Dreiundzwanzigstes Kapitel (40. Gegenstand).[174] 1

Der Aufseher über Gespinste und Gewebe.

Der Fadenaufseher2 soll die Herstellung der aus Fäden bestehenden Panzer, Zeuge (vastra) und Stricke durch Leute vom Fach besorgen lassen.

Und Faden aus Wolle, Bast, Baumwolle von der Baumwollstaude, Baumwolle vom Wollbaum usw.,3 Hanf und Flachs, soll er durch Witwen, verkrüppelte[174] Frauen, Mädchen, Büßerinnen4 und Frauen, die eine Geldstrafe abarbeiten, durch die »Mütterchen« von Freudenmädchen, durch alte (sonst nicht mehr brauchbare) Sklavinnen des Königs und durch Tempeldienerinnen, die vom Dienst der Götter abgelegt sind, drehen und spinnen lassen.

Und den Lohn soll er bestimmen, nachdem er gesehen hat, ob der Faden fein ist oder grob oder mittelmäßig, auch ob sie viel oder wenig fertig gebracht haben. Nach Kenntnisnahme des Umfangs des (hergestellten) Fadens (d.h. seiner Dichte und seiner Menge), soll er sie (wenn sie es verdienen) mit Toilettesalben aus Öl und Myrobalanenfrucht belohnen.5

An FeiertagenA1 soll er sie durch Beschenkungen und Ehrungen veranlassen, Arbeit zu verrichten.6

Vermindert sich der Faden, so vermindert sich der Lohn, unter Berücksichtigung des Materials.7

Die (Webe)arbeit soll er von Handwerkern ausführen lassen, denen Umfang der Arbeit, Zeit, Lohn und Ausfall der Erzeugnisse festgesetzt ist.8 Und er soll näheren Verkehr mit ihnen pflegen (besonders um sie zu überwachen).

Und indem er die Arbeiten des Webens von Leinen,9 dukūla-Zeug, Seidenzeug, Zeug aus den Haaren der Ranku-Antilope und Baumwollstoffen in Betrieb bringt, soll er (die Tüchtigen) durch Beschenkung mit Kränzen und wohlriechenden Dingen und durch andere Aufmerksamkeiten, ihr Wohlwollen zu gewinnen, sich dienstbar machen.

[175] Verschiedene Arten von Gewändern, Decken und Überwürfen soll er hervorbringen lassen.10 Auch die Herstellung von Panzern (kaṅkaṭa) soll er durch Kunstarbeiter dieses Faches besorgen lassen.

Und die Witwen von Verreisten, die verkrüppelten Weiber und die Mädchen (all die Frauenpersonen), die sich selber erhalten, aber nicht aus dem Hause gehen,11 soll er die Arbeit unter freundlichem Entgegenkommen machen lassen, indem er seine Sklavinnen zu ihnen gehen läßt.12 Oder kommen sie selber zum Webehaus, dann soll er dafür sorgen, daß sie am Morgen (die von ihnen gesponnene) Ware um den Lohn (dafür) austauschen können.

Licht darf nur für die Untersuchung des Gespinstes sein.

Schaut er einer Frau ins Gesicht, oder spricht er mit ihnen von anderen Angelegenheiten, so zahlt er die erste Sāhasastrafe. Versäumt er es, den Lohn zur richtigen Zeit zu geben, die mittlere. Ebenso, wenn er für Arbeit zahlt, die nicht geleistet worden ist.13

Nimmt eine Frau den Lohn und tut dann die Arbeit nicht, so soll er sie (zur Strafe) das Vorderglied des Daumens und des Zeigefingers hergeben machen (d.h. es ihr abschneiden lassen).14 Ebenso (soll er die Betreffenden strafen), wenn etwas verbraucht, gestohlen, oder mutwillig verdorben wird.15

Und aus den Löhnen16 kommt bei den Arbeitern die Geldbuße für ein Vergehen.

Mit den Seilmachern und den Arbeitern in Bogenhanf soll er selber näher verkehren.17

[176] Auch Pferdegeschirre (bhāṇḍa) u. dgl., Riemen u. dgl. soll er machen lassen.18

Stricke aus gesponnenen Fäden und aus Bast, sowie Riemen aus (den Fasern von) Rohr und Bambus, die zum Schirren und Fesseln von Zugtieren dienen, soll er machen lassen.19

Fußnoten

1 Auch im Text dieselbe Unrichtigkeit in der Zählung. Da aber das folgende Kapitel dann ruhig als einundvierzigstes gezählt wird, so mußte ich den Fehler mitmachen. Er kommt jedenfalls daher, daß eigentlich die zwei Kapitel über den Zoll nur einen »Gegenstand« bilden, wie denn Gaṇ. und Jolly sie auch nur als einen Gegenstand, d.h. als den 39., zählen. Vgl. z.B. die bald folgenden 2 Elefantenkapitel, die auch nur einen »Gegenstand« ausmachen.


2 Sogar Fadenaufseher ist noch nicht recht umfassend genug für sūtrādhyaksha. Sūtra steht da also von allen gesponnenen Fäden und den hergerichteten Pflanzenfasern, die für Stricke usw. gebraucht werden, sowie auch für die Erzeugnisse aus all diesen Fäden und Fasern. Aber auch die Haare gewisser Tiere sind Material seines Gebietes.


3 Tūla, nach Gaṇ. = çālmalyādeḥ çaṇa.


4 Kauṭilya wertet auch die Büßerinnen nicht nach ihrer Heiligkeit, sondern nach ihrer Verwendbarkeit für den Staatsdienst, und ist überhaupt, wie es scheint, nicht besonders gut zu sprechen auf die Wandermöncherei, soweit sie nicht für staatliche Zwecke ausgebeutet werden kann. Oder sollten pra vrājitā überhaupt davongegangene, umherstreichende Frauen sein? Wohl eher abtrünnig gewordene Nonnen, wie denn der abtrünnige Asket unter den Arten von Sklaven erscheint (Nārada V, 26 ff.). Nach Çl. 35 bei Nār. muß er bis an seinen Tod des Königs Sklave bleiben und kann nie wieder rein und frei werden.


5 Oder, weil Kauṭ. statt des in solchen Fällen bei ihm beliebten Duals den Plural hat, vielleicht eher: »Öl, Myrobalenkuchen und Salben«. Diese Myrobalenkuchen dienen ebenfalls der Toilette. Dadurch sollen diese Frauen selber körperlich und seelisch arbeitsfrischer gemacht und andere durch den Anblick solcher Belohnung zu gleichen Leistungen angespornt werden.


6 Wie schon die Stellung des ca ziemlich sicher anzeigt, ist pratipādanair mānaiç ca zu lesen, obwohl auch Gaṇ. dies nicht hat. Liest doch Bhaṭṭ. pratipādanaih. Bei ihm ist eben mānaiḥ ausgefallen.


7 So, wenn dravyasārāt = dravyasāreṇa ist. Möglich auch: »je nach dem Wert der Sachen«. Dravya bedeutet nicht nur den Rohstoff, sondern auch das Erzeugnis daraus. Bhaṭṭ. sagt: »Die Lohnherabsetzung soll bestimmt werden in Abhängigkeit vom Wert des Materials und von Dichte, Menge und Preis (des gesponnenen Fadens)«.


8 Wohl kaum: »deren Lohn und Gewinnergebnis sich nach der Menge und der Zeit der geleisteten Arbeit richtet«. Vgl. 101, 8; 112, 16–17. Die Stellung des ca zwingt nicht zu der an sich weniger wahrscheinlichen Übersetzung: »von Männern, denen Umfang ... festgesetzt ist und von Handwerkern ausführen lassen«.


9 Oder: Fabriken für das Verweben von Faden für Leinen usw.


10 Vikalpa heißt auch: eine Umformung oder eine Gestaltung, die bisher nicht da war, und utthāpayati auf die Bahn bringen. Also vielleicht eher: »Neue Arten von Gewändern ... auf den Markt bringen«.


11 Vgl. 147, 17 und Nār. XII (XV) 78 dāsī nishkāsinī »eine Sklavin, die frei hinausgehen darf (nicht Beischläferin ihres Herrn ist). Nishkāsa, Hinausgehen, Ausgang ist häufig bei Kauṭ. Natürlich werden die betr. Frauen durch die Schamhaftigkeit und die gute Sitte verhindert, sich zu zeigen.«


12 Als Vermittlerinnen. Wörtlich: »ihnen nachgehen läßt«.


13 Selbstverständlich in fast immer auf Bestechung hin, die in diesem Fall wohl hauptsächlich in Liebessold besteht.


14 Nach Bhaṭṭ. des Daumens und des Mittelfingers der rechten Hand, was hier bei den Spinnerinnen richtig sein wird (aṅgushṭhasaṃdaṃçanaṃ [Gaṇ. und Jolly saṃdaṃçaṃ] dāpayet).


15 Avaskand und Ableitungen davon sind bei Kauṭ. ziemlich häufig in der Bedeutung von Überfallen, Erobern, Töten, Zerstören (z.B. 364, 10; 372, 16; 395, 3; 401, 11; 405, 16, 18, 19; 410, 3). »Davongelaufen, ausgekniffen«, wie die Inder wollen, kann es nicht heißen, schon deshalb nicht, weil bhakshita und apahṛita nicht aktiven Sinn haben können, wenn auch Sham. das annimmt. Es muß also etwa »herfallen über, hineinfallen über, mißbrauchen, verderben« sein. Bhakshayati, für das Kauṭ., wie für andere vom Leben des Körpers hergenommene bildliche Ausdrücke, eine Vorliebe hat, heißt bei ihm bes. verderben, vernichten, sich zueignen usw. Siehe 32, 13; 37, 7; 40, 15; 65, 5; 68, 7, 12 ff.; 69, 1 ff.; 70, 13 usw.


16 Oder: »Auch aus den Löhnen« (ca).


17 Ich lese mūrvā- statt pūrvā-. Da aus mūrvā oder Sanseviera Roxburghiana besonders die Bogensehnen gemacht wurden, so ist es begreiflich, daß die Arbeiten in mūrvā als sehr wichtig erscheinen. Ebenso benötigt der Krieg viel Seile oder Stricke. Sham. hat pūrvā-, C carmā, Gaṇ. carma-, Bhaṭṭ. varmā. Nur varma- wäre möglich, nicht carma-, denn mit carman hat der »Fadenaufseher« nichts zu tun. Aber die Panzerkleider werden schon vorher genannt, und das überall außer bei Gaṇ. erscheinende ā ist eine weitere Stütze für mūrvā-.


18 Wörtlich: »drehen lassen«. Gaṇ. hat bhāṇḍāni ca varatrādīni und verwirft bhāṇḍādīni. Dann: »(Allerhand) Zeug (d.h. Bedarfsgegenstände), wie Riemen usw.« Die varatrā oder Riemen sind sonst wohl gewöhnlich aus Leder und z.B. im Jātaka auch die Pferdegeschirre. Trotzdem ist vartayet nicht etwa in kartayet (schneiden lassen) zu ändern. Denn dergleichen gehört nicht in das Gebiet des sūtrādhyaksha. Die hier genannten Sachen sind aus Fasern gemacht. Vgl. die Schlußstrophe.


19 Saṃnāhyā bandhanīyāç ca yānayugyasya könnte auch heißen: »zur Ausrüstung und zum Anbinden von Schiffen und Schirrtieren«. Aber saṃnāhya »für den Krieg gebraucht« ist ziemlich häufig, auch bei Kauṭ. (z.B. 133, 18; 371, 11). Also vielleicht eher: »die zur kriegerischen Ausrüstung dienen und zur Bindung bei Fahrzeugen (Wagen, Schiffen usw.) und Schirrtieren«. Nach Parāçara IX, 34 dürfen die Stricke zum Anbinden der Rinder nur aus kuça- oder kāça-Gras bestehen.A2


A1 Die Feiertage heißen hier tithi Mondtage. Tage, an denen wenigstens der Brahmane nichts tun oder doch eine Menge Dinge nicht tun darf, sind die parvan oder »Knoten«, d.h. die Mondwechseltage: Neumondstag, Vollmondstag und der 14. der Monatshälte (so M. IV, 128), anderwärts auch der 15. Wer da arbeitet, d.h. der parvakāra, darf als schlimmer Sünder zu keinem Totenseelenmahl geladen werden. Vish. LXXXII, 18. Nicht einmal Gras darf man da abschneiden. Vish. LXXI, 87. Wer da Pflanzen abreißt, abschneidet usw., auf den fällt das in die Pflanzen gelegte Viertel von Indras Brahmanenmord. MBh. XII, 282, 41. Unmittelbar dem Brahmanenmörder gleich stellen solch einen Sünder MBh. V, 35, 46; XIII, 90, 9. In diesen Tagen, oder nach Wilsons Vishṇupur II, 300f. am zweiten Neumondstag, ist eben der Mond in die Schossen und Zweige der Bäume eingegangen. Wenn sie da jemand abschneidet oder auch nur ein Blatt niederwirft, ist er des Brahmanenmordes schuldig. Bṛ.-Up. I, 5, 14 sagt uns: »In der Neumondnacht geht Prajāpati mit diesem seinem sechzehnten Sechzehntel (das nach dem Vorhergehenden unbeständig oder adhruvā ist und durch die Nächte zunimmt oder abnimmt, also den Mond bedeutet) in alles auf Erden ein, was Leben hat und wird dann am Morgen wieder geboren. Deshalb darf man in dieser Nacht das Leben keines Lebewesens abschneiden, nicht einmal einer Eidechse, aus ehrender Rücksicht gegen diese Gottheit.« Vom Mond, dem großen Feuchtigkeits- und Wachstumsspender, haben eben die Pflanzen ihr Dasein, nicht nur in Indien, sondern nach einer Urvorstellung der Völker. Siehe z.B. Paul Ehrenreich, Mythen und Legenden der südamer. Urvölker (Berl. 1905), S. 43. So sind die Pflanzen das vielgestaltige Selbst des Mondes hier auf der Erde. MBh. XIII, 98, 16–17. Natürlich darf man an diesen Mondtagen kein Fleisch essen. B. I, 11, 36 = I, 11, 21, 17. Noch auch zum Weibe gehen. Ebenda und Vish. LXIX, 1; Y. I, 79; M. III, 45; IV, 128; Weib 183; MBh. XIII, 104, 89; K XIII, 211, 43; XV, 106, 108; Kāmand. II, 25. Ganz ruhen muß auch das Studium des Veda; denn der 8. Tag vernichtet sonst den Lehrer, der 14. den Schüler, der 15. die Wissenschaft. B. I, 11, 35–40 (= I, 11, 21 17ff.). Vgl. M. IV, 114; Vish. XXX, 29–30. Dagegen müssen an diesen Tagen unheilabwendende Opfer (çāntihoma) dargebracht werden. M. IV, 150; Vish. LXXI, 86. Fasten gebietet Ā. II, 1, 1, 4. Vgl. auch I, 11, 31, 19f. Der snātaka und der besonders Fromme muß sich da Kopf-, Bart- und Körperhaare, sowie auch die Nägel schneiden lassen. B. I, 3, (5), 7; III, 1, 21. Auch soll man da immer geschmückt bleiben. Vish. LXXI, 88. Die Befolgung solcher Vorschriften ist ein Teil des ācāra, des magisch-rituell richtigen Verhaltens, das vor all dem zu dieser Zeit drohenden Unheil schützt. Vish. LXXI, 89. Denn zu dieser Zeit sind die da umherschweifenden Rākshasa und Piçāca, wie es im Veda heißt, voll böser Zaubertücke. B. I, 11, 37 = I, 11, 21, 19. Ähnlich Majjh.-Nik. I, 20. Daß aber wenigstens minder fromme Leute die parvan-Tage als Schmaus- und Zechgelegenheiten betrachteten, zeigt MBh. IV, 15, 5.


A2 Auch mit einem Haarstrick darf die Kuh nicht angebunden werden. MBh. XIII, 94,41.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 174-177.
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