[495] Der Hauptlinie der idealistischen Entwicklung war ihre Richtung durch das Prinzip vorgezeichnet, woraus Fichte den Mut schöpfte, den Begriff des Dinges-an-sich über Bord zu werfen. Die Beziehung von Sein und Bewußtsein läßt sich nur aus dem Bewußtsein erklären, und zwar dadurch, daß dieses »seinem eigenen Tun zusieht« und damit zugleich die reelle und die ideelle[495] Reihe der Erfahrung, die Gegenstände und das Wissen von ihnen erzeugt. Die Aufgabe der Wissenschaftslehre ist also, die Welt als einen notwendigen Zusammenhang von Vernunfttätigkeiten zu begreifen, und die Lösung kann nur so von statten gehen, daß die Reflexion der philosophierenden Vernunft sich auf ihr eigenes Tun und das, was dazu erforderlich ist, besinnt. Die Notwendigkeit also, welche in diesem System der Vernunft waltet, ist nicht kausal, sondern teleologisch. Das dogmatische System versteht die Intelligenz als ein Produkt der Dinge, das idealistische entwickelt die Intelligenz als einen in sich zweckvollen Zusammenhang von Handlungen, unter denen einige dazu dienen, Gegenstände hervorzubringen. Der Fortschritt des philosophischen Denkens soll nicht in der Erkenntnis bestehen, daß, weil etwas ist, darum auch ein anderes sei, sondern sich in der Einsicht und nach dem Leitfaden entfalten, daß, damit etwas geschehe, auch ein anderes geschehen müsse. Jede Handlung der Vernunft hat eine Aufgabe; diese zu lösen, bedarf sie anderer Handlungen und damit anderer Aufgaben: der einheitliche Zweckzusammenhang aller Tätigkeiten für die Erfüllung der Aufgaben ist das System der Vernunft, die »Geschichte des Bewußtseins«. Der Grund alles Seins liegt im Sollen, d.h. in der Zwecktätigkeit des Selbstbewußtseins.
1. Das Schema für die Ausführung dieses Gedankens ist die dialektische Methode. Soll die Welt als Vernunftbegriffen werden, so muß deren System aus einer ursprünglichen Aufgabe heraus entwickelt werden: alle einzelnen Handlungen der Intelligenz müssen als Mittel zu ihrer Lösung deduziert werden. Diese »Tathandlung« ist nach Fichte das Selbstbewußtsein. Ein voraussetzungsloser Anfang, wie ihn die Philosophie braucht, ist nicht durch eine Behauptung oder einen Satz zu finden, sondern durch eine Forderung, die jedermann zu erfüllen imstande sein muß: »Denke dich selbst!« Und das ganze Geschäft der Philosophie besteht nur darin, sich klar zu machen, was dabei geschieht und was dazu erforderlich ist. Dies Prinzip kann aber nur so lange weiterfahren, als sich zeigt, daß zwischen dem, was geschehen soll, und dem was dazu geschieht, noch ein Widerspruch besteht, woraus sich die neue Aufgabe ergibt u. s. f. Die dialektische Methode ist ein System, worin jede Aufgabe eine neue erzeugt. Dem, was die Vernunft leisten will, steht in ihr selbst ein Widerstand gegenüber, und um diesen zu überwinden, entfaltet sie eine neue Funktion. Diese drei Momente werden als Thesis, Antithesis und Synthesis bezeichnet.
Wenn Kant zur Erklärung und Kritik der Metaphysik die Notwendigkeit unlösbarer Vernunftaufgaben behauptet hatte, so macht nun die idealistische Metaphysik diesen Gedanken zu einem positiven Prinzip. Dadurch wird ihr die Vernunftwelt zu einer Unendlichkeit des Selbsterzeugens, und dadurch wird der Widerspruch zwischen der Aufgabe und dem Tun für das reale Wesen der Vernunft selbst erklärt. Dieser Widerspruch ist notwendig und unaufhebbar. Er gehört zum Wesen der Vernunft, und da nur die Vernunft real ist, so ist damit der Widerspruch für real erklärt. So geriet die dialektische Methode, diese metaphysische Umbildung von Kants transzendentaler Logik, in einen immer stärkeren Gegensatz zu der formalen Logik. Die Regeln des Verstandes, die in dem Satz des Widerspruchs ihr allgemeines Prinzip haben, reichen[496] für die gewöhnliche Verarbeitung der Wahrnehmungen zu Begriffen, Urteilen und Schlüssen wohl aus: für die intellektuelle Anschauung der philosophierenden Vernunft genügen sie nicht, vor den Aufgaben der »spekulativen Konstruktion« sinken sie zu relativer Bedeutung herab.
Dies macht sich schon in der ersten Darstellung geltend, welche Fichte der Wissenschaftslehre gab1000; es wurde dann von Schülern und Genossen wie Fr. Schlegel immer kecker ausgesprochen, und schließlich tat die spekulative Vernunft gar vornehm gegen die im Satze des Widerspruchs befangene »Reflexionsphilosophie des Verstandes«. Schelling1001 berief sich auf die coincidentia oppositorum von Nicolaus Cusanus und Giordano Bruno, und Hegel1002 sah in dem Triumph des »bornierten Verstandes« über die Vernunft den Erbfehler aller früheren Philosophie.1003 Die Metaphysik, von der Kant gezeigt hat, daß sie für den Verstand nicht möglich ist, sucht ein eigenes Organ in der intellektuellen Anschauung und eine eigene Form in der dialektischen Methode. Die produktive Synthesis des Mannigfaltigen muß ihre Einheit über den Gegensätzen bewahren, in die sie sich selbst auseinanderlegt. Es ist das Wesen des Geistes, sich in sich selbst zu entzweien und aus dieser Zerrissenheit zu seiner ursprünglichen Einheit zurückzukehren.
Diese Triplizität beruht ganz auf jener (Fichteschen) Grundbestimmung des Geistes als des sich selbst Zusehenden. Die Vernunft ist nicht nur »an sich« als einfache ideelle Wirklichkeit, sondern auch »für sich«: sie erscheint sich selbst als etwas Anderes, Fremdes; sie wird sich zu einem vom Subjekt verschiedenen Objekt, und dies Anderssein (das platonische, thateron vgl. oben § 11, 10) ist das Prinzip der Negation. Die Aufhebung dieser Verschiedenheit, die Negation der Negation, ist die Synthesis jener beiden Momente: diese sind in ihr »aufgehoben« in der dreifachen Einsicht, daß ihre einseitige Geltung überwunden, ihre relative Bedeutung bewahrt und ihr ursprünglicher Sinn in eine höhere Wahrheit verwandelt wird (negare, conservare, elevare). Nach diesem Schema des »An-sich«, »Für-sich« und »An-und-für-sich« hat Hegel die dialektische Methode1004 mit großer Virtuosität ausgebildet, indem er jeden Begriff »in sein Gegenteil umschlagen« und aus dem Widerspruch beider den höheren Begriff hervorgehen ließ, welcher dann dasselbe Schicksal erlebte, eine Antithesis zu finden, die eine noch höhere Synthesis verlangte, u. s. f. Der Meister selbst hat in die Anwendung dieser Methode, besonders in der Phänomenologie und in der Logik, eine staunenswerte Fülle des Wissens, eine ganz einzige Feinfühligkeit für begriffliche Zusammenhänge und eine siegreiche Kraft des kombinativen Denkens hineingearbeitet, wobei auch schon der Tiefsinn gelegentlich in Dunkelheit und schematische Wortbildung überging: bei den Jüngern hat sich daraus ein philosophischer Jargon gebildet, der alles Denken in Jene Triplizität preßte und durch die gedankenlose Aeußerlichkeit seines eine[497] Zeitlang sehr ausgedehnten Gebrauchs die Philosophie als leeren Wortschwall zu diskreditieren nur allzu geeignet war.1005
2. In völligem Einklang mit der dialektischen Methode steht nun auch inhaltlich das System der Vernunft bei Fichte während des ersten Zeitraums seiner philosophischen Wirksamkeit (etwa bis 1800). Die ursprüngliche, durch nichts als sich selbst bestimmte »Tathandlung« des Selbstbewußtseins bedeutet, daß das »Ich« sich selbst nur »setzen« kann, indem es sich von einem »Nicht«-Ich unterscheidet. Da jedoch dabei auch das Nicht-Ich nur im Ich – d.h. historisch ausgedrückt, auch der Gegenstand nur im Bewußtsein – gesetzt ist, so müssen innerhalb des Ich sich das Ich und das Nicht-Ich (d.h. Subjekt und Objekt) gegenseitig bestimmen. Daraus ergibt sieh die theoretische und die praktische Reihe des Selbstbewußtseins, je nachdem ob das Nicht-Ich oder das Ich der bestimmende Teil ist.
Die Funktionen der theoretischen Vernunft werden von Fichte in der Weise entwickelt, daß ihre einzelnen Stufen aus der Reflexion des Bewußtseins auf sein eigenes vorher bestimmtes Tun sich ergeben. Ueber jede Schranke, die das Ich sich im Nicht-Ich als Gegenstand gesetzt hat, dringt es vermöge seiner durch nichts Aeußeres begrenzten Tätigkeit hinaus, um auch jene Schranke zu seinem Gegenstande zu machen. Als die Formen dieser Selbstbestimmung werden die reinen Anschauungen Raum und Zeit, die kategorialen Formen des Verstandes und die Prinzipien der Vernunft behandelt. An Stelle der Gegensätze, die Kant zwischen diesen einzelnen Schichten aufgerichtet hatte, setzt Fichte das Prinzip, daß auf jeder höheren Stufe die Vernunft reiner erfaßt, was sie auf der vorigen ausgeführt hat: das Erkennen ist ein von der sinnlichen Anschauung heraufsteigender Prozeß der Selbsterkenntnis der Vernunft.1006 Aber diese ganze Reihe der theoretischen Vernunft setzt eine ursprüngliche »Selbstbeschränkung« des Ich voraus: ist diese gegeben, so ist die ganze Reihe nach dem Prinzip der Selbstanschauung begreiflich. Denn jede Tätigkeit hat an der vorhergehenden ihren Gegenstand und darin ihren Grund; jene erste Selbstbeschränkung dagegen hat an keiner vorhergehenden, also theoretisch überhaupt keinen Grund: sie ist eine grundlos freie Tätigkeit, als solche aber der Grund aller andern Tätigkeiten. Diese grundlos freie Handlung ist die Empfindung. Sie fällt deshalb nur ihrem Inhalte nach, der zum Gegenstand der Anschauung wird, in das Bewußtsein, als Handlung dagegen ist sie, wie alles, was keinen Grund hat, bewußtlos.1007 Hierin besteht ihr »Gegebensein«,[498] vermöge dessen sie als fremd und »von außen« kommend erscheint. An Stelle des Din ges-an-sich tritt also die bewußtlose Selbstbeschränkung des Ich. Fichte nennt diese Tätigkeit die produktive Einbildungskraft: es ist die welterzeugende Tätigkeit der Vernunft. Doch ist Fichte sich durchaus darüber klar gewesen, daß seine Zertrümmerung des Ding-an-sichbegriffs und seine Ableitung der Empfindung aus dem Ich weit davon entfernt waren, das einzelne der sinnlich gegebenen Materie des Bewußtseins zu erklären oder aus dessen allgemeinen Formen abzuleiten. Insofern ist er niemals bis zum absoluten Idealismus Schellings oder zum logischen Rationalismus vorgedrungen: er hat vielmehr ausdrücklich hervorgeboben1008, daß die Wissenschaftslehre zwar deduzieren könne, daß und zu welchem Zwecke das Ich in der Empfindung sich selbst beschränkend aus sich herausgeht, aber niemals deduzieren könne, wie und mit welchem besonderen Inhalte es dies in der Mannigfaltigkeit der Empfindungen tatsächlich tut. Hier liegt die der kantischen Erkenntnistheorie durchaus konforme Grenze für die rationale Deduktion der Wissenschaftslehre und die wesentlichste Differenz zwischen Fichte und seinen großen Nachfolgern.1009
Für die Empfindung gibt es also keinen Grund, der sie bestimmte: sie ist da mit absoluter Freiheit und bestimmt ihrerseits alle Erkenntnis dem Inhalte nach. Darum kann sie nur durch ihren Zweck begriffen werden, – in der praktischen Wissenschaftslehre, die zu untersuchen hat, wozu das Ich sich selbst beschränkt. Dies ist nur zu verstehen, wenn man das Ich nicht als ruhendes Sein, sondern seinem Wesen nach als unendliche Tätigkeit oder als Trieb betrachtet. Denn da alles Tun auf einen Gegenstand gerichtet ist, an dem es sich entfaltet, so muß das »Ich«, welches seinen Gegenstand nicht wie der empirische Wille als gegeben vorfindet, seinerseits, um Trieb und Tun zu bleiben, sich Gegenstände setzen. Dies geschieht in der Empfindung, die keinen Grund, wohl aber den Zweck hat, für den Trieb des Ich eine Grenze zu schaffen, über die es hinausgeht, um sich selbst Gegenstand zu werden. Die empirische Wirklichkeit mit allen ihren Dingen und mit der »Realität«, welche sie für das theoretische Bewußtsein hat, ist nur das Material für die Tätigkeit der praktischen Vernunft.
Das innerste Wesen des Ich also ist das nur auf sich selbst gerichtete, nur durch sich selbst bestimmte Tun, die Autonomie der sittlichen Vernunft. Das System der Vernunft gipfelt im kategorischen Imperativ. Das Ich ist der sittliche Wille, und die Welt ist das versinnlichte Material der Pflicht. Sie ist dazu da, daß wir in ihr tätig sein können. Nicht das Sein ist die Ursache des Tuns' sondern um des Tuns willen ist das Sein hervorgebracht. Alles, was ist, ist nur zu begreifen aus dem, was es soll.[499]
Die für das gemeine Bewußtsein paradoxe Zumutung der Wissenschaftslehre1010 läuft somit darauf hinaus, der Kategorie der Substantialität die fundamentale Bedeutung zu rauben, welche sie in der naiven, sinnlichen Weltanschauung hat. In dieser denkt man überall ein »Seiendes« als Träger und Ursache der Tätigkeiten: bei Fichte dagegen soll als das Ursprüngliche das »Tun« begriffen werden und das Sein nur als das zweckgesetzte Mittel dafür gelten.1011 Dieser Gegensatz kam ganz scharf in dem für Fichte persönlich so folgenreichen Atheismusstreit zu Tage. Die Wissenschaftslehre konnte Gott nicht als »Substanz« gelten lassen; er hätte ihr ja dann etwas Abgeleitetes sein müssen: sie konnte den metaphysischen Gottesbegriff nur in dem »allgemeinen Ich«, in dem absolut freien, welterzeugenden Tun suchen, und in deutlichem Gegensatz zu der Natura naturans des Dogmatismus nannte sie Gott die sittliche Weltordnung1012, den Ordo ordinans.
Danach ist die vornehmste philosophische Disziplin die Sittenlehre. Unabhängig von Kants Metaphysik der Sitten entworfen, nimmt Fichtes System dieser Wissenschaft den kategorischen Imperativ in der Formel »Handle nach deinem Gewissen« zum Ausgangspunkte einer streng durchgeführten Pflichtenlehre, welche aus dem in jedem empirischen Ich auftretenden Gegensatz des Naturtriebes und des sittlichen Triebes die allgemeinen und die besonderen Aufgaben des Menschen entwickelt. Dabei mildert sich der kantische Rigorismus hier dadurch, daß auch die Sinnlichkeit des Menschen als Vernunftprodukt ihre Rechte geltend machen darf. Der Dualismus bleibt noch bestehen, aber er geht schon seiner Ueberwindung entgegen; und in dem Gedanken, daß der zweckvolle Zusammenhang des Vernunftganzen jedem einzelnen seiner Glieder eine durch seine natürliche Erscheinung vorgezeichnete Bestimmung zuweise, wird die ethische Theorie zu einer viel eingehenderen und das Gegebene tiefer wertenden Durcharbeitung des »Materials der Pflichterfüllung« geführt. Das zeigt sich an Fichtes Darstellung der Berufspflichten, an seiner edleren Auffassung von Ehe und Familienleben, an dem feineren Eingehen seiner ethischen Untersuchungen in die Mannigfaltigkeit menschlicher Lebensverhältnisse.
Aehnliches gilt auch von Fichtes Behandlung der Probleme des öffentlichen Lebens. Eine jugendliche Energie bemächtigt sich in ihnen der kantischen Grundgedanken und prägt sie viel eindrucksvoller aus, als es von Kant selbst, der die systematische Ausführung erst im späten Alter unternahm, geschehen konnte. Die gegenseitige Einschränkung der Freiheitssphären in dem äußeren Zusammenleben der Individuen ist auch für Fichte das Prinzip des Naturrechts. Als »Urrechte« gelten ihm die Ansprüche des Individuums auf Freiheit seines Leibes als des Organs der Pflichtbetätigung, seines Eigentums als der äußeren Wirkungssphäre dazu, seiner Selbsterhaltung endlich als Persönlichkeit. Wirksam aber werden diese Urrechte erst als Zwangsrechte durch die Herrschaft der Gesetze im Staat. Die Idee des den Staat begründenden Vertrages zerlegt Fichte in den Staatsbürger-, den Eigentums- und den Schutzvertrag.[500] Interessant dabei ist, wie er diese Gedanken in seiner Politik auf das Prinzip zuspitzt, der Staat habe dafür zu sorgen, daß jeder von seiner Tätigkeit leben könne, auf das Recht auf Arbeit.1013 Arbeit ist Pflicht der sittlichen, ist Existenzbedingung der physischen Persönlichkeit: sie muß unbedingt vom Staate gewährleistet werden. Daher darf die Regelung der Arbeitsverhältnisse nicht dem natürlichen Getriebe von Angebot und Nachfrage (nach Adam Smith) und der Ertrag der Arbeit nicht dem Mechanismus des gesellschaftlichen Interessenkampfes überlassen werden, sondern es muß hier das Vernunftgesetz des Staates eintreten. Von diesen Gedanken aus entwarf Fichte mit sorgfältiger Abwägung der empirisch gegebenen Zuständen1014 sein Ideal des sozialistischen Staates1015 als des »geschlossenen Handelsstaates«, der alle Produktion und Fabrikation und allen Handel mit dem Auslande selbst in die Hand nimmt, um dem einzelnen Bürger seine Arbeit, aber auch den vollen Ertrag seiner Arbeit zuzuweisen. Der gewalttätige Idealismus des Philosophen schreckte nicht vor einem tief einschneidenden Zwangssystem zurück, wenn er hoffen konnte, damit jedem einzelnen einen Umkreis freier Pflichterfüllung zu sichern.1016
3. Die Aufgabe, das Universum als System der Vernunft zu begreifen, war in der Wissenschaftslehre der Hauptsache nach so gelöst, daß die sinnliche Außenwelt als ein im empirischen Ich erscheinendes Produkt des »Bewußtseins überhaupt« deduziert wurde: in diesem Sinne wurde Fichtes Lehre später wie die Kants als »subjektiver Idealismus« charakterisiert. Dabei war jedoch Fichtes Meinung durchaus die, daß der »Natur«, die er als ein organisches Ganzes gesetzt wissen wollte1017, den Vorstellungen der Individuen gegenüber die volle Bedeutung eines objektiven Vernunftproduktes zukommen sollte: dies darzustellen, fehlte es ihm an der eindringenden Sachkenntnis, die er für die Lebensverhältnisse der menschlichen Vernunft besaß. So war es eine zunächst auch Fichte willkommene Ergänzung, als Schelling jenen andern Teil der Aufgabe zu lösen übernahm und mit dem Gedanken Ernst machte, die Natur als das objektive System der Vernunft zu konstruieren. Das war nach der Wissenschaftslehre und Kants Naturphilosophie nur dann möglich, wenn es gelang, die Natur als ein zusammenhängendes System von Kraftwirkungen zu begreifen, das seine letzte Zweckbestimmung in einer Leistung für die Realisierung des Vernunftgebotes hätte. Den Ausgangspunkt dieser Konstruktion mußte Kants dynamische Theorie bilden, die das Sein der Materie aus dem Verhältnis der Attraktions- und der Repulsionskraft ableitete (vgl. § 38, 7), und ihren Zielpunkt gab diejenige Naturerscheinung ab, in welcher sich die praktische Vernunft allein betätigt: der menschliche Organismus. Zwischen beiden mußte die ganze Fülle der Gestalten und Funktionen der Natur als ein einheitliches Leben ausgebreitet werden, dessen vernünftiger Sinn in dem organischen Herauswachsen des Endziels aus den materiellen Anfängen zu suchen war. Die Natur ist das werdende Ich – das ist das Thema der Schellingschen Naturphilosophie. Diese in den philosophischen Prämissen[501] begründete Aufgabe erschien zugleich geradezu gefordert durch den Zustand der Naturwissenschaft, die wieder einmal auf dem Punkte angelangt war, wo die zerstreute Einzelarbeit nach einer lebendigen Gesamtauffassung der Natur begehrt. Und dies Verlangen machte sich um so lebhafter geltend, als gerade der Fortschritt des empirischen Wissens die hochgeschraubten Erwartungen, die man seit dem 17. Jahrhundert auf das Prinzip der mechanischen Naturerklärung gesetzt hatte, wenig befriedigte. Die Ableitung des Organischen aus dem Unorganischen blieb, wie es Kant konstatierte, zum mindesten problematisch, eine genetische Entwicklung der Organismen auf dieser Grundlage streitig; für die in großer Bewegung begriffene Theorie der Medizin fehlte es noch an jeder Handhabe zu ihrer Einfügung in die mechanische Weltauffassung; nun kamen die Entdeckungen elektrischer und magnetischer Erscheinungen hinzu, deren zunächst rätselhafte Eigenart eine Subsumtion unter die Gesichtspunkte galileischer Mechanik damals noch nicht ahnen ließ. Demgegenüber hatte Spinoza den mächtigen Eindruck auf die Geister gerade dadurch gemacht, daß er die ganze Natur, den Menschen nicht ausgeschlossen, als einen einheitlichen Zusammenhang dachte, in welchem sich das göttliche Wesen mit aller seiner Fülle darstelle, und für die Entwicklung des deutschen Denkens ist es von entscheidender Bedeutung geworden, daß Goethe diese Auffassung zu der seinigen machte. Freilich deutete der Dichter, wie man es am besten in den herrlichen Aphorismen »Die Natur« ausgesprochen findet, sich diese Ansicht in seiner Weise um: an die Stelle der »mathematischen Folge« und ihrer mechanischen Notwendigkeit setzte er die Anschauung einer Lebenseinheit der Natur, worin ohne begriffliche Formulierung die Weltansicht der Renaissance sich erneuerte. Dieser poetische Spinozismus1018 ist ein wesentliches Glied in der Entwicklungskette der idealistischen Systeme geworden.
Alle diese Motive spielen in Schelling Naturphilosophie hinein; sie führen dazu, daß ihr Zentralbegriff das Leben ist, und daß sie den Versuch macht, die Natur unter dem Gesichtspunkte des Organismus zu betrachten und den Zusammenhang ihrer Kraftwirkungen aus dem Gesamtzweck der Erzeugung des organischen Lebens zu begreifen. Es soll die Natur nicht beschrieben, gemessen und kausal erklärt werden, sondern es soll der Sinn und die Bedeutung verstanden werden, die ihren einzelnen Erscheinungen in dem zweckvollen System des Ganzen zukommt. Die »Kategorien der Natur« sind die Gestalten, in denen die Vernunft sich selbst als objektiv setzt, sie bilden ein Entwicklungssystem, worin jede besondere Erscheinung ihren begrifflich bestimmten Platz findet. In der Ausführung dieser Idee war Schelling natürlich von dem Stande der naturwissenschaftlichen Kenntnisse seiner Zeit abhängig. Von dem Zusammenhange der Kräfte, von ihrer Umsetzung ineinander, worauf es ja für dies Interesse hauptsächlich ankam, hatte man damals nur sehr unvollkommene Vorstellungen, und der Philosoph zögerte nicht, die Lücken des Wissens durch Hypothesen auszufüllen, welche er der apriorischen Konstruktion des teleologischen Systems entnahm. In manchen Fällen haben sich diese Ansichten als wertvolle heuristische Prinzipien (vgl. oben § 40, 6), in andern als Irrwege[502] erwiesen, auf denen die Forschung zu brauchbaren Resultaten nicht gelangte. Das historisch Bedeutsame an der Naturphilosophie ist ihr Gegensatz gegen die Herrschaft des demokritisch-galileischen Prinzips rein mechanischer Naturerklärung. Die quantitative Bestimmung gilt hier wieder nur als äußere Form und Erscheinung, der kausal-mechanische Zusammenhang nur als die verstandesmäßige Vorstellungsweise. Der Sinn der Naturgebilde ist die Bedeutung, welche sie im Entwicklungssystem des Ganzen haben. Wenn deshalb Schelling seinen Blick auf die Formenverwandtschaft der organischen Welt richtete, wenn er die Anfänge der vergleichenden Morphologie, in denen Goethe eine so bedeutende Rolle spielte, dazu benutzte, um die Einheit des Plans aufzuzeigen, welchen die Natur in der Reihenfolge der Lebewesen verfolgt, so galt ihm und teilweise auch seinen Schülern dieser Zusammenhang nicht eigentlich im Sinne zeitlich-kausaler Genesis, sondern als der Ausdruck einer stufenweise gelingenden Erfüllung des Zwecks. In den verschiedenen Ordnungen der animalen Wesen kommt (nach Oken) gesondert zu Tage, was die Natur mit dem Organismus will, und was ihr vollständig erst im Menschen gelingt. Diese teleologische Deutung schließt ein zeitliches Kausalverhältnis nicht aus, aber bei Schelling wenigstens nicht ein. Es liegt ihm nicht daran zu fragen, ob die eine Art aus der andern entstanden ist: er will nur zeigen, daß die eine sachlich die Vorstufe für die Leistung der andern sei.1019
Es ist danach begreiflich, daß die mechanische Naturerklärung, die im 19. Jahrhundert wieder zum Siege gelangt ist, in der Zeit der Naturphilosophie nur einen glücklich überwundenen Rausch teleologischer Ueberhebung zu sehen pflegte, welcher die ruhige Arbeit der Forschung aufgehalten habe. Allein die Akten über den Streit, der seit Demokrit und Platon die Geschichte der Naturauffassung erfüllt, sind auch heute noch nicht geschlossen Der Reduktion des Qualitativen auf das Quantitative, die unter der Fahne der Mathematik siegreich vordringt, ist immer wieder jenes Bedürfnis entgegengetreten, das hinter den Bewegungen im Raume eine sinnvoll vernünftige Wirklichkeit sucht. Diesem Bedürfnis nach lebendigem Inhalt der Natur ging Schellings Lehre nach, und darum fühlte sich auch zu ihr der große Dichter hingezogen, der sich bemühte, in dem reizenden Spiel der Farben als das wahrhaft Wirkliche nicht eine Atomschwingung, sondern ein ursprünglich qualitativ Bestimmtes nachzuweisen. Das ist der philosophische Sinn von Goethes »Farbenlehre«1020.
Bei Schelling ist das System der Natur von dem Gedanken beherrscht, daß sich in ihr die »objektive« Vernunft von der materiellen Erscheinungsweise durch die Fülle der Gestaltungen und Kräfteverwand lungen hindurch zu dem Organismus aufringt, worin sie zum Bewußtsein kommt.1021 Das empfindende Wesen ist der Schlußpunkt des Naturlebens: mit der Empfindung beginnt das System der Wissenschaftslehre. Der vielverschlungene Weg, den[503] die Natur bis zu diesem Ziele einhält, ist bei den zahlreichen Umarbeitungen der Naturphilosophie im einzelnen mehrfach abgeändert, in den Grundzügen aber derselbe geblieben. Insbesondere war es die aus der Wissenschaftslehre stammende Auffassung von dem Widerstreit der Kräfte, die in höherer Einheit sich aufheben, die Lehre von der Dualität, welche das Grundschema der »Konstruktion der Natur« ausmachte, und von hier wurde für Schelling besonders die Polarität bedeutsam, die in den elektrischen und magnetischen Erscheinungen als neu gefundenes Rätsel die Zeitgenossen beschäftigte.
4. Als Schelling neben die Naturphilosophie eine eigene Bearbeitung der Wissenschaftslehre unter dem Namen des »transzendentalen Idealismus« stellen wollte, hatte sich in dem gemeinsamen Denken der Jenenser Idealisten eine bedeutsame Aenderung vollzogen, der er nun den ersten systematischen Ausdruck gab. Der Anstoß dazu stammte von Schiller und der Ausbildung, welche dieser den Gedanken der Kritik der Urteilskraft gegeben hatte. Schritt für Schritt war dabei deutlicher geworden, daß für den Idealismus sich das System der Vernunft in der ästhetischen Funktion vollenden müsse, und an Stelle des ethischen Idealismus, den die Wissenschaftslehre, und des physischen, den die Naturphilosophie lehrte, trat nun der ästhetische Idealismus.
Die folgenreiche Umbildung, welche Kants Gedanken durch Schiller erfuhren, betraf keineswegs nur die dem Dichter zunächst liegenden ästhetischen, sondern ebenso die ethischen und die geschichtsphilosophischen Fragen und damit das ganze System der Vernunft. Denn Schillers Gedanken waren, wie u. a. das Gedicht »die Künstler« zeigt, schon vor der Bekanntschaft mit Kant auf das Problem gerichtet gewesen, welche Bedeutung das Schöne und die Kunst in dem ganzen Zusammenhange des menschlichen Vernunftlebens und in dessen geschichtlicher Entwicklung hat, und indem er nun die Lösung dieses Problems unter die kantischen Begriffe stellte, gab er dem Idealismus nach der Wissenschaftslehre die entscheidende Wendung.
Sie begann mit den neuen Formen, die Schiller für Kants Begriff der Schönheit fand. Die Synthesis der theoretischen und der praktischen Vernunft in der ästhetischen (vgl. § 40, 2) konnte vielleicht keinen glücklicheren Ausdruck finden, als in Schillers Definition der Schönheit als Freiheit in der Erscheinung.1022 Sie besagt, daß die ästhetische Anschauung ihr Objekt auffaßt, ohne es den Regeln des erkennenden Verstandes zu unterwerfen: es wird nicht unter Begriffe subsumiert, und wir fragen nicht nach den Bedingungen, die es in andern Erscheinungen hat. Es wird angeschaut, als ob es frei wäre. Schopenhauer hat das nachher so ausgedrückt, der Genuß des Schönen sei die Betrachtung des Gegenstands unabhängig vom Satz des Grundes. Noch mehr Gewicht aber hat Schiller später darauf gelegt, daß das ästhetische Verhalten der praktischen Vernunft gegenüber ebenso unabhängig ist wie der theoretischen. Das Schöne ist (vom Angenehmen und Guten geschieden) so wenig Gegenstand des sinnlichen wie des sittlichen Triebes: ihm fehlt ebenso die Bedürftigkeit des empirischen Trieblebens wie der Ernst der praktischen Vernunft.1023[504] Im ästhetischen Leben entfaltet sich der Spieltrieb1024; in der interesselosen Betrachtung schweigt jede Regung des Willens. Auch hierin ist Schopenhauer gefolgt, wenn er das Glück des ästhetischen Zustandes in der Ueberwindung des unseligen Willens zum Leben, in der Tätigkeit des reinen, willenlosen Subjekts der Erkenntnis fand.1025
Hieraus folgerte Schiller zunächst, daß überall da, wo es sich darum handelt, den seiner Sinnlichkeit unterworfenen Menschen zum sittlichen Wollen zu erziehen, das ästhetische Leben das wirksamste Mittel dazu darbietet. Kant hatte die »Umkehrung der Triebfedern« als die ethische Aufgabe des Menschen bezeichnet (vgl. oben § 39, 6): für den Uebergang aus der sinnlichen in die sittliche Bestimmtheit des Willens bot er dem Menschen als Unterstützung die Religion, – Schiller die Kunst.1026 Glaube und Geschmack lassen den Menschen wenigstens legal handeln, wo er zur Moralität noch nicht reif ist. Im Umgang mit dem Schönen verfeinert sich das Gefühl, so daß die natürliche Roheit schwindet und der Mensch für seine höhere Bestimmung erwacht. Die Kunst ist der Nährboden für Wissenschaft und Sittlichkeit. So lehrte Schiller schon in den »Künstlern«; in den »Briefen über die ästhetische Erziehung« gräbt er sehr viel tiefer. Der ästhetische Zustand (»Staat«) vernichtet, weil er der völlig interesselose ist, auch das sinnliche Wollen und schafft damit Raum für die Möglichkeit des sittlichen Wollens: er ist der notwendige Durchgangspunkt aus dem physischen Notstaat in den moralischen Staat. Im physischen Zustand erleidet der Mensch die Macht der Natur, er entledigt sich ihrer im ästhetischen, und er beherrscht sie im moralischen.
Aber schon in den »Künstlern« war dem Schönen die zweite, höhere Aufgabe zugewiesen worden, der moralischen und intellektuellen Kultur schließlich auch die höchste Vollendung zu geben, und indem der Dichter diesen Gedanken dem kritischen Begriffssystem einbildet, geht er von der Ergänzung zur Umgestaltung der kantischen Lehre über. Die beiden Seiten der menschlichen Natur sind nicht versöhnt, wenn der sittliche Trieb den Sinnentrieb noch überwinden muß. Im physischen und im moralischen Zustand ist je eine Seite der menschlichen Natur zu Gunsten der andern unterdrückt. Ein vollendetes Menschentum ist nur da, wo keiner der beiden Triebe über den andern herrscht. Der Mensch ist nur da wahrhaft Mensch, wo er spielt, wo der Kampf in ihm schweigt, wo die sinnliche Natur in ihm zu so edler Empfindung erhoben ist, daß er nicht mehr nötig hat, erhaben zu wollen. Der kantische Rigorismus gilt überall da, wo der Pflicht die sinnliche Neigung gegenübersteht; aber es gibt das höhere Ideal der schönen Seele, welche[505] diesen Kampf nicht mehr kennt, weil ihre Natur so veredelt ist, daß sie das Sittengesetz aus Neigung erfüllt. Und eben diese Veredlung gewinnt der Mensch nur durch die ästhetische Erziehung. Durch sie allein wird der sinnlich-übersinnliche Zwiespalt in der menschlichen Natur aufgehoben, in ihr allein kommt das eigenste Menschentum zur vollen Verwirklichung.
5. In dem Ideal der »schönen Seele« überwindet die Shaftesburysche »Virtuosität« (vgl. oben § 36, 6) den kantischen Dualismus. Die Vollendung des Menschen ist die ästhetische Versöhnung der beiden in ihm wohnenden Naturen; die Bildung soll das Leben des Individuums zum Kunstwerk machen, indem sie das sinnlich Gegebene zum vollen Einklang mit der ethischen Bestimmung adelt. In dieser Richtung hat Schiller im Gegensatz zum Rigorismus Kants der idealen Lebensauffassung seiner Zeit den tonangebenden Ausdruck verliehen, und der ästhetische Humanismus, welchen er so der Begriffsarbeit abrang, fand neben ihm eine Fülle von andern, eigenartigen Ausprägungen. In ihnen allen aber erschien Goethe als die gewaltige Persönlichkeit, welche in der ästhetischen Vollkommenheit ihrer Lebensführung ebenso wie in den großen Werken ihrer dichterischen Tätigkeit diese ideale Höhe der Humanität lebendig darstellte.
In dieser Auffassung des Genius begegnete sich mit Schiller zunächst Wilhelm von Humboldt1027: er suchte von hier aus das Wesen der großen Dichtungen zu verstehen, er fand in der Harmonie der sinnlichen und der sittlichen Natur das Lebensideal des Menschen, und er wendete dies Prinzip in seiner für die Sprachwissenschaft grundlegenden Abhandlung1028 in der Weise an, daß er aus der organischen Wechselwirkung beider Elemente das Wesen der Sprache zu verstehen lehrte.
Zu schärferem Gegensatz gegen den kantischen Rigorismus ging in dem Shaftesburyschen Geiste schon Jacobi mit seinem auf Goethes Persönlichkeit zugeschnittenen Roman »Allwills Briefsammlung« vor. Auch das moralische Genie ist »exemplarisch«: es fügt sich nicht unter hergebrachte Regeln und Maximen, es lebt sich selbst aus und gibt sich damit auch die Gesetze seiner Moralität. Diese »sittliche Natur« ist das Höchste, was es im Umkreise der Menschheit gibt. Das abstrakte System der Maximenhaftigkeit, das Kants Ethik charakterisierte, beginnt einer Auffassung der individuellen Lebenswerte zu weichen.
Zu vollem Uebermut ist diese ethische Genialität in Theorie und Praxis bei den Romantikern ausgewuchert. Hier entwickelte sie sich als eine ästhetische Aristokratie der Bildung gegen die demokratische Utilität der Aufklärungsmoral. Das bekannte Schillersche Wort von dem »Adel in der sittlichen Welt« wurde dahin gedeutet, daß der Philister mit seiner nach allgemeinen Grundsätzen geregelten Arbeit seine zweckbestimmte Tätigkeit zu leisten habe, während der geniale Mensch, frei von aller äußeren Bestimmung durch Absichten und Regeln, in dem interesselosen Spiel seiner bewegten Innerlichkeit, in der Ausgestaltung seiner ewig bildsamen Phantasie nur seine[506] deutende Individualität als etwas in sich Wertvolles auslebt. In dieser genialen Moral soll deshalb auch die Sinnlichkeit (in der engsten Bedeutung des Worts) zu ihrem vollen unverkümmerten Rechte kommen und durch ästhetische Steigerung den feinsten Regungen der Innerlichkeit ebenbürtig werden, – ein sublimer Gedanke, der nicht hinderte, daß seine Ausführung in Fr. Schlegels »Lucinde« auf geistreich raffinierte Gemeinheit hinauslief.
Zu der Reinheit Schillerscher Gesinnung wurde die romantische Moral durch Schleiermachers1029 Ethik zurückgeführt. Sie ist der vollendete Ausdruck des Lebensideals jener großen Zeit. Auf die Einheit von Vernunft und Natur scheint ihr alles ethische Handeln gerichtet: danach bestimmt sich im allgemeinen das Sittengesetz, welches kein anderes sein kann als das natürliche Lebensgesetz der Vernunft, – danach auch im einzelnen die Aufgabe jedes Individuums, das in besonderer, nur ihm eigener Weise jene Einheit zum Ausdruck bringen soll. In der systematischen Ausführung dieses Gedankens unterscheidet Schleiermacher (nach dem organischen und dem intellektuellen Faktor der Intelligenz, vgl. § 41, 6) die organisierende und die symbolisierende Tätigkeit, je nachdem ob die Einheit von Natur und Vernunft erstrebt oder vorausgesetzt wird, und so ergeben sich im ganzen vier sittliche Grundverhältnisse, denen als Güter Staat, Geselligkeit, Schule und Kirche entsprechen. Aus diesen heraus hat sich das Individuum zu harmonischem Eigenleben selbsttätig zu entwickeln.
Auf die ästhetische Vernunft hat endlich in völlig selbständiger Weise auch Herbart die ethische Theorie zurückgeführt: ihm gilt methodologisch die Moral als ein Zweig der allgemeinen »Aesthetik«. Neben der theoretischen Vernunft, welche die Prinzipien für die Erkenntnis des Seins enthält, erkennt er als ursprünglich nur die Beurteilung des Seienden nach ästhetischen Ideen an. Diese Beurteilung als solche hat mit dem Willen und den Bedürfnissen des empirischen Ich ebensowenig zu tun wie das Erkennen. Die »Geschmacksurteile« gelten mit unableitbarer Evidenz notwendig und allgemein, und sie beziehen sich stets auf die Verhältnisse des Seienden: diesen wohnt ein ursprüngliches Wohlgefallen oder Mißfallen bei. Die Anwendung dieser Prinzipien auf das engere Gebiet des Aesthetischen ist von Herbart nur angedeutet, erst von seinen Schülern, namentlich Rob. Zimmermann1030 zu der ausgesprochen »formalistischen« Aesthetik ausgebildet worden: die Ethik dagegen gilt für Herbart als die Lehre von den Geschmacksurteilen über Verhältnisse des menschlichen Willens. Sie hat nichts zu erklären – das ist Sache der Psychologie –, sie hat nur die Normen festzustellen, nach denen sich jene Beurteilung richtet. Als solche findet Herbart die fünf sittlichen Ideen: Freiheit, Vollkommenheit, Wohlwollen, Recht und Billigkeit, und nach ihnen sucht er auch die Systeme des sittlichen Lebens zu ordnen. Für die genetische Untersuchung dagegen macht er immer die Prinzipien der Assoziationspsychologie geltend, und so versucht er in der Statik und Mechanik des Staats den Mechanismus der Willensbewegungen darzustellen, durch welchen das gemeinsame Leben der Menschen sich erhält.
6. Aus Schillers ästhetischer Moral ergab sich aber auch eine Geschichtsphilosophie,[507] welche die Gesichtspunkte von Rousseau und Kant in neuer Verbindung erscheinen ließ. Der Dichter entwickelte sie in ganz eigenartiger Weise, indem er in den Aufsätzen über »Naive und sentimentalische Dichtung« die ästhetischen Grundbegriffe aus der Aufstellung historischer Gegensätze und aus einer allgemeinen Konstruktion ihrer Bewegung gewann. Die Zeitalter und die Dichtungsarten charakterisieren sich ihm durch das verschiedene Verhältnis des Geistes zum Reiche der Natur und zum Reiche der Freiheit. Als der »arkadische« Zustand erscheint hier der, wo der Mensch instinktiv, ohne Gebot das Sittliche tut, weil der Gegensatz seiner beiden Naturen noch nicht im Bewußtsein entfaltet ist: als das »elysische« Ziel erscheint jene Vollendung, in welcher die Natur so veredelt ist, daß sie wiederum das Sittengesetz in ihren Willen aufgenommen hat. Zwischen beiden liegt der Kampf der beiden Naturen, – die wirkliche Geschichte.
Die Dichtung aber, deren eigenste Aufgabe es ist, den Menschen darzustellen, ist überall durch diese Grundverhältnisse bestimmt. Läßt sie die sinnliche Natürlichkeit des Menschen noch in der harmonischen Einheit mit seinem geistigen Wesen erscheinen, so ist sie naiv; bringt sie dagegen den Widerspruch zwischen beiden zur Darstellung, läßt sie in irgend einer Weise die Unangemessenheit zwischen der Wirklichkeit und dem Ideal des Menschen hervortreten, so ist sie sentimentalisch, und zwar entweder satirisch oder elegisch, sei es auch im Idyll. Der Dichter, der selbst Natur ist, stellt die Natur naiv dar; der, welcher sie nicht besitzt, hat an ihr das sentimentalische Interesse, die Natur, die aus dem Leben schwand, als Idee in der Dichtung zurückzurufen. Die Harmonie von Natur und Vernunft ist bei jenem gegeben, bei diesem aufgegeben, – dort als Wirklichkeit, hier als Ideal. Dieser Unterschied der dichterischen Empfindungsweise charakterisiert nach Schiller auch den Gegensatz des Antiken und des Modernen. Der Grieche empfindet natürlich, der moderne Mensch empfindet die Natur als ein verlorenes Paradies, wie der Kranke die Genesung. Daher gibt der antike und naive Dichter die Natur wie sie ist, ohne seine Empfindung, der moderne und sentimentale nur in Beziehung auf seine Reflexion: jener verschwindet hinter seinem Gegenstande wie der Schöpfer hinter seinen Werken, dieser zeigt in der Gestaltung des Stoffs die Macht seiner dem Ideal zustrebenden Persönlichkeit. Dort waltet Realismus, hier Idealismus, und die letzte Höhe der Kunst wäre die Vereinigung, worin der naive Dichter das Sentimentalische darstellte: so umriß Schiller die Gestalt seines großen Freundes, des modernen Griechen.
Mit Begier wurden diese Bestimmungen von den Romantikern aufgegriffen. Virtuosen des Rezensententums, wie die Schlegels waren, freuten sich dieses philosophischen Schemas für Kritik und Charakteristik und führten es in ihre umfassende Bearbeitung der Literaturgeschichte ein. Dabei gab indes Friedrich Schlegel den Schillerschen Gedanken die spezifisch »romantische« Zuspitzung, für die er mit schlagfertiger Oberflächlichkeit Fichtesche Motive zu verwerten wußte. Wenn er den von Schiller aufgestellten Gegensatz mit den neuen Namen klassisch und romantisch bezeichnete, so bildete er ihn auch sachlich durch seine Lehre von der Ironie um. Der klassische Dichter geht in seinem Stoff auf, der romantische schwebt als souveräne Persönlichkeit über ihm, er vernichtet den Stoff durch die Form. Indem er über[508] jeden Stoff, den er setzt, mit freier Phantasie hinweggeht, entfaltet er an ihm nur das Spiel seiner Genialität, das er in keiner seiner Bildungen beschränkt. Daher hat der romantische Dichter einen Zug zum Unendlichen, zum Niemalsfertigen: er selbst ist immer noch mehr als jeder seiner Gegenstände, und darin eben betätigt sich die Ironie. Dem unendlichen Tun des sittlichen Willens, das Fichte gelehrt hatte, schiebt der Romantiker das endlose Spiel der zwecklos bildenden und wieder zerstörenden Phantasie unter.
Die geschichtsphilosophischen Momente in Schillers Lehre haben bei Fichte, dem sie manches entlehnte1031, ihre volle Entwicklung gefunden, dabei aber auf diesen den Einfluß gehabt, daß auch er in der ästhetischen Vernunft die Gegensätze der Wissenschaftslehre sich ausgleichen ließ. Schon in den Jenenser Vorlesungen über das Wesen des Gelehrten und in der Behandlung, welche die Berufspflichten des Lehrers und des Künstlers im »System der Sittenlehre« fanden, klingen solche Motive an: zum beherrschenden Thema sind sie in Fichtes Erlanger Vorlesungen geworden. Wenn er daran ging, die »Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« zu zeichnen, so tat er es in den markigen Linien einer universalhistorischen Konstruktion. Als der erste (»arkadische«) Zustand der Menschheit erscheint hier der des »Vernunftinstinkts«, als dessen Träger ein Normalvolk angenommen wird. In diesem Zeitalter waltet über und unter den Individuen mit unmittelbarer, unangefochtener Sicherheit der Naturnotwendigkeit das allgemeine Bewußtsein; aber die Bestimmung des freien Einzel-Ich ist es, sich von dieser Gewalt der Sitte und des Herkommens loszureißen und dem eigenen Triebe und Urteile zu folgen. Damit jedoch beginnt das Zeitalter der Sündhaftigkeit. Diese vollendet sich in dem intellektuellen und moralischen Zerfall des Gesamtlebens, in der Anarchie der Meinungen, in dem Atomismus der Privatinteressen. Mit deutlichen Strichen wird diese »vollendete Sündhaftigkeit« als Theorie und Praxis der Aufklärung gekennzeichnet. Die Lebensgemeinschaft der Menschheit ist hier zu dem »Notstaat« herabgesunken, der auf die Ermöglichung eines äußerlichen Zusammenseins beschränkt ist und darauf beschränkt sein soll, da er mit allen höheren Interessen des Menschen, Moralität, Wissenschaft, Kunst und Religion, nichts zu tun hat und sie der Freiheitssphäre des Individuums überlassen muß. Dafür hat denn aber auch das Individuum an diesem »wirklichen« Staat kein lebendiges Interesse: seine Heimat ist die Welt und vielleicht noch in jedem Augenblicke der Staat, der gerade auf der Höhe der Kultur steht.1032 Diese Kultur aber besteht in der Unterordnung der Individuen unter das erkannte Vernunftgesetz. Aus der sündhaften Willkür der Individuen muß die Autonomie der Vernunft, der Selbsterkenntnis und Selbstgesetzgebung des nun bewußt im Einzelgeiste waltenden Allgemeingültigen sich erheben. Damit wird das Zeitalter der Vernunftherrschaft beginnen, aber es wird sich nicht vollenden, ehe nicht in dem »wahren Staat« alle Kräfte des vernünftig vollgereiften Individuums in den Dienst des Ganzen gestellt werden, und so wieder das Gebot des Gesamtbewußtseins widerstandslos erfüllt wird.[509] Dieser (»elysische«) Endzustand ist der der »Vernunftkunst«. Es ist das Ideal der »schönen Seele«, auf Politik und Geschichte übertragen. Dies Zeitalter herbeizuführen und in ihm die »Gemeine«, das »Reich«, durch Vernunft zu leiten, ist die Aufgabe des »Lehrers«, des Gelehrten und des Künstlers.1033
Den »Beginn der Vernunftherrschaft« sah Fichtes tatkräftiger Idealismus gerade da, wo die Sündhaftigkeit und die Not am höchsten gestiegen waren. In den »Reden an die deutsche Nation« feierte er sein Volk als dasjenige, welches allein noch Ursprünglichkeit bewahrt habe und dazu bestimmt sei, den wahren Kulturstaat zu schaffen. Er rief es auf, sich auf diese seine Bestimmung zu besinnen, an der das Schicksal Europas hänge, von innen heraus durch eine völlig neue Erziehung sich selbst zum Vernunftreiche zu erheben und der Welt die Freiheit zurückzugeben.
Das »Vernunftreich« aber denkt Fichte nicht etwa als eine abstrakte Herrschaft allgemeiner Maximen, worin die individuelle Lebendigkeit ausgelöscht wäre, sondern als eine reiche Mannigfaltigkeit persönlicher Eigenwerte, die zu einem organischen Ganzen zusammengeordnet sind. In seiner Auffassung von dem Lebensrechte und der Bestimmung des Individuums berührt er sich in seiner späteren Zeit mit den besten Formen der romantisch-ästhetischen Ethik, mit Jacobi und Schleiermacher, und seine Geschichtsphilosophie stellt damit die theoretisch unableitbare Individualität unter den Gesichtspunkt der ethischen Wertung: sie bildet deshalb den äußersten Gegensatz gegen diejenigen Auffassungen, die in irgend einer Weise den Sinn der Geschichte in einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit suchen, und dementsprechend behandelt sie ganz ausdrücklich die historische Entwicklung als einen einmaligen Prozeß, in welchem sich individuell wertvolle Erscheinungen zu einer zweckbestimmten Gesamtordnung vereinigen. Denn die Geschichte als die »Erscheinung« Gottes kann nur ein Reich der Freiheit und dieses nur ein Reich der Individualität sein.1034
7. Zur vollen Herrschaft im ganzen System der idealistischen Philosophie gelangte der Gesichtspunkt der ästhetischen Vernunft durch Schelling. In seiner Ausarbeitung des »transzendentalen Idealismus« entwickelte er den Fichteschen Gegensatz der theoretischen und der praktischen Wissenschaftslehre durch das Verhältnis zwischen der bewußten und der bewußtlosen Tätigkeit des Ich (vgl. oben No. 2). Ist die bewußte durch die bewußtlose bestimmt, so verhält sich das Ich theoretisch, im umgekehrten Falle praktisch. Aber das theoretische Ich, welches der Produktivität der bewußtlosen Vernunft empfindend, anschauend, denkend zuschaut, kommt damit nie zu Ende, und auch das praktische Ich, welches die bewußtlose Weltwirklichkeit in der freien Arbeit der individuellen Sittlichkeit, der staatlichen Gemeinschaft und des geschichtlichen Fortschritts umgestaltet, hat das Ziel seiner Tätigkeit im Unendlichen. In beiden Reihen kommt das ganze Wesen der Vernunft nie zu voller Verwirklichung. Dies ist nur möglich durch die bewußtlos-bewußte Tätigkeit des künstlerischen Genies, worin jene Gegensätze aufgehoben[510] sind. In der absichtslosen Zweckmäßigkeit des Schaffens, dessen Produkt die »Freiheit in der Erscheinung« ist, muß die höchste Synthesis aller Vernunfttätigkeiten gesucht werden. Hatte Kant das Genie als die Intelligenz definiert, die wie Natur wirkt, hatte Schiller den ästhetischen Zustand des Spiels als den wahrhaft menschlichen bezeichnet. so erklärte Schelling die ästhetische Vernunft für den Schlußstein des idealistischen Systems. Das Kunstwerk ist diejenige Erscheinung, worin die Vernunft am reinsten und vollsten zur Entwicklung gelangt: die Kunst ist das wahre Organon der Philosophie. An ihr hat das »zuschauende Denken« zu lernen, was Vernunft ist. Wissenschaft und Moralität sind einseitige und nie abgeschlossene Entwicklungsreihen der subjektiven Vernunft: nur die Kunst ist in jedem ihrer Werke fertig als ganz verwirklichte Vernunft.
Nachdem er den »transzendentalen Idealismus« geschrieben, hielt Schelling in Jena die Vorlesungen über die »Philosophie der Kunst«. welche diese Grundgedanken mit einem bewunderungswürdig feinen, insbesondere an der Behandlung der Dichtkunst bewährten Verständnis für künstlerische Eigenart und Schaffensweise ausführten. Damals nicht gedruckt, haben diese Vorlesungen durch ihre Wirkung auf die Jenenser Kreise die gesamte folgende Entwicklung der Aesthetik bestimmt. Die spätere Veröffentlichung1035 legt diejenige Redaktion vor, welche Schelling einige Jahre später in Würzburg vortrug. In ihr macht sich bereits die Aenderung der allgemeinen Auffassung geltend, wozu der Philosoph inzwischen fortgeschritten war.
8. Auch dabei wirkte das ästhetische Motiv wenigstens in formeller Hinsicht mit, indem nun für die Naturphilosophie und die Transzendentalphilosophie eine gemeinsame systematische Grundlage gesucht wurde. Jene handelte von der objektiven, diese von der subjektiven Vernunft: beide aber mußten im letzten Wesen identisch sein; weshalb sich diese Phase des Idealismus das Identitätssystem nennt. Danach bedarf es für die Natur und das Ich eines gemeinsamen Prinzips. Dies wurde in der Schrift, welche Schelling »Darstellung meines Systems der Philosophie« betitelte, die »absolute Vernunft« oder die »Indifferenz von Natur und Geist, von Objekt und Subjekt« genannt: denn das höchste Prinzip kann weder real noch ideal bestimmt sein, in ihm müssen alle Gegensätze ausgelöscht sein. Das »Absolute« ist hier bei Schelling inhaltlich so unbestimmt1036, wie in der alten »negativen Theologie«, wie in dem Pantheismus der coincidentia oppositorum, wie in Spinozas »Substanz«. Mit dem letzteren Begriffe aber teilt es die Eigenschaft, daß seine Erscheinung in zwei Reihen auseinander geht, die reale und die ideale, Natur und Geist. Diese sachliche Verwandtschaft mit Spinoza verstärkte Schelling durch die formelle, indem seine »Darstellung« den Schematismus der »Ethica«1037 nachahmte. Trotzdem ist dieser idealistische Spinozismus von dem originalen in seiner Weltauffassung durchaus verschieden. Beide wollen die ewige Verwandlung des Absoluten in die Welt darstellen: dabei betrachtet aber Spinoza die beiden Attribute der Materialität und des Bewußtseins als völlig getrennt und Jede endliche Erscheinung als lediglich einer der beiden Sphären angehörig.[511] Schelling dagegen verlangt, daß in jeder Erscheinung »Realität« und »Idealität« enthalten sein müssen, und konstruiert die einzelnen je nach dem Maße, in welchem beide Momente darin verknüpft sind und das eine oder das andere von ihnen »überwiegt«. Das dialektische Prinzip des absoluten Idealismus ist die quantitative Differenz des realen und des idealen Faktors: das Absolute selbst ist eben deshalb die völlige Indifferenz1038 Die reale Reihe ist diejenige, worin der objektive Faktor »überwiegt«: sie fahrt von der Materie durch Licht, Elektrizität und Chemismus zum Organismus, der relativ geistigsten Erscheinung in der Natur. In der idealen Reihe überwiegt der subjektive Faktor, in ihr geht die Entwicklung von der Moralität und der Wissenschaft zum Kunstwerk, der relativ natürlichsten Erscheinung im Reiche des Geistes. Und die Gesamterscheinung des Absoluten, das Universum, ist deshalb zugleich der vollkommenste Organismus und das vollkommenste Kunstwerk.1039
9. In diesem System wollte Schelling den ganzen Ertrag der früher nach verschiedenen Richtungen auseinander gehenden Untersuchungen zusammenfassen. Er bezeichnete dabei die verschiedenen Stufen der Selbstdifferenzierung des Absoluten zuerst als »Potenzen«; bald aber führte er einen andern Namen und zugleich eine andere Auffassung der Sache ein. Das hing mit der religiösen Wendung zusammen, welche das Denken der Romantiker um die Wende der Jahrhunderte nahm. Die Anregung dazu ging von Schleiermacher aus. Er bewies den »Gebildeten unter den Verächtern der Religion«, daß das System der Vernunft sich nur in der Religion vollenden könne. Auch darin lag ein Sieg der ästhetischen Vernunft. Denn was Schleiermacher damals als Religion predigte (vgl. § 41, 6), war kein theoretisches und kein praktisches Verhalten des Menschen, sondern eine ästhetische Beziehung zum Weltgrunde, das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit. Darum beschränkte sich auch die Religion für ihn auf das fromme Gefühl, auf das Durchdrungensein des Individuums von dieser innerlichen Beziehung zum Allgemeinen, und lehnte alle theoretische Form und alle praktische Organisation ab. Darum sollte die Religion Sache der Individualität sein, darum wurde die positive Religion auf das »religiöse Genie« ihres Stifters zurückgeführt. Bei dieser Verwandtschaft ist die Wirkung begreiflich, welche Schleiermachers »Reden« auf die Romantik ausgeübt haben j von hier stammt deren Neigung, die einheitliche Lösung aller Probleme der Menschheit von der Religion zu erwarten, in ihr die getrennten Sphären der Kulturtätigkeit wieder innerlich vereinigen zu wollen und schließlich das Heil in jener Herrschaft der Religion über alle Lebenskreise zu suchen, wie sie im Mittelalter bestanden haben sollte. Wie Schiller ein idealisiertes Griechentum, so schufen die späteren Romantiker ein idealisiertes Mittelalter.
Mit großer Feinfühligkeit folgte Schelling diesem Zuge des Denkens. Wie Spinoza nannte er nun das Absolute »Gott« oder das »Unendliche«, und ebenso wie Spinoza zwischen der »Substanz« und den einzelnen endlichen Wirklichkeiten die Attribute und die »unendlichen Modi« (vgl. oben § 31, 5) eingeschoben[512] hatte, so galten nun die »Potenzen« als die ewigen Formen der Erscheinung Gottes, deren endliche Abbilder die empirischen Einzelerscheinungen sind. Wenn sie aber in diesem Sinne von Schelling (im »Bruno« und in der »Methode des akademischen Studiums«) als Ideen bezeichnet wurden, so kommt darin noch ein anderes Moment zu Tage. Schleiermacher und Hegel, der seit 1801 seinen persönlichen Einfluß auf Schelling geltend machte, wiesen gleichmäßig auf Platon hin; aber die damalige philosophiegeschichtliche Kenntnis betrachtete dessen Lehre noch immer durch die Brille des Neuplatonismus, welcher die Ideen als Selbstanschauung Gottes auffaßte.1040 Und so ging Schellings Lehre in einen neuplatonischen Idealismus zurück, wonach die »Ideen« das Mittelglied bildeten, durch welches sich das Absolute in die Welt verwandeln sollte.
Dieser religiöse Idealismus der Schellingschen Ideenlehre hat eine Anzahl von Parallel- und Folgeerscheinungen. Die persönlich interessanteste davon ist Fichtes spätere Lehre, worin er dem Sieg des Spinozismus den Tribut entrichtete, daß er nun doch wieder den unendlichen Trieb des Ich aus einem »absoluten Sein« hervorgehen und darauf gerichtet sein ließ. Für die endlichen Dinge hielt er daran fest, sie als Produkte des Bewußtseins zu deduzieren; aber dessen unendliche Tätigkeit leitet er nun aus dem Zweck ab, ein absolutes Sein, die Gottheit, »abzubilden«, und deshalb erschien ihm jetzt als die Bestimmung des Menschen nicht mehr die rastlose Tätigkeit des kategorischen Imperativs, sondern das »selige Leben« der Versenkung in die Anschauung des göttlichen Urbildes, – ein mystischer Ausklang des gewaltigen Denkerlebens, welcher den Sieg der ästhetischen Vernunft in seiner vollen Größe erscheinen läßt.
Noch weiter ist das religiöse Motiv von Schellings Schüler Krause verfolgt worden. Die pantheistische Weltanschauung des Idealismus, die Schelling auch damals noch (eben in spinozistischer Weise) vertrat, wollte Krause mit dem Begriff der göttlichen Persönlichkeit verbinden. Die Welt gilt auch ihm als Entwicklung des göttlichen »Wesens«, das in den Ideen ausgeprägt ist; aber diese Ideen sind die Selbstanschauung der höchsten Persönlichkeit. Wesen – so sagt Krause für Gott – ist nicht indifferente Vernunft, sondern der persönliche Lebensgrund der Welt. In der weiteren Ausführung des hiernach als »Panentheismus« charakterisierten Systems hat Krause kaum eine andere Originalität, als die sehr bedenkliche, daß er die gemeinsamen Gedanken der ganzen idealistischen Entwicklung in einer unverständlichen Terminologie vorträgt, die er selbst erfand, aber für urdeutsch erklärte. Besonders ausgeführt ist bei ihm die Auffassung des ganzen Vernunftlebens unter dem Gesichtspunkte des »Gliedbaus« (zu deutsch: Organismus). Er betrachtet nicht nur das Universum wie Schelling als »Wesengliedbau« (göttlichen Organismus), sondern auch die Bildungen des gesellschaftlichen Zusammenhanges als Fortsetzungen der organischen Lebensbewegung über den individuellen Menschen hinaus: jeder »Bund« ist ein solcher Gliedbau und fügt sich wieder einem höheren als Glied ein, und der Gang der Geschichte ist die Erzeugung immer vollkommenerer und umfassenderer Vereinigungen.[513]
Für die romantische Aesthetik endlich hatte Schellings neue Lehre die Folge, daß die neuplatonische Auffassung der Schönheit als Erscheinung der Idee im Sinnlichen für sie wieder maßgebend wurde. Das Verhältnis der Unzulänglichkeit zwischen der endlichen Erscheinung und der unendlichen Idee stimmte zu dem Schlegelschen Prinzip der Ironie, und dieser Zusammenhang wurde namentlich von Solger zur Grundlage einer Kunsttheorie gemacht, die darin besonders für das Verständnis des Tragischen wertvolle Gesichtspunkte fand.
10. Den Abschluß dieser ganzen gestaltenreichen Entwicklung bildet Hegels logischer Idealismus. Er bedeutet in der Hauptsache eine Rückkehr von Schelling zu Fichtes erster Stellung, ein Aufgeben des Gedankens, daß aus dem »Nichts« der absoluten Indifferenz der lebendige Reichtum der Welt abgeleitet wer den könne1041, und den Versuch, jene leere Substanz wieder zum Geist, zum in sich bestimmten Subjekt zu erheben. Solche Erkenntnis kann aber nicht in der Form der Anschauung bestehen, die Fichte und Schelling für das Ich oder das Absolute in Anspruch genommen hatten, sondern nur in der des Begriffs. Wenn alles Wirkliche die Erscheinung des Geistes ist, so fällt die Metaphysik mit der Logik1042 zusammen, welche die schöpferische Selbstbewegung des Geistes als eine dialektische Notwendigkeit zu entwickeln hat. Die Begriffe, in welche der Geist seinen eigenen Inhalt auseinanderlegt, sind die Kategorien der Wirklichkeit, die Gestalten des Weltlebens, und die Philosophie hat dies Reich der Formen nicht als gegebene Mannigfaltigkeit zu beschreiben, sondern als die Momente einer einheitlichen Entwicklung zu begreifen. Die dialektische Methode dient also bei Hegel dazu, das Wesen der einzelnen Erscheinungen durch die Bedeutung zu bestimmen, welche sie als Glieder in der Selbstentfaltung des Geistes haben. Statt Geist sagt Hegel auch Idee oder Gott. Es ist die höchste Aufgabe, welche der Philosophie je gestellt worden ist: die Welt als eine Entwicklung der Inhaltsbestimmungen des göttlichen Geistes zu verstehen.
Dabei verhält sich Hegel nicht nur zur deutschen Philosophie, sondern zu der gesamten früheren Geistesbewegung ähnlich, wie Proklos zur griechischen1043: in dem »Schema der Dreieinigkeiten« von Position, Negation und Aufhebung der Negation werden alle Begriffe, mit denen der menschliche Geist je die Wirklichkeit oder einzelne Gruppen davon gedacht hat, zu einem einheitlichen System zusammengewoben. Jeder davon erhält so seine Stelle angewiesen, an der seine Notwendigkeit, seine relative Berechtigung deutlich werden soll; aber jeder erweist sich damit auch nur als ein Moment, das erst im Zusammenhange mit den übrigen und durch die Art seiner Einfügung in das Ganze seinen wahren Wert erhält. Es soll gezeigt werden, daß die Gegensätze und Widersprüche der Begriffe zum Wesen des Geistes selbst und damit auch zum Wesen der aus ihm entfalteten Wirklichkeit gehören, und daß ihre Wahrheit gerade in dem Zusammenhange besteht, worin die Kategorien auseinander sich ergeben. »Die Erscheinung ist das Entstehen und Vergehen, das selbst nicht entsteht und[514] vergeht, sondern an sich ist und die Wirklichkeit und Bewegung des Lebens der Wahrheit ausmacht.«1044
Darum ist Hegels Philosophie wesentlich historisch, eine systematische Verarbeitung des ganzen Gedankenstoffs der Geschichte. Er besaß sowohl die Polyhistorie, die dazu nötig war, als auch die kombinative Feinfühligkeit zur Auffindung jener logischen Beziehungen, auf die es ihm ankam. Das Interesse an seiner Philosophie trifft weniger die einzelnen Begriffe, die er der geistigen Arbeit von zwei Jahrtausenden entnahm, als die systematische Verbindung, die er zwischen ihnen herstellte: und gerade durch diese wußte er Sinn und Bedeutung des Einzelnen meisterhaft zu zeichnen und überraschendes Licht auf längst bestehende Gedankengebilde zu werfen. Freilich entfaltete er am Gegebenen die Willkür des konstruktiven Denkens, die das Wirkliche nicht so darstellte, wie es empirisch sich darbietet, sondern so, wie es in der dialektischen Bewegung sein sollte, und die Vergewaltigung des Tatsächlichen konnte da bedenklich werden, wo er es versuchte, das empirische Material in ein philosophisches System zu bringen, so in der Naturphilosophie, in der Geschichte der Philosophie, in der Geschichte überhaupt. Desto glänzender bewährte sich die Macht des von historischem Geiste getränkten Denkens auf solchen Gebieten, wo der philosophischen Behandlung ausdrücklich nur die Reflexion über ein zweifellos Gegebenes, kein chronologischer Bericht über empirische Wirklichkeit zukommt. So gab Hegel als Aesthetik einen historischen Aufbau der ästhetischen Ideale der Menschheit, welcher nach Schillerscher Methode und auch mit sachlicher Anlehnung an ihre Resultate alle systematischen Grundbegriffe dieser Wissenschaft in der wohlgefügten Reihenfolge des Symbolischen, des Klassischen und des Romantischen herausspringen ließ und danach ebenfalls das System der Künste in Architektur, Skulptur, Malerei, Musik und Dichtung gliederte. So entwickelte auch seine Religionsphilosophie aus dem Grundbegriff der Religion, wonach sie das Verhältnis des endlichen Geistes zum absoluten Geiste in der Form der Vorstellung ist, die Stufen ihrer positiven Verwirklichung in der Naturreligion der Zauberei, des Feuerdienstes und der Tiersymbolik, in der Religion der geistigen Individualität des Erhabenen, des Schönen, des Verstandesmächtigen, endlich in der absoluten Religion, welche Gott als das vorstellt, was er ist, als den dreieinigen Geist. Ueberall hat Hegel hier mit tiefgreifender Sachkenntnis die Grundlinien gezogen, in denen sich später die empirische Behandlung derselben Gegenstände bewegt hat, und die philosophischen Kategorien für die Gesamtbetrachtung der historischen Tatsachen aufgestellt.
Dasselbe gilt auch für seine Behandlung der Weltgeschichte. Hegel verstand unter objektivem Geist den übergreifenden Lebenszusammenhang der Individuen, der, nicht von diesen erzeugt, vielmehr den Boden bildet, aus dem sie geistig hervorgehen. Die abstrakte Form dieses Zusammenhanges heißt Recht1045; es ist der objektive Geist »an sich«. Die Unterordnung der subjektiven[515] Gesinnung des einzelnen unter die Gebote des Gesamtbewußtseins nennt der Philosoph »Moralität«, während er den Namen der »Sittlichkeit« für die Verwirklichung jenes Gesamtbewußtseins im Staate aufbewahrt. In der immanenten Lebenstätigkeit der menschlichen Vernunft ist der Staat das Höchste; über ihn hinausdringen nur Kunst, Religion und Wissenschaft bis zum absoluten Geiste vor. Der Staat ist die Verwirklichung der sittlichen Idee, der sichtbar gewordene Volksgeist: er ist seiner Idee nach das lebendige Kunstwerk, worin die Innerlichkeit der menschlichen Vernunft in die äußere Erscheinung tritt. Aber diese Idee, aus der sich das System der Formen und Funktionen des Staatslebens ableitet, tritt als Wirklichkeit nur in den individuellen Bildungen der entstehenden und vergehenden Staaten auf: ihre wahre und volle Verwirklichung ist nur die Weltgeschichte, in welche die Völker successive eintreten, um ihren Geist in der Arbeit der Staatenbildungen auszuleben und dann vom Schauplatz zurückzutreten. So charakterisiert sich jede Epoche durch die geistige Vorherrschaft eines bestimmten Volkes, welches das Zeichen seiner Eigenart allen Arten der Kulturtätigkeit aufprägt. Und wenn es die Gesamtaufgabe der Geschichte ist, diesen Zusammenhang zu verstehen, so wird auch die Politik nicht meiner dürfen, aus abstrakten Anforderungen ein Staatsleben konstruieren und dekretieren zu können, sondern sie wird in der ruhigen Entwicklung des Volksgeistes die Motive seiner politischen Bewegung zu suchen haben. So wendet sich in Hegel, dem »Philosophen der Restauration«, die historische Weltanschauung gegen den revolutionären Doktrinarismus der Aufklärung.
Geringer sind Hegels Erfolge in der Behandlung naturphilosophischer und psychologischer Fragen: die Energie seines Denkens liegt auf dem Gebiete der Geschichte. Das äußere Gesamtschema seines Systems ist in großen Zügen folgendes: der »Geist an sich«, d.h. seinem absoluten Inhalt nach, ist das Reich der Kategorien: dies entwickelt die Logik als Lehre vom Sein, vom Wesen und vom Begriff. Der »Geist für sich«, d.h. in seinem Anderssein und seiner Selbstentfremdung, ist die Natur, deren Gestalten in der Mechanik, Physik und Organik abgehandelt werden. Der dritte Hauptteil betrachtet als Philosophie des Geistes den »Geist an und für sich«, d.h. in seinem bewußt zu sich selbst zurückkehrenden Leben; hier werden drei Stufen unterschieden: der subjektive (individuelle) Geist, der objektive Geist als Recht, Moralität, Staat und Geschichte, endlich der absolute Geist als Anschauung in der Kunst, als Vorstellung in der Religion, als Begriff in der Geschichte der Philosophie.
Dabei wiederholt sich in allen diesen Teilen der Philosophie nicht nur die formale Dialektik der Begriffsbildung, sondern auch die sachliche Reihenfolge der Begriffsinhalte So entwickelt bereits die Logik in ihrem zweiten und dritten Teil die Grundkategorien der Natur- und der Geistesphilosophie; so weist die Entwicklung der ästhetischen Ideale stetig auf diejenige der religiösen Vorstellungen hin; so steht der gesamte Gang der Logik in Parallelismus zur Geschichte der Philosophie. Gerade dies Verhältnis gehört zum Wesen des Systems der Vernunft, welches hier nicht mehr wie bei Kant nur die Formen, sondern auch den Inhalt umfaßt und diesen seinen zuletzt doch überall mit sich selbst gleichen Inhalt in der Mannigfaltigkeit der »Gestalten der Wirklichkeit« vor sich entfalten soll. Die Entwicklung ist immer dieselbe, daß die[516] »Idee« durch ihre Selbstentzweiung »zu sich selbst kommt«. Darum gehen die Kategorien von dem inhaltlosen Sein zu dem innerlichen Wesen und von da zu der sich selbst begreifenden Idee fort; darum steigen die Gestalten der empirischen Welt von der Materie zu den Imponderabilien, zum Organismus, zum Bewußtsein, zum Selbstbewußtsein, zur Vernunft, zum Recht, zur Moralität und zur Sittlichkeit des Staates auf, um in Kunst, Religion und Wissenschaft den absoluten Geist zu erfassen; darum hebt die Geschichte der Philosophie mit den Kategorien des materiellen Seins an und vollendet sich nach allen ihren Geschicken in der Lehre von der sich selbst begreifenden Idee; darum endlich soll man auch in dies »System der Vernunft« den Eingang am besten dadurch finden, daß man sich klar macht, wie der menschliche Geist mit dem sinnlichen Bewußtsein beginnt und durch dessen Widersprüche zu immer höherer und tieferer Erfassung seiner selbst getrieben wird, bis er in der philosophischen Erkenntnis, in der Wissenschaft des Begriffs, seine Ruhe findet. Das Ineinander aller dieser Entwicklungen hat Hegel mit dunkler Sprache und geheimnisvoll andeutendem Tiefsinn in seiner Phänomenologie dargestellt.
In diesem System der Vernunft hat jedes einzelne seine Wahrheit und Wirklichkeit eben nur darin, daß es ein Moment in der Entwicklung des Ganzen ist. Nur als solches ist es in concreto wirklich und wird es von der Philosophie begriffen. Nimmt man es aber abstrakt, denkt man es in seiner Vereinzelung, worin es nicht realiter, sondern nur nach der subjektiven Auffassung des Verstandes besteht, so verliert es jenen Zusammenhang mit dem Ganzen, worin seine Wahrheit und Wirklichkeit besteht: dann erscheint es als zufällig und vernunftlos. Aber als solches existiert es eben nur in dem beschränkten Denken des einzelnen Subjekts. Für die philosophische Erkenntnis gilt, daß, was vernünftig ist, wirklich ist, und daß, was wirklich ist, vernünftig ist.1046 Das System der Vernunft ist die einzige Realität.
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