Technikerversammlungen

[276] Technikerversammlungen des VDEV. Bald nach Gründung des VDEV. wurde eine Kommission eingesetzt, der die Berichterstattung über die Vorarbeiten zur Herbeiführung der möglichsten Übereinstimmung im deutschen Eisenbahnwesen und zur Anbahnung eines allgemeinen deutschen Eisenbahngesetzes übertragen wurde.

Von dem Bevollmächtigten der hannoverschen Staatsbahn, dem Baurat Mohn, wurde dieser Kommission eine Denkschrift über folgende Beratungsgegenstände vorgelegt: »Vorschläge zur Erreichung einheitlicher Bestimmungen im deutschen Eisenbahnwesen, insonderheit gleichmäßige Konstruktionen des Bahnbaues und gleichmäßige Betriebseinrichtungen betreffend« und »Vorschläge zu einer Vereinbarung wegen Durchführung der ersteren nebst transitorischen Bestimmungen, solange allgemeine gesetzliche Vorschriften nicht erlassen sind«.

Der Denkschrift war für den Bahnbetrieb, die Betriebsmittel und das Telegraphensystem ein Entwurf der für die tunlichst allgemeine Benutzung der deutschen Eisenbahnen teils unumgänglich notwendigen, teils sehr erwünschten Vorschriften beigegeben.

Die Generalversammlung zu Wien am 15. bis 19. Oktober 1849 beschloß auf Antrag der Kommission, daß die Techniker der sämtlichen Verwaltungen, die den deutschen Eisenbahnverband bilden, zur Beratung über obiges[276] Promemoria zusammentreten und daß hierzu auch die Techniker der anderen deutschen Eisenbahn Verwaltungen, die noch nicht zum Verein gehören, eingeladen werden sollen.

Die Beratungen dieses Technikerausschusses fanden unter Vorsitz der Bauräte Mohn und Neuhaus in der Zeit vom 18. bis 27. Februar 1850 in Berlin statt.

Das Ergebnis dieser Beratungen bildeten die »Grundzüge für die Gestaltung der Eisenbahnen Deutschlands« und »Einheitliche Vorschriften für den durchgehenden Verkehr auf den bestehenden Vereinsbahnen« (vgl. Technische Vereinbarungen).

Während dieser Verhandlungen wurde von der Kommission zur Vorberatung der Grundzüge die Bildung eines Vereins der deutschen Eisenbahntechniker beantragt. Dieser Antrag fand allseitige Zustimmung und es wurde die Gründung des Vereins sogleich durch schriftliche Verpflichtung der Teilnehmer vorgenommen.

Bei den Verhandlungen der Generalversammlung des VDEV. zu Aachen vom 29. Juli bis 1. August 1850 fand eine Beratung der »Einheitlichen Vorschriften« statt, die in fast unveränderter Fassung angenommen und den Vereinsverwaltungen dringend zur baldmöglichsten Ausführung empfohlen wurden. Die »Grundzüge« wurden als schätzenswertes Material zur Kenntnis der Verwaltungen gebracht.

Zu der Gründung des Vereins deutscher Eisenbahntechniker beantragte die Kommission:

»Der bei Gelegenheit der Zusammenkunft der Techniker gegründete Verein der deutschen Eisenbahntechniker kann zwar nur als ein Privatverein angesehen werden, doch wird mit Rücksicht auf die ersprießlichen Folgen, die die Zusammenkünfte und gemeinschaftlichen Erörterungen der tüchtigsten und erfahrensten Eisenbahntechniker haben können, den Verwaltungen zu empfehlen sein, die Zusage zu erteilen, daß jede Vereinsverwaltung tunlichst gestatten wolle, daß eines ihrer dem Technikerverein angehörenden Mitglieder bzw. Beamten den Versammlungen beiwohne.«

Nach Erledigung der ersten und bedeutendsten Aufgabe ist der Verein der deutschen Eisenbahntechniker längere Zeit nicht wieder in die Öffentlichkeit getreten.

Erst in der Generalversammlung des VDEV. zu Frankfurt a.M. am 21. und 22. Juli 1856 machte sich bei Gelegenheit der Erörterung wichtiger technischer Fragen das Bedürfnis nach einer neuerlichen Versammlung der Techniker des VDEV. fühlbar. Diese wurde im Jahre 1857 in Wien abgehalten. Neben der Vervollständigung der Vorschriften vom Jahre 1850 wurden noch verschiedene andere technische Fragen behandelt. Zwischen der zweiten und dritten T., die auf Veranlassung der 1864 in Salzburg abgehaltenen Generalversammlung des VDEV. einberufen wurde, lag wieder ein großer Zeitabschnitt.

Die dritte T. fand 1865 in Dresden, u.zw. ebenfalls hauptsächlich zum Zweck der weiteren Ausgestaltung der »Grundzüge« und »Einheitlichen Vorschriften« statt; hierbei wurde die langwährende Unterbrechung der Versammlung des Vereins als ein Nachteil für die gründliche und fachgemäße Erledigung der Aufgaben bezeichnet. Von der Versammlung wurde der Wunsch ausgesprochen, daß es ihr gestattet sein möge, künftighin in kürzeren, womöglich regelmäßig wiederkehrenden Zeitabschnitten zu tagen.

Infolgedessen wurde die nächste Versammlung im Jahre 1868, u.zw. nach München einberufen. Die folgenden Versammlungen fanden dann meistens in 3- oder in 2jährigen Zwischenräumen statt.

In der T. des Jahres 1865 wurden die »Grundzüge« und »einheitlichen Vorschriften« nach abermaliger Umarbeitung in ein einziges Werk zusammengefaßt, das unter der Bezeichnung: »Technische Vereinbarungen des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen über den Bau und die Betriebseinrichtungen der Eisenbahnen« in der Generalversammlung zu Mainz im Jahre 1866 die Genehmigung fand. Weitere Prüfungen und Ergänzungen der »Technischen Vereinbarungen« fanden in den Beratungen zu Hamburg 1871, Constanz 1876, Graz 1882, Salzburg 1886, Constanz 1888, Berlin 1890, Straßburg 1893, Budapest 1896, Hamburg 1908, Teplitz-Schönau 1914 statt.

Im Jahre 1876 verhandelte die T. über die »Grundzüge für die Gestaltung der sekundären Bahnen«. Diese Vorschriften waren schon vordem, im Auftrag des VDEV. von der technischen Kommission verfaßt und später umgearbeitet, 1873 zu Frankfurt genehmigt worden.

Eine durchgreifende Umarbeitung dieser Grundzüge ergab sich zu Anfang der Achtzigerjahre infolge der starken Vermehrung derartiger Bahnen im vorangegangenen Jahrzehnt sowie mit Rücksicht auf die bei ihrem Bau und Betrieb gewonnene Erfahrung. Um den bis dahin allgemein als sekundär bezeichneten Bahnen die erwünschten größtmöglichen Erleichterungen gewähren zu können, wurde eine Unterscheidung dieser in Nebenbahnen und Lokalbahnen vorgenommen. Die hiernach von der technischen Kommission entworfenen »Grundzüge für den Bau und Betrieb der Nebeneisenbahnen« und »für den Bau und Betrieb der Lokaleisenbahnen« wurden von[277] der T. im Jahre 1886 durchberaten und in demselben Jahr von der Generalversammlung des VDEV. angenommen.

Außer den vorgenannten Beratungen war die Haupttätigkeit der T. der Erörterung wichtiger technischer Fragen des Eisenbahnwesens gewidmet. Schon in der Versammlung zu Wien 1857 war durch mehrere Fragen die Anregung zu einem lebhaften Meinungsaustausch gegeben worden, der in den späteren Sitzungen, namentlich durch sorgfältige Auswahl der zur Erörterung gestellten Fragen und durch die umfassende und gründliche Vorbereitung der Beratungen, mehr und mehr an Bedeutung gewann. Die zur Beratung zu stellenden Fragen wurden von der technischen Kommission ausgewählt und durch die geschäftsführende Verwaltung den sämtlichen Vereinsverwaltungen zur Abgabe ihrer Gutachten oder Mitteilung ihrer Erfahrungen zugestellt. Nach diesen Antworten wurden dann von der technischen Kommission die der T. vorzulegenden Berichte mit den hieraus sich ergebenden Schlußfolgerungen und Gutachten angefertigt. Um das wertvolle Ergebnis dieser gutachtlichen Urteile, die bereits im Jahre 1868 zwei stattliche Foliobände füllten und später zu noch größerem Umfang anwuchsen, auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen, wurden sie dem Buchhandel übergeben (s. Erg.-Bd. I–XV zu der Zeitschrift: Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens).

Die Ergebnisse dieser Beratungen geben ein treues Bild von dem jeweiligen Stand der Eisenbahntechnik. Alle Wandlungen, die diese im Lauf der Zeit durchgemacht hat, spiegeln sich in den Sitzungsberichten der technischen Kommission (jetzt »technischer Ausschuß«) und der T. des Vereins wieder; viele sind auf die Anregungen zurückzuführen, die die einzelnen Teilnehmer der Beratungen aus diesen selbst geschöpft hatten.

Die bedeutendsten Fortschritte im Eisenbahnwesen, wie die allgemeine Einführung des Stahls als Baumaterial für Schienen, Radreifen und Achsen, des eisernen Oberbaues, der doppelten Kreuzungsweichen, der Weichensicherungen, des höheren Dampfdrucks, der Dampfstrahlpumpen und Bremsen der Lokomotive, der Aborte, der verbesserten Heizungs- und Beleuchtungseinrichtungen der Personenwagen, der Flußstahl-Scheibenräder und der verbesserten Radreifenbefestigungen sowie der durchgehenden Bremsen, ferner die Verstärkungen der Zugvorrichtungen an den Betriebsmitteln, die Begutachtung wichtiger Fragen der Bahnunterhaltung und der Bahnbewachung, die Aufstellung von Leitsätzen für den Bau von Weichen und Kreuzungen in Hauptgleisen u.a. sind auf die Beratungen des technischen Ausschusses und der T. zurückzuführen. Zu den weiteren Früchten, die diese Beratungen gezeitigt haben, gehören ferner: die Statistik der Dauer der Schienen, die Ergebnisse der von den Vereinsverwaltungen mit Eisenbahnmaterial angestellten Güteproben, die statistischen Nachrichten über die auf den Vereinsbahnen vorgekommenen Achsbrüche sowie jene der Radreifenbrüche, die Klassifikation von Eisen und Stahl, die Lieferungsbedingnisse für Achsen, Radreifen und Schienen aus Flußeisen bzw. Flußstahl u.s.w.

Die Wirksamkeit der T. hatte in den Satzungen des VDEV. keine Unterlage. Da die Tätigkeit des Vereins der deutschen Eisenbahntechniker aber ausschließlich dem VDEV. gewidmet und die T. tatsächlich zu einem mitwirkenden Faktor in der Vereinsgesetzgebung geworden war, mußte schließlich ihr privater Charakter fallen. Es wurde deshalb vom technischen Ausschuß 1891 der Antrag auf Ergänzung der Vereinssatzungen durch Einfügung von Bestimmungen über die T. gestellt.

Über diesen Antrag wurde auf Grundlage eines Berichts des Ausschusses für Vereinssatzungen in der Vereinsversammlung vom Jahre 1892 der Beschluß gefaßt, in die Vereinssatzungen (als § 15) folgende Bestimmung aufzunehmen:

1. Der Ausschuß für technische Angelegenheiten kann im Bedarfsfall zur T. erweitert werden, an der sämtliche Vereinsmitglieder teilzunehmen berechtigt sind.

2. Welche Beratungsgegenstände der T. zu überweisen sind und ob und wann diese zu berufen ist, bestimmt – insofern nicht die Vereinsversammlung darüber Beschluß gefaßt hat – der Ausschuß für technische Angelegenheiten im Einvernehmen mit der geschäftsführenden Verwaltung; glaubt die letztere ihre Zustimmung nicht erteilen zu können, so ist die Entscheidung der Vereinsversammlung anzurufen.

3. Die T. wird von der geschäftsführenden Verwaltung vorbereitet und einberufen.

4. Den Vorsitz in der T. führt die Vorsitzende Verwaltung des Ausschusses für technische Angelegenheiten, der auch die Befugnis zusteht, die berichterstattende Verwaltung für die einzelnen Beratungsgegenstände zu ernennen. Die Vertretung der Vereinsverwaltungen in der T. erfolgt durch einen oder mehrere Abgeordnete; das Stimmrecht wird im letzteren Fall jedoch nur durch einen von ihnen ausgeübt. Die Vertretung einer Verwaltung durch eine andere ist unzulässig. Bei den Abstimmungen gebührt jeder Vereinsverwaltung eine Stimme.[278]

5. Im übrigen finden die in § 14, Abs. 4 bis 9 für die Geschäftsführung der Ausschüsse getroffenen Bestimmungen auch auf die Geschäftsführung der T. Anwendung.

Diese Bestimmungen sind im allgemeinen unverändert geblieben. Die frühere Unzulässigkeit der Vertretung in den Versammlungen ist dadurch aufgehoben, daß die Möglichkeit einer Vertretung in den Ausschüssen durch Beschluß der Vereinsversammlung in Budapest 1910 allgemein eingeführt wurde. Gleichzeitig wurde hierbei das Abstimmungsverfahren, das bis dahin jeder Verwaltung nur eine Stimme gewährte, nach der Länge der Vereinsbahnstrecken geregelt.

Hervorzuheben ist noch der von der Hamburger T. 1892 ausgesprochene Grundsatz,

1. daß durch die Bezeichnung »Technikerversammlung« das Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Vereinsverwaltungen, zu den T. Personen ihrer Wahl – also auch solche, die dem Technikerstand nicht angehören – zu entsenden, in keiner Weise beschränkt werde;

2. daß es jedem Ausschuß freistehe, zu seinen Beratungen auch außerhalb des Vereins stehende Personen zuzuziehen, wenn dies im Interesse der Sache für nützlich gehalten wird.

Literatur: Rückblick auf die Tätigkeit der Technikerversammlungen des VDEV. 1850–1890. Berlin 1890.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 276-279.
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