Entstehung des Götterwahns

[213] Selbst wer richtig gelernt, daß die Götter ein sorgloses Dasein

Führen, bestaunt doch wohl, wie alles im einzeln sich abspielt,

Namentlich auch bei jenen Erscheinungen, welche den Blicken

Über unserem Haupte im Äthergefilde sich zeigen:

Dann fällt mancher wohl wieder zurück in den früheren Glauben

Und bekennt sich als Sklaven von grausamen Herren, an deren

Allmacht leider er glaubt. Er weiß nicht, der Arme, was sein kann

Und was nicht kann sein und wie weit jedwedem umzirkt ist

Seine wirkende Kraft und der grundtief ruhende Markstein.

Blind ist seine Vernunft; drum schweift er noch mehr in die Irre.

Wenn du nicht jene Gedanken mit Abscheu bannst aus dem Herzen

die heiligen Mächte der Götter verkümmern und oftmals

Kehren wider dich selbst; nicht als ob die göttliche Allmacht

Kränkung erlitte und zornig die strenge Bestrafung verlange,

Sondern vielmehr weil du selber die Götter, die friedlicher Ruhe

Pflegen, erregt dir denkst von den Wogen erschrecklichen Zornes.

So wirst nie du mit ruhigem Geist in die Tempel der Götter

Treten können und nimmer die Bilder göttlichen Leibes,

Wenn in den menschlichen Geist sie als Boten der göttlichen

Schönheit Eintritt fordern, empfangen in ruhigem, friedlichem Herzen.

Daraus ergibt sich von selbst, welch' Leben dich künftig erwartet.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 213-214.
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