b) Katholizismus und Protestantismus

[153] (Vgl. die »Ökonomie des Alten Bundes«)


Was wir hier Katholizismus nennen, nennt »Stirner« »das Mittelalter«; da er aber das heilige, religiöse Wesen des Mittelalters, die Religion des Mittelalters, mit dem wirklichen, profanen, leibhaftigen Mittelalter[153] verwechselt (wie »in Allem«), geben wir der Sache lieber gleich ihren richtigen Namen.

»Das Mittelalter« war »eine lange Zeit, in der man sich mit dem Wahne begnügte« (weiter verlangte und tat man Nichts), »die Wahrheit zu haben, ohne daß man ernstlich daran dachte, ob man selbst wahr sein müßte, um die Wahrheit zu besitzen.« – – »Im Mittelalter kasteite man« (also das ganze Mittelalter) »sich, um fähig zu werden, das Heilige in sich aufzunehmen.« p. 108.

Hegel bestimmt das Verhältnis zum Göttlichen in der katholischen Kirche dahin,

»daß man sich zum Absoluten als bloß äußerlichem Ding verhalte« (Christentum in der Form des Außerlichseins), »Gesch[ichte] der Phil[osophie]« III, p. 148 und anderwärts. Das Individuum muß allerdings gereinigt werden, um die Wahrheit aufzunehmen, aber »auch dies geschieht auf eine äußerliche Weise, durch Abkaufen, Abfasten, Abprügeln, Abmarschieren, Pilgrimschaft«. (p. 140 ibid.)

Diesen Übergang macht »Stirner« durch:

»Wie man freilich auch sein Auge anstrengt, um das Entfernte zu sehen, – – so kasteite man sich etc.«

Weil nun bei »Stirner« das Mittelalter mit dem Katholizismus identifiziert wird, endet es natürlich auch mit Luther, p. 108. Dieser selbst wird auf folgende, schon beim Jüngling, im Gespräch mit Szeliga und sonst vorgekommene Begriffsbestimmung reduziert:

»daß der Mensch, wenn er die Wahrheit auffassen wolle, ebenso wahr werden müsse wie die Wahrheit selbst. Nur wer die Wahrheit schon im Glauben hat, kann ihrer teilhaftig werden.«

Hegel sagt in Bezug auf das Luthertum:

»Die Wahrheit des Evangeliums [...] existiert nur im wahrhaften Verhalten zu demselben. – – Das wesentliche Verhalten des Geistes ist nur für den Geist. – – Es ist also das Verhalten des Geistes zu diesem Inhalt, daß der Inhalt zwar wesentlich ist, daß aber ebenso wesentlich ist, daß der heilige und heiligende Geist sich zu ihm verhalte.« (»Gesch. d. Phil.« III, p. 234.) »Dies ist nun der lutherische Glaube – sein« (nämlich des Menschen) »Glaube ist gefordert und kann allein wahrhaft in Betracht kommen.« (l. c. p. 230.) »Luther – – behauptet: daß das Göttliche nur insofern göttlich ist, als es in dieser subjektiven Geistigkeit des Glaubens genossen wird.« (l. c. p. 138.) »Die Lehre der« (katholischen) »Kirche ist die Wahrheit als vorhandene Wahrheit.« (»Ph[ilosophie] der Rel[igion]« II, p. 331.)

»Stirner« fährt fort:

»Demnach geht mit Luther die Erkenntnis auf, daß die Wahrheit, weil sie Gedanke ist, nur für den denkenden Menschen sei, und dies heißt, daß der Mensch einen[154] schlechterdings andern Standpunkt einnehmen müsse, den gläubigen« (per appos[itionem]), »wissenschaftlichen, oder den Standpunkt des Denkens gegenüber seinem Gegenstande, dem Gedanken.« p. 110.

Außer der Wiederholung, die »Stirner« hier wieder »einlegt«, ist nur der Übergang vom Glauben zum Denken zu beachten. Diesen Übergang macht Hegel wie folgt:

»Dieser Geist« (nämlich der heilige und heiligende Geist) »ist zweitens aber wesentlich auch denkender Geist. Das Denken als solches muß sich auch darin entwickeln etc.« p. 234.

»Stirner« fährt fort:

»Dieser Gedanke« (»daß Ich Geist bin, nur Geist«) »durchzieht die Reformationsgeschichte bis heute.« p. 111.

Eine andre Geschichte als die Reformationsgeschichte existiert für »Stirner« vom sechzehnten Jahrhundert an nicht – und auch diese bloß in der Auffassung, in der Hegel sie darstellt.

Sankt Max hat wieder seinen Riesenglauben bewiesen. Er hat wieder sämtliche Illusionen der deutschen spekulativen Philosophie wörtlich für wahr genommen, ja er hat sie noch spekulativer, noch abstrakter gemacht. Für ihn existiert nur die Geschichte der Religion und Philosophie – und diese existiert nur durch Hegel für ihn, der mit der Zeit zur allgemeinen Eselsbrücke, zum Konversationslexikon aller neuen deutschen Prinzipspekulanten und Systemfabrikanten geworden ist.

Katholizismus = Verhalten zur Wahrheit als Ding, Kind, Neger, »Alter«.

Protestantismus = Verhalten zur Wahrheit im Geist, Jüngling, Mongole, »Neuer«.

Die ganze Konstruktion war überflüssig, da dies Alles schon beim »Geist« dagewesen war.

Wie schon in der »Ökonomie des Alten Bundes« angedeutet, kann man nun innerhalb des Protestantismus wieder Kind und Jüngling in neuen »Wandlungen« auftreten lassen, wie »Stirner« dies p. 112 tut, wo er die englische, empirische Philosophie als Kind in Gegensatz zur deutschen, spekulativen Philosophie, dem Jüngling, faßt. Er schreibt hier wieder Hegel aus, der hier wie sonst »im Buche« sehr häufig als »Man« auftritt.

»Man« – d.h. Hegel – »verwies den Baco aus dem Reiche der Philosophie.« »Und weiter scheint es allerdings dasjenige, was man englische Philosophie nennt, nicht gebracht zu haben als bis zu den Entdeckungen sogenannter offener Köpfe wie Bacon und Hume« (p. 112) –

was Hegel so ausdrückt:

[155] »Bacon ist in der Tat eigentlich der Anführer und Repräsentant dessen, was in England Philosophie genannt wird und worüber die Engländer noch durchaus nicht hinausgekommen sind.« »Gesch[ichte] d[er] Phil[osophie]«, III, p. 254.

Was »Stirner« »offene Köpfe« nennt, nennt Hegel, l. c. p. 255, »gebildete Weltmänner« – diese verwandelt Sankt Max einmal auch in »die Einfalt des kindlichen Gemütes«, weil die englischen Philosophen das Kind repräsentieren müssen. Aus demselben kindlichen Grunde darf »sich Baco nicht um die theologischen Fragen und Kardinalpunkte bekümmert« haben, was auch seine Schriften (speziell »De Augmentis Scientiarum«, »Novum Organum« und die Essays) sagen mögen. Dagegen »sieht – – das deutsche Denken – – im Erkennen selbst erst das Leben« (p. 112), denn es ist der Jüngling. Ecce iterum Crispinus!

Wie Stirner den Cartesius in einen deutschen Philosophen verwandelt, kann man »im Buche« p. 112 selbst nachsehen.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 153-156.
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