|
[6] Meine Geburtsort ist die kleine, aber in ziemlichem Wohlstand blühende Stadt Winterthur in dem Canton Zürich. Daselbst haben sich zu Folge alter Nachrichten die Stammältern1 aller in beträchtlicher Anzahl dort befindlichen Sulzer'schen Familien, vor mehr als 400 Jahren niedergelassen.
Allem Ansehn nach sind sie aus Schwaben, wo sie von den dortigen Salzwerken ihren Namen angenommen, oder bekommen haben, nach Winterthur gekommen. Meines Wissens[7] sind in der Schweiz sonst keine Sulzer, als die, welche in meiner Vaterstadt verbürgert sind. Hingegen sind sie in Schwaben, besonders in Augsburg in ziemlicher Anzahl.
Ich bin den 5ten oder den 16ten October im Jahre 1720 geboren. In einem Aufsatze meines seligen Vaters ist der 5te, im Kirchenbuche aber der 16te October angegeben. Meine Aeltern waren Heinrich Sulzer, der 1734 als Rathsherr und Seckelmeister (Trésorier) der Stadt im 72sten Jahre seines Alters gestorben ist, und Frau Elisabeth Künzli, welche in dem 61sten Jahre ihres Alters ihr Leben an demselben Tage, da mein Vater gestorben, geendigt hat. Sie starben beide an einem ansteckenden Fleckfieber, welches damals viele Menschen weggeraffte hat.
Mein Vater war, nach einer damaligen Gewohnheit in seiner ersten Jugend von seinen Aeltern nach Nismes in Languedoc zur Erziehung geschickt worden; dagegen ein Sohn aus dem Hause in Nismes, wo mein Vater aufgenommen worden, in meines Großvaters Hause erzogen wurde. Diese Art Söhne auf einige Jahre gegen einander zu vertauschen, war damal gewöhnlich, und brachte den Vortheil, daß junge Leute ohne merkliche Unkosten in der Fremde erzogen wurden, und die Sprache eines andern Landes lernten.2[8]
Ich habe oft von meinem seligen Vater gehört, daß er Willens gewesen, sich in Frankreich nieder zu lassen und der Handlung zu widmen, wenn nicht die damal eben angehende Verfolgung der Protestanten, ihn auf andre Gesinnungen gebracht hätte. Er verließ also Frankreich nach der Aushebung des Edikts von Nantes. Sehr oft erzählte er in seinem Alter seinen Kindern, was er von den Drangsalen der Protestanten, bey dieser großen Verfolgung, selbst gesehen hatte.
Ich würde höchst undankbar gegen meine Aeltern seyn, wenn ich nicht zu ihrem Lob anzeigte, wie viel ich ihnen in Absicht auf die erste Bildung meines Gemüthscharakters zu danken habe.
Mein Vater war ein Mann von bewährter Rechtschaffenheit, dessen vornehmste Bemühung darin bestand, daß er in den verschiedenen Aemtern, die ihm nach und nach anvertraut wurden, das Wohlseyn der Stadt und der Bürger, so viel möglich war, beförderte. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, wie er mit patriotischem Eifer in seiner Familie gegen aufkommende Mißbräuche in der Verwaltung der öffentlichen Geschäfte sprach. Er war ein großer Feind derer, die dabey mehr auf ihren Nutzen, als auf das gemein Beste sahen. Er widersetzte sich aus allen Kräften der allmälig einreißenden Ueppigkeit, und hielt sehr streng auf alte Einfalt der Sitten und Sparsamkeit in der Lebensart. Er war ein großer Feind der Scheinhelligkeit und der religiösen Schwärmerei, und ahndete wo er konnte den falschen Religionseifer unsrer damaligen Geistlichen. Ich erinnere mich noch jetzt mit lebhaftem Vergnügen, vieler sehr nachdrücklichen Reden die er über erwähnte Punkte, wenn seine Familie um ihn versammelt[9] war, besonders gegen seine Schwiegersöhne hielt. Der starke Eindruck, den sie schon damal, ob ich gleich ein Kind war, auf mich machten, legte ohne Zweifel den Grund zu meiner Sinnesart. Und hieraus habe ich geschlossen, daß das Beyspiel der Aeltern, bey der Erziehung den stärksten Einfluß hat.
Meine Mutter war eine Frau, die mit ungemeiner Sanftmuth und Einfalt der Sitten eine lebhafte Empfindung der wahren Ehre verband. So oft ich auch als ein kleines Kind Abschied von ihr nahm, um in die Schule, oder zu meinen Kameraden zu jugendlichen Spielen zu gehen, erinnerte mich die rechtschaffene Frau auf's zärtlichste, mich wohl in Acht zu nehmen, nichts zu reden oder zu thun, dessen ich mich hernach würde zu schämen haben. Sie empfahl ihren Kindern bey jeder Gelegenheit die vortreffliche Maxime, nur die nähere Bekanntschaft solcher jungen Leute zu suchen, die etwas älter, dabey gesitteter und verständiger wären als sie selbst, um durch ihren Umgang besser zu werden. Sie vermahnte uns oft, daß wir trachten sollten, Andern in der Anständigkeit der Aufführung, nicht in Aufwand und einer kostbaren Lebensart gleich zu werden. Fürnehmlich aber ermahnte sie uns zur Einfalt der Sitten und warnete vor Stolz. Ich erinnere mich, daß sie uns oft, wenn, wie bey uns die Gewohnheit ist, herumziehende Bettler auf Wagen weggeschaft wurden, sagte: daß sich unter diesen Elenden auch stolze und hochmüthige Leute beständen, und daß der Stolz eher den Menschen erniedrige, als erhebe.
Soviel von dem Charakter meiner Aeltern, woraus abzunehmen, daß ich zwar leicht von vornehmern und reichern, aber schwerlich von bessern Aeltern hätte geboren seyn können.
Mein Vater hatte in zwey Ehen 25 Kinder gezeugt, von denen allen ich das jüngste war. Obgleich also mein Vater[10] nach seinem Stande und dem Orte wo er lebte, ein Mann von einigem Vermögen war, so fiel dennoch bey seinem Tode, da noch eilf Haupterben übrig waren, nur ein geringer Theil auf mich, der aber zu meiner Erziehung hinreichend war.
Meine Aeltern hatten mich dem geistlichen Stande gewidmet, und mir dieses so oft gesagt, daß mir in meiner ersten Jugend nie eingefallen ist, etwas anders als ein Geistlicher zu werden, ob mir gleich schon damals das scheinheilige Wesen unsrer meisten Geistlichen und ihr langweiliges Predigen, gegen welches ich auch meinen Vater so oft hatte eifern gehört, merklich mißfiel. Dabey empfand ich nur sehr schwachen Trieb zu den Schulstudien die ich treiben mußte und die mit mir auf eine Art getrieben wurden, die mir alles widrig und abgeschmackt machte, so, daß ich nicht anders als aus Zwange lernte.
Allein dies war die Schuld der damaligen schlechten Lehrart unsrer Schulen, nach der man nichts als unverständliche Wörter ohne Begriffe in den Kopf bekam. Ich erinnere mich noch ganz deutlich, daß ich in keiner einzigen Schulstunde die geringste Aufmerksamkeit hatte, außer denen, in welchen unser Rektor uns die ersten Begriffe von der allgemeinen Erdbeschreibung, von der Figur und Größe der Erde und was dahin einschlägt, gab; alle andre Stunden, ohne Ausnahme, waren mir zum Ekel.
Dennoch hatte ich in meiner Kindheit einen Hang zum Lesen und zu reellen Kenntnissen. Mein Vater gab mir bisweilen eine Reisebeschreibung und unter andern auch Scheuchzer's helvetische Reisen in die Hände, an denen ich großen Geschmack fand. Wären also die Erziehungsanstalten damal besser gewesen, so würde ich ohne Zweifel auch mehr gelernt haben.
Vielleicht verdient auch dieses in Absicht auf die Wirkung[11] der Erziehung angemerkt zu werden, daß ich den starken und unauslöschlichen Hang zur Gartenliebhaberey und zum Pflanzen der Bäume durch meine Erziehung bekommen habe. Mein Vater hatte Gärten, Wiesen und Weinberge, die er fleißig besuchte und wohin er mich als ein Kind gar oft mitnahm. Er selbst legte oft bey Pflanzung junger Obstbäume Hand an, und was zu pfropfen war, verrichtete er es meist selbst, wobey ich denn fleißig zusah. Ich erinnere mich, daß ich als ein Kind in meinem fünften Jahre in meiner Unwissenheit versuchte, Weinreben auf Rosenstöcke zu pfropfen, in der Meinung, die Weintrauben sollten den Geruch der Rosen annehmen.
Ich bin über den Punkt von meiner Kindheit etwas weitläuftig gewesen, weil mir diese umständliche Erzählung lehrreich scheint.
Ich war bey meiner Aeltern Tode 14 Jahre alt, wurde nun aus der Schule genommen und einem Privatlehrer, mit dem mein Vater meinethalben schon Abrede genommen hatte, in Unterweisung gegeben. Allein auch da wollte es nicht besser als in der Schule gehen. Das Einzige worauf ich aufmerksam wurde, war etwas, das mich damals gar nichts angehen sollte, die Geometrie, welche mein Lehrer mit andern ältern Schülern als ich war, trieb. Ich wünschte gar oft auch so glücklich als meine ältere Kameraden zu seyn und meine griechische und hebräische Grammatik gegen ein geometrisches Buch zu vertauschen.
Nachdem ich also bis in mein 16tes Jahr mit Erlernung der lateinischen, griechischen und hebräischen Sprache und mit etwas kahler Logik und Metaphysik, wovon ich nicht einen einzigen Begriff habe fassen können, gequält worden war, hielt man mich für tüchtig auf dem akademischen Gymnasium[12] in Zürich förmlich zu studiren, um mich zum geistlichen Stande tüchtig zu machen.
Im Frühjahr 1736, führte mich mein Vormund nach Zürich und setzte mich, in Pension, bei einem Prediger ab. Damal hatte ich in der That noch nicht den geringsten Begriff von Wissenschaften, auch nicht von wahrer Literatur, folglich auch nicht die mindeste Lust zum Studiren. Ich war in Absicht auf die Studien genau in dem Falle des Sprichworts: Ignoti nulla cupido.
Zu meinem Glück aber fügte es sich, daß in der Pension in der ich war, sich zugleich ein paar fleißige Studenten befanden, die in Literatur und Wissenschaften schon etwas bewandert waren. Aus ihren Reden und aus ihren Büchern bekam ich die ersten Begriffe von dem, was man Literatur und Wissenschaft nennt. Ich sah, daß es in beiden um Kenntnisse angenehmer und wichtiger Dinge zu thun sey, und dieses gab mir die erste Lust zum Studiren. Eines der ersten Bücher das ich in die Hand nahm und mit großer Begierde las, war Wolf's deutsche Metaphysik.
Nun war zwar die Lust zum Studiren einigermaßen bey mir rege geworden, aber ich war ohne Führer und ohne eigene Begriffe, wie und wo ich die Sache angreifen sollte. Der ehrliche Pfarrer bei dem ich in Pension war, wußte weiter nichts an seinen Pensionärs zu thun, als sie zu ermahnen, fleißig die Bibel zu lesen, als das Buch aller Bücher. Ich besuchte zwar die mir angewiesenen Lektionen der Professoren; aber da sie zum Theil schlecht waren, ich auch gar zu wenig literarische Kenntniß mitgebracht hatte, so ging mir dabey noch kein Licht auf. Zu Hause trieb ich aus Noth meine Sprachen elend grammatisch, wie ich in der Schule gewöhnt worden, und dieses geschah mit Ekel. Doch las ich zu meiner Erholung Wolf's Metaphysik, und bald hier bald[13] da etwas aus einem andern, einem meiner Mitpensionäre gehörigem Buche. Zu meinem größten Nachtheile aber verließen die, von denen ich etwas gelernt hatte, in dem ersten halben Jahre meines hiesigen Aufenthalts das Gymnasium und die Pension; und hatte ich keine Kameraden als solche, die so roh und unwissend waren als ich selbst.
Dieses hätte mich bald in's Verderben gestürzt. Meine Lust zum reellen Studiren wurde durch nichts unterhalten, und ich war meine ganze Kindheit durch an nichts weniger, als an ein sitzendes Leben gewöhnt; denn damal wurden die Knaben bey der Erziehung noch nicht so zu Hause gehalten wie jetzt geschieht. Wenn wie aus der Schule kamen war uns erlaubt, auf öffentliche Plätze vor den Thoren zu gehen und da allerley Arten von Spielen zu treiben. Wenn dieses nicht die beste Art ist, die Jugend zu den Studien vorzubereiten, so hat sie andre beträchtliche Vortheile. Sie ist der Gesundheit zuträglich, stärkt Leib und Gemüth, und bereitet zum gesellschaftlichen Leben und zu Betreibung ernsthafterer Geschäfte mit andern vor. Von dieser Art der Erziehung also blieb mir ein Hang zum Spazierengehen, zu Gesellschaften und Ergötzlichkeiten. Zum Unglücke machte ich mit Studenten Bekanntschaft, die nicht nur dieses, sondern auch das Spiel liebten. Nun brachte ich meine meiste Zeit mit Spazierengehen und in den Kaffe-oder Weinhäusern zu, und gewann dabey einen Hang zum Kartenspiel.
Doch war es auch dabey mein Glück, daß ich unter solche Kameraden gerathen war, die außer dem Hange zum Müßiggang und Spiel, sonst sich keinem lasterhaften Leben ergaben. Ich war, den Müßiggang und das Spiel ausgenommen, mit keinem Laster bekannt, und machte mich keiner Ausschweifung schuldig. Indessen lernte ich nichts, und mein[14] Vormund machte mir beständig Vorwürfe, daß ich mehr Geld brauche als mein geringes Vermögen zulassen wolle.
In der That stand ich damal aus bloßem Mangel einer vernünftigen Anführung am Rande des Verderbens, da mein Vermögen sich immer minderte und ich nichts lernte. Ein glücklicher Zufall rettete mich.
Der Prediger bei dem ich in Pension war, war der Vater des vortrefflichen und verdienstvollen nachherigen Kanonikus und Professors Geßner3, der damal noch in seines Vaters Hause wohnte. Aber das erste Jahr über als ich da war, sah ich diesen rechtschaffnen Gelehrten wenig. Er war sehr oft krank und noch öfter abwesend, um sich auf dem Lande zu erholen. Aber in dem zweiten Jahre meines akademischen Lebens hatte ich das Glück näher mit ihm bekannt zu werden. Ich muß aus inniger Dankbarkeit gegen diesen mir unschätzbaren Mann hier anmerken, daß seine Bekanntschaft, allem Ansehen nach, mich vom Untergange gerettet hat.
Dieser edle Mann kannte kein anders Vergnügen, als die Beschäftigung mit den Wissenschaften. Er hatte schon damal eine schöne Bibliothek; seine Neigung breitete sich fast über alle Wissenschaften aus und er besaß gründliche Kenntnisse in der Physik, Naturgeschichte, Mathematik und Philosophie. Bei seinem ausnehmenden Fleiß hatte er sich gute Methoden ausgedacht, die Kenntnisse, die er entweder durch Lesen oder durch eigenes Nachdenken erworben hatte, methodisch zusammen und in Zusammenhang zu bringen. Dazu kam, daß er seines sehr leutseligen und gefälligen Wesens halber, sich die Liebe junger Leute erwarb, denen er denn[15] mit Vergnügen an die Hand ging und seine Kenntnisse ihnen herzlich gern mittheilte.
Sobald ich diesen würdigen Mann näher kennen gelernt hatte, erwachte in mir eine starke Neigung zu den Wissenschaften, wovon ich, durch ihn, wiewohl nur erst von weitem einige Begriffe erhalten hatte. Ich sing nun an die Geometrie, Physik und Naturgeschichte mit Ernst zu treiben, wozu mir Geßner treue Anleitung gab. Allein der eingewurzelte Hang gesellschaftlichen Umgang und Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen, der vielleicht eben so stark war, als die Liebe zu den Wissenschaften, hinderte mich dennoch, mich dem Studiren gänzlich zu widmen, wie es nöthig gewesen wäre; um in irgend einer Wissenschaft mich hervorzuthun. Dazu kam noch, daß ich zu keiner einzigen Wissenschaft, oder zu irgend einem Zweige der Gelehrsamkeit, eine vorzügliche Neigung fühlte. Ich liebte alle, und keine so, wie es hätte seyn sollen, um darin etwas ausserordentliches zu thun. Mit gleicher Lust schrieb ich Anmerkungen über mein hebräisches Lexikon, oder über Wolf's mathematische Schriften und Linne's Systema naturae.
Diese auf alles zerstreuete Neigung ist mir hernach bis in mein Alter und in diese meine letzten Tage geblieben; und eben so die, zwischen Geschäften, dem Genusse des Lebens und dem Studiren getheilte Neigung. Daher ist es gekommen, daß der Hang die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen mich beständig von anhaltenden Studiren abgezogen, die Liebe zu den Wissenschaften aber, mich immer gehindert hat, andern Geschäften, oder der Zerstreuung mich gänzlich zu überlassen. So blieb ich mein ganzes Leben hindurch ein Amphibium, das mit gleicher Lust in der Welt und in dem ruhigen Wohnsitze der Wissenschaften lebte. Wenn dieses nicht der Weg ist sich in der gelehrten Welt einen großen Namen[16] zu erwerben, so ist es vielleicht doch der angenehmste, durch das Leben hindurch zu kommen. Das Studiren hat mich nicht ungesund und die Geschäfte in denen ich verwickelt gewesen, haben mich nicht unruhig gemacht. Aber genug hiervon.
Im Jahre 1739, hatte ich, wie man zu sprechen pflegt, meine Schulstudien geendigt, und ward, wiewohl nicht ohne große Schwierigkeit, nach einem ziemlich schlecht ausgefallenen Examen,4 unter die Zahl der ordinirten Geistlichen des Züricher Synodus aufgenommen. In der That aber sah es damals mit meinen erworbenen Kenntnissen und Glücksumständen etwas mißlich aus. Außer etwas Mathematik, Philosophie und den Elementarkenntnissen der Naturgeschichte, besaß ich wenig Wissenschaft. In der Theologie das Nothdürftigste und eben so einige schwache Kenntnisse der alten Literatur, und etwas mehr von der sogenannten historia literaria; dabei war doch mein Kopf einigermaßen vorbereitet in der Wissenschaft worauf ich mich etwa legen würde, etwas vorwärts zu kommen. Aber ich hatte keine andere Aussicht, als nach vielen Jahren eine Predigerstelle oder eine Schulstelle zu erhalten. Inzwischen war mein an sich geringes Vermögen ziemlich heruntergeschmolzen, und reichte auf keinerley Weise hin, auch bey der sparsamsten Lebensart mich ohne fremde Beyhülfe zu nähern. Hier fing ich also an, Sorgen für die Zukunft zu fühlen. Es fiel mir zuerst ein, auf irgend eine Universität zu gehen, daselbst mich erst zum Privatlehrer in der Philosophie oder Mathematik aufzuwerfen und dadurch mir den Weg zu einem Lehramte zu bahnen.[17] Aber ich hatte bei aller meiner Unwissenheit doch Selbstkenntniß genug, um zu merken, daß weder meine mathematischen noch philosophischen Kenntnisse hervorstechend genug seyn, um bloß durch mich selbst empor zu kommen. Ich ließ mir also gefallen, den Weg einzuschlagen, den die meisten andern meiner Art auch nahmen, so viele Einwürfe auch meine Eigenliebe dagegen machte. Nämlich, ich nahm mir vor, irgend eine Informator, oder Hofmeisterstelle in einem Privathause anzunehmen, bis sich bessere Aussichten für mich finden würden. Hiezu zeigte sich bald eine gute Gelegenheit, da man mich in einem ansehnlichen Hause in Zürich, als Hofmeister dreier Söhne verlangte. Ich nahm es an und legte dadurch den Grund zu meinem ganzen nachherigen Schicksal, wie aus der Folge erhellen wird. Denn darin, daß ich gerade in dieses und in kein anderes Haus gekommen bin, liegt der Grund aller künftigen Hauptbegebenheiten meines Lebens.
Durch das Haus, worin ich im Jahre 1740, und einen Theil von 1741 lebte, kam ich in Bekanntschaft mit der Familie des damaligen Landvoigts in Knonau Herr Scheuchzer's, eines nahen Anverwandten des Hauses. Dieses veranlaßte eine kleine Reise nach Knonau, dem Sitze des Landvoigts, in einer Gegend von ausnehmender Annehmlichkeit. Nicht weit davon war ein Dorf von der herrlichsten Lage, Maschwanden. Der Prediger daselbst war ein alter unvermögender Mann, der seinem Amte nicht länger vorstehen konnte, und einen Vikarius verlangte. Die herrliche Lage des Orts, die Freundschaft welche mir in dem Hause des Landvoigts von Knonau erzeigt worden, und besonders die freundschaftliche Verbindung, in welche ich mit seinem ältern Sohne getreten war, machten mich nach dieser Stelle lüstern, die ich auch bald darauf antrat.
Hier war ich nun, wie mich dünkte, in meinem eigentlichen[18] Elemente. Meine Amtsverrichtungen erforderten sehr wenig Zeit. Der Prediger, dessen Stelle ich vertrat, hatte eine ziemlich gute Bibliothek, insonderheit in der Literatur. Der Ort selbst war äußerst angenehm und die umliegende Gegend bot eine große Mannichfaltigkeit der herrlichsten Spaziergänge an. Die Nähe des Schlosses Knonau gab mir Gelegenheit zu einem sehr angenehmen gesellschaftlichen Umgang, und so hatte ich alles, was ich damals wünschen konnte. In der That sind die Tage, die ich an diesem Ort zugebracht, in Ansehung der Annehmlichkeiten, die ich genossen habe, die schönsten Tage meines Lebens.
Meine Zeit theilte ich zwischen dem Studiren, dem Spazieren durch wahrhaftig romantische Gegenden und dem gesellschaftlichen Umgange mit dem Hause in Knonau. Da zeigte sich also wieder der Einfluß meines Naturells auf die allmählige Ausbildung meines Charakters. Ich habe es schon erinnert: meine natürlichen Neigungen waren ohngefähr gleich getheilt zwischen den Wissenschaften und Kenntnissen, zwischen dem Reiz der Natur und dem Genuß des gesellschaftlichen Lebens. Aus diesem Grunde war in meinem Studiren nichts anhaltendes; so, daß ich in kein Fach mit der Beharrlichkeit eindrang, welche nöthig ist, um darin etwas vorzügliches zu leisten. Im Studiren selbst war mein Geschmack sehr zertheilt; die Betrachtung der schönen Natur hatte vorzüglichen Reiz für mich; aber ich liebte auch die Mathematik, dabey hatte das Lesen der alten griechischen und römischen Schriftsteller, die mir bisher fast unbekannt geblieben waren, ebenfalls viel Anziehendes für mich.
Hier also gewöhnte ich mich an eine Art zu leben, der ich hernach mein ganzes Leben hindurch gefolgt bin. Ein Theil meiner Zeit wurde auf das Studiren gewendet, ein anderer, auf den Genuß der schönen Natur durch Spazierengehen und[19] Beobachten der verschiedenen Feldarbeiten, und ein dritter, auf gesellschaftlichen Umgang und Theilnehmung an Geschäften, wozu die landvoigteiliche Regierung, die ich hier in der Nähe sah, mir Gelegenheit gab.
Die mancherley Beobachtungen über die Natur, gaben mir hier die erste Gelegenheit, Schriftsteller zu werden. Aus der Fülle der Empfindungen verfertigte ich da verschiedene Aufsätze, die erst in Zürich in einer periodischen Schrift erschienen, nachher aber in Berlin von dem Herrn Hofprediger Sack5 in ein Bändchen gesammelt und unter dem Titel: Moralische Betrachtungen über die Werke der Natur, herausgegeben wurden.
Auch meine Lustgeschäfte zu betrieben, fand ich hier einige Nahrung. Es wurden zufällig eine halbe Stunde weit von dem Orte meines Aufenthalts, einige alte römische Urnen, nebst einigen Götzenbildern ausgegraben, die dem Landvoigt zugeschickt wurden. Als es sie mir wies, stellte ich ihm vor, daß es der Mühe werth sey, weiter nachzugraben und allenfalls einige Unkosten auf die Untersuchung der Gegend zu verwenden. Es wurde darüber die Genehmhaltung der Finanzkammer zu Zürich eingeholt und mir wurde die Besorgung der Sache aufgetragen. Der Erfolg hiervon war, daß man zwischen den Dörfern Luneren und Maschwanden, in einer kleinen äußerst angenehmen Ebene, an dem Fluß Reuß, die Spuren einer daselbst gestandenen Stadt entdeckte, von welcher bisher niemand etwas nur vermuthet hatte. Ich ließ eine Menge verschütteter Fundamente von Gebäuden aufdecken. Aber man fand weiter nichts als Mauern,[20] außer einer beträchtlichen Anzahl römischer Münzen, goldener Geschmeide, die wie es scheint in einem Keller verborgen worden, und einer Menge Urnen, ohne Aufschriften, nebst sehr viel irdenen Schalen u.s.f.6 Alles aber war nicht hinlänglich, das geringste Licht über die ehemalige Beschaffenheit dieses verschütteten Orts zu geben. Man wurde endlich der Sache überdrüßig und das fernere Nachgraben wurde eingestellt.
Von dem Dorfe Maschwanden, wo ich mich damals aufhielt, hat man eine freie Aussicht auf die Alpengebirge, die wenige Meilen weit davon ihren Anfang nehmen. Dieses erweckte in mir die Begierde, diese erstaunenswürdigen Gegenstände, das größte und ansehnlichste Werk der Natur auf der Erde, in der Nähe zu sehen. Im Jahre 1742, that ich eine kleine Reise in diese Gebirge, wovon ich bald hernach eine Beschreibung durch den Druck bekannt gemacht habe.7 Von dieser Reise kam ich krank zurück, und wurde bald darauf an einer Entzündung der Gedärme so elend, daß aller Anschein zu meinem Aufkommen verschwand. Bei dieser Gelegenheit zeigte mein vortrefflicher Gönner, der Herr Kanonikus[21] Geßner, eine zärtliche Sorgfalt für mich. Er kam selbst, seiner eigenen kränklichen Umstände ohngeachtet, nach Maschwanden, verordnete Arzneien und that alles mögliche mich vom Tode zu retten. Die Natur aber und mein gutes Temperament halfen mir heraus; doch blieb ich lange Zeit äußerst entkräftet. In diesen Umständen begab ich mich nach Zürich, wo gedachter würdiger Mann mich in sein Haus aufnahm, und durch seine Sorgfalt und angewandte Heilmittel, mich endlich wieder auf die Beine brachte.
Aber es ist Zeit meine Geschichte fortzusetzen. Des vorhergedachten Landvoigts Scheuchzer's Sohn, mein vertrauter Freund, hatte nun nach der Gewohnheit der jungen Züricher, die das Vermögen dazu haben, seine Reisen in fremde Länder angetreten; und dieses war die nähere Veranlassung zur weiteren Entwickelung meiner äußern Umstände. Er schrieb mir aus Dresden, daß er daselbst Bekanntschaft mit einem dort wohnenden Landsmann (dem Banquier und nachherigen Baron Wolf) gemacht habe, welcher wünschte, einen jungen Geistlichen aus der Schweiz, für ein paar Jahre bey sich zu haben, um seine Söhne in der Religion zu unterrichten. Mein Freund glaubte, daß ich vermuthlich Lust haben würde, dieses zu unternehmen. Die Sache schien mir annehmlich; doch wollt' ich mich für's erste nach dem Charakter des Mannes und dem Umständen seiner Familie erkundigen. Ich eröffnete den Antrag meinem nachherigen sehr werthen Freunde, dem Herrn Direktor Schultheß,8 der den Herrn Wolf und seine Familie kannte. Dieser redliche Freund wollte mir nicht rathen die Stelle anzunehmen, er sagte mir aber: daß, da[22] ich Lust hätte nach Deutschland zu gehen und einen Antrag von dieser Art anzunehmen, er hoffte mir in Kurzem einen ähnlichen aber weit angenehmern thun zu können. Dieses geschah auch einige Wochen hernach, da er mir antrug nach Magdeburg zu gehen, um daselbst die Erziehung zweier Söhne eines dortigen reichen Kaufmanns9 zu übernehmen. Er sagte mir von dem Charakter des Mannes, von den Annehmlichkeiten und Vortheilen, die ich in diesem Hause haben würde, so viel Gutes, daß ich mich sogleich entschloß, die Stelle anzunehmen.
Durch diesen Zusammenhang der Umstände wurde ich also nach Magdeburg versetzt, und kam nach meinem Wunsche in die brandenburgischen Staaten, wo ich mich, wie hernach geschehen ist, für immer fest zu setzen hoffte.
Gegen das Ende des Jahres 1743, reisete ich aus der Schweiz ab. Vor meiner Abreise nahm ich Abrede mit dem berühmten Bodmer, dessen kritische Streitigkeiten mit der Gottschedischen Schule damal mit der größten Lebhaftigkeit geführt wurden, ihm von kritischen Neuigkeiten, die ich in Deutschland erfahren würde, fleißig Nachricht zu geben. Dadurch ist denn zwischen diesem vortrefflichen Mann und mir ein Briefwechsel und aus diesem eine genaue freundschaftliche Verbindung entstanden, die bis jetzt mit herzlich gegenseitiger Zuneigung gedauert hat. Gleich im ersten Jahre meines Aufenthalts in Magdeburg 1744 kam ich in Bekanntschaft mit dem Herrn Hofprediger Sack, der von Berlin aus dahin gekommen war, seine alten Freunde zu besuchen. Er gab mir gleich Aussichten in Berlin eine Bedienung für mich zu[23] erhalten, und stellte mir die Annehmlichkeiten, die ich dort haben würde, so lebhaft vor, daß ich ganz lüstern darnach wurde. Nicht lange darauf schrieb er mir von Berlin, daß ich wirklich eine erledigte Stelle, nämlich die Stelle eines Professors der Mathematik an dem Joachimsthalschen Gymnasium offen fände, die ich vermuthlich erhalten würde, wenn ich selbst hinkäme.
Also reisete ich im Anfange von 1745 nach Berlin. Bey meiner Ankunft aber hörte ich, daß die Stelle bereits vergeben wäre. Indessen machte ich dort Bekanntschaft mit Hrn. Euler, und durch ihn mit dem nachherigen Präsidenten der Akademie, Maupertuis. Nach kurzen Aufenthalt, der aber mein Verlangen in dieser Hauptstadt zu leben, noch sehr verstärkt hatte, ging ich mit Versprechungen meiner Bekannten, die Gelegenheiten mir dort eine Bedienung zu schaffen wohl in Acht nehmen zu wollen, wieder nach Magdeburg zurück.
Im Jahre 1747, wurde die gedachte Stelle am Joachimsthalgymnasium wieder erledigt. Der Herr Hofprediger Sack und Herr Euler brachten es bey dem Präsidenten von Maupertuis dahin, daß er dieselbe von dem Könige für mich erbat und erhielt. Ich war eben in Braunschweig als ich diese Nachricht erhielt, und ritt von da vergnügt nach Berlin, wo ich das Ziel meiner Wünsche erreicht zu haben glaubte.
Während meines Aufenthalts in Magdeburg verfertigte ich eine deutsche Uebersetzung von Scheuchzer's Itineribus Alpinis für die Geßnersche Buchhandlung in Zürich, und arbeitete auch ein Werk über die Erziehung und Unterweisung der Kinder aus,10 wozu ich den Entwurf schon in der Schweiz gemacht hatte.[24]
Noch ehe ich die Lehrstelle in Berlin erhalten hatte, wurde mir von dem damals regierenden Fürsten von Bernburg die Stelle eines Institutors seines Erbprinzen angetragen, die ich aber von mir ablehnte.
Im Spätjahr 1747 trat ich meine Stelle in Berlin an, und hatte dabey Hoffnung bald auch in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen zu werden, wozu mir der Präsident, von dem es allein abhing,11 Hoffnung machte. Denn er sagte mir ausdrücklich: er habe mich dem Könige zu der Stelle am Gymnasium bloß deswegen vorgeschlagen, damit er mich in die Akademie nehmen könne, und ich, bis dort eine Pension aufkäme, inzwischen den Gehalt am Gymnasium genießen könne. Aber diese guten Gesinnungen des Herrn Maupertuis für mich dauerten nicht lange. Man mußte vermuthen, daß ihn jemand gegen mich eingenommen habe, aber ich habe den wahren Grund seiner Abneigung gegen[25] mich nie erfahren.12 Ich würde auch allem Ansehn nach, nie in die Akademie aufgenommen worden seyn, wenn nicht der verstorbene Geheimerath und erste Leibarzt Eller, die Sache mit großem Ernst betrieben hätte. Er brachte den Präsidenten dahin, daß ich im Spätjahr 1750 als ordentliches Mitglied in die Akademie aufgenommen wurde.
Dieses Jahr war überhaupt für mich ein glückliches Jahr, und brachte mich aus der Ungewißheit und Unbeständigkeit meines bisherigen Lebens in einen Beharrungsstand, indem sowohl mein häusliches Leben durch eine Heirath, als mein gelehrtes Leben durch Aufnahme in die Akademie, ihre Festigkeit bekamen. Denn ohne diesen doppelten Vortheil würde ich schwerlich in Berlin geblieben seyn. Meine Stelle am Gymnasium war höchst unangenehm. Unter der zahlreichen da studirenden Jugend war kein Schatten von guter Disciplin, und keiner von den Lehrern hatte die geringste Autorität, als in so fern er sie durch den sehr despotischen Rektor des Gymnasiums zu erhalten suchte. Es war aber meinem Charakter gänzlich zuwider, eine Autorität, die mir Kraft meines Amts, und selbst durch die gewissenhafte und gute Art demselben vorzustehen, gebührte, durch Umwege zu suchen.[26]
Da ich also mit dem besten Willen der Jugend nützlich zu seyn, doch nichts ausrichtete und dabey noch so vielem Mißbrauch und Unordnungen, denen ich abzuhelfen mich vergeblich bemüht hatte, zusehen mußte; so wurde mir mein Amt sehr zur Last, und ich würde es, wie mein Vorfahr Herr Beguelin, freiwillig niedergelegt haben, wenn mich nicht ein besonderes Interesse bei einiger Geduld erhalten hätte.
Nämlich ich hatte schon in Magdeburg auf eine Person eine Neigung geworfen, in deren Besitz ich meine wahre Zufriedenheit zu finden hoffte, und ich hatte starke Vermuthungen, daß auch sie eine Gegenneigung zu mir habe. Da sie ohne Eltern war und unter der Vormundschaft ihres Oheims, des Herrn Bachmann's in Magdeburg stand, so hatte ich mich schon das Jahr vorher bei diesem um sie gemeldet, aber ihn mir abgeneigt gefunden; wie denn insgemein die Kaufleute, besonders wenn sie reich sind, kaum etwas anders als ihren Stand schätzen.
Jetzt, im Sommer 1750, nahm ich mir vor die Sache nochmahls ernstlich zu betreiben, und, falls sie mir mißlingen sollte, auf einen ganz andern Plan des Lebens zu denken. Ich hielt zu dem Ende bey dem König um Erlaubniß an, eine Reise nach meinem Vaterlande zu thun, die ich auch erhielt. Meine Absicht war über Magdeburg zu gehen, da noch einen Versuch wegen der erwähnten Heirath zu machen, und falls er mißlingen sollte, auf irgend einen andern Ausweg zu denken.
Aber auch diesmal verließ mich mein gutes Glück nicht; das Verlöbniß kam zu Stande. Die in allen Absichten vortreffliche Person, die ihr Schicksal mit dem meinigen aus wahrer Zuneigung gegen mich vereinigen wollte, war die Tochter des Herrn Adolph Keusenhof's, eines schon seit einigen Jahren verstorbenen Kaufmanns, der aus dem Herzogthum[27] Berg nach Magdeburg gekommen war und daselbst Handlung getrieben hatte. Nun konnte ich meine Reise nach meinem Vaterlande vergnügt fortsetzen, und war sicher, daß er mir an einem dringenden Beweggrunde, bald wieder zurück zu kommen, nicht fehlen würde. Ich muß hiebey noch gedenken, daß mein vortrefflicher Freund Bodmer schon seit einiger Zeit damit umgegangen war, den Dichter Klopstock in Zürich bey sich zu haben, um ihm da die nöthige Muße und Sorglosigkeit zu geben, die zur Vollendung seines angefangenen herrlichen Gedichts vom Messias, nöthig schien. Es wurde also abgeredet, daß wir mit noch einem jungen Gelehrten aus Zürich, Herrn Schultheß13 zusammen reisen sollten. Herr Klopstock kam zu dem Ende nach Magdeburg und von dort aus kamen wir in neun Tagen nach Zürich.
Bey dieser Gelegenheit kann ich nicht unangemerkt lassen, daß die Absicht dieser Reise in Ansehung des Dichters nicht ist erreicht worden. Nicht nur deswegen, weil Klopstock in den ersten Tagen seines Aufenthalts in Zürich die Nachricht bekam, daß der König von Dänemark, um ihm Muße zu schaffen, ihm eine Pension gegeben, und er selbst nach Koppenhagen zu kommen eingeladen worden; sondern auch darum, weil nach kurzer Zeit eine merkliche Mißhelligkeit zwischen dem alten und dem jungen Dichter entstanden ist.
Ungeachtet mir alle Umstände dieses fatalen Zwistes genau bekannt sind, so trag' ich Bedenken, sie hier anzuführen. Das einzige was ich davon sagen kann, ist dieses: daß Herr Klopstock durch junge, hitzige und brausende Ergötzlichkeiten[28] liebende Leute, sich hat verführen lassen, dem, die äußerste Stille und Eingezogenheit liebenden Bodmer, und zwar nicht auf die schicklichste Art zu verstehen zu geben, daß die Gesellschaft der jüngern Freund ihm besser anstehe, als die seinige, und daß er deswegen sich in dem Bodmerischen Hause zu eingeschränkt finde. Anfänglich wurde Bodmer über diese sehr unerwartete Aeußerung nur bestürzt. Sein ganzes Herz hing so an dem jungen Dichter, wie das zärtlichste Vaterherz an einem innigst geliebten Sohne. Herr Klopstock scheint dieses nicht gefühlt zu haben.14 Als die jungen Leute, die ihn gern ganz besessen hätten, und darin durch seinen Aufenthalt bei Bodmer sich in etwas eingeschränkt fanden, sahen, daß einmal der erste Schritt, ihn von dem alten Dichter zu entfernen, gethan sey, wurden sie dreister, machten ihren jungen sehr unerfahrnen Freund auch kühner, und so entspann sich die Uneinigkeit. Auf Bodmer's Seiten waren die ältern Freunde, die ihm Klopstock's Verfahren in dem schlechtesten Gesichtspunkt vorstellten, und den guten Mann, dessen Charakter ganz zur Sanftmuth15 geneigt ist, gegen ihn aufzubringen suchten. Beide Dichter ließen sich zu weit führen,[29] und der förmliche Bruch erfolgte darauf. Aber genug hievon. Am Ende des Sommers reis'te ich wieder zurück und nahm meinen Weg über Frankfurt, Cassel und Göttingen, an welchem letzten Ort ich mit Haller'n in persönliche Bekanntschaft kam, und bei ihm auch den berühmten Bibliothekar des Statthalters der vereinigten Provinzen Herrn König antraf; der bald darauf nach Berlin kam. Durch diese Reise gab er Gelegenheit zu der bald nachher ausgebrochenen ärgerlichen Zänkerei mit dem Präsidenten von Maupertuis, in welche ich einigermaßen besonders verwickelt worden bin, und die vollends den Präsidenten mir gänzlich abgeneigt gemacht hat, so daß ich, so lange er lebte, bey der Akademie keine Pension zu erwarten hatte.16
Bey meiner Aufnahme in die Akademie, ward ich in die Klasse der spekulativen Philosophen gesetzt, und dadurch ward endlich der Gegenstand meiner Studien, der bisher sehr schwankend gewesen, indem ich mich mit mehrern Wissenschaften wechselsweise abgegeben habe, für immer bestimmt, und ich fing an im Ernst darauf zu denken, etwas Neues und Nützliches in diesem Fache zu bearbeiten.[30]
Noch in demselben Jahr wurde meine Heirath vollzogen, und nun befand ich mich in einer angenehmen Lage; weil ich wenigstens in meinem häuslichen Leben Vergnügen hatte, das mir den Ekel, welchen mir mein Lehramt verursachte, einigermaßen vergessen machte.
Ich muß hier wiederholen, was ich bereits von meinem eben nicht sehr einfachen Gemüthscharakter gesagt habe. Jetzt wäre es Zeit gewesen, mich gänzlich und mit gesammelten Gemüthskräften auf eine Wissenschaft zu legen. Mit meinen mäßigen Glücksumständen zufrieden, hatte ich keine weitere Entwürfe zu machen. Der Ehrgeiz mich empor zu haben, hat mich nie geplagt, und ich war vollkommen damit zufrieden, daß ich von einer Anzahl ansehnlicher Personen, mit denen ich in Bekanntschaft stand, nach Verhältniß meines Standes geachtet wurde. Anstatt aber mich in diesen vortheilhaften Umständen ganz auf die Wissenschaften zu legen, regte sich auch meine Neigung zum Genuß des Lebens und zu Geschäften, wo ich etwas anzuordnen und auszuführen hatte. Ich mußte auch meiner Frau Ergötzlichkeiten verschaffen. Daher entstanden Zerstreuungen, kleine Reisen, Gesellschaften; ich baute ein Haus, legte einen Garten an, und pflanzte darin nach Herzenslust. Dies rief mich also vom ernsthaften und anhaltenden Studiren ab.
Inzwischen ist alles wohl betrachtet, dieses vielleicht noch die beste Art zu leben, daß man sich weder ganz den Geschäften, oder einem anhaltenden Studiren, noch ganz dem Genuße der Annehmlichkeiten des Lebens überläßt, sondern sich zwischen beiden theilt, ohne sich jemal Gewalt anzuthun. Was hilft zuletzt ein berühmter Name, mit dem man nicht die geringste unangenehme Empfindung zu vertreiben, oder nur zu mildern im Stande ist? Und dann ist man auf der andern Seite nicht allemal sicher durch neue Entdeckungen zur[31] Erweiterung der Wissenschaften, der Welt einen wirklichen Nutzen zu stiften. Also finde ich keine Ursache, meine auf oben beschriebene Weise, bis jetzt da ich meinem Ende nahe bin, fortgesetzte Lebensart, zu bereuen. Ich habe die Vergnügungen des Lebens von allen Arten genossen; habe mich auf der andern Seite in den Wissenschaften nicht ganz unthätig gezeigt, und durch viele Bekanntschaften, die ich mit Personen aus allen Ständen, vom höchsten bis zum niedrigsten unterhalten habe, ist mir doch manche Gelegenheit vorgekommen, auch in Geschäften, sowohl für Privatpersonen, als für das Publikum manches Gute zu stiften, oder auszurichten, wodurch ich bey denen, die meine Art zu handeln kennen, den Ruhm eines rechtschaffenen Mannes erhalten habe, der unfehlbar mehr werth ist, als der glänzende Name eines großen Genie's. Denn dieser erwirbt nur Bewunderung, jener aber wirkt Zuneigung anderer Menschen, welche ich für das höchste Gut des Lebens halte. Es ist unendlich mehr werth, sich bewußt zu seyn daß man von vielen Menschen geliebt werde, als sich vorzustellen, man werde bloß bewundert.
Zwischen den Jahren 1750 und 1760, hat sich keine merkliche Veränderung in meinen äußerlichen Umständen zugetragen. Aber diese zehn Jahre durch lebte ich mehr in Zerstreuung, als jemals vorher. Der Bau meines Hauses, der bald darauf erfolgte Krieg und mancherley neue Bekanntschaften und Verbindungen, in die ich gekommen war, verursachten dieselbe. Ich kam in dieser Zeit in die Bekanntschaft einiger Prinzen des Königlichen Hauses. Der verstorbene Prinz von Preußen17 trug mir auf, seinen zweiten[32] Prinzen Heinrich, in der Geometrie zu unterrichten. Mit dem Markgrafen Heinrich kam ich in so genaue Bekanntschaft, daß ist oft ganze Tage, vom Morgen bis in die späteste Nacht bei ihm zubringen mußte. Auch wurde ich sehr oft zu seinem Herrn Bruder, dem damaligen Markgrafen von Schwedt gerufen. Angenehmer und auch nützlicher war mir im Anfange des Krieges, die Bekanntschaft mit dem Grafen von Borke, der damals Oberhofmeister des jungen Prinzen von Preußen war, und während des Krieges in meinem Hause wohnte. Durch diesen rechtschaffenen Mann und durch den Marquis d'Argens wurde ich, dem Namen und Rufe nach, dem König näher bekannt; weil diese beyden Männer, die mir wohl wollten, bey verschiedenen Gelegenheiten mit dem König von mir sprachen. Dieses hat den Grund zu der nachherigen merklichen Veränderung meiner Umstände gelegt. Auch kam meine nähere Bekanntschaft mit dem jetzigen Prinzen von Preußen18 daher. Ich stand zwar schon von lange in vertrauter Freundschaft mit Herrn Beguelin, dem zweiten Hofmeister dieses Prinzen, dessen Erziehung ich vom Anfange mit angesehen hatte. Jetzt aber trug mir der Graf von Borke auch dessen Unterweisung in der Geometrie auf. Obgleich nachher, vermuthlich durch einen Mißverstand, diese beyden rechtschaffenen Männer plötzlich in des Königs Ungnade gefallen und von dem Prinzen entfernt wurden; so muß ich ihnen aus genauer Kenntniß der Sache das Zeugniß geben, daß sie sich in ihrem Posten als rechtschaffene Männer betragen haben, und daß schwerlich jemal ein Prinz von so hohem Range mit mehr Sorgfalt unterrichtet worden, noch mehr gute Lehren bekommen, oder von[33] seinen Vorgesetzten bessere Beispiele des Guten gesehen hat, als dieser.
Von dem Jahre 1761 hebt sich ein Hauptzeitpunkt meines Lebens an. Im Frühling dieses Jahres starb meine Frau nach einer langwierigen Krankheit, die ihre von ihrer letzten Niederkunft geblieben war. Dieser Verlust hat mich erstaunlich angegriffen, und mich nicht nur eine Zeitlang zu jedem Geschäft untüchtig gemacht, sondern ich fing an zu glauben, daß ich für meine künftige ganze Lebenszeit in dieser Untüchtigkeit bleiben würde. Ich hatte meine Amtsverrichtung, das erste Jahr durch nach diesem Zufall, einem andern übertragen. Da sich aber mein trübsinniger Gemüthszustand in diesem Jahr nicht geändert hatte, hielt ich bey'm König um Erlaubniß an, eine Reise zu meiner Aufmunterung zu thun und erhielt sie auch durch den Marquis d'Argens.
Ich reis'te also im Sommer 1762, erst nach Magdeburg, wo damals der ganze Hof sich aufhielt, und einige Zeit darauf trat ich die Reise nach meinem Vaterlande an. Auf dieser Reise, wo ich den Weg über Leipzig durch Thüringen und Hessen nach Frankfurt, von da durch die Pfalz über Straßburg nach Basel nahm, war ich vieler Gefahr unterworfen, und entging durch seltsame Zufälle, die zu beschreiben zu weitläuftig wäre, wie durch ein Wunderwerk der Plünderung und vielleicht noch größern Gefahren, indem ich mehr als einmal in einem Tage, durch mehrere feindlich gegen einander streifende Parteien, allemal glücklich durchgekommen:19 da andre Reisende, theils vor meinen Augen, theils[34] vor und hinter mir geplündert und gemißhandele worden. Durch alle diese Gefährlichkeiten kam ich glücklich in Basel an. Von da ging ich auf Bern, wo ich einige Freunde hatte und auch neue bekam. Mit Anfange des Herbstes langte ich in meiner Vaterstadt an, wo ich denn bis auf das folgende Frühjahr blieb. Das Vergnügen nach einer langen Abwesenheit mich wieder in meiner Familie und unter meinen ältesten und besten Freunden zu befinden, trug doch viel dazu bey, mein Gemüth wieder in etwas zu beruhigen. Ich arbeitete den Winter über an dem seit einigen Jahren entworfenen Werke, das hernach unter dem Titel: Allgemeine Theorie der schönen Künste, an's Licht getreten ist.
Sobald man im Frühjahr 1763, des Friedens gewiß war, schrieben mir meine Freunde von Berlin: ich sollte eilen dahin zurück zu kommen, weil der König sich mehrmal habe verlauten lassen, er habe neue Dinge, die Erziehungsanstalten betreffend, vor, wozu er mich brauchen wollte. Ich reis'te also im März 1763 wieder aus meinem Vaterlande ab, und hatte zu meiner Gesellschaft einige brave junge Züricher, die kurz vorher den außerordentlichen Handel wegen des berufenen Landvoigts Grebel angefangen und ziemlich glücklich zu Ende gebracht hatten; jetzt aber, da doch noch eine starke und zweideutige Gährung dieser Sache halber übrig war, für gut befanden, sich eine Zeitlang von Hause zu entfernen. Die Hauptperson davon war, der nachher sehr berühmt gewordene Lavater; mit ihm waren seine beyden Freunde, Heß, und Füeßli, weicher letztere bald darauf sich seinem angebornen Hang zur Zeichnung und Melerey überließ und nun in England sich aufhält.[35]
Bei meiner Zurückkunft bestätigte mir der Graf von Borke, daß der König sich mehrmal gegen ihn geäußert habe, er wollte mich nun zu einer neuen und wichtigen Anstalt brauchen. Worin aber diese Anstalt und mein Amt dabey bestehen sollte, konnte mir niemand sagen. Da ich inzwischen durch zweyjährige Entfernung von meinem Lehramte eine starke Abneigung gegen dasselbe empfand, bat ich um Erlaubniß es niederzulegen, die ich auch erhielt.
Den Sommer dieses Jahres brachte ich in Pommern bey dem Grafen von Borke zu, der die Erlaubniß erhalten hatte, einige Monate auf seinen Gütern zuzubringen. Auf der Reise dahin legte ich in Schwedt eine Kommission ab, die mir von Zürich aus war aufgetragen worden und die darin bestand, daß ich im Namen der XIII. eidgenossischen Kantone einem jungen Prinzen von Wirtemberg, zu dessen Taufpathen sie von dem Prinzen Eugen, Vater des jungen Prinzen gebeten worden, ein Pathengeschenk überreichen sollte. Damals hielt sich die Familie des Prinzen in Schwedt auf, wo ich meinen Auftrag ausrichtete.
Inzwischen verstrich dieses Jahr 1763, ohne mir über das Vorhaben, das der König haben sollte, und wobey ich sollte gebraucht werden, das geringste nähere Licht zu geben. Ich fing an, die Gedanken daran fahren zu lassen und nach einiger Ueberlegung wie ich den Rest meines Lebens am besten zubringen könnte, faßte ich den Entschluß, mit meinen zwei unerzogenen Töchtern nach meinem Vaterlande zurückzugehen, daselbst auf dem Lande in der Nähe von Zürich so eingezogen zu leben, als nöthig seyn würde, um mit dem mäßigen Einkommen von dem Vermögen, das ich würde dahin bringen können, zu leben.
Zur Bestärkung in diesem Vorhaben, zeigte sich gleich[36] anfangs des Jahres 1764, die Gelegenheit mein Haus vortheilhaft zu verkaufen. Und nachdem dieses berichtigt war, fing ich auch an etwas von meinem übrigen Sachen zu verkaufen, um mich allmählig zu der großen Veränderung, die ich vorhatte, anzuschicken.
Wie aber unser Schicksal sehr selten sich nach unsern Entwürfen richtet, so ging es jetzt auch mir. Im Februar 1764 wurde mir zu wissen gethan, daß der König mir eine Pension von 200 Thlr. bey der Akademie gegeben habe. Bisher hatte ich keine gehabt, aber 200 Thlr. waren freylich nicht vermögend mich von dem einmal gefaßten Entschluß abzubringen. Ich schrieb an den König, bedankte mich für die angebotene Gnade und hielt zugleich um Erlaubniß an, meinen gefaßten Entschluß nach meinem Vaterlande zurück zu gehen, ausführen zu dürfen. Hierauf erhielt ich zur Antwort ein ganz gnädiges Kabinetsschreiben, darin Sr. Majestät mir die Gnade erwiesen, zu sagen: daß es ihnen zum Wohlgefallen gereichen würde, wenn ich meinen Entschluß änderte, indem Sie willens seyn mich irgendwo zu brauchen. Aber wie, wo und wann, darüber nicht das geringste Licht.
Ich nahm also die Freiheit nochmals an den König zu schreiben und meine vorige Bitte dringend zu wiederholen. Hierauf bekam ich selbst keine Antwort; an deren Statt aber einen Boten von dem Grafen von Borke, der in mich drang eilend nach Potsdam zu kommen. Zugleich schickte er mir ein Schreiben, das der König auf mein letztes an ihn hatte gelangen lassen. In diesem Schreiben meldete der König dem Grafen: daß ich auf meinen Abschied dringe, weil aber Sr. Majestät willens wären mich zu brauchen, so trügen Sie ihm auf, mich zu bereden, im Lande zu bleiben. Aber wieder kein Wort, wo ich sollte gebraucht werden.
Indessen konnte ich nun wohl nicht umhin mich nach[37] Potsdam zu begeben. Jetzt schrieb der Graf an den König, um zu wissen, was er mir eigentlich anbieten sollte, um mich im Lande zu behalten. Darauf kam die Antwort: Sr. Majestät wären willens eine Akademie zu Erziehung der adelichen Jugend zu errichten und wollten, daß ich dabey die Philosophie lehren sollte, versprächen mir dabey ein Gehalt von 1000 Thlr. und eine Pension von 500 Thlr. bey der Akademie, wovon die letzte sogleich, die erstere künftigen Manat May angehen sollte. Der Graf, der mir keine Zeit lassen wollte, die Sache zu überlegen, versprach dem Könige, daß ich es annehmen sollte. Und so wurde ich auf's Neue und für immer in Berlin fest gehalten.
Meine Potsdamsche Reise hatte noch eine andre wichtige Folge. Zwey Tage zuvor, ehe ich dahin gerufen ward, kam Herr Lambert nach Berlin, meldete sich zuerst bey mir und brachte diese beyden Tage fast ganz bey mir zu. Ich wurde dadurch so sehr von Bewunderung für diesen fürtrefflichen Mann eingenommen, daß ich auf dem Wege nach Potsdam und auch an dem Orte selbst, an nichts als an das große Genie dieses Mannes denken konnte. In Potsdam sprach ich gegen einige Personen, die täglich um den König waren, mit solchem Feuer von ihm, daß diese sich nicht enthalten konnten, dem Könige von meiner Bewunderung dieses außerordentlichen Geistes zu sprechen. Dieses hatte die Wirkung, daß als ich wieder nach Berlin zurückkam, schon ein Brief vom Herrn von Catt20 an mich da lag, darin dieser Freund mir meldete: der König wolle den angekommenen Philosophen sprechen und ich sollte dafür sorgen, daß er den andern Tag nach Potsdam komme, um noch an demselben gegen Abend dem König vorgestellt zu werden.[38]
Ich übergehe verschiedene kleine wirklich komische Umstände die sich hiebey ereignet haben, um nur zu sagen: daß Sr. Maj. an dem guten Manne den großen Philosophen nicht entdeckten, den Sie nach dem Berichte erwartet hatten. Und dieses meldete mir Herr von Catt sogleich und that ziemlich kläglich darüber. Lambert aber, der zu wenig Erfahrung hatte um zu merken, daß er nicht gefallen habe21 kam ganz vergnügt wieder. Meine Verlegenheit dabei war nicht gering. Man hatte den guten Mann mit dem Versprechen nach Berlin zurückgeschickt, daß er durch mich das Weitere über die Folge seiner gehabten Audienz erfahren werde. Ich sagte ihm ganz in Vertrauen, daß ein solcher Mann nicht wieder würde aus Berlin gelassen werden, wenn es nur recht angefangen würde, daß der König gute Absichten seinethalber habe, daß aber noch einige Zeit verstreichen könnte, ehe sie ausgeführt würden, und dieses befriedigte ihn. Inzwischen schrieb ich fleißig an Herrn von Catt und immer von Lambert, mit großem Bedauern, daß der König ihn nicht von der rechten Seite angesehen habe etc. Damit verstrich über ein halbes Jahr. Inzwischen hatte der russische Gesandte, Fürst Dolgorucky Herrn Lambert kennen gelernt, und nun bezeigte die Akademie in Petersburg Lust, ihn dahin zu ziehen. Dies gab mir nun neuen Muth in Herr von Catt zu dringen, dem König vorzustellen, daß es ewig Schade seyn würde, wenn wir, wie es den Anschein habe, diesen Mann[39] aus Berlin verlieren sollten. Dies that die gewünschte Wirkung, und der König ließ ihm eine Pension von 500 Thlr. und einen Platz in der Akademie anbieten, die er nach einiger Weigerung, ob er gleich gar nicht willens war nach Petersburg zu gehen, annahm.22 Ich will nur noch hinzusetzen, daß doch der König in der Folge den vorzüglichen Werth dieses Gelehrten erkannt und aus eigner Bewegung seine Pension nach und nach bis auf 1100 Thlr. vermehrt habe.
Ich war also nun auf's Neue wieder in des Königs Dienst, hatte aber noch nichts zu thun, weil die neue Ritterakademie noch nicht errichtet war. In diesem Sommer 1764 bekam der seit 1756 an hiesigem Hofe gestandene großbritannische Minister Herr Mitchell seine Zurückberufung, aber[40] nur im Geheim; denn er sollte nur unter dem Vorwand einer Reise in seinen Angelegenheiten, sich für eine Zeitlang vom hiesigen Hofe beurlauben. Ich stand seit dem Anfange seiner hiesigen Gesandtschaft in genauer Bekanntschaft mit ihm. Deswegen hat er mir an, ihn auf dieser Reise zu begleiten. Ich erhielt auch vom König eine uneingeschränkte Erlaubniß, so lange wegzubleiben, bis man mich zurück rufen würde. Also reisete ich im August mit erwähntem Gesandten von hier ab. Weil er vor seiner Ueberfahrt nach England den Brunnen in Spaa brauchen wollte, so reiseten wir über Cassel nach Frankfurt, und von da auf einer Jacht den Mayn und Rhein herunter bis auf Cölln, von da über Aachen nach Spaa. In Cassel gesellte sich der damalige hannöverische Oberste, jetzt polnische General Herr von Cocceji noch zu uns und ging mit nach Spaa. Der Gesandte blieb bis im October in Spaa und ich hatte da, mit verschiedenen englischen Herrn Bekanntschaft gemacht, die mir zum Voraus versprachen, mir in England Vergnügen zu machen.
Von da reiseten wir über Lüttich nach Brüssel, wo Herr Mitchell, der ehedem als englischer Minister da gestanden hatte, viele seiner alten Freunde besuchen wollte. In Brüssel machte ich durch ihn verschiedene gute Bekanntschaften; vorzüglich aber muß ich die ungemein verbindliche Art, womit der dortige Minister Herr Graf von Cobenzl mir begegnete, rühmen. Er hatte eine große Sammlung von Kupferstichen und Handzeichnungen zusammengebracht, und da er hörte, daß ich ein Liebhaber davon war, erlaubte er mir alle Morgen ganz früh zu ihm zu kommen und ließ mich die ganze Zeit über, da er Audienz zu geben hatte, mitten unter seinen Kunstschätzen, bis zur Tafel gerufen wurde. Aber ich bedauerte sehr, daß der Generalstatthalter Prinz Karl, kurz vorher, von da nach Wien gereist war. Herr Mitchell hatte[41] mich unterwegs sehr begierig gemacht, diesen Prinzen zu sehen, von dem er mir so viel Gutes erzählte.
Als ich in der besten Hoffnung war nun bald England zu sehen, bekam ich den 1sten November einen Brief von meinem Freunde von Catt, daß ich den 14ten November unfehlbar in Berlin zurück seyn müßte. Dieses war eine höchst verdrüßliche Nachricht für mich. Herr Mitchell sagte mir, er wollte in zwey Tagen nach Calais abgehen, ich sollte thun als wenn ich den Brief nicht mehr in Brüssel, sondern erst in London bekommen hätte, und also die Reise mit ihm fortsetzen. Ich getraute mir nicht diesen Schritt zu wagen, habe aber nachher erfahren, daß er von keinen schlimmen Folgen würde gewesen seyn. Ich mußte nun in dem schlechtesten Wetter und bey unbeschreiblich bösen Wegen, wo ich mehr als einmal Lebensgefahr ausgestanden habe, in größter Eile zurückreisen und bezahlte durch das viele Ungemach, das ich dabey ausgestanden habe, alles Vergnügen der vorhergehenden Reise reichlich. Die Wege waren so außerordentlich schlecht, daß verschiedene Postmeister es mir schlechterdings abschlugen, auf die gewöhnliche Postroute Pferde zu geben. An einigen Orten mußte ich sie doppelt bezahlen, an andern mir Umwege gefallen lassen. Und dennoch war alle diese Eil umsonst.
Ich war nun wieder in Berlin, die Akademie war noch nicht gestiftet, und das ganze Geschäft, das mir bald nach meiner Ankunft aufgetragen wurde, bestand darin, daß ich zu dieser Stiftung einen Professor der Rechtsgelehrsamkeit und einen für die Historie aufsuchen und vorschlagen sollte; welches ich, da die Sache gar nicht eilig war, von London aus eben so gut hätte thun können. Ich bereuete nun zu spät, dem Rathe des Herrn Mitchell's nicht gefolgt zu haben, welches mich um so viel mehr verdroß, da ich sonst bey ähnlichen Gelegenheiten mehr Muth gehabt habe.[42]
Noch in diesem Jahr erhielt ich vom König einen Platz, den ich mir, etwas von Berlin entlegen, in einer angenehmen aber stillen Gegend ausgesucht hatte, um daselbst einen Garten und eine ländliche Wohnung anzulegen, worauf ich seitdem die Sommer sehr angenehm zubringe.
Im Jahre 1765 kam endlich die Errichtung der neuen Königlichen Ritterakademie zu Stande, obgleich noch nicht alle Professoren zugegen waren. Also ich fing in diesem Jahre meine neue Laufbahn an.
Bey diesem Jahre muß ich einer Sache, die ich damals unternommen habe, gedenken, die anfänglich gering schien, aber durch ihre Folgen wichtig wurde und die mir von vielen falsch unterrichteten und passionirten Personen üble Nachreden zugezogen hat, obgleich die Sache an sich selbst so ist, daß ich nicht glaube jemals etwas nützlicheres in meiner kleinen Sphäre gethan zu haben. Dies ist die Veranlassung zur Bestellung der ökonomischen Kommission bei der Akademie der Wissenschaften. Ich will die ganze Sache nach der strengsten Wahrheit erzählen, und muß sie erzählen; weil ich weiß daß noch jetzt mehrere Mitglieder der Akademie und darunter einige meiner Freunde, sehr übel von der Sache unterrichtet sind.23[43]
Ich hatte mich schon vielfältig bey Herrn Euler, der als der Einzige noch in Wirksamkeit stehende Direktor der Akademie, in den ökonomischen Geschäften derselben alles that, beklagt, daß die genealogischen Kalender von denen die Akademie ansehnliche Einkünfte zog, sowohl im Druck, als an Kupferstichen und Band so schlecht wären, daß zu besorgen stehe, es würde sie zuletzt niemand mehr kaufen. Herr Euler gestand mir dieses ein; sagte mir sogar wie alle diese Mängel von dem Eigennutze des Oberkommissarius Köhler herkämen. Unter andern versicherte er; Köhler zwinge die Buchdrucker zu diesen Kalendern eine Schrift zu nehmen, die er vor vielen Jahren habe gießen lassen, die aber jetzt abgenutzt sey, und dennoch müsse gebraucht werden, weil die Buchdrucker ihm jährlich etwas dafür bezahlen müßten. Bei einer andern Gelegenheit vertraute mir Herr Euler noch eine andre Beschwerde, die er gegen Köhlern hatte. Nämlich daß bey Anfang des Krieges unter der Baarschaft der Akademie sich 6000 Thlr in Golde befunden hätten, und daß diese Summe jetzt nur in Silber-Courant vorhanden sey, ohne daß irgendwo das Agio derselben, welches damals sehr beträchtlich gewesen, in den Rechnungen vorgekommen sey. Kurz, ich erfuhr von Herrn Euler selbst, daß in der Administration unleidliche Mißbräuche herrschten. Dennoch war er geneigt den Köhler nach Willkühr verfahren zu lassen. Zum Theil hatte er das Herz nicht, sich ihm zu wiedersetzen, weil er wußte, daß der Großkanzler24 ihn beschütze, zum Theil aber[44] stand er in dem Gedanken, daß Köhler der einzige Mann im Lande sey, der das Kalenderwesen recht betrieben könnte. Dieses sind die wahren Ursachen, warum er sich nie unterstanden hat dem Köhler in irgend einer Sache entgegen zu seyn.
Da ich mit Herrn Euler nichts ausrichten konnte, klagte ich öffentlich bey der Akademie über den Verfall der Kalender; aber niemand wollte das geringste thun, um dem Uebel abzuhelfen. Hierauf entschloß ich mich die Sache von einer andern Seite anzugreifen. Ich unterrichtete Herrn von Catt von der Sache und bat ihn ernstlich Gelegenheit zu suchen, dem Könige die Nothwendigkeit vorzustellen, daß die ganze Administration der Einkünfte der Akademie gehörig untersucht werde. Dieses that die gewünschte Wirkung: es kam eine Kabinetsordre dazu an die Akademie und in derselben wurden sechs Mitglieder zu Kommissarien dieser Untersuchung ernannt, darunter sowohl Herr Euler als ich waren.
Bey der Akademie wußte niemand, woher dieser Streich gekommen, nur Herr Euler mochte vermuthen, daß ich ihn möchte veranlaßt haben. Von den Verrichtungen dieser Kommission will ich nichts sagen, obgleich Dinge davon zu erzählen wären, die den Charakter gewisser bekannter Männer in einem besondern Lichte zeigen würden. Das einzige worüber ich noch unständlich seyn muß, betrifft den Abschied des Herrn Eulers von der Akademie und seine Besetzung nach Petersburg, die eine Folge dieser Sache waren, und worüber der Kommission, besonders mir und Herrn Lambert[45] von Unwissenden Vorwürfe gemacht worden, als hätten wir diesen berühmten Mann aus der Akademie weggebissen, wie sie sich ausdrückten. Die Sache aber verhält sich in der genauen Wahrheit so:
Die ganze Untersuchung war Herrn Euler äußerst zuwider. Bisher hatte er allein alles regiert, und dann wollte er durchaus nichts Nachtheiliges für Köhlern geschehen lassen. Daher setzte es um freilich manche Scene, die ihm verdrüßlich war; weil er keinen einzigen Punkt wollte von Grund aus untersuchen lassen. Inzwischen war nun die Untersuchung so weit gekommen, daß die Kommission einen Bericht über das ganze Geschäft aufgesetzt hatte, der an den König sollte geschickt werden. Alle Kommissarien außer Herrn Euler waren darin einig, daß eine Hauptveränderung in der Administration nöthig sey, weil es sich gezeigt hatte, daß Köhler allein ohngefähr den vierten Theil aller Einkünste für sich zöge. Man konnte sich aber über keinen Vorschlag der dem König zu thun wäre, vereinigen. Daher wurde der Bericht so abgefaßt, daß drey Vorschläge gethan wurden, unter denen Sr. Majestät einen auswählen konnten. Diese waren:
1) Das Kalenderwesen, die hauptsächlichste Quelle der Einkünfte der Akademie, sollte verpachtet werden.25[46]
2) Es sollte eine neue Administration desselben bestellt werden.
3) Köhler sollte fortfahren es zu administriren, aber unter neuen Bedingungen.
Indem nun dieser Bericht bei den verschiedenen Kommissarien zur Unterschrift herum geschickt wurde, kam ein Kabinetsschreiben an die Kommission, in welchem der König befahl: das Kalenderwesen in Pacht zu geben. Dabey enthielt des Königl. Schreiben noch Verschiedenes, woraus man vermuthen mußte, der König habe den Bericht, der doch noch nicht abgegangen war, schon gesehen.
Diese Kabinets-Ordre veranlaßte eine außerordentliche Konferenz der Kommissarien. In derselben sagte ich gleich Anfangs, das Kabinetsschreiben beweise deutlich, daß einer von uns mit der Kommission nicht aufrichtig genug gehandelt habe, indem offenbar daraus erhelle, daß der König schon alles wisse, was ihm erst durch das ganze Kollegium habe sollen berichtet werden etc. etc.
Jedermann schwieg hierauf eine Weile lang still, und wir sahen stillschweigend einander an. Herr Euler zog uns endlich aus der Verlegenheit und gestand, daß er an den König geschrieben habe, um den schädlichen Folgen, die der entworfene Bericht gewiß nach sich ziehen mußte, zuvor zu kommen. Er setzte hinzu: er sey überzeugt, daß niemand als Köhler im Stande sey die Finanzen der Akademie zu administriren, daß er deutlich voraussehe, daß wenn Köhler weggedrängt seyn würde, die Einkünfte der Akademie in Verfall gerathen und sich so vermindern müßten, daß die Pensionen nicht mehr würden bezahlt werden können etc. etc. Er habe also aus guter Meinung dem Könige vorläufig abgerathen, unsern Vorschlägen Gehör zu geben.
Dieses naive Bekenntniß erweckte ein allgemeines Lächeln.[47] Man fragte endlich Herrn Euler, ob er auch nicht selbst eine Antwort vom König erhalten habe. Nach einiger Unentschlossenheit gestand er: daß er eine habe, und legte dieselbe auf den Tisch. Sie ward mit seiner Bewilligung gelesen, und es erhellte daraus, daß Herr Euler in seinem Schreiben an den König, alles was die Kommission vorzuschlagen willens gewesen, zum Voraus zu widerlegen unternommen hatte. Diese Widerlegung muß aber beschaffen gewesen seyn, daß sie dem König gerade das Gegentheil von dem bewies, was sie beweisen sollte. »Ich bin zwar nicht im Stande,« »sagte der König, krumme Linien auszumessen, aber so viel »weiß ich doch, daß 16 mehr ist als 13.« Dieses bezog sich darauf, daß in dem Berichte stand, der gegenwärtige Ertrag der Kalender belaufe sich auf 13000 Thlr. man hoffte aber, daß durch eine bessere Administration, er auf 16000 Thlr. und darüber steigen würde.
Wir konnten uns alle nicht enthalten über diese Antwort des Königs zu lachen. Herr Euler aber, der vorher ganz gleichgültig geschienen hatte, wurde jetzt seyn empfindlich. Er schrieb nachher hierüber nochmals an den König, erhielt aber eine, allem Ansehn nach, sehr ernsthafte Antwort, die er niemand gezeigt hat. Dieses ist die wahre Veranlassung seines Entschlusses wieder nach Petersburg zu gehen.26 Es ist indessen nicht ohne Wahrscheinlichkeit, was einige von uns vermutheten, daß er noch einen andern Grund gehabt,[48] nämlich: die Furcht, es würden die Einkünfte der Akademie nun in solchen Verfall gerathen, daß man nicht mehr im Stande seyn würde, ihm und seinem Sohne ihre Pension ganz zu bezahlen. Denn es ist ganz unglaublich von was für kindischen Besorgnissen und Vorurtheilen, dieser in seinem Fache so große Mann, eingenommen war. Der Erfolg hat denn auch hinlänglich gezeigt, in was für einem schiefen und falschen Licht Herr Euler dieses ganze Geschäft gesehen habe. Denn anstatt daß unter der alten Administration die Einkünfte der Akademie kaum auf 16000 Thlr. stiegen, sind sie gegenwärtig27 auf 23000 Thlr. gekommen. Doch genug hievon.
In eben diesem Jahre 1765, ereignete sich noch ein andrer Vorfall, der mir nachher sehr viel Arbeit und unendlichen Verdruß gemacht hat, dessen Ausgang aber so war, daß ich mir schmeichle, dem Lande dadurch keinen geringen Dienst geleistet zu haben. Auch hierüber muß ich mich etwas umständlich erklären.
In der vorhergehenden Erzählung, habe ich bereits angeführt, daß das Joachimsthalsche Gymnasium damal in größtem Verfall gekommen sey. Ich hatte schon, als ich noch Professor daselbst war, manchen Versuch gemacht, dem Schulrath darüber die Augen zu öffnen; aber alles war völlig[49] vergeblich gewesen. Es wäre der Mühe werth, daß ich eine ausführliche Geschichte dieser Sache aufsetzte; denn daraus würde zu ersehen seyn, wie die vortrefflichsten Stiftungen durch Nachlässigkeit, Unverstand und Unwissenheit der Aufseher auf der einen Seite, und auf der andern Seite durch Eigennutz, dumme Padanterey, Herrschsucht und Stolz der Schulmänner, nicht nur ganz unnütz, sonder sogar schädlich werden können. Aber die Sache ist mir theils zu ekelhaft und theils zu mühsam. Hierüber aber habe ich mir schon oft Verwürfe gemacht, daß ich zu gemächlich gewesen bin, auch nur ein bloßes Tageregister von der Sache aufzusetzen; weil schon daraus allein erhellen würde, was für nichtswürdigen Leuten bisweilen das Publikum Preis gegeben wird.
Es war nun ein neuer Minister28 zum Haupte des Schulraths gesetzt worden, und man fing an einzusehen, daß eine völlige Reformation des Gymnasiums nicht länger konnte aufgeschoben werden. Herr Hofprediger Sack, als Visitator desselben, hatte natürlicherweise die größte Rolle dabey zu spielen; dazu aber hatte er wenig Lust. Er legte deswegen seine Stelle als Visitator nieder und beredete den Minister, dem Könige mich dazu vorzuschlagen. Ich sah die Folgen davon wohl ein; da ich aber damal noch bey vollen Leibes- und Gemüths-Kräften war, wollte ich mich einer Sache, die so heilsam ausfallen konnte, nicht entziehen und nahm sowohl die Stelle des Visitators, als den Auftrag die Reformation zu bewirken, an.[50]
Ich mag mich in keine Erzählung meiner Verrichtungen dabey einlassen, sondern will nur überhaupt anmerken, daß nach unbeschreiblicher Arbeit und Verdruß von derselben, die Reformation zwar nicht gänzlich nach meinem Sinne, aber doch größtentheils zu Stande gekommen, daß neue Gesetze, eine neue Lehrart und einige neue Lehrer eingeführt, die abscheulichsten Mißbräuche aber glücklich abgeschafft worden sind.29[51] Seltsam war es hiebey, daß ich mir dadurch den Haß fast aller alten Lehrer zugezogen habe, ungeachtet ich ihre[52] Gehalte vermehrt, ihre Arbeiten vermindert und ihr Ansehen und die Autorität bey der Jugend um ein Merkliches erhöhet habe.
Es scheint mein Schicksal zu seyn, mich fast allein mit Schularbeiten abzugeben. Im Jahre 1769 oder 1770, denn dessen erinnere ich mich nicht recht, bekam ich den Auftrag nach Klosterbergen zu gehn, mich in Magdeburg zu dem Herrn Hofprediger Sack und Herrn O.C.R. Spalding, die sich damals in diesem Orte befanden, zu gesellen, und auf Königlichen Befehl den Abt Häne in Absicht auf das dortige Schulwesen außer Wirksamkeit zu setzen, die Schulanstalten zu untersuchen und Vorschläge zu deren Verbesserung zu thun. Da fiel mir wieder eine verdrießliche und sonst eben nicht geringe Arbeit zu, wobey ich wieder wenig Dank verdiente.
Kaum war dieses vorbey, so bekam ich wieder einen andern Auftrag derselben Art. Ich sollte mich mit Herrn Spalding nach Stettin verfügen, daselbst die Umstände des dortigen akademischen Gymnasiums und hernach auch die Stadtschule untersuchen; von da nach Stargardt gehen, um dort ein ähnliches Geschäft in Ansehung des Gröningschen Gymnasiums, der Stadt- und Realschule auszurichten und über alles sollten Entwürfe zur Verbesserung gemacht werden. Alles ward nach bestem Wissen und Gewissen ausgerichtet, hatte aber wenig Nutzen.30 Auch hier könnte ich eine gewisse[53] Gattung Menschen nach der Wahrheit, aber zugleich so schildern, daß auch der unempfindlichste Mensch, Ekel und Unwillen gegen sie fühlen müßte. Das einzige Angenehme bey dieser Kommission war, daß ich von meiner Reise nach Stargardt die Gelegenheit bekam, meinen alten Gönner und Freund und den Grafen von Borke zu besuchen, der seit Anfang 1764, da er in Ungnade gefallen war, sich beständig in Pommern auf seinen Gütern aufhielt, wo ich nun mit Herrn Spalding ein Paar sehr vergnügte Tage zubrachte.
Nun komme ich auf den fatalen Zeitpunkt, der mich für immer meiner Gesundheit und des größten Theils meiner Leibes- und Gemüthskräfte beraubt und von dem Umgange mit der Welt ausgeschlossen hat.
Im Jahre 1771 hatte ich meine ältere Tochter an den Hofmaler Graf in Dresden verheirathet, und nun reis'te ich im Frühjahr 1772 dahin, um die jungen Eheleute zu besuchen. Auf der Rückreise nach Berlin geschah es durch einen Zufall, daß ich mich nach einer Erhitzung heftig erkältete. Der Erfolg[54] war wie gewöhnlich, ein starker Schnupfen und Husten, die ich aber doch ohne Arzney zu überwinden hoffte, und ohne einen neuen Zufall vermuthlich würde überwunden haben. Da das Uebel am stärksten war, ließ die Prinzessin Amalia mich zur Mittagstafel nöthigen. Ich sagte dem Bedienten: er mögte mich bey Ihro Königlichen Hoheit entschuldigen, indem ich, wie er selbst hörte, kaum einen Laut von mir geben könnte. Der Bediente drang in mich, ich sollte kommen, weil er glaubte die Prinzessin würde es sonst ungnädig ausnehmen, indem die verwittwete Königin von Schweden auch bey der Tafel seyn würde, und diese eigentlich die Personen ernannt habe, die da speisen sollten. Also nahm ich einfältiger Weise die Einladung an. Es war eben ein sehr heißer Tag, und doch glaubte ich meines Hustens halber gut zu thun, wenn ich ein warmes Kleid von Tuch, statt eines Sommerkleides anzog. Weil ich in meinem Garten wohnte, so hatte ich in der größesten Mittagshitze beynahe eine Stunde auf dem Wege nach dem Palais der Prinzessin zu fahren, und kam in vollem Schweiß daselbst an.
Man hatte sich bey offnen nach dem Garten gehenden Fenstern, kaum an die Tafel gesetzt, als ein starkes Gewitter mit Sturmwind entstand. Die Königin wollte die Fenster nicht zumachen lassen, um das aufsteigende Gewitter desto besser sehen zu können. Indessen saß ich gerade an einer Seite der Tafel, wo der kalte Wind mich völlig traf. Dieses erkältete mich auf eine fürchterliche Art. Als ich nach Hause kam, fühlte ich gleich etwas Fieber, doch war es den folgenden Tag weg und ich befand mich wieder ziemlich gut. Drey oder vier Tage darauf aber überfiel mich ein heftiges Fieber mit starker anhaltender Hitze. Den Tag darauf war ich wieder[55] wohl. Und nun glaubte ich einige Tage lang, ein ordentliches dreytägiges Fieber zu haben, weil ich nach dem Anfall immer einen guten Zwischentag hatte. Deswegen versäumte ich auch einen Arzt rufen zu lassen. Aber ich wurde indessen immer schlechter und ließ mich nun nach der Stadt bringen, um die Hülfe eines Arztes zu suchen. Dieser fand mich so übel, daß er den Kopf schüttelte und mich unverzüglich zu Bette bringen ließ. Da zeigte sich bald, daß ich schon seit geraumer Zeit Geschwüre in der Lunge hatte, davon die Materie bereits faul und zum Theil in das Geblüt getreten war. Ich fiel also in ein heftiges faules Fieber und vor den ungeheuren Gestank, der von ausdünstete, konnte fast niemand an mich kommen.
Indessen gelang es meinem sehr wachsamen und geschickten Arzte, dem Herrn Geheimenrath Muzel, wenigstens die tödliche Kraft des Fiebers zu hemmen; aber ein ungeheurer, Tag und Nacht ohne alle Unterbrechung anhaltender Husten, richtete mich ganz zu Grunde. Ich behielt noch 18 Monat lang ein schleichendes Fieber, wovon ich doch endlich auch befreyt worden bin. Aber ein starker Husten und ein damit verbundener eiterhafter Auswurf bleiben nun schon im sechsten Jahre nach dieser fatalen Krankheit. Dabey sind meine Kräfte, besonders im Winter meist ganz weg. Und in diesem Zustande leb' ich jetzt, da ich dieses schreibe, nachdem ich unzählige so sehr gepriesene Heilungsmittel vergeblich versucht habe.
Indessen bin ich diese Zeit über nicht ganz unthätig gewesen. Noch vor meiner Krankheit trat der erste Theil meiner Theorie der schönen Künste an's Licht, und sobald ich wieder so viel Kräfte bekommen hatte, daß ich die Feder führen[56] konnte, arbeitete ich auch den zweyten Theil dieses mühsamen Werks aus.
Hiezu kommt noch eine außerordentliche Arbeit. Kaum hatte ich mich etwas erholt, als ich von dem Herzoge von Curland ein Schreiben erhielt, darin er mir eröffnete: er sey Vorhabens, ein akademisches Gymnasium in Mietau zu stiften, und daß er wünschte einen Plan von mir zu dessen Einrichtung zu bekommen. Nach einigen nähern Erläuterungen, welche die Absicht dieser Stiftung näher bestimmen sollten, entwarf ich einen solchen Plan, und schickte ihn, doch nur als einen Entwurf, den ich, nach darüber eingegangenen Anmerkungen ganauer auszuarbeiten vorhatte, an den Herzog. Zu meiner Verwunderung und Bestürzung aber, erhielt ich, einige Zeit hernach, anstatt der erwarteten Erinnerungen, meinen Plan gedruckt und schon in der völligen Formalität eines Gesetzes für diese Stiftung.
Nun mußte ich auch die Lehrer dieses Gymnasiums zusammen suchen, und dahin schicken u.s.f. Dieses verursachte mir viel Arbeit, und nachher auch nicht wenig Verdruß; indem kaum einer nachdem er da angekommen, mit seiner Lage zufrieden war, so, daß mir zuletzt die ganze Sache zur Last wurde. Nachdem die Professoren alle da angekommen waren, bekam ich selbst eine Einladung vom Herzoge dahin zu kommen und die Direktion der Sache über mich zu nehmen. Es wurde mir dabey ein Gehalt von 900 Dukaten, ein eignes Haus und so oft ich wollte freye Tafel am Hofe angetragen. Ich lehnte die Sache so gut ich konnte ab. Wäre ich auch völlig gesund gewesen, so würde ich dennoch die Stelle nicht angenommen haben, weil ich mit meiner jetzigen[57] Lage völlig zufrieden bin und dafür halte, daß man einen Stand, darin man zufrieden ist, nie gegen einen obgleich vortheilhafter scheinenden, den man nicht genau kennt, vertauschen sollte. Da mich ohnedem diese Stelle in Verbindung mit dem Hofe würde gebracht haben, und ich vor allem Hofleben, an großen oder kleinen Höfen, einen Abscheu habe, so war die Versuchung sie anzunehmen desto geringer.
Nunmehr konnte ich so ziemlich darauf rechnen, daß ich die von dem Schicksale mir hier bestimmte Rolle gespielt habe, und nahm mir vor, mich in kein Geschäft und in keine Arbeit mehr einzulassen. Ich hielt bey dem König um die Erlaubniß an, meine Lehrstelle bei der Ritterakademie durch einen andern, den ich namentlich vorschlug, versehen zu lassen. Die Hauptsache, nämlich das Uebertragen meiner Arbeit an einen andern, wurde mir zugestanden, aber dazu sollte ich einen geschickten Mann aus der Schweiz kommen lassen, der nach meinem Tode die Stelle haben sollte. Ich fand niemanden dazu, und seit der Zeit habe ich meine Arbeit, so weit es meine Kräfte zuließen, theils selbst versehen, theils für eine Zeitlang von andern versehen lassen. Und in diesem ungewissen Zustande, ob ich mein Amt werde behaupten können, oder aufgeben müssen, lebe ich noch.
Im Jahre 1775 machte ich einen Hauptversuch meine Gesundheit wieder herzustellen. Der Herr von Haller hatte mir schon das Jahr vorher gerathen, im Herbst nach Neapel zu reisen und daselbst den Winter zuzubringen. Nun dachte ich ernstlich an diese Reise. Da ich aber kurz vorher des Engländers Smollet Reise durch Frankreich und Italien gelesen hatte, bekam ich Lust einen Winter in Nizza zuzubringen. Auf erhaltene Erlaubniß vom Könige, reis'te ich auch[58] im August 1775 dahin ab. Weil ich ein besonderes Tagebuch von diese Reise geschrieben habe,31 so will ich mich hier dabey nicht aufhalten, sondern nur melden, daß ich gegen Ende des Julius 1776 von dieser Reise glücklich wieder zurück gekommen, zwar nicht völlig gesund, doch merklich besser, als ich vorher gewesen war.
Auf meiner Reise, nach Nizza erfuhr ich in Lausanne durch die Zeitung, daß der König mich zum Direktor der philosophischen Klasse bey der Akademie ernannt habe, und bald darauf wurde mir dieses durch Briefe eines berlinischen Freundes bestätigt.32
Diese Reise verschaffte mir auch den Vortheil, in[59] Bekanntschaft mit dem berühmten und rechtschaffenen Herrn Bonnet zu kommen, die sich bald von beiden Seiten zu einer warmen Freundschaft erhöhete, welche seit dem durch einen anhaltenden Briefwechsel genährt wird.
Seit meiner Wiederkunft von dieser Reise bis jetzt (Oktober 1778) ist wenig Veränderliches in meinen Umständen vorgefallen, und ich habe auch seitdem nichts Erhebliches gethan. Meine Gesundheitsumstände verschlimmerten auch durch den folgenden Winter wieder so, daß ich seit derselben Zeit bis auf den heutigen Tag nicht nur viel und mancherley Beschwerden erfahren müssen, sondern beinahe von einem Monate zum andern in Erwartung das Ende meines Lebens zu finden, gewesen bin. Die beständige Vorstellung, daß ich dem Tode nahe sey, hat mir endlich eine ziemlich anhaltende Gleichgültigkeit für das Leben eingeflößt, so, daß mich jetzt dünkt, ich werde ohne Verdruß oder, Mühe, den Tod auf mich zukommen sehen.
Gegen Ende des Jahres 1777, erhielt ich ein sehr gnädiges Kabinetsschreiben vom Könige, worin Sr. Majestät mir auftrugen für den Prinzen Ludwig, zweyten Sohn des Prinzen von Preußen, einen tüchtigen Institutor auszufinden. Auf meinen ersten Vorschlag, der nicht angenommen wurde, vermuthlichs deswegen, weil die vorgeschlagene Person verheirathet war, befahl mir der König, den Mann den er verlangte, vorzüglich in der Schweiz aufzusuchen. Ich schrieb deswegen an meine Freunde von Haller und Bonnet, aber ohne Erfolg. Endlich schlug ich einen Berliner, den Sohn des Geheimenraths Gautier de St Blancard vor, der, nachdem ihn der König selbst gesehen hatte, endlich angenommen wurde.[60]
Den letzten Tag in diesem Jahre schrieb mir der Herr von Catt; daß der König mich denselben Abend zu sprechen verlangte, und daß ich mich nach 5 Uhr auf dem Schloße einfinden sollte. Ich war äußerst schwach und konnte mir nicht vorstellen, daß ich nur wenige Minuten vor dem Könige würde stehen können. Indessen wollte ich gern dem Befehle Folge leisten, hauptsächlich deswegen, weil ich wußte, daß der König mich wegen der Aufnahme des jungen Mathematikers Schulz33 in die Akademie, wozu er von den Direktoren derselben vorgeschlagen worden, sprechen wollte, und ich sehr wünschte, daß es geschehen möchte. Ich ließ mich[61] also hinauf tragen und wurde gegen 6 Uhr mit meinem Collegen Herrn Merian, durch den Herrn von Catt bey Sr. Majestät eingeführt.34
Der König war äußerst gnädig und schien überhaupt sehr aufgeräumt. Da Sr. Maj. von meiner Schwachheit unterrichtet waren, so trug ich kein Bedenken, in Dero Gegenwart mich bald an den Herrn von Catt, bald an eine sogenannte spanische Wand, vor welcher der König stand, anzulehnen.
Der König fing die Unterredung, wie ich vermuthet hatte, gleich damit an, daß er mich über den jungen Schulz,[62] dann über den Professor Ferber in Mitau, der von dem Minister v. Heynitz, als ein trefflicher Mineralog zur Aufnahme in die Akademie empfolen worden war, befragte. Es war darum zu thun, daß einer dieser beiden Gelehrten, mit einer Pension bey der Akademie sollte angenommen werden, weil der Zustand der akademischen Kasse es nicht erlaubte, beide mit Pensionen versehen.
Als ich von Schulz als einem tüchtigen Astronomen sprach, sagte der König: daß er nicht absehe, warum wir uns so sehr für die Astronomie interessirten, da wir keine Marine hätten, noch jemals haben würden. Ich antwortete hierauf: daß Europa Sr. Maj. als einen allgemeinen Beförderer aller Wissenschaften ansehe, daß die Astronomie, als eine der wichtigsten, von allen europäischen Nationen mit großem Eifer getrieben werde, und daß es der Akademie zu großer Ehre gereichen würde, wenn sie das Ihrige zur Vervollkommnung dieser Wissenschaft beitragen würde, daß folglich dieses ein Gegenstand wäre, der so gut als irgend ein anderer, die Aufmunterung von Seiten Sr. Maj. verdiente. Der Erfolg war, so wie ich es gewünscht hatte, daß Herr Schulz35 mit einer Pension zum Mitglied der Akademie aufgenommen ward.[63]
Nachher sprach der König vieles über das Epikuräische System der Philosophie, dem er nicht abgeneigt schien. Er kam darauf auf die heutigen Philosophen in Frankreich, von denen er, ungeachtet seiner Verbindung mit d'Alembert, keine große Vorstellung zu haben schien. Er sagte unter andern: daß diese Leute die Menschen reformiren wollten, die sie doch gewiß nicht kennten, daß sie von dem kleinen sehr eingeschränkten Zirkel ihrer Bekanntschaft, auf die Menschen überhaupt Schlüsse machten, die nothwendig sehr einseitig seyn müßten u.s.w.
Nach mancherley die Philosophie betreffenden Materien, kam die Unterredung noch auf die Religion. Als Sr. Maj. unter andern sagten: daß man in dem Unsinn soweit gegangen, d'admettre un Dieu, qui en a fait un second et que ces deux ensemble en ont produit un troisieme etc. nahm ich mir die Freyheit zu sagen: daß gegenwärtig die vornehmsten Theologen, besonders einige der angesehensten Geistlichen in Berlin dergleichen abgeschmacktes Zeug nicht mehr vorbringen, daß überhaupt die christliche Lehre, so wie[64] sie jetzt von den im größten Rufe stehenden Predigern in Berlin vortragen werde, eine ganz andere Gestalt habe, als sie zu den Zeiten, da Sr. Maj. in der Religion unterrichtet worden, gehabt u.s.w. Unter andern sagte ich auch: daß der Propst Spalding ein eigenes mit großem Beifall aufgenommenes Werk geschrieben habe, worin er den Geistlichen die stolze Vorstellung, daß sie unmittelbar einen göttlichen Beruf als Priester Gottes hätten, zu benehmen suche, und ihnen vorstelle, daß ihr Beruf, als bloß politisch betrachtet, dem zu Folge sie das Volk über alle Pflichten unterrichten und zu Befolgung derselben ermahnen sollten, edel genug sey u.s.w. Worauf der König sagte: cela est très bien, et je suis le premier à réspecter cela. Sr. Maj. setzten hinzu, die Einbildung der Geistlichen von einem unmittelbaren göttlichen Beruf, sey eben so ungereimt, als das Vorgeben, womit man den Souveränen schmeichelt, daß sie das Ebenbild Gottes auf Erden seyn. Hier sagte der König etwas, das mich sehr rührte und welches ich deswegen für merkwürdig genug halte, es von Wort zu Wort hier anzuführen. Voyez vous, sagte er in einem sehr ernsthaften und nachdrücklichen Tone: Si je réussirois à rendre tous mes sujets parfaitement heureux, je n'aurois opéré que sur une très petite partie de ce globe, lequel n'est qu'une partie infiniment pêtite de l'Univers. Comment oseroisje me comparer à cet Etre qui gouverne et tient en ordre cet immense Univers?36 Ich denke, daß wenig Könige eines solchen Gedankens fähig sind.[65]
Nachdem die Unterredung gegen zwey Stunden gedauert hatte, sagten Sr. Maj. zu mir sehr gnädig: je vois que vous étes fatigué, je vous ferai apeller autre fois.37 Worauf ich mich beurlaubte.
Der Herr von Catt sagte mir hernach, daß er den König in langer Zeit nicht so aufgeräumt gesehen habe. In der That war er in einem hohen Grade herablassend und höchst aufgeräumt; erzählte gelegentlich allerhand Anekdoten, insonderheit von dem verstorbenen Baron von Pöllnitz und dessen Religionsänderungen, wobey Sr. Maj. sich herabließen, seine Heucheleyen durch Ton und Geberden auf das lebhafteste nachzuahmen.38 Er sprach überhaupt mit großer Verachtung von diesem Mann. Nach dieser Audienz zu urtheillen,[66] würde ich das Urtheil von ganzem Herzen unterschreiben, das Voltaire ehedem vom Könige gegen jemanden geäußert hat, da er sagte: que le Roi de Prusse étoit le plus poli et le plus spirituel de tous le hommes. Ich glaube auch überhaupt, nachdem ich alle mögliche Aufmerksamkeit auf jedes Wort, jeden Ton und jede Geberde, dieses gewiß außerordentlichen Fürsten, verwendet, bemerkt zu haben, daß die Anlage seines Charakters in Ansehung des Geistes und Herzens, ganz vortrefflich sey, und daß dasjenige, was etwa an ihm auszusetzen wäre, wirklich zufällige und vorübergehende Unvollkommenheiten sind.
Das folgende 1778ste Jahr, ist mir bisher in Ansehung meiner Gesundheit sehr fatal gewesen. Außer der allgemeinen großen Schwachheit habe ich viel schlimme und zum Theil[67] schmerzhafte Zufälle gehabt, welche den ganzen Sommer durch bis jetzt, miteinander abgewechselt haben, so daß ich zu aller Art von Beschäftigung dieses Jahr über völlig untüchtig gewesen bin.39
1 Leu führt im schweizerischem Lexikon aus Tschudi's Chronik einen Hartmann Sulzer an, der 1388 in der Schlacht bey Näfels erschlagen worden. Von dem Geschlechte in Winterthur führt er keine früher an, als vom Ende des 15ten Jahrhunderts, aber eben so früh, führt er Sulzer an aus dem Kanten Bern, namentlich aus Interlachen und Hasli; auch in Uri war ein Geschlecht, welches im 17ten Jahrhunderte ausstarb.
2 Diese Tausche sind noch bis auf den heutigen Tag sehr gewöhnlich, jedoch meistens auf die deutsche und französische Schweiz eingeschränkt. Ich habe mich selbst zu Lausanne in diesem Falle, befunden, allwo ich bei der Frau von Severy wohnte, deren Sohn damal auf der Universität zu Basel studirte und in meinem väterlichen Hause meine Stelle einnahm. In Lausanne habe ich ungefähr in meinem 17ten Jahre das Französische erlernt, wovon ich vorher kein Wort verstanden hatte, und zugleich das Engländische, wozu mir die Menge der damal sich dort aufhaltenden Engländer Gelegenheit verschaffte. Ich rechne die Tage, die ich daselbst zugebracht, unter die angenehmsten meines ganzer Lebens.
3 Johann Geßner, nachher Stifter der naturforschen den Gesellschaft zu Zürich, gest. 1790.
4 Besonders wäre er wegen seiner geringen Kenntniß der hebräischen Sprache beynahe abgewiesen worden, aber seine Probepredigt machte die Sache wieder gut. Das berichtet Hitzel in seinem Leben Sulzer's Th. 1. S. 27.
5 A. Fr. Wilh. Sack, der Vater, Verf. des vertheidigten Glaubens der Christen.
6 Sulzer beschrieb diese Entdeckungen, in einem Aufsatze, welcher im dritten Stücke einer damals zu Zürich herauskommenden moralischen Schrift: Neuer historischer Mercurius oder Sammlung alter und neuer Merkwürdigkeiten aus der Philosophie, Gottesgelahrtheit und Sittenlehre von J.R. Ziegler, und auch besonders gedruckt ward. Breitinger gab eine besondere ausführlichere Beschreibung davon heraus.
7 Beschreibung der Merkwürdigkeiten auf einer 1742 gemachten Reise durch einige Orte des Schweizerlandes beobachtet. 1743. 4.
8 Ein Kaufmann zu Zürich, welcher auch die Wissenschaften liebte.
9 Hrn. Bachmann.
10 Zweymal gedruckt zu Zürich, 1745 und 1748.
11 Jetzt werden die aufzunehmenden Mitglieder, den sämmtlichen Mitgliedern der Akademie vorgeschlagen, und von ihnen nur durch die Mehrheit der Stimmen erwählt, welches gewiß zweckmäßiger ist, als wenn die Wahl auf den Willen eines Einzigen beruhet, auf welchen Vorurtheil oder bloß einseitige Empfehlung nur allzuleicht Einfluß gewinnen können. In den vorliegenden Fall, mußte noch dazu Hr. Formey Sulzer's moralische Betrachtungen über die Natur erst ins französische übersetzen. (Man s. Eloge de Mr. Sulzer, in den memoires de l'Academie de Berlin, Année 1779. S. 5.) weil Maupertuis nichts von Sulzer's deutschen Schriften verstand. Sulzer war unstreitig würdig in die Akademie aufgenommen zu werden; aber dieß eben genannte halb ascetische Büchlein hätte ihm nicht eine Befugniß dazu geben können, wenn es auf eine unparteiische Wahl aller gelehrten Mitglieder angekommen wäre.
12 Ich vermuthe, jedoch ist es eine bloße Vermuthung, daß die dazumal mit Eifer betriebenen Streitigkeiten über die Monaden zu der Verzögerung der Aufnahme Sulzer's in die Akademie beigetragen haben. Er war wie bekannt, der Leidnitzischen Philosophie ergeben; Hr. Euler hingegen derselben äußerst abgeneigt und ein eifriger Anti-Monadist, der es auch dahin brachte, daß der auf die Aufgabe über diese Materie gesetzte Preis einer anti-monadistischen, ob wohl sehr schlechten Schrift zufiel. Hiervon habe ich in meinem Eloge de Mr. Formey einige Umstände erzählt.
13 J.G. Schultheß, der als Uebersetzer von Arrian's Epiktet u.a. griechischen Schriften sich nachher rühmlich bekannt gemacht hat.
14 Es gab dennoch hierüber sehr verschiedene Meinungen. Einige glaubten, Bodmer habe von Klopstock verlangt, daß er so zu sagen für ihn allein leben sollte, welches freilich von einem jungen Manne, einem feurigen Kopfe, und besonders von einem Dichter zu viel gefordert hieß. Auch soll in der Folge, wofern mich mein Gedächtniß nicht betrügt, mit Herrn Wieland etwas ähnliches vorgefallen seyn.
15 Bodmer ward von Sulzer äußerst und wirklich übermäßig verehrt; dieß zeigte sich auch bey der Beurtheilung der vorliegenden Geschichte. Bodmers Charakter war nicht ganz zur Sanftmuth geneigt, vielmehr feurig, noch bis in sein hohes Alter. Man muß dabey nicht vergessen, daß Bodmer auf den Gedanken gekommen war ein Heldengedicht, die Sündfluth, in Hexemeten zu machen, wozu dem sonst so sehr verdienten Manne der Geist fehlte, und welches Klopstock freilich nicht so bewundern konnte, wie es Sulzer bewunderte, welcher sich auch beynahe mit allen seinen berlinischen Freunden darüber entzweyete, daß ihnen der Noah nicht schmecken wollte.
16 Die ist eine Bestätigung meiner obigen Bemerkung, daß es unzweckmäßig und unschicklich war, die innern Angelegenheiten einer gelehrten Gesellschaft bloß von der Willkühr eines Einzigen abhängen zu laßen. Man s. auch oben Hr Merians Anmerkung Nr. 2.
17 Der Vater des nachherigen Königs Friedrich Wilhelm II.
18 Dem nachherigen Könige Friedrich Wilhelm II.
19 Zu Hühnefeld, zwischen Fulda und Saalmünster, kam er eben an, als französische leichte Truppen von Husaren der alliirten Armee aus diesem Orte verjagt wurden. Beide Parteien schossen sich um seinem vor dem Wirthshause stehenden Wagen herum, und durch denselben. Man s. Sulzer's Tagebuch einer in dem Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise. (Leipzig, 1780. gr. 8.) S. 13.
20 Vorleser des Königs.
21 Er hatte unter andern auf die Frage des Königs: Welche Wissenschaften er vorzüglich verstehe, geantwortet: Alle! Und auf die fernere Frage: Wie er alle dieses Wissen erlangt habe? Gleich dem berühmten Pascal, durch mich selbst.
22 Hr. von Catt hatte mich ersucht, Herrn Lambert hievon zu benachrichtigen, zu welchem ich sogleich freudig hinging, und da mir bewußt war, wie sehr er wünschte in Berlin zu verbleiben, glaubte ich ihm gleichfalls durch diese Nachricht Freude zu verursachen. Um so mehr fand ich mich betroffen, ihn selbige mit der größten Gleichgültigkeit aufnehmen zu sehen, ihn sagen zu hören, er wolle der Sache weiter nachdenken. Ich antwortete ihm frei heraus, es komme hier auf kein weiteres Nachdenken an; sondern entweder den Ruf auf der Stelle anzunehmen, oder auf immer darauf Verzicht zu thun, indem er gewiß nie zum zweitenmal an ihn ergehen würde. Hierauf ging ich zu Sulzer, um ihm die Sache zu erzählen. Da Lambert auch noch denselben Tag zu ihm kam, sagte ihm Sulzer mit seinem bisweilen gebieterischen Ton: Setzen Sie Sich nieder und schreiben Sie, was ich Ihnen diktiren werde. Dies war ein Danksagungsbrief an den König. Lambert gehorchte, und so erreichte die Sache ein glückliches Ende.
23 Unter andern war es unser Freund Beguelin. Er behauptete beständig, daß alle aus dieser neuen Einrichtung zu erwartende noch so große Vortheile den Verlust eines Euler's niemals ersetzen könnten. M. Dieß ist in gewisser Maaße allerdings wahr. Aber man muß billig auch bedenken, daß Sulzer's Anordnungen für das Publikum, und für die Akademie ersprießlich waren, und daß es seine Schuld nicht war, daß Euler sich nicht gut betrug und hernach aus Eigensinn Berlin verließ.
24 v. Jarriges. Derselbe hatte ehemal, als Mitglied der Akademie, das Kalenderwesen besorgt, und Köhler der bey ihm anfänglich Bedienter war, hatte sich dessen mit rühmlichen Eifer angenommen, und dadurch die Einkünste der Akademie, gegen vorige Zeit, ansehnlich erhöhet; freylich aber auch sich nicht dabey vergessen, weshalb ihm viele ungünstig waren und manche Klagen einliefen.
25 Ich war der erste der für die Pacht stimmte, hatte aber hierin den Beifall des einzigen Herrn Beausobre. Glücklicher Weise brachte Herr Euler selbst, durch sein Schreiben an den König, worin er davon abrieth, selbige zu Stande. Denn ich gestehe freymüthig, daß ich mir von einer Administration des Kalenderwesens von Seiten der Kommission, und besonders durch Herrn Lambert, der sehr darauf drang, ohne den Zeitverlust zu rechnen, keinen vortheilhaften Begriff machen konnte.
26 Herr Euler machte hieraus gar kein Geheimniß, und sagte es jedem, der es nur hören wollte. In dergleichen Fällen mißverrechnete sich unser großer Geometer erstaunend.
27 Im J. 1778. Im J. 1800 stieg die Pacht auf 30,400 Thaler. M. – Seit 1808 ist die Akademie genöthigt das Kalenderwesen selbst zu verwalten, da sich kein Pächter gefunden hat.
28 Hr. v. Zedlitz.
29 Es ist wohl nicht zu läugnen, das bey dieser Schule mehrere Mißbräuche abzuschaffen waren, auch nicht, daß Sulzer treffliche und wesentliche Verbesserungen in den Lehrmerhoden entwarf. Aber er war weniger bemühet auf Mittel zu denken, wie sie glücklich auszuführen wären und darin Beharrlichkeit zu zeigen, da er vielmehr wegen der Schwierigkeiten die sich ihm entgegensetzen, bald der ganzen Sache beynahe überdrüßig ward. Es ging ihm wie manchen Verbesserern von Schulen und von Staaten, welche zwar das Unvollkommene alter bestehender Verfassungen sehr lebhaft einsehen, und daher alles ganz neu machen wollen, aber nicht genug überlegen, ob etwa ihre vorgeschlagenen Ideen neuer Organisationen auch allezeit in den vorliegenden Umständen ganz passend und ob sie so leicht auszuführen sind wie sie sich vorstellen. Man will da eine neue Maschine angeben und denkt nicht genug an die unvermeidliche Friktion. Sulzer, nachdem er die Schule ganz umgeformt hatte, zog seine Hand ab, weil ihn die Schwierigkeiten verdrießlich machten, welche vor seinen Füßen lagen, aber woran er wenig gedacht hatte. Die alten Schullehrer konnten nicht in seine Ideen eingehen, wollten vielleicht zum Theile auch nicht, und ein neuer Lehrer, C.G. Müller, (oder Myller, sonst auch bekannt durch Herausgabe alter deutscher Gedichte aus dem 12ten 13ten 14ten Jahrhunderte, zu Berlin 1783, 1784 gedruckt,) ein Landsmann Sulzer's, den er nach Berlin gezogen hatte, und auf den er unglücklicher Weise ein großes Vertrauen setzte, war fast ganz unbrauchbar, und verdarb sehr viel durch sein aufbrausendes und verkehrtes Wesen. Daher hatte Sulzer's trefflich gedachte Verbesserung anfänglich nicht die vortheilhafteste Wirkung auf dieses Gymnasium, vielmehr riß, besonders unter den im Gymnasium wohnenden Schülern, denen S. mehr Freyheit hatte geben wollen, der äußerste Mangel an Disciplin ein, bis der edle Meierotto das Rektorat dieser Schule übernahm, und Sulzer's gute Ideen mit seinen eignen verbindend, dieselbe nach und nach in einen musterhaften Zustand brachte. Eine von den vorzüglichsten Ideen bei dieser Schulverbesserung führte Sulzer aus, in den 1768 zuerst gedruckten Vorübungen zur Erweckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens, zum Gebrauch einiger Klassen des Joach. Gymnasiums, die ein kleines Bändchen ausmachten. Er fühlte selbst, daß diese Schrift noch nicht ganz vollkommen war. Er trug daher bei einer im J 177 nöthigen neuen Ausgabe, da er Krankheit wegen die Verbesserung selbst nicht übernehmen konnte, dieselbe seinem Landsmanne, dem obengedachten Prof. Myller auf, zu welchem er damal ein unbegränztes Vertrauen hegte. Dieser aber, zur Ausführung ganz ungeschickt, dehnte zwar die Sammlung viel weiter aus, aber auf eine unzweckmäßige oft beinahe abentheuerliche Weise. Erst, nachdem diese Auflage verkauft war, arbeitete 1780 der edle Meierotto dieses unförmlich gewordene Werk um, in drei Heften, zum Gebrauch der niedern, mittlern und höhern Klassen, mit Hinzufügung eines vierten Heftes, zum Gebrauch der Lehrer. So ist dieses Werk, durch Meierotto, eines der brauchbarsten Schulbücher geworden.
30 Der stets einsichtsvolle und wohlmeinende Sulzer war wie schon gedacht, oft in dem Fall so manchen wackern Leute, welche – in Schulen und Staaten – die leicht zu bemerkenden Fehler bestehender Formen einsehen, welche meinen, es sey nun mit Entwürfen zur Verbesserung alles hinlänglich gethan, und sich nun wundern, wenn diese Entwürfe nicht den gewünschten Nutzen stiften. Sie sind dann sehr geneigt, dieß Mißlingen ganz auf diejenigen zu schieben, welche die auf dem Papier und in der Idee so wohl ausgesonnene Entwürfe ausführen sollen. Dabey wird denn oft vergessen, daß die in den Entwürfen vorgeschriebene neue Form in der Ausführung noch größere Mängel haben möge, als die durch die Erfahrung einigermaßen erprobte alte Form.
31 Es ist, wie schon oben S. 34. 35. erwähnt, zu Leipzig, 1780, nach Sulzers Tode gedruckt worden.
32 Das war ich. Und auch ich war es, ohne Ruhm zu melden, (weil ich nur meine Schuldigkeit that,) der Sulzern diese Stelle verschafft hatte. Die Akademie hatte selbige, wie billig, dem ältesten und sehr verdienten Mitgliede der Klasse, Herrn Beguelin zugestimmt, der König aber, der durch ungerechte Verläumdung gegen ihn eingenommen war, verwarf diese Zustimmung. Hierauf setzte ich ein Schreiben an Sr. Majestät auf und bewog Herrn la Grange selbiges gleichfalls zu unterschreiben, worin wir beide Sulzer'n zu der gedachten Stelle vorschlugen, welche ihm auch ohne Anstand ertheilt wurde; ja sogar dankte uns der König, Ihn daran erinnert zu haben, weil Ihm entfallen war, daß Sulzer zu der philosophischen Klasse gehöre und nach Beguelin der älteste darin wäre.
33 Da ich denselben Tag auch zum Könige berufen wurde, ging ich zu Sulzer'n, um mich mit ihm hierüber zu verabreden. Da dieser Tag sehr kalt und windig war, befürchtete er bei'm Eintritt unter das Portal des Schlosses, durch das daselbst beständige Blasen des Windes alle seine Kräfte auf Einmal zu verlieren und außer Stande zu seyn einen Schritt weiter zu gehen. Ich ermunterte ihn so gut ich konnte, durch die Vorstellung, daß es doch der Mühe werth wäre einen großen Mann näher kennen zu lernen, mit dem er noch niemal gesprochen noch ihn in der Nähe gesehen hätte. Wir kamen demnach überein, daß ich ihn des Abends zur bestimmten Stunde, in einem Wagen abholen sollte. Da ich nach Hause zurückkam, wunderte sich meine Frau, daß es keinem von uns beiden eingefallen wäre, Sulzer'n in einem geschlossenen Tragstuhle bis in den obern Saal des Schlosses hinbringen zu lassen. Ich kehrte hierauf noch einmal zu Sulzer zurück, welchen dieses Vorsichtsmittel gänzlich beruhigte.
34 Bis wir hinein gerufen wurden, saßen wir in dem Vorzimmer bey dem Kamin. Sulzer äußerte die Besorgniß, daß es ihm unmöglich seyn würde sich aufrecht zu halten wenn er sich nicht irgendwo anlehnen könnte. Catt ging hin, um den König davon zu benachrichtigen. Die Antwort war: Er brauche sich im geringsten nicht zu geniren, könne sich anlehnen wo er es für gut fände, und auch ich könne ihm meinen Arm hierzu leihen. Ich reichte ihm also bei'm Hereintreten meinen Arm. Da wir uns aber in einem engen Gang zwischen zwei Schirmwänden befanden, auch der König gleich auf mich zukam und mich anredete, mußte ich mich von Sulzern trennen und ihn die ganze übrige Zeit Herrn von Catt überlassen. Der König war wirklich sehr aufgeräumt. Er setzte sich niemals nieder, sondern bald ging er das Zimmer hinauf und hinunter, bald blieb er vor uns stehen, erkundigte sich nach Sulzer's Gesundheitsumständen, befragte ihn über seine Reise nach Italien und sagte was ferner in dieser Nachricht enthalten ist.
35 Johann Gottfried, Schulz geb. zu Berlin 1749, hatte anfänglich die Kaufmannschaft erlernt, aber aus Liebe zur Mathematik, besonders zur Astronomie und Baukunst verließ er dieselbe. Hiebey unterstützten ihn einige wohlhabende Mitglieder der hiesigen französischen Kolonie (weil seine Mutter von dieser Kolonie war,) und Lambert gab ihm nähere Anleitung zum Studium der Mathematik. Er stieg nachher bis zum Oberbaurath, und hat in dieser Eigenschaft verschiedene Wasserbaue zweckmäßig ausgeführt. Sein Verdienst als Mathematischer Gelehrter hat sich wohl nur hauptsächlich auf die Eigenschaft eines sehr mühsamen nun genauen Rechners beschränkt. Im J. 1776 gab er astronomische Tafeln in drey Bänden heraus und im J. 1778 logarithmische und andere zur praktischen Mathematik nöthige Tafeln, in zwey Bänden. Durch seinen unermüdeten Fleiß ward seine Gesundheit untergraben und er starb schon im J. 1796.
36 Es liegt vor Augen, daß es wenn ich es dahin brächte, alle meine Unterthanen glücklich zu machen, so hätte ich nur auf einen sehr kleinen Theil dieses Erdballs gewirkt. Wie köunte ich denn mich untersiehen, mich mit dem Wesen zu vergleichen, welches das unermeßliche Weltall regiert und in Ordnung erhält.
37 Ich sehe Sie sind ermüdet. Ich werde Sie ein ander mal rufen lassen.
38 Unter andern eine an seiner Tafel vorgefallene Unterredung, woran Voltaire, Maupertuis, d'Argens, Algarotti Antheil hatten. Er ahmte die Geberden und die Stimmen dieser Männer, so genau nach, daß wir darüber erstaunten. Als er solches merkte, sah er mich an und sagte: Vous me regardez; n'est-ce pas là à peu près le ton de Maupertuis, que vous devez avoir bien connu? – (Sie sehen mich an, ist dies nicht ohngefähr des Maupertuis Ton, den Sie müssen gekannt haben.) – Oui Sire! antwortete ich, tellement que je l'ai cru revenir de l'autre monde en l'entendre parler lui-même. – (Ja Sire! se sehr, daß ich glaubte, er sey aus jener Welt zurückgekommen, und ich hörten ihn.) – Da wir Abschied genommen hatten, waren Catt und Sulzer schon voraus. Der König hielt mich aber zurück: que diable! nous n'avons prèsque pas parlé de l'assaire principalement de votre Schulz: repetez moi cela en peu de mots. – (Zum Henker! wir haben fast nichts von dem Hauptgeschäft, von Ihren Schulz gesprochen; wiederholen Sie mir das Nöthige in wenig Worten.) – Ich that es, und er sagte: Nous verrons. Bon soir! –(Wir wollen sehen, guten Abend!) – Den folgenden Tag kam der Befehl, Schulzer in die Akademie als Astronom aufzunehmen.
39 Dieß schrieb der als Gelehrte und Mensch höchst schätzenswürdige Mann, dem wohl ein längeres Leben sehr wäre zu wünschen gewesen, zu Ende des Oktobers 1778. Er starb den 27sten Februar 1779.
Buchempfehlung
Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.
180 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro