Fünfte Rede
Über die Religionen

[131] Daß der Mensch in der Anschauung des Universums begriffen ein Gegenstand der Achtung und der Ehrfurcht für Euch Alle sein muß; daß Keiner, der von jenem Zustande noch etwas zu verstehen fähig ist, sich bei der Betrachtung desselben dieser Gefühle enthalten kann: das ist über allen Zweifel hinaus. Verachten mögt Ihr Jeden, dessen Gemüt leicht und ganz von kleinlichen Dingen angefüllt wird; aber vergebens werdet Ihr versuchen den gering zu schätzen, der das größte in sich saugt und sich davon nährt; – lieben oder hassen mögt Ihr Jeden, je nachdem er auf der beschränkten Bahn der Tätigkeit und der Bildung mit Euch oder Euch entgegen geht: aber auch das schönste Gefühl unter denen, die sich auf Gleichheit gründen, wird nicht in Euch haften können, in Beziehung auf den, welcher so weit über Euch erhaben ist, als der Beschauer des Universums über Jeden steht, der sich nicht mit ihm in demselben Zustande befindet; – ehren müßt Ihr, so sagen Eure Weisesten, auch wider Willen den Tugendhaften, der nach den Gesetzen der sittlichen Natur das Endliche unendlichen Forderungen gemäß zu bestimmen trachtet: aber wenn es Euch auch möglich wäre in der Tugend selbst etwas Lächerliches zu Enden an dem Kontrast endlicher Kräfte mit dem unendlichen Beginnen, so würdet Ihr doch Demjenigen Achtung und Ehrfurcht nicht versagen können, dessen Organe dem Universum geöffnet sind, und der, fern von jedem Streit und Kontrast, erhaben über jedes Streben, von den Einwirkungen desselben durchdrungen und Eins mit ihm geworden, wenn Ihr ihn in diesem köstlichen Moment des menschlichen Daseins betrachtet, den himmlischen Strahl unverfälscht auf Euch zurückwirft. Ob also die Idee, welche ich Euch gemacht habe vom Innern der Religion, Euch jene Achtung abgenötigt hat, die Ihr falschen[131] Vorstellungen zufolge und weil Ihr bei zufälligen Dingen verweiltet, so oft von Euch versagt worden ist; ob meine Gedanken über den Zusammenhang dieser Uns Allen inwohnenden Anlage mit dem, was sonst unserer Natur Vortreffliches und Göttliches zugeteilt ist. Euch angeregt haben zu einem innigeren Anschaun unsres Seins und Werdens; ob Ihr aus dem höheren Standpunkt, den ich Euch gezeigt habe, in jener so sehr verkannten erhabneren Gemeinschaft der Geister, wo Jeder den Ruhm seiner Willkür, den Alleinbesitz seiner innersten Eigentümlichkeit und ihres Geheimnisses Nichts achtend, sich freiwillig hingibt um sich anschauen zu lassen als ein Werk des ewigen und Alles bildenden Weltgeistes – ob Ihr in ihr nun das Allerheiligste der Geselligkeit bewundert, das ungleich Höhere als jede irdische Verbindung, das Heiligere als selbst der zarteste Freundschaftsbund sittlicher Gemüter; ob also die ganze Religion in ihrer Unendlichkeit in ihrer göttlichen Kraft Euch hingerissen hat zur Anbetung; darüber frage ich Euch nicht, denn ich bin der Kraft des Gegenstandes gewiß der nur frei gemacht werden durfte, um auf Euch zu wirken. Jetzt aber habe ich ein neues Geschäft auszurichten, und einen neuen Widerstand zu besiegen. Ich will Euch gleichsam zu dem Gott, der Fleisch geworden ist hinführen; ich will Euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit entäußert hat, und in oft dürftiger Gestalt unter den Menschen erschienen ist; in den Religionen sollt Ihr die Religion entdecken, in dem was irdisch und verunreinigt vor Euch steht die einzelnen Züge derselben himmlischen Schönheit aufsuchen, deren Gestalt ich nachzubilden versucht habe.

Wenn Ihr einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge werft, wo Kirchen und Religionen in ihrer Vielheit fast überall zusammentreffen, und in ihrer Absonderung unzertrennlich verbunden zu sein scheinen, wo es soviel Lehrgebäude und Glaubensbekenntnisse gibt als Kirchen und religiöse Gemeinschaften: so könntet Ihr leicht verleitet werden zu glauben, daß in meinem Urteil über die Vielheit der Kirchen zugleich auch das über die Vielheit der Religionen ausgesprochen sei; Ihr würdet aber darin meine Meinung gänzlich mißverstehen. Ich habe die Vielheit der[132] Kirchen verdammt: aber eben indem ich aus der Natur der Sache gezeigt habe, daß hier alle Umrisse sich verlieren, alle bestimmte Abteilungen verschwinden und Alles nicht nur dem Geist und der Teilnahme, sondern auch dem wirklichen Zusammenhange nach Ein ungeteiltes Ganzes sein soll, so habe ich überall die Vielheit der Religionen und ihre bestimmteste Verschiedenheit als etwas notwendiges und unvermeidliches vorausgesetzt. Denn warum sollte die innere, wahre Kirche Eins sein? Damit Jeder anschauen und sich mitteilen lassen könnte die Religion des Andern, die er nicht als seine eigene anschauen kann, und die also als gänzlich von ihr verschieden gedacht wurde. Warum sollte auch die äußere und uneigentlich sogenannte Kirche Eins sein? Damit Jeder die Religion in der Gestalt aufsuchen könnte, die dem schlummernden Keim der in ihm liegt homogen ist, und dieser mußte also von einer bestimmten Art sein, weil er nur durch dieselbe bestimmte Art befruchtet und erweckt werden kann. Und mit diesen Erscheinungen der Religion konnten nicht etwa nur Ergänzungsstücke gemeint sein, die bloß numerisch und der Größe nach verschieden, wenn man sie zusammenbrächte ein gleichförmiges und dann erst vollendetes Ganze ausgemacht hätte; denn alsdann würde Jeder in seiner natürlichen Fortschreitung von selbst zu demjenigen gelangen, was des anderen ist; die Religion, die er sich mitteilen läßt würde sich in die seinige verwandeln und mit ihr Eins werden, und die Kirche, diese zufolge der gegebnen Ansicht jedem religiösen Menschen als unentbehrlich sich darstellende Gemeinschaft mit allen Gläubigen, wäre nur eine interimistische und sich selbst durch ihre eigne Wirkung nur um so schneller wieder aufhebende Anstalt, wie ich sie doch keineswegs habe denken oder darstellen wollen. So habe ich die Mehrheit der Religionen vorausgesetzt, und ebenso finde ich sie im Wesen der Religion gegründet.

So viel sieht Jeder leicht, daß Niemand die Religion ganz haben kann; denn der Mensch ist endlich und die Religion ist unendlich; aber Euch kann das auch nicht fremd sein, daß sie nicht etwa nur teilweise so viel eben Jeder zu fassen vermag, unter den Menschen zerstückelt sein kann, sondern daß[133] sie sich in Erscheinungen organisieren muß, welche mehr voneinander verschieden sind. Erinnert Euch nur an die mehreren Stufen der Religion, auf welche ich Euch aufmerksam gemacht habe, daß nämlich die Religion dessen, der das Universum als ein System betrachtet, nicht eine bloße Fortsetzung sein kann von der Ansicht dessen, der es nur erst in seinen scheinbar entgegengesetzten Elementen anschaut, und daß dahin wo dieser steht wiederum derjenige nicht auf seinem Wege gelangen kann, dem das Universum noch eine chaotische und ungesonderte Vorstellung ist. Ihr mögt diese Verschiedenheiten nun Arten oder Grade der Religion nennen: so werdet Ihr doch zugeben müssen, daß sonst überall wo es solche Abteilungen gibt es auch Individua zu geben pflegt. Jede unendliche Kraft, die sich erst in ihren Darstellungen teilt und sondert, offenbart sich auch in eigentümlichen und verschiedenen Gestalten. Ganz etwas andres ist es also mit der Vielheit der Religionen, als mit der der Kirchen. Diese freilich sind in ihrer Mehrheit nur Fragmente eines einzigen Individuums, welches für den Verstand völlig als Eins bestimmt und nur für die sinnliche Darstellung in seiner Einheit unerreichbar ist, und was diese einzelnen Fragmente bewog sich für besondere Individuen anzusehn, war immer nur ein Mißverständnis, das auf der Einwirkung eines fremdartigen Prinzips beruhen mußte: die Religion aber ist ihrem Begriff und ihrem Wesen nach auch für den Verstand ein Unendliches und Unermeßliches; sie muß also ein Prinzip sich zu individualisieren in sich haben weil sie sonst gar nicht dasein und wahrgenommen werden könnte; eine unendliche Menge endlicher und bestimmter Formen in denen sie sich offenbart müssen wir also postulieren und aufsuchen, und wo wir Etwas finden, was eine solche zu sein behauptet, wie denn jede abgesonderte Religion sich dafür ausgibt, müssen wir uns darauf ansehen ob es diesem Prinzip gemäß, konstruiert ist, und müssen uns dann den bestimmten Begriff den es darstellen soll klar machen, unter welchen fremden Umhüllungen er auch versteckt, und wie sehr er auch entstellt sei von den Einwirkungen des Vergänglichen zu welchem das Unvergängliche sich herabgelassen hat, und von der unheiligen Hand der Menschen.[134] – Wollt Ihr von der Religion nicht nur im allgemeinen einen Begriff haben, und es wäre ja unwürdig, wenn Ihr Euch mit einer so unvollkommenen Kenntnis begnügen wolltet: wollt Ihr sie auch in ihrer Wirklichkeit und in ihren Erscheinungen verstehen: wollt Ihr diese selbst mit Religion anschauen als ein ins Unendliche fortgehendes Werk des Weltgeistes: so müßt Ihr den eitlen und vergeblichen Wunsch, daß es nur Eine geben möchte, aufgeben. Euren Widerwillen gegen ihre Mehrheit ablegen, und so unbefangen als möglich zu allen denen hinzutreten, die sich schon in den wechselnden Gestalten und während des auch hierin fortschreitenden Laufes der Menschheit aus dem ewig reichen Schoß des Universums entwickelt haben.

Positive Religionen nennt Ihr diese vorhandenen bestimmten religiösen Erscheinungen und sie sind unter diesem Namen schon lange das Objekt eines ganz vorzüglichen Hasses gewesen; dagegen Ihr bei allem Widerwillen gegen die Religion überhaupt etwas anderes das man die natürliche Religion nennt immer leichter geduldet, und sogar mit Achtung davon gesprochen habt. Ich stehe nicht an. Euch sogleich einen Blick in das Innere meiner Gesinnungen hierüber zu vergönnen, indem ich für mein Teil gegen diesen Vorzug aufs lauteste protestiere, und ihn in Rücksicht aller derer welche überhaupt Religion zu haben und sie zu lieben vorgeben für die gröbste Inkonsequenz und die augenscheinlichste Selbstwiderlegung erkläre, aus Gründen denen Ihr gewiß Euren Beifall geben werdet, wenn ich sie werde entwickeln können. Euch hingegen, welchen die Religion überhaupt zuwider war, habe ich es immer sehr natürlich gefunden diesen Unterschied zu machen. Die sogenannte natürliche Religion ist gewöhnlich so abgeschliffen, und hat so philosophische und moralische Manieren, daß sie wenig von dem eigentümlichen Charakter der Religion durchschimmern läßt, sie weiß so artig zu leben, sich einzuschränken und sich zu fügen, daß sie überall wohl gelitten ist: dagegen jede positive Religion gar starke Züge und eine sehr markierte Physiognomie hat, so daß sie bei jeder Bewegung welche sie macht und bei jedem Blick, den man auf sie wirft, ohnfehlbar an das erinnert, was sie eigentlich ist. Wenn dies der[135] wahre und innre Grund Eurer Abneigung ist, so wie es der einzige ist, der die Sache selbst trifft, so müßt Ihr Euch jetzt von ihr losmachen; und ich sollte eigentlich nicht mehr mit ihr zu streiten haben. Denn wenn Ihr nun, wie ich hoffe, ein günstigeres Urteil über die Religion überhaupt fällt, wenn Ihr einseht, daß ihr eine besondere und edle Anlage im Menschen zum Grunde liegt, die folglich auch wo sie sich zeigt gebildet werden muß: so kann es Euch doch nicht zuwider sein sie in den bestimmten Gestalten anzuschauen in denen sie schon wirklich erschienen ist, und Ihr müßt vielmehr diese um so lieber Eurer Betrachtung würdigen, je mehr das Eigentümliche und Unterscheidende der Religion in ihnen ausgebildet ist.

Aber diesen Grund nicht eingestehend werdet Ihr vielleicht alle alten Vorwürfe, die Ihr sonst der Religion überhaupt zu machen gewohnt wäret, jetzt auf die einzelnen Religionen werfen, und behaupten daß gerade in dem, was Ihr das Positive in der Religion nennt, dasjenige liegen müsse, was diese Vorwürfe immer aufs neue veranlaßt und rechtfertigt; Ihr werdet leugnen daß sie Erscheinungen der wahren Religion sein können. Ihr werdet mich aufmerksam darauf machen, wie sie alle, ohne Unterschied, voll sind, von dem, was meiner eigenen Aussage nach nicht Religion ist, und daß also ein Prinzip des Verderbens tief in ihrer Konstitution liegen müsse; Ihr werdet mich daran erinnern, wie Jede unter ihnen sich für die einzig wahre, und gerade ihr Eigentümliches für das Höchste erklärt; wie sie sich voneinander gerade durch dasjenige als durch etwas wesentliches unterscheiden, was Jede soviel als möglich von sich hinaus tun sollte; wie sie, ganz gegen die Natur der wahren Religion, beweisen, widerlegen und streiten, es sei nun mit den Waffen der Kunst und des Verstandes oder mit noch fremderen und unwürdigeren; Ihr werdet hinzufügen, daß Ihr gerade nun, da Ihr die Religion achtet und für etwas wichtiges anerkennet, ein lebhaftes Interesse daran nehmen müßtet, daß ihr die größte Freiheit sich nach allen Seiten aufs mannigfaltigste auszubilden überall gewährt werde, und daß Ihr also nur um so lebhafter die bestimmten Formen der Religion hassen müßtet, welche Alle,[136] die sich zu ihnen bekennen, an derselben Gestalt festhalten, ihnen die Freiheit ihrer eignen Natur zu folgen entziehen und sie in unnatürliche Schranken einzwängen; und in allen diesen Punkten werdet Ihr mir die Vorzüge der natürlichen Religion vor der positiven kräftig anpreisen.

Ich bezeuge noch einmal, daß ich diese Entstellungen nicht leugnen will, und daß ich gegen den Widerwillen, welchen Ihr dagegen empfindet, nichts einwende. Ja ich erkenne in ihnen Allen jene viel beklagte Ausartung und Abweichung in ein fremdes Gebiet, und je göttlicher die Religion selbst ist, um desto weniger will ich ihr Verderben ausschmücken und ihre wilden Auswüchse bewundernd pflegen. Aber vergeßt einmal diese doch auch einseitige Ansicht und folgt mir zu einer andern. Bedenkt, wieviel von diesem Verderben auf die Rechnung derer kommt, welche die Religion aus dem Innern des Herzens hervorgezogen haben in die bürgerliche Welt; gesteht daß Vieles überall unvermeidlich ist, sobald das Unendliche eine unvollkommene und beschränkte Hülle annimmt, und in das Gebiet der Zeit und der allgemeinen Einwirkung endlicher Dinge, um sich von ihr beherrschen zu lassen, herabsteigt. Wie tief aber auch dieses Verderben in ihnen eingewurzelt sein mag und wie sehr sie darunter gelitten haben mögen: so bedenkt doch, daß es die eigentliche religiöse Ansicht aller Dinge ist, auch in dem, was uns gemein und niedrig zu sein scheint, jede Spur des Göttlichen, Wahren und Ewigen aufzusuchen, und auch die entfernteste noch anzubeten; und warum soll gerade dasjenige des Vorteils einer solchen Betrachtung entbehren, was die gerechtesten Ansprüche darauf hat religiös gerichtet zu werden? Jedoch Ihr werdet mehr finden als entfernte Spuren der Göttlichkeit. Ich lade Euch ein, jeden Glauben zu betrachten, zu dem sich Menschen bekannt haben, jede Religion die Ihr durch einen bestimmten Namen und Charakter bezeichnet, und die vielleicht nun längst ausgeartet ist in einen Kodex leerer Gebräuche, in ein System abstrakter Begriffe und Theorien; und wenn Ihr sie an ihrer Quelle und ihren ursprünglichen Bestandteilen nach untersucht, so werdet Ihr finden, daß alle die toten Schlacken einst glühende Ergießungen des inneren Feuers waren, das in Allen Religion[137] enthalten ist, mehr oder minder von dem wahren Wesen derselben wie ich es Euch dargestellt habe; daß Jede eine von den besonderen Gestalten war, welche die ewige und unendliche Religion unter endlichen und beschrankten Wesen notwendig annehmen mußte. Damit Ihr aber nicht aufs Ohngefähr in diesem unendlichen Chaos herumtappt – denn ich muß Verzicht darauf tun Euch in demselben regelmäßig und vollständig umherzuführen; es wäre das Studium eines Lebens, und nicht das Geschäft eines Gespräches – damit Ihr ohne durch gemeine Begriffe verführt zu werden, nach einem richtigen Maßstabe den wahren Gehalt und das eigentliche Wesen der einzelnen Religionen abmessen, und nach bestimmten und festen Ideen das Innere von dem Äußerlichen, das Eigene von dem Erborgten und Fremden, das Heilige von dem Profanen scheiden mögt: so vergeßt fürs erste jede einzelne und das was für ihr charakteristisches Merkmal gehalten wird, und sucht von innen heraus erst zu einer allgemeinen Idee darüber zu gelangen was eigentlich das Wesen einer bestimmten Form der Religion ausmacht, so werdet Ihr finden, daß gerade die positiven Religionen diese bestimmten Gestalten sind, unter denen die unendliche Religion sich im Endlichen darstellt, und daß die natürliche gar keinen Anspruch darauf machen kann etwas ähnliches zu sein, indem sie nur eine unbestimmte dürftige und armselige Idee ist, die für sich nie eigentlich existieren kann; Ihr werdet finden, daß in jenen allein eine wahre individuelle Ausbildung der religiösen Anlage möglich ist, und daß sie, ihrem Wesen nach, der Freiheit ihrer Bekenner darin gar keinen Abbruch tun.

Warum habe ich angenommen, daß die Religion nicht anders als in einer unendlichen Menge durchaus bestimmter Formen vollständig gegeben werden kann? Nur aus Gründen welche als ich vom Wesen der Religion sprach entwickelt worden sind. Weil nämlich jede Anschauung des Unendlichen völlig für sich besteht, von keiner andern abhängig ist und auch keine andere notwendig zur Folge hat; weil ihrer unendlich viele sind, und in ihnen selbst gar kein Grund liegt, warum sie so und nicht anders eine auf die[138] andere bezogen werden sollten, und dennoch jede ganz anders erscheint, wenn sie von einem andern Punkt aus gesehen, oder auf eine andere bezogen wird, so kann die ganze Religion unmöglich anders existieren als wenn alle diese verschiedne Ansichten jeder Anschauung die auf solche Art entstehen können wirklich gegeben werden; und dies ist nicht anders möglich als in einer unendlichen Menge verschiedner Formen, deren jede durch das verschiedene Prinzip der Beziehung in ihr durchaus bestimmt, und in deren Jeder derselbe Gegenstand ganz anders modifiziert ist, das heißt welche sämtlich wahre Individuen sind. Wodurch werden nun diese Individuen bestimmt und wodurch unterscheiden sie sich voneinander? was ist das Gemeinschaftliche in ihren Bestandteilen, was sie zusammenhält, oder das Anziehungsprinzip dem sie folgen? wornach beurteilt man zu welchem Individuo ein gegebnes religiöses Datum gehören muß?

Eine bestimmte Form der Religion kann dies nicht deswegen sein, weil sie etwa ein bestimmtes Quantum religiösen Stoffs enthält. – Dies ist eben das gänzliche Mißverständnis über das Wesen der einzelnen Religionen, welches sich häufig unter ihre Bekenner selbst verbreitet und den Grund zum Verderben gelegt hat. Sie haben eben gemeint, weil doch so viele Menschen sich dieselbe Religion zueignen, so müßten sie auch dieselben religiösen Ansichten und Gefühle, dasselbe Meinen und Glauben haben, und eben dies Gemeinschaftliche müsse das Wesen ihrer Religion sein. Es ist überall nicht leicht möglich das eigentliche Charakteristische und Individuelle einer Religion mit Sicherheit zu finden, wenn man es so aus dem Einzelnen abstrahiert; aber hierin, so gemein auch der Begriff ist, kann es doch am wenigsten liegen, und wenn Ihr etwa auch glaubt daß die positiven Religionen deswegen der Freiheit des Einzelnen seine Religion auszubilden nachteilig sind, weil sie eine bestimmte Summe von religiösen Anschauungen und Gefühlen fordern und andere ausschließen, so seid Ihr im Irrtum. Einzelne Anschauungen und Gefühle sind wie Ihr wißt die Elemente der Religion, und diese nur so quantitativ zu betrachten wie viele ihrer und namentlich was für[139] welche vorhanden sind, das kann uns unmöglich auf den Charakter eines Individuums der Religion führen. Wenn sich die Religion deswegen individualisieren muß, weil von jeder Anschauung verschiedene Ansichten möglich sind je nachdem sie auf die übrigen bezogen wird, so wäre uns freilich mit einem solchen ausschließlichen Zusammenfassen mehrerer unter ihnen, wodurch ja keine von jenen möglichen Ansichten bestimmt wird, gar nichts geholfen, und wenn die positiven Religionen sich nur durch eine solche Ausschließung unterschieden, so wären sie freilich nicht die individuellen Erscheinungen, welche wir suchen. Daß dies aber in der Tat nicht ihr Charakter ist erhellt daraus weil es unmöglich ist von diesem Gesichtspunkt aus zu einem bestimmten Begriff von ihnen zu gelangen, und der muß ihnen doch zum Grunde liegen weil sie sonst sehr bald ineinander fließen würden. Zum Wesen der Religion haben wir es gerechnet daß es keinen bestimmten inneren Zusammenhang zwischen den verschiedenen Anschauungen und Gefühlen vom Universum gibt, daß Jedes einzelne für sich besteht und durch tausend zufällige Kombinationen auf Jedes andere führen kann. Daher ist schon in der Religion jedes einzelnen Menschen, wie sie sich im Lauf seines Lebens bildet, nichts zufälliger als die bestimmte Summe seines religiösen Stoffs. Einzelne Ansichten können sich ihm verdunkeln, andere können ihm aufgehn und sich zur Klarheit bilden, und seine Religion ist von dieser Seite immer beweglich und fließend. Dies Fließende kann also unmöglich das Feststehende und Wesentliche in der mehreren gemeinschaftlichen Religion sein; denn wie höchst zufällig und selten muß es sich nicht ereignen, daß mehrere Menschen auch nur eine Zeit lang in demselben bestimmten Kreise von Anschauungen stehen bleiben und auf demselben Wege der Gefühle fortgehn. Daher ist auch unter denen die ihre Religion so bestimmen ein beständiger Streit über das, was zu derselben wesentlich gehöre und was nicht; sie wissen nicht was sie als charakteristisch und notwendig festsetzen; was sie als frei und zufällig absondern sollen, sie finden den Punkt nicht aus dem sie das Ganze übersehen können, und verstehen die religiöse Erscheinung nicht in der sie[140] selbst zu leben, für die sie zu streiten wähnen und zu deren Ausartung sie beitragen indem sie nicht wissen wo sie stehn und was sie tun. Aber der Instinkt den sie nicht verstehen leitet sie richtiger als ihr Verstand und die Natur hält zusammen was ihre falschen Reflexionen und ihr darauf gegründetes Tun und Treiben vernichten würden. Wer den Charakter einer besondern Religion in einem bestimmten Quanto von Anschauung und Gefühlen setzt, der muß notwendig einen innern und objektiven Zusammenhang annehmen, der gerade diese untereinander verbindet und alle anderen ausschließt, und dieser Wahn ist eben das dem Geist der Religion so ganz entgegengesetzte Prinzip des Systemwesens und des Sektierens, und das Ganze welches sie auf diese Art zu bilden streben, wäre nicht ein solches wie wir es suchen, wodurch die Religion in allen ihren Teilen eine bestimmte Gestalt gewinnt, sondern es wäre ein gewaltsamer Ausschnitt aus dem Unendlichen, nicht eine Religion, sondern eine Sekte, der irreligiöseste Begriff, den man im Gebiet der Religion kann realisieren wollen, – Aber die Formen welche das Universum hervorgebracht hat und welche wirklich vorhanden sind, sind auch nicht Ganze von dieser Art. Alles Sektieren es sei nun spekulativ, um einzelne Anschauungen in einen philosophierenden Zusammenhang zu bringen, oder asketisch um auf ein System und eine bestimmte Sukzession von Gefühlen zu dringen, arbeitet auf eine möglichst vollendete Gleichförmigkeit Aller die an demselben Stück Religion Anteil haben wollen; und wenn es denen die von dieser Wut angesteckt sind, und denen es gewiß an Tätigkeit nicht fehlt, noch nie gelungen ist irgendeine positive Religion bis dahin zu bringen; so werdet Ihr doch gestehen, daß diese, da sie doch auch einmal entstanden sind, und insofern sie trotz jener Angriffe noch existieren, nach einem andern Prinzip gebildet worden sein und einen andern Charakter haben müssen; ja wenn Ihr an die Zeit denkt, wo sie entstanden sind, so werdet Ihr dies noch deutlicher einsehen: denn Ihr werdet Euch erinnern, daß jede positive Religion während ihrer Bildung und ihrer Blüte, zu der Zeit also, wo ihre eigentümliche Lebenskraft am jugendlichsten und frischesten[141] wirkt und also am sichersten erkannt werden kann, sich in einer ganz entgegengesetzten Richtung bewegt, nicht sich konzentrierend und Vieles aus sich ausschneidend, sondern wachsend nach außen, immer neue Zweige treibend, und immer mehr religiösen Stoffs sich aneignend und ihrer besondern Natur gemäß ausbildend. Nach jenem falschen Prinzip also sind sie nicht gestaltet, es ist nicht Eins mit ihrer Natur, es ist ein von außen eingeschlichenes Verderben, und da es ihnen eben so wohl zuwider ist, als dem Geist der Religion überhaupt: so kann ihr Verhältnis gegen dasselbe, welches ein immerwährender Krieg ist, eher beweisen als widerlegen daß sie die individuellen Erscheinungen der Religion sind, welche wir suchen.

Ebensowenig sind alle die Verschiedenheiten in der Religion überhaupt auf welche ich Euch bisher hie und da aufmerksam gemacht habe, hinreichend eine durchaus und als ein Individuum bestimmte Form hervorzubringen. Jene drei so oft angeführten Arten das Universum anzuschauen als Chaos, als System und in seiner elementarischen Vielheit, sind weit davon entfernt ebensoviel einzelne und bestimmte Religionen zu sein. Ihr werdet wissen, daß wenn man einen Begriff einteilt so viel man will und bis ins Unendliche fort, so kommt man doch dadurch nie auf Individuen, sondern immer nur auf weniger allgemeine Begriffe, die unter jenen enthalten sind, auf Arten und Unterabteilungen, die wieder eine Menge sehr verschiedener Individuen unter sich begreifen können; um aber den Charakter der Einzelwesen selbst zu finden muß man aus dem allgemeinen Begriff und seinen Merkmalen herausgehen. Jene drei Verschiedenheiten in der Religion sind aber in der Tat nichts anders als eine gewöhnliche und überall wiederkommende Einteilung des Begriffs der Anschauung. Sie sind also Arten der Religion, aber nicht bestimmte Formen, und das Bedürfnis, weswegen wir diese suchen würde auch dadurch, daß Religion auf diese dreifache Weise vorhanden ist, gar nicht befriediget werden. Einzelne Anschauungen haben wohl in einer Jeden von ihnen einen eignen Charakter, und deswegen muß jede bestimmte Form der Religion sich zu Einer von diesen Arten[142] halten: aber eine eigne Beziehung und Lage der verschiedenen Anschauungen gegeneinander wird durch sie keinesweges ausschließend bestimmt, und in diesem Betracht bleibt nach dieser Einteilung Alles noch eben so unendlich und eben so vieldeutig als vorher. – Mehr Schein möchte es vielleicht haben, daß der Personalismus und die ihm entgegengesetzte pantheistische Vorstellungsart in der Religion uns zwei solche individuelle Formen derselben an die Hand gebe; aber Schein ist es doch auch nur. Diese Vorstellungsarten gehen ja durch alle drei Arten der Religion hindurch, und können schon um deswillen keine Individuen sein, weil doch unmöglich ein Individuum drei verschiedene spezielle Charaktere in sich vereinigen kann. Bei genauer Betrachtung müßt Ihr aber auch sehen, daß durch sie ebenfalls keine bestimmte Beziehung mehrerer religiöser Anschauungen aufeinander gegeben sei. Ja, wenn die Idee von einer persönlichen Gottheit eine einzelne religiöse Anschauung wäre, dann freilich wäre der Personalismus in jeder von den drei Arten der Religion eine völlig bestimmte Form, denn aller religiöse Stoff wird in ihm auf diese Idee bezogen: aber ist denn das? Ist diese Idee eine einzelne Anschauung des Universums, ein einzelner Eindruck von demselben, den etwas bestimmtes Endliches in mir hervorbringt? So müßte ja der Pantheismus, der jenem gegenüber gestellt wird, auch eine sein? so müßte es für beide gewisse bestimmte Wahrnehmungen geben, woraus sie geschöpft würden; und wo sind diese je aufgezeigt worden? so müßte es einzelne Anschauungen der Religion geben die einander entgegengesetzt sind, was nicht sein kann. Auch sind diese beiden Vorstellungsarten gar nicht verschiedene Anschauungen des Universums im Endlichen, nicht Elemente der Religion, sondern verschiedene Arten das Universum, indem es im Endlichen angeschaut wird, zugleich als Individuum zu denken, da denn die eine ihm ein eigentümliches Bewußtsein beilegt und die andere nicht. Alle einzelnen Elemente der Religion bleiben in Absicht auf ihre gegenseitige Lage ebenso unbestimmt, und keine von den vielen Ansichten derselben wird dadurch realisiert daß der eine oder der andere Gedanke sie begleitet; wie Ihr das überall sehn könnt wo[143] etwas religiös und zugleich rein deistisch dargestellt sein soll, wo Ihr finden werdet, daß alle Anschauungen und Gefühle, und besonders – welches der Punkt ist, um den sich in dieser Sphäre Alles zu drehen pflegt – die Anschauungen von den Bewegungen der Menschheit im Einzelnen und von der Einheit in dem, was über ihre Willkür hinaus liegt, in ihrem Verhältnis gegeneinander völlig im Unbestimmten und Vieldeutigen schweben. Sie sind also beide ebenfalls nur allgemeinere Formen, deren Gebiet erst mit den individuellen und bestimmten angefüllt werden soll, und wenn Ihr auch dieses Gebiet dadurch einschränkt daß Ihr sie mit einer von den drei bestimmten Arten der Anschauung einzeln verbindet, so sind auch diese aus verschiedenen Einteilungsgründen des Ganzen zusammengesetzten Formen doch nur eigne Unterabteilungen; aber keineswegs durchaus bestimmte und geschlossene Ganze. Also weder der Naturalismus – ich verstehe darunter die Anschauung des Universums in seiner elementarischen Vielheit ohne die Vorstellung von persönlichem Bewußtsein und Willen der einzelnen Elemente – noch der Pantheismus, weder die Vielgötterei noch der Deismus, sind einzelne und bestimmte Religionen, wie wir sie suchen, sondern nur Arten, in deren Gebiet gar viele eigentliche Individuen sich schon entwickelt haben, und noch mehrere sich entwickeln werden. – Merkt es wohl, daß der Pantheismus und der Deismus keine bestimmte Formen der Religion sind, um Eurer natürlichen Religion, wenn sich etwa finden sollte, daß sie nichts ist als dieses, ihren gebührenden Platz anweisen zu können.

Daß ichs kurz sage: ein Individuum der Religion, wie wir es suchen, kann nicht anders zustande gebracht werden, als dadurch, daß irgendeine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkür – denn anders kann es nicht geschehen weil eine jede gleiche Ansprüche darauf hätte – zum Zentralpunkt der ganzen Religion gemacht, und Alles darin auf sie bezogen wird. Dadurch kommt auf einmal ein bestimmter Geist und ein gemeinschaftlicher Charakter in das Ganze; alles wird fixiert was vorher vieldeutig und unbestimmt war; von den unendlich vielen verschiednen Ansichten und Beziehungen einzelner Elemente, welche Alle[144] möglich waren und Alle dargestellt werden sollten, wird durch jede solche Formation Eine durchaus realisiert; alle einzelnen Elemente erscheinen nun von einer gleichnamigen Seite, von der, welche jenem Mittelpunkt zugekehrt ist, und alle Gefühle erhalten eben dadurch einen gemeinschaftlichen Ton und werden lebendiger und eingreifender ineinander. Nur in der Totalität aller nach dieser Konstruktion möglichen Formen kann die ganze Religion wirklich gegeben werden, und sie wird also nur in einer unendlichen Sukzession kommender und wieder vergehender Gestalten dargestellt, und nur was in einer von diesen Formen liegt trägt zu ihrer vollendeten Darstellung etwas bei. Jede solche Gestaltung der Religion, wo in Beziehung auf eine Zentralanschauung Alles gesehen und gefühlt wird, wo und wie sie sich auch bilde, und welches immer diese vorgezogene Anschauung sei, ist eine eigene positive Religion; in Beziehung auf das Ganze eine Häresis – ein Wort das wieder zu Ehren gebracht werden sollte – weil etwas höchst willkürliches die Ursach ihrer Entstehung ist; in Rücksicht auf die Gemeinschaft aller Teilhaber und ihr Verhältnis zu dem, der zuerst ihre Religion gestiftet hat, weil er zuerst jene Anschauung im Mittelpunkt der Religion sah, eine eigne Schule und Jüngerschaft. Und wenn nur in und durch solche bestimmte Formen die Religion dargestellt wird, so hat auch nur der, welcher sich mit der seinigen in einer solchen niederläßt, eigentlich einen festen Wohnsitz und daß ich so sage ein aktives Bürgerrecht in der religiösen Welt, nur Er kann sich rühmen zum Dasein und zum Werden des Ganzen etwas beizutragen; nur Er ist eine eigne religiöse Person mit einem Charakter und festen und bestimmten Zügen.

Muß also doch Jeder, werdet Ihr ziemlich bestürzt fragen, in dessen Religion eine Anschauung die herrschende ist, zu einer von den vorhandenen Formen gehören? Mit nichten; aber eine Anschauung muß in seiner Religion die herrschende sein, sonst ist sie so gut als Nichts. Habe ich denn von zwei oder drei bestimmten Gestalten geredet, und gesagt daß sie die einzigen bleiben sollen? Unzählige sollen sich ja entwickeln von allen Punkten aus, und derjenige der sich nicht in eine von den schon vorhandenen schickt, ich möchte[145] sagen, der nicht imstande gewesen wäre, sie selbst zu machen, wenn sie noch nicht existiert hätte, der wird gewiß auch zu keiner von ihnen gehören, sondern eine neue machen. Bleibt er allein damit und ohne Jünger: es schadet nicht. Immer und überall existieren Keime desjenigen, was noch zu keinem weiter ausgebreiteten Dasein gelangen kann: aber sie existieren doch, und so existiert auch seine Religion, und hat ebensogut eine bestimmte Gestalt und Organisation, ist ebensogut eine eigene positive Religion als ob er die größte Schule gestiftet hätte. Ihr seht, daß diese vorhandenen Formen keinen Menschen durch ihr früheres Dasein hindern, sich eine Religion seiner eigenen Natur und seinem Sinn gemäß auszubilden. Ob er in einer von ihnen wohnen, oder eine eigne erbauen werde, das hängt lediglich davon ab welche Anschauung des Universums ihn zuerst mit rechter Lebhaftigkeit ergreift. Dunkle Ahndungen, welche ohne das Innere des Gemüts zu durchdringen unerkannt wieder verschwinden, und wohl jeden Menschen oft und früher umschweben, mögen vom Hörensagen entstehn, und bleiben ohne Beziehung, sind auch nichts individuelles; aber wenn Einem der Sinn fürs Universum in einem klaren Bewußtsein und in einer bestimmten Anschauung für immer aufgeht, so bezieht er auf diese hernach Alles, um sie her gestaltet sich Alles, durch diesen Moment wird seine Religion bestimmt, und ich hoffe Ihr werdet nicht sagen daß darauf etwas Natürliches oder Ererbtes Einfluß haben könne, und Ihr werdet auch nicht meinen, die Religion eines Menschen sei deshalb weniger eigentümlich und weniger die seinige, wenn sie in einer Gegend liegt wo schon Mehrere versammelt sind. Wenn aber auch Tausende vor ihm, mit ihm und nach ihm ihr religiöses Leben mit derselben Anschauung anfangen, wird es deswegen in Allen dasselbe sein, und wird sich die Religion in Allen gleich bilden? Erinnert Euch doch, daß in jeder bestimmten Form der Religion nicht etwa nur eine beschränkte Anzahl von Anschauungen zu derselben Ansicht und Beziehung auf Eine gestattet werden solle, sondern die ganze unendliche Menge derselben: gewährt das nicht einem Jeden Spielraum genug? Ich wüßte nicht, daß es schon einer einzigen gelungen wäre, ihr ganzes Gebiet in Besitz zu nehmen[146] und Alles ihrem Geiste gemäß zu bestimmen und darzustellen: Wenigen nur ist es vergönnt gewesen in der Zeit ihrer Freiheit und ihres besseren Lebens nur das Nächste am Mittelpunkt recht auszubilden und zu vollenden. Die Ernte ist groß, und der Arbeiter sind wenige. Ein unendliches Feld ist eröffnet in jeder dieser Religionen, worin Tausende sich zerstreuen mögen; unbebaute Gegenden genug werden sich dem Auge eines Jeden darstellen, der etwas eigenes zu schaffen und hervorzubringen fähig ist, und heilige Blumen duften und prangen in allen Gegenden wohin noch keiner gedrungen ist um sie zu betrachten und zu genießen.

Aber so wenig ist Euer Vorwurf, als ob innerhalb einer positiven Religion der Mensch die seinige nicht mehr eigentümlich ausbilden könnte, gegründet, daß sie nicht nur, wie Ihr eben gesehen habt, für einen Jeden Raum genug lassen: sondern daß auch gerade insofern der Mensch in eine positive Religion eintritt und aus demselben Grunde, die seinige noch in einem andern Sinne ein besonderes Individuum nicht nur sein kann, sondern auch von selbst werden wird. Betrachtet noch einmal den erhabenen Augenblick in welchem der Mensch überhaupt zuerst in das Gebiet der Religion eintritt. Die erste bestimmte religiöse Ansicht, die in sein Gemüt mit einer solchen Kraft eindringt, daß durch einen einzigen Reiz sein Organ fürs Universum zum Leben gebracht und von nun an auf immer in Tätigkeit gesetzt wird, bestimmt freilich seine Religion; sie ist und bleibt seine Fundamental-Anschauung in Beziehung auf welche er Alles ansehen wird, und es ist im Voraus bestimmt, in welcher Gestalt ihm jedes Element der Religion sobald er es wahrnimmt, erscheinen muß. Das ist die objektive Seite dieses Moments; seht aber auch auf die subjektive: so wie durch ihn in jener Rücksicht seine Religion insofern bestimmt wird, daß sie zu einem in Rücksicht des unendlichen Ganzen völlig geschloßnen Individuum gehört, aber doch nur als ein unbestimmtes Bruchstück desselben, denn nur mit mehreren vereint kann es das Ganze darstellen: so wird durch denselben Moment auch seine Religiosität in Rücksicht der unendlichen religiösen Anlage der Menschheit als ein ganz eignes und neues Individuum zur Welt gebracht. Dieser Augenblick ist nämlich zugleich[147] ein bestimmter Punkt in seinem Leben, ein Glied in der ihm ganz eigentümlichen Reihe geistiger Tätigkeiten, eine Begebenheit, die, wie jede andere, in einem bestimmten Zusammenhange steht mit einem Vorher, einem Jetzt und Nachher; und da dieses Vorher und Jetzt in Jedem Einzelnen etwas ganz eigentümliches ist, so wird es das Nachher auch; da sich an diesen Moment und an den Zustand, in welchem er das Gemüt überraschte und an seinen Zusammenhang mit dem früheren dürftigern Bewußtsein das ganze folgende religiöse Leben anknüpft und sich gleichsam genetisch daraus entwickelt: so hat es auch in jedem Einzelnen eine eigene durchaus bestimmte Persönlichkeit, so wie sein menschliches Leben selbst. So wie, indem ein Teil des unendlichen Bewußtseins sich losreißt und als ein endliches an einen bestimmten Moment in der Reihe organischer Evolutionen sich anknüpft, ein neuer Mensch entsteht, ein eignes Wesen, dessen abgesondertes Dasein unabhängig von der Menge und der objektiven Beschaffenheit seiner Begebenheiten und Handlungen, in der Einheit des fortdauernden und an jenen ersten Moment sich anschließenden Bewußtseins, und in der eigentümlichen Beziehung jedes Späteren auf ein bestimmtes Früheres, und in dem Einfluß dieses Früheren auf die Bildung des Späteren besteht: so entsteht auch in jenem Augenblick, in welchem ein bestimmtes Bewußtsein des Universums anhebt, ein eignes religiöses Leben, eigen, nicht durch unwiderrufliche Beschränkung auf eine besondere Anzahl und Auswahl von Anschauungen und Gefühlen, nicht durch die Beschaffenheit des darin vorkommenden religiösen Stoffs, den er mit Allen gemein hat, welche mit ihm zu derselben Zeit und in derselben Gegend der Religion geistig geboren sind; sondern durch das, was er mit Keinem gemein haben kann, durch den immerwährenden Einfluß des Zustandes, in welchem sein Gemüt zuerst vom Universum begrüßt und umarmt worden ist, durch die eigne Art wie er die Betrachtung desselben und die Reflexion darüber verarbeitet, durch den Charakter und Ton, in welchen dies die ganze folgende Reihe seiner religiösen Ansichten und Gefühle hineinstimmt, und welcher sich nie verliert, wie weit er auch hernach in der Anschauung des Universums fortschreitet[148] über das hinaus, was die erste Kindheit seiner Religion ihm darbot. Wie jedes intellektuelle endliche Wesen seine geistige Natur und seine Individualität dadurch beurkundet daß es Euch auf jene Vermählung des Unendlichen mit dem Endlichen als auf seinen Ursprung zurückführt, auf jenes unbegreifliche Faktum über welches hinaus Ihr die Reihe des Endlichen nicht weiter verfolgen könnt, und wobei Eure Phantasie Euch versagt wenn Ihr es aus irgend etwas Früherem, es sei Willkür oder Natur, erklären wollt: ebenso müßt Ihr Jedem ein eigentümliches geistiges Leben zugestehen, der Euch als Dokument seiner religiösen Individualität ein ebenso unbegreifliches Faktum aufzeigt wie auf einmal mitten unter dem Endlichen und Einzelnen das Bewußtsein des Unendlichen und des Ganzen sich ihm entwickelt hat. Jeden, der so den Geburtstag seines geistigen Lebens angeben und eine Wundergeschichte erzählen kann vom Ursprung seiner Religion, die als eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit und als eine Regung ihres Geistes erscheint, müßt Ihr auch dafür ansehn daß er etwas eigenes sein und daß etwas besonderes mit ihm gesagt sein soll: denn so etwas geschieht nicht, um eine leere Dublette hervorzubringen im Reich der Religion. Und so wie jedes auf jene Art entstandene Wesen nur aus sich erklärt, und nie ganz verstanden werden kann, wenn Ihr nicht so weit als möglich auf die ersten Äußerungen der Willkür in den frühesten Zeiten zurückgeht: so ist auch die religiöse Persönlichkeit eines Jeden ein geschlossenes Ganze und ihr Verstehen beruht darauf daß Ihr die ersten Offenbarungen derselben zu erforschen sucht. Darum glaube ich auch, daß es Euch nicht Ernst ist mit dieser ganzen Klage gegen die positiven Religionen; es ist wohl nur ein vorgefaßter Begriff: denn Ihr seid viel zu sorglos um die Sache als daß Ihr dazu berechtigt sein solltet. Ihr habt wohl nie den Beruf gefühlt Euch anzuschmiegen an die wenigen religiösen Menschen, die Ihr vielleicht sehen könnt – obgleich sie immer anziehend und liebenswert genug sind – um etwa durch das Mikroskop der Freundschaft oder der näheren Kenntnis die ihr wenigstens ähnlich sieht genauer zu untersuchen wie sie fürs Universum und durch dasselbe organisiert sind. Mir, der ich sie fleißig betrachtet[149] habe, der ich sie ebenso mühsam aufsuche und mit eben der heiligen Sorgfalt beobachte, welche Ihr den Seltenheiten der Natur widmet, mir ist es oft eingefallen, ob nicht schon das Euch zur Religion führen könnte, wenn Ihr nur Acht darauf gäbet, wie allmächtig die Gottheit den Teil der Seele in welchem sie vorzüglich wohnt, in welchem sie sich in ihren unmittelbaren Wirkungen offenbart und sich selbst beschaut, auch als ihr Allerheiligstes ganz eigen erbaut und absondert von allem was sonst im Menschen gebaut und gebildet wird, und wie sie sich darin durch die unerschöpflichste Mannigfaltigkeit der Formen in ihrem ganzen Reichtum verherrlicht. Ich wenigstens bin immer aufs neue erstaunt über die vielen merkwürdigen Bildungen auf dem so wenig bevölkerten Gebiet der Religion, wie sie sich voneinander unterscheiden durch die verschiedensten Abstufungen der Empfänglichkeit für den Reiz desselben Gegenstandes und durch die größte Verschiedenheit dessen was in ihnen gewirkt wird, durch die Mannigfaltigkeit des Tons den die entschiedene Übermacht der einen oder der andern Art von Gefühlen hervorbringt und durch allerlei Idiosynkrasien der Reizbarkeit und Eigentümlichkeiten der Stimmung, indem bald Jeder seine eigene Situation hat worin die religiöse Ansicht der Dinge ihn vorzüglich beherrscht. Dann wieder wie der religiöse Charakter des Menschen oft etwas ganz eigentümliches in ihm ist, wie abgeschieden von Allem was er in seinen übrigen Anlagen entdeckt, wie das ruhigste und nüchternste Gemüt hier des stärksten der Leidenschaft ähnlichen Affektes fähig ist; wie der stumpfste Sinn für gemeine und irdische Dinge hier innig fühlt bis zur Wehmut und klar sieht bis zur Entzückung und Weissagung; wie der schüchternste Mut in allen weltlichen Angelegenheiten von heiligen Dingen und für sie oft bis zum Märtyrertum laut durch die Welt und das Zeitalter hindurch spricht. Und wie wunderbar oft dieser religiöse Charakter selbst geartet und zusammengesetzt ist, Bildung und Rohheit, Kapazität und Beschränkung, Zartheit und Härte in jedem auf eine eigne Weise untereinander gemischt und ineinander verschlungen. Wo ich alle diese Gestalten gesehen habe? In dem eigentlichen Gebiet der Religion, in ihren bestimmten Formen in den positiven Religionen[150] die Ihr für das Gegenteil verschreit, unter den Heroen und Märtyrern eines bestimmten Glaubens, unter den Schwärmern für bestimmte Gefühle, unter den Verehrern eines bestimmten Lichtes und individueller Offenbarungen, da will ich sie Euch zeigen zu allen Zeiten und unter allen Völkern. Auch ist es nicht anders, nur da können sie anzutreffen sein. So wie kein Mensch als Individuum zur Existenz kommen kann ohne zugleich durch denselben Aktus auch in eine Welt, in eine bestimmte Ordnung der Dinge und unter einzelne Gegenstände versetzt zu werden; so kann auch ein religiöser. Mensch zu seiner Individualität nicht gelangen, er wohne denn durch dieselbe Handlung sich auch ein in irgendeine bestimmte Form der Religion. Beides ist die Wirkung eines und desselben Momentes, und kann also Eins vom Andern nicht getrennt werden. Wenn eines Menschen ursprüngliche Anschauung des Universums nicht Kraft genug hat sich selbst zum Mittelpunkt seiner Religion zu machen um den sich Alles in ihr bewegt, so wirkt auch ihr Reiz nicht stark genug um den Prozeß eines eignen und rüstigen religiösen Lebens einzuleiten.

Und nun ich Euch diese Rechenschaft abgelegt habe, so sagt mir doch auch wie es in Eurer gerühmten natürlichen Religion um diese persönliche Ausbildung und Individualisierung steht? Zeiget mir doch unter ihren Bekennern auch eine so große Mannigfaltigkeit stark gezeichneter Charaktere! Denn ich muß gestehen, ich selbst habe sie unter ihnen niemals finden können, und wenn Ihr rühmt daß sie ihren Anhängern mehr Freiheit gewähre sich nach eignem Sinn religiös zu bilden, so kann ich mir nichts anders darunter denken als – wie denn das Wort oft so gebraucht wird – die Freiheit auch ungebildet zu bleiben, die Freiheit von jeder Nötigung nur überhaupt irgend etwas bestimmtes zu sein, zu sehen und zu empfinden. Die Religion spielt doch in ihrem Gemüt eine gar zu dürftige Rolle. Es ist als ob sie gar keinen eignen Puls, kein eignes System von Gefäßen, keine eigne Zikulation und also auch keine eigne Temperatur, und keine assimilierende Kraft für sich hätte, und keinen Charakter; sie ist überall mit ihrer Sittlichkeit und ihrer natürlichen Empfindsamkeit vermischt; in Verbindung mit denen,[151] oder vielmehr ihnen demütig nachtretend, bewegt sie sich träge und sparsam, und wird nur gelegentlich tropfenweise abgeschieden von jenen zum Zeichen ihres Daseins. Zwar ist mir mancher achtungswerte und kräftige religiöse Charakter vorgekommen, den die Bekenner der positiven Religionen, nicht ohne sich über das Phänomen zu verwundern, für einen Bekenner der natürlichen ausgaben: aber genau betrachtet erkannten ihn diese nicht mehr für ihresgleichen; er war immer schon etwas von der ursprünglichen Reinheit der Vernunftreligion abgewichen und hatte einiges Willkürliche und Positive in die seinige aufgenommen, was nur Jene nicht erkannten, weil es von dem ihrigen zu sehr verschieden war. Warum mißtrauen sie gleich Jedem der etwas eigentümliches in seine Religion bringt? Sie wollen eben auch Alle gleichförmig sein – nur entgegengesetzt dem Extrem auf der andern Seite, den Sektierern meine ich – gleichförmig im Unbestimmten. So wenig ist an eine besondere persönliche Ausbildung zu denken in der natürlichen Religion, daß ihre echtesten Verehrer nicht einmal mögen, daß die Religion des Menschen eine eigene Geschichte haben und mit einer Denkwürdigkeit anfangen soll. Das ist ihnen schon zu viel: denn Mäßigkeit ist ihre Hauptsache in der Religion, und wer so Etwas von sich zu sagen weiß kommt schon in den üblen Geruch, daß er einen Ansatz habe zum leidigen Fanatismus, Nach und nach soll der Mensch religiös werden, wie er klug und verständig wird und Alles andere was er sein soll; durch den Unterricht und die Erziehung soll ihm das Alles kommen; nichts muß dabei sein was für übernatürlich oder auch nur für sonderbar könnte gehalten werden. Ich will nicht sagen, daß mir das, von wegen des Unterrichts und der Erziehung die Alles sein sollen, den Verdacht beibringt, als sei die natürliche Religion ganz vorzüglich von jenem Übel einer Vermischung, ja gar einer Verwandlung in Philosophie und Moral befallen; aber das ist doch klar, daß sie nicht von irgendeiner lebendigen Anschauung ausgegangen sind, und daß auch keine ihr fester Mittelpunkt ist, weil sie gar nichts wissen unter sich, wovon der Mensch auf eine eigne Weise müßte ergriffen werden. Der Glaube an einen persönlichen Gott, das wissen sie selbst, ist nicht das Resultat[152] einer bestimmten einzelnen Anschauung des Universums im Endlichen; darum fragen sie auch Keinen, der ihn hat, wie er dazu gekommen sei; sondern so wie sie ihn demonstrieren wollen, meinen sie auch, er müsse Allen andemonstriert sein. Sonst einen andern und bestimmteren Mittelpunkt, den sie hätten, möchtet Ihr wohl schwerlich aufzeigen können. Das Wenige, was ihre magre und dünne Religion enthält steht für sich in unbestimmter Vieldeutigkeit da: sie haben eine Vorsehung überhaupt, eine Gerechtigkeit überhaupt, eine göttliche Erziehung überhaupt; alle diese Anschauungen sehen sie gegeneinander bald in dieser bald in jener Perspektive und Verkürzung, und sie gelten ihnen bald Dies bald Jenes; oder wenn ja eine gemeinschaftliche Beziehung auf einen Punkt darin anzutreffen ist, so liegt dieser Punkt außerhalb der Religion, und es ist eine Beziehung auf etwas fremdes, darauf daß die Sittlichkeit ja nicht gehindert werde, und daß der Trieb nach Glückseligkeit einige Nahrung erhalte – Dinge wornach wahrhaft religiöse Menschen bei der Konstruktion der Elemente ihrer Religion niemals gefragt haben, Beziehungen wodurch ihr kärgliches religiöses Eigentum noch mehr zerstreut und auseinander getrieben wird. Sie hat also für ihre religiösen Anschauungen keine Einheit einer bestimmten Ansicht, diese natürliche Religion, sie ist also auch keine bestimmte Form, keine eigne individuelle Darstellung der Religion, und die, welche nur sie bekennen, haben keinen bestimmten Wohnsitz in ihrem Reich, sondern sind Fremdlinge, deren Heimat, wenn sie eine haben, woran ich zweifle, anderswo liegen muß. Sie kommt mir vor wie die Masse, welche zwischen den Weltsystemen dünn und zerstreut schweben soll, hier von dem einen, dort von dem andern ein wenig angezogen; aber von keinem stark genug, um in seinen Wirbel fortgerissen zu werden. Wozu sie da ist, mögen die Götter wissen; es müßte denn sein, um zu zeigen, daß auch das Unbestimmte auf gewisse Weise existieren kann. Eigentlich aber ist es doch nur ein Warten auf die Existenz, zu der sie nicht anders kommen könnten, als wenn eine Gewalt stärker als jede bisherige und auf andere Weise sie ergriffe. Mehr kann ich ihnen nicht zugestehn, als die dunkeln Ahndungen, welche jener lebendigen Anschauung[153] vorangehn, die dem Menschen sein religiöses Leben auftut. Es gibt gewisse dunkle Regungen und Vorstellungen, die gar nicht mit der Persönlichkeit eines Menschen zusammenhängen, sondern gleichsam nur die Zwischenräume derselben ausfüllen, und in Allen gleichförmig eben dasselbe sind: so ist ihre Religion. Höchstens ist sie Naturreligion in dem Sinne wie man auch sonst, wenn man von Naturphilosophie und Naturpoesie redet, den Äußerungen des rohen Instinkts diesen Namen vorsetzt, um sie von der Kunst und Bildung zu unterscheiden. Aber auf das Bessere warten sie nicht etwa, und achten es höher im Gefühl es nicht erreichen zu können: sondern sie widersetzen sich ihm aus allen Kräften. Das Wesen der natürlichen Religion besteht ganz eigentlich in der Negation alles Positiven und Charakteristischen in der Religion, und in der heftigsten Polemik dagegen. Darum ist sie auch das würdige Produkt des Zeitalters, dessen Steckenpferd eine erbärmliche Allgemeinheit und eine leere Nüchternheit war, die mehr als irgend etwas in allen Dingen der wahren Bildung entgegenarbeitet. Zweierlei hassen sie ganz vorzüglich: sie wollen nirgends beim Außerordentlichen und Unbegreiflichen anfangen; und was sie auch sein und treiben mögen, so soll nirgends eine Schule hervorschmecken. Das ist das Verderben, welches Ihr in allen Künsten und Wissenschaften findet, es ist auch in die Religion gedrungen, und sein Produkt ist dies gehaltleere und formlose Ding. Autochthonen und Autodidakten möchten sie sein in der Religion; aber sie haben nur das Rohe und Ungebildete von diesen: das Eigentümliche hervorzubringen haben sie weder Kraft noch Willen. Sie sträuben sich gegen jede bestimmte Religion welche da ist, weil sie doch zugleich eine Schule ist; aber wenn es möglich wäre, daß ihnen selbst etwas begegnete, wodurch eine eigne Religion sich in ihnen gestalten wollte, würden sie sich eben so heftig dagegen auflehnen, weil doch eine Schule daraus entstehen könnte. Und so ist ihr Sträuben gegen das Positive und Willkürliche zugleich ein Sträuben gegen Alles Bestimmte und Wirkliche. Wenn eine bestimmte Religion nicht mit einem Faktum anfangen soll, kann sie gar nicht anfangen: denn ein Grund muß doch da sein, und es kann nur ein subjektiver sein,[154] warum irgend etwas hervorgezogen und in die Mitte gestellt wird; und wenn eine Religion nicht eine bestimmte sein soll, so ist sie gar keine, sondern nur loser unzusammenhängender Stoff. Erinnert Euch, was die Dichter von einem Zustande der Seelen vor der Geburt reden: wenn sich eine solche gewaltsam wehren wollte in die Welt zu kommen, weil sie eben nicht Dieser und Jener sein möchte, sondern ein Mensch überhaupt; diese Polemik gegen das Leben ist die Polemik der natürlichen Religion gegen die positiven, und dies ist der permanente Zustand ihrer Bekenner.

Zurück also, wenn es Euch Ernst ist die Religion in ihren bestimmten Gestalten zu betrachten, von dieser erleuchteten zu den verachteten positiven Religionen, wo Alles wirklich, kräftig und bestimmt erscheint; wo jede einzelne Anschauung ihren bestimmten Gehalt und ein eignes Verhältnis zu den übrigen, jedes Gefühl seinen eignen Kreis und seine besondere Beziehung hat; wo Ihr jede Modifikation der Religiosität irgendwo antrefft, und jeden Gemütszustand in welchen nur die Religion den Menschen versetzen kann; wo Ihr jeden Teil derselben irgendwo ausgebildet und jede ihrer Wirkungen irgendwo vollendet findet; wo alle gemeinschaftliche Anstalten und alle einzelne Äußerungen den hohen Wert beweisen, der auf die Religion gelegt wird bis zum Vergessen alles übrigen; wo der heilige Eifer, mit welchem sie betrachtet, mitgeteilt, genossen wird, und die kindliche Sehnsucht mit welcher man neuen Offenbarungen himmlischer Kräfte entgegensieht Euch dafür bürgen, daß keines von ihren Elementen, welches von diesem Punkt aus schon wahrgenommen werden konnte, übersehen worden, und keiner von ihren Momenten verschwunden ist ohne ein Denkmal zurückzulassen. Betrachtet alle die mannigfaltigen Gestalten, in welcher jede einzelne Art das Universum anzuschauen schon erschienen ist; laßt Euch nicht zurückschrecken weder durch geheimnisvolle Dunkelheit, noch durch wunderbare groteske Züge, und gebet dem Wahn nicht Raum, als möchte Alles nur Phantasie und Dichtung sein: grabet nur immer tiefer, wo Euer magischer Stab einmal angeschlagen hat. Ihr werdet gewiß das Himmlische zutage fördern. Aber, daß Ihr ja auch auf das Menschliche seht, was die Göttliche annehmen mußte;[155] daß Ihr ja nicht aus der Acht laßt, wie sie überall die Spuren von der Bildung jedes Zeitalters, von der Geschichte jeder Menschenart an sich trägt, wie sie oft in Knechtsgestalt einhergehen mußte, an ihren Umgebungen und an ihrem Schmuck der Dürftigkeit ihrer Schüler und ihres Wohnsitzes zur Schau tragend, damit Ihr gebührend absondert und scheidet; daß Ihr ja nicht übersehet wie sie oft beschränkt worden ist in ihrem Wachstum, weil man ihr nicht Raum ließ ihre Kräfte zu üben, wie sie oft in der ersten Kindheit kläglich vergangen ist an schlechter Behandlung und an Atrophie. Und wenn Ihr das Ganze umfassen wollt, so bleibt ja nicht allein bei denen Gestalten der Religion stehn, welche jahrhundertelang geglänzt und große Völker beherrscht haben, und durch Dichter und Weise vielfach verherrlicht worden sind: was historisch und religiös das merkwürdigste war, ist oft nur unter Wenige geteilt und dem gemeinen Blick verborgen geblieben.

Wenn Ihr aber auch auf diese Art die rechten Gegenstände und diese ganz und vollständig ins Auge faßt, wird es immer noch ein schwieriges Geschäft sein den Geist der Religionen zu entdecken und sie durchaus zu verstehen. Noch einmal warne ich Euch, ihn nicht abstrahieren zu wollen aus dem, was Allen, die eine bestimmte Religion bekennen, gemeinschaftlich ist: Ihr verirrt Euch in tausend vergeblichen Nachforschungen auf diesem Wege, und kommt am Ende immer anstatt des Geistes der Religion auf ein bestimmtes Quantum von Stoff; Ihr müßt Euch erinnern, daß keine je ganz wirklich geworden ist, und daß Ihr sie nicht eher kennt, bis Ihr, weit entfernt sie in einem beschränkten Raume zu suchen, selbst imstande seid sie zu ergänzen, und zu bestimmen, wie dies und jenes in ihr geworden sein müßte, wenn ihr Gesichtskreis so weit gereicht hätte; Ihr könnt es Euch nicht fest genug einprägen, daß Alles nur darauf ankommt ihre Grundanschauung zu finden, daß Euch alle Kenntnis vom Einzelnen nichts hilft solange Ihr diese nicht habt, und daß Ihr sie nicht eher habt bis Ihr alles Einzelne aus Einem erklären könnt. Und selbst mit dieser Regel der Untersuchung, die doch nur ein Prüfstein ist, werdet Ihr tausend Verirrungen ausgesetzt sein: Vieles wird Euch entgegenkommen[156] gleichsam absichtlich um Euch zu verführen. Vieles wird sich Euch in den Weg stellen, um Euer Auge auf eine falsche Seite zu richten. Vor allen Dingen bitte ich Euch, den Unterschied ja nicht aus den Augen zu lassen zwischen dem, was das Wesen einer einzelnen Religion ausmacht sofern sie eine bestimmte Form und Darstellung derselben überhaupt ist, und dem, was ihre Einheit als Schule bezeichnet und sie als solche zusammenhält. Religiöse Menschen sind durchaus historisch: das ist nicht ihr kleinstes Lob; aber es ist auch die Quelle großer Mißverständnisse. Der Moment in welchem sie selbst von der Anschauung erfüllt worden sind, welche sich zum Mittelpunkt ihrer Religion gemacht hat, ist ihnen immer heilig; er erscheint ihnen als eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit, und sie reden nie von dem was ihnen eigentümlich ist in der Religion, und von der Gestalt die sie in ihnen gewonnen hat, ohne auf ihn hinzuweisen. Ihr könnt also denken, wie viel heiliger noch ihnen der Moment sein muß, in welchem diese unendliche Anschauung überhaupt zuerst in der Welt als Fundament und Mittelpunkt einer eignen Religion aufgestellt worden ist, da an diesen die ganze Entwicklung dieser Religion in allen Generationen und Individuen sich eben so historisch anknüpft, und doch dieses Ganze der Religion und die religiöse Bildung einer großen Masse der Menschheit etwas unendlich größeres ist, als ihr eignes religiöses Leben und das kleine Fragment dieser Religion, welches sie persönlich darstellen. Dieses Faktum verherrlichen sie also auf alle Weise, häufen darauf allen Schmuck der religiösen Kunst, beten es an, als die reichste und wohltätigste Wunderwirkung des Höchsten, und reden nie von ihrer Religion, stellen nie eins von ihren Elementen auf, ohne es in Verbindung mit diesem Faktum zu setzen und so darzustellen. Wenn also die beständige Erwähnung desselben alle Äußerungen der Religion begleitet, und ihnen eine eigene Farbe gibt; so ist nichts natürlicher, als dieses Faktum mit der Grundanschauung der Religion selbst zu verwechseln; dies hat nur nicht Alle verführt, und die Ansicht fast aller Religionen verschoben. Vergeßt also nie, daß die Grundanschauung einer Religion nichts sein kann, als irgendeine Anschauung des Unendlichen im Endlichen,[157] irgendein allgemeines Element der Religion; welches in allen andern aber auch vorkommen darf, und wenn sie vollständig sein sollten, vorkommen müßte, nur daß es in ihnen nicht in den Mittelpunkt gestellt ist. – Ich bitte Euch, nicht Alles, was Ihr bei den Heroen der Religion oder in den heiligen Urkunden findet für Religion zu halten, und den unterscheidenden Geist darin zu suchen. Nicht Kleinigkeiten meine ich damit, wie Ihr leicht denken könnt, noch solche Dinge, die nach jedes Ermessen der Religion ganz fremd sind, sondern das, was oft mit ihr verwechselt wird. Erinnert Euch wie absichtslos jene Urkunden verfertigt sind, daß unmöglich darauf gesehen werden konnte alles daraus zu entfernen was nicht Religion ist, und bedenkt, wie jene Männer in allerlei Verhältnissen gelebt haben in der Welt, und unmöglich bei jedem Wort, was sie sprachen, sagen konnten: das ist nicht Religion, und wenn sie also Weltklugheit und Moral reden, oder Metaphysik und Poesie, so meint nicht das müsse auch in die Religion hineingezwängt werden, und darin müsse auch ihr Charakter zu suchen sein. Die Moral soll wenigstens überall nur Eine sein, und nach ihren Verschiedenheiten, welche also immer etwas sind, das hinweggetan werden soll, können sich die Religionen nicht unterscheiden, die nicht überall Eine sein sollen. – Mehr als Alles aber bitte ich Euch, laßt Euch nicht verführen von den beiden feindseligen Prinzipien, die überall, und fast von den ersten Zeiten an, den Geist jeder Religion haben zu entstellen und zu verstecken gesucht. Überall hat es sehr bald Solche gegeben, die ihn in einzelnen Lehrsätzen haben umgrenzen, und das, was noch nicht ihm gemäß zur Religion gebildet war, von ihr ausschließen wollen, und Solche, die, es sei nun aus Haß gegen die Polemik, oder um die Religion den Irreligiösen angenehmer zu machen, oder aus Unverstand und Unkenntnis der Sache und aus Mangel an Sinn, alles Eigentümliche als toten Buchstaben verschreien, um aufs Unbestimmte loszugehn. Vor Beiden hütet Euch: bei steifen Systematikern, bei seichten Indifferentisten werdet Ihr den Geist einer Religion nicht finden; sondern bei denen, die in ihr leben als in ihrem Element, und sich immer weiter in ihr bewegen, ohne den Wahn zu nähren, daß sie sie ganz umfassen könnten.[158]

Ob es Euch mit diesen Vorsichtsmaßregeln gelingen wird, den Geist der Religionen zu entdecken? Ich weiß es nicht: aber ich fürchte daß auch Religion nur durch sich selbst verstanden werden kann, und daß Euch ihre besondere Bauart und ihr charakteristischer Unterschied nicht eher klar werden wird, bis Ihr selbst irgendeiner angehört. Wie es Euch glücken mag die rohen und ungebildeten Religionen entfernter Völker zu entziffern, oder die vielerlei religiösen Individuen auszusondern, welche in der schönen Mythologie der Griechen und Römer eingewickelt liegen, das läßt mich sehr gleichgültig, mögen ihre Götter Euch geleiten; aber wenn Ihr Euch dem Allerheiligsten nähert, wo das Universum in seiner höchsten Einheit angeschaut wird, wenn Ihr die verschiedenen Gestalten der systematischen Religionen betrachten wollt, nicht die ausländischen und fremden, sondern die welche unter uns noch mehr oder minder vorhanden sind: so kann es mir nicht gleichgültig sein, ob Ihr den rechten Punkt findet, von dem Ihr sie ansehen müßt.

Zwar sollte ich nur von Einer reden: denn der Judaismus ist schon lange eine tote Religion, und diejenigen, welche jetzt noch seine Farbe tragen, sitzen eigentlich klagend bei der unverweslichen Mumie, und weinen über sein Hinscheiden und seine traurige Verlassenschaft. Auch rede ich nicht deswegen von ihm, weil er etwa der Vorläufer des Christentums wäre: ich hasse in der Religion diese Art von historischen Beziehungen, ihre Notwendigkeit ist eine weit höhere und ewige, und jedes Anfangen in ihr ist ursprünglich: aber er hat einen so schönen kindlichen Charakter, und dieser ist so gänzlich verschüttet, und das Ganze ein so merkwürdiges Beispiel von der Korruption und vom gänzlichen Verschwinden der Religion aus einer großen Masse, in der sie sich ehedem befand. Nehmt einmal alles Politische, und so Gott will, Moralische hinweg, wodurch er gemeiniglich charakterisiert wird; vergeßt das ganze Experiment den Staat anzuknüpfen an die Religion, daß ich nicht sage an die Kirche; vergeßt daß das Judentum gewissermaßen zugleich ein Orden war, gegründet auf eine alte Familiengeschichte, aufrecht erhalten durch die Priester; seht bloß auf das eigentlich Religiöse darin, wozu dies Alles nicht gehört, und sagt mir welches ist[159] die überall hindurchschimmernde Idee des Universums? Keine andere, als die von einer allgemeinen unmittelbaren Vergeltung, von einer eigenen Reaktion des Unendlichen gegen Jedes einzelne Endliche, das aus der Willkür hervorgeht, durch ein anderes Endliches, das nicht als aus der Willkür hervorgehend angesehen wird. So wird alles betrachtet, Entstehen und Vergehen, Glück und Unglück, selbst nur innerhalb der menschlichen Seele wechselt immer eine Äußerung der Freiheit und Willkür und eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit; alle andere Eigenschaften Gottes, welche auch angeschaut werden, äußern sich nach dieser Regel, und werden immer in der Beziehung auf diese gesehen; belohnend, strafend, züchtigend das Einzelne im Einzelnen, so wird die Gottheit durchaus vorgestellt. Als die Jünger einmal Christum fragten: Wer hat gesündigt, diese oder ihre Väter, und er ihnen antwortete: meint Ihr, daß diese mehr gesündigt haben als Andere. – Das war der religiöse Geist des Judentums in seiner schneidendsten Gestalt, und das war seine Polemik dagegen. Daher der sich überall durchschlingende Parallelismus, der keine zufällige Form ist, und das Ansehen des Dialogischen, welches in Allem was religiös ist, angetroffen wird. Die ganze Geschichte, so wie sie ein fortdauernder Wechsel zwischen diesem Reiz und dieser Gegenwirkung ist, wird sie vorgestellt als ein Gespräch zwischen Gott und den Menschen in Wort und Tat, und alles was vereinigt ist, ist es nur durch die Gleichheit in dieser Behandlung. Daher die Heiligkeit der Tradition in welcher der Zusammenhang dieses großen Gesprächs enthalten war, und die Unmöglichkeit zur Religion zu gelangen als nur durch die Einweihung in diesem Zusammenhang, und noch in späten Zeiten der Streit unter den Sekten ob sie im Besitz dieses fortgehenden Gesprächs wären. Eben von dieser Ansicht rührt es her, daß in der jüdischen Religion die Gabe der Weissagung so vollkommen ausgebildet ist als in keiner andern; denn im Weissagen sind doch die Christen nur Kinder gegen sie. Diese ganze Idee nämlich ist höchst kindlich, nur auf einen kleinen Schauplatz ohne Verwickelungen berechnet, wo bei einem einfachen Ganzen die natürlichen Folgen der Handlungen nicht gestört oder gehindert[160] werden: je weiter aber die Bekenner dieser Religion vorrückten auf den Schauplatz der Welt, unter die Verbindung mit mehreren Völkern, desto schwieriger wurde die Darstellung dieser Idee, und die Phantasie mußte dem Allmächtigen das Wort, welches er erst sprechen wollte, vorwegnehmen, und sich den zweiten Teil desselben Moments, aus weiter Ferne vors Auge holen und Zeit und Raum dazwischen vernichten. Das ist eine Weissagung, und das Streben darnach mußte notwendig so lange noch immer eine Haupterscheinung sein, als es möglich war jene Idee und mit ihr die Religion festzuhalten. Der Glaube an den Messias war ihre letzte mit großer Anstrengung erzeugte Frucht: ein neuer Herrscher sollte kommen um das Zion wo die Stimme des Herrn verstummet war in seiner Herrlichkeit wieder herzustellen, und durch die Unterwerfung der Völker unter das alte Gesetz sollte jener einfache Gang wieder allgemein werden in den Begebenheiten der Welt, der durch ihre unfriedliche Gemeinschaft, durch das Gegeneinandergerichtetsein ihrer Kräfte und durch die Verschiedenheit ihrer Sitten unterbrochen war. Er hat sich lange erhalten, wie oft eine einzelne Frucht, nachdem alle Lebenskraft aus dem Stamm gewichen ist, bis in die rauheste Jahreszeit an einem welken Stiel hängen bleibt und an ihm vertrocknet. Der eingeschränkte Gesichtspunkt gewährte dieser Religion, als Religion, eine kurze Dauer. Sie starb, als ihre heiligen Bücher geschlossen wurden, da wurde das Gespräch des Jehova mit seinem Volk als beendigt angesehen, die politische Verbindung, welche an sie geknüpft war, schleppte noch länger ein sieches Dasein, und ihr Äußeres hat sich noch weit später erhalten, die unangenehme Erscheinung einer mechanischen Bewegung nachdem Leben und Geist längst gewichen ist.

Herrlicher, erhabener, der erwachsenen Menschheit würdiger, tiefer eindringend in den Geist der systematischen Religion, weiter sich verbreitend über das ganze Universum ist die ursprüngliche Anschauung des Christentums. Sie ist keine andere, als die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und der Art wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt, wie sie die Feindschaft gegen sich vermittelt, und der größer werdenden[161] Entfernung Grenzen setzt durch einzelne Punkte über das Ganze ausgestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind. Das Verderben und die Erlösung, die Feinschaft und die Vermittlung, das sind die beiden unzertrennlich miteinander verbundenen Seiten dieser Anschauung, und durch sie wird die Gestalt alles religiösen Stoffs im Christentum und seine ganze Form bestimmt. Die physische Welt ist abgewichen von ihrer Vollkommenheit und unvergänglichen Schönheit mit immer verstärkten Schritten; aber alles Übel, selbst das, daß das Endliche vergehen muß ehe es den Kreis seines Daseins vollständig durchlaufen hat ist eine Folge des Willens, des selbstsüchtigen Strebens der individuellen Natur, die sich überall losreißt aus dem Zusammenhange mit dem Ganzen um etwas zu sein für sich; auch der Tod ist gekommen um der Sünde willen. Die moralische Welt ist vom Schlechten zum Schlimmeren fortschreitend, unfähig etwas hervorzubringen worin der Geist des Universums wirklich lebte, verfinstert der Verstand und abgewichen von der Wahrheit, verderbt das Herz und ermangelnd jedes Ruhmes vor Gott, verlöscht das Ebenbild des Unendlichen in jedem Teile der endlichen Natur. In Beziehung hierauf wird auch die göttliche Vorsehung in allen ihren Äußerungen angeschaut, nicht auf die unmittelbaren Folgen für die Empfindung gerichtet in ihrem Tun, nicht das Glück oder Leiden im Auge habend welches sie hervorbringt, nicht mehr einzelne Handlungen hindernd oder fördernd, sondern nur bedacht dem Verderben zu steuern in großen Massen, zu zerstören ohne Gnade was nicht mehr zurückzuführen ist, und neue Schöpfungen mit neuen Kräften aus sich selbst zu schwängern; so tut sie Zeichen und Wunder die den Lauf der Dinge unterbrechen und erschüttern, so schickt sie Gesandte in denen mehr oder weniger von ihrem eignen Geiste wohnt, um göttliche Kräfte auszugießen unter die Menschen. Ebenso wird auch die religiöse Welt vorgestellt. Auch indem es das Universum anschauen will strebt das Endliche ihm entgegen, sucht immer ohne zu finden und verliert was es gefunden hat, immer einseitig, immer schwankend, immer beim Einzelnen und Zufälligen stehn bleibend, und immer noch mehr wollend[162] als anschauen verliert es das Ziel seiner Blicke. Vergeblich ist jede Offenbarung. Alles wird verschlungen von irdischem Sinn, alles fortgerissen von dem inwohnenden irreligiösen Prinzip, und immer neue Veranstaltungen trifft die Gottheit, immer herrlichere Offenbarungen gehn durch ihre Kraft allein aus dem Schöße der alten hervor, immer erhabnere Mittler stellt sie auf zwischen sich und den Menschen, immer inniger vereinigt sie in jedem späteren Gesandten die Gottheit mit der Menschheit, damit durch sie und von ihnen die Menschen lernen mögen das ewige Wesen erkennen, und nie wird dennoch gehoben die alte Klage, daß der Mensch nicht vernimmt, was vom Geiste Gottes ist. Dieses, daß das Christentum in seiner eigentlichsten Grundanschauung am meisten und liebsten das Universum in der Religion und ihrer Geschichte anschaut, daß es die Religion selbst als Stoff für die Religion verarbeitet, und so gleichsam eine höhere Potenz derselben ist, das macht das unterscheidendste seines Charakters, das bestimmt seine ganze Form. Eben weil es ein irreligiöses Prinzip als überall verbreitet voraussetzt, weil dies einen wesentlichen Teil der Anschauung ausmacht auf welche Alles übrige bezogen wird, ist es durch und durch polemisch. – Polemisch in seiner Mitteilung nach außen, denn um sein innerstes Wesen klar zu machen, muß es jedes Verderben, es liege in den Sitten oder in der Denkungsart, vor allen Dingen aber das irreligiöse Prinzip selbst überall aufdecken. Ohne Schonung entlarvt es daher jede falsche Moral, jede schlechte Religion, jede unglückliche Vermischung von beiden wodurch ihre beiderseitige Blöße bedeckt werden soll, in die innersten Geheimnisse des verderbten Herzens dringt es ein und erleuchtet mit der heiligen Fackel eigner Erfahrung jedes Übel das im Finstern schleicht. So zerstörte es – und dies war fast seine erste Bewegung – die letzte Erwartung seiner nächsten Brüder und Zeitgenossen, und nannte es irreligiös und gottlos eine andere Wiederherstellung zu wünschen oder zu erwarten als die zur besseren Religion, zur höheren Ansicht der Dinge, und zum ewigen Leben in Gott. Kühn führt es die Heiden hinweg über die Trennung die sie gemacht hatten zwischen dem Leben und der Welt der Götter und der Menschen. Wer nicht in[163] dem Ewigen lebt, webt und ist, dem ist er völlig unbekannt, wer dies natürliche Gefühl, wer diese innere Anschauung verloren hat unter der Menge sinnlicher Eindrücke und Begierden, in dessen beschränkten Sinn ist noch keine Religion gekommen. So rissen sie überall auf die übertünchten Gräber und brachten die Totengebeine ans Licht, und wären sie Philosophen gewesen, die ersten Helden des Christentums, sie hätten ebenso polemisiert gegen das Verderben der Philosophie. Nirgends gewiß verkannten sie die Grundzüge des göttlichen Ebenbildes, in allen Entstellungen und Entartungen sahen sie gewiß den himmlischen Keim der Religion; aber als Christen war ihnen die Hauptsache die Entfernung vom Universum, die einen Mittler bedarf, und so oft sie Christentum sprachen gingen sie nur darauf. – Polemisch ist aber auch das Christentum, und das eben so scharf und schneidend, innerhalb seiner eignen Grenzen, und in seiner innersten Gemeinschaft der Heiligen. Nirgends ist die Religion so vollkommen idealisiert, als im Christentum und durch die ursprüngliche Voraussetzung desselben; und eben damit zugleich ist immerwährendes Polemisieren gegen Alles Wirkliche in der Religion als eine Aufgabe hingestellt, der nie völlig Genüge geleistet werden kann. Eben weil überall das irreligiöse Prinzip ist und wirkt, und weil alles Wirkliche zugleich als unheilig erscheint, ist eine unendliche Heiligkeit das Ziel des Christentums. Nie zufrieden mit dem Erlangten sucht es auch in seinen reinsten Anschauungen, auch in seinen heiligsten Gefühlen noch die Spuren des Irreligiösen, und der dem Universum entgegengesetzten und von ihm abgewandten Tendenz alles Endlichen. Im Ton der höchsten Inspiration kritisiert einer der ältesten heiligen Schriftsteller den religiösen Zustand der Gemeinen, in einfältiger Offenheit reden die hohen Apostel von sich selbst, und so soll Jeder in den heiligen Kreis treten nicht nur begeistert und lehrend, sondern auch in Demut das Seinige der allgemeinen Prüfung darbringend, und nichts soll geschont werden auch das Liebste und Teuerste nicht, nichts soll je träge beiseite gelegt werden, auch das nicht was am allgemeinsten anerkannt ist. Dasselbe, was exoterisch heilig gepriesen und als das Wesen der Religion aufgestellt ist vor der Welt, ist immer noch[164] esoterisch einem strengen und wiederholten Gericht unterworfen, damit immer mehr unreines abgeschieden werde, und der Glanz der himmlischen Farben immer ungetrübter erscheine an allen Anschauungen des Unendlichen. Wie Ihr in der Natur seht, daß eine zusammengesetzte Masse, wenn sie ihre chemischen Kräfte gegen etwas außer ihr gerichtet gehabt hat, sobald dies überwunden, oder das Gleichgewicht hergestellt ist, in sich selbst in Gärung gerät, und dies und jenes aus sich abscheidet: so ist es mit einzelnen Elementen und mit ganzen Massen des Christentums; es wendet zuletzt seine polemische Kraft gegen sich selbst, immer besorgt durch den Kampf mit der äußern Irreligion etwas fremdes eingesogen, oder gar ein Prinzip des Verderbens noch in sich zu haben, scheut es auch die heftigsten innerlichen Bewegungen nicht um es auszustoßen. Dies ist die in seinem Wesen gegründete Geschichte des Christentums. Ich bin nicht gekommen Friede zu bringen sondern das Schwert, sagt der Stifter desselben, und seine sanfte Seele kann unmöglich gemeint haben, daß er gekommen sei, jene blutigen Bewegungen zu veranlassen, die dem Geist der Religion so völlig zuwider sind: oder jene elenden Wortstreite die sich auf den toten Stoff beziehn, den die lebendige Religion nicht aufnimmt: nur diese heiligen Kriege, die aus dem Wesen seiner Lehre notwendig entstehen, hat er vorausgesehn, und indem er sie voraussah, befohlen. – Aber nicht nur die Beschaffenheit der einzelnen Elemente des Christentums ist dieser beständigen Sichtung unterworfen; auch auf ihr ununterbrochenes Dasein und Leben im Gemüt geht die Unersättlichkeit nach Religion. In jedem Moment, wo das religiöse Prinzip nicht wahrgenommen werden kann im Gemüt, wird das Irreligiöse als herrschend gedacht: denn nur durch das Entgegengesetzte kann das was ist aufgehoben und auf Nichts gebracht werden. Jede Unterbrechung der Religion ist Irreligion; das Gemüt kann sich nicht einen Augenblick entblößt fühlen von Anschauungen und Gefühlen des Universums ohne sich zugleich der Feindschaft und der Entfernung von ihm bewußt zu werden. So hat das Christentum zuerst und wesentlich die Forderung gemacht, daß die Religiosität ein Kontinuum sein soll im Menschen, und verschmäht[165] noch mit den stärksten Äußerungen derselben zufrieden zu sein, sobald sie nur gewissen Teilen des Lebens angehören und sie beherrschen soll. Nie soll sie ruhen, und nichts soll ihr so schlechthin entgegengesetzt sein, daß es nicht mit ihr bestehen könne; von allem Endlichen sollen wir aufs Unendliche sehen, allen Empfindungen des Gemüts, woher sie auch entstanden seien, allen Handlungen auf welche Gegenstände sie sich auch beziehen mögen, sollen wir imstande sein religiöse Gefühle und Ansichten beizugesellen. Das ist das eigentliche höchste Ziel der Virtuosität im Christentum.

Wie nun die ursprüngliche Anschauung desselben, aus welcher alle diese Ansichten sich ableiten, den Charakter seiner Gefühle bestimmen, das werdet Ihr leicht finden. Wie nennt Ihr das Gefühl einer unbefriedigten Sehnsucht die auf einen großen Gegenstand gerichtet ist, und deren Unendlichkeit Ihr Euch bewußt seid? Was ergreift Euch, wo Ihr das Heilige mit dem Profanen, das Erhabene mit dem Geringen und Nichtigen aufs innigste gemischt findet? und wie nennt Ihr die Stimmung, die Euch bisweilen nötiget diese Mischung überall vorauszusetzen, und überall nach ihr zu forschen? Nicht bisweilen ergreift sie den Christen, sondern sie ist der herrschende Ton aller seiner religiösen Gefühle; diese heilige Wehmut – denn das ist der einzige Name, den die Sprache mir darbietet – jede Freude und jeder Schmerz, jede Liebe und jede Furcht begleitet sie; ja in seinem Stolz wie in seiner Demut ist sie der Grundton, auf den sich Alles bezieht. Wenn Ihr Euch darauf versteht aus einzelnen Zügen das Innere eines Gemüts nachzubilden, und Euch durch das Fremdartige nicht stören zu lassen, das ihnen Gott weiß woher beigemischt ist: so werdet Ihr in dem Stifter des Christentums durchaus diese Empfindung herrschend finden; wenn Euch ein Schriftsteller der nur wenige Blätter in einer einfachen Sprache hinterlassen hat, nicht zu gering ist um Eure Aufmerksamkeit auf ihn zu wenden: so wird Euch aus jedem Worte was uns von seinem Busenfreund übrig ist dieser Ton ansprechen; und wenn ja ein Christ Euch in das Heiligste seines Gemütes hineinblicken ließ: gewiß es ist dieses gewesen.[166] So ist das Christentum. Seine Entstellungen und seine mannigfaltiges Verderben will ich nicht beschönigen, da die Verderblichkeit alles Heiligen sobald es menschlich wird ein Teil seiner ursprünglichen Weltanschauung ist. Auch ich will Euch nicht weiter in das Einzelne desselben hineinführen; seine Verhandlungen liegen vor Euch, und den Faden glaube ich Euch gegeben zu haben, der Euch durch alle Anomalien hindurchführen, und unbesorgt um den Ausgang Euch die genaueste Übersicht möglich machen wird. Haltet ihn nur fest, und seht vom ersten Anbeginn an auf Nichts, als auf die Klarheit, die Mannigfaltigkeit und den Reichtum womit jene erste Grundidee sich entwickelt hat. Wenn ich das beilige Bild dessen betrachte in den verstümmelten Schilderungen seines Lebens, der der erhabene Urheber des Herrlichsten ist, was es bis jetzt gibt in der Religion; so bewundere ich nicht die Reinigkeit seiner Sittenlehre die doch nur ausgesprochen hat, was alle Menschen, die zum Bewußtsein ihrer geistigen Natur gekommen sind, mit ihm gemein haben, und dem weder das Aussprechen noch das Zuerst einen größeren Wert geben kann; ich bewundere nicht die Eigentümlichkeit seines Charakters, die innige Vermählung hoher Kraft mit rührender Sanftmut; – jedes erhaben einfache Gemüt in einer besonderen Situation muß einen großen Charakter in bestimmten Zügen darstellen; das Alles sind nur menschliche Dinge: aber das wahrhaft Göttliche ist die herrliche Klarheit, zu welcher die große Idee, welche darzustellen er gekommen war, die Idee daß Alles Endliche höherer Vermittlungen bedarf um mit der Gottheit zusammenzuhängen, sich in seiner Seele ausbildete. Vergebliche Verwegenheit ist es den Schleier hinwegnehmen zu wollen, der ihre Entstehung in ihm verhüllt, und verhüllen soll, weil aller Anfang in der Religion geheimnisvoll ist. Der vorwitzige Frevel, der es gewagt hat, konnte nur das Göttliche entstellen, als wäre Er ausgegangen von der alten Idee seines Volkes, deren Vernichtung Er nur aussprechen wollte, und in der Tat in einer zu glorreichen Form ausgesprochen hat, indem Er behauptete der zu sein, dessen sie warteten. Laßt uns die lebendige Anschauung des Universums, die seine ganze Seele erfüllte, nur so betrachten, wie wir sie in ihm finden zur Vollkommenheit[167] ausgebildet. Wenn alles Endliche der Vermittlung eines Höheren bedarf um sich nicht immer weiter vom Universum zu entfernen und ins Leere und Nichtige hinausgestreut zu werden, um seine Verbindung mit dem Universum zu unterhalten und zum Bewußtsein derselben zu kommen: so kann ja das Vermittelnde, das doch selbst nicht wiederum der Vermittlung benötigt sein darf, unmöglich bloß endlich sein; es muß Beiden angehören, es muß der göttlichen Natur teilhaftig sein, ebenso und in eben dem Sinne, in welchem es der Endlichen teilhaftig ist. Was sah er aber um sich als Endliches und der Vermittlung bedürftiges, und wo war etwas Vermittelndes als Er? Niemand kennt den Vater als der Sohn, und wem Er es offenbaren will. Dieses Bewußtsein von der Einzigkeit seiner Religiosität, von der Ursprünglichkeit seiner Ansicht, und von der Kraft derselben sich mitzuteilen und Religion aufzuregen, war zugleich das Bewußtsein seines Mittleramtes und seiner Gottheit. Als er, ich will nicht sagen der rohen Gewalt seiner Feinde ohne Hoffnung länger leben zu können, gegenübergestellt ward – das ist unaussprechlich gering; aber Er verlassen, im Begriff auf immer zu verstummen, ohne irgendeine Anstalt zur Gemeinschaft unter den Seinigen wirklich errichtet zu sehn, gegenüber der feierlichen Pracht der alten verderbten Religion, die stark und mächtig erschien, umgeben mit allem was Ehrfurcht einflößte und Unterwerfung heischen kann, mit Allem, was Er selbst zu ehren von Kindheit an war gelehrt worden, Er allein von nichts als diesem Gefühl unterstützt, und Er ohne zu warten jenes Ja aussprach, das größte Wort was je ein Sterblicher gesagt hat: so war dies die herrlichste Apotheose, und keine Gottheit kann gewisser sein als die, welche so sich selbst setzt. – Mit diesem Glauben an sich selbst, wer mag sich wundern, daß er gewiß war nicht nur Mittler zu sein für Viele, sondern auch eine große Schule zu hinterlassen, die ihre gleiche Religion von der seinigen ableiten würde; so gewiß, daß er Symbole stiftete für sie, ehe sie noch existierte, in der Überzeugung, daß dies hinreichen würde sie zur Existenz zu bringen, und daß er noch früher von der Verewigung seiner persönlichen Denkwürdigkeiten[168] unter ihr mit einem prophetischen Enthusiasmus redete. Aber nie hat er behauptet das einzige Objekt der Anwendung seiner Idee, der einzige Mittler zu sein, und nie hat er seine Schule verwechselt mit einer Religion – er mochte es dulden, daß man seine Mittlerwürde dahingestellt sein ließ, wenn nur der Geist, das Prinzip woraus sich seine Religion in ihm und Andern entwickelte nicht gelästert ward – und auch von seinen Jüngern war diese Verwechselung fern. Schüler Johannis, der doch die Grundanschauung Christi nur sehr unvollkommen teilte, sahen sie ohne weiteres als Christen an, und nahmen sie unter die aktiven Mitglieder der Gemeine auf. Und noch jetzt sollte es so sein: wer dieselbe Anschauung in seiner Religion zum Grunde legt, ist ein Christ ohne Rücksicht auf die Schule, er mag seine Religion historisch aus sich selbst oder von irgendeinem Andern ableiten. Nie hat er die Anschauungen und Gefühle die er selbst mitteilen konnte, für den ganzen Umfang der Religion ausgegeben die von seiner Grundanschauung ausgehn sollte; er hat immer auf die Wahrheit gewiesen, die nach ihm kommen würde. So auch seine Schüler; sie haben dem heiligen Geist nie Grenzen gesetzt, seine unbeschränkte Freiheit, und die durchgängige Einheit seiner Offenbarungen ist überall von ihnen anerkannt worden; und wenn späterhin, als die erste Zeit seiner Blüte vorüber war und er auszuruhen schien von seinen Werken, diese Werke, soviel davon in den heiligen Schriften enthalten war, für einen geschlossnen Kodex der Religion unbefugterweise erklärt wurden, geschah das nur von denen, welche den Schlummer des Geistes für seinen Tod hielten, für welche die Religion selbst gestorben war, und Alle, die ihr Leben noch in sich fühlten oder in Andern wahrnahmen, haben sich immer gegen dieses unchristliche Beginnen erklärt. Die heiligen Schriften sind Bibel geworden aus eigener Kraft, aber sie verbieten keinem andern Buche auch Bibel zu sein oder zu werden, und was mit gleicher Kraft geschrieben wäre, würden sie sich gern beigesellen lassen. – Dieser unbeschränkten Freiheit, dieser wesentlichen Unendlichkeit zufolge hat sich denn die Hauptidee des Christentums von göttlichen vermittelnden Kräften auf mancherlei Art ausgebildet, und alle Anschauungen und[169] Gefühle von Einwohnungen der göttlichen Natur in der endlichen sind innerhalb desselben zur Vollkommenheit gebracht worden. So ist sehr bald die heilige Schrift in der auch die göttliche Natur auf eine eigne Art wohnte, für einen logischen Mittler gehalten worden, um die Erkenntnis der Gottheit zu vermitteln für die endliche und verderbte Natur des Verstandes, und der heilige Geist – in einer späteren Bedeutung des Wortes – für einen ethischen um sich ihr praktisch anzunähern; und eine zahlreiche Partei der Christen erklärt noch jetzt bereitwillig Jeden für ein vermittelndes und göttliches Wesen, der erweisen kann durch ein göttliches Leben oder irgendeinen andern Eindruck der Göttlichkeit auch nur für einen kleinen Kreis der Beziehungspunkt aufs Unendliche gewesen zu sein. Andern ist Christus Eins und Alles geblieben, und Andere haben sich selbst oder dies und jenes für sich zu Mittlern erklärt. Wie oft in dem Allen in der Form und Materie gefehlt sein mag: das Prinzip ist echt christlich solange es frei ist. So haben andere Anschauungen und Gefühle sich dargestellt in ihrer Beziehung auf den Mittelpunkt des Christentums von denen in Christo und in den heiligen Büchern nichts steht, und mehrere werden sich in der Folge darstellen, weil große Gegenden in der Religion noch nicht bearbeitet sind fürs Christentum, und weil es noch eine lange Geschichte haben wird trotz Allem was man sagt von seinem baldigen oder schon erfolgten Untergange.

Wie sollte es auch untergehen? Der lebendige Geist desselben schlummert oft und lange, und zieht sich in einem Zustande der Erstarrung in die tote Hülle des Buchstabens zurück: aber er erwacht immer wieder, so oft die wechselnde Witterung in der geistigen Welt seiner Auflebung günstig ist und seine Säfte in Bewegung setzt; und das wird sie noch oft sein. Die Grundanschauung jeder positiven Religion an sich ist ewig, weil sie ein ergänzender Teil des unendlichen Ganzen ist, in dem Alles ewig sein muß: aber sie selbst und ihre ganze Bildung ist vergänglich; denn jene Grundanschauung gerade im Zentrum der Religion zu sehen dazu gehört nicht nur eine bestimmte Richtung des Gemüts; sondern auch eine bestimmte Lage der Menschheit, in welcher ja bis jetzt allein das Universum eigentlich angeschaut werden kann.[170] Hat diese ihren Kreis durchlaufen, ist die Menschheit so weit fortgerückt in ihrer fortschreitenden Bahn, daß sie nicht mehr wiederkehren kann: so ist auch jene Anschauung, ihrer Würde als Grundanschauung entsetzt, und die Religion kann in dieser Gestalt nicht mehr existieren. Mit allen kindischen Religionen aus jener Zeit wo es der Menschheit am Bewußtsein ihrer wesentlichen Kräfte fehlte, ist dies längst schon der Fall: es ist Zeit sie zu sammeln als Denkmäler der Vorwelt und niederzulegen im Magazin der Geschichte; ihr Leben ist vorüber und kommt nimmer zurück. Das Christentum über sie alle erhaben, und historischer und demütiger in seiner Herrlichkeit hat diese Vergänglichkeit seiner Natur ausdrücklich anerkannt: es wird eine Zeit kommen, spricht es, wo von keinem Mittler mehr die Rede sein wird, sondern der Vater Alles in Allem. Aber wann soll diese Zeit kommen? Ich fürchte, sie liegt außer aller Zeit. Die Verderblichkeit alles Großen und Göttlichen in den menschlichen und unendlichen Dingen ist die eine Hälfte von der ursprünglichen Anschauung des Christentums; sollte wirklich eine Zeit kommen wo diese – ich will nicht sagen gar nicht mehr wahrgenommen würde, sondern nur – sich nicht mehr aufdränge? wo die Menschheit so gleichförmig und ruhig fortschritte, daß kaum zu merken wäre, wie sie bisweilen durch einen vorübergehenden widrigen Wind etwas zurückgetrieben wird auf den großen Ozean den sie durchfährt, daß nur der Künstler, der ihren Lauf an den Gestirnen berechnet es wissen könne, und es den Übrigen nie eine große und merkwürdige Anschauung würde? Ich wollte es, und gern stände ich auf den Ruinen der Religion, die ich verehre. Daß gewisse glänzende und göttliche Punkte der ursprüngliche Sitz jeder Verbesserung dieses Verderbnisses sind, und jeder neuen und näheren Vereinigung des Endlichen mit der Gottheit, dies ist die andere Hälfte: und sollte je eine Zeit kommen, wo diese ans Universum anziehende Kraft so gleich verteilt wäre unter die große Masse der Menschheit, daß sie aufhörte für sie vermittelnd zu sein? Ich wollte es, und gern hülfe ich jede Größe ebnen, die sich also erhebt: aber diese Gleichheit ist wohl weniger möglich als irgend sonst eine. Zeiten des Verderbens stehen allem Irdischen bevor, sei es auch göttlichen Ursprungs,[171] neue Gottesgesendete werden nötig um mit erhöhter Kraft das Zurückgewichene an sich zu ziehn und das Verderbte zu reinigen mit himmlischem Feuer, und jede solche Epoche der Menschheit wird die Palingenesie des Christentumes, und erweckt seinen Geist in einer neuen und schöneren Gestalt.

Wenn es nun aber immer Christen geben wird, soll deswegen das Christentum auch in seiner allgemeinen Verbreitung unendlich und als die einzige Gestalt der Religion in der Menschheit allein herrschend sein? Es verschmäht diesen Despotismus, es ehrt jedes seiner eignen Elemente genug um es gern auch als den Mittelpunkt eines eignen Ganzen anzuschauen; es will nicht nur in sich Mannigfaltigkeit bis ins Unendliche erzeugen, sondern sie auch außer sich anschauen. Nie vergessend, daß es den besten Beweis seiner Ewigkeit in seiner eignen Verderblichkeit, in seiner eignen traurigen Geschichte hat, und immer wartend einer Erlösung aus dem Elende von dem es eben gedrückt wird, sieht es gern außerhalb dieses Verderbens andere und jüngere Gestalten der Religion hervorgehen, dicht neben sich, aus allen Punkten, auch von jenen Gegenden her, die ihm als die äußersten und zweifelhaften Grenzen der Religion überhaupt erscheinen. Die Religion der Religionen kann nicht Stoff genug sammeln für die eigenste Seite ihrer innersten Anschauung, und so wie nichts irreligiöser ist als Einförmigkeit zu fordern in der Menschheit überhaupt, so ist nichts unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion.

Auf alle Weise werde das Universum angeschaut und angebetet. Unzählige Gestalten der Religion sind möglich; und wenn es notwendig ist, daß Jede zu irgendeiner Zeit wirklich werde, so wäre wenigstens zu wünschen, daß viele zu jeder Zeit könnten geahndet werden. Die großen Momente müssen selten sein, wo Alles zusammentrifft um Einer unter ihnen ein weit verbreitetes und dauerndes Leben zu sichern, wo dieselbe Ansicht sich in Vielen zugleich und unwiderstehlich entwickle, und sie von demselben Eindruck des Göttlichen durchdrungen werden. Doch was ist nicht zu erwarten von einer Zeit, welche so offenbar die Grenze ist zwischen zwei verschiedenen Ordnungen der Dinge! Wenn[172] nur erst die gewaltige Krisis vorüber ist kann sie auch einen solchen Moment herbeibringen, und eine ahndende Seele auf den schaffenden Genius gerichtet, könnte jetzt schon den Punkt angeben, der künftigen Geschlechtern der Mittelpunkt werden muß für die Anschauung des Universums. Wie dem aber auch sei, und wie lange ein solcher Augenblick noch verziehe; neue Bildungen der Religion müssen hervorgehen, und bald, sollten sie auch lange nur in einzelnen und flüchtigen Erscheinungen wahrgenommen werden. Aus dem Nichts geht immer eine neue Schöpfung hervor, und Nichts ist die Religion fast in Allen der jetzigen Zeit, wenn ihr geistiges Leben ihnen in Kraft und Fülle aufgeht. In Vielen wird sie sich entwickeln aus Einer von unzähligen Veranlassungen, und in neuem Boden zu einer neuen Gestalt sich bilden. Nur daß die Zeit der Zurückhaltung vorüber sei und der Scheu. Die Religion haßt die Einsamkeit, und in ihrer Jugend am meisten, die für Alles die Stunde der Liebe ist, vergeht sie in zehrender Sehnsucht. Wenn sie sich in Euch entwickelt, wenn Ihr die ersten Spuren ihres Lebens inne werdet, so tretet gleich ein in die Eine und unteilbare Gemeinschaft der Heiligen, die alle Religionen aufnimmt, und in der allein Jede gedeihn kann. Ihr meint, weil diese zerstreut ist und fern, müßtet Ihr denn auch unheiligen Ohren reden? Ihr fragt, welche Sprache geheim genug sei, die Rede, die Schrift, die Tat, die stille Mimik des Geistes? Jede, antworte ich, und Ihr seht, ich habe die lauteste nicht gescheut. In jeder bleibt das Heilige geheim, und vor den Profanen verborgen. Laßt sie an der Schale nagen, wie sie mögen; aber weigert Uns nicht den Gott anzubeten, der in Euch sein wird.[173]

Quelle:
Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. Hamburg 1958.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Über die Religion
Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) (Gruyter - de Gruyter Texte)
Ueber die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern
Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern
Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern 1799/1806/1821 - Studienausgabe
Über die Religion: Schriften, Predigten, Briefe

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon