Entstehung der Wolken

[224] Wolken entstehn, wenn im Fluge sich rauhere Urelemente

Zahlreich plötzlich vereinen im oberen Himmelsbezirke,

Die zwar nur mit kleinen, sie hemmenden Haken versehen,

Aber dadurch doch imstand sind sich gegenseitig zu fassen.

Diese bewirken zuerst die Entstehung winziger Wölkchen,

Die sie dann wieder erfassen und untereinander verbinden.

Durch die Verbindung wachsen sie aus und treiben im Winde,

Bis sich daraus urplötzlich entlädt ein grausiges Wetter.

Auch kommt's vor, daß die Berge, je mehr die Gipfel dem Himmel

Nahe benachbart sind, um so mehr von dichtestem Brodem

Gelblichdunklen Gewölkes beständig umlagert sich zeigen.

Denn da die Wolken zuerst, bevor noch das Auge sie wahrnimmt,

Nur aus dünnem Gewebe bestehn, so trägt sie der Wind fort

Und verdichtet sie dann um die höchsten Gipfel der Berge.

Hier erst, wenn sich von ihnen ein größerer Haufen geballt hat,

Können sie durch die Verdichtung uns sichtbar werden. Zugleich auch

Scheinen sie grad von dem Gipfel des Bergs in den Äther zu steigen.

Denn der Wind beherrscht ja die Höhen. Dies lehrt uns die Sache

Selbst und unser Gefühl beim Besteigen der hohen Gebirge.

Übrigens hebt die Natur auch gewaltige Mengen des Stoffes

Rings aus dem Meere empor, wie ein aufgehängtes Gewandstück

An dem Strande beweist, das die salzige Feuchtigkeit anzieht.

Um so mehr muß der Dunst, der aus der Bewegung der Salzflut

Reichlich empor sich hebt, die Vermehrung der Wolken bewirken.

Sind ja doch sämtliche Arten von Feuchtigkeit innig verschwistert.

Ferner bemerken wir oft, wie aus sämtlichen Flüssen, ja grade

Auch aus der Erde heraus sich Nebel und Schwaden emporhebt,

Der wie ein Odem aus ihnen erpreßt und nach oben geführt wird.

Hier umzieht er den Himmel mit seiner Verfinstrung und liefert

So dem Gewölke Ersatz, sobald sich die Dünste vereinigt.

Auch von oben her drücken die Gluten der Tierkreissphäre

Und umziehendes Himmels Blau mit verdichteten Wolken.

Auch kommt's vor, daß von außen in unseren Himmel geraten

Jene Atome, die Wolken und fliegende Schwaden erzeugen.

Solche sind zahllos, wie ich gelehrt, und das All in der Tiefe

Dehnt ohn' Ende sich aus. Ich zeigte die riesige Schnelle,

Die sie im Fliegen entwickeln, und wie sie daher es gewohnt sind,

Unaussprechbare Räume in einem Moment zu durcheilen.[225]

Wunderbar ist's drum nicht, wenn oft in der kürzesten Zeit sich

Finsteres Wetter erhebt aus hochaufragenden Wolken

Und von oben her drohend die Länder bedeckt und die Meere.

Ist doch den Urelementen durch alle Kanäle des Äthers,

Wie durch Atemorgane des großen Weltengeschöpfes,

Offen nach allen Seiten der Eingang sowohl wie der Ausgang.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 224-226.
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