Wie entsteht der Blitz?

[219] Nunmehr will ich erklären, um dich mit Versprechen nicht länger

Hinzuhalten, wie Blitze entstehn und so ungestüm wirken,

Daß ihr feuriger Strahl imstande ist Türme zu spalten,

Wohnungen niederzuwerfen, Gebälk und Sparren zu stürzen,

Grabdenkmäler der Helden zu schädigen und zu erschüttern,

Menschen zu töten und Vieh bald hier bald da zu vernichten:

Worin besteht nur die Kraft, die all dergleichen kann leisten?

Blitze entstehen allein aus dichtem und hochaufeinander

Aufgetürmtem Gewölk. So darf man wohl glauben; denn niemals

Blitzt es aus heiterem Himmel und leichter geschichteten Wolken.

Ganz unzweifelhaft lehrt uns doch dies die Erfahrung der Sinne,

Denn wenn das Wetter beginnt den Blitz in Bewegung zu setzen,

Ballen die Wolken im ganzen Bereiche der Luft sich zusammen

Also dicht, daß man meint, aus dem Schlunde des Acheron steige

Alle Finsternis auf und fülle das Himmelsgewölbe:

So schlimm droht uns von oben ein schwärzliches Schreckensgesichte,

Wenn sich das Regengewölk mit abscheulicher Nacht hat erhoben.

Oft auch senkt sich herab ein schwarzes Gewölk auf des Meeres

Wogen (als wenn aus dem Himmel ein Pechstrom fließe hernieder),

Das, vom Dunkel geschwollen, von weither nahet und mit sich

Finstres, von Blitzen und Stürmen geschwängertes Wetter heranschleppt,

Während es selbst bis zum Rande mit Winden und Feuern gefüllt ist.

Selbst am Lande erschaudert der Mensch und sucht sich ein Obdach.

Darum darf man wohl glauben, daß über unseren Häuptern

Weit in die Höhe das Wetter sich hebt. Denn es würde die Erde

Nicht so völlig beschatten, wenn schichtweis übereinander

Sich das Gewölk nicht türmte die Sonnenbestrahlung versperrend,

Nie auch würden Gewitter beim Nahen die Erde mit Regen

So beschütten, daß Ströme und Felder in Seen sich wandeln,

Wäre der Äther nicht voll von hoch sich türmenden Wolken.

Hier ist demnach alles ganz voll von Winden und Feuern.

Drum entlädt sich der Blitz bald hier bald dort, wie der Donner;

Denn, wie ich oben gelehrt, enthält die Höhlung der Wolken[219]

Viele Atome des Feuers, und viele auch müssen sie ferner

Von der Bestrahlung der Sonne und ihrer Hitze empfangen.

Wenn nun der nämliche Wind, der an einem beliebigen Orte

Stößt die Wolken zusammen, auch reichliche Feueratome

Ihnen entpreßt und zugleich sich mit diesem Feuer verbündet,

Schlüpft er ins Innre behend und dreht sich als Wirbel im Engen,

Wo er den Donnerkeil in der glühenden Esse verfertigt.

Denn auf doppelte Weise entzündet der Wind sich: indem er

Durch die eigene Bewegung erglüht, und durch Feuers Berührung.

Ist er nun völlig erglüht und kommt noch der wuchtige Ansturm

Weiteren Feuers hinzu, dann reift so gleichsam die Blitzsaat,

Sprengt urplötzlich die Wolke und fährt als beflügelter Glutstrahl

Aus ihr heraus rings alles mit zuckenden Lichtern erleuchtend.

Dann folgt dumpfes Getöse, als ob das Gewölbe des Himmels

Krachend berste und alles von obenher plötzlich erschlüge.

Dann erschüttert die Erde ein heftiges Beben, und oben

Rollt des Donners Gebrüll durch den Himmel; denn jetzt ist das ganze

Wetter erregt durch des Donners Gedröhn und in zuckendem Aufruhr.

Ihm folgt dann ein wuchtiger Guß von reichlichem Regen,

Wie wenn der Himmel nun gänzlich in Regen sich wollte verwandeln

Und sich jählings stürzen in eine erneuerte Sintflut;

Soviel Wasser ergießt sich infolge der Wolkenzerspaltung

Und des Orkans, sobald nur der Blitz mit dem Donner hervorbricht.

Auch kommt's vor, daß von außen ein Windstoß stürmend hineindringt

In ein gewalt'ges Gewölk, deß Spitze schon reif ist zum Platzen.

Reißt er nun dieses entzwei, dann springt ein feuriger Wirbel

Plötzlich heraus: Blitz heißt er in vaterländischer Zunge.

Ebenso ist's, wenn der Windstoß kommt von beliebiger Seite.

Auch kommt's vor, daß bisweilen ein Windstoß feuerlos anhebt,

Aber im Raum und im weiteren Lauf sich selber entzündet.

Fallen nun während des Laufes vereinzelte größre Atome

Ab, die nicht wie der übrige Stoff die Lüfte durchdringen,

Während er andre gewinnt aus der Luft selbst kleineren Umfangs,

Die sich mit ihm vermischen, so fängt beim Fliegen er Feuer.

Nicht viel anders wie öfter die bleierne Kugel der Schleuder

Während des Laufes ins Glühen gerät, da sie Kälteatome

Zahlreich verliert und Feuer dafür aus der Luft in sich aufnimmt.

Öfters genügt schon des Stoßes Gewalt, um das Feuer zu wecken,

Selbst wenn den Antrieb gibt nur ein feuerlos frostiges Blasen.[220]

Denn wenn irgendwohin mit heftigem Schlage der Wind trifft,

Können natürlich sowohl die eigenen Wärmeatome

Als auch jene sich sammeln, die in dem getroffenen Stoff sind,

So springt Feuer heraus, wie wenn man den Stein mit dem Stahl schlägt.

Ist auch der Stahl gleich kalt von Natur, so sammeln sich gleichwohl

Auch bei ihm auf den Schlag die Atome des sprühenden Funkens.

Also muß sich am Blitz auch der Stoff entzünden, sobald nur

Dieser gerade geeignet und passend erscheint zur Entflammung.

Auch kann doch unmöglich ein Windstoß wirklich so kalt sein,

Der sich mit solcher Gewalt aus den Höhen des Äthers herabstürzt,

Daß er, selbst wenn er im Lauf nicht vom Feuer ergriffen wird, dennoch Wenigstens etwas erwärmt durch Wärmeberührungen anlangt.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 219-221.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon