Wider Anaxagoras

[52] Laßt uns jetzt auch betrachten, was sich Anaxagoras dachte

Unter Homoeomerie. Dies griechische Wort ist uns leider

Wiederzugeben versagt in unserer ärmlichen Sprache,

Aber die Sache vermag ich mit Worten dir leicht zu umschreiben.

Erstlich Homoeomerie, was lehrt uns der Weise darüber?

Knochen entstünden natürlich aus kleinen und winzigen Knöchlein,

Fleisch nicht minder aus kleinen und winzigen Teilchen des Fleisches,

Ebenso bilde sich Blut aus vielen und winzigen Tropfen

Blutes, die untereinander zusammenfließend sich einen,

Aus Goldstäubchen sodann erklärt er die Bildung des Goldes,

Wie auch die Erde sich bilde aus winzigen Stäubchen von Erde,

Feuer aus Feuerfunken und Wasser aus Tröpfchen von Wasser.

Ähnlich erklärt er denn auch sich das Übrige weiter und glaubt dran.

Aber dem Leeren verstattet er nirgends ein Plätzchen im Weltall

Und setzt nirgends ein Ziel der unendlichen Teilung der Körper.

Darum erscheint er mir auch in den beiden Behauptungen gleich sehr

Irre gegangen wie jene, die früher schon wurden erledigt.[52]

Weiter nun denkt er sich allzu schwächlich die Urelemente;

Wenn »Element« zu heißen verdient, was mit gleicher Natur ist

Ausgestattet wie alles, was draus sich entwickelt, und ähnlich

Leidet und stirbt und durch nichts vor dem endlichen Tode bewahrt bleibt.

Denn was kann denn von diesen dem mächtigen Drucke begegnen

Und dem Verhängnis entfliehn, wenn die Zähne des Todes es fassen?

Etwa Feu'r, Luft, Wasser? Was sonst? Blut oder die Knochen?

Nichts von diesen, vermut' ich; wenn gleichermaßen vergänglich

Sein soll jegliches Ding, wie das, was mit eigenen Augen

Untergehen wir sehen durch irgendwelche Gewalten.

Aber es kann Nichts wieder in Nichts zerfallen, noch etwas

Werden aus Nichts. Ich rufe das früher Erwies'ne zum Zeugnis.

Ferner, da Speise es ist, die den Körper ernähret und mehret,

Kann man erkennen, daß Adern und Blut und Knochen [und Nerven

Sämtlich in unserem Leib nur aus fremdem Stoffe sich bilden.]

Oder, sofern man die Speise durch Mischung verschiedener Körper

Bilden sich läßt, die in sich kleinwinzige Nervenpartikeln,

Ebenso Knochen- und Blut- und Adernteilchen besitzen,

Müssen auch sämtliche Speisen, die trocknen sowohl wie die feuchten,

Selbst als zusammengesetzt aus ganz fremdartigen Körpern,

Nämlich als Mischung von Blut, Saft, Knochen und Nerven uns gelten.

Ferner, wenn sämtlicher Stoff, der sein Wachstum danket der Erde,

In ihr wurzelhaft ist, dann muß auch selber die Erde

Aus fremdartigen Körpern bestehn, die der Erde entwachsen.

Wend es auf anderes an: es genügen die nämlichen Worte:

Wenn sich im Holze die Flamme verbirgt und der Rauch und die Asche,

Müßten die Hölzer bestehn aus ganz fremdartigen Körpern,

Aus fremdartigen das, was doch aus dem Holze hervorgeht.

Ferner auch muß, was die Erde nun weiter noch nähret und mehret,

[Ebenfalls wieder bestehn aus ganz fremdartigen Stoffen,

Und Fremdartiges läßt Fremdartiges also entstehen.]

Freilich hier bleibt zum Entkommen, so schmal er auch ist, noch ein Ausweg,

Den Anaxagoras wählt. Denn er meint, daß alles mit allem

Innig vermischt in den Körpern verborgen sich halte. Nur eines

Trete besonders hervor, von dem sich die meisten Partikeln

In dem Gemenge befänden und mehr sich im Vordergrund hielten,

Aber auch dies heißt weit von dem Wege der Wahrheit entfernt sein!

Denn dann müßten natürlich beim Korn oft, wenn es der Mühlstein[53]

Rollend zerquetscht mit bedrohlicher Wucht, auch Spuren von Blut sich

Zeigen oder was sonst kraft unseres Körpers erzeugt wird.

Ähnlich müßte dann auch den Kräutern, die man im Mörser

Stein auf Stein, zerstampft, bisweilen entfließen ein Blutstrom,

Und aus dem Wasser ein süßes Getropf und von gleichem Geschmacke

Träufeln, wie solches dem Euter entquillt wolltragender Schafe.

Müßten nicht auch in den Schollen der Erde beim häufigen Ackern

Allerlei Kräuter und Früchte und Laubwerk treten zutage,

Welche in feiner Verteilung sich zwischen den Schollen verbergen?

Ferner müßt' in den Hölzern der Rauch und die Asche sich zeigen,

Wenn man in Stücke sie bricht, und kleine verborgene Fünkchen.

Da nichts derart geschieht (das liegt ja deutlich vor Augen),

Kann man ersehn, daß die Dinge nicht so miteinander vermischt sind,

Sondern daß vielfach gemischte, gemeinsame Keime zu vielen

Dingen verbergen sich müssen in all den verschiedenen Dingen.

»Aber«, so wirfst du ein, »auf hohen Gebirgen begibt sich's,

Daß hochragende Wipfel benachbart stehender Bäume,

Wenn sie ein heftiger Föhn dazu zwingt, aneinander sich reiben,

Bis sich die Blume des Feuers erhebt als flackernde Flamme.«

Richtig bemerkt. Und doch ist die Glut nicht im Holze verborgen,

Sondern die Keime des Feuers sind zahlreich. Wenn sie durch Reibung

Fließen in eins zusammen, erzeugen sie Brände der Wälder.

Hielte die fertige Flamme bereits sich verborgen im Holze,

Könnte die Feuersbrunst sich in keinem Momente verbergen,

Sondern sie fräße die Wälder umher und verbrannte die Stämme.

Siehst du nun, wie sich bestätigt, was dir vor kurzem gesagt ward,

Wichtig vor allem sei dies, wie dieselben Grundelemente

Untereinander verkehren und wie in wechselnder Lage

Sie zueinander sich stellen und gegenseit'ger Bewegung,

Siehst du, wie ebendieselben erzeugen mit wenig Verändrung

Stamm nicht minder wie Flamme? So sind die Wörter auch selber

Nur ganz wenig verändert bei ähnlichen Grundelementen,

Wenn wir Flamm' und Stamm mit verschiedenen Lauten bezeichnen.

Endlich noch, falls du vermeinst, bei den Dingen, die deutlich zu sehn sind,

Müsse man jedenfalls die Körper der schaffenden Stoffe

Mit ganz ähnlichem Wesen wie die der geschaffenen denken,

Nun, so verschwinden natürlich die »Urelemente« der Dinge.

Denn sie würden am Ende wie wir – vor Lachen sich schütteln

Und mit salzigen Tränen die Wimpern und Wangen benetzen!

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 52-54.
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