§ 47. Zeitverhältniß zwischen Grund und Folge.

[168] Nach den Gesetzen der Kausalität und der Motivation muß der Grund der Folge, der Zeit nach, vorhergehn. Dies ist durchaus wesentlich, wie ich ausführlich dargethan habe im 2. Bande meines Hauptwerks, Kap. 4, S. 41, 42 worauf ich hier verweise, um mich nicht zu wiederholen. Danach wird man sich nicht irre machen lassen durch Beispiele, wie Kant (Krit. d. rein. Vern., 1. Aufl., S. 202; 5. Aufl., S. 248) eines anführt, nämlich daß die Ursache der Stubenwärme, der Ofen, mit dieser seiner Wirkung zugleich sei, – sobald man nur bedenkt, daß nicht ein Ding Ursache des andern, sondern ein Zustand Ursache des andern ist. Der Zustand des Ofens, daß er eine höhere Temperatur, als das ihn umgebende Medium hat, muß der Mittheilung des Überschusses seiner Wärme an dieses vorhergehn; und da nun jede erwärmte Luftschicht einer hinzuströmenden kälteren Platz macht, erneuert sich der erste Zustand, die Ursache, und folglich auch der zweite, die Wirkung, so lange, als Ofen und Stube nicht die selbe Temperatur haben. Es ist hier also nicht eine dauernde Ursache, Ofen, und eine dauernde Wirkung, Stubenwärme,[168] die zugleich wären, sondern eine Kette von Veränderungen, nämlich eine stete Erneuerung zweier Zustände, deren einer Wirkung des andern ist. Wohl aber ist aus diesem Beispiel zu ersehn, welchen unklaren Begriff von der Kausalität sogar noch Kant hatte.

Hingegen der Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens bringt kein Zeitverhältniß mit sich, sondern allein ein Verhältniß für die Vernunft: also sind vor und nach hier ohne Bedeutung.

Beim Satz vom Grunde des Seyns ist, sofern er in der Geometrie gilt, ebenfalls kein Zeitverhältniß, sondern allein ein räumliches, von dem sich sagen ließe, alles wäre zugleich, wenn nicht das Zugleich hier, sowohl als das Nacheinander, ohne Bedeutung wäre. In der Arithmetik dagegen ist der Seynsgrund nichts anderes, als eben das Zeitverhältniß selbst.

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 168-169.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde
Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde /Über den Willen der Natur