Gefühlsdifferenzen

[73] Endlich bekämpft einander, was gut und was schlecht auf den Sinn wirkt,

Da ja beides besteht aus ganz unähnlichen Formen.

Oder vermeinst du vielleicht, der schaudererregende Mißklang

Einer knirschenden Säge erkläre sich ähnlich aus glattem

Urstoff wie Melodien, die musenbegnadete Künstler

Mit der gelenkigen Hand aus den Saiten zu locken verstehen?

Niemals wirst du auch glauben, daß ähnlich geformte Atome

Uns in die Nase gelangen, wenn ekle Kadaver verbrennen

Oder wenn frisch das Theater Cilicischer Safran durchduftet

Und vom Altare davor sich erhebt Panchäischer Weihrauch.

Auch bei den Farbelementen ist keinerlei Ähnlichkeit denkbar

Zwischen den guten, die uns zur Augenweide gereichen,

Und den schlimmen, die stechen den Blick und zu Tränen uns reizen,

Oder die scheußlich und gräßlich zu sehn und abscheulich erscheinen.

Denn jedwede Gestalt, die der Sinnlichkeit irgendwie schmeichelt,

Ist mit ursprünglicher Glätte der Urelemente behaftet;

Alles jedoch, was rauh und lästig in seinem Bestand ist,

Findet sich immer verknüpft mit scheußlicher Bildung des Urstoffs.

Auch gibt's Stoff, der nicht mehr mit Recht als glatt wird erfunden,

Aber auch wiederum nicht mit gebogenen Spitzen gekrümmt ist,

Sondern der mehr ist mit Ecken versehn, die ein wenig hervorstehn,

Und der unsere Sinne mehr kitzeln als schädigen könnte.

Der Art wirkt wohl das Weinsteinsalz und der Saft der Alantwurz.

Daß nun endlich die Hitze des Feuers und Kälte des Eises

Durch verschiedene Zähnung des Stoffs auch die Sinne des Körpers

Beide verschieden verletzen, beweist schon beider Berührung.

Nur durch Berührung, Berührung! entsteht (bei den Mächten des Himmels)

Jedes Empfinden des Körpers, sowohl wenn von außen her etwas

Eindringt als auch dann, wenn ein innerer Schmerz uns verletzet,[73]

Oder wenn etwas beim Liebesgenuß in Wonne sich loslöst.

Oder wenn feindliche Keime sogar sich im Innern des Körpers

Treffen, verwirrt uns den Sinn ihr gegenseitiges Streiten;

Wie wenn du selbst mit der Hand an ein Glied des eigenen Körpers

Etwa durch Zufall rührst und die Wirkung selber erprobest.

Darum müssen mithin die Gestalten der Urelemente

Völlig verschieden sein, um verschiedne Gefühle zu wecken,

Schließlich, was dicht und erhärtet uns scheint, muß untereinander

Enger sich schließen zusammen durch hakenförmige Formen,

Welche sich tief verzweigend die festeste Fügung ergeben.

Hierbei ragen vor allem hervor die Felsenbasalte,

Die Trotz bieten den Schlägen, in erster Reihe, sodann auch

Kräftiges Kieselgestein und des Eisens mächtige Härte

Oder die Riegel von Erz, die kreischend dem Schluß widerstreben.

Aber der flüssige Stoff, der aus fließendem Körper bestehet,

Muß sich doch mehr aus glatten und rundlichen Formen gestalten.

Denn es ist ebenso leicht Mohnkörner zu schlucken wie Wasser,

Da sich einander nicht hemmen die einzelnen runden Atome

Und der Sturz in die Tiefe mit gleicher Beweglichkeit abrollt.

Alle die Dinge zuletzt, die im Nu auseinander zerfließen,

Wie man es sieht beim Nebelgewölk, beim Rauch und beim Feuer,

Dürfen, obgleich sie nicht völlig nur glatte und runde Atome

Bilden, auf keinen Fall durch verwickelte Formen gehemmt sein,

Daß sie den Körper wohl stechen und ein in die Öffnungen dringen,

Doch nicht selber sich hemmen, was oft, wie wir sehen, bei Disteln

Vorkommt. Also man kann leicht sehen, daß jene Gebilde

Nicht aus verwickelten Formen geschaffen sind, sondern aus spitzen.

Doch daß du Bitteres siehst, das zugleich auch flüssig erscheinet,

Wie bei dem Meere, dem Schweiße der Erde, das darf dich nicht wundern,

[Wenn du die wahre Erklärung mit deinem Verstande erfaßt hast.]

Denn da es flüssig erscheint, so besteht es aus glatten und runden

Formen, [zu denen sich rauhe gesellen,] die Schmerzen uns bringen.

Aber sie brauchen deshalb nicht hakenförmig zu bleiben;

Denn es versteht sich, daß, wenn sie auch rauh, so doch kugelig aussehn,

Daß sie zu rollen zugleich und die Sinne zu schmerzen vermögen.

Daß du nun besser verstehst, wie rauhe mit glatten Atomen

Einen sich können, woraus sich das Bittre des Meeres erkläret,

Gibt es ein Mittel, sie beide zu trennen und einzeln zu sehen:

Denn ganz oben verbleiben die widrigen Salzelemente[74]

Und das Wasser wird süß, wenn es öfters durch Schichten der Erde

Durchrinnt, um in ein Becken zu fließen und trinkbar zu werden;

Dadurch vermag sich das Rauhe auch mehr an die Erde zu hängen.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 73-75.
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