedenk seines Bruders, des Stierleins altindischer Lande,

Welches sein Herr in den Karren gespannt – er entfloh in die Weite,

Weil seine Gattin daheim beständig gekeift und gebelfert.

Beide nun atmen behaglich die donner- und blitzfreie Luft ein.

Aber auf einmal versinkt im Moraste das Stierlein. Vergeblich

Wird es mit schmeichelnden Worten ermahnt, wird gekost und gestreichelt.

Nimmer erhebt es den Kopf. Da schreit sein Herr in Verzweiflung:

»Auf! Sonst hol' ich sofort meine Frau und vermähl' dich mit dieser.«

Kaum ists gesprochen, so steht schon, belebt von dem Zauber, das Horntier,

Zerrt seine Beine heraus, und beflügelt trottet es weiter.

Also lag ihm der Geist stumpf reglos am Boden im Sumpfe.

Und wie hätte bei ihm das Drohn mit der Gattin verfangen!

War sein Gemahl doch die schönste, beglückendste unter den Weibern,

Ihm seit der Kindheit vertraut. Frau Arbeit war sie geheißen.

Dies ja zerquälte ihn nur, daß ein böses Geschick ihm verwehrte,

Je sie so ganz zu umfangen, und immer wieder viel Jahre

Weit von der Süßen ihn trieb und ihn dumpf in Erstarrung gebannt hielt.


Eheu de me fabula pseudo-Homerica narratur!

Als barfüßiger Bauernbub – ich mochte damals etwa zwölf Jahre zählen – hatte ich einen Unfall, der für mich ein großes Glück bedeutete; ob auch für die Leser dieses Buches, ist eine andere Frage. Denn ohne dies Ereignis hätte der vorliegende Riesenwälzer wohl nie das Licht der Welt erblickt. Schon im zartesten Kindesalter mußte ich als ältester Sohn eines kinderreichen, aber höchst geldarmen nordamerikanischen Hinterwäldlers und einer damals viel krankenden Mutter sowohl in Feld und Wald als auch in Küche und Stube gehörig helfen, und mit neun Jahren fing ich an, in gar vielen Arbeiten dasselbe wie ein Erwachsener zu leisten und – Verse zu schreiben. Als ich die erste Pflugzeile durch den Acker führte, gab mir mein [5] Vater eine saftige Ohrfeige – ich sollte diesen eigentlichen Anfang meiner Bauernlaufbahn nie vergessen, sagte er zur Erklärung auf meine verblüfften Blicke. Bei meiner ersten Verszeile aber hat er mir, trotzdem daß er selber ein Dichter war, die für alle Zeiten abschreckende Ohrfeige leider nicht verabreicht. In die Schule gehen konnte ich allzuwenig, und auch zum Lesen fehlte die Zeit; denn im Sommer arbeiteten wir oft noch beim Mondschein weiter im Feld. Da kam jener Unfall: beim allzu hastigen Hinrennen und Aufbinden der Garben hinter der Getreideschneidemaschine her stürzte ich über einen der unzähligen Baumstümpfe und richtete mir den Arm so zu, daß ich sechs Wochen lang nicht arbeiten konnte. Wie viele Jahrzehnte ist die hohe Linde des Feldes, in dem ich jetzt das Vieh hüten mußte, schon von der Erde getilgt! In meiner Seele aber grünt und rauscht und schattet sie fort, bis auch ich wieder in jenes Dunkel verschwunden bin, aus dem wir alle kommen und in das wir alle gehen, seien wir nun Bäume oder Menschen. Wie schön wäre es, wenn auch ich dann im Gedächtnis noch Daseiender fortleben dürfte, segensvoll und gütig, wie dieser mein stiller Bruder aus der Pflanzenwelt! Denn unter seinen Zweigen habe ich damals Dittmars Weltgeschichte gelesen. Da ward auch von der alten heiligen Sprache Indiens berichtet, vom Sanskrit, und davon, daß es fünfzig Buchstaben habe und sehr schwierig sei. »Aha,« sprach ich bei mir, »wenn ich wirklich einmal studieren kann, dann will ich auch Sanskrit lernen, weil es eine so schwere Sprache ist und fünfzig Buchstaben hat.« Endlich, endlich kam der Tag, wo ich aufs Gymnasium konnte, als sechs Fuß großer und fast ganz zum Krüppel gearbeiteter junger Mensch hinein in die Sexta. Nun, Latein, Griechisch und Hebräisch habe ich trotzdem noch gelernt und – wieder vergessen, wie so viele andere Sprachen und Sachen. Auch ans Sanskrit ging ich bald. Aber es mußten dann immer wieder lange Pausen gemacht werden; denn zu den nötigen Büchern fehlte das Geld. Auf dem theologischen Seminar aber versagte dann auch die Kraft, und zwar vollständig; denn mein Nervenleiden war da so schlimm geworden, daß ich jene drei Jahre, die schrecklichsten aller schrecklichen Jahre meines Lebens, das Sanskrit, wie manches andere, ganz liegen lassen mußte. Nach Abschluß meiner theologischen Studien flüchtete ich aufs Land, wieder in die Felder und Wälder zu meinem Vater. Dritthalb Jahre Arbeit im Freien stärkten mich dann auch so weit, daß ich an die Rückkehr zum Altindischen denken konnte. Aber ich merkte, daß mein Gedächtnis allzusehr gelitten hatte. Darum lernte ich, um es zu stärken, Russisch und dann auch Schwedisch, Italienisch, Spanisch, ein wenig Neupersisch, und trieb wieder Sanskrit, alles neben schwerer Arbeit in Feld und Wald her. Darauf folgte ein Jahr Studium an der Universität Chicago, ermöglicht durch nebenhergehende Schriftstellerei und Bibliotheksarbeit, in den Hörsälen der vergleichenden Sprachwissenschaft und der Germanistik, auf der eigenen »Bude« aber hauptsächlich weiterer Autodidaxis im Altindischen gewidmet, dann der Dr. phil. und zunächst eine Frist von dritthalb Jahren als Hilfslehrer des Altindischen an meiner Alma mater. In diesen paar Jahren habe ich verhältnismäßig viel Sanskrit, Pali und Prakrit gelesen, mehrere Bücher gemacht, auch die Hindu Tales, obschon diese erst fünf Jahre nach ihrer Abfassung erschienen sind. Aber wieder mußte ich klein beigeben, wieder hing das Altindische und alles eigentliche Studium über vier Jahre lang am Nagel und wieder fand ich dann, daß das Gedächtnis in redlicher Tücke die günstige Gelegenheit benutzt hatte, auf dem Faulbett unheimlich zu [6] verlottern. Da hieß es wieder was schweres Neues herholen – ich lernte Finnisch, geriet aber so hinein in dieses eigentümliche, mich schon wegen seiner vielen Schriftsteller aus den »untersten Schichten« ansprechende Schrifttum, daß ich außer dem aller Welt wenigstens dem Namen nach bekannten Kalevala, der Kanteletar und älteren Anthologien etwa alle irgendwie wichtigen belletristischen Sachen der modernen, mit Snellmann, Ahlquist (oder Oksanen) und Kivi einsetzenden Literatur bis auf die damalige Zeit herab durchlas und mein Buch: »Vom Land der tausend Seen, eine Abhandlung über neuere finnische Literatur und eine Auswahl aus neueren finnischen Novellisten« verfaßte. Dann machte ich mich ans altindische Epos, las das Rāmāyaṇa zum zweiten Male und dreimal nacheinander das Mahābhārata von Anfang bis Ende durch, das letzte Mal nicht nur in der Bombayer, sondern nebenher auch in der sogenannten »südindischen«, von mir mit K bezeichneten Gestalt. Aber äußere und besonders innere Hemmnisse waren dabei so groß, daß gar mancher, der nur Küstenschiffahrt in diesem unendlichen Meere getrieben hat, mehr Kenntnis und Gewinn nach Hause brachte als ich, der mit dreifachem Erz, zwar nicht um die Brust, wohl aber um einen minder edeln Körperteil und, ach, um die schmerzende, dumpfe Stirn die beängstigende Weite von einem Ufer zum andern dreimal durchkreuzt hat. Alte Durchfahrer der »ungastlichen Salzflut« brachten wenigstens das Weib eines anderen als Beute mit heim, ich aber nur mein eigenes – »Das Weib im altindischen Epos«. Und gerade hatte ich noch Zeit, dieses auch der Öffentlichkeit vorzustellen, da war das dunkle Verhängnis schon wieder da – acht Jahre strenger Verbannung auf öde Strafinsel rächender Gewalten, acht Jahre, in denen ich keine Zeile Altindisch noch sonst einer Sprache außer leichtes Deutsch und Englisch habe lesen können. Der Neubeginn war diesmal weit bescheidener als früher, schon weil das Gedächtnis diesmal so wenig mehr zu flicken war wie eine Bettelbubenhose – ich machte mich dafür an die Ausbesserung meines schon etwa 20 Jahre vergriffenen Daçakumāracaritam. Aber dazu mußte ich wohl das Arthaçāstra des Kauṭilya lesen. War das eine Beschämung – ich verstand das Buch nicht! Wenn jahrzehntelang die Tag und Nacht hindurch immerregen Mäuse gedächtnis- und geistmordender Krankheit nagen und fressen, wegtragen, immerzu wegtragen, da wird man ein sehr geleertes Haus. Diese acht Jahre vollends hatten schaurige Verheerung angerichtet. Umsonst bleibt mein Seufzer: »Vermöchte ich doch nur halb so gut Altindisch zu lesen, als da ich den Doktor machte!« Tausend Meilen bin ich von der Hälfte sogar entfernt. Und war mir wirklich eine bestimmte Kauṭilyastelle durch widerwillig nahende Erleuchtung klar geworden, und kam ich einen Tag darauf oder zwei zu ihr zurück, so war alle Weisheit wieder davongeflogen über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Da ward auch mir die Milch der frommen Denkart in gärend Drachengift verwandelt: ich griff zur Feder und heftete mit ihrer Spitze, sowie der flüchtige Schmetterling des Verständnisses bei einer mir wichtigen Stelle geflattert kam, ihn säuberlich aufs Papier. So wuchs und wuchs meine Sammlung, und schließlich dachte ich: »Da ist ja etwa der halbe Kauṭilya beisammen. Geben wir ihm seine andere Hälfte an die Seite!« Die alten Griechen sagten, Mnemosyne, das Gedächtnis, sei die Mutter der neun Musen, also mindestens die Großmutter auch aller Bücher. Hier, ach leider nicht nur hier, zeigt es sich, daß neben anderen geistigen Mängeln auch der Mangel an Gedächtnis Bücher hervorbringt.

[7] Als nun alles leidlich fertig schien, schickte ich das Manuskript an den Verleger mit dem Schuldbewußtsein: »Die neun Jahre, des Horaz wären für dieses Werk längst nicht genug, es im Pulte ausreifen zu lassen.« Aber jahrzehntelange und allzu oft wiederholte Erfahrung hat mich gelehrt, daß ich das nicht dürfe. Hinter der nächsten Ecke lauert immer der Unhold, und plötzlich springt er hervor und hängt mich an den Galgen vieljährigen geistigen Unvermögens. Da ist es immerhin ein diebisches Vergnügen, dem Tückebold ein kleines Schnippchen zu schlagen und, ehe sein Krallenarm mich am Schopf hinaufhebt, »trotz alledem und alledem« eine Frucht geistiger Arbeit, wenn auch eine recht wurmstichige, in den Keller staubiger Bücherbrettvergessenheit zu bergen. Wollte ich nicht große Gefahr laufen, meine Übersetzung des Kauṭilya überhaupt nicht veröffentlichen zu können, so mußte ich also zusehen, daß sie bald, leider nur zu bald gedruckt würde.

Der Druck nun hat sich sehr lang hingezogen, und zwar hauptsächlich wegen des Unglücks, das über den wohl allzu idealistischen ersten Verleger kam, und ich war noch nicht fertig mit der ersten Korrektur der Übersetzung selber, als mich ein Nervenzusammenbruch niederriß. Unsereins ist ja wie Münchhausen: jeden Tag, ja meist jede Stunde und jede Minute muß man sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Jetzt aber half all die gewohnte Ankurbelung von Energie nichts mehr, und schon fürchtete ich, die erst zu drei Fünfteln, dabei nur im »Sudel«, niedergeschriebenen Nachträge kämen nicht mehr zustande, ganz zu schweigen von der Einleitung und anderem. Aber nach einiger Zeit ging es doch wieder, obschon seitdem mit noch weit beschränkterer, immer mehr sinkender Leistungsfähigkeit, und ich beklage sehr, daß darunter die eben genannten Teile, vor allem die Nachträge, merklich gelitten haben.

Die anfängliche Langsamkeit und der zeitweilige Stillstand des Druckes hat dann die ganze Gestalt des Werkes geändert, hoffentlich nicht einzig zum Schrecken des Lesers. Bei der Niederschrift und bei der ersten Revision der Übersetzung steckte ich alles an Anmerkungen, was mir am nötigsten schien und ohne weiteres oder doch ohne viel Zutun in die Feder floß, gleich eingeklammert in den Text, und in dieser Form ist das MS. dann im Herbst des Jahres 1924 an den Verleger abgegangen. Ich blieb aber am Kauṭ. und machte mich ihm zuliebe vor allem an die Smṛiti. Diese in den Anmerkungen irgendwie eingehender heranzuziehen, hatte ich ursprünglich nicht die mindeste Absicht, natürlich weil längst von Jollys Hand eine Art Smṛiti-Kauṭ.-Konkordanz vorliegt. Hatte ich doch ursprünglich die metallurgischen Kapitel des Arthaç. gar nicht übersetzt. Denn ich sagte mir: »Jolly hat sie ja ins Deutsche übertragen. Versagt dir die Kraft vor dem Ziel, dann soll mindestens keine an diese Partie verschwendet sein, die du ja sowieso nicht besser darbieten könntest.« Aber ich fand dann später doch, daß noch vieles zu tun war, sogar was die Vergleichung der Rechtsschriften anlangt. Jollys Zusammenstellung ist ja von vielfach anderen Gesichtspunkten gemacht als meine im Nachtrag gegebenen Entsprechungen und Erläuterungen zu den Rechtsteilen des Kauṭ. Leider hatte ich bei der Ausarbeitung der betr. Nachträge Band 67 der ZDMG., wo Jollys einschlägige Arbeit steht, nicht zur Hand, und ich wußte nur noch selten, was er bringt und was nicht. Meine Absicht war ursprünglich, von ihm schon Dargebotenes nur in bestimmten Fällen zu erwähnen. Stellen aus den bloß in Zitaten erhaltenen Rechtswerken konnten, abgesehen von Bṛihaspati, nur ausnahmsweise eindringen, weil mir diese [8] Texte nicht zugänglich waren. Auch von den Gṛihyasūtras, die hier und anderwärts manches beigesteuert hätten, habe ich nur ein paar und ließ sie auch deshalb, abgesehen von ein paar Einzelheiten, beiseite.

Dieser Teil des Nachtrags entbehrt also ebenfalls der Vollständigkeit, trotzdem daß er so stark angeschwollen ist. Nun aber ist zwar von allen Berührungen zwischen Kauṭ. und anderen Schriften die mit der Smṛiti weitaus am wichtigsten, wenigstens vorderhand, und darf deshalb auch die Vergleichung mit den Rechtswerken einen bedeutenden Raum beanspruchen. Aber das trifft wesentlich nur die älteren Rechtswerke. Denn daß Bṛihaspati, Kātyāyana und andere so späte einfach aus Kauṭ. abschreiben, liegt auf der Hand. Auch die Entsprechungen aus anderen Nītiwerken haben mithin eine geringere Bedeutung für Kauṭ. Er kann unmöglich aus ihnen geschöpft haben. Ein Zweifel wäre nur beim MBh. denkbar. Freilich zum Verständnis einzelner Stellen des Arthaç. können sie öfters beitragen. Vor allem gilt dies bekanntlich von Kāmandaka. Seinen Nītisāra habe ich schon bei der Revision meiner Übers. vergleichen können und manches Licht aus ihm und aus Çaṅkarāryas Glossen erhalten. In einigen Fällen freilich war es ein Irrlicht und hat mich verlockt, meine eigene und richtigere Auffassung fahren zu lassen und die andere aufzunehmen. Das Nītivākyāmṛita und die Çukranīti habe ich mir erst verschaffen können, als mein MS. längst beim Drucker lag. Die Çukran. ist ja eine sehr junge Kompilation und in dem, was der Ausschreiber aus eigenen Mitteln beisteuert, meist schauerlich barbarisch. Aber zum Glück läßt er gewöhnlich andere reden; er beutet etwa die gesamte Smṛiti, vor allem Nārada, die Nāradazitate und Brihasp., natürlich auch Manu und das Volksepos, massenweise aus, ebenso Kām. und andere alte und neuere Quellen. Opperts Parallelen geben nur ein sehr unvollkommenes Bild der Entlehnungen. Zudem ist der Text, wo er abweicht, fast ausnahmslos schlechter. Aber gar manches gewiß recht Alte und Wertvolle, das uns, wenigstens soviel ich weiß, sonst nicht mehr oder doch noch nicht vorliegt, ist hier zu finden, obschon öfters in mangelhafter Form. So hat das Buch längst nicht die Bedeutung, die ihm Oppert und Sarkar beimessen. Andererseits aber sollte es auch nicht als »Fälschung« so ganz weggeschoben werden. Wichtiger ist für Kauṭ. in mancher Hinsicht das schon von Jolly verglichene und auch sonst wertvolle Nītivākyāmṛita. Aber auch daraus habe ich meist nur besonders eigentümliche und für Kauṭ. beleuchtende Stellen herangezogen. Durchweg die Entsprechungen aus Kām. und Nītiv. anzumerken, hätte viel für sich gehabt. Aber das Buch ist so schon zu dickwanstig, und so ließ ich es in den meisten Fällen bei der Eintragung in mein Kauṭ.-Exemplar bewenden. Nicht einmal die Strophen des Kauṭ. habe ich, abgesehen von ein paar Fällen, in ihre Parallelen verfolgt, obschon ich solche und gar manche sonstige Entsprechungen wenigstens aus der Tantrākhy. und dem Pañcat. leicht hätte beibringen können. Übrigens handelt es sich da ja doch nur um Entlehnungen aus Kauṭ. Dieser hat seinerseits wieder aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens einige, vielleicht ziemlich viele seiner Verse wo anders her übernommen.

Bis zuletzt sparte ich, wie manche Kinder einen Leckerbissen, mir die eingehende Vergleichung der Nītistücke des MBh. auf. Leider habe ich bei meiner schon genannten Lektüre des Epos gerade diesen Schätzen wenig Beachtung geschenkt. Alles Politische war mir damals gleichgültig oder lästig, und jedesmal, wenn ich den Rājadharma des XII. Buches fertig hatte und zum Mokshadharma kam, war mir dies wirklich moksha oder Erlösung, und zwar [9] um so mehr, als ich gerade diese philosophische Abhandlung besonders lieb gewann, trotz alles mitlaufenden Wustes; ich stelle sie höher als die Bhagavadgītā, jenen Boudoirtraktat altindischer Philosophie. Trotzdem hätte ich wohl das Meiste, was für altindisches Staatswesen und Staatstheoretisieren wichtig ist, auf Anleitung meiner Notatenbücher wieder betrachten können, jetzt mit ganz anderen Augen. Aber der Nervenunhold machte mir den Plan zunichte. Wie man sehen wird, ist zwar das Epos, vor allem das MBh., manigfach verwertet worden. Aber doch längst nicht, wie es nötig gewesen wäre. Vielleicht kann ich das Versäumte einmal nachholen. Freilich eine neue Gesamtlektüre der zwei Epen, die für das Arthaç. sehr fruchtbringend sein müßte, werde ich mir nie mehr träumen lassen können.

Immerhin wäre ich jetzt, nachdem mein Kauṭ. gedruckt ist, in mancher Hinsicht weit geeigneter zu dem Werk der Übertragung als zu der Zeit, wo ich sie machte. Nītischriften hatte ich keine einzige gelesen außer dem Rājadharma des MBh. und den Arthaçā straabschnitten der Smṛiti, diese alle aber in den acht Jahren völliger Nichtbeschäftigung mit indischen Dingen und der fortschreitenden Gedächtniszerkrümelung wieder ganz vergessen, vor allem natürlich die Fachausdrücke, die mich übrigens seinerzeit bei Nīl. und Rāma kaum interessiert hatten. Aber mein Leitgedanke war und ist noch immer: Kauṭ. muß wie jeder Schriftsteller aus sich selber erklärt werden. Erst in zweiter Linie kommt Licht von außen. Zu Gebote stand mir aber nur die 1. Textausgabe von Sham. Aus dieser muß man an ungezählten Stellen erst einen Text gewinnen, indem man emendiert, vor allem indem man das allergrößte Hindernis des richtigen Verständnisses, die Interpunktion, abändert. Daß dies nicht so leicht ist, wie es wohl scheinen möchte, zeigt auch die Textausgabe von Jolly und Schmidt, die sich zu wenig von Sham. 's Satzabteilung befreit hat. Bei der Revision zog ich dann die von Jolly aus seinem MS. B mitgeteilten Lesarten zu Rate und ganz zuletzt vor der Absendung der Reinschrift noch den ersten Band von Gaṇ. 's Ausgabe, also Buch I und II des Kauṭ. Sein zweiter Band kam gerade bei Toresschluß und konnte nicht mehr verwendet werden, da das MS. eben am Abgehen war. Der dritte traf erst viel später ein, und diesen ließ ich liegen, bis ich die Druckkorrektur las. Bei dieser hatte ich nun sowieso, dank meiner fortgehenden Beschäftigung mit Kauṭ., schon aus mir selbst allzuviel zu ändern, allzuviel namentlich unter heutigen Druckverhältnissen. Und da ich ja doch Nachträge in langer Reihe ankoppeln und in vielen Fällen mich weiter mit Gaṇ. auseinander setzen mußte, so versparte ich, abgesehen besonders von Angaben anderer Lesarten aus Jollys und aus Gaṇ.'s Text, lieber alles auf den Anhang. So stellt also die Übersetzung mit den Anmerkungen darunter vom Beginn des dritten Buches ab das Bild des Textverständnisses dar, so wie ich aus mir selber mit Zuhilfenahme der Varianten von B es zuwege brachte, während in den zwei ersten Büchern durch die nachträgliche Verwertung des Gaṇ. dieses Bild getrübt wird. Hochwillkommenen Beistand leistete mir beim zweiten Buch, und zwar schon während der Übersetzung, auch Sorabjis Doktorarbeit, also der Auszug aus Bhaṭṭasvāmin.

Schon bei der Durchsicht der Varianten aus B, noch weit mehr aber bei der Vergleichung der Ausgabe von Gaṇ., sah ich zwei Dinge: 1. daß ich öfters recht dumm und vernagelt gewesen und darum auf naheliegende Verbesserungen nicht verfallen war, 2. daß ich an ungezählten Stellen genau die gleiche Textgestalt, die ich später in dem einen oder dem anderen von diesen beiden [10] fand, selber mir erschwitzt hatte. Auch in der Satzabteilung sah ich meine Anschauung fast überall durch Gaṇ. bestätigt. Dies beides gilt vom ganzen Kauṭ. Nur da und dort einmal mache ich in den Anmerkungen auf solche Übereinstimmung aufmerksam. Ganz sonderbar wurde mir manchmal bei den zwei letzten Dritteln zumute, wenn eine Anmerkung von mir wie eine Übersetzung aus Gaṇ.'s Glossen klang, wo ich diese doch so lange nachher zu Gesicht bekam. Das alles verleiht mir den Mut zu sagen: an gar manchen Stellen, wo Gaṇ. meine Textänderung nicht stützt, wird man gut tun, meine Emendation oder Vermutung nun nicht einfach als leeren Einfall anzusehen. Gaṇ.'s Text ist weit besser als der von Sham. und der von B, also natürlich auch als der von Jolly und Schmidt. Ihm stand offenbar weit besseres Material zu Gebote. Wie unendlich viel leichter wäre meine Aufgabe gewesen, wenn ich aus Gaṇ.'s Ausgabe hätte übersetzen können! Aber einen abschließenden Text haben wir auch in Gaṇ. hoffentlich noch nicht. Eine zukünftige Ausgabe wird kaum ohne Schaden meine Konjekturen unverwertet lassen können, sogar wenn wir noch bessere Handschriften bekommen sollten als bisher. Eine Anzahl meiner »Besserungen« freilich widerrufe ich ja selber im Nachtrag, und möge es mir vergönnt sein, noch recht viele für null und nichtig zu erklären. Gibt es ein Vergnügen, das dem zu sündigen gleichsteht, so ist es gewiß dies, daß man aus einem selber seine Fehle erkennt. Sodann: Andere auf Erden sind Hypothekenbesitzer. Hypothesenbesitzer aber wollen wir Forscher bleiben. Du lieber Gott, würden uns die Hypothesen geraubt, was hätten wir dann noch! Die Wissenschaft lebt von dem, was wir nicht wissen, aber zu wissen streben oder zu wissen – vermeinen.

Freilich der Leser mag rufen: »Lädt man mich in ein Haus, dann sollte es fertig sein, und der Besucher nicht rechts und links an die Baugesellen stoßen, die noch Mörtel tragen oder lästig klopfende Hämmer schwingen.« Nun gibt es zwar selbst schöne lyrische Gedichte, die sich um ein Drittel, ja gar um die Hälfte verringern ließen, die weit schöner würden, wenn man das Baugerüst um sie herum wegrisse, das der Werkmeister hat stehen lassen. Als Beispiel nenne ich Rudolf Presbers zwei auch durch verschiedene Anthologien bekannte Gedichte: »Erinnerung« und »Das Pferdchen«, neben »Die Drei« seine vorzüglichsten (alle aus der Sammlung: Media in vita). Und einem gelehrten Werke sieht man dergleichen gewiß eher nach. Dennoch aber wäre das vorliegende Buch etwas weniger umfangreich und vor allem bequemer zu lesen, wenn ich es bis zum heutigen Tag auf dem Arbeitstisch hätte liegen lassen und es erst jetzt in den Druck schickte. Jetzt muß der gewissenhafte Benutzer fortwährend den Nachtrag daneben aufgeschlagen halten, am besten zusammen mit den Registern einzeln gebunden, und zwischen Buch und Nachtrag umher hüpfen wie ein Heuschreck. Aber man bedenke auch, wenigstens zur Entschuldigung des Umfangs: Kauṭ. ist nicht ein Buch, sondern eine altindische Bibliothek. Da braucht es schon Ellbogenraum, wenn man sich die Aufgabe setzt, das hier Enthaltene ins Licht zu stellen. Mindestens zwanzig Jahre, einzig dem Kauṭ. gewidmet, und dazu einen Mann, der von all den schier zahllosen Dingen, die man für Kauṭ. wissen sollte, mindestens fünfhundertmal mehr weiß als ich, brauchte es eigentlich, ihn einigermaßen befriedigend unserer heutigen Welt darzubieten. Und sogar ich hätte noch so gar manches zur Aufhellung beitragen können, hätte ich es vermocht, für den Kauṭ. auch nur meine halbhundert Notatenhefte zu durchlaufen. Freilich steht mir von den Büchern, auf die dort verwiesen wird, hier leider fast nichts zur Verfügung und muß [11] schon deshalb die Sache eine Halbheit bleiben. Sodann sehe ich immer mehr, daß ich wer weiß wie viele Beleuchtungen und Verweise, die sogar aus Werken auf meinem eigenen Bücherbrett zu holen wären, nicht gebracht habe, und manchmal ist es mir leid, daß ich mich überhaupt auf dieses klägliche Stückwerk der Zusammenkarrerei eingelassen habe.

Dennoch täte der Leser wohl ihm selber, gewiß aber mir Unrecht, wenn er den Nachtrag nicht sorgfältig beachtete; denn er enthält eine Unzahl Berichtigungen oder Besserungen und gewiß auch sonst Brauchbares. Unförmlich ist mein Buch so geworden: ein Känguruh mit großem Beutel, worin es eigene und noch mehr fremde Junge dahinschleppt, und mit einem lachhaft dicken und langen Schwanz. Aber dieser Schweif ist nicht ein lumpiger Wedel, Fliegen abzuwehren, sondern dient dem seltsamen Tier als Stütze und Sprungfeder. Bemüht habe ich mich sehr, den Umfang zu verringern, habe immer wieder weggelassen, was hätte hinein sollen, vor allem eine Unzahl Parallelen und Nachweise. Schon Gaṇ.'s Glossen hätte ich gerne noch öfter besprochen; denn seine Ausgabe birgt das Wertvollste, was wir bisher an Arthaçāstraarbeiten erhalten haben. Sein Kommentar ist ja dem Inhalte und auch oft dem Wortlaut nach zum allergrößten Teil nur Zusammenstellung aus älteren Erklärern des Arthaç. Aber in vielen von mir nicht berührten Fällen bietet er so greifbar Falsches, daß es mir unnötig schien, darauf einzugehen. Freilich wird er dennoch an gar manchen Orten diesen oder jenen irreleiten. Und so wäre wohl die rote Warnungslaterne in dem Dunkel an nicht wenigen Gruben notwendig gewesen. Aber die leidige Überfülle! Ob ich nun immer die richtige Auslese getroffen habe fragt sich. Auch wird Gaṇ. besonders wohl an manchen Stellen, wo ich ihn stillschweigend als verkehrt betrachtet habe, recht haben.

Äußerst sonderbar wird man es finden, daß ich den zweiten Band von Jollys und Schmidts Ausgabe mit Jollys Bemerkungen und dem Bruchstück eines Sanskritkommentars gar nicht benutzt, ja nie gesehen habe. Schmidt hätte mir sein Exemplar gewiß gern geschickt. Ich hatte auch vor, diese Hilfe für den Nachtrag zu verwerten. Jolly hat sogar die große Güte gehabt, mir nach dem Erscheinen der ersten Lieferung eine Menge Bemerkungen zu dieser für meinen Nachtrag zu senden. Auch die sind völlig unbeachtet geblieben. Schon Raumrücksichten hielten mich ab. Sodann wird wenigstens jeder Indologe, der sich ernstlich mit Kauṭ. beschäftigen will, Jollys Ausgabe selber zu Rate ziehen. Da steht aber weit mehr, als ich hätte aufnehmen können. Auch kommt es bei einem Buch von mir doch wohl vor allem darauf an, was ich zu sagen habe. Mit Gaṇ. aber mußte ich schon eine Ausnahme machen. Besonders Jollys kurze Bemerkungen in englischer Sprache kann jeder bequem vergleichen. Durch Gaṇ.'s ziemlich starke drei Bände aber muß man sich halt durcharbeiten. Ferner hat mir Zachariae unterm 23. August 1925 mitgeteilt, daß im Journal of the Bihar and Orissa Research Society von Vol. XI (Appendix) ab der Kommentar des Bhaṭṭasvāmin zu erscheinen begonnen habe, herausgegeben von Jayaswal. Auch zu dieser Heilsquelle bin ich nicht gewandert; die Beine sind zu müde. Doch wozu länger aufzählen, was ich nicht benutzt habe, aber hätte benutzen sollen! Weiß ich doch selber nicht einmal nur annähernd die Menge meiner Unterlassungssünden. Wer also »Beherrschung des ganzen Materials«, ja selbst nur alles »an leicht erreichbaren Orten« zu Findende, wie z.B. in der ZDMG., der WZKM., dem JRAS., den Sitzungsberichten [12] der verschiedenen Akademien usw., bei mir sucht, der wird sich arg enttäuscht sehen und tut besser, sich überhaupt nicht mit meinem Buch abzugeben. Sogar »leicht erreichbare Orte« sind jetzt für mich meist so fern wie der Mars.

Meine Hauptaufgabe mußte sein, in den Text selber so tief einzudringen, wie mir möglich war. Redlich habe ich mich da bemüht, habe mit diesem Engel des Satans gerungen wie einst der Erzvater mit dem des Herrn und mir dabei schier das Gehirn verrenkt. An der Gurgel gepackt habe ich diesen alten Sünder, ihm zugesetzt, daß mir der blutige Schweiß rann, und ihm zugezischt. »Jetzt sag mir, was meinst du eigentlich!« Er müßte aber kein Politiker sein, wenn die Antwort, die ich bekam, nicht häufig falsch wäre. Freilich ihn darf ich nicht tadeln. Wie oft habe ich mir selber zornvoll gesagt: »Auch dieses Geistes Welt ist nicht verschlossen. Dein Herz ist zu, dein Sinn ist tot.« Ein einziges Beispiel zur Probe. Es wird erzählt, Tolstoi habe gegen Schluß der Arbeit an der Anna Karenin sich Tag um Tag abgequält mit dem Zweifel: »Wie soll Anna sterben?« Da mußte er einmal zur Bahn, und vor seinen Augen warf sich eine Frau vor den heranbrausenden Zug und fand so den Tod. Nun wußte er es. Mir aber ist die bestimmte Lösung noch nicht zuteil geworden, obschon ich Woche um Woche, Monat um Monat, ja jetzt schon Jahr um Jahr immer wieder auf die Frage zurückgekommen bin: Wie ist der āçumṛitaka gestorben, von dem Kauṭ. 215, 16 sagt: Çūṇapāṇipādodaram apagatāksham udvṛittanābhim avaropitaṃ vidyāt? Denn was heißt avaropita? Sogar zwei hiesige Ärzte habe ich ins Vertrauen gezogen, aber aus den mitgeteilten Merkmalen vermochten sie keinen Schluß zu ziehen. Ich glaube, endlich richtig übersetzt zu haben, auf S. 339, 16–18. Wie sonst nicht selten ist auch die Glosse bei Gaṇ. ganz unbrauchbar. Und weiß man wirklich so einigermaßen, was ein bestimmter Ausdruck bedeutet, so macht es doch oft große Schwierigkeit, ihn in unseren Sprachen wiederzugeben. Nicht selten werden andere mit meiner Wahl nicht zufrieden sein. Bin ich selber es doch längst nicht immer. Hier nur zwei nahe verwandte Beispiele. Für tatkulīna wäre »Prinz von Geblüt« wohl besser gewesen als meine Aushilfen. Avaruddha, wegen dessen man z.B. Übers. 15, 27ff. und 39–46, 10 vergleiche, will Hillebrandt laut Brief an mich übersetzen mit: »der konsignierte, unter die Bewachung eines hohen Beamten in der Provinz gestellte Prinz«. Das deckt durchaus nicht alles. Da wäre »segregiert« noch besser. Avaruddha entspringt wohl durch die bei Kauṭ. so häufige Verwechslung von p und v aus aparuddha. »Abgesperrt«, »aus der Nähe des Vaters verbannt« hatte ich zuerst, ließ mich aber dann namentlich durch das beständige avaruddha abschrecken, hinein in ungeschickte Wiedergaben, wie »unterdrückt«, u. dgl. mehr. Die Komm., wie z.B. Çaṅk. zu Kām. XVIII, 52 umschreiben es ganz richtig mit nirvāsita (vivāsita). Also sollte überall »vom Hofe verbannt« stehen. Ich hoffe, man wird auf Schritt und Tritt sehen, daß ich mir es nicht leicht gemacht und vor allem: daß ich »auf das Wort gemerkt« habe. Treu sein dem eigenen Wort ist die Pflicht des Mannes, erste Pflicht des Philologen aber Treue gegen das Wort des anderen. Was ist also der Philologe? Eigentlich ein Weib. Hingebend empfangen soll seine Seele und soll wiedergebären möglichst ähnlich dem Bilde des Erzeugers. Auch das ist nichts Kleines. Sagt doch die Schrift: »Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott.« Ja, am Anfang. Am Ende aber ist es immer bei der Frau. Also sicherlich auch manchmal beim gewissenhaften Philologen.

[13] Zu dieser Gewissenhaftigkeit gehört, daß man nicht gleich zufrieden sei. »Genug ist nicht genug«, ruft der große Conrad Ferdinand, und ähnlich seinen vielen Mitindern hat Māgha gesagt:

Tṛiptiyogaḥ pareṇāpi mahimnā na mahātmanām.


»Der Hochgesinnte wird nicht satt,

Selbst wenn er höchste Fülle hat.«


Vor allem aber darf man sich selber keinen blauen Dunst vormachen – eine gar nicht leichte Forderung. Auch dafür ein Beispiel. Im 87. Gegenstand des Kauṭ. (S. 229, 15–19) ist eine interessante Stelle, die da beginnt mit prakarmaṇy akumāryāç. Gaṇ. versteht sie zur Hälfte richtig. Um so befremdender ist es, daß er in der anderen Hälfte ganz fehl greift. Die Worte heißen auf deutsch: »Wenn eine bei der ersten Beiwohnung (in der Brautnacht) sich nicht mehr als Jungfrau erweist, dann beträgt die Strafe 54 paṇa und muß sie Brautpreis und sonstige Ausgaben wiedererstatten. Macht dabei eine mit Blut, das von da (d.h. von der vulva kommt), sich wieder zur Jungfrau, dann muß sie das Doppelte geben. Schiebt sie dabei anderes Blut unter, dann beträgt die Strafe 200 paṇa. Ebenso für den Mann, der sie fälschlich beschuldigt (ihre Jungfrauschaft verloren zu haben), und er soll da den Brautpreis und sonstige Ausgaben verlieren; Auch soll er, wenn sie es nicht will, kein Bewerbervorrecht erhalten.« Sham.'s Übersetzung lautet, ins Deutsche übertragen: »Die (an Stelle des von den Gewalthabern dem Freier gezeigten Mädchens) untergeschobene Braut soll um 54 paṇa gebüßt werden, während der Unterschiebende auch gezwungen werden soll, sowohl den Brautpreis wie die vom Bräutigam erlittenen Unkosten zurückzuerstatten. Weigert sich ein Mann, ein bestimmtes Mädchen, wie vereinbart, in die Ehe zu geben, dann soll er die eben genannte Geldstrafe doppelt zahlen. Schiebt ein Mann bei der Vermählung ein Mädchen von anderem Blute unter oder entdeckt man, daß er unbegründeten Ruhm (ihrer Beschaffenheit) ihr hat zuteil werden lassen, dann soll er nicht nur eine Strafe von 200 paṇa zahlen und den Brautpreis wiedererstatten, sondern auch die Auslagen vergüten. Kein Mann soll Geschlechtsverkehr mit irgend einem Weibe haben wider ihren Willen.« Wer mit Aufmerksamkeit diese Übersetzung liest, merkt schon an ihr selber, daß da nicht nur etwas, sondern viel faul ist im Staate Dänemark. Vergleicht auch nur ein Anfänger im Sanskrit den Grundtext, dann sieht er, daß man sich kaum etwas Unmöglicheres als Sham.'s Wiedergabe denken könnte; eine ganze Anzahl Wörter wird da in tollster Weise ihrem Sinn entfremdet. Nun ist aber Sham. ein weit besserer Sanskritist als ich. Ferner: wäre mir nichts im Kauṭ. schwerer geworden als diese Zeilen, so wäre meine Arbeit vergleichsweise ein Kinderspiel gewesen. Wo liegt der Angelpunkt des ganzen Abschnittchens? In anyaçoṇita »anderes Blut«. Dies Wort hat mir das Verständnis des Ganzen erschlossen und hätte es auch Sham. erschlossen und ihn wohl vor all den anderen Mißgriffen bewahrt, wenn er sich nicht selber den dicksten blauen Dunst vorgemacht hätte. Er weiß so gut wie ich, daß anyaçoṇita »ein Mädchen von anderem Blut (a maiden of different blood)« wohl gutes Germanisch, aber unmögliches Sanskrit ist. Von anderen Einzelheiten will ich schweigen.

Betonen aber muß ich dies: Wohl verdanken wir Sham. sehr viel, besonders weil er uns die erste Ausgabe des so lange verschollenen Arthaç. geschenkt hat. Seine Übersetzung hat ebenfalls bedeutende Dienste geleistet, freilich nicht durchweg wirklich gute, und zwar vor allem auch deshalb nicht, [14] weil andere Gelehrte sie viel zu sehr gerühmt und sich viel zu viel auf sie verlassen haben. Wie gesagt, Sham. weiß weit mehr Sanskrit als ich. Aber bei meiner Übersetzung habe, abgesehen von den zwei ersten Büchern, auch ich keine anderen Hilfsmittel gehabt als er wenigstens bei seiner 2. Auflage, ja nicht einmal so viele. Da hätte seine Übertragung schon besser ausfallen können. Sham.'s Textausgabe behält hohen Wert auch noch nach Gaṇ.'s Ausgabe; sein Text ist sogar an nicht wenigen Stellen besser als der des Gaṇ. Übrigens mag auch in seiner Übersetzung noch Unentbehrliches da sein, eine Anzahl Stellen, wo sie dem Richtigen näher kommt als meine. Bei etwa der ersten Hälfte meiner Übertragung habe ich die des Sham. in einem mir von Jolly freundlichst geliehenen Exemplar der ersten Auflage entweder nachher verglichen oder gar unmittelbar bei der Arbeit zu Hilfe gerufen. Leider! Zwar hat sie mir da in doppelter Weise genützt: manchmal mir Licht gespendet, viel, viel öfter aber neuen Mut. Denn ich sagte mir: »Irgend einen Sinn hat der herausgekriegt, obgleich einen falschen. Also weiter versuchen!« Freilich nach einiger Zeit ging es mir bei schwierigeren Stellen ähnlich wie dem Athener Timon: stimmte meine Auffassung mit Sham.'s überein, dann stutzte ich: »Da hab ich gewiß was Dummes gesagt!« »Sie haben einen Hang zur Faulheit,« behauptet Nietzsche von den Menschen. Allzu leicht gibt man sich mit dem bequemen Vorhandenen zufrieden. Und so hätte ich vielleicht da und dort Besseres gefunden, wenn ich gar nichts von Sham. gewußt hätte. Auch z.B. Kālidās Nāg, dessen zahlreiche Übersetzungen in seinen Théories diplomatiques von vorzüglichen Kauṭ.-Kennern sehr gelobt worden sind, kann ich nicht so uneingeschränkt preisen.

So deutlich ich aber bei tieferem Eindringen ins Arthaç. die Mängel anderer gesehen habe, so deutlich bin ich mir bewußt, daß auch meine Arbeit nur ein Versuch ist und weit entfernt von Vollkommenheit. Böcke über Böcke, die ich geschossen habe, bedecken sicherlich als übles Ärgernis das Gefilde. Dennoch weiß ich: durch bulldoggenhaftes Verbeißen in den Kauṭ. habe ich mich weiter in das Verständnis des Buches hineingefressen als andere. Meine Arbeit kann eine einstweilige feste Grundlage bilden. Der Dank gebührt meinem Sitzfleisch. Denn auf mir liegt die bleierne Schwere, und um mich ist kleine erbärmliche Enge. Chāndogya-Upanishad VII, 23, 1 aber ruft: Yo vai bhūmā tat sukham; nālpe sukham asti »Fürwahr was da Fülle ist, das ist Glück; im klein Beschränkten ist kein Glück.« Und IV, 10, 5: Prāṇo brahma, kaṃ brahma, khaṃ brahma »Das Brahman ist das Leben, das Brahman ist die Freude, das Brahman ist der weite Raum.« MBh. XIV, 36,10 stimmt mit ein: Lāghavaṃ sādhusaṃmitan »Leichtigkeit und das Edelgute sind ein Ding.« Und abermals in XIV, 38,12: Īçitvaṃ ca vaçitvaṃ ca laghutvaṃ manasaç ca te / vikurvanti mahātmāno devās tridivagā iva »Herrschaft und Freiheit und Leichtigkeit des Geistes betätigen in mannigfacher Weise diese Menschen mit den großen Seelen, wie die Götter, die in den drei Lichthimmeln wohnen.« Dennoch danke ich einer ungesehenen Macht, daß ich die langsame Mühsal habe zu Ende führen können. Und in finderglücklichen Stunden hat sie mir auch große Freude gemacht.

Ebenfalls Dank schulde ich einer Anzahl Menschen für Unterstützung, namentlich mit Büchern. Meine eigene Bücherei, mindestens im Indologischen, ist sehr klein, und aus den Bibliotheken hier in der Schweiz läßt sich wenig holen. Zum nötigen Selberanschaffen fehlt allzusehr das Geld. Zachariae hat mir Sorabjis Auszug aus Bhaṭṭasvāmin, Jacobi seine eigenen drei für Kauṭ. [15] wichtigen Abhandlungen in den Berliner Sitzungsberichten von 1911 und 1912, Jolly seine Übersetzung der metallurgischen Kapitel in den Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften und mehrere andere wertvolle Sachen geschickt. Mit seiner kleinen Schrift, die die Kauṭ.-Forschung eröffnet, und mit ein oder zwei anderen kleineren Arbeiten erfreute mich Hillebrandt. Vor allem aber stehe ich tief in der Schuld zweier Schweizer. Der eine wohnt hier in Chur, allzuwenig gekannt, Adolf Attenhofer, ein ganz vorzüglicher Dichter, ein unheimlich scharfer Denker und Kritiker und ein fabelhaft vielseitiger und vielwissender Gelehrter. Gar manches Buch aus seiner Bibliothek, z.B. selbst der mir natürlich unentbehrliche Manu, hat sogar seit Jahren Gelegenheit gehabt, freilich noch immer nicht genügende, in meiner Stube seines Tabakduftes ledig zu werden. Der zweite ist Jacob Wackernagel in Basel. Immer und immer wieder mußte ich bei ihm anklopfen, daß er mir Bücher aus seiner eigenen und aus der Basler Universitätsbibliothek zugehen lasse, und ihm verdanke ich es gewiß, wenn die dortige Bibliotheksverwaltung mir besonders eine Anzahl Smṛitiwerke auf ungebührlich lange Zeit zu Diensten gestellt hat. Noch reichlicher war der Zufluß aus Wackernagels eigener Bücherei. Ist doch diese Kauṭ.-Übersetzung sogar aus seinem Exemplar der editio princeps gemacht! Hätte ich nur die nötige Leistungskraft, so vermöchte ich aus seiner und aus Attenhofers Bibliothek noch so vieles auszubeuten. Solche Freundlichkeit ist um so höher anzuschlagen, als Çukran. III, 452f. nur zu recht hat mit dem Spruch: Parādhīnaṃ naiva kuryāt taruṇīdhanapustakam; / kṛitaṃ cel labhyate daivād, bhrashṭaṃ, nashṭaṃ, vimarditam.

D.h.:

»Geld, ein junges Weib und ein Buch gib in niemandes Hände;

Kriegst du sie wirklich einmal, ganz kriegst du nie sie zurück.«

Viellleicht dürfte ich da die Bitte an Mitstrebende richten, mir Schriften aus ihrer Feder zu schicken.

Da ich selber ein unglaublich schlechter Korrekturleser bin, so hat Richard Schmidt in zuvorkommendster Weise eine Korrektur mitgelesen. Trotzdem sind nicht wenige Druckfehler stehen geblieben1. Weit mehr Unheil als sie werden die sicherlich allzuhäufig verschriebenen, viel weniger oft verdruckten Stellenangaben anrichten. Selten verdruckt; denn die Druckerei (C. Schulze & Co. in Gräfenhainichen) arbeitet ganz vortrefflich. Ich hatte vor, jede einzige beim Druck nachzusehen. Aber ich war nicht dazu imstande.

Solch ein Buch zu verlegen bedeutet in diesen Zeiten ein Wagnis. Darum gebührt freudigste Anerkennung den treuen Verlegerhänden, die die Geburtshelferdienste geleistet haben bei diesem beängstigend angewachsenen jungen Elefanten. Hochwillkommen war da der Zuschuß, den die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft für die Druckkosten gütigst gewährt hat.

Last but not least danke ich den Verwaltungsbeamten der Universität Chicago. Seitdem meine achtzehnjährige Lehrtätigkeit an dieser Anstalt meines Nervenübels halber ein Ende fand, sechzehn Jahre vor dem pensionsfähigen Alter, haben sie mir bisher jedes Jahr wieder ein Krankenstipendium bewilligt. Ohne dieses geriete ich mit den Meinen in schlimme Not und wäre wahrscheinlich auch das vorliegende Buch nicht entstanden.

Fußnoten

1 Ein unvollständiges Verzeichnis von Druckfehlern und Versehen findet man am Schluß des Buches. Leider muß ich den Leser bitten, auch dieses, nicht unbeachtet zu lassen.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 5-16.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon