2. Kapitel. Die anthropologische Periode.

  • [54] Literatur: G. GROTE, History of Greece VIII (London 1850), 474-544.
    C. F. HERMANN, Geschichte und System der platonischen Philosophie I (Heidelberg 1839), p. 179-231.
    BLASS, Die attische Beredsamkeit von Gorgias bis zu Lysias (Leipzig 1868).
    H. KÖCHLY, Sokrates und sein Volk 1855, in »Akad. Vorträgen und Reden« I (Zürich 1859), p. 219 ff.
    E. SIEBECK, Ueber Sokrates' Verhältnis zur Sophistik, in »Untersuchungen zur Philosophie der Griechen«, 1873, 2. Aufl. (Freiburg i. B. 1888).
    W. WINDELBAND »Sokrates« in »Praeludien (4. Aufl. Tübingen 1911).

Die Weiterentwicklung der griechischen Wissenschaft ist durch den Umstand bestimmt worden, daß sie in dem gewaltigen allgemeinen Aufschwung des geistigen Lebens, den die Nation nach dem siegreichen Erfolge der Perserkriege gewann, aus dem stillen Betriebe eng in sich geschlossener Schulverbände auf den leidenschaftlich bewegten Boden der Oeffentlichkeit hinausgerissen wurde.

Die Kreise, in denen die wissenschaftliche Forschung gepflegt wurde, hatten sich von Generation zu Generation erweitert, und die Lehren, welche zunächst im kleineren Verbande vorgetragen und in schwer verständlichen Schriften verbreitet worden waren, hatten angefangen in das allgemeine Bewußtsein durchzusickern. Schon begannen die Dichter (Euripides, Epicharm) wissenschaftliche Begriffe und Ansichten in ihre Sprache zu übersetzen, schon wurden die Kenntnisse, welche die Naturforschung erworben hatte, zur praktischen Verwertung (Hippodamos und seine Bauten) herangezogen. Selbst die Medizin, die früher nur eine traditionell geübte Kunst gewesen war, wurde mit den allgemeinen Begriffen der Naturphilosophie und mit den besonderen Lehren, den Erkenntnissen und den Hypothesen der physiologischen Forschung, die im Laufe der Zeit einen immer breiteren Raum in den Systemen der Wissenschaft eingenommen hatte, derartig durchsetzt, daß sie von ätiologischen Theorien überwuchert wurde147: erst in Hippokrates fand sie den Reformator, der diese Tendenz auf das rechte Maß zurückführte und der ärztlichen Kunst ihren alten Charakter im Gegensatz zur wissenschaftlichen Doktrin zurückgab148.

Dazu kam, daß die griechische Nation, durch schwere innere und äußere Schicksale gereift, in das Alter der Männlichkeit getreten war. Sie hatte den naiven Glauben an das Althergebrachte verloren, und sie hatte den Wert des Könnens und Wissens für das praktische Leben erfahren. Sie verlangte jetzt von der Wissenschaft, die bisher in der Stille nur dem reinen Triebe des Forschens, der edlen Neugier des Wissens um seiner selbst willen nachgegangen[54] war, Aufschluß über die Fragen, die sie bewegten, Rat und Hilfe für die Zweifel, worin sie die Ueberlebendigkeit ihrer eigenen Kulturentwicklung stürzte. Und während in der fieberhaften Wett-erregung der geistigen Kräfte, welche diese größte Zeit der Weltgeschichte mit sich führte, überall die Ansicht zum Durchbruch kam, daß auf jedem Gebiet des Lebens der Wissende der Tüchtigste, Brauchbarste und Erfolgreichste sei, während in allen Sphären praktischer Tätigkeit an die Stelle alter Gewöhnung die fruchtbare Neuerung selbständiger Ueberlegung und eignen Urteils trat, wurde die Masse des Volkes von dem Drange ergriffen, sich die Ergebnisse der Wissenschaft zu eigen zu machen. Besonders aber genügten jetzt für denjenigen, der eine politische Rolle spielen wollte, nicht mehr wie früher Familientradition, Gewöhnung und persönliche Vorzüge des Charakters und der Geschicklichkeit, sondern die Mannigfaltigkeit und Schwierigkeit der Dinge sowohl wie der intellektuelle Zustand derjenigen, mit denen und auf die er wirken wollte, machte ihm auch eine theoretische Vorbildung für die politische Laufbahn unerläßlich. Nirgends war diese Bewegung so mächtig wie in Athen, der damaligen Hauptstadt Griechenlands, und hier fand denn auch das Drängen seine beste Befriedigung.

Denn der Nachfrage folgte das Angebot. Aus den Schulen heraus traten die Männer der Wissenschaft, die Sophisten (sophistai), in die Oeffentlichkeit und lehrten das Volk, was sie selbst gelernt oder in eigner Arbeit erforscht hatten. Sie taten es zum Teil gewiß aus dem edlen Triebe, die Mitbürger zu belehren149; aber es blieb nicht aus, daß ihnen diese Belehrung zum Geschäft wurde. Aus allen Teilen Griechenlands strömten die Männer der verschiedenen Schulen nach Athen herbei, um ihre Lehren vorzutragen und aus diesem Vortrage in dem Zentrum, wie in den geringeren Städten, Ruhm und Reichtum zu erwerben.

Hierdurch änderte sich in kurzer Zeit nicht nur die soziale Stellung der Wissenschaft, sondern auch ihr eigenes inneres Wesen, ihre Tendenz und ihre Aufgabe von Grund aus. Sie wurde eine soziale Macht, ein bestimmendes Moment im politischen Leben (Perikles); aber sie kam eben dadurch in Abhängigkeit von den Anforderungen des praktischen und insbesondere des politischen Lebens.

Die letzteren zeigten sich vornehmlich darin, daß die demokratische Staatsform von dem Politiker in erster Linie die Fähigkeit der Rede verlangte, und daß daher der Unterricht der Sophisten vornehmlich als Vorbildung dazu gesucht wurde und sich mehr und mehr auf diesen Zweck zuspitzte. Die Männer der Wissenschaft wurden Lehrer der Beredsamkeit.

Als solche aber verloren sie das Ziel der Naturerkenntnis, das der Wissenschaft ursprünglich vorgeschwebt hatte, aus den Augen: sie trugen höchstens noch die überlieferten Lehren in möglichst anziehender und geschmackvoller Form vor. Ihre eigenen Untersuchungen aber, wenn sie sich nicht auf formale Routine beschränkten, richteten sich notwendig auf das Denken und Wollen des Menschen, das ja durch die Rede bestimmt und beherrscht werden sollte, auf die Art, wie Vorstellungen und Willensbestimmungen entstehen, wie sie mit einander ringen und gegen einander ihr Recht geltend machen. So nahm[55] die griechische Wissenschaft eine wesentlich anthropologische oder subjektive, auf die inneren Tätigkeiten des Menschen, sein Vorstellen und Wollen bezügliche Richtung, und zugleich verlor sie ihren rein theoretischen Charakter und bekam eine vorwiegend praktische Bedeutung150.

Vorbereitet war diese Wendung dadurch, daß in der Naturforschung selbst nach der ersten schöpferischen Entwicklung eine Abschwächung des prinzipiellen Interesses eingetreten war und eine Zerstreuung der wissenschaftlichen Arbeit in die besonderen Fragen begonnen hatte. Indem nun jetzt die Tätigkeit der Sophisten sich vor die Mannigfaltigkeit menschlichen Wollens und Vorstellens gestellt sah, indem die Lehrer der Beredsamkeit die Kunst des Ueberredens vortragen und den Wegen nachgehen sollten, auf denen man jeder Ansicht zum Siege, jeder Absicht zum Erfolge helfen könnte, tauchte vor ihnen die Frage auf, ob es denn überhaupt über diesen individuellen Ansichten und Absichten, die jeder in sich als ein Notwendiges fühlt und den andern gegenüber verteidigen kann, etwas an sich Rechtes und Wahres gibt. Diese Frage, ob es etwas Allgemeingültiges gibt, ist das Problem der anthropologischen Periode der griechischen Philosophie oder der griechischen Aufklärung.

Denn es ist zugleich das Problem der Zeit, – einer Zeit, in welcher der religiöse Glaube und die alte Sitte ins Schwanken geraten waren, das Ansehen der Autorität mehr und mehr sank und alles einer Anarchie der selbstherrlich gewordenen Individuen zutrieb. Sehr bald kam diese innere Zerstreuung des griechischen Geistes in den Wirren des peloponnesischen Krieges zum offenen Ausbruch, und mit dem Sturz der athenischen Vormacht war die Blüte der griechischen Kultur geknickt.

Die Gefahren dieser Zustände sind durch die Philosophie zunächst entschieden gesteigert worden. Zwar führte die wissenschaftliche Ausbildung, welche die Sophisten ihrer Rhetorik als einer Kunst des Darstellens, Beweisens und Widerlegens zu geben suchten, einerseits zur Begründung einer selbständigen Psychologie und anderseits zur Besinnung auf logische und ethische Normen: allein angesichts der Geschicklichkeit, welche diese Männer übten und lehrten, um jede beliebige Ansicht durchzusetzen151, kam ihnen die Relativität menschlicher Vorstellungen und Absichten mit solcher Deutlichkeit und mit so überwältigendem Eindruck zum Bewußtsein, daß sie die Frage nach dem Bestehen einer allgemeingültigen Wahrheit in theoretischer wie in praktischer Hinsicht verneinten: damit aber gerieten sie in einen Skeptizismus, der anfangs eine ernste wissenschaftliche Theorie war, jedoch bald in ein frivoles Spiel überging. Mit der selbstgefälligen Rabulistik ihres Advokatentums machten sich die späteren Sophisten zu Sprechern aller der zügellosen Tendenzen welche die Ordnung des öffentlichen Lebens untergruben.

Das geistige Haupt der Sophistik ist Protagoras, derjenige wenigstens, von dem allein philosophisch bedeutsame und fruchtbare Begriffsbildungen ausgegangen sind. Ihm gegenüber erscheint Gorgias, den man ihm zur Seite zu stellen pflegt, nur als ein Rhetor, der sich gelegentlich auch einmal auf dem Gebiete der Philosophie versuchte und die Kunststücke der eleatischen Dialetik[56] überbot. Hippias vollends und Prodikos sind nur der eine als Typus popularisierender Polyhistorie, der andere als Beispiel seichten Moralisierens zu erwähnen.

Dem wüsten Treiben und der Ueberzeugungslosigkeit der jüngeren Sophisten hat Sokrates den Glauben an die Vernunft und die Ueberzeugung von einer allgemeingültigen Wahrheit gegenübergehalten. Diese Ueberzeugung war bei ihm wesentlich praktischer Art, sie war seine sittliche Gesinnung; aber sie führte ihn auf eine Untersuchung vom Wissen, das er von neuem den Meinungen gegenüberstellte und dessen Wesen er im begrifflichen Denken fand.

Sokrates und die Sophisten stehen somit auf dem Boden desselben Zeitbewußtseins und behandeln dieselben Probleme; aber wo die Sophisten mit ihrer Kunst und Gelehrsamkeit im Gewirr der Tagesmeinungen stecken bleiben und bei einem negativen Ergebnis endigen, da findet der einfache, gesunde Sinn und die edle, reine Persönlichkeit des Sokrates die Ideale der Sittlichkeit und der Wissenschaft wieder.

Der große Eindruck, den die Lehre des Sokrates machte, zwang die Sophistik in neue Bahnen: sie folgte ihm mit dem Versuch, durch wissenschaftliche Einsicht sichere Prinzipien sittlicher Lebensführung zu gewinnen, und während die alten Schulen sich zum größten Teil in die rhetorische Lehrtätigkeit verzettelt hatten, wurden jetzt von Männern, welche den Um gang des athenischen Weisen genossen hatten, neue Verbände gestiftet, in deren wissenschaftlicher Arbeit sich Sokratisches und Sophistisches oft wunderlich genug durcheinander mischte, während die lediglich anthropologische Richtung der Untersuchung dieselbe blieb.

Unter diesen, nicht ganz richtig meist mit dem Namen »Sokratiker« bezeichneten Schulen ist die megarische, von Eukleides gegründet, noch am meisten den unfruchtbaren Spitzfindigkeiten der späteren Sophistik verfallen: ihr schließt sich als die unbedeutendste die elisch- eretrische Schule an. Der Grundgegensatz aber der Lebensauffassung, welcher im griechischen Leben jener Tage obwaltete, hat seinen wissenschaftlichen Ausdruck in den Lehren der beiden Schulen gefunden, deren Gegensatz sich von da durch die ganze antike Literatur hindurchzieht: der kynischen und der kyrenaischen. Erstere zählt neben ihrem Gründer Antisthenes die populäre Gestalt des Diogenes zu ihren Vertretern; in letzterer, die auch die hedonische Schule heißt, sind auf den Stifter Aristippos sein gleichnamiger Enkel, später Theodoros, Annikeris, Hegesias gefolgt.

Die sophistischen Wanderlehrer sind zum Teil aus den früheren Schulgenossenschaften hervorgegangen: diese haben sich dann in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts meist verloren und einem freieren Vertrieb der gewonnenen Ansichten Platz gemacht, welcher der Detailforschung, namentlich der physiologischen (Hippon, Kleidemos, Diogenes von Apollonia) nicht ungünstig, aber meist mit einer Erlahmung der allgemeinen Spekulation verbunden war. Nur die abderitische und die pythagoreische Schule haben diese Zeit der Auflösung überdauert, eine Gesellschaft von Herakliteern, die in Ephesos sich erhielt, scheint bald in sophistisches Treiben ausgeartet zu sein (Kratylos)152

Aus der atomistischen Schule erwuchs Protagoras von Abdera (etwa 480-410) einer der ersten und der mit Recht berühmteste dieser Wanderlehrer. Zu verschiedenen Zeiten in Athen tätig, soll er, nachdem er daselbst wegen Asebie verurteilt war, auf[57] der Flucht umgekommen sein. Von den zahlreichen Schriften grammatischen, logischen, ethischen, politischen und religiösen Inhalts ist sehr wenig erhalten.

Gorgias von Leontinoi (483-375) war 427 als Gesandter seiner Vaterstadt in Athen, wo er großen literarischen Einfluß gewann; im Alter hat er zu Larissa in Thessalien gelebt. Er war aus der sicilischen Rednerschule, der auch Empedokles nahe gestanden hatte, hervorgegangen. Vgl. H. DIELS, Ber. d. Berl. Akad. 1884, p. 343 ff.

Von Hippias von Elis ist außer einigen Ansichten (worunter wohl auch die in dem platonischen Dialog Hippias major kritisierten) nur bekannt, daß er mit seiner Vielwisserei prunkte. Von Prodikos aus (Julis auf) Keos ist die bekannte Allegorie »Herakles am Scheideweg« bei Xenophon, Memor. II 1, 21 erhalten. Die übrigen Sophisten, meist nur aus Platon bekannt, sind ohne eigene Bedeutung; es wird nur dem einen oder dem andern diese oder jene charakteristische Behauptung in den Mund gelegt.

Die Auffassung der Sophistik hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß man über sie fast ausschließlich durch ihre siegreichen Gegner, Platon und Aristoteles, unterrichtet ist. Ersterer hat im Protagoras noch eine anmutig lebendige, von ferner Ironie durchhauchte Schilderung eines Sophistenkongresses, im Gorgias schon eine ernstere, im Theatet eine schärfere Kritik, im Kratylos und Euthydem eine übermütige Verhöhnung der Lehrweise der Sophisten gegeben. In dem Dialog Sophistes ist sodann eine überaus hämische Begriffsbestimmung des Sophisten versucht worden, und zu dem gleichen Resultat kommt auch Aristoteles in dem Buch über die sophistischen Trugschlüsse (cap. I,165 a 21).

Die Geschichte der Philosophie hat die abschätzigen Beurteilungen der Gegner lange nachgesprochen und dem Wort sophistês (das eigentlich nur einen »Gelehrten«, wenn man will, einen »Professor« bedeutet) den tadelnden Sinn gelassen, den ihm jene gegeben hatten. HEGEL hat die Sophisten rehabilitiert; und darauf ist, wie es zu gehen pflegt, zeitweilig eine Ueberschätzung gefolgt (GROTE).

M. SCHANZ, Die Sophisten, Göttingen 1867.

Sokrates von Athen (469-399) macht in der Geschichte der Philosophie schon äußerlich durch seine originelle Persönlichkeit und durch seine neue Art des Philosophierens Epoche. Er war weder Gelehrter noch Wanderlehrer, gehörte keiner Schule an und hielt sich zu keiner. Er war ein einfacher Mann aus dem Volke, der Sohn eines Bildbauers und anfangs selbst mit dem Meißel beschäftigt. Mit tiefem Wissensdrang hatte er die neuen Lehren, von denen die Straßen seiner Vaterstadt wiederhallten, in sich aufgenommen, aber sich durch diese glänzende Redeweisheit nicht blenden lassen und sich durch sie nicht gefördert gefunden. Seinem scharfen Denken entgingen die Widersprüche nicht, und sein sittlicher Ernst nahm an der Oberflächlichkeit und Frivolität dieses Bildungsgetriebes Anstoß. Er erachtete es für seine Pflicht und für seine göttliche Bestimmung (vgl. Platons Apologie), sogar mit Hintansetzung der Sorge um die Seinigen (Xanthippe), sich selbst und seine Mitbürger über die Nichtigkeit des vermeintlichen Wissens aufzuklären und durch ernste Prüfung der Wahrheit nachzugehen. So hat er, ein Philosoph der Gelegenheit und des täglichen Lebens, unablässig unter seinen Mitbürgern gewirkt und die Besten aus Athens Jugend (Alkibiades) um sich versammelt, die in ihm das Ideal und den Lehrer der Tugend verehrten. Er erscheint damit als Führer einer geistigen Aristokratie, und eben dadurch geriet er in Gegensatz zu der herrschenden Demokratie. Das waren die Voraussetzungen, unter denen Mißverstand und persönliche Intrigue ihn vor das Gericht führten; aber der Tod, zu dem er wider alles Erwarten verurteilt wurde, sollte sein größter Ruhm werden.

Die Berichte über ihn liefern ein deutliches und zweifelloses Bild seiner Persönlichkeit: hierin ergänzen sich Platons feinere und Xenophons gröbere Zeichnung sehr glücklich. Der erstere führt den verehrten Lehrer fast in allen seinen Schriften mit dramatischer Lebendigkeit vor: bei dem letzteren kommen die Memorabilien ('Apomnêmoneumata Sôkratous) und das Symposion in Betracht. Schwieriger steht es hinsichtlich der Lehre: hierin sind Xenophons wie Platons Darstellungen Parteischriften, von denen jede den berühmten Namen für die eigene Lehre (bei Xenophon ein gemilderter Kynismus) in Anspruch nimmt. Maßgebend sind wegen der größeren historischen Entfernung und des freieren Gesichtspunktes in allen wesentlichen Punkten die Angaben des Aristoteles. Vgl. E. ALBERTI, Sokrates (Göttingen 1869). – A. LABRIOLA, La dottrina di Socrate (2. Aufl. Bari 1909). – A. FOUILLÉE, La philosophie de Socrate (Paris 1873). – K. JOEL, Der echte und der xenophontische Sokrates (Berlin 1893 u. 1901). – En. SCHWARTZ. Charakterköpfe aus der antiken Literatur (Leipzig 1906) p. 47 ff.; auch I. BRUNS, Das literarische Portrait der Griechen im 5. und 4. Jahrh. (Berlin 1896) p. 201 ff. – GIUS. ZUCCANTE, Socrate, Turin 1909.

FERD. DÜMMLER, Academica, Beiträge zur Literaturgeschichte der sokratischen Schulen (Gießen 1889).

Eukleides aus Megara gründete seine Schule bald nach dem Tode des Sokrates[58] Aus ihr sind die beiden Eristiker (s. unten) Eubulides von Milet und Alexinos aus Elis, ferner Diodoros Kronos aus Karien (gest. 307), sowie Stilpon (380-300) zu nennen. Die Schule hatte nur kurzen Bestand und lief später in die kynische und stoische aus. Dasselbe gilt von der Genossenschaft, welche Phaidon, der Lieblingsschüler des Sokrates, in seiner Heimat Elis gründete und bald darauf Menedemos nach Eretria verpflanzte. Vgl. E. MALLET, Histoire de l'école de Mégare et des écoles d'Elis et d'Erétrie (Paris 1845). G. HARTENSTEIN, Hist.-philos. Abh. p. 127 ff.

Der Stifter der (nach dem Gymnasium Kynosarges benannten) kynischen Schule ist Antisthenes von Athen, wie Euklid ein älterer Freund des Sokrates. Der Sonderling Diogenes von Sinope ist mehr eine kulturhistorisch charakteristische Nebengestalt, als ein Mann der Wissenschaft. Neben ihm sei noch Krates von Theben genannt. Später verschmilzt die Schule mit der stoischen. Vgl. F. DÜMMLER, Antisthenica (Halle 1882). – K. W. GÖTTLING Diogenes der Kyniker, oder die Philosophie des griechischen Proletariats (Ges. Abhandl. I, 251 ff.).

Aristippos von Kyrene, ein sophistischer Wanderlehrer etwas jünger als Euklid und Antisthenes, und mit dem sokratischen Kreise nur vorübergehend verbunden, bat seine Schule wohl erst im Alter gegründet und scheint die systematische Ausbildung der Gedanken, die ihm selbst mehr ein praktisches Lebensprincip waren, seinem Enkel überlassen zu haben, der den Beinamen mêtrodidaktos; führt, weil des Großvaters Weisheit durch seine Mutter Arete auf ihn übergegangen war. Die oben genannten Nachfolger reichen schon in das 3. Jahrhundert hinein und bilden sachlich den Uebergang zu der epikureischen Schule. Vgl. A. WENDT, De philosophia Cyrenaica (Göttingen 1841).

Quelle:
Wilhelm Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 61912, S. 54-59.
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