2. Porentheorie

[238] Nun muß ich wieder erinnern, was auch in dem ersten Gesänge

Klar wird gestellt, wie jeglicher Stoff durchlässig gebaut ist.

Dies zu wissen ist zwar zu vielen Dingen wohl nütze,

Aber es muß vor allem für jene Erscheinung besonders,

Die ich behandeln nun will, der Satz notwendig gewiß sein,

Daß es nichts Faßbares gibt als mit Leerem gemischte Atome.

Erstens: es schwitzen bisweilen die Felsengrotten das Naß aus,

Das von oben her trieft und in sickernden Tropfen herabfließt.

Auch aus unserem Körper fließt überall reichlicher Schweiß ab.

Sprießt nicht der Bart und die Haare auf allen Gelenken und Gliedern

Und verteilt sich die Speise nicht überallhin durch die Adern,

Nährt und mehrt auch das äußerste Glied bis zum winzigsten Nagel?

Ebenso fühlen wir auch, wie durch Erz die Kälte und Wärme

Durchdringt, fühlen sie auch durch Gold- und Silbergefäße

Dringen, so oft mit der Hand wir die vollen Pokale ergreifen.

Endlich: es fliegt der Ton durch die steinernen Wände der Häuser;

Sie durchströmen Gerüche und Kälte und Hitze des Feuers,

Die sogar durch die Masse des Eisens zu dringen gewohnt ist.

Endlich [drängen Atome auch unsichtbar sich von außen]

Da, wo der Panzer des Himmels den Erdball ringsherum bindet,

[Ein und bringen Gebresten dem Tier- und Menschengeschlechte.]

Und der Krankheitskeim, sobald er von außerher eindringt,

Und die Witterungswechsel, die hier wie im Himmel entstehen,

Üben ihr Recht auf den Himmelsraum und entlegene Länder.

Denn nichts gibt's in der Welt, was nicht durchlässig geknüpft ist.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 238-239.
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