Themsetunnel

[309] Themsetunnel. Das reich verzweigte Netz der Londoner Schnellbahnen (s.d.) kreuzt mit zahlreichen Linien den Themsefluß. Aus der im engen, verkehrsreichen Stadtinnern unerläßlichen unterirdischen Führung der Bahnen ergab sich an den Kreuzungsstellen mit dem Fluß die Anlage zahlreicher Unterwassertunnel.

Auch der Straßenverkehr ist unterhalb der Londonbrücke, von der an abwärts eine starke Schiffahrt den Fluß belebt, vielfach auf diesen Weg verwiesen worden; so dient dem Fußgängerverkehr der bereits 1869 erbaute

Tower Subway (375 m lang im festen Ton, Kreisquerschnitt 2∙2 m Durchmesser, innen mit Gußeisenringen verkleidet, Zugang durch Treppen; Bau durch Schildvortrieb, täglicher Fortschritt 1∙5–2∙75 m, Baukosten rd. 400.000 M.), dem gesamten Straßenverkehr; der

Rotherhithetunnel (1907, Gesamtlänge 2099 m, Länge ohne die z.T. abgedeckten Voreinschnitte 1092 m, davon rd. 480 m unter dem Fluß, Zugang durch Rampen 1 : 37 und Fußgängertreppen, Kreisquerschnitt 8∙2 m innerer Durchmesser, Fahrstraße 4∙86 m breit, Bürgersteige je 1∙2 m. Bau des Unterwasserteils nach Vortrieb eines Richtstollens mit Schildvortrieb von beiden Ufern aus, Preßluft; Wandung aus gußeisernen Ringstücken mit Betonauskleidung, Gesamtbauzeit 31/2 Jahre, Bodenverhältnisse günstig, geringer Wasserzudrang, täglicher Vortrieb rd. 12 m, höchste Tagesleistung rd. 19 m); der

Blackwalltunnel (1897, Gesamtlänge 1891 m, davon 368 m unter dem Fluß, Zugang durch sehr lange Rampen 1 : 34 und 1 : 36 und Fußgängertreppen, Kreisquerschnitt 7∙40 m innerer Durchmesser, Fahrstraße 4∙88 m, Fußwege 0∙95 m breit; Bau des Unterwasserteils mit Schildvortrieb und Preßluft, Wandung aus mit Ziegeln bekleideten eisernen Ringstücken, Gesamtbauzeit rd. 5 Jahre, davon 13 Monate auf den Unterwasserteil, Bodenverhältnisse ungleich, häufig starker Wasserzudrang, jedoch keine Menschenverluste durch Bauunfälle, Baukosten rd. 17 Mill. M., f.d. m Tunnellänge 1012 M.); der

Tunnel zwischen Greenwich und Milwall (Schildvortrieb mit Preßluft), dem Fußgängerverkehr endlich noch die Tunnel zu

Greenwich und Woolwich.

Neben diesen dem Straßenbahnverkehr dienenden Verbindungswegen bestehen noch 4 Eisenbahntunnel, die 4 Bahnlinien, der East-London-Bahn, der City and South London Electric Railway, der City and Waterloo Railway und der Bakerloo Railway (Waterloo-Baker-Straße) die Unterfahrung des Themseflusses[309] ermöglichen, dessen Bett mit seinem Klaiboden ja im allgemeinen für Tunnelbauten überaus günstige Verhältnisse bietet. Weder in den Tonnoch in den Kiesschichten waren, von zeitweise stärkerem Wasserzudrang abgesehen, erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden.

Abb. 293 zeigt die Lage der 4 Eisenbahntunnel an. Der älteste von ihnen, zugleich der erste für den menschlichen Verkehr bestimmte Unterwassertunnel überhaupt, ist der von Brunel 1825–1843 erbaute Tunnel zwischen den Stadtteilen Rotherhithe und Wapping. Das ursprünglich für den Fußgängerverkehr bestimmte Bauwerk wurde 1865 von der East-London-Bahn erworben und 1877 zum Eisenbahntunnel umgebaut (hierzu war wegen der knappen lichten Abmessungen die besondere Genehmigung des Parlaments notwendig). Querschnittsabmessungen und Bodenverhältnisse zeigt Abb. 294. In einem etwa 400 m langen Mauerklotz von rechteckigen Umrissen mit 11 m Breite und 6∙5 m Höhe sind 2 Röhren von je 4∙2 m Breite und 4∙8 m Höhe ausgespart. In der Mitte der Themse lag der Tunnel nur 4 m unter dem Flußbett, mit dem First im Schlamm des Flusses, mit der Sohle auf festem Sand und Schotter ruhend. Der Bau hatte große Schwierigkeiten zu überwinden; wegen Mangels an Geld lag er 8 Jahre lang völlig still und konnte erst zu Ende geführt werden, nachdem nationaler Ehrgeiz das Parlament veranlaßt hatte, die zur Vollendung erforderlichen Mittel zu bewilligen. Einbrüche kamen infolge der zu gering gewählten Tiefe des Tunnels unter dem lockeren Flußschlamm 10mal vor, setzten den Bau unter Wasser und vernichteten Menschenleben. Jedoch verdient die Ausdauer und Umsicht, mit der Brunel trotz aller Fehlschläge den Bau schließlich der Vollendung entgegenführte, vollste Anerkennung.

Die Eigenart der von Brunel eingeführten Bauweise beruhte in der Verwendung eines eisernen Schildes, der rings etwas über den Umfang des Mauerwerks hinausragte und aus 12 einzelnen Abteilungen (Rahmen) bestand. Jeder Rahmen vermochte durch Übertragung des Erddrucks auf die nächste Abteilung für sich entlastet zu werden, so daß allmählich die einzelnen Rahmen und so schließlich der ganze Schild vorgeschoben werden konnte. Jede Abteilung war in 3 Stockwerke gegliedert, an deren Wänden der Arbeiter an jeder beliebigen Stelle kleine Öffnungen machen und den Boden fördern konnte. Der Schild befand sich gewöhnlich etwa 2∙7 m vor der Stirnfläche des gleichmäßig nachrückenden Mauerwerks.

Die Kosten des in 92/3 Jahren effektiver Bauzeit hergestellten Tunnels erreichten die gewaltige Summe von 9 Mill. M. Diese Summe entsprach in keiner Beziehung den erreichten Vorteilen; denn vor seinem Umbau in einen Eisenbahntunnel war die Benutzung durch Fußgänger ganz gering. Für alle Zeiten aber wird das kühn geplante Werk ein glänzendes Zeugnis für die Erfindungs- und Tatkraft seines Erbauers sein.

Erwähnt sei hier noch eine andere, ebenfalls im Zuge der East-London-Bahn liegende, zweigleisige Tunnelanlage, die Unterfahrung eines 190 m breiten Beckens der Londondocks. Bei[310] geringer Wassertiefe wurde der Bau unter dem Schutz von Fangedämmen ausgeführt. Nach Auspumpen des Wassers aus der Baugrube wurde so nahezu im Trockenen gearbeitet. Um den Schiffsverkehr nicht unterbrechen zu müssen, geschah die Bauausführung in 2 Abschnitten von je 95 m Länge. Der 15 m breite, 7∙5 m hohe Mauerklotz, der 2 Röhren von je 4∙3 m Weite enthielt, wurde zum Schutz und zur Dichtung mit einer 0∙6 m starken Betonlage und einer 1 m starken Tonschicht abgedeckt.

Erst fast 1/2 Jahrhundert später als der Brunelsche T., im Jahre 1890, wurde der zweite Eisenbahntunnel unter der Themse dem Verkehr übergeben. Die erste elektrisch betriebene Stadtbahn Englands, die City and South London Railway, kreuzt dicht oberhalb der Londonbrücke den Fluß. Der hier ausgeführte Unterwassertunnel besteht aus 2 gußeisernen Röhren von je 3∙05 m Durchmesser. Er wurde von Ingenieur J.H. Greathead erbaut und ähnelt in der Bauart dem älteren, kleineren Tower Subway. Jedes Rohr ist aus Ringen von 0∙5 m Länge mit 11∙5 cm breiten inneren Flanschen mittels Schraubenbolzen zusammengesetzt, jeder Ring besteht wiederum aus 5 Stücken, die unter Verwendung einer 0∙6 cm starken Zwischenlage von Kiefernholz in gleicher Weise miteinander verschraubt sind (Abb. 295 u. 296).

Zum Vortrieb des Tunnels wurde ein stählernes, etwa 2 m langes Vorstück von etwas größerem Durchmesser, als das Tunnelrohr besaß, durch hydraulische Pressen vorgeschoben Das Vorstück war am vorderen Ende durch einen starken gußeisernen Ring verstärkt und trug am Kopf eine Stahlschneide; es nahm den Erddruck so lange auf, bis ein neuer Ring an das bereits fertige Tunnelstück angesetzt war.

Wider Erwarten war man beim Vortrieb in dem Klaiboden des Themsetals auf Kies- und Sandlager mit großem Wasserzudrang gestoßen; durch Verwendung von Preßluft wurden die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten behoben. Das Verfahren bewährte sich vollauf, kein ernster Unfall, kein Verlust an Menschenleben war während der ganzen Bauausführung zu beklagen.

Bemerkenswert war die Schnelligkeit des Vortriebs, die im letzten halben Jahr rd. 24 m im täglichen Durchschnitt erreichte. Dies entsprach einem Bodenaushub von rd. 200 m3.

Literatur: Dolezalek, Subaquare Tunnel. Meyers Konv.-Lexikon 1883; Die elektrische City- und Süd-London-Bahn. Zentralbl. d. Bauverw. 1891; Der Rotherhithe-Themse-Tunnel. Zentralbl. d. Bauverw. 1906. – Kämmerer, Der Rotherhithetunnel in London. Ztschr. dt. Ing. 1908; Der Rotherhithetunnel. Ztschr. d. Österr. Ing.-V. 1909. – Tunnel für Straßenverkehr unter der Themse zwischen Stepney und Rotherhithe. Engg. News 1907. – Der Blackwalltunnel unter der Themse in London. Zentralbl. d. Bauverw. 1893. – Themsetunnel bei London zwischen Greenwich und Millwall. Gén. civ. 1902/03. – Themsetunnel zu Greenwich für Fußgänger. Ann. d. trav. publ. d. Belg. 1903. – Der Fußgängertunnel unter der Themse in Woolwich. Engg. 1905–1912.

Seidel.

Abb. 293.
Abb. 293.
Abb. 294.
Abb. 294.
Abb. 295.
Abb. 295.
Abb. 296.
Abb. 296.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 309-311.
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Faksimiles:
309 | 310 | 311
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