I. Die israelitische Eidgenossenschaft und Jahwe.

[1] Vorbemerkung: das soziologische Problem der jüdischen Religionsgeschichte S. 1. – Allgemeingeschichtliche und klimatische Bedingungen S. 8. – Die Beduinen S. 13. – Die Städte und die gibborim S. 16. – Die israelitischen Bauern S. 27. – Die gerim und die Erzväterethik S. 34. – Das Sozialrecht der israelitischen Rechtssammlungen S. 76. – Die Berith S. 81. – Der Jahwebund und seine Organe S. 86. – Heiliger Krieg, Beschneidung, Nasiräer und Nebijim S. 99. – Rezeption und Charakter des Bundeskriegsgottes S. 126. – Die nicht jahwistischen Kulte S. 149. – Der Sabbat S. 159. – Baal und Jahwe. Die Idole und die Lade S. 165. – Opfer und Sühne S. 173. – Die Leviten und die Thora S. 181. – Die Entfaltung des Priestertums und das Kultmonopol von Jerusalem S. 186. – Der Kampf des Jahwismus gegen die Orgiastik. S. 200. – Die israelitischen Intellektuellen und die Nachbarkulturen S. 207. – Magie und Ethik S. 233. – Mythologema und Eschatologien S. 240. – Die vorexilische Ethik in ihren Beziehungen zu der Ethik der Nachbarkulturen S. 250.


Das eigentümliche religionsgeschichtlich-soziologische Problem des Judentums läßt sich weitaus am besten aus der Vergleichung[1] mit der indischen Kastenordnung verstehen. Denn was waren, soziologisch an gesehen, die Juden? Ein Pariavolk.[2] Das heißt, wie wir aus Indien wissen: ein rituell, formell oder faktisch, von der sozialen Umwelt geschiedenes Gastvolk. Alle wesentlichen[3] Züge seines Verhaltens zur Umwelt, vor allem seine längst vor der Zwangsinternierung bestehende freiwillige Ghettoexistenz[4] und die Art des Dualismus von Binnen- und Außenmoral lassen sich daraus ableiten. Die Unterschiede gegenüber indischen Pariastämmen liegen beim Judentum in folgenden drei wichtigen Umständen: 1. Das Judentum war (oder vielmehr wurde) ein Pariavolk in einer kastenlosen Umwelt. – 2. Die Heilsverheißungen, an welchen die rituelle Besonderung des Judentums verankert war, waren durchaus andere als diejenigen der indischen Kasten. Für die indischen Pariakasten galt, sahen wir, als Prämie rituell korrekten, d.h. kastengerechten, Verhaltens der Aufstieg innerhalb der als ewig und unabänderlich gedachten Kastenordnung der Welt im Wege der Wiedergeburt. Die Erhaltung der Kastenordnung wie sie war und das Verbleiben nicht nur des Einzelnen in der Kaste,[5] sondern der Kaste als solcher in ihrer Stellung zu den anderen Kasten: dieses eminent sozialkonservative Verhalten war Vorbedingung alles Heils; denn die Welt war ewig und hatte keine »Geschichte«. Für den Juden war die Verheißung die gerade entgegengesetzte: die Sozialordnung der Welt war in das Gegenteil dessen verkehrt, was für die Zukunft verheißen war und sollte künftig wieder umgestürzt werden, so, daß dem Judentum seine Stellung als Herrenvolk der Erde wieder zufallen würde. Die Welt war weder ewig noch unabänderlich, sondern sie war erschaffen und ihre gegenwärtigen Ordnungen waren ein Produkt des Tuns der Menschen, vor allem: der Juden, und der Reaktion ihres Gottes darauf: ein geschichtliches Erzeugnis also, bestimmt, dem eigentlich gottgewollten Zustand wieder Platz zu machen. Das ganze Verhalten der antiken Juden zum Leben wurde durch diese Vorstellung einer künftigen gottgeleiteten politischen und Sozialrevolution bestimmt. Und zwar – 3: in einer ganz bestimmten Richtung. Denn die rituelle Korrektheit und die dadurch bedingte Abgesondertheit von der sozialen Umwelt war nur eine Seite der ihnen auferlegten Gebote. Daneben stand eine in hohem Grade rationale, das heißt von Magie sowohl wie von allen Formen irrationaler Heilssuche freie religiöse Ethik des innerweltlichen Handelns, innerlich weltenfern stehend allen Heilswegen der asiatischen Erlösungsreligionen. Diese Ethik liegt in weitgehendem Maße noch der heutigen europäischen und vorderasiatischen religiösen Ethik zugrunde. Und darauf beruht das Interesse der Weltgeschichte am Judentum.

Die weltgeschichtliche Tragweite der jüdischen religiöser Entwicklung ist begründet vor allem durch die Schöpfung des »Alten Testamentes«. Denn zu den wichtigsten geistigen Leistungen der paulinischen Mission gehört es, daß sie dies heilige Buch der Juden als ein heiliges Buch des Christentums in diese Religion hinüberrettete und dabei doch alle jene Züge der darin eingeschärften Ethik als nicht mehr verbindlich, weil durch den christlichen Heiland außer Kraft gesetzt, ausschied, welche gerade[6] die charakteristische Sonderstellung der Juden: ihre Pariavolkslage, rituell verankerten. Man braucht sich, um die Tragweite dieser Tat zu ermessen, nur vorzustellen, was ohne sie eingetreten wäre. Ohne die Uebernahme des Alten Testamentes als heiligen Buches hätte es auf dem Boden des Hellenismus zwar pneumatische Sekten und Mysteriengemeinschaften mit dem Kult des Kyrios Christos gegeben, aber nimmermehr eine christliche Kirche und eine christliche Alltagsethik. Denn dafür fehlte dann jede Grundlage. Ohne die Emanzipation von den rituellen, die kastenartige Absonderung der Juden begründenden Vorschriften der Thora aber wäre die christliche Gemeinde ganz ebenso wie etwa die Essener und Therapeuten eine kleine Sekte des jüdischen Pariavolks geblieben. Aber gerade in dem Kern der aus dem selbstgeschalfenen Ghetto befreienden Heilslehre des Christentums knüpfte die paulinische Mission an eine jüdische, wennschon halbverschüttete Lehre an, welche aus der religiösen Erfahrung des Exilsvolks stammte. Denn ohne die höchst besondersartigen Verheißungen des unbekannten großen Schriftstellers der Exilszeit, der die prophetische Theodizee des Leidens Jes. 40-55 verfaßt hat, insbesondere die Lehre vom lehrenden und schuldlos freiwillig als Sühnopfer leidenden und sterbenden Knecht Jahwes wäre trotz der späteren Menschensohn-Esoterik die Entwicklung der christlichen Lehre vom Opfertod des göttlichen Heilands in ihrer Sonderart gegenüber andern äußerlich ähnlichen Mysterienlehren nicht denkbar gewesen. Auf der anderen Seite ist aber das Judentum ausgesprochenermaßen Anreger und teilweise Vorbild der Verkündigung Muhammeds geworden. Wir befinden uns also bei Betrachtung seiner Entwicklungsbedingungen, ganz abgesehen von der Bedeutung des jüdischen Pariavolks selbst innerhalb der Wirtschaft des europäischen Mittelalters und der Neuzeit vor allem aus diesen Gründen der universalhistorischen Wirkung seiner Religion an einem Angelpunkt der ganzen Kulturentwicklung des Occidents und vorderasiatischen Orients. An geschichtlicher Bedeutung kann ihm nur die Entwicklung der hellenischen Geisteskultur und, für Westeuropa, des römischen Rechts und der auf dem römischen Amtsbegriff fußenden römischen Kirche, dann weiterhin der mittelalterlich-ständischen Ordnung und schließlich der sie sprengenden, aber ihre Institutionen fortbildenden Einflüsse, auf religiösem Gebiet, also des Protestantismus, gleichgeordnet werden.

[7] Das Problem ist also: wie sind die Juden zu einem Pariavolk, mit dieser höchst spezifischen Eigenart geworden? –

Das syrisch-palästinische Bergland war abwechselnd mesopotamischen und ägyptischen Einflüssen ausgesetzt. Die ersteren waren durch die Stammesgemeinschaft der in alter Zeit in Syrien ebenso wie in Mesopotamien herrschenden Amoriter, dann durch den politischen Aufstieg der babylonischen Macht Ende des 3. Jahrtausends und dauernd durch den Einfluß der kommerziellen Bedeutung Babylons, als des Entstehungsgebiets der frühkapitalistischen Geschäftsformen, bedingt. Die ägyptischen Einflüsse beruhten zunächst auf den Handelsbeziehungen schon des alten Reichs zur phönizischen Küste, auf dem ägyptischen Bergbau auf der Sinaihalbinsel und auf der geographischen Nähe als solcher. Eine dauernde und feste politische Unterwerfung war in der Zeit vor dem 17. Jahrhundert v. Chr. von keinem jener beiden großen Kulturzentren her möglich, weil die damalige militärische und administrative Technik eine solche ausschloß. Das Pferd fehlte zwar wenigstens in Mesopotamien nicht gänzlich, aber es war noch nicht zum Instrument einer eigenen Militärtechnik geworden. Das geschah erst in jenen Völkerwanderungen, welche in Aegypten die Hyksosherrschaft, in Mesopotamien die kassitische Herrschaft begründeten. Nunmehr erst entstand die Wagenkampftechnik und damit Möglichkeit und Anreiz zu großen Eroberungsexpeditionen in ferne Gebiete. Palästina wurde zuerst von Aegypten her als Beuteobjekt gesucht. Mit der Befreiung von den Hyksos – unter deren Herrschern anscheinend der Name »Jakob« zum erstenmal auftaucht – begnügte sich die 18. Dynastie nicht, sondern drang erobernd bis an den Euphrat vor. Ihre Statthalter und Vasallen blieben in Palästina, auch als die Tendenz zur Expansion aus innerpolitischen Gründen erlahmte. Die Dynastie der Ramessiden mußte den Kampf um Palästina schon deshalb wieder aufnehmen, weil inzwischen das starke kleinasiatische Reich der Hethiter nach Süden vorgedrungen war und Aegypten bedrohte. Durch ein Kompromiß unter Ramses II. wurde Syrien geteilt, Palästina blieb in ägyptischer Hand und war es nominell bis nach dem Ende der Ramessiden, also während eines großen Teils der israelitischen sog. »Richterzeit«. Tatsächlich sank aber die Macht sowohl des ägyptischen wie des hethitischen Reichs vor allem aus innerpolitischen Gründen so stark, daß Syrien und Palästina vom[8] 13. Jahrhundert an mehrere Jahrhunderte im wesentlichen sich selbst überlassen blieben, bis, seit dem 9. Jahrhundert, die inzwischen neugeschaffene Militärmacht der Assyrer, seit dem 7. die der Babylonier und, nach einem ersten Vorstoß im 10. Jahrhundert, im 7. Jahrhundert auch die ägyptische Macht wieder eingriffen und vom letzten Drittel des 8. Jahrhunderts an die Selbständigkeit des Gebietes Stück für Stück an die assyrischen, teilweise und zeitweise an die ägyptischen, definitiv dann an die babylonischen Großkönige verloren ging, deren Erbe die Perserherrschaft antrat. Nur in jener Zwischenzeit, welche einen weitgehenden allgemeinen Rückgang aller internationalen politischen und kommerziellen Beziehungen bedeutete und im Zusammenhang damit in Griechenland die sog. dorische Wanderung sah, konnte auch Palästina sich unabhängig von fremden Großmächten entwickeln. Die Phönikerstädte und die in jener Zeit der Schwäche Aegyptens von der See her einwandernden Philister von der einen, die Beduinenstämme der Wüste von der anderen Seite, dann im 10. und 9. Jahrhundert das damaskenische Reich der Aramäer, waren Palästinas stärkste Nachbarn. Gegen die letztgenannte Macht rief der israelitische König die Assyrer ins Land. In jene Zwischenperiode fällt, wenn nicht die Entstehung, so doch die militärische Höhe des israelitischen Bundes, des Reichs Davids und dann der Königreiche Israel und Juda.

Wenn die politische Macht der großen Kulturstaaten am Euphrat und Nil damals gering war, so hat man sich doch sehr zu hüten, diese Epoche in Palästina sich als primitiv und barbarisch vorzustellen. Nicht nur blieben diplomatische und auch kommerzielle Beziehungen, wenn auch erschwert, bestehen, sondern auch der geistige Einfluß der Kulturgebiete dauerte fort. Durch Sprache und Schrift war Palästina dauernd, auch während der ägyptischen Herrschaft, dem geographisch entfernteren Euphratgebiet verbunden geblieben, und tatsächlich ist dessen Einfluß vor allem im Rechtsleben, aber ebenso in Mythen und kosmischen Vorstellungen unverkennbar. Agyptens Einfluß auf die Kultur Palästinas scheint, rein äußerlich, angesichts der geographischen Nähe auffallend gering. Dies hatte seinen Grund zunächst in der inneren Eigenart der ägyptischen Kultur, deren Trägern. Tempel- und Amts-Pfründnern, jeder Proselytismus fernlag. Starke Beeinflussung der palästinischen geistigen Entwicklung durch Aegypten ist in manchen für uns wichtigen[9] Punkten dennoch wahrscheinlich. Aber sie erfolgte teils auf dem Umweg über Phönizien, teils blieb sie mehr ein nicht ganz leicht zu fassender und meist wesentlich negativer »Entwicklungsreiz«. Denn jene scheinbar geringe direkte Beeinflussung folgte außer aus sprachlichen Gründen auch aus den tiefgehenden Unterschieden der natürlichen Lebensbedingungen und der auf ihnen ruhenden sozialen Ordnung. Der aus der Notwendigkeit der Bewässerungsregulierung und aus den königlichen Bauten erwachsene ägyptische Fronstaat stand den Existenzformen der Bewohner Palästinas als etwas tief Fremdartiges, ein »Diensthaus«, das sie als »eisernen Ofen« verabscheuten, gegenüber. Und die Aegypter ihrerseits betrachteten alle nicht an dem göttlichen Geschenk der Nilüberschwemmungen und der königlichen Schreiberverwaltung teilnehmenden Nachbarn als Barbaren. Die religiös einflußreichen Schichten in Palästina aber lehnten vor allem die wichtigste Grundlage der ägyptischen Priestermacht: den Totenkult, als eine schauerliche Entwertung ihrer eigenen, in der bei nicht hierokratisch reglementierten Völkern typischen Art, durchaus innerweltlich gerichteten Interessen ebenso ab, wie sich die ägyptische Dynastie selbst unter Amenophis IV. zeitweilig, aber gegenüber der schon fest verankerten Macht der Priester vergeblich, ihnen zu entziehen suchte. Der Gegensatz gegen Aegypten war letztlich in den natürlichen und sozialen Unterschieden begründet; obwohl auch innerhalb Palästinas die Lebensbedingungen und sozialen Verhältnisse recht verschiedene waren.

Palästina birgt erhebliche klimatisch bedingte Gegensätze der Wirtschaftsmöglichkeiten2. In den Ebenen namentlich des mittleren und Nordgebiets war neben Getreideanbau mit Rindviehzucht schon bei Beginn unserer Nachrichten auch Obst-, Feigen-, Wein- und Oelbau heimisch. In den Oasen der angrenzenden Wüste und auf dem Gebiet der Palmenstadt Jericho auch Dattelzucht. Bewässerung aus den starken Quellen, in den palästinischen Ebenen. Regen machte den Anbau möglich. Die sterile Wüste im Süden und Osten war und ist nicht nur den Bauern, sondern ebenso den Hirten ein Ort des Schreckens und der[10] Sitz der Dämonen. Nur die vom periodischen Regen bestrichenen Randgebiete, die Steppen, waren und sind als Kamel- oder Kleinviehweide und daneben in günstigen Jahren zum nomadisierenden Gelegenheitsanbau von Getreide brauchbar. Allerhand Uebergänge bis zur Möglichkeit regelmäßigen seßhaften Anbaus fanden und finden sich3. Insbesondere war und ist die Art der Weiden verschieden. Zuweilen lassen sie sich als örtlich festbegrenzte Weidebezirke von einer Ansiedelung aus entweder nur für Kleinvieh oder daneben auch für Großvieh benutzen. Häufiger aber müssen gemäß dem jährlichen Wechsel zwischen winterlicher Regenperiode und sommerlicher regenloser Zeit die Weiden gewechselt werden4. Entweder derart, daß Sommer- und Winterdörfer, die letzteren oben an den Berghängen liegend, von den Viehzüchtern abwechselnd benutzt werden und leerstehen –, was übrigens auch bei Ackerbauern auf weit auseinanderliegenden Feldern mit Verschiedenheit der Vegetationsperiode vorkommt. Oder aber so, daß die Weidereviere der verschiedenen Jahreszeiten so weit auseinanderliegen oder in ihren Erträgen so wechseln, daß feste Ansiedelungen gar nicht möglich sind. Die Kleinviehzüchter, denn nur sie kommen in diesem Fall in Frage, leben dann nach Art der Kamelhirten der Wüste in Zelten und treiben im periodischen Weidewechsel ihre Herden über weite Entfernungen teils mehr von Ost nach West, teils mehr von Nord nach Süd, wie sich dies in Süditalien, Spanien, der Balkanhalbinsel und Nordafrika ganz ebenso findet5. Beim Weidewechsel pflegt je nach Möglichkeit die Naturweide mit Brachweide und Stoppelweide auf den abgeernteten Feldern kombiniert zu werden. Oder so, daß mit Zeiten der Dorfsässigkeit Zeiten des Nomadisierens oder der auswärtigen Arbeitssuche abwechseln: dorfsässige Bauern im Gebirge Juda wohnen teilweise die Hälfte des Jahres in Zelten. Die Grade der vollen hausgesessenen Bodenständigkeit einerseits, des Zeltnomadentums andererseits sind also durch alle denkbaren Uebergänge miteinander verbunden und labil. Wie in der Antike sind noch[11] in der Gegenwart Uebergänge sowohl vom Nomadentum zum Ackerbau infolge Zunahme der Bevölkerung und damit des Brotbedarfs, wie auch das gerade umgekehrte: Uebergang vom Fellachentum zum Nomadentum infolge von Versandung, vorgekommen. Mit Ausnahme des immerhin eng begrenzten aus Quellen bewässerten Landes hängt eben das ganze Schicksal des Jahres von dem Maß und der Verteilung des Regens ab6. Von diesem gibt es zweierlei Art. Den einen bringt der Scirocco von Süden in oft ungeheuer starkenGewittern mit Wolkenbrüchen. Ein starker Blitz bedeutet den Fellachen und Beduinen starken Regen. Kommt kein Regen, so ist heute wie in der Antike »Gott in der Ferne« und dies gilt heute wie damals als Folge von Sünden, besonders solchen der Schechs7. Für die Ackerbaukrume namentlich des Ostjordanlandes oft verhängnisvoll, füllt dieser Platzregen in der Steppe die Zisternen und ist also namentlich den Kamelzüchtern der Wüste erwünscht, für die deshalb der regenspendende Gott ein jähzorniger Gott des Wettersturms war und blieb. Für die Dattelpalmen und die Baumvegetation überhaupt ist dieser starke Regen nicht nachteilig, bei nicht allzu großem Uebermaß nützlich. Den milden Landregen dagegen, bei welchem die Ackerkrume und die Bergweiden gedeihen, bringt jener Südwest- und Westwind, den Elia auf dem Karmel vom Meer her erwartete. Für den Ackerbauer ist also jener Regen der erwünschteste, bei welchem der regenspendende Gott nicht im Gewitter oder Sturm – die auch ihm freilich oft vorangehen –, sondern »in stillem, sanftem Sausen« naht.

Im eigentlichen Palästina ist die »Wüste Juda«, die Abflachung des Berglands vom Toten Meer, von jeher wie heute ein Gebiet fast ohne feste Siedelung. Innerhalb des mittel- und nordisraelitischen Berglandes dagegen fällt im Winter (November bis März) so viel Regen wie in Mitteleuropa im ganzen Jahresdurchschnitt. Daher ist in guten Jahren, d.h. wenn starke Frühregen (in der Antike oft schon vom Laubhüttenfest an) und Spätregen (bis Mai) eingetreten sind, gute Getreideernte in den Tälern und starker Blumen-und Graswuchs an den Berghängen zu erwarten, während allerdings beim Ausbleiben der Früh- und Spätregen die absolute Dürre des Sommers, die alles Gras verdorren[12] läßt, sich über mehr als zwei Drittel des Jahres erstrecken kann und dann vor allem die Schafhirten auf auswärtigen Zukauf von Getreide in der Antike aus Aegypten, oder auf Fortwanderung angewiesen waren. Die Existenz namentlich dieser Hirten ist also meteorologisch prekär, und nur in guten Jahren war Palästina für sie ein Land wo »Milch und Honig« – es ist offenbar Dattelhonig, den die Beduinen schon in der Thutmose-Zeit kannten, vielleicht auch Feigenhonig und daneben Honig von wilden Bienen gemeint – »fließen«8.

Die naturgegebenen Kontraste der Wirtschaftsbedingungen haben von jeher in Gegensätzen der ökonomischen und sozialen Struktur sich ausgedrückt.

Am einen Ende der Skala standen und stehen die Wüsten-Beduinen. Der eigentliche bedu, der sich auch innerhalb Nordarabiens streng vom seßhaften Araber unterscheidet, verachtete von jeher den Ackerbau, verschmähte Haus und befestigte Orte, lebte von Kamelmilch und Datteln, kannte keinen Wein, bedurfte und duldete keine Art von staatlicher Organisation.[13] Wie neben anderen namentlich Wellhausen9 es für die epische Zeit der Araber geschildert hat, ist neben dem Muchtar, dem Haupt der Familie (d.h. der Zeltgemeinschaft) das Sippenhaupt, der Schech, die einzige normalerweise perennierende Autorität. Zur Sippe zählt der Komplex von Zeltgemeinschaften, welche sich, gleichviel ob mit Recht, von einem Ahn abstammend wissen und deren Zelte deshalb benachbart stehen. Sie ist der durch strenge Blutrachepflicht am festesten zusammengekittete Verband. Gemeinschaften mehrerer Sippen bilden sich durch Gemeinsamkeit des Wanderns und Lagerns zu gegenseitigem Schutz. Der dadurch entstehende »Stamm« umfaßt selten mehr als einige tausend Seelen. Ein ständiges Oberhaupt hat er nur, wenn ein Mann sich durch kriegerische Leistungen oder schiedsrichterliche Weisheit so ausgezeichnet hat, daß er kraft seines Charisma als »Sayid« anerkannt wird. Sein Prestige kann dann als Erbcharisma auf die jeweiligen Schechs seiner Sippe übergehen, namentlich wenn diese vermögend ist. Auch der Sayid ist aber nur primus inter pares. Im Palaver des Stammes (bei kleinen Stämmen oft allabendlich) führt er den Vorsitz, gibt, wo sich die Meinungen die Wage halten, den Ausschlag, bestimmt Aufbruchszeit und Lagerungsort. Es fehlt ihm aber ebenso wie den Schechs jede Zwangsgewalt. Sein Beispiel und Schiedsspruch werden von den Sippen befolgt, solange sich sein Charisma bewährt. Auch alle Teilnahme an Kriegszügen ist freiwillig und wird nur durch Spott und Beschämung indirekt erzwungen. Die einzelne Sippe begibt sich nach Belieben auf Abenteuer. Ebenso gibt sie Fremden eigenmächtig ihren Schutz. Beides kann, das erstere durch Repressalien, das letztere durch Rache bei Verletzung des Gastrechts, auf die Gemeinschaft zurückwirken. Diese selbst greift aber nur ausnahmsweise ein. Denn jeder Verband, der über die Sippe hinausgeht, bleibt höchst labil. Die Einzelsippen schließen sich nach Gelegenheit anderweit an und trennen sich vom bisherigen Stamm. Und der Unterschied zwischen einem schwachen Stamm und einer zahlreichen Sippe ist flüssig. Allerdings kann die politische Zusammenfassung eines Stammes auch bei den Beduinen unter Umständen zu einem relativ festen Gebilde werden. Dann nämlich, wenn es einem charismatischen Fürsten gelingt, sich und seiner Sippe eine dauernde[14] militärische Herrenstellung zu schaffen. Das ist indessen nach der Natur der Sache nur dann möglich, wenn der Kriegsfürst entweder aus den intensiv angebauten Oasen Bodenrenten und Tribute oder aus den Zöllen und Ge leitgeldern der Karawanen feste Einnahmen erlangt hat mittelst deren er eine persönliche Gefolgschaft in seinen Felsenburgen unterhalten kann10. Sonst sind alle Machtstellungen Einzelner sehr labil. Alle Notablen haben letzlich nur »Pflichten« und werden nur durch soziale Ehre, allenfalls durch einen gewissen Vorzug bei der Beurteilung, entgolten. Trotzdem kann die soziale Ungleichheit durch Besitz und Erbcharisma unter den Sippen eine erhebliche sein. Andererseits besteht aber die strenge Pflicht der brüderlichen Nothilfe, zunächst innerhalb der Sippe, unter Umständen aber auch innerhalb des Stammes. Der Nichtbruder dagegen ist rechtlos, wenn er nicht durch Speisegemeinschaft in den Schutzverband aufgenommen ist. Die Weidegebiete, welche die lockere und labile Stammesgemeinschaft in Anspruch nimmt und schützt, werden aus gegenseitiger Furcht vor Rache innegehalten, wechseln aber je nach Machtlage, die namentlich im Kampf um das wichtigste Objekt: die Brunnen, zum Austrag kommt. Appropriiertes Bodeneigentum gibt es nicht. Krieg und Raub, vor allem Straßenraub, den gelegentlich auszuüben als Ehrensache gilt, stempeln den typischen beduinischen Ehrbegriff. Berühmte Abstammung, eigene Tapferkeit, Freigebigkeit sind die drei Dinge, die am Mann gerühmt werden. Rücksicht auf den Adel seiner Familie und die soziale Ehre seines guten Namens galten dem vorislamischen Araber als die ausschlaggebenden Motive alles Handelns.

Oekonomisch gilt der heutige Beduine als phantasieloser Traditionalist11 und dabei als friedlichem Erwerb abgeneigt. Das wird insofern nur bedingt generalisiert werden dürfen, als hohe Zwischenhandels-und Geleitgelderverdienste die an die Karawanenstraßen der Wüste angrenzenden Stämme zu Interessenten an diesem Handel zu machen pflegten, wo immer er bestand. Die hohe Heiligkeit des Gastrechts beruht zum Teil auch auf diesem Interesse am Wanderhandel. Wie auf dem Meere[15] Seehandel und Piraterie, so gehörte in der Wüste Zwischenhandel und Straßenraub zusammen, denn das Kamel ist das vorzüglichste aller tierischen Transportmittel12. Der fremde Händler wurde und wird beraubt, soweit nicht entweder eine fremde Macht die Straßen durch Garnisonen militärisch deckt oder die Kaufleute feste Schutzabkommen mit den die Straßen beherrschenden Stämmen selbst besitzen.

Von eigentlichem Beduinenrecht zeigen nun die altisraelitischen Rechtssammlungen nichts und der Tradition ist der Beduine der Todfeind Israels. Ewige Fehde herrscht zwischen Jahwe und Amalek. Der mit dem »Kainszeichen«, der Stammestätowierung, versehene Ahn des Keniterstammes, Kain, ist als Mörder von Gott zur Unstetheit verflucht und nur die furchtbare Härte der Blutrache ist sein Privileg. Auch sonst fehlen beduinische Anklänge in der israelitischen Sitte fast ganz. Nur eine wichtige Spur ist da: das Bestreichen der Türpfosten mit Blut, als Abwehr der Dämonen, ist in Arabien verbreitet. Auf militärischem Gebiet könnte jene meist als rein utopisch-theologische Konstruktion der Prophetenzeit gedeutete Vorschrift des Deuteronomium: daß aus dem Heeresaufgebot alle diejenigen, welche sich zu »feig« fühlen, ausgeschieden oder heimgeschickt werden sollen, wohl mit der absoluten Freiwilligkeit der Beteiligung an Beduinenkriegsfahrten in historische Verbindung gebracht werden. Indessen ist dafür nicht eine Uebernahme von den Beduinen, sondern es sind wohl Reminiszenzen an die den später zu besprechenden Viehzüchterstämmen eigenen Gewohnheiten, die allerdings den beduinischen entsprechen, die Quelle. –

Am anderen Ende der Skala stand und steht die Stadt (gir). Wir müssen sie etwas näher zu analysieren suchen. Ihre Vorläufer waren unzweifelhaft auch in Palästina einerseits Burgen kriegerischer Häuptlinge für sich und ihre persönliche Gefolgschaft, andererseits Zufluchtsstätten für Vieh und Menschen in bedrohten, besonders in den der Wüste benachbarten Gebieten. Von beiden berichtet unsere Tradition nichts ausführliches13.[16] Die Stadt, die sie kennt, konnte ökonomisch und politisch angesehen, etwas sehr Verschiedenes darstellen. Entweder nur eine kleine befestigte Ackerbürgergemeinde mit Markt. Dann war sie nur graduell vom Bauerndorf verschieden. Bei voller Entwicklung war sie dagegen in der ganzen orientalischen Antike nicht nur Marktort, sondern vor allem Festung und als solche Sitz des Wehrverbandes, des Lokalgottes und seiner Priester und des je nachdem monarchischen oder oligarchischen politischen Machtträgers. Dies entspricht ganz offenbar den Analogien der mittelländischen Polis.

Die syrisch-palästinensischen Städte zeigen in der Tat in ihrer politischen Verfassung ein Entwicklungsstadium, welches der althellenischen »Geschlechterpolis« nah steht. Schon in vorisraelitischer Zeit waren die phönikischen Seestädte und die Städte der Philister als Vollstädte organisiert. Für die Zeit Thutmoses III. ergeben die ägyptischen Quellen das Bestehen zahlreicher Stadtstaaten in Palästina, darunter bereits solcher, die auch in der kanaanäischen Zeit Israels weiterbestanden (so: Lakisch)14. In der Tell-el-Amarna-Korrespondenz erscheint unter Amenophis IV (Echnaton) neben den Vasallenkönigen und Statthaltern des Pharao mit ihren Garnisonen, Magazinen und Arsenalen in den größeren Städten, am deutlichsten in Tyros und Byblos, eine stadtsässige Schicht, welche das Stadthaus (bitu) in der Gewalt hat und eine eigene der ägyptischen Herrschaft oft feindliche Politik treibt.15 Sie muß offenbar, gleichviel welches ihre sonstige Eigenart war, ein wehrhaftes Patriziat dargestellt haben16. Ihr Verhältnis zu den Vasallenfürsten und[17] Statthaltern des Pharao war offensichtlich schon ähnlich wie später das der stadtsässigen israelitischen Sippen zu solchen Militärfürsten, wie etwa Abimelech, Gideons Sohn, einer war. Und auch in einer anderen Hinsicht sind offenbare Gleichheiten der vorisraelitischen mit der israelitischen und sogar noch der spätjüdischen Zeit festzustellen. Noch in den talmudischen Quellen werden mehrere Kategorien von Ortschaften unterschieden, und zwar derart, daß zu jeder befestigten Hauptstadt eine Anzahl Landstädte und zu beiden wieder Dörfer als politische Dependenzen gehören. Der gleiche oder ähnliche Zustand wird aber bereits in den Amarnabriefen17 und dann ebenso in dem aus der Königszeit stammenden Josuabuch18 (Jos. 15, 45-47; 17, 11; 13, 23, 28;[18] vgl. Jud. 11, 27 und Num. 21, 25. 32) vorausgesetzt. Er hat also offenbar während der ganzen Dauer der für uns überblickbaren Geschichte überall da bestanden, wo die städtische Organisation des Wehrverbandes politisch und ökonomisch zur Vollentwicklung gelangte. Die abhängigen Orte waren dann in der Lage von Periökenortschaften, d.h. politisch rechtlos. Die Herrensippen waren oder galten als stadtsässig. In Jeremias Heimatsort Anathot gibt es »nur kleine Leute«, die kein Verständnis für seine Prophetie haben (Jer. 5, 4), also geht er in die Stadt Jerusalem, wo die »Großen« sind, in der Hoffnung auf besseren Erfolg. Aller politische Einfluß liegt in der Hand dieser Großen der Hauptstadt. Daß unter Zedekia auf Nebukadnezars Befehl zeitweise andere als sie die Gewalt, vor allem die Aemter, innehaben, gilt als eine Anomalie, deren Möglichkeit Jesaja als Strafgericht bei fortdauernder Verworfenheit der Großen, zugleich aber als ein furchtbares Uebel für das Gemeinwesen in Aussicht stellte. Aber die Leute von Anathot galten weder als Metöken, noch als Sonderstand, sondern als Israeliten, die nur nicht zu den »Großen« gehörten19. Hier ist also der Typus der herrschenden Geschlechter-Polis ganz in frühantiker Art: mit politisch rechtlosen, aber doch als Freie geltenden Periöken-Orten entwikkelt.

Die Bedeutung der Sippen-Organisation blieb auch in den Städten grundlegend. Aber neben ihre ausschließliche Bedeutung für die soziale Organisation bei den Beduinenstämmen tritt in der Stadt die Beteiligung am Grundbesitz als Grundlage der Rechte und überwiegt schließlich jene. Die Gliederung pflegte im israelitischen Altertum eine solche nach Vaterhäusern (beth aboth): Hausgemeinschaften also, zu sein, welche als Unterteile der Sippe (mischpacha) galten, die ihrerseits Teile des Stammes[19] (schebat) waren. Aber, wie wir sahen: die Tradition des Josuabuchs läßt den Stamm bereits in Städte und Dörfer, statt in Sippen und Familien, zerfallen. Ob jeder Israelit einer »Sippe« angehörte, könnte nach anderen Analogien fraglich sein. Die Quellen nehmen es an: jeder freie Israelit ist wehrfähig. Aber innerhalb der Wehrfähigen entstand eine zunehmende Differenzierung. In der Tradition werden gelegentlich (in Gibeon Jos. 10, 2) ausdrücklich alle Bürger (anaschim, anderwärts, z.B Jos. 9, 3 josebim) einer Stadt mit den gibborim, den Kriegern. (Rittern) identifiziert. Aber das ist nicht die Regel. Unter den gibborim werden vielmehr regelmäßig die bne chail, die »Söhne von Besitz«, d.h. die Besitzer von Erbland verstanden und »gibbore chail« genannt, zum Unterschiede20 von den gewöhnlichen Mannen ('am), deren militärisch ausgebildeter Teil später (Jos. 8, 11; 10, 7; 2 Kön. 25, 4) »Kriegsmannen« ('am hamilchamah) genannt wird. Ein gibbor chail heißt Boas im Ruthbuche. Die für die Aufbringung des assyrischen Tributs von König Menahem mit einer Zwangsumlage von je 50 Sekel belegten größten Besitzer werden ebenso genannt (2. Kön. 15, 20, die von Ed. Meyer s.Z. mit Recht herangezogene wichtigste Stelle), und ebenso werden zuweilen scheinbar ganz allgemein alle Kriegsleute bezeichnet. Aber ein »ben chail« ist ebensowenig wie im spanischen, wörtlich gleichbedeutenden Ausdruck, »Hidalgo«[20] jeder Besitzer von irgendwelchem Land. Sondern »bne chail« sind die ökonomisch kraft ihres ererbten Besitzes zur vollwertigen Selbstequipierung fähigen, also die ökonomisch voll wehrfähigen und wehrpflichtigen, deshalb politisch vollberechtigten Sippen. Bei diesen Sippen war überall und in allen Zeiten, wo kostspielige Bewaffnung und Ausbildung militärisch ausschlaggebend war, die politische Macht21.

Auch wo, wie in der frühen Antike sehr oft, ein erbcharismatischer Stadtfürst (nasi) an der Spitze der Stadt stand, hatte er die Gewalt als primus inter pares mit den Aeltesten (sekenim) dieser Sippen zu teilen. Außerdem aber mit den Familienhäuptern (roschi beth aboth) seiner eigenen Sippe. Die Macht dieser konnte so groß und zugleich das Uebergewicht der Fürstensippe über alle anderen Sippen der Stadt und deren Aelteste so bedeutend sein, daß die Stadt als eine Oligarchie der Familienhäupter der Fürstensippe erschien, wie wir dies in der israelitischen Geschichte sehr regelmäßig finden. Die Verhältnisse waren aber wohl verschieden. Sichem wird in den Genesiserzählungen durch eine reiche Sippe, die bne Chamor, beherrscht, deren Haupt den Titel Nasi (Fürst) führt und »Vater Sichems« heißt (Jud. 8, 28). Für wichtige Angelegenheiten, z.B. für die Aufnahme Fremder in den Bürger- und Bodenrechtsverband bedarf dieses Stadthaupt der Zustimmung der »Mannen« (anaschim) Sichems. Neben diese alte Herrensippe trat nach dem Midianiterkrieg als übermächtige Konkurrentin die Sippe Gideons, welche dann in der Revolte gegen Abimelech wieder durch die Sippe Chamors verdrängt wurde. Die Sippen waren, wie in frühhellenischer Zeit, oft interlokal angesessen: zuweilen hatte eine Sippe die Vormacht in mehreren, namentlich kleineren Städten. So hatte in Gilead die Sippe Jairs die Macht über eine ganze Gruppe von Zeltdörfern, die später gelegentlich auch »Städte« genannt werden. Die reale Macht lag in aller Regel in den Händen der »Aeltesten« (sekenim). Diese erscheinen in allen denjenigen Teilen der Ueberlieferung, welche auf dem Boden der Stadtverfassung stehen, also vor allem im deuteronomischen Gesetz, als eine »im Tor«, d.h. auf dem Marktplatz am Tor der Stadt sitzende, Gericht haltende und die Verwaltung regelnde ständige Behörde, die Sikne ha gir, deren Existenz im Josuabuch für kanaanäische[21] ebenso wie israelitische Städte vorausgesetzt wird. Für die Stadt Jesreel werden neben den Aeltesten »Edle« (chorim) erwähnt. Anderwärts tauchen neben den Aeltesten die Häupter der Vaterhäuser (roschi beth aboth) auf, die man auch in der Spätzeit (Esra) als Repräsentanten der Städte neben den sekenim und den, damals offenbar mit diesen identischen, anders bezeichneten Stadtvorstehern findet. Im ersten Fall scheint es sich also um einen cha rismatischen Dauervorzug eines oder mehrerer Geschlechter zu handeln, welche die Stadtmagistratur stellen, im letzteren um die Familienhäupter aller wehrhaften Sippen der Stadt. Auch in den älteren Traditionen finden sich solche Unterschiede. Inwieweit diesen terminologischen Verschiedenheiten wirklich verschiedene politische Organisationen entsprachen, ist aber nicht überliefert und nicht ersichtlich. Die charismatische Honoratiorenstellung einer Sippe hing natürlich vor allem von ihrer militärischen Macht und, was damit zusammenhing, von ihrem Reichtum ab. Die Stellung dieser grundgesessenen städtischen Sippen entsprach wohl etwa derjenigen Oligarchie, welche aus der Darstellung Snouck Hurgronjes für Mekka bekannt ist. Die gibbore chail, die besitzenden Kriegshelden, entsprechen den römischen »adsidui«. Auch die philistäische Ritterschaft bestand aus trainierten Kriegern. Ein »Krieger von Jugend auf« wird Goliath genannt: das setzt Besitz voraus. Die altisraelitischen politischen Machthaber der bergsässigen Stämme werden dagegen gelegentlich »Stabträger« genannt, wie die homerischen Fürsten auch.

Beim Vergleich der israelitischen mit den vorisraelitischen und mit den mesopotamischen Verhältnissen fällt auf: daß an Stelle des einen Stadtkönigs der Amarnazeit und noch der späten Ramessidenepoche und des einen Ortsältesten der babylonischen Urkunden in Israel niemals nur ein Aeltester, sondern stets deren mehrere genannt werden22: ein ebenso sicheres Zeichen der Geschlechterherrschaft wie die Mehrheit der Suffeten und der Konsuln.

Anders gestaltete sich die Lage, wenn ein charismatischer[22] Kriegsfürst durch Werbung einer persönlichen Gefolgschaft oder einer besoldeten, oft fremdbürtigen, jedenfalls nur von ihm abhängigen Leibgarde, durch Rekrutierung ihm persönlich ergebener Beamter (sarim) aus jenen Gefolgsleuten oder auch aus Sklaven, Freigelassenen, politisch rechtlosen Unterklassen, es dahin brachte, sich als Stadtherr von der Aristokratie der Aeltesten unabhängig zu machen. Stützte er seine Herrschaft gänzlich auf diese Machtquellen, so entstand jene Form des Fürstentums, welche die königsfeindliche Auffassung später mit dem Begriff »Königtum« verband. Der alte legitime erbcharismatische »Fürst« war für sie ein Mann, der auf dem Esel reitet: auf diesem Reittier der vorsalomonischen Zeit soll nach ihrer Ansicht daher auch der messianische Fürst der Zukunft dereinst wiederkommen. Ein »König« dagegen ist ihr ein Mann, der Rosse und Kriegswagen hält nach Art des Pharao. Mit seinem Hort, seinen Magazinen, seinen Eunuchen und vor allem mit der in seiner Menage befindlichen Garde beherrscht er von seinen Burgen aus die Stadt und die abhängige Landschaft, setzt seine Vögte über sie, gibt seinen Gefolgsleuten, Offizieren und Beamten Lehen, vor allem wohl Burglehen – wie sie vermutlich die »Leute von der Burg (millo)« in Sichem hatten (Jud. 9, 6. 20), legt Fronden auf und erweitert dadurch den Ertrag seines eigenen Grundbesitzes. In Sichem hat König Abimelech seinen Burgvogt sitzen (Jud. 9, 26-30), dem die alte erbcharismatische Autorität der bne Chamor hat weichen müssen. Die altisraelitische Tradition sieht solche persönliche Militärherrschaft eines Einzelnen als »Tyrannis« an. Das Gleichnis von der Herrschaft des Dornbuschs und der Fluch: daß Feuer vom König Abimelech auf die Patrizier von Sichem und ebenso von diesen auf jenen ausgehen möge, kennzeichnet den Gegensatz zwischen charismatischer Tyrannis und erbcharismatischem Patriziat. Der »Tyrann« stützt sich eben, wie in Athen Peisistratos, auf geworbene »arme Leute« (rekim) und das sind »Taugenichtse« (»phichasim« Jud. 9, 4): – wir werden von ihrer sozialen Herkunft noch zu sprechen haben. Der Uebergang zwischen Fürstentum und Stadtkönigtum war aber in Wahrheit natürlich durchaus flüssig. Denn in der ganzen israelitischen Antike blieben die großen grundsässigen Sippen und ihre Aeltesten in aller Regel ein auch von dem mächtigsten König auf die Dauer nicht zu ignorierendes Element. Wie es für die ältere Zeit die seltene Ausnahme ist, wenn von einem »Hurensohn«,[23] also einem Emporkömmling (Jephta) als charismatischem Führer berichtet wird, so in der Königszeit bei den Beamten der Könige. Im Nordreiche finden sich freilich mehrere Könige ohne Vatersnamen, also ohne Abkunft aus vollwertiger Sippe; Omri trägt überhaupt keinen israelitischen Namen. Das priesterliche Königsrecht im Deuteronomium hält es daher für nötig, israelitische Blutsreinheit als Vorbedingung der Königswürde einzuschärfen. Ueberall aber hat der König mit den gibbore chail, den voll wehrfähigen Grundbesitzern und den Honoratioren-Vertretern: den Sekenim der großen Sippen, zu rechnen, welche für die Redaktoren der echten politischen Tradition auch im Deuteronomium (Deut. Kap. 21, 22, 25 im Gegensatz zu den theologisch beeinflußten Stellen 16, 18 und 17, 8. 9) die allein legitimen Vertreter des Volkes sind. Die Machtlage schwankte. Ein König kann es unter Umständen wagen, im Notfall die gibbore chail zu besteuern, wie Menahem für den assyrischen Tribut tat. Und es ist allerdings auch zu beobachten23, daß, im Gegensatz zu allen anderen Epochen, die Stadtältesten in der Zeit zwischen Salomo und Josia in den Quellen stärker zurücktreten; ja es ist möglich, daß sie in ihrer richterlichen Stellung wenigstens in den Residenzen, die ja königliche Festungen waren, ganz durch die Vögte und Beamten der Könige verdrängt wurden und nur in den Landgebieten ihre alte Stellung behielten, wie dies in fast allen Monarchien Asiens der Fall war. Allein sobald die Machtstellung des Königtums (z.B. infolge einer Revolution, wie unter Jehu) sank, vollends aber nach dem gänzlichen Wegfall des Königstums in nachexilischer Zeit, treten alsbald die Aeltesten in den Städten wieder in der alten Machtstellung auf. Was aber noch wichtiger war: nur ganz ausnahmsweise spielten Königssklaven und Eunuchen in der Wahrnehmung amtlicher Funktionen eine Rolle. Fremdbürtige oder aus niedrigem Stand emporgestiegene Gefolgsleute, Offiziere und Beamte finden sich allerdings. Am meisten in den Anfängen des Aufstiegs eines neuen Fürsten. Vielleicht von der Zeit Davids und Salomos abgesehen, sind aber in normalen Zeiten die wichtigen Aemter wenigstens im judäischen Stadtkönigtum ganz überwiegend in den Händen alter einheimischer reicher Geschlecnter. Einem solchen gehörte z.B.[24] auch Davids Feldhauptmann Joab an, und die Ueberlieferung (2. Sam. 3, 39) läßt erkennen, daß gegenüber seiner mächtigen Sippe König David nicht in der Lage war, eine Bestrafung gegen ihn zu wagen und deshalb seine Rache auf dem Totenbett Salomo anempfahl. Der Haß der vornehmen Geschlechter Jerusalems spricht aus dem Orakel Jesaias (22, 15) gegen den landfremden Hausmeier Sebea Normalerweise hat kein König gegen den Willen der Geschlechter dauernd regieren können. Die »Sarim von Jerusalem« und »von Juda«, von denen Jeremia (34, 19) spricht, gelten ihm zugleich, wie der Zusammenhang ergibt, als Vertreter der reichsten Familien des Landes.

Wenn so die vollentwickelte altisraelitische Stadt ein Verband der ökonomisch wehrfähigen erbcharismatischen Sippen war, ganz ebenso wie die frühhellenische und die frühmittelalterliche, so war dieser Verband auch hier ebenso wie dort labil in seiner Zusammensetzung. Sippen wurden in der vorköniglichen Zeit neu zu vollem Recht in die Stadt aufgenommen (Jud. 9, 26), andere ausgetrieben, Blutrache und Fehden zwischen den Stadtsippen und Bündnisse einzelner von ihnen nach außen waren offenbar nichts Seltenes. Die Einzelsippe gewährte auch hier Fremden ein, freilich nach der Tradition oft prekäres, Gastrecht.

Politisch entspricht dieser Zustand etwa dem, was für die hellenische Geschlechterstadt und für Rom in der Zeit der Aufnahme der gens Claudia in den Bürgerverband gegolten haben muß. Nur war der Zusammenhalt eher noch lockerer. Ein förmlicher Synoikismos ist erst die Stadtgründung Esras und Nehemias mit ihrer festen Verteilung der Leiturgien auf die zur Einsiedelung in die Stadt sich verpflichtenden Sippen. Wie dagegen die städtischen Lasten, auch die Heereslast, der Frühzeit verteilt waren, wissen wir nicht. Im Verhältnis zu den umfassenderen politischen Verbänden: Stamm, Bund, war die Stadt offenbar einem Aufgebotskontingent – wie es scheint einem Vielfachen der taktischen Einheit von 50 Mann24, oft einer Tausendschaft – gleichgesetzt25. Ueber die sonstigen Beziehungen zwischen Stammverband und Stadt lassen uns die Quellen völlig im Dunkeln26. Der »Stamm« war hier vermutlich eine Angelegenheit[25] jener ökonomisch wehrhaften Sippen, die ihm traditionell angehörten. Die vollfreien Plebejer dagegen gehörten wohl lediglich dem Ort ihrer Ansiedelung an: darauf läßt die formelle Behandlung der plebs beim Synoikismos nach dem Exil schließen. Die Wandlung der Militärtechnik muß da mitgesprochen haben. Jedenfalls beruhte in den philistäischen und kanaanäischen Stadtverbänden auf dem Aufgebot der eisernen Kriegswagen der Rittersippen die militärische und politische Herrschaft des Patriziats über das umliegende Land und seine Bewohner und ebenso zweifellos in den israelitischen Städten.

Nicht nur politisch, sondern, wie in der althellenischen und altitalischen Polis, auch ökonomisch beherrschten die stadtsässigen Patriziersippen das flache Land. Sie lebten von den Renten ihres ländlichen Grundbesitzes, den sie durch fronende oder zinsende Sklaven oder Hörige oder durch Colonen (Natural-oder Teilpächter), die in typisch-antiker Art besonders stark aus Schuldsklaven rekrutiert waren, bewirtschafteten und durch Bewucherung der freien Bauern ständig vermehrten. Die antike Klassenschichtung: der stadtsässige Patriziat als Gläubiger, die Bauern draußen als Schuldner, bestand also auch in den israelitischen Städten. Die Mittel zur Bewucherung des platten Landes bezogen die stadtsässigen Sippen auch dort teilweise zweifellos durch direkte oder indirekte Einkünfte aus Handelsgewinsten. Denn Palästina war in geschichtlicher Zeit, soweit wir zurückblicken können, ein Durchgangsland für den Handel zwischen Aegypten, den Orontes- und Euphratgebieten, dem Roten und dem Mittelmeer. Im Deboralied tritt die Bedeutung der Karawanenstraßen für die Wirtschaft stark hervor: daß sie still liegen und die Reisenden auf krummen Pfaden schleichen müssen, wird als Folge des Konflikts zwischen dem kanaanäischen Patriziat und der Eidgenossenschaft ebenso stark hervorgehoben wie das Feiern der Bauern auf dem Felde. Sehr wesentlich um die Herrschaft über diese Straßen handelte es sich auch bei den Versuchen der Städte, das Bergland zu unterwerfen, und sicher sehr wesentlich auch um der Vorteile willen, die dieser Handel bot, und nicht nur wegen der Teilnahme an der politischen Herrenstellung, wurde die Stadtsässigkeit hier wie in der ganzen Frühantike von den mächtigen Sippen gesucht. Entweder sie selbst beteiligten sich sei es am Platzhandel oder, an der Küste, am Seehandel oder, im Binnenland, am Karawanenhandel, namentlich[26] wohl in der Form der Kommenda oder ähnlicher Rechtsformen von Kapitalvorschüssen, wie sie das in Israel genau bekannte altbabylonische Recht darbot. Oder sie hatten Stapel- und Umschlags- oder Geleitrechte oder erhoben Abgaben. Wir wissen das nicht näher. Jedenfalls aber lieferten diese Einkünfte wohl wesentliche Teile der Mittel sowohl zur Landakkumulation und persönlichen Schuldversklavung der bewucherten Bauern als zur eigenen militärischen Equipierung und Ausbildung. Das alles sind die typischen Erscheinungen der frühantiken Polis. Für sie blieb hier wie überall entscheidend, daß sie Trägerin der damals höchstentwickelten militärischen Technik war. Denn der stadtsässige Patriziat war in Palästina Träger des von der Mitte des 2. Jahrtausends an sich über die ganze Erde, von China bis Irland verbreitenden ritterlichen Wagenkampfs, dessen Kosten, bei Selbstequipierung, nur die vermögendsten Sippen aus eigenen Mitteln ökonomisch gewachsen waren. Dem was wir von der Polis der Mittelmeergebiete kennen, entspricht es denn auch, daß die Bauern des besten, des renten fähigen Bodens, es vornehmlich waren, deren Landbesitz dem Akkumulationsstreben in patrizischen Händen am meisten ausgesetzt und militärisch am wenigsten zum Widerstand in der Lage war. Wie in Attika die fruchtbare Pedia der Sitz der patrizischen Grundherrschaften war, so auch in Palästina die Ebenen. Und wie in Attika die Diakrioi an den militärisch für die Ritterschaft am schwersten zugänglichen Berghängen, auf dem rente losen Boden, sitzen, so auch in Israel die freien Bauern und Hirtensippen, die auch ihrerseits abgabepflichtig zu machen der Stadtpatriziat mit wechselndem Erfolge versucht. –

Von diesen freien in der Frühzeit Israels offenbar zum größten Teil außerhalb aller städtischen Verbände lebenden Bauern und ihrer sozialen und politischen Organisation erfahren wir nun in den Quellen gar nichts. Diese Erscheinung ist an sich typisch. Ebenso wie man infolge des Fehlens ausführlichen Quellenmaterials über die freien Bauern für die römische Frühzeit geglaubt hat, es habe außer den Patriziern nur Klienten und für die römische Spätzeit, es habe nur Großgrundbesitzer und Sklaven, für Aegypten, es habe nur Beamte und unfreie Arbeiter oder Bauern auf Königsland gegeben, und wie man für Sparta unwillkürlich mit der Vorstellung belastet ist, als habe es nur Spartiaten und Heloten gegeben, so stehen die freien Bauern des alten Israels[27] im tiefen Schatten des Schweigens der Quellen, aus denen eigentlich fast nichts als eben ihre Existenz und ursprüngliche Machtstellung zu entnehmen ist. Diese ist freilich aus dem Deboralied, welches den siegreichen Kampf des israelitischen Bauernstandes unter Debora und Barak gegen den kanaanäischen Städtebund unter Siseras Führung besingt, ganz unzweifelhaft ersichtlich. Ihre Lebensverhältnisse aber sind sehr dunkel.

Ganz unbekannt ist vor allem die Art ihrer politischen Organisation. Die untereinander verschiedenen alten Bezeichnungen für ihre Führer, z.B. im Deboralied, sagen uns über die innere Struktur der politischen Verbände nichts. Ebenso nicht über Art und Maß der sozialen Differenzierung, welche offenbar auch unter den Bauern des Gebirges bestand. Die militärische Gliederung nach Tausendschaften scheint schon bei ihnen heimisch gewesen zu sein27 – die runde Zahl von 40 000 Waffenfähigen im ganzen Israel, welche im Deboralied genannt wird, legt das nahe. Aber alles weitere ist unbekannt. Ebenso steht es mit den ökonomischen Verhältnissen. Von Feldgemeinschaft finden sich sichere Spuren nicht. Man hat einige Stellen darauf gedeutet und zum Vergleich die heutigen Verhältnisse herangezogen, wo die vermutlich aus Abgabepächtern hervorgegangenen Grundherren in einigen Gebieten Palästinas gelegentlich Landzuteilungen vornehmen. Allein dies sind poltisch bedingte Verhältnisse orientalischer Sultansherrschaft, die nichts für die bäuerliche Frühzeit Israels ergeben. Wenn von Jeremia berichtet wird, daß er sich auf das Land begeben habe, um seinen Anteil unter seinen »Leuten« ('am) zu empfangen (Jer. 37, 12), so ist diese allein wichtige, aber in ihrer Deutung unsichere, von den dafür angeführten Stellen wohl dahin zu verstehen: daß die großen Sippen unter Umständen über Landbesitz verfügten, sei es überdauernd gemeinsamen Sippenbesitz, der periodisch umgeteilt wurde, sei es über erbloses Land eines Genossen. Jedenfalls war Jeremia kein »Bauer«. Die Stelle bei Micha (2, 5), welche den Anteil der Frauen in der Gemeinde (Rahel) als chelob bezeichnet, zeigt nur, daß die Anteile erst bei[28] der Siedelung mit dem Strick zugemessen wurden, beweist aber nichts für periodische Umteilungen. Ob das »Sabbatjahr« irgendwie mit einer feldgemeinschaftlichen Vergangenheit zusammenhängen könnte, ist später zu erörtern, bleibt aber, wie vorweg bemerkt sei, mehr als fraglich. Im übrigen läßt sich die Lage der freien Bauern nur indirekt erschließen. Daß der altisraelitische Bund in stärkstem Maße gerade ein Bauernbund war, zeigt das Deboralied, welches die Bauern den kanaanäischen Rittern des Städtebundes entgegenstellt und rühmt, daß sie »wie gibborim« gekämpft haben. Daß der Bund in historischer Zeit niemals nur Bauernbund war, steht ebenfalls fest. In den Heeren der späteren Königszeit ist von »Bauern« keine Rede mehr oder mindestens sind diese nicht Träger der Wehrkraft. Schon die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß ökonomische und militärtechnische Verschiebungen hier die gleiche Rolle gespielt haben wie überall sonst. Der Uebergang zur kostspieligeren Rüstung schaltet, bei Geltung des Prinzips der Selbstequipierung des Heeres, die ökonomisch dazu nicht fähigen kleineren Grundbesitzer überall aus dem voll wehrfähigen Heeresverbande aus, zumal ihre ökonomische »Unabkömmlichkeit« schon an sich wesentlich geringer ist als die der Grundherrn, die von Renten leben. Die Heraushebung der gibbore chail aus der Masse der freien Krieger, der 'am, beruht zweifellos auf diesem Umstand, und es ist anzunehmen, wenn auch im einzelnen nicht greifbar, daß der Bruchteil, welchen die Schicht der ökonomisch wehrfähigen und deshalb politisch vollberechtigten Krieger in Israel bildete, sich mit zunehmender Kostspieligkeit der Rüstung zunehmend verminderte. In der nachexilisch redigierten Chronistik werden zwar die gibborim und bne Chail gelegentlich mit allen Männern identifiziert, welche »Schild und Schwert führen« und »den Bogen spannen«28, oder auch einfach mit »Bogenschützen«29. Allein die Chronistik ist (in politischer Hinsicht) für die fromme Plebs eingenommen und deutet ihr Material entsprechend. Nach der älteren Ueberlieferung führten die gibborim als Waffe die Lanze, waren (vor allem) gepanzert und offenbar Wagenkämpfer, im Gegensatz zu dem bäuerlichen Fußvolk, dessen Bewaffnung zwar, nach dem Deboralied (Jud. 5, 8), ebenfalls aus Schild und Lanze, zuweilen aber nur aus Schleudern bestand,[29] sicher aber stets wesentlich leichter war und dem namentlich der Panzer fehlte30. Die Krieger des (damals) bäuerlichen Stammes der Benjaminiten werden im Richterbuch »Schwertträger« genannt (20, 35). Neben die Kosten der ritterlichen Rüstung trat aber bei dem Vollkrieger die Notwendigkeit, für die Zwecke der kriegerischen Einschulung ökonomisch abkömmlich zu sein. Im Occident haben diese Umstände zu einer entsprechenden Ständebildung geführt. In Israel ist die Entwicklung endgültig in eine ähnliche Bahn geraten, nachdem die großen kanaanäischen Städte der Eidgenossenschaft eingegliedert waren. Zwar von einem wirklichen weltlichen Adel als besonderem Stande ist zu keiner Zeit in den Quellen die Rede. Die vollberechtigten Sippen standen einander gleich: der König konnte offenbar jede freie Israelitin heiraten. Allein nicht alle freien Sippen sind politisch gleichgestellt. Denn natürlich bestanden durch die ökonomische Wehrfähigkeit, welche Vorbedingung aller politischen Rechte war, und durch die auf Erbcharisma einzelner gaufürstlicher Sippen ruhenden politischen und sozialen Vormachtstellungen starke Unterschiede. Die Bedeutung einer Sippe in der vorköniglichen Zeit bezeichnet die Tradition stets durch die Anzahl der auf Eseln reitenden Angehörigen, die sie zählt. Für die Zeit des zweiten Königsbuchs ist die Verwendung des Ausdrucks 'am haarez für die außer den Königen, Priestern und Beamten vorhandenen politisch ins Gewicht fallenden Leute typisch. Gelegentlich bedeutet der Ausdruck einfach »das Volk des ganzen Landes«, nicht das »Landvolk« allein. Aber in manchen Stellen steht es offenbar anders31. Es handelt sich um Leute, von denen eine Anzahl[30] (anscheinend aber nicht viele) damals durch einen besonderen königlichen Offizier militärisch ausgebildet werden: Nebukadnezar findet 60 solche in Jerusalem und führt sie mit fort. Sie sind Gegner der späteren Propheten, Gegner der von Jeremia empfohlenen Unterwerfung unter Babel und später Gegner der zurückkehrenden Exulantengemeinde Jerusalems. Ganz ebenso empören sich die »bne chail« und deren Führer, die sare ha chailim (2. Kön. 25, 23) gegen den der Prophetenpartei entnommenen Statthalter Nebukadnezars, Gedalja, und erschlagen ihn. Mit den in Jerusalem zurückgelassenen einfachen »Ackersleuten« (2. Kön. 25, 12) sind die fortgeführten 'am haarez (das. V. 19) nicht identisch. Sie dürften vielmehr zur Partei jener sare ha chailim gehört haben. Wo der Ausdruck »Plebs« bedeuten soll, wird dies durch einen besonderen Zusatz kenntlich gemacht (2. Kön. 24, 14). Es steht, angesichts jener Nachricht von der militärischen Ausbildung von 'am haarez, zur Wahl: anzunehmen, daß der König damals zwangsweise aus der politisch rechtlosen Plebs Leute aushob und drillen ließ, daß also diese plebejische Schicht mit jenem Namen bezeichnet wurde. Aber ihre Beteiligung an Königsakklamationen[31] und Contrerevolutionen spricht nicht dafür. Sondern man wird in ihnen dem Schwerpunkt nach die nationale, aber den damaligen jahwistischen Puritanern, den Gegnern der ländlichen Kulte, feindliche »Squirearchie« mit ihrem bäuerlichen Anhang zu sehen haben, als welche sie nach dem Exil auftreten.

Die volle Wehrhaftigkeit und also: politische Macht lag aber in vorexilischer Zeit in erster Linie bei den stadtsässigen Sippen. Die prophetischen Quellen reden von den »Großen« im Gegensatz zum »Volk« in so typischer Art, daß mit jenem Ausdruck ein zwar offenbar nicht rechtlich geschlossener, aber doch faktisch begrenzter Kreis gemeint sein muß. Die vorexilischen Geschlechtsregister, welche bei Jerem. (24, 30) wenigstens für Jerusalem vorausgesetzt zu sein scheinen, haben offenbar nur die Sippen dieses Kreises umfaßt und dienten bei den weltlichen Sippen zweifellos der Evidenthaltung der als gibborim Heerespflichtigen: »Chail«, »Vermögen«, heißt außerdem auch »Heer« und (kriegerische) »Tüchtigkeit«. Die »Großen« des prophetischen Zeitalters sind also ebenfalls jene Sippen, die in Waffen geübte, voll gepanzerte und ausgerüstete Krieger stellten, und demgemäß auch die Politik des Staates entschieden, weil sie Gerichte und Aemter in der Hand hatten. Offenbar ist mit zunehmendem Ausscheiden der Bauern aus dem Heer auch die Sippenverfassung bei ihnen verfallen. Denn dadurch erklärt sich am ehesten, daß beim Synoikismos Esras so zahlreiche nicht mit einem Geschlecht, sondern nach der bloßen Ortsgebürtigkeit aufgeführten Leute auftauchen: die Geschlechtsregister umfaßten eben nur die voll wehrfähigen Sippen, römisch gesprochen: die »classis«. – Der nicht zu diesen vollwertigen Sippen gehörige freie Mann gilt nun manchen angesehenen Forschern (so Ed. Meyer) als identisch mit dem »ger« oder »toschab« der Quellen: dem Beisassen, Metöken32. Allein, gerade dies ist äußerst[32] unwahrscheinlich. Denn der nach Ausmaß seines Besitzes nicht als Ritter wehrfähige israelitische Bauer des Deboraheeres und des Heerbanns Sauls kann schwerlich jene rituelle Sonderstellung eingenommen haben, welche den gerim in älterer Zeit eignete (Fehlen der Beschneidung!). Und wo immer von »kleinen Leuten« im Gegensatz zu den »Großen« die Rede ist (so bei den Propheten, vor allem bei Jeremia) sind ja gerade sie die von den Großen bedrückten israelitischen Brüder und gelten als Träger korrekter Lebensführung und Frömmigkeit. Der ökonomisch nicht voll wehrfähige israelitische freie Bauer wird vielmehr im wesentlichen jene Stellung eingenommen haben, die wir im ganzen Altertum den Agroikoi, Perioikoi und Plebeji zugewiesen sehen und die wir bei Hesiod ziemlich deutlich erkennen können. Persönlich frei, entbehrt er der aktiven politischen Rechte, vor allem der Teilnahme am Richteramt, sei es rechtlich, sei es faktisch. Darauf eben beruhte für die Patrizier die Möglichkeit jener Bewucherung und Schuld-Versklavung, der Rechtsbeugung und Vergewaltigung des bäuerlichen Demos, worüber die Klagen durch die gesamte alttestamentliche Literatur gehen. Diese ökonomische Klassenschichtung ist Israel mit den Städten der ganzen Frühantike gemeinsam. Die Schuldsklaven insbesondere sind eine typische Erscheinung. Sie finden sich in der Tradition als Gefolgschaft und Reisläufer bei allen charismatischen Führern, von Jephtha (Jud. 11, 3), Saul (Sam. 13, 6: den Philistern versklavte Hebräer), vor allem David 1. Sam. 22, 2) angefangen bis zu Judas Makkabäus (1. Makk. 3, 9). Einst der Kern des Heerbanns der israelitischen Eidgenossenschaft im Kampf gegen den kanaanäischen wagenkämpfenden Stadtpatriziat, wurde der freie Bauer so mit zunehmender Stadtsässigkeit der großen israelitischen Sippen und Uebergang zur Wagenkampftechnik nun zunehmend der Plebejer innerhalb des eigenen Volks.

Der Metöke, ger oder toschab, war dagegen etwas ganz anderes.[33] Seine Lage muß aus vor- und nachexilischen Quellen kombiniert erschlossen werden.

In der Lage der »gerim« befanden sich vor allen Dingen große Teile der Handwerker und Kaufleute. Dies war in den Städten ganz ebenso der Fall wie draußen bei den Beduinen der Wüste. Innerhalb der Stammesverbände der letzteren war, nach den arabischen Verhältnissen zu schließen, für sie als Genossen überhaupt kein Platz. Gerade die für den Beduinen wichtigsten Handwerker, die Schmiede, haben bei ihnen fast immer die Stellung entweder geradezu rituell unreiner, oder (und meist) wenigstens vom Konnubium und gewöhnlich auch von der Kommensalität ausgeschlossener Gasthandwerker gehabt. Sie bilden eine Pariakaste, die nur traditionellen, meist: religiösen, Schutz genießt. Ebenso die gleichfalls bei den Beduinen unentbehrlichen Barden und Musikanten. Ganz entsprechend ist in der Genesis (4, 21. 22) Kain der Stammvater der Schmiede und Musikanten und zugleich (4, 17) der erste Städtegründer. Danach darf man annehmen, daß für die Zeit der Entstehung dieses Stammbaums diese Handwerker auch in Palästina, ähnlich wie in Indien, als Gastvolk außerhalb nicht nur der gibborim, sondern außerhalb der israelitischen Bruderschaft überhaupt, standen. Daneben finden wir freilich die Auffassung bestimmter hochqualifizierter Handwerke als freier charismatischer Künste. Der Geist Jahwes fährt (Ex. 31, 3f.) in Bezaleel, Sohn Uris, Enkel Hurs, vom Stamme Juda, also: in einen Vollfreien, und lehrt ihn in Edelmetall, Stein und Holz zu arbeiten. Neben ihm tritt ein anderer Vollfreier vom Stamme Dan als Gehilfe auf. Sie liefern Kultparamente. Wir erinnern uns der rituell bevorrechteten Stellung der Kammalarhandwerker in Indien, welche die gleichen Künste ausübten. Und die Aehnlichkeit geht weiter. Die Kammalar sind in Südindien privilegierte, von außen her importierte Königshandwerker. Dan ist nach der Tradition im Gebiet von Sidon angesiedelt und 1. Kön. 7, 14 wird von dem Werkmeister des salomonischen Tempelbaues, Hiram, berichtet, daß er ein Tyrier, nach Bericht der Tradition aber von einer naphtalitischen Mutter, also ein Halbblutmann gewesen sei, den Salomon an seinen Hof berief. Wir dürfen annehmen, daß die für Königsbauten und militärische Bedürfnisse wichtigen Gewerbe überhaupt als Königshandwerke organisiert waren. In der nachexilischen Chronistik werden Byssosweber, Töpfer und Zimmerleute[34] als stammfremde, vielleicht als Königshandwerker der vorexilischen Zeit angeführt, wie in anderem Zusammenhang zu erörtern sein wird. Bei der Zerstörung Jerusalems führte Nebukadnezar außer den wehrhaften Geschlechtern auch die Handwerker, vor allem wohl die Königshandwerker, aus der Stadt fort. Bei der Rückkehr aus dem Exil und der Neukonstituierung des Gemeinwesens unter Esra und Nehemia finden sich die Goldschmiede, Krämer und Salbenhändler außerhalb der alten Geschlechtsverbände als Gilden organisiert. Sie wurden damals zwar ihrer Stammfremdheit entkleidet und in den jüdischen konfessionellen Gemeindeverband aufgenommen. Aber noch in der Zeit des Sirachiden und vermutlich noch weit später galten die Handwerker im Gegensatz zu den altisraelitischen Geschlechtern als politisch amtsunfähig. Sie bildeten also jetzt einen spezifisch städtischen »Demos«. Diese plebejische Schicht umfaßte aber damals, im nachexilischen Stadtstaat, nicht nur Handwerker und Händler. Sondern, wie Eduard Meyer überzeugend nachgewiesen hat, außerdem 1. die zahlreichen in der Liste der unter Kyros zurückgekehrten nicht nach der Sippe, sondern als Männer (anaschim) aus einem bestimmten Ort des Bezirks Jerusalem, also als plebejische Ortsangehörige einer von der Hauptstadt abhängigen Landstadt aufgeführten Personen und ebenso 2. die ohne eine solche Ortsangabe mit dem Ausdruck »Söhne des zurückgesetzten Weibes« (bne has senua) gezählten mehreren tausend Leute, welche Michaelis und Eduard Meyer sicher mit Recht als plebejische Ortsangehörige der Stadtgemeinde Jerusalem selbst ansehen. Beides sind offenbar israelitische, in den alten Geschlechtsregistern der gibborim nicht enthalten gewesene Plebejer. Die Angehörigen dieser Schicht, einerlei ob sie in früherer Zeit als israelitische Plebejer oder (wie die meisten Handwerker) als Metöken gegolten hatten, wurden also nun, nach Eduard Meyers einleuchtend begründeter Annahme, wenn sie das Gesetz auf sich nahmen, mit den ihnen zugewiesenen Landanteilen wie ein nach dem Heimatsort benanntes Geschlecht organisiert und so in die neuen Bürgerregister eingetragen. Die alten Geschlechtsregister wurden zwar dem Synoikismos, als welcher die Neukonstituierung Jerusalems vollzogen wurde, zugrunde gelegt: als eine Quotenvertretung der alten Geschlechter galten die mit Häusern in der Hauptstadt sich ansiedelnden Familien. Aber diese Reminiszenzen an die alte Geschlechterverfassung[35] sind später verschwunden, offenbar weil ihr militärischer Zweck in dem vorerst ganz unmilitärischen Clientelstadtstaat fortgefallen war. Die offizielle Vorstellung der nachexilischen Chronistik (1. Chron. 10, 2) kennt neben dem vollfreien Israeliten nur kultisch bedingte, positiv (wie die Priester und Leviten) oder negativ (wie die Nethinim) privilegierte Geburtsstände, aber keinen weltlichen. Selbst die bei der Rückkehr noch als existierend aufgezählte Davididensippe ist später verschollen, denn die Stammbäume der Vorfahren von Jesus in den Evangelien sind Fabrikate um der alten Verheißungen willen. Die theoretisch fortbestehende Gliederung nach Sippen und die anfänglich noch vorhandene leiturgische Gliederung (von der bald zu reden ist) traten an Bedeutung völlig zurück hinter der rein persönlichen Zugehörigkeit zum »kahal« oder »cheber hajjehudim«, dem jüdischen konfessionellen Verbande, und diese wurde nunmehr entweder durch jüdische Abstammung und Uebernahme der Ritualpflichten oder durch persönliche Aufnahme erworben. Zwischen diesen beiden Kategorien: den Altjuden und den Neujuden, bestanden nur noch einzelne Reste ständischer Unterschiede (vor allem im Konnubium mit den Priestern). Sonst standen sie gleich. Nur die ständische Sonderstellung der Priestergeschlechter blieb also bestehen und ist später gesondert zu erörtern. Daß jetzt ebenso wie die, sei es grundsässigen, sei es Kleinpacht-Bauern, auch alle Handwerker, wenn sie sich zu Jahwe bekannten, zwar amtsunfähig blieben, aber als Volljuden angesehen wurden, bedeutete die Entstehung eines städtischen »Demos« im Sinne der typischen Ständescheidung. Vor dem Exil bestand er nicht, weil damals das Prinzip der rituellen Stammfremdheit diese Ständescheidung beherrschte. Aber auch nach dem Exil sind die Plebejer nie als ein wirklicher »Demos« im technischen Sinn der antiken klassischen Polisverfassung konstituiert worden. Und ebenso nicht als ein »popolo«, eine »Bürgerschaft«, im Sinne des Mittelalters. Weder, wie in der Antike, eine Versammlung nach Demoi oder Tribus oder ähnlichen lokalen Abteilungen des politischen Wehr- und Stimmverbandes aller ansässigen Bürger, noch, wie im Mittelalter, eine Schwurbrüderschaft und Vertretung der Bürger nach Zünften trat jemals, soviel bekannt, ins Leben33. Dazu fehlten eben auch jetzt die politischen Vorbedingungen:[36] die Militärorganisation des antiken Hopliten- oder des mittelalterlichen Bürgerheeres, welche die Grundlage der politischen Macht der occidentalen Plebejer wurde.

Die faktische soziale und ökonomische Situation war, trotz jener Aenderung der Rechtslage, auch nach dem Exil im Prinzip der vorexilischen ähnlich. Die reichen Landbesitzer residierten meist in Jerusalem und verzehrten dort ihre Renten. Zwar gab es auch jetzt mächtige Geschlechter, die nicht in Jerusalem selbst ansässig waren. Auch sie aber galten normalerweise als in einer Stadt eingebürgert. Das Geschlecht der Hasmonäer heißt, obwohl ihr Mausoleum auf einem Berge nahe dem Meeresgestade aufragte, doch das vornehmste in der Stadt Modin (1. Makk. 2, 17). Die nicht in Jerusalem zusammengesiedelten vornehmen weltlichen Sippen waren in aller Regel Gegner der rituell korrekten Judengemeinde, wovon die frommen Hasmonäer, für die priesterliche Abstammung in Anspruch genommen wird, eben eine Ausnahme machten34. Und die ökonomisch und politisch mächtigen Geschlechter innerhalb der Städte, namentlich auch innerhalb Jerusalems, bedrückten damals die Plebejer ganz ebenso durch Wucher und Beugung des Rechts wie dereinst jene »Großen« gegen welche die vorexilischen Propheten sich gewendet hatten. Furchtbar hallen namentlich die Klagen und das Rachegeschrei der Psalmisten gegen diese Reichen oder, wie sie bezeichnend genannt werden, »Fetten«, die also auch im Namen ganz dem »popolo grasso« der mittelalterlichen italienischen Terminologie entsprachen. Und wie nach der Tradition einst schon um Abimelech und dann um David, so scharen sich jetzt um Judas Makkabäus die Unterdrückten, und zwar vor allem: die Schuldsklaven, als seine Gefolgschaft und schlachten mit ihm die Gottlosen,[37] das sind, wie in den Psalmen stets: die »Fetten«, in allen Städten Judas ab (1. Makk. 3, 9). Die ökonomische Grundlage der Ständegliederung war also sehr konstant. Das wichtige Neue war dabei nur, daß im Verlauf der nachexilischen Entwicklung der städtische Demos, das Kleinbürgertum, in steigendem Maße als eigentlicher Träger der Frömmigkeit, als »Gemeinde der Chasidim«, hervortritt und zunehmend eine schließlich, mit dem Aufkommen der Pharisäerpartei, geradezu ausschlaggebende Rolle spielte, obwohl formell offenbar seine politischen Rechte kaum geändert waren. Beides: faktische Bedeutung und formelle Rechtlosigkeit des Demos, hing mit der später zu erörternden theokratischen Eigenart des spätjüdischen Stadtstaates zusammen. Diese konfessionelle Grundlage des Gemeindeverbandes bedingte es auch, daß die alten Ausdrücke für den »Metöken« nunmehr, wo die alte Stammfremdheit der Gasthandwerker gegenüber den Israeliten fortgefallen war, ihren alten Sinn verloren und einen ganz neuen später zu besprechenden gewannen (den des »Proselyten«). Hier interessiert uns vorerst noch weiter der alte, vorexilische Sinn. Denn trotz Konstanz der ökonomischen Grundlage war die rechtliche Position des Demos in der vorexilischen Zeit eine sehr abweichende gewesen.

Der vorexilische Metöke (ger) ist von dem gänzlich Landfremden, dem nokri, durchaus geschieden. Der letztere ist rechtlos. Der ger ist zwar stammfremd, aber rechtlich geschützt. Ein Stammfremder konnte aber auf zwei Arten zu einem Schutzverhältnis gelangen. Entweder er wurde als Schutzgenosse eines einzelnen Hausvaters behandelt. Dann stand er in dessen rein persönlichem Schutz, welchen ja auch der ganz fremde nokri, etwa ein durchreisender Gast, genießen konnte. Der Schutz gegen die Willkür der Stammesgenossen des Schutzherrn war aber dann nur eine Frage der Macht dieses letzteren. Nur das Mißfallen des Gottes oder die Rache seiner Stammesgenossen konnte ihn, wenn diese versagte, schützen: das Schicksal der göttlichen Gäste Loths in Sodom und des Leviten in Gibea zeigen die Lage. Als in diesem Sinne rechtlos galt aber in einem israelitischen Stamm auch ein in einem anderen israelitischen Stamm zugelassener Metöke, wie wiederum das Beispiel des Leviten in der Erzählung von der Schandtat von Gibea zeigt. Ebenso geht daraus hervor, daß auch der vollberechtigte Angehörige eines israelitischen Stammes, der sich bei einem anderen Stamm niedergelassen hat, auch bei[38] einem als nahe verwandt geltenden wie Benjamin gegenüber Ephraim, dort stets nur als Metöke, nicht als Genosse galt. Er war fähig, ein Haus zu erwerben, wie der Ephraimit jener Erzählung in Gibea, der als »Hausvater« bezeichnet wird. Ob auch sonstigen Grundbesitz, ist nicht ersichtlich und für die Frühzeit nicht wahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich, für später aber sicher: von zwei Erzvätern, die als gerim galten, wird es berichtet. (Es fragte sich ja nur, welcher Verband: Sippe oder Ortsverband oder Stamm, darüber zu befinden hatte, und welche sonstigen Rechte mit dem Grunderwerb verknüpft waren)35. Die wohl aus der Zeit vor dem Exil stammende Norm Lev. 25, 35 verfügt, daß ein »verarmter« d.h. grundbesitzlos gewordener Israelit als ger gehalten werden solle: darnach war jedenfalls – und ganz begreiflicherweise – Grundbesitzlosigkeit eines der normalen Merkmale des ger. wenn es auch vielleicht nicht universell galt. Welches aber auch seine Stellung in dieser Hinsicht war, ein Beisasse, der nicht nur unter dem privaten Schutz eines Einzelnen und dem religiösen des Gastrechts steht, sondern dessen Rechtslage von dem politischen Verband als solchem geregelt und geschützt wurde, war was die Quellen regelmäßig unter »ger« meinen. Dies Rechtsverhältnis wird bezeichnet mit dem Ausdruck »ger ascher bisch'arecha« der alten Rechtssammlungen: »der Metöke in deinen Toren«, d.h. der zum Rechtssprengel der Stadt als solcher gehörige, zu ihr in einem geregelten Schutzverhältnis stehende Metöke36. Weder also steht er nur in einem bloßen individuellen vorübergehenden Gastschutzverhältnis, wie es auch der nokri genießen kann, noch auch andererseits in einem persönlichen dauernden Klientelverhältnis zu einem einzelnen Herrn. Er scheint den Quellen als gerichtsstandsfähig zu gelten, denn vor seiner Bedrückung wird gewarnt: vielleicht bedurfte er eines Gerichtspatrons. Die nachdrückliche Vorschrift des heiligen Rechts, daß für den Israeliten und den ger das gleiche Recht in allem zu gelten habe, macht den Eindruck einer Neuerung: die konfessionelle[39] Assimilation der gerim war im Gange, ja einige ihrer Kategorien gehörten, wie wir sehen werden, zu den Hauptträgern des Jahwismus. Ursprünglich konnten aber in der Rechtsstellung eines ger in diesem Sinn sich genau ebensogut Nichtisraeliten befinden wie Israeliten aus einem anderen Stamme. Das erstere war die Regel: Für den ger galten die rituellen Vorschriften der vollfreien Israeliten ursprünglich nicht. Diese umfaßten zwar den ganzen Hausstand, aber auch ausschließlich diesen durch Hausgemeinschaft und häusliches Kultmahl verbundenen Personenkreis. Nur die Sabbatruhe galt in der Zeit der ältesten vorliegenden Redaktion der Rechtsbücher auch für den ger, vermutlich zur Verhütung der Konkurrenz ihrer Arbeit gegen die des Israeliten37. Nicht aber, nach dem älteren Recht, die Beschneidung – die für ihn fakultativ war (Ex. 12, 48) –, welcher dagegen zur Zeit dieser Satzung bereits jeder Sklave unterzogen werden sollte. Deshalb konnte der Sklave am Passahmahl teilnehmen. Dieser Zustand muß sich freilich schon lange vor dem Exil erheblich geändert haben. Denn wenn die Priestergesetzgebung (Lev. 17, 10; Num. 9, 14; 15, 15. 16) den Grundsatz aufstellte, daß für Israeliten und Metöken in allem das gleiche Recht und die gleichen Ritualpflichten gelten sollten, so war dies zweifellos die Folge davon, daß inzwischen zahlreiche beschnittene und rituell korrekt lebende gerim entstanden waren, und wir werden sehen, daß und wodurch dies geschah. Der Sklave scheint dagegen nach vordeuteronomischem Recht nicht der Sabbatruhepflicht unterlegen zu haben (2. Kön. 4, 22: die Erzählung stammt aus den Prophetenlegenden der Zeit der Jehu-Dynastie).

Die rechtlichen und sittlichen Gebote der heiligen Schriften sprechen nun von dem ger regelmäßig wie von einem isolierten Individuum. Das entspricht aber, wie die Tradition erkennen läßt, nicht einmal den Verhältnissen des vollentwickelten Stadtstaates und keinesfalls denen der Frühzeit. Hier sind die als gerim politisch nicht zu den israelitischen Stämmen gerechneten Bevölkerungsteile ebenso wie die politisch nicht vollberechtigten Israeliten (Bauern) stets als in Verbänden organisiert gedacht. Die letzteren in Dörfern, die gerim teils in Ortsverbänden,[40] teils ohne solche in Sippen und Stämmen. Ganz ebenso bleibt ja auch die Stammesverfassung bestehen, wenn ein israelitischer Stamm sich einem fremden politischen Verband einordnen muß. Zwar, daß die Daniten im Deboralied auf phönizischen Schiffen dienen, beweist dafür nichts, da es sich hier wohl nur um individuelle Verdingung Einzelner als Lohnarbeiter handelt. Aber der Stamm Issachar wird im Jakobsegen ganz allgemein ein »Fronknecht« genannt. Die Issachariten waren also offenbar als solche einem herrschenden fremden Stadtstaat politisch unfrei angegliedert, hatten aber ihre Stammesorganisation behalten. Ebenso kennt anderseits die Tradition die kanaanäischen Gibeoniten als leiturgiepflichtige aber autonome Unterworfene Israels, kraft eines mit ihnen von den Heeresvorständen bei der Einwanderung geschlossenen Bundes. Dies Verhältnis ist wohl zu scheiden von der ständischen Lage, in welcher sich nach dem Bericht über die Neukonstituierung von Jerusalem unter Esra und Nehemia die Torhüter, Sänger und Tempeldiener (nethinim) und außerdem die »Knechte Salomos« befanden. Denn diese waren erbliche, sippenmäßig gegliederte leiturgiepflichtige Gruppen von Juden, nicht aber gerim. Die bne Korah, deren Vorvater als Rebell gegen die Priester schon in der Mosestradition eine Rolle spielt, und die bne Asaph, beide Träger von Psalmenkunst, waren derartige Sängersippen, die einmal gerim gewesen, jetzt aber Volljuden geworden waren. Anders die altisraelitischen gerim. Im Gegensatz zu den nach Geschlecht und Stamm bezeichneten vollfrei israelitischen charismatischen Künstlern des Stiftshüttenberichts einerseits und dem ohne Sippenbezeichnung genannten fremdbürtigen Königshandwerker des Tempelbauberichts andereiseits galten, wie wir sahen, der Genesis die Eisenarbeiter und Musiker als den Israelitenstammfremde Sippen mit einem Eponymos. Ebenso galten von den vermutlich leiturgischen Königshandwerkern jedenfalls die Byssosweber38 und Töpfer39, wohl auch die Zimmerleute40 als gerim.[41] Als solche galten auch die bald zu besprechenden Hirten, die im Stammbaum (Gen. 4, 20) neben den Eisenarbeitern und Musikern als Nachfahren Kains aufgezählt werden: Kain, der soeben noch in der Brudermordslegende (Gen. 4, 2) im Gegensatz zu dem Hirten Abel als Bauer, dann, nach der Verfluchung, als Beduine behandelt wird (4, 12), ist in diesem Stammbaum offensichtlich ganz allgemein der Vater aller typischen Gaststämme innerhalb Israels, sein Bruder Seth aber der Stammvater des seßhaften weinbauenden Israel, welches Noah vertritt. In der noachischen Dreiteilung der Stämme gilt Kanaan als ein unfreier Stamm, der einerseits dem Sem, dem Stammvater der kontinentalen Herrenvölker einschließlich der Hebräer, andererseits dem Japhet, dem Stammvater der nördlichen und westlichen Küsten-und Inselvölker fronpflichtig ist. Japhet seinerseits aber »wohnt in den Hütten Sems«, ist also zweifellos als freier Metöke und vermutlich als Kaufmann gedacht. Die Sage wird in einer Zeit scharfer Gegensätze gegen die Reste der Kanaanäer und freundlicher Beziehungen zu den Phönikern entstanden sein. Eine allgemeine Zinspflicht sämtlicher noch im Lande sitzenden Kanaanäer führt die Tradition (1. Kön. 9, 20) auf Salomo zurück41. Es scheint danach verschiedene Arten von gerim gegeben zu haben; freie und fronpflichtige, über deren Rechtsstellung im einzelnen nichts auszusagen ist42. Wie auch immer aber die tatsächlichen Verhältnisse gewesen sein mögen, deren Ausdruck oder Reminiszenz alle diese Konstruktionen der Tradition waren, so bleibt jedenfalls sicher: daß die gerim nicht zu den, sei es als gibborim sei es als 'am hamilchama, heerbannpflichtigen bne Jisraël gerechnet und daß sie vorgestellt[42] wurden als stammfremd und als organisiert, teils als bodensässige Klientelstämme, teils aber als nicht bodensässige Gaststämme und Gastsippen. Ursprünglich waren sie rituell von den Israeliten geschieden und dadurch wenigstens von einem ebenbürtigen connubium ausgeschlossen, wie die Erzählung von Sichem und Dina lehrt. – Die Erscheinung rituell geschiedener Gaststämme kennen wir ja eingehend aus Indien. Diesem Typus des eigener Bodenständigkeit entbehrenden Gaststamms fügen sich nun auch die beiden für uns wichtigsten und am besten in der Ueberlieferung erkennbaren Beispiele von gerim: die Kleinvieh züchtenden Hirten und die levitischen Priester. Beide teilen miteinander in der Tradition die Eigentümlichkeit, am Grundbesitz des politisch vollberechtigten Wehrverbandes nicht beteiligt zu sein. Beide hatten aber wie alle gerim ein festes Rechtsverhältnis zu der ansässigen Bevölkerung. Beiden waren in den Stammesgebieten Israels keine Ackerländereien, wohl aber Wohngrundstücke – meist zwar: vor den Toren – und Weiderechte für ihr Vieh angewiesen. Aus religionsgeschichtlichen Gründen werden wir gerade diese beiden Kategorien noch näher betrachten müssen. Die Hirten, weil die Tradition ihnen die »Erzväter« zu weist und weil sie für die Prägung der prophetischen Jahwereligion eine beträchtliche historische Rolle gespielt haben. Die Leviten aber als Träger des Jahwekults. –

Ueber welches Gebiet die oben geschilderte städtische Organisation sich jeweils erstreckte, hing von der politischen Machtlage und zwar insbesondere davon ab, in welchen Gebieten die Beduinen im Zaun gehalten werden konnten. Daher war sie in der römischen Kaiserzeit tief in die Wüstengebiete vorgedrungen, um durch die islamische Invasion wenigstens im Ostjordanland, welches, im Gegensatz zum Westgebiet, von den bedu okkupiert wurde, wieder vernichtet zu werden. Der Ansturm der Beduinen gegen die städtisch organisierten Gemeinschaften durchzieht die ganze palästinische Geschichte. In den Amarnabriefen erscheinen die mit dem Ideogramm Sa Gaz, dessen Aussprache bisher nicht ermittelt ist, bezeichneten Krieger teils, und in der Regel, als Feinde, mit denen die ägyptischen Vasallen und Statthalter zu kämpfen haben, teils aber auch als Reisläufer im Dienst von Vasallen43. Die Korrespondenz Hammurapis kennt die Sa Gaz als Nomaden an der Westgrenze[43] Mesopotamiens, wo sie unter einem königlichen Vogt stehen. Die in Syrien und Nordpalästina einbrechenden Sa Gaz verbrennen die eroberten Städte44. Oder aber sie veranlassen die ansässige Bevölkerung dazu, den ägyptischen Vasallen zu erschlagen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen und »wie Sa Gaz zu sein«45. Oder sie erobern die Städte, ohne sie zu zerstören, setzen sich also offenbar als Fronherrn des platten Landes an die Stelle der bisherigen ägyptischen Vasallen und Parteigänger. Fraglich bleibt nun aber in all diesen Fällen: ob diese Sa Gaz46 wirklich Beduinen, also Kamelzüchter aus dem Wüstengebiet waren oder vielleicht etwas ganz anderes.

Zwischen der bodenständigen Bevölkerung, also dem Stadtpatriziat und den seßhaften, teils freien, teils fron- oder zinsoder pachtpflichtigen Bauern, welche Korn, Früchte und Wein ziehen und Rinder halten, einerseits und andererseits den freien kamelzüchtenden Beduinen in der Mitte steht nämlich noch eine für alle Länder der Mittelmeergebiete bis in die Neuzeit charakteristische Schicht: Die halbnomadischen Kleinvieh- d.h. Schaf- und Ziegenzüchter47. Die Lebensform dieser Schicht ist im Mittelmeergebiet überall bestimmt durch die Notwendigkeit und, für Kleinvieh im Gegensatz zu Rindern, auch leichte Ausführbarkeit des Weidewechsels auf weite Entfernungen hin: über die Abruzzen hinweg nach Apulien, oder quer durch halb Spanien, und ähnlich weit in Nordafrika und dem Balkan. Diese in Spanien sogenannte »Transhumanz«48 bedingt zweierlei: Einmal gemeinsame periodische Wanderung und daher, im Gegensatz zu dem formlosen Zusammenschluß der Beduinen, eine nach innen etwas fester geregelte Gemeinschaft. Dann aber, nach außen, eine fest geregelte Beziehung zu den Grundbesitzern der betroffenen Gebiete. Sowohl die Stoppel- und Brachweiderechte wie die Wanderungswege müssen fest vereinbart sein, wenn nicht die ohnehin oft gewaltsamen Beziehungen zu dauernden Fehden führen sollen. Denn überall[44] haben diese Hirten die Neigung, die ihnen zustehenden Wege- und Weiderechte zu überschreiten, ihre Herden vorzeitig in die Felder einbrechen oder die an den Wanderstraßen liegenden Aecker verwüsten zu lassen, wie dies Jeremia (12, 10) von seinem Weinberg und Acker erzählt49. Das Bestehen und die erhebliche Bedeutung dieses Wanderhirtentums ist für alle Epochen Palästinas historisch sicher. Heute findet es sich auch bei Kamelzüchtern, die aus dem Ostjordanland ihre Herden auf Stoppel und Brache in Galiläa treiben. Das war aber nicht das Typische. Die klassischen Repräsentanten der Kleinviehzüchter in der früheren palästinischen Antike waren die Rechabiten, eine Genossenschaft, welche fast durch das ganze Land nordsüdlich gewandert sein muß. Denn sie waren Keniter, und dieser Stamm grenzte einerseits an die Amalekiter der südlichen Wüste, mit denen er gelegentlich verbündet war, andererseits findet man ihn, im Deboralied, im Norden. Das eigentliche Weidegebiet der Rechabiten lag zu Jeremias Zeit offenbar im judäischen Gebirge, von wo sie bei Kriegsgefahr ihre Herden in den Mauerring von Jerusalem brachten. 21/2 Jahrhunderte vorher, bei der Revolution Jehus im Nordreich, wirkten sie dort entscheidend mit. Sie waren Kleinviehzüchter. Wie die Beduinen verschmähten sie Häuser und feste Siedelung, verpönten den festen Ackerbau und tranken keinen Wein (Jer. 35). Dies galt ihnen als durch den Stifter des Verbandes, den Jahwepropheten Jonadab ben Rechab, auferlegtes göttliches Gebot. Aehnlich weit wie sie wanderten andere Kleinviehzüchterverbände. Der alte, später verschollene Stamm Simeon hatte nach der Tradition einerseits kontraktliche Verhandlungen über Weiderechte im Gebiet von Sichem angeknüpft, andererseits galten in der Tradition südliche Teile der Wüste Juda als sein Sitz. Neben dem reinen Typus, wie ihn die Rechabiten darstellten, gab es natürlich zahlreiche Uebergangsformen. Irgendwelchen nach Maß und Stätte mehr oder minder unsteten Ackerbau für den Eigenbedarf pflegen auch Wanderhirten oft zu treiben50. Der Uebergang zu den seßhaften Bauern war daher flüssig. Nur konnte bei ihnen die Bodenappropriation, da das Land in erster Linie Weidegebiet war, keine vollständige sein und der Schwerpunkt ihres Besitzes[45] lag im Viehstand. Die langsamere Beweglichkeit des Kleinviehs hemmte ihre Bewegungsfreiheit im Vergleich mit den Beduinen, deren Räubereien sie daher ausgesetzt waren. Gegen diese waren sie also die naturgemäßen Bundesgenossen der verstärkt in gleicher Lage befindlichen ansässigen Bauern: es bestand »ewige Feindschaft zwischen Jahwe und Amalek«. Kain, der tätowierte Beduine, gilt, dem Hirten Abel gegenüber, als verflucht zur ewigen Unrast. Aber daneben finden sich gelegentlich auch Bündnisse von Viehzüchtern (den Kenitern) mit Beduinen und wurde die Verwandtschaft mit den Edomitern stark empfunden. Naturgemäß war der Uebergang vom Beduinentum zur halbnomadischen Viehzüchterei besonders flüssig, und Kombinationen der verschiedenen Arten von Vieh kamen vor, bei den Erzvätern sowohl wie z.B. bei Hiob, der als Besitzer von Schafen, Eseln, Rindern und Kamelen, als haussässig und weintrinkend vorgestellt wird. Die Abkommen des Kain, der zunächst als Wüstenbeduine gilt, die Keniter51, sind in historischer Zeit ein als ganz besonders gottesfürchtig geltender Viehzüchterstamm, wie die Genealogie der Genesis zum Ausdruck bringt. Die Midianiter haben in der Zeit Gideons offenbar nicht nur Kamele als Vieh. Ebenso sicher die Edomiter und zweifellos auch schon jener Schech, bei welchem der flüchtige Aegypter Sinuhe in der Zeit des Sesostris gastliche Aufnahme fand. – Aehnlich flüssig war die Grenze nach der andern Seite.

Die Beziehungen der Kleinviehzüchter zu der ackerbauenden ländlichen und ebenso zu der stadtsässigen Bevölkerung beruhten normalerweise auf kontraktlich festgestellten Weide- und Wegerechten: sie waren gerim. Diese Beziehungen konnten sehr leicht zu einer vollen Einbürgerung ihrer ökonomisch leistungsfähigsten Sippen in die Städte führen, sei es durch Vertrag, sei es nach gewaltsamen Konflikten. Die Daniten hatten nach der Tradition lange kein festes Gebiet in Israel (Jud. 18, 1), d.h. sie waren Wanderhirten auf judäischem Gebiet, bis sie sich der Stadt Lajisch auf bis dahin sidonischem Gebiet bemächtigten.

Die Wanderhirten unterlagen nun aber ganz allgemein bestimmten Entwicklungstendenzen. Epochen des Friedens, zunehmender Bevölkerung und Besitzanhäufung bedeuteten[46] stets: Einschränkung der Weidereviere zugunsten zunehmender Benutzung als Ackerland und nötigten damit zu steigender Intensität der Ausnutzung der verbleibenden Weidereviere selbst. Beides führte in aller Regel zu steigender Bindung der Hirten an festere und kleinere Weidebezirke und dadurch wieder unvermeidlich zu einer Verkleinerung ihrer sozialen Einheiten. Diese waren dementsprechend labil. Die normale soziale Organisation der Kleinviehzüchter ähnelte derjenigen der Beduinen: die Großfamilie als Wirtschaftsgemeinschaft, die Sippe als Garantin der persönlichen Sicherheit durch Blutrachepflicht, der Stamm, ein Verband von Sippen, als Träger der militärischen Sicherung der Weidereviere. Diese Verbände waren, infolge jener Umstände, beiden Kleinviehzüchtern nicht notwendig dauerhafter als bei den Beduinen. Grade bei jenen scheint die Stammesbildung besonders oft nur durch charismatische Führer geschaffen zu sein: so wahrscheinlich der später verschwundene Stamm Machir, ebenso vielleicht Manasse und doch wohl auch der Stamm der »bne Jemini«, alles Stämme, die vom Gebirge Ephraim aus sich in die Bergweidegebiete nach Osten und Süden vorschoben. Es fehlt diesen Häuptlingen aber normalerweise an einer stabilen Machtgrundlage. Ein Stamm, der aus reinen Kleinviehzüchtern zusammengesetzt ist, ist daher durch die Natur der Lebensbedingungen eher stärkeren Chancen des Zerfalls ausgesetzt als eine Beduinengemeinschaft es wenigstens in dem Fall ist, daß sie entweder in der Beherrschung von Oasen oder von Karawanenstraßen einen Rückhalt für die ökonomische Stabilität ihres Stammesfürstentums findet. Ein Beispiel für die Labilität und den rein charismatischen Charakter des Kriegsfürstentums bei reinen Viehzüchterstämmen ist die Vorstellung der Tradition von der Stellung Jephthas, eines ostjordanischen Kriegshelden, dem von den Aeltesten des Stammes Gilead anfänglich nur die Würde eines »kazir«, eines Kriegsführers, dem germanischen »Herzog« entsprechend, für die Dauer des Befreiungskrieges gegen die Ammoniter angeboten wird (Jud. 11, 6). Er lehnt das ab und das Heer (ha'am, die Mannen) überträgt ihm nun auf Antrag der Aeltesten die lebenslängliche, aber nicht erbliche, Würde eines »rosch« (Häuptlings, Fürsten, Obersten, Jud. 11, 11). Eben dahin gehören die zahlreichen ephemeren Richter (schofetim) der israelitischen Frühzeit, teils nur charismatische Kriegsführer, teils vielleicht auch mit dem Charisma richterlicher Weisheit[47] begnadet. Ihre Macht blieb rein persönlich. Der ostjordanische Held Jerubbaal-Gideon, welcher mit einer rein freiwilligen Gefolgschaft in den Midianiterkrieg zieht, lehnt nach der Tradition die ihm von »Einigen in Israel« angebotene erbliche Herrschaft ab (Jud. 8, 23) und begnügt sich mit seinem Beuteanteil, aus dem er eine religiöse Stiftung macht (welche, ist anzunehmen, ihm und seinen Nachfahren Erträgnisse von Wallfahrten abwerfen sollte). Dauerhafte politische Bildungen fanden sich meist gerade auf den Zwischengebieten zwischen dem eigentlichen Wüstenbeduinentum und den palästinischen Bergweiden im Osten und Süden. So das Königtum der Moabiter in Ahabs Zeiten, welches Inschriften hinterlassen hat, ebenso das der Ammoniter schon in der Jephthazeit, namentlich aber das in steten Beziehungen zu Juda stehende, durch eine Reihe von zehn aufeinander folgenden Herrschern vertretene Königtum der Edomiter vor der Unterwerfung durch David. Daß diese edomitischen Könige offenbar nicht erblich aufeinander folgen, scheint den rein persönlich charismatischen Charakter ihrer Herrscherstellung anzudeuten. Bei Kleinviehzüchtern waren dagegen rein politische Bildungen sehr labil. Bedrohung durch Beduinen oder umgekehrt die Chance kriegerischer Erweiterung der Weidereviere führten zu festerem Zusammenschluß im größeren Verband unter einem Kriegshäuptling. Umgekehrt bedeutete in friedlichen Zeiten die vorhin bezeichnete Entwicklungstendenz: Abspaltung einzelner Sippen und Zerfall der Stämme. Schon im Bericht über die Deboraschlacht finden wir den Mann der Heldin Jael, einen Keniter, als einen Viehzüchter erwähnt, der sich von seinem Stamm gesondert und kraft Freundschaftsvertrags seine Zelte als ger auf dem Gebiete eines kanaanäischen Stadtkönigs aufgeschlagen hat52. Die alten Stämme Simeon und Levi sind schon zur Zeit der Zusammenstellung des Jakobsegens »zerteilt und zerstreut«, im noch späteren Mosessegen (Deut. 33) wird Simeon gar nicht mehr und Levi nur noch als eine Berufspriesterschaft erwähnt. Einzelne simeonitische Geschlechter kennt die nachexilische Chronistik (1. Chron. 5, 41. 42) als unter den Edomitern in Seir ansässig, der Rest hat »seinen Anteil in Juda« empfangen, d.h. ist in diesem Stamm aufgegangen. Der Stamm Ruben, einst der Hegemon des Bundes, ist im[48] Jakobsegen seiner Macht entkleidet, im Mosessegen wird darum gebetet, daß er nicht ganz verschwinde, später ist er verschollen. Vom Josephstamm spalten sich Viehzüchtersippen ab: im Deboralied steht ein nachher verschollener Stamm Machir, später ein in sich wiederum geteilter Stamm Manasse neben Ephraim. Die Vernichtung der Stämme Simeon und Levi wird mit einem Verrat und gewaltsamen Konflikt gegen die Sichemiten in Zusammenhang gebracht. In der Tat kann ein kriegerischer Verlust des Viehbesitzes, ebenso aber auch dessen Dezimierung durch Viehseuchen einen reinen Viehzüchterstamm plötzlich zur Auflösung oder Verknechtung bei den besitzenden Nachbarn bringen. Aber schon die bloße Tatsache des Drucks der zunehmenden Seßhaftigkeit gegen die Weidereviere wirkte ebendahin. Der allmähliche Uebergang vom Halbbeduinentum zur Kleinviehzucht, dann zur Seßhaftigkeit und weiter zur Stadtsässigkeit unter der Wirkung dieses Drucks spiegelt sich sowohl in den Sagen wie in der historischen Tradition. Abraham hält in der Sage außer Schafen auch Kamele und trinkt keinen Wein, sondern bewirtet die drei Männer der göttlichen Epiphanie mit Milch. Er wandert als kontraktlich weideberechtigter ger zwischen verschiedenen Orten und erst am Ende seines Lebens läßt ihn die Sage in Hebron nach langer Verhandlung ein Erbbegräbnis erwerben (Gen. 23, 16). Isaak zeltet kraft Kontrakts auf dem Gebiet von Gerar und gräbt dort Brunnen, muß aber wiederholt seinen Sitz wechseln. Jakob gilt zwar, im Gegensatz zu dem Bauern Esau, wesentlich als in Zelten wohnender Viehzüchter, wird aber als ger in Sichem seßhaft und kauft Land (Gen. 33, 19). Am Schluß seines Lebens gilt es als List, daß er sich beim Pharao als reinen Kleinviehzüchter einführt, um so als rituell gemiedener ger ohne Vermischung mit den Aegyptern leben zu können. Er betreibt Ackerbau und bedarf Getreide zur Nahrung. Allen Erzvätern wird Rinderbesitz zugeschrieben. Joseph vollends reguliert als Wesir Aegyptens die dortige Grundsteuer.

In der politischen Organisation und auch militärisch bedeuten diese Verschiebungen tiefgreifende Wandlungen.

In der historischen Tradition finden sich für die einzelnen israelitischen Stämme alle Uebergänge, vom Halbbeduinentum zur halbnomadischen Kleinviehzucht und von beiden durch das Mittelstadium des Gelegenheits-Ackerbaus (Gen. 26, 12[49] bei Isaak) sowohl zur Ansässigkeit als städtische Herrensippen, wie zum seßhaften Ackerbau sowohl als freie wie als fronpflichtige Bauern53 Abgeschlossen tritt dann die weitgehende universelle Wandlung zur Stadtsässigkeit hervor in der politischen Geographie Palästinas, wie sie im Buche Josua gegeben wird. Wie Josua selbst hier mit einer Stadt als Lehen für seine Dienste entgolten wird (Jos. 19, 50), so werden alle Stämme, selbst[50] Juda, als Inhaber von Städten mit Dörfern als Dependenzen behandelt (cf. Jos. Kap. 15), in deren Bezirke das ganze Land eingeteilt erscheint. Selbst für die Zeit, der diese Stelle vermutlich entstammt, traf dies wohl nur theoretisch zu. Denn die judäischen Südstämme sind politisch noch in historischer Zeit nach Art der Beduinen vornehmlich sippenmäßig, die Nordstämme dagegen außerdem (und für die Verwaltung offenbar: vor allem) nach Art der mesopotamischen Staaten in Tausendschaften und Fünfzigerschaften gegliedert. Die Tausendschaftskontingente, als die Aufgebots-Einheiten, konnten an sich natürlich auch auf die Viehzüchterstämme übertragen werden. Man konnte einen einzelnen Stamm oder Stammesteil einer oder mehreren Tausendschaften gleichsetzen und ihm selbst die Art des Aufgebots überlassen. Dies erfolgte dann wohl in verschiedener Art. Das Deboralied bezeichnet die Führer der Stammeskontingente mit sehr verschiedenen Ausdrücken, die doch wohl auf sehr verschiedene militärische Struktur schließen lassen. Die Königsherrschaft wird naturgemäß nach Einheitlichkeit gestrebt haben. Wie »Fünfzigern« später der allgemeine technische Ausdruck für Ausheben und Aufbieten wurde, so werden in der Tradition die Obersten der Tausendschaften und Fünfzigerschaften ganz allgemein als Leute angesehen, die auch im Frieden in ihren Aushebungsdistrikten Jurisdiktion haben. Dies ist indessen zweifellos erst Produkt der Königszeit und galt wohl selbst damals nicht allgemein und dauernd. Bei den viehzüchtenden, gentilizisch gegliederten Ostjordanstämmen, und ebenso beim Stamm Juda bestanden vermutlich andere Verhältnisse: als Friedensbeamte wenigstens kennen sie, scheint es, jene Offiziere nicht, sondern nur ihre Aeltesten.

Der nach Fünfziger- und Tausendschaften gegliederte Bundesheerbann ist überhaupt nicht die einzige und jedenfalls nicht die älteste Art der Militärorganisation, welche die Quellen kennen. Zwei andere Arten finden sich. Für den zwischen den Nordstämmen und Juda sitzenden Stamm Benjamin läßt der Bericht (Jud. 21, 21f.) über die Vorgänge nach dem Kampf wegen des Gibeafrevels, – eine ätiologische Sage für die bei den Benjaminiten offenbar bekannt gewesene Raubehe, – es recht wahrscheinlich erscheinen, daß dieser Räuberstamm ursprünglich eine straffe familienlose Organisation der Jungmannschaft nach Art des »Männerhauses« besessen hat: vermutlich eben hierauf wird seine trotz[51] des kleinen Gebiets zeitweise große Machtstellung beruht haben. Andererseits wurde bereits erwähnt, daß die eigentlichen Viehzüchterstämme in der Regel die gleiche Stellung zum Kriege eingenommen haben, welche sich bei den Beduinen typisch findet: absolute Freiwilligkeit der Teilnahme, also reiner Charismatismus. Diesen behandelt nun das Deuteronomium als die eigentlich klassische Art. Die Tradition läßt Gideon sein Aufgebot zweimal sichten: zunächst darf nach Hause gehen, wer feige ist. Dann aber wird auch noch jeder ausgeschieden, der an einer Furth in seinem Durst die Heldenwürde vergessen und wie ein Hund das Wasser geleckt hat (Jud. 7, 554. Ersteres ist ein Paradigma für die, dem später zu erörternden tendenziösen »nomadischen Ideal« entsprechende, Konstruktion des Deuteronomiums (Kapitel 20), wonach nicht nur die Jungverheirateten und diejenigen, welche einen Hof oder ein Feld oder einen Weinberg neu angelegt haben, sondern jeder der sich fürchtet, daheim bleiben soll: denn – das ist die theologische Begründung – das Vertrauen auf Jahwe allein genügt für den Sieg. Beim Aufgebot des Judas Makkabäus findet sich das Paradigma wiederholt. Daß diese Vorschriften, wie Schwally angenommen hat, nicht theologischer Konstruktion, sondern alten magischen Vorstellungen entstammten, scheint nicht sicher. Dagegen werden wir später in der freiwilligen »Weihe« zum Glaubenskämpfer (Nasir) Formen der religiösen Heeresbildung kennen lernen, an welche diese Vorstellungen anknüpfen konnten. Aber der Ursprung lag doch wohl in Beduinengepflo genheiten.

Praktisch angesehen war ein Krieg in diesen Formen ein reiner Gefolgschaftskrieg. In der Tat hatten fast alle Kämpfe der israelitischen Richterzeit diesen Charakter. Im Grunde nur für drei Fälle: den Deborakrieg, die (wohl legendäre) Bundesexekution gegen Benjamin und den Befreiungskrieg Sauls ist in der Tradition das Gesamtaufgebot des Bundesheerbanns bestimmt überliefert. Alle diese drei Fälle gehören zum Typus des später zu besprechenden »heiligen« Krieges. Der gottgefällige König der Priestertradition ist zwar David. Aber die Art wie er seine Stellung gewinnt und seine ersten Kriege führt, ist in der israelitischen Geschichte das letzte, zugleich schon in eine neue Zeit hinüberführende, Beispiel des Gefolgschaftskrieges und des charismatischen Fürstentums.

[52] Den Dualismus von Bauern und Hirten zeigt auch die Tradition über die ersten Könige. Saul gilt ihr als Bauer, David als Hirt. Saul läßt sie mit dem Aufgebot des nationalen Heerbanns, David mit Freischaarenkampf die Befreiung beginnen. Gewisse Unterschiede in der Struktur der Herrschaft beider sind trotz des tendenziösen Charakters der jetzigen Tradition wohl noch erkennbar. Saul hatte als Grundlage seiner Macht die eigene Sippe und die Kriegsmannschaft des Stammes Benjamin hinter sich. Mit Benjaminiten besetzte er die wichtigsten Aemter. Immerhin finden sich unter seinen Kriegern fremdstämmige Helden als persönliche Gefolgsleute. David stützte sich (1. Sam. 22, 1ff.) zunächst auf rein persönliche Gefolgschaft und diese setzte sich nach der Tradition zusammen: 1. aus seiner Sippe, 2. aus »Bedrängten« und zwar vor allem aus Schuldsklaven, katilinarischen Existenzen also, und 3. aus geworbenen kretischen und philistäischen Söldnern (Krethi und Plethi 1. Sam. 30, 5 und öfter). Neben diesen Elementen tritt nun aber bei David weit stärker als schon bei Saul und den Sauliden hervor: 4. die Gefolgschaft seiner eigentlichen persönlichen Genossen, jener Kreis von Paladinen und Rittern, welche die Königstradition im einzelnen bei Namen kennt und deren Taten sie aufzählt. Es sind das zunächst Angehörige judäischer, z.T. sehr mächtiger Sippen (Joab). Neben diese traten, durch Uebertritt von Paladinen Sauls (Abner) auch nichtjudäische und ferner auch eine Anzahl nichtisraelitischer Ritter: eine stattliche Zahl rein persönlicher »Hetairoi«. Der Stamm Juda als solcher, zur Zeit von Davids Abfall von den Philistern noch diesen Untertan, stellte sich erst später geschlossen hinter David. Der Anschluß des Nordlandes an David aber erfolgte erst nach Ausrottung der Sippe Sauls, und zwar kraft eines besonderen Vertrages (berith) zwischen ihm und den Aeltesten der Stämme. Ein Vertrag, ein Bund also, begründete hier, und zwar erstmalig, die nationale Einheit aller späteren zwölf Stämme Israels unter einem Nationalkönig. Erst durch einen solchen Vertrag also, das ist der Standpunkt der Tradition, wird ein charismatischer Heerführer zum legitimen, nunmehr zum Heerbannaufgebot berechtigten Monarchen: Fürstengefolgschaft und fürstliche Soldtruppen stehen gegenüber dem legitimen Volksheer des durch berith eingesetzten Königs. Dies inmitten der judäischen Viehzüchter zunächst mit Hilfe[53] einer persönlichen Gefolgschaft und der Macht der großen judäischen Sippen begründete, davididische Königtum wurde nun aber von Anfang an seit der Einnahme Jerusalems zum Stadt königtum. Nachdem in den Revolten unter den Sauliden, dann unter Absalon, Adonia, Jerobeam der alte Gegensatz der Bauernstämme gegen die Stadtherrschaft sich erhoben und schließlich das Reich gesprengt hatte, verfiel das Nordreich mit der Gründung von Schomrom (Samaria) unter den Omriden ganz dem gleichen Schicksal, an dem die Revolte Jehus im Erfolg nichts änderte. Das Südreich aber war seit dem Abfall der Nordstämme schon fast ebenso identisch mit dem Weichbild von Jerusalem wie die theokratische Polis nach dem Exil.

Diese politische Entwicklung war es hauptsächlich, welche neben der mindestens relativ sehr starken Verminderung der Zahl der halbnomadischen Kleinviehzüchter auch den Zerfall ihrer Stämme durch Verkleinerung der Weidereviere herbeiführte. Die für uns wichtigste Folge war dabei die Entmilitarisierung der Hirten. Ihre zersplitterten Sippen waren nunmehr sowohl gegenüber den seßhaften Bauern wie, erst recht, gegenüber dem wehrhaften Stadtpatriziat die schwächeren und nur geduldeten. Den Abraham betrachtet die uns vorliegende Form als politisch rechtlosen Metöken der Hethiter in Hebron und anderer Städte, in deren Gebiet er weilt, in Salem als Zehntpflichtigen des dortigen Priesterkönigs. Jakob wohnt nach seinem Ankauf in Sichem, wie alle gerim, vor den Toren der Stadt (Gen. 33, 18). Zur Zeit dieser Redaktion war sicherlich die Mehrzahl der noch vorhandenen Kleinviehzüchter auch tatsächlich in dieser Lage. Dennoch gelten der Tradition die Erzväter, ebenso wie später Hiob, als schwer reiche Männer. Höchstwahrscheinlich traf aber auch dies für die Viehzüchter der späteren Zeit im allgemeinen nicht mehr zu. Denn für Wanderviehzüchter besteht im allgemeinen die Chance zu verarmen, und jedenfalls die Rechabiten sind dem Jeremia keine Großherdenbesitzer, sondern kleine Leute, ebenso wie der Judäer Amos von Thekoa es war, der von Sykomorenfrüchten und seinem Vieh lebte. Im ganzen Mittelmeerbecken war dies überall ähnlich, mit Ausnahme vereinzelter und dann freilich unter Umständen sehr großer Herdenmagnaten.

Diese Tatsachen sind zunächst vielleicht wichtig für die Frage, an welche ökonomischen Kategorien die Rechtsquellen,[54] Propheten und Psalmisten denken, wenn sie von den »Armen« (ebjonim) sprechen, wie dies so außerordentlich oft geschieht. Erst in nachexilischer Zeit kann darunter ein städtischer Demos: Kleinhändler, Handwerker, freie Kontraktarbeiter verstanden (oder doch: mitverstanden) sein. In vorexilischer Zeit gehören dahin offensichtlich vor allem die vom Patriziat bewucherten Bauern des platten Landes. Aber außer ihnen, vielleicht stärker als dies in den Quellen hervortritt, auch Kleinviehzüchter. Es wäre nun an sich nicht unmöglich, daß eine Anzahl von sozialethischen Vorschriften im Interesse der Armen, welche namentlich in spätjüdischer Zeit, in der rabbinischen Kasuistik, umfangreich abgehandelt werden, mit dieser Situation ursprünglich zusammenhingen. Einmal das Nachleserecht und das später sogen. Recht der »Armenecke«. Die israelitische Karität schreibt vor, die Nachlese der Stoppeln auf dem Acker zu unterlassen und diesen nicht bis auf die letzte Aehre abzuernten, sondern für die Bedürftigen etwas stehen zu lassen. In der älteren Fassung, welche das Deuteronomium (24, 19) bewahrt, sollen vergessene Garben nicht nachträglich geholt, sondern den gerim, Witwen und Waisen gelassen werden. Die jüngere Fassung (Lev. 19, 9f.) ritualisiert in der für die priesterliche Redaktion typischen Art dies dahin: daß Aecker und Weinberge absichtlich nicht voll abgelesen und daß an den Enden für gerim und Arme etwas stehenbleiben solle. Die ältere Fassung der Vorschrift ist superstitiöser Herkunft: die numina des Ackerbodens verlangen ihren Anteil an dessen Früchten und daher gehört, was liegen blieb, ihnen. Aber die offenbar spätere Wendung zugunsten der »Armen« läßt fragen, was unter diesen ursprünglich verstanden war. An dem locus classicus für die Praxis, im Buch Ruth, ist es eine von einem Israeliten geheiratete, dann verwitwete Stammfremde, der die Stoppellese zugute kommt. Sie tat, das war wohl der ursprüngliche Sinn, unerkannt Arbeit auf dem Acker des mit ihr verschwägerten gibbor Boas. Also scheinen die Kolonen und Landarbeiter des Patriziats in erster Linie gemeint gewesen zu sein55. Es ist aber wenigstens denkbar, daß auch das typische Verbrüderungsverhältnis[55] mit den als Metöken auf die Stoppelweide und Nachlese angewiesenen grundbesitzlosen Kleinviehzüchtern der typische praktische Anwendungsfall der Vorschrift gewesen sei, wie sie auch in Arabien, wo sie noch jetzt weit verbreitet ist, den grundbesitzlosen Klassen zugute kommt. Und die Frage muß wenigstens aufgeworfen werden, ob irgendwelche Zusammenhänge mit solchen Kleinviehzüchterrechten auch für eine vielbesprochene, spezifisch israelitische sozialethische Vorschrift: das religiöse Brachjahr (»Sabbatjahr«) für den palästinischen Boden bestehen könnten. In der jetzigen Fassung der Bestimmung besagt diese, daß alle sieben Jahre Aecker, Baumpflanzungen und Weinberge völlig unbestellt gelassen werden, die freiwachsenden Früchte den Armen und eventuell den wilden Tieren zugute kommen sollen. In dieser schroffen Form findet sich die Vorschrift in der im allgemeinen ältesten Rechts- und Sittengesetzsammlung, dem sogen. Bundesbuch (Ex. 23, 10. 11). Die Vorschrift ist, was wohl zu beachten ist, keine Rechtsinstitution und steht auch rein äußerlich nicht in demjenigen Teil der Sammlung, welcher in leidlicher systematischer Ordnung präzise juristisch angegebene Tatbestände regelt, sondern unter den offensichtlich der religiösen Paränese entstammenden Bestimmungen. Sie ist eine sittliche Vorschrift, kein rechtliches Gebot. Als Institution hat sie aber im Spätjudentum zweifellos nicht nur theoretisch gegolten, sondern praktische Folgen gehabt, wie sowohl die zahlreichen Responsen der Rabbinen über das Verhalten gegenüber dem verbotswidrig gebauten Getreide wie auch andere Nachrichten deutlich zeigen, und sie hat noch für die gegenwärtigen zionistischen Siedelungsversuche in Palästina eine Rolle gespielt56. Die späteste Sammlung, das Priestergesetz, enthält (Lev. 25, 4-7) die Vorschrift mit ausführlichem Kommentar in der Form: daß man auf dem Land nicht arbeiten, sondern die freiwachsenden Früchte nur »Speise« sein lassen solle für den Besitzer, seinen Knecht ('ebed), Tagelöhner (sakir), Metöken (toschab) und Gäste und, wird hinzugesetzt, »für das Vieh und die Tiere seines Landes«. Der Sinn ist hier also ein etwas anderer als im Bundesbuch: die im persönlichen Schutzverhältnis[56] des Besitzers stehenden Personen sind diejenigen, denen die Bestimmung zugute kommen soll. Das würde die Deutung zulassen: daß es sich ursprünglich um ein Pacht- und Fron-Erlaßjahr zugunsten der Kolonen gehandelt habe. Damit würde die Art, wie die Schwurverpflichtung der Gemeinde der Zurückgekehrten unter Esra das siebente Jahr erwähnt, gut zusammenstimmen: »wir wollen das siebente Jahreseinkommen fallen lassen« (Neh. 10, 31). Die aus der Königszeit, zwar interpoliert, aber im ganzen doch in leidlicher Redaktion überlieferte, deuteronomische Sammlung endlich kennt – und dies ist bei dem Charakter gerade dieses Gesetzbuchs als eines Kompendiums der religiösen Ethik wichtig – das Sabbatjahr des Ackers überhaupt nicht, sondern eine ganz andere Institution: den siebenjährigen Schulderlaß. Die Wahrscheinlichkeit einer Interpolation des Sabbatjahrs im Bundesbuch aus dem Priestergesetz liegt daher überaus nahe angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer wirklichen Durchführung der dort gegebenen Bestimmungen bei den vorexilischen Ackerbauern. Wenn sie trotzdem auf alte Gepflogenheiten zurückgehen sollten, könnte entweder eine Institution aus dem intermittierenden Ackerbau der Wanderhirten, also ein Rest alter zeitlicher Grenzen der Bodenappropriation: »Feldgemeinschaft« in diesem Sinn, zugrunde gelegen haben. Oder aber irgendeine typische Bestimmung über die Art der Brachweiderechte der Wanderhirten auf dem Lande der seßhaften Sippen. – Zweifellos ist freilich die Mitwirkung theologischer Konsequenzmacherei unter Einwirkung der Schulderlaßbestimmung des Deuteronomiums und der allgemeinen Steigerung des Sabbatgedankens in der Exilszeit. Damals wahrscheinlich ist von der babylonischen Exilsgemeinde diese wie andere Institutionen des Spätjudentums ritualisiert und dann in das Bundesbuch interpoliert worden. Alles in Allem bleibt die Rolle des Wanderhirtentums für diese Vorschriften problematisch.

Wichtiger als diese sehr unsicher bleibenden Möglichkeiten einer ökonomischen Deutung solcher einzelnen sozialethischen Institutionen ist aber für unseren Zusammenhang die allgemeine Auffassung, welche die volkstümliche Tradition der Königszeit von der Lage der Kleinviehzüchter hatte und welche in ihrer Auffassung der Erzväter zum Ausdruck kommt. Diese Auffassung ist ihrerseits eine Konsequenz charakteristischer Verhältnisse und ist für das Judentum folgenreich geworden.[57] Die Erzväterlegende behandelt die Patriarchen als ganz spezifisch pazifistische Erscheinungen57. Ihr Gott ist ein Gott der Friedfertigen (Gen. 13, 14f.). Sie treten als isolierte Hausväter auf. Von politischen Verbänden unter ihnen weiß sie nichts. Sie sind geduldete Metöken. Ihre Lage ist die von Hirten, welche familienweise durch friedlichen Kontrakt sich von der ansässigen Bevölkerung Weidereviere sichern und nötigenfalls, wie Abraham und Loth, friedlich unter sich verteilen. Es fehlt ihnen jeglicher Zug von persönlichem Heldentum. Eine Mischung von vertrauensvoll gottergebener Demut und Gutmütigkeit mit einer von ihrem Gott unterstützten geriebenen Verschlagenheit kennzeichnet sie. Die Erzähler rechnen darauf, daß ihr Publikum es selbstverständlich findet, wenn die Erzväter lieber ihre begehrenswert schönen Weiber für ihre Schwestern ausgeben und dem jeweiligen Schutzherrn preisgeben58, es Gott anheimstellend, sie aus dessen Harem durch Plagen gegen den Besitzer wieder zu befreien, als daß sie für ihre Frauenehre eintreten. Es erscheint ihnen direkt löblich, daß sie, um die Heiligkeit des Gastrechts nicht verletzen zu müssen, ihre eigenen Töchter statt der Gäste preiszugeben bereit sind. Ihre Verkehrsethik ist fragwürdig. Ein ergötzliches Spiel der Uebervorteilung herrscht jahrelang zwischen Jakob und seinem Schwiegervater, sowohl beim Feilschen um die begehrten Weiber, wie bei dem vom Schwiegersohn durch Knechtdienst erworbenen Vieh. Heimlich geht schließlich der Stammvater Israels dem schwiegerväterlichen Dienstherrn durch unter Mitnahme von dessen Hausgötzen, damit dieser seinen Weg nicht verrate. Sogar die Etymologie seines Namens wird diesen Qualitäten angepaßt und es scheint, daß »Jakobstrug« eine zur Zeit der Propheten sprichwörtliche Wendung war. Vollends unanstößig erscheint es der Sage, daß ihr ausdrücklich als frommer Hirt geschilderter Held seinem hungrig heimkommenden, im Gegensatz zu ihm als unbedachter Bauer59 und Jäger geschilderten Bruder60 die[58] Erstgeburt um etwas Speise abfeilscht, ihn dann um den väterlichen Segen mit Hilfe der Mutter betrügt, später vor dem Zusammentreffen mit ihm ein höchst jämmerliches Angstgebet an seinen Gott richtet (Gen. 32, 10f.), durch List und für einen Kriegshelden würdelose Erniedrigung sich der gefürchteten Rache entzieht. Spröde Tugend in Verbindung mit einer rührsamen Großmut gegen die Brüder, die ihn aus Neid töten wollen und in die Sklaverei verkaufen, weil er im Traum sich als ihren Herrn gefühlt hat, ist die Eigenschaft ihres bevorzugten Helden Joseph. Seine fiskalischen Fähigkeiten in der Ausnutzung der Notlage der Untertanen des Pharao qualifizieren ihn zu dessen Wesir, was nicht hindert, daß er seine Familie veranlaßt, seinem Herrn halb wahre Auskünfte über ihren Beruf zu geben. Auch die Seeräuber- und Kauffahrerethik des vielgewandten Odysseus und sein in Notlagen oft maßloses Jammern zur Helferin Athena liegt ja für uns oft außerhalb des Bereichs der Heldenwürde. Aber Dinge wie die zuerst angeführten werden von ihm doch nicht berichtet. Es sind das Züge von Pariavolksethik, deren Einfluß auf die Außenmoral der Juden in der Zeit ihrer Zerstreuung als internationales Gastvolk nicht unterschätzt werden dürfen, und die mit dem sehr ausgeprägten gläubigen Gehorsam zusammen erst das Gesamtbild der von der Tradition verklärten inneren Haltung dieser Schicht geben. Diese aber ist eben unzweifelhaft eine Schicht von, als machtlose Metöken, zwischen wehrhaften Bürgern sitzenden Kleinviehzüchtern.

Die moderne Analyse, welche die religionsgeschichtliche Wichtigkeit gerade dieser Schicht zunehmend betont hat, neigt nun dazu, diesen pazifistischen Charakter der Halbnomaden als etwas ihnen naturnotwendig Eigenes anzusehen. Aber das trifft entschieden nicht zu61. Er ist vielmehr erst Folge jener[59] wehrlosen Zersplitterung der Kleinviehzüchter, welche bei zunehmender Seßhaftigkeit eintritt. Er fehlt durchaus, wo immer sie in machtvollen politischen Verbänden organisiert sind. Die Erzväter haben im Bewußtsein der Israeliten keineswegs immer ihre in der jetzigen Redaktion der Thora niedergelegte Stellung eingenommen. Insbesondere Abraham und Isaak kennt die ältere vorexilische Prophetie als Personen nicht. Amos kennt die Erzväter Isaak, Jakob, Joseph nur als Volksnamen (7, 9. 16; 3, 13; 6, 8; 7, 2; 5, 6. 15). Abraham der mit Jakob bei Micha als Empfänger der Verheißungen Jahwes erscheint (7, 20) tritt, erst bei Hesekiel (33, 24) als der volkstümliche erste legitime Inhaber des Landes Kanaan auf. Die theologischen Literatenkreise, speziell der sog. »Elohist« und die deuteronomische Schule, scheinen den jetzt in der Redaktion auf ihnen liegenden Akzent geschaffen zu haben. Ihr Charakter hat dabei offensichtlich starke Wandlungen erfahren, welche eben mit jener sozialen Deklassierung und Entmilitarisierung der Hirten zusammenhängen. In der durch die Altersfolge der Stammväter ausgedrückten alten Rangfolge der Stämme stehen Ruben, Simeon, Levi und Juda voran, lauter wesentlich halbnomadische, zugleich aber höchst kriegerische und als gewaltsam bekannte Stämme, von denen die ersten drei später zersplittert waren, Juda nach gewaltsamer Erlangung der Hegemonie stadtköniglich organisiert wurde. Solche starken Viehzüchterstämme waren keineswegs in der Lage geduldeter Metöken. Die kriegerische Tradition kennt sie als Herren des Landes und die von ihnen abhängigen Städte entweder als leiturgiepflichtige Schutzverwandte, wie Gibeon, oder als heeresfolgepflichtig, wie im Deboralied die Stadt Meros. Aehnliches kennt aber auch die Erzväterlegende: Isaak wird der Stadt Gerar, deren Metöke er ist, mit zunehmendem Reichtum und steigender Klientel zu übermächtig (Gen. 26, 14 16). Auch Jakob ist in der ursprünglichen Tradition ein starker Held, der einen Gott im nächtlichen Ringkampf bezwingt. Das von ihm nach seinem Segen an Joseph (Gen. 48, 22) »mit Pfeil und Bogen« erworbene Stück Land hinterläßt er dem führenden Stamm als Vorzugserbe: es ist Sichem, der spätere Mittelpunkt[60] Ephraims. Die später rezipierte pazifistische Tradition (Gen. 33, 19) aber läßt ihn dies Grundstück charakteristischerweise nicht erobern, sondern friedlich kaufen62. Das vielbesprochene 14. Kapitel der Genesis63 endlich kennt Abraham als kriegerischen Helden, der mit mehreren hundert Klienten ins Feld zieht und den verbündeten Königen Mesopotamiens, Hammurapi eingeschlossen, die von ihnen im Kampf mit den kanaanäischen Stadtkönigen gemachte Beute siegreich wieder abjagt. Sehr klar tritt der Gegensatz von Kriegerehrgefühl und utilitarischem Hirtenpazifismus in der entgegengesetzten Stellungnahme des friedfertigen Erzvaters Jakob einerseits, seiner kriegerischen Söhne Simeon und Levi andererseits, zur Schändung der Dina durch Sichem zutage (Gen. 34, 30. 31). Die in solchen Fragmenten erhaltenen ganz andersartigen Züge sind offenbar erst unter den Verhältnissen der späteren Zeit völlig zurückgetreten hinter jener pazifistischen Haltung, welche den nunmehr bestehenden Umständen entsprach64. Für die unter solchen Umständen entstandene oder rezipierte pazifistische Tradition erst ist Jakob deshalb fromm, weil er in den Zelten bleibt und ebenso Abel der gute friedliche Hirt und sein Mörder Kain einerseits der seßhafte gewaltsame Ackerbauer, dessen fleischloses Opfer der Gott verschmäht hat, andererseits der zur Unstetheit verfluchte Beduine und endlich der Städtebauer: das sind die drei typischen Gegner der nunmehrigen machtlosen zwischen sie eingekeilten Kleinviehzüchter65.

[61] Gegen den Stadtpatriziat und gegen die Beduinen standen aber beide Gruppen: Bauern und Hirten, im gleichen Gegensatz und es entwickelte sich den erstgenannten beiden Gruppen gegenüber daher eine Interessengemeinschaft zwischen ihnen. Die Amarnatafeln ebenso wie das Deboralied, der Spruch des Jakobsegens über Ephraim und die Tradition über Gideon, Jephtha und Samuel geben diese Interessenläge in jeweils verschiedener Art wieder und auch die Epoche noch der beiden ersten Könige zeigt diese Situation in ihren politischen Konsequenzen.

Starke Unterschiede der Zusammensetzung zwischen den einzelnen Stämmen bestanden. Asser und Dan scheinen die am frühesten stadtsässigen, Ephraim und die Stämme Issachar, Sebulon, Naphthali scheinen die am stärksten mit ansässigen eigentlichen Bauern durchsetzten Stämme gewesen zu sein. Sie waren daher vor allem durch die phönikischen, philistäischen und kanaanäischen Stadtpatriziate in ihrer ökonomischen und politischen Unabhängigkeit bedroht, die Issachar früh aufgab. Die viehzüchtenden Ostjordanstämme dagegen wurden vor allem durch die Streifzüge der Beduinen der Wüste, der Midianiter und Amalekiter, gefährdet, deren Angriffe sie zwangen, sich wie in Gideons Zeit in Höhlen zu bergen. Von den Westjordanstämmen hatte wesentlich Ephraim unter diesen »Pfeilschützen« zeitweise zu leiden. Noch die Kriege der Bauernaufgebote Sauls gehen zur einen Hälfte gegen die amalekitischen Beduinen. Erst die Herrschaft Davids stellte durch Unterwerfung Edoms und durch die damit gesicherte Herrschaft über die Karawanenstraße bis zum Roten Meer für geraume Zeit das Uebergewicht der Ansässigen über die Wüstenstämme her. An dieser Pazifizierung der Wüste waren nun Stadtpatriziat, Bauern und Hirten im ganzen gleichmäßig interessiert. Im übrigen aber bestand ein oft scharfer Interessengegensatz. Zunächst zwischen Bauern und Viehzüchtern. Es werden zwischen den israelitischen Viehzüchterstämmen östlich des Jordan und den Ephraimiten[62] gewaltsame Konflikte erwähnt. Die Tradition berichtet namentlich von einem Krieg Ephraims gegen den siegreichen Gideon (Jud. 8, 1f.) und einem Vergleich, der diese Gegensätze aus dem Wege räumen sollte. Die Abzweigung der Stämme Machir und Manasse über den Jordan nach Osten, der Streit Ephraims über die Vormacht zuerst mit Gilead, dann mit Manasse, den die Sage vom Segen Jakobs über Ephraim und Manasse wiedergibt, ebenso die Abzweigung des »jüngeren Bruders« Benjamin nach Süden zu, und dann der von der späteren Legende aufgegriffene Kampf Ephraims mit dem Räuberstamm Benjamin stellen teils Vorstöße der Bauern in die am leichtesten anbaufähigen Teile des von Viehzüchtern bewohnten Berglandes dar, teils Rückstöße und Raubzüge der Viehzüchterstämme gegen das Bauerngebiet. Die Kämpfe Judas gegen Benjamin und ebenso schon weit früher die territoriale Ausdehnung Judas auf vorher benjaminitisches und danitisches Gebiet waren Vorstöße dieses neu entstehenden Viehzüchterstammes gegen die altisraelitischen Stämme im Norden. Dieser Gegensatz zwischen Bauern und Viehzüchtern kommt in der ganzen frühisraelitischen Tradition zum Ausdruck. Auch in der politischen Haltung der Stämme nach außen.

Der Feind, gegen welchen sich gemeinsam die bereits seßhaften, vor allem: die bergsässigen Bauern und die halbnomadischen Hirten, wenigstens des Westjordanlandes, zu wehren hatten, war der wehrhafte Patriziat der Städte in den fruchtbaren Ebenen und an der Küste. Männliche und weibliche Sklaven, Fronden und Abgaben, nach dem Deboralied namentlich schönes Hausgewebe, suchen die stadtsässigen Patrizier im Kriege zu gewinnen. Daneben, wie schon früher bemerkt, die eigene Kontrolle über die Karawanenstraßen. Neben der Beherrschung dieser Straßen und dem Gewinn, den sie brachte, erstrebten die freien Bauern und Hirten der Berge die Sicherung ihrer Fron- und Abgabenfreiheit gegenüber dem Stadtpatriziat, und suchten womöglich ihrerseits die Städte zu nehmen, teils um sie zu zerstören, teils um sich selbst als Herrenschicht darin festzusetzen. Es entspricht dieser Gegensatz, soweit solche Vergleiche Sinn haben, im Wesen den Kämpfen der an der Gotthardstraße sitzenden Schweizer Urkantone gegen Zürich, der Samniten gegen. Rom, der Aitoler gegen die hellenischen Städtebünde und die Makedonenkönige. Mit geringer Ungenauigkeit kann man[63] sagen: es kämpfte dabei das Bergvolk gegen die Ebene. Dieser naturgegebene Gegensatz nahm erst in der Zeit des judäischen Königtums ein Ende. Vorher beherrscht er die ganze Geschichte Palästinas von Anfang unserer Kunde an. Schon in der Amarnazeit bedrohen die Feinde, Sa Gaz und Chabiri, »von den Bergen her« die Städte in den Ebenen. In der Tradition über die Kämpfe um den Besitz Kanaans sind es die mit eisernen Wagen versehenen Städte, welche die Israeliten nicht nehmen können. Alle israelitischen Helden der sog. Richterzeit sind Angehörige landsässiger Sippen, die auf Eseln, den Reittieren der Berge, nicht auf Pferden reiten und deren Reichtum und Macht, wie wir sahen, nach der Zahl der auf Eseln berittenen Sippengenossen geschätzt wurde. Noch Sauls Residenz war ein Dorf in einem Bergtal und noch Davids Heerführer Joab weiß mit den Beutepferden nichts anzufangen und läßt ihnen die Fesseln lähmen. Aber das Maß des Gegensatzes gegen die Städte war bei Bauern und Viehzüchtern verschieden. Die Hauptinteressenten des Kampfs gegen den Städtepatriziat waren die ansässigen Bauern, die der Fronknechtschaft am meisten ausgesetzt waren. Der Deborakrieg verläuft wesentlich als ein Bauernkrieg. Daß das untrainierte Fußvolk der Berge doch wie Ritter (gibborim) gefochten und gesiegt hat, ist es, was ihm im Liede zum höchsten Ruhm gerechnet wird. Einerseits die viehzüchtenden, nicht bäuerlichen, Ostjordanstämme Ruben und Gilead, welche dieser Kampf nicht interessierte, andererseits die Bundesstadt Meros, vor allem aber charakteristischerweise der an der Küste früh stadtsässig gewordene Stamm Asser und der ebenfalls, auf sidonischem Gebiet, stadtsässige Stamm Dan blieben dem Kampfe fern. Auch gegen die Philistäer haben die nordisraelitischen Bauern und die Hirten des Berglands Juda erst spät gemeinsame Sache gemacht, die letzteren blieben dem Kampf zunächst ganz fern und den Philistern treu. Der Ritterschaft der Philister stellt die Tradition daher in Saul den benjaminitischen Bauern, welcher vom Pfluge weg König wird, und dann erst ihren Liebling, den nur mit der Schleuder bewaffneten judäischen Hirten David als typische Vertreter der beiden Kategorien von Israeliten gegenüber. In Wahrheit freilich war David anfänglich ein bergsässiger Gefolgschaftshäuptling des üblichen katilinarischen Charakters und Lehensmann der Philister, von denen er sich erst unabhängig machte, als er Stadtfürst von Jerusalem[64] wurde: der Kampf eines seiner Recken mit Goliath fand erst statt, als er schon König war.

Die Schaffung einer einheitlichen Militärmonarchie mit einem Aufgebot wagenkämpfender Ritter entschied dann das Schicksal des Heerbanns der freien Bauern und Hirten Israels. Die benjaminitische Herrschaft blieb wesentlich ländliche Stammeshegemonie, obwohl immerhin schon Saul nach der Tradition sich eine persönliche Gefolgschaft, teilweise von Stammfremden, hielt. Aber der Esel war noch für Saul das charakteristische Tier. Gegen Davids Stadtkönigtum erhoben sich stets erneut die altbäuerlichen nordisraelitischen Gebiete. Unter Salomo wurde dann die königliche Kriegsmacht mit Rossen und Wagen organisiert, die er (wenn die Lesung nicht verderbt ist) aus dem ihm durch Heirat verbundenen Aegypten bezog. Sofort setzte – wie später näher zu besprechen ist – die Opposition ein, welche bis in die Rabbinenzeit hinein Salomos Beurteilung zu einer höchst zwiespältigen gemacht hat. Nach seinem Tode erhoben sich gegen sein Stadtkönigtum die noch nicht städtisch organisierten Stämme, um nach wenigen Generationen mit der Gründung von Schomrom (Samaria) ebenfalls in ein, wiederholt von landsässigen Usurpatoren bedrohtes, Stadtkönigtum mit den in der Tradition und in den assyrischen Inschriften erwähnten zahlreichen Kriegswagen der Omridendynastie auszumünden. Die bisher wesentlich nebeneinander gelagerten sozialen Gebilde: Viehzüchterstämme, Bauernstämme, Städte werden nun in Eins geschmolzen, die Hauptstadt und die in ihr ansässigen Herrensippen politisch ausschlaggebend. In der Zeit vor Salomo lag dagegen der eigentliche Kern des alten Bundes in den an Zahl zunehmend überwiegenden Bauern des Berglandes einerseits und den an relativer Bedeutung langsam abnehmenden Viehzüchtern der Steppengebiete andererseits, zu welchen einzelne Marktflecken und Landstädte in den Bergflußtälern und an den Paßstraßen, erst sekundär aber und allmählich zunehmend auch starke Festungsstädte hinzutraten. Eine starke Zunahme der Viehzüchter einerseits, der stadtsässigen Bevölkerung andererseits muß der Hinzutritt des großen judäischen Gebiets unter David gebracht haben. Politisch und sozial kam er nur der Macht des Patriziats zugute, welches nun ausschlaggebend wurde. Aber innerhalb der plebejischen Schichten bestand der alte innere Gegensatz der seßhaften Bauern, die im Norden[65] überwogen, zu den Kleinviehzüchtern, die im Süden vorherrschten, weiter und hat, wie wir sehen werden, auch für die religiöse Entwicklung Folgen gehabt. Allein zunehmend war an Stelle der alten Gliederung Israels in wehrhafte bäuerliche Grundeigentümer- oder Hirtensippen einerseits, schutzverwandte Gastsippen von Handwerkern, Tagelöhnern, Musikern andererseits die ganz andere getreten: auf der einen Seite stadtsässiger grundherrlicher Patriziat als Träger der ritterlichen Kriegerschulung, auf der anderen verschuldete oder ganz landlos gewordene, also proletarisierte, Israeliten und zum Jahwe-Ritual bekehrte Metöken, welche nun eine, rein mit den Augen der Priester angesehen, einheitliche Schicht von »Armen« gegenüber dem Patriziat bildeten. Sie waren keine sozial oder ökonomisch einheitliche Schicht, sondern umfassen alle nicht zu den wehrhaften Sippen Gehörigen.

Diese sehr komplexe und überdies sehr wechselvolle, aber allmählich sich in der Richtung der Beherrschung des flachen Landes durch das Stadtpatriziat verschiebende soziale Zusammensetzung der Israeliten spiegelt sich nun in eigentümlicher Art in den Rechtssammlungen wieder, die uns aus vorexilischer Zeit erhalten sind. Mehr in einzelnen Symptomen und in dem »Geist«: der Art der Stellungnahme zu den typischen Gegensätzen, äußert sich die soziale Umwelt, als in der formellen Eigenart und dem Inhalt der Sammlungen. Denn in diesen zeigt sich der maßgebende Einfluß des Umstands: daß Palästina von Anfang an ein von lebhaftem Handel durchzogenes, mit Städten ziemlich stark durchsetztes, dem Einfluß der großen Kulturländer mit alter ökonomischer Entwicklung stark ausgesetztes Gebiet war. Der Gegensatz von verschuldeten Bauern gegen stadtsässige Gläubiger war von Anfang an vorhanden. Dies zeigt sich schon in der unter dem Namen »Bundesbuch« (Ex. 21, 21-22, 20) bekannten alten Zusammenstellung unbekannten, aber sicher über die erste Königszeit hinausgehenden Alters, – einer systematisch geordneten Darstellung vorwiegend rechtlichen Inhalts mit Anhängen vorwiegend paränetisch-verkehrssittlichen Charakters66. Beduinenrecht findet sich darin ebensowenig wie an anderen Stellen der uns erhaltenen[66] Satzungen. Weder Brunnenrechte noch das Kamel oder die Dattelpalme kommen als Rechtsobjekte vor. Die Zisternen spielen im »Bundesbuch« (Ex. 21, 33) nur insofern eine Rolle, als Vieh durch Hineinfallen verunglücken kann. Aber das Recht des Bundesbuchs ist auch kein solches von Halbnomaden oder überhaupt von vorwiegenden Viehzüchtern. Das Vieh kommt zwar häufig vor als ein Hauptobjekt beweglichen Vermögens. Aber: vor allem das Rindvieh, erst hinter ihm die Schafe. Archaistisch ist es gewiß, daß der stößige Ochse selbst als verantwortlich gesteinigt wird67. Aber es handelt sich dabei ganz offensichtlich um Viehbesitz von Bauern und um Schutz von Bauern gegen das Vieh anderer. Schädigung von Aeckern und Weinbergen durch Vieh wird geregelt (22, 5), aber als Besitzer des schädigenden Viehs wird ein ansässiger Landbesitzer, nicht ein Halbnomade, vorausgesetzt. Das Pferd kommt nicht vor. Rinder und Schafe stellen den Viehstand dar. Die Interessen der in Dörfern und Städten seßhaften Ackerbauern kümmern das Recht fast allein. Es wird vom Einbruch in Häuser gehandelt (22, 7) und die Haftbarkeit des Hauswirts gegenüber dem Mieter geregelt (22, 8). Auch formell ist das Recht durchaus nicht primitiv. Denn der Grundsatz der Talion, der auch in Babylon bestand und keineswegs ein an sich primitives Prinzip ist, wird im Bundesbuch (21, 22ff.68 nur für den Fall der Schädigung bei einer offenen Rauferei aufgestellt, dagegen, was oft übersehen wird, nicht für Körperverletzungen anderer Art oder gar grundsätzlich für alle Verbrechen. Die Blutrache besteht, daneben aber schon ein ziemlich entwickeltes Wergeld- und Bußesystem und zum Teil auch ein eigentliches Kriminalrecht mit Unterscheidung von Mord und Totschlag, von Verschulden und Zufall. Ebenso leidlich rationale Prinzipien der Risikoverteilung. All dies repräsentiert ganz wesentlich vorgeschrittenere Stadien, als etwa dasjenige der lex Salica. Daß es sich um eine von Babylonien sehr stark beeinflußte Kultur handelt und daß auch das Recht selbst von dort her bestimmend beeinflußt war, zeigt sich nicht nur in den zweifellosen Parallelen in Hammurapis[67] Gesetz69, sondern vor allem in der entwickelten Geldwirtschaft70. Neben der Naturalleihe (22, 14) und der Viehkommenda (22, 10) steht das Gelddarlehen (22, 25) und das Gelddepot (22, 7). Die Leistung der Wergelder und Bußen erfolgte in Geld. Das Faustpfand, der Sklavenkauf, insbesondere der Verkauf eigener Kinder (21, 1f.) und zweifellos auch der eigenen Person71 in die Schuldknechtschaft bestehen. Auch die als Teil der Paränese an die eigentlichen Rechtssatzungen angehängte Festordnung (23, 14f.) ist durchaus die eines seßhaften Ackerbauvolkes. Das später universell rezipierte große Fest der Schafzüchter: das Passah, findet gar keine Erwähnung. Vielmehr findet sich allein das später mit dem Passah verbundene Fest der ungesäuerten Brote, also ein Bauernfest. Und auch die übrigen Feste schließen sich an Ackerarbeit und Ernte an.

Besonders charakteristisch für den »Geist« der Sammlung ist nun das Prozeß-, Sklaven- und Metökenrecht. Diese Teile des Rechtsbuchs und seiner paränetischen Anhänge sind am ehesten zu vergleichen mit den von hellenischen Aisymneten und den römischen Dezemvirn zur Ausgleichung der Kämpfe zwischen dem Patriziat und der Plebs, ähnlich aber von den mesopotamischen Herrschern, welche priesterlich beeinflußte Wohlfahrtspolitik trieben, über die gleichen Punkte gegebenen Gesetzen. Die weitestgehenden Bestimmungen gehören allerdings der Paränese an. Es sollen keine Geschenke genommen werden (23, 8), es sollen weder (23, 6) die Rechte des Armen (ebjon) zugunsten des angesehenen Mannes noch – und dies wird vorangestellt – das geltende Recht (23, 2) den Wünschen der Menge entsprechend gebeugt werden. Dies letztere war offenbar nur möglich,[68] wenn die Menge (rab) eine an den Aemtern nicht beteiligte, aber zu den Vollfreien gehörige Plebs war. Der Metöke (ger) soll nicht geschunden (22, 21), noch (im Prozeß) ungerecht behandelt werden (23, 9). Der Sabbath, der ja für reine Viehzüchter keinen rechten ökonomischen Sinn gehabt hätte, wird ausdrücklich als ein Tag des Ausruhens für das Arbeitsvieh, die Sklaven »Söhne der Magd«)72 und Metöken motiviert (23, 12). Es muß angenommen werden, daß unter diesen Metöken hier außerhalb des Stadtverbandes stehende Kolonen als Bearbeiter der Felder gedacht sind. Von dem in seiner jetzigen Fassung entweder interpolierten oder in seinem Sinn entstellten Sabbatjahr war schon die Rede73. Am radikalsten ist aber das Schuld- und das Sklavenrecht, welches mit dem Schuldrecht unmittelbar zusammenhängt. Denn der Sklave gilt in erster Linie als Schuldsklave, sei es daß er sich selbst oder daß ihn seine Eltern in der Not verkauft (römisch: in mancipium gegeben) haben. Zwar die paränetische Pfändungsschranke (Verbot der Pfändung der Kleidung: 22, 26) geht in der israelitischen Sammlung nicht soweit, wie bei Hammurapi (Verbot der Pfändung des Arbeitsviehs). Dagegen ist das in der Paränese enthaltene sehr folgenreiche Verbot, beim Leihen an einen armen Volksgenossen diesen zu Schaden zu bringen und Zins (neschech)74 von ihm zu nehmen (22, 25) – die Quelle der Scheidung von Binnen- und Außenethik im Judentum – dem babylonischen Recht ganz fremd. Es entstammt primär der alten Brüderlichkeitsethik des Nachbarschaftsverbandes mit seiner Pflicht zinsloser Nothilfe. Die sehr allgemeine unpräsize Fassung schließt es aus, daß die Vorschrift dem praktischen Rechtsleben entstammte. Sie war ein religiöses Gebot und bildet die paränetische[69] Ergänzung für diejenigen rechtlichen Vorschriften, welche, als für die Tendenz der ganzen Sammlung besonders wichtig, an die Spitze aller ihrer Satzungen gestellt sind. Nämlich (21, 2f.): 1. ein hebräischer Knecht, ein Schuldsklave also, muß nach 6 Dienstjahren freigelassen werden, es sei denn, daß er ein Weib aus dem Hausstand des Herrn genommen hat und, um sie zu behalten, freiwillig in dessen dauernder Knechtschaft zu bleiben wünscht, was dann durch eine religiöse Zeremonie (Ohrdurchlöcherung vor dem Hausgötzen) bezeugt werden muß. Ferner: 2. eine hebräische Schuldsklavin wird frei, wenn der Herr sie nicht entweder zu seinem Weibe oder zum Weib seines Sohnes macht, und wenn er sie im ersteren Fall gegenüber später genommenen Frauen in Nahrung, Kleidung oder Sexualverkehr zurücksetzt. Diese durchaus präsizen Vorschriften waren zweifellos altes praktisches Recht. Die ersterwähnte Bestimmung hat auch das Gesetzbuch Hammurapis mit sogar noch kürzerer Frist (3 Jahre) für den Fall, daß nicht Selbstverkauf, sondern Verkauf der Ehefrau oder der Kinder durch den Hausvater für dessen Schulden vorliegt. Einen Verkauf der Ehefrau kennt das israelitische Recht überhaupt nicht. In ihm treten gegenüber dem babylonischen Recht Bestimmungen zum Schutz der Person des Sklaven dazu: schwere Körperverletzung durch den Herrn begründet (21, 26. 27) den Anspruch auf Freilassung, Totschlag (21, 20) Kriminalstrafe, wenn der Tod sofort eintritt, während anderen Falls der Grundsatz gilt: daß der Herr ja nur sein eigenes Betriebskapital geschädigt hat und der Sklave rechtlos ist (21, 21). In Hammurapis Gesetz (116) finden sich Schutzbestimmungen dagegen, daß der Gläubiger den Schuldknecht – auch hier stets als Sohn oder Knecht des Schuldners gedacht – durch Entbehrungen oder Mißhandlungen sterben läßt.

Alles in allem trägt diese Rechtssammlung den Stempel von Verhältnissen an sich, welche zwar weit engere und dürftigere, im Rahmen von Kleinstädten sich bewegende ökonomische Zustände darstellen als diejenigen der altbabylonischen Gesetzgebung, nicht aber prinzipiell von diesen verschiedene. Wichtige Gegensätze finden sich. Der Hirt der babylonischen Gesetze ist ein angestellter Hirte des Königs oder ein privater Dienstmann großer Herdenbesitzer (wie Jakob in der Legende bei Laban), derjenige des Bundesbuchs ist ein Bauer. Individualbesitz an Land wird (22, 5) als selbstverständlich vorausgesetzt, im übrigen freilich[70] über das Bodenrecht nicht gehandelt. Der Bauer ist in Babylonien im allgemeinen Kolon, Schuldknecht, Sklave, Pächter, besonders oft Teilpächter eines stadtsässigen großen Grundherrn. Kolonen gab es in Palästina auch. Aber das Gesetz interessiert sich für sie nicht: sie sind gerim. Der Grundbesitzer des Bundesbuchs ist dagegen ein mit einigen Knechten, Mägden und eventuell auch mit Schuld sklaven oder politisch rechtlosen Kolonen wirtschaftender, sein Land nicht, wie sehr häufig der babylonische Grundherr, durch Administratoren, sondern persönlich verwaltender Ackerbürger oder mittelgroßer Landwirt. Es fehlt ferner der Großhändler und große Gelddarleiher Babylons. Die Kaufleute sind wohl teils als Fremde, teils als Metöken zu denken; das Rechtsbuch erwähnt sie nicht. Alle diese Verhältnisse dürften von denen der Zeit des Deboraliedes vor allem insofern prinzipiell abweichen, als die freien Bauern jetzt Plebejer unterhalb der sich entwickelnden stadtsässigen Patriziate geworden sind. Eben auf den dadurch hervorgerufenen Gegensätzen innerhalb Israels hat zweifellos das Bedürfnis nach dieser Kodifikation beruht. Die Zustände der ostjordanischen und der zur Zeit dieser Rechtssammlung vielleicht noch gar nicht zu Israel gezählten Südstämme bleiben völlig außer Betracht. Die Rechtssammlung könnte sehr wohl auf ephraimitischem Boden, etwa in Sichem, entstanden sein. Der Ausdruck Nasi für den Fürsten, den zu beschimpfen verboten wird (22, 27) – die einzige politische Paränese –, paßt ebenso wie der Gebrauch von »Elohim« für die Gottheit eben dahin und die ganzen Zustände in die Zeit etwa bei Beginn der Königsherrschaft.

Nicht unwesentlich verschobene Verhältnisse setzt die aus der Zeit, als das Reich Juda in Wahrheit schon nahezu mit der Polis Jerusalem nebst den von ihr politisch abhängigen Kleinstädten und Dörfern identisch war, stammende Umarbeitung des Bündesbuchs voraus, welche in das deuteronomische »Lehrbuch« aufgenommen ist (besonders 12-26). Inwieweit diese aus mindestens zwei verschiedenen Bestandteilen (12-19 und 20-25) zusammengesetzte Sammlung dem unter Josia (621) von den Priestern »aufgefundenen« und dann durch den König auf ihre Veranlassung als verbindlich oktroyierten angeblichen mosaischen »Sefer hattorah« von Anfang an zugehört hat, kann hier dahingestellt bleiben75. Wiedergabe[71] und Amendierung praktisch geltenden Rechts, theologische Lehrhaftigkeit und sittlicher Utopismus sind in diesen Satzungen die gleiche Verbindung eingegangen, wie in den meisten überlieferten derartigen Sammlungen Israels überhaupt. Aber es ist doch die Beziehung zur realen Umwelt eines lebendigen Rechts fühlbarer als in den späteren rein priesterlichen Sammlungen der Exilszeit. Nach wie vorspielt der Viehbesitz (Rinder und Schafe) eine bedeutende Rolle und werden weder Kameele noch Pferde – welche letztere vielmehr nur als Kriegspferde des Königs in Betracht kommen – als Gegenstand des Privatverkehrs erwähnt. Reichtum ist zwar in erster Linie Ueberfluß an Getreide, Most, Oel, Feigen, Granatäpfeln, Honig, Vieh (Deut. 7, 13; 8, 8) aber auch (8, 13) an Silber und Gold. Der Erz bergbau im Lande wird als einer von dessen Vorzügen erwähnt (8, 9). Die Brunnen bedeuten in den Bergen von Juda zwar viel (6, 11), aber als wichtiger, auch für die Beziehung zum Gott bedeutsamer, Unterschied gegenüber Aegypten wird erwähnt: daß man dort das Land besäen und selbst bewässern müsse, »wie einen Gemüsegarten« (11, 10), während auf den Bergen und Auen Palästinas der von Gott gesendete Regen die Ernte gebe (11, 11). Die gestiegene Bedeutung des Grundeigentums tritt in dem schworen Fluch gegen Grenzverrückung (27, 11 vgl. 19, 14) hervor, die Abschwächung sowohl der alten patriarchalen Stellung des Hausvaters wie der alten Geschlossenheit und Solidarhaftung der Sippen nach außen in dem Verbot der Antastung des Vorzugserbteils des ältesten Sohns (21, 16) einerseits und der Beseitigung der Strafhaftung der Familienglieder füreinander andererseits (24, 16). In diesem Punkt ist das Rechtsbuch ziemlich modern, die Praxis selbst wird in einer (wohl deuteronomistischen) Tradition übrigens schon König Amazia zugeschrieben (2. Kön. 14, 6). Die Blutrache besteht nach wie vor (19, 6), aber das Prozeßrecht einschließlich des Beweisrechts ist, namentlich durch das (noch in unserem kanonistischen Kriminalprozeß nachwirkende) Gebot des Zweizeugenbeweises verhältnismäßig weitgehend rationalisiert.

[72] Das ethische Brüderlichkeitsgebot, welches im Bundesbuch und den angehängten paränetischen Ermahnungen mehrfach in etwas allgemeinen (dabei meist gerade in den der Interpollation am meisten verdächtigen) Stellen behandelt wird, ist zu weitgehenden sozialen Schutzbestimmungen für Witwen, Waisen, Knechte, Arbeiter, Metöken, Kranken fortentwickelt, von denen noch in anderem Zusammenhang unten zu reden ist. Der Fluch gegen das Geschenknehmen der Richter (27, 25), gegen das Beugen des Rechts der soeben genannten schutzbedürftigen Personen (27, 19) und das Verbot jeder Art von Bedrückung gegen sie (24, 17) steht neben dem Fluch gegen die Irreleitung von Blinden (27, 18) und der Wiederholung des älteren Gebots, das verlaufene Vieh des Nächsten ihm zurückzustellen (22, 1. 3). Von der Witwe darf gar nicht (24, 17), von den Armen nur beschränkt Pfand genommen werden (24, 10. 12). Den Knecht darf man nicht schinden (23, 17) und – eine sehr weitgehende Bestimmung: – einen Arbeiter, der seinen Herrn verläßt, diesem nicht wieder ausliefern (23, 16). Dem Arbeiter, auch dem Metöken als Arbeiter, ist der Lohn am selben Tage zu zahlen (24, 15. 16). Die steigende Bedeutung freier Tagelöhner tritt in all diesen Bestimmungen hervor. Der Sabbat gilt auch jetzt (5, 14) als Ruhetag im Interesse der Bauern selbst. Es werde, heißt es, zwar immer Arme im Volk geben (15, 11), aber es sollte eigentlich keine israelitischen Bettler geben (15, 4): auf diesem Grundsatz beruhen die sozialen Bestimmungen, denen fast sämtlich eine ziemlich geringe Präzision und also die Herkunft aus religiöser Paränese nicht: geltendem Recht eignet.

Das Brachjahr für den Acker kennt die Sammlung, wie früher bemerkt, nicht: ein sehr starker Beweis für dessen nachträgliche Interpolation im Bundesbuch, auf welchem ja das Deuteronomium sonst fußt. Dagegen wird, und zwar im Interesse der Witwen und Waisen und der Metöken, die Nachlese auf dem Acker, im Wein- und Oelgarten untersagt (24, 19f.) und gestattet, von den Früchten des Ackers und Weinbergs eines anderen seinen Hunger zu stillen (23, 25. 26). Beides sind Reste alten Nachbarschaftsrechts zwischen Grundherren und Fronpflichtigen, vielleicht auch ein Reflex der üblichen Beziehung zwischen ansässig gewordenen Bauern und nichtansässigen Kleinviehzüchtern.

Schon das Vorstehende zeigt, daß das Pfand- und Schuldrecht[73] das eigentliche Gebiet auch dieses Sozialrechts ist, noch weit mehr als schon im Bundesbuch. Statt des Brachjahrs für den Acker kennt das Deuteronomium ein jenem noch unbekanntes radikales Schuldrecht. Ueber die wiederholt eingeschärfte, schon dem Bundesbuch bekannte sechsjährige Zeitgrenze der Schuldknechtschaft hebräischer Schuldner (15, 12) hinaus statuiert es die Pflicht, den entlassenen Schuldknecht, da er ja »Mehrwert« erarbeitet habe, mit einem Zehrpfennig in Naturalien auszustatten. Vor allem aber die Kassierung aller Schulden eines Volksgenossen – im Gegensatz zum Fremdbürtigen – im »Erlaßjahr« (schnath schmitta, genauer: schmitta kesafim). Während nun aber für das Sabbatjahr (schmitta karka oth) in spätisraelitischer Zeit Beweise praktischer Geltung vorliegen, ist trotz der sehr nachdrücklichen Drohungen des Gesetzes gegen alle Umgehungen und trotz der Einschärfung im Schwurbund unter Nehemia (Neh. 10, 32) schon früh, endgültig durch Hillel, eine Form (der sog. Prosbul) gefunden worden, welche gestattete, die Erlaßjahrbestimmung kontraktlich außer Wirksamkeit zu setzen. Nie findet sich eine sichere Spur ihrer Anwendung. Sie war paränetischen Ursprungs und blieb utopisch. Aber auch die nicht paränetisch, sondern gesetzlich gebotene Freilassung der Schuldsklaven, die das Bundesbuch ebenso wie das babylonische Recht kannte, ist nicht einmal unter Zedekia innegehalten worden, trotzdem in der politischen Not damals (Jer. 34, 8f.) ein besonderer feierlicher Beschluß (berith), dies zu tun, gefaßt war (dessen Bruch Jeremia zu den schwersten Unheildrohungen veranlaßte). Es ist also fraglich, ob und welche Tragweite die Vorschriften des Schuldrechts, insbesondere des Erlaßjahrs, ursprünglich gehabt haben, und es scheint nicht unwahrscheinlich, daß hier eine gelegentliche Maßregel der Schuldentlastung zugrundelag, die dann von den theologischen Redaktoren institutionell festgelegt und mit dem in der Exilszeit steigend wichtig gewordenen Sabbatgedanken in Beziehung gesetzt worden ist. Denn der Sache nach handelt es sich um eine »Seisachthie«, wie wir sie aus den antiken Mittelmeerstädten kennen und wie sie ja auch jener Beschluß unter Zedekia darstellte. Daß mit wachsender Geldbesitz-Akkumulation durch den Handel der stadtsässige Patriziat und die von ihm bewucherte Bauernschaft als typische Klassengegensätze galten, beweist im Deuteronomium besonders deutlich die unmittelbar[74] an jenes Gebot des Erlaßjahres anschließende berühmte Verheißung (15, 6): »Du wirst vielen Völkern leihen und wirst von niemand borgen«, mit dem gleichbedeutenden Zusatz: »Du wirst über viele Völker herrschen und über dich wird niemand herrschen.« Daß das allsiebenjährige allgemeine Erlaßjahr selbst und diese im Zusammenhang damit stehende Stelle theologische Interpolationen der Exilszeit sind, wird durch das Vorhandensein eines Doppelgängers in der jetzigen Redaktion höchst wahrscheinlich. Nach Wiederholung der Verheißung (28, 12) wird hier die genau entsprechende Drohung (28, 43. 44) für den Fall des Abfalls von Jahwe ausgesprochen: »Der ger bei dir wird über dich steigen und oben sein, du aber wirst heruntersteigen und immer unten sein, er wird dir leihen, du wirst borgen, er wird das Haupt, du wirst der Schwanz sein«, – Ankündigungen, die wir dem Sinne nach bei den Propheten wiederfinden werden. Diese – wegen der Art der Erwähnung des ger – offenbar vorexilischen Stellen bestätigen aber zugleich auf das deutlichste, daß jener Klassengegensatz zugrunde lag. Der mittelalterliche und moderne Geld-und Pfandwucher der Juden, diese Karikatur, in welcher sich jene Verheißung erfüllt hat, war mit der Heilsverheißung wahrlich nicht gemeint. Nein, die Verheißung sollte bedeuten: Israel wird, in Jerusalem seßhaft, der Patriziat der Welt sein, die anderen Völker aber in der Lage politisch untertäniger und verschuldeter Bauern draußen vor den Toren, genau so wie in jeder typischen Polis der gesamten Frühantike, von der sumerisch-akkadischen Zeit angefangen, das Verhältnis zwischen den Stadtbürgern und dem Lande war. Noch in talmudischer Zeit wird dabei die ebenfalls für die ganze Antike typische Lage vorausgesetzt: daß der verschuldete Bauer, der seinen Erbbesitz dem Gläubiger hat überlassen müssen, als Pächter, also als Kolone, auf dem früher ihm selbst gehörigen Acker sitzt. So soll aber das Verhältnis der israelitischen Stammesbrüder untereinander nicht sein dürfen: das ist der Sinn des sozialen Schuldrechts und der zugehörigen Paränese. Daß der Kaufmann ursprünglich stets, und auch damals noch oft, ein Metöke war, zeigt die Art des Auftretens des ger in der deuteronomischen Unheilandrohung. Aber so tief hatte doch schon die Entwicklung zur Stadtsässigkeit der Israeliten selbst gewirkt, daß jetzt die Klassenlage des Stadtpatriziats als[75] ihre selbstverständliche Zukunftsverheißung auftritt76. Israelitische, im Ausland (Damaskus) ansässige Kaufleute, werden erstmalig in dem Vertrag Ahabs mit Benhadad (1. Kön. 21, 34) erwähnt. In den israelitischen Städten selbst sind sie natürlich erst recht schon längst dagewesen. Auch heute bildet der Getreidehandel in Palästina die Quelle schwerer Bewucherung der Fellachen. – Daß es sich im Deuteronomium durchaus um städtische Verhältnisse handelt, zeigt auch der sonstige Inhalt des Gesetzes. Bestimmungen über die Sicherung des Hausdachs durch eine Brüstung, damit niemand herabfällt (22, 8), Asylstädte für den Totschläger (19, 3), die Gerichtsstätte »in den Toren« (16, 8), das Gebot rechten Maßes und Gewichts (25, 14. 15) gehören alle dahin. Den armen Bruder darf man nicht bewuchern (23, 20), man soll ihm bereitwillig leihen (15, 8): ein Bestandteil des alten Nothilfegebots der typischen Nachbarschaftsethik. Dieser arme Bruder ist aber hier im Zweifel immer ein Mann in einer Stadt (15, 7), d.h. zweifellos ein in einem Stadtbezirk (der jetzt als selbstverständliche politische Einheit gilt) und wohl in aller Regel als Kleinbauer, ansässiger Israelit.

Die jetzigen Rechtsnormen des Deuteronomium dürften zwar aus der vorexilischen Zeit des Stadtkönigtums stammen sind aber sicherlich im Exil von Theologen überarbeitet worden Vermutlich ähnliches, nur mit ganz wesentlicher Verstärkung des Anteils der Arbeit der Exilstheologen gilt von dem sog. »Heiligkeitsgesetz«77. Die in dieser Sammlung und ebenso in der ganz im Exil entstandenen sog. »Priestergesetzgebung«78, welche die Masse des Stoffs des heutigen 3. und 4. und Teile des 2. Buches Mose schuf, enthaltenen sozialen Vorschriften sind teils ihrem Alter, teils der Realität ihrer Geltung nach problematisch. Theologische Konsequenzmacherei schuf sie, unter Anknüpfung an Reminiszenzen aus der Vergangenheit, für ein[76] »Jahwe heiliges Volk«, ein Volk von »Metöken Jahwes« auf dem diesem gehörigen heiligen Boden, auf welchen man von ihm zurückgeführt zu werden hoffte. Wir begegnen neben dem Wucherverbot und der vermutlich hier zuerst in ihre jetzige Form gebrachten und von da aus in das Bundesbuch interpolierten Sabbatjahrsbestimmung zunächst einer weiteren Abwandlung der Schuldhaftnormen. Einen israelitischen Schuldhäftling soll man (Lev. 25, 39. 46) nicht wie einen Leibeigenen, sondern wie einen freien Tagelöhner halten, für welchen (19, 13) die deuteronomische Bestimmung über die Lohnzahlung wiederholt wird. Als Leibeigene darf ein Israelit nur Heiden oder Metöken besitzen (Lev. 25, 44. 45), denn alle Israeliten sind Leibeigene Gottes (Lev. 25, 42). Hat sich ein Israelit einem Metöken verkaufen müssen, so soll ihn seine Sippe oder er sich selbst jederzeit auslösen dürfen (25, 48). Alle israelitischen Schuldhäftlinge aber sollen jedenfalls alle siebenmal sieben Jahre, im sog. Halljahr, frei werden. In diesem unter Posaunenschall auszurufenden Freijahr soll aber auch jedes Grundstück, welches – es wird als selbstverständlich angenommen (vgl. Lev. 25, 25): aus Not – verkauft worden ist, wieder frei an den Verkäufer zurückfallen (25, 13 f.), falls nicht der nächste Sippenbruder es schon vorher einlöst (25, 25), wozu er jederzeit das Recht hat. Denn ein Verkauf von Land auf ewige Zeiten soll nicht zulässig sein, da das Land Gottes Eigentum, die Israeliten aber darauf nur Gottes Metöken sind: auch ein Beweis, daß als Kennzeichen der Metöken das mangelnde Bodenrecht galt. Nur Häuser innerhalb einer ummauerten Stadt dürfen für ewig verkauft werden und sind nur innerhalb eines Jahres einlösbar (25, 29). Eine weitgehende Kasuistik regelt die bis zum Halljahr anzurechnenden Jahresraten. – Es steht fest, daß das Halljahr selbst eine nie praktisch gewordene theologische Konstruktion der Exilszeit war, und die Art der Motivierung der anderen Vorschriften laßt für sie das gleiche vermuten. Aber es fragt sich immerhin, ob nicht dennoch im lebenden Recht Anknüpfungspunkte vorhanden gewesen waren. Zunächst läßt die Erzählung von der Schuldsklavenfreilassung unter Zedekia (Jer. 34, 8 f.) in Verbindung mit der bei Trito-Jesaja (61, 2) vorkommenden Prophezeiung von einem »Gnadenjahr (schnath razon) Jahwes« erkennen, daß die öffentliche Verkündigung eines »Freilassungsjahrs« für alle Schuldversklavten offenbar nicht nur in[77] jenem Einzelfall, unter Zedekia, stattgefunden hatte, sondern ein typischer Vorgang war, vermutlich in Kriegsnot, wo man aller Wehrhaften benötigte und wo ähnliches auch bei den Hellenen vorkam. Dann aber könnte auch in dem Rückfall des Bodenbesitzes an die Sippe eine Reminiszenz alten Rechts stecken. Denn es muß auffallen, daß innerhalb der Rechtssammlungen nur an dieser Stelle von Kauf und Verkauf von Grund und Boden die Rede ist, von welchem sowohl das Bundesbuch wie das Deuteronomium schweigen. Es fragt sich also, ob und unter welchen Voraussetzungen eine dauernde Veräußerung von Boden in Altisrael zulässig war. Im babylonischen Recht ist der alte Retraktanspruch der Sippe erst allmählich überwunden worden. Aus Jeremias Orakeln wissen wir, daß im Fall der Absicht einer Veräußerung von Erbland ein Vor angebot an einen Sippengenossen mindestens durch die Sitte vorgeschrieben und daß es für den Berechtigten eine ungern abgelehnte Anstandspflicht war, den Acker zu erwerben, damit er nicht an Fremde falle. Der Himmel möge verhüten, daß er seinen Erbacker verkaufe, erwidert in der Tradition auch Naboth dem König Ahab auf dessen Kaufangebot. Das zeigt, daß zur Zeit dieser Redaktion der Geschichte der Verkauf ohne Befragung der Sippe zwar an sich als rechtlich möglich galt, – wie dies übrigens die zahlreichen gegen die Bodenakkumulation der Reichen eifernden Stellen der Propheten beweisen, – daß er aber für das Erbland durch die Sitte mißbilligt wurde. Das Priestergesetz ist, abgesehen von einer schon erwähnten Stelle des Deuteronomium, auch die einzige Rechtsquelle, welche das Bodenerbrecht erörtert. Indirekt spielte dieses freilich eine Rolle bei der alten Institution der sog. Leviratsehe. Denn das Recht und die Pflicht, die kinderlose Witwe des Bruders zu heiraten, um ihm »Samen zu erwecken«, brachte Recht und Pflicht zur Uebernahme eines Landbesitzes mit sich, welcher im Falle der Ablehnung durch den nächststehenden an denjenigen entfernteren Anwärter fiel, der sich der Ehepflicht unterzog. Oder vielmehr, nach der Art der Auffassung der Tradition (Ruth 4, 1 f.) gerade umgekehrt: wer aus der Sippe das Land des kinderlos Verstorbenen haben wollte, mußte die Witwe heiraten. Aus der gesamten Tradition geht hervor, daß mindestens in der Zeit der Redaktion der Erzväterlegende es als üblich galt, daß der Hausvater vor dem Tode oder wenn er sich (wie dies bei dem Sirachiden erwähnt wird)[78] auf das Altenteil zurückzog, mit ziemlich weitgehender Freiheit die Verteilung seines Besitzes unter die Kinder regelte und dabei offenbar durch feierlichen Segen und Fluch seinen Verfügungen Nachdruck verlieh. Daß als Erben des Landes hier wie in allen militärischen Verbänden der Antike nur die Söhne in Betracht kamen, verstand sich von selbst. Das Deuteronomium suchte, wie erwähnt, den ältesten Sohn zu schützen gegen Antastung seines Vorzugsanteils durch den Vater, der ja sehr leicht unter dem Einfluß einer Lieblingsfrau die Kinder ungerecht behandeln konnte, wie sich das in ägyptischen Erzählungen findet. Das Priestergesetz führte die Bindung weiter. Es statuiert die Erbfähigkeit der Töchter am Grund und Boden hinter den Söhnen (Num. 27, 8-10) und bestimmt im Zusammenhang damit, daß solche Erbtöchter, damit das Land nicht dem Stamm entfremdet werde, nur innerhalb des Stammes heiraten sollen. Diejenigen Mädchen, zu deren Gunsten nach der Legende Moses die Bestimmung erläßt, heiraten daraufhin Vettern, also Sippengenossen. Stamm und Sippe werden nicht immer scharf geschieden und es liegt nahe anzunehmen, daß hier die Sippe und nicht der Stamm gemeint war. Denn wenigstens nach altem Recht scheint, wie wir sahen, der Ungenosse des Stammes überhaupt als ger und also als unfähig zum Bodenerwerb gegolten zu haben79.

Allerdings wäre es möglich, daß außer der alten Sippengebundenheit auch noch andere Gewalten in die Gestaltung des Grundbesitzes eingegriffen haben und wir in diesen Bestimmungen Reste davon vor uns sehen80. Wir finden in den hellenischen Städten den »Kleros« teils durch Sippenansprüche, teils durch militärische Veräußerungsbeschränkungen gebunden. Das althellenische Erbtochterrecht entstammte, wenn nicht allein, so jedenfalls auch militärischen Interessen. Dem hellenischen Ausdruck für Kleros entsprach aber, wie Ed. Meyer mit Recht bemerkt, der israelitische für Landlos: »Chelek«, der die Nebenbedeutung »Beuteanteil« hat, also keineswegs agrarkommunistischen oder sippenmäßigen, sondern militärischen Ursprungs[79] ist81: wo immer die Heeresmacht auf der Selbstequipierung der freien Grundbesitzer ruhte, war der Landbesitz Funktion der Wehrhaftigkeit. Ebenso hatte der bei der Leviratsehe und den verwandten Institutionen maßgebende Wunsch, den »Namen« der Sippe in Israel zu erhalten, neben später zu besprechenden religiösen wohl auch militärische Grundlagen: das Geschlechtsregister der ökonomisch wehrfähigen Sippen war Grundlage des Aufgebots. Aus dem Deboralied scheint hervorzugehen, daß der Sollbestand des Bundesheerbanns (40000) in runden Tausendschaftsziffern festgelegt war – wie dies der späteren Rolle der Tausendschaften als der Normalkontingente entspricht – und aus der Nachricht über das Aufgebot gegen den Stamm Benjamin ergibt sich, daß man in Quoten dieses Sollbestandes: in diesem Falle z.B. (Jud. 20, 10): einen von zehn, aufbot. Da die Tausendschaften zweifellos auf die einzelnen Bundesglieder fest verteilt waren, so hatte schon deshalb der kontingentpflichtige Stamm, neben dem eigenen Interesse an seiner Wehrkraft, auch ein durch diese Bundeskriegsverfassung bedingtes Interesse an der Erhaltung der Kriegerlose. Es ist also immerhin möglich, daß er zu ähnlichen Maßregeln griff, wie die hellenischen Städte, bei welchen es bekanntlich nicht leicht auszumachen ist, welche von den in Resten überlieferten Bindungen des Kleros alten Sippenrechten und welche vielmehr Interessen des Militärverbandes entsprangen. Die verschiedenen Institutionen, deren teils rudimentäre, teils theologisch entstellte Reste uns in den Quellen entgegentreten, von den für uns ganz unkenntlichen Sabbatjahrs- und den Seisachthiebestimmungen angefangen bis zum Levirat und Erbtöchterrecht, dem Vorzugsanteil des Aeltesten (als des Kleros-Erben) und den Resten des Sippenretrakts bei Erbgütern, könnten dann in solchen militaristisch bedingten Eingriffen eine ihrer Quellen gehabt haben. Ebendahin würde es dann gehören, daß in Ermangelung von Leibeserben nach der Abraham-Geschichte (Gen. 15, 2. 3) der Großknecht (in diesem Fall sogar ein aus Damaskus stammender Kaufsklave) in das Erbe einrückt: daß ein Erbe für den Kleros da ist, nicht: wer es ist, daran ist diese Auffassung interessiert. Andererseits: Wer verarmt ist, d.h. wer seinen Grundbesitz[80] in der Not hat aufgeben müssen, verliert die Qualität als Voll-Israelit und soll – nach dem Heiligkeitsgesetz (Lev. 25, 35) – wie einger gehalten werden. Durch alle diese verschiedenen Institutionen sollte verhütet werden, daß eine Sippe aus der Schicht der ökonomisch voll Wehrfähigen in die Masse der zur Aufbringung der Kosten der Equipierung nicht Fähigen (römisch gesprochen: der »proletarii«, »Nachkömmlinge«) oder gar der ganz Grundbesitzlosen (gerim) hinabsank. Wir werden später, bei Besprechung des Nasiräats, noch auf einige mit solchen Möglichkeiten im Zusammenhang stehende andere Hypothesen zu sprechen kommen. Doch bleibt dies alles unsicher. Auch könnte es jedenfalls schwerlich universell gegolten haben. Schon deshalb, weil die eben erwähnte Bundeskriegsverfassung des Deboraliedes und der historischen Literatur für Nordisrael ja nicht unbedingt notwendig zu solchen Einrichtungen führen mußten. Denn die Aufbringung des Kontingents war vermutlich innere Angelegenheit des einzelnen Stammes und dieser konnte darin vielleicht verschieden verfahren.

Dem Gesamteindruck nach bedeutet die Abfolge dieser Rechtssammlungen eine steigende Theologisierung des Rechts82. Ehe wir die Quelle und die Eigenart dieses Prozesses näher verfolgen, müssen wir die äußeren Formen, in welcher diese Theokratisierung der irsaelitischen Sozialordnung sich vollzog und die Gewalten, welche sie beförderten, kennen lernen. Eine Eigentümlichkeit der israelitischen Sozialordnung spricht sich schon in dem Namen des ältesten Rechtsbuchs aus: Sefer. ha berith, »Bundesbuch«. Der wichtige Begriff der »berith« ist es, der uns daran interessiert83.

Ein »Schwurbund« von Gegnern der ägyptischen Herrschaft findet sich schon in den Amarnabriefen erwähnt84. Auch der Name »Chabiru« für die Feinde der ägyptischen Statthalter[81] in den Amarnatafeln, den man mit Ibri (Hebräer) identifizieren wollte, wird, angesichts gewisser sprachlicher Schwierigkeiten, neuerdings zuweilen mit dem jüdischen Ausdruck »Chaber«-»Genosse«, zusammengebracht, der in nachexilischer Zeit den rituell korrekten Volljuden ebenso wie »Cheber«: »Genossenschaft«, auf den Münzen der Makkabäer85 die volljüdische Gemeinschaft bezeichnet und der auch in der älteren Tradition gelegentlich (z.B. Jud. 20, II) verwendet wird für die Bundesarmee (a.a.O. in einem heiligen Krieg wegen Religionsfrevels)86. Die Ableitung von Chabiru aus diesem Wort bleibt freilich unwahrscheinlich87.

Daß die verschiedensten unter göttlichen Schutz gestellten Verbrüderungen die israelitische Geschichte durchziehen, wäre an sich nichts ihr Spezifisches. Jedes politische Bündnis, aber auch fast jeder privatrechtliche Vertrag pflegte ja in der Antike eidlich, d. h durch Selbstverfluchung bekräftigt zu werden. Sondern das Eigenartige ist zunächst die überaus weite Erstreckung der religiösen »berith« als der wirklichen (oder konstruierten) Grundlage der verschiedensten rechtlichen und sittlichen Beziehungen. Vor allem war Israel selbst als politisches Gemeinwesen eine Eidgenossenschaft. Ein Israelit, auch ein Angehöriger eines anderen Stammes, der zu den Angeredeten nur im Verhältnis eines ger steht, redet Israeliten daher als »Brüder« (achim) an, etwa so, wie jeder Schweizer Redner bei offiziellen Gelegenheiten zu Schweizer Landsleuten als »Eidgenossen« zu reden hat. Und wie David nach der offiziellen Tradition durch berith legitimer[82] König wird, so läßt diese auch mit seinem Enkel Rehabeam die Aeltesten der Nordstämme über seine Anerkennung nach Art einer Wahlkapitulation verhandeln. Aber auch die Einbürgerung von Viehzüchtersippen in eine kanaanäische Stadt, oder umgekehrt die Angliederung etwa der Gibeoniten als fronpflichtiger Gemeinde an Israel erfolgt stets durch eine, berith genannte, Schwurverbrüderung. Alle gerim, auch die Erzväter, befinden sich in ihrer Rechtslage durch berith88. Die Schwurverbrüderungen läßt die Tradition rituell unter Herstellung der Speisegemeinschaft der sich Verbrüdernden vor sich gehen (Gen. 26, 30 vgl. mit Jos. 9, 14). Die von Mose im göttlichen Auftrag verkündete Rechtssammlung wird (Ex. 24, 7) »Buch[83] des Bundes« (sefer ha berith) genannt89 und ebenso heißen auch jene religiösen Vorschriften, welche er nach göttlichem Geheiß auf zwei Tafeln schreibt (Ex. 34, 28) »Worte des Bundes« (dibre ha berith). Ebenso wird der deuteronomische sefer hattorah, das »Buch der Lehre«, als welches es zunächst (2. Kön. 22) auftritt, in dem anschließenden Bericht über seine Annahme als Gesetz unter Josia (2. Kön. 23, 2) »Buch des Bundes«, sein Ihhalt »Worte des Bundes« genannt. Im Josuabuch ist eine Tradition aufbewahrt, wonach Josua nach vollendeter Eroberung des Landes einen Bund (berith) mit dem Volke gemacht und den Inhalt in das »Buch der Thora Gottes« niedergeschrieben habe. An welche der verschiedenen Rechtssammlungen der Referent dabei gedacht hat, ist nicht feststellbar. Dagegen ist (Jud. 9, 4) überliefert, daß in Sichem zu Abimelechs Zeit ein »Haus« eines »Bundesbaal« (Baal berith) bestand, dessen Tempelschatz zugleich als Schatz der Stadt benutzt wurde. Und die deuteronomische Tradition (Hauptstelle: Deut. 27, 14 f.)90 kennt eine feierliche Zeremonie, welche angeblich erstmals bei Eroberung des Landes, nach der späteren Vorstellung unter Assistenz von Vertretern von sechs Stämmen auf dem Berge Garizim, von sechs anderen auf dem Berge Ebal (zwischen denen Sichem liegt) vollzogen wurde. Die (vier bis fünf) Varianten der Erzählung ergeben folgendes Bild. Gegen den Garizim hin oder auf ihm wird durch die Priester für diejenigen, welche die heiligen Gebote halten, ein feierlicher Segen gesprochen, gegen den Ebal hin oder auf ihm ein feierlicher Fluch gegen die, welche sie verletzen. Von diesen[84] Geboten wird dabei (Deut. 27, 2 f.) erwähnt, daß sie auf getünchten Steinen aufgezeichnet seien (was beweist, daß jedenfalls bereits nicht mehr die Keilschrift herrschte; im übrigen ist das Alter freilich problematisch). Auf die Zeremonie wird in der Tradition an noch mehreren Stellen Bezug genommen (Deut. 11, 26 f.; Jos. 8, 30 f.; 23, 1 f.). Im Wesen der Sache wird sie wohl trotz der späten (deuteronomistischen) Ueberlieferung schon in älterer Zeit so oder ähnlich bestanden haben, weil die dabei erwähnten Kultstätten auf den Bergen gerade diesem Redaktor wenig sympathisch sein mußten, zumal dort nach den Ueberlieferungen Malsteine (ein von den Puritanern verworfener Brauch) und die alten Orakelterebinthen (ebenfalls bedenklich) standen, die Gebeine Josephs (Grabkult) lagen und sogar (nach einem anscheinend babylonischen Ritus) Götterbilder vergraben waren. Die überlieferte Fluchformel (Deut. 27, 15 f.), der sog. »sexuelle Dekalog«, zählt zwölf bestimmte Sünden auf: Idolatrie, Fluch gegen die Eltern, Grenzverrückung, Irreführung eines Blinden, Beugen des Rechts der Metöken, Waisen und Witwen, sexuelle Sünden (Inzest und Bestialität), Mord (= heimlicher Todschlag), Bestechlichkeit des Richters. Wenn auch das Alter unsicher bleibt, so besteht angesichts ihres Zusammenhangs mit den Vorschriften des Bundesbuchs doch die größte Wahrscheinlichkeit, daß der »Bundesbaal« derjenige Funktionsgott war, welcher auf Grund der offenbar regelmäßig wiederholten Verfluchungen diese vom Volk feierlich auf sich genommenen Satzungen schützte91. Sein Kult aber gilt einer allerdings stark verunstalteten Tradition als eingeführt in Sichem im Anschluß an eine Auseinandersetzung und Verständigung Gideons und der Ostjordanstämme mit Ephraim während des Midianiterkriegs (Jud. 8, 1. 33); der Bundesbaal war also doch wohl der[85] Garant eines jener Bundesschlüsse, durch welche Israel neu konstituiert wurde.

In immer wiederholten rituellen Bundesschlüssen sehen wir sich nun auch in historischer Zeit die innerpolitische Geschichte Israels bewegen: Die Herstellung des reinen Jahwekults in Jerusalem unter Joas und später die Annahme des deuteronomischen Gesetzes unter Josia erfolgen nach der Tradition durch berith92, ganz ebenso der Beschluß unter Zedekia, die Schuldsklaven dem Gesetz gemäß freizulassen (Jer. 34, 8 f.), und dann wiederum die feierliche Annahme der Gemeindeordnung unter Nehemia, bei welcher, wie bei jener Fluchzeremonie, eine Anzahl besonders wichtiger Satzungen herausgegriffen und der inzwischen üblich gewordenen Beurkundungspraxis entsprechend von den synoikisierten Geschlechtshäuptern feierlich untersiegelt wurden (Neh. 10). Das für unsere Zusammenhänge Entscheidende war nun aber dabei dies: gerade die älteren, vorexilischen, von diesen Fällen von Recht schaffender berith des Gesamtvolks Israel und für dieses als solches sind, in deutlichem Gegensatz zu den berith-Schlüssen unter Einzelnen oder mit Metöken nicht nur Kontrakte und Verbrüderungen der beteiligten Parteien untereinander, welche unter den Schutz des Gottes als Zeugen und Rächers von Meineid gestellt werden. Sondern sie galten gerade der alten, vor allem der durch den sog. »Jahwisten« vertretenen, Auffassung als Bundesschließungen mit dem Gott selbst, der also bei der Rache des Bundesbruchs seine eigenen verletzten Vertragsrechte, nicht nur die seinem Schutz empfohlenen Ansprüche der vertragstreuen Partei vertritt93. Diese sehr wichtige Konzeption hat die Entwicklung der israelitischen Religiosität überaus stark beeinflußt. Auf die Verletzung der ihm persönlich, als Vertragsschließenden, durch Eid angelobten Vertragstreue gründet der Gott der Propheten seine furchtbaren Unheilsdrohungen, wie er andererseits selbst an die Zusagen gemahnt wird, die er den Vorfahren durch Eid (so zuerst Micha 7, 20) angelobt hat. Die ganze Beziehung schon der legendären Vorväter Israels zu Gott hatte sich für die spätere[86] durch die Exilspriester bestimmte Auffassung von Anbeginn an in immer neuen Bundesschließungen realisiert: in dem Bunde mit Noah, dem mit Abraham, Isaak, Jakob und schließlich dem Sinaibund. Zwar hatte sich inzwischen die anthropomorphe Auffassung von einem zweiseitigen Pakt mit dem veränderten Gottesbegriff in die einer göttlichen, nur durch besondere Zusage verbürgten Verfügung abgeschwächt, aber auch die Zukunftshoffnung des Jeremia geht letztlich dahin, daß Jahwe künftig mit seinem Volk abermals einen Bund, aber unter gnädigeren Bedingungen als mit den Vätern, abschließen werde. – Woher stammt nun diese Besonderheit der israelitischen Konzeption? Einige allgemeine politische Sachverhalte und ein besonderes religionsgeschichtliches Ereignis trafen zusammen, um sie entstehen zu lassen.

Die Bedeutung des »Bundes«-Begriffs für Israel an sich hat ihren Grund darin, daß die alte Sozialverfassung Israels zum sehr wesentlichen Teil auf einer durch Kontrakt regulierten Dauerbeziehung grundbesitzender Kriegersippen mit Gaststämmen als rechtlich geschützten Metöken: Wanderhirten und Gasthandwerkern, Kaufleuten und Priestern, beruhte. Ein ganzes Gewirr solcher Verbrüderungen, sahen wir, beherrschte die soziale und ökonomische Gliederung. Daß aber der Bund mit dem Gott Jahwe selbst eine für Israels Selbstbeurteilung seiner Gesamtstellung unter den Völkern grundlegende Konzeption wurde, hing mit folgenden weiteren Umständen zusammen.

Oben wurde die in den Lebensbedingungen begründete besonders große Labilität aller politischen Verbände bei den Beduinen und Viehzüchtern: die Neigung aller dieser Stammesorganisationen, sich bald in Sippen zu zersplittern, bald anderweit neu zusammenzuballen, besprochen. Das Schicksal der Stämme Ruben, Simeon, Levi, Machir einerseits, Juda andererseits bietet die Beispiele. Mit dieser Unbeständigkeit kontrastiert nun auffallend die außerordentliche Stabilität eines bestimmten Verbandstypus, der sich gerade bei diesen nicht vollseßhaften Schichten findet: des religiösen Ordens oder ordensartigen Kultverbandes. Als tragfähige Basis für politische und militärische Organisationen auf lange Sicht scheint geradezu nur ein derartiger religiöser Verband geeignet gewesen zu sein. Ein solcher waren die Rechabiten: Durch Jahrhunderte, von Jehus Zeiten bis auf Jeremia, sehen wir sie fortbestehen und religionspolitisch[87] wirken, in der Nehemiachronik wird ein Rechabit erwähnt, im Mittelalter noch will Benjamin von Tudela sie unter einem »Nasi« in der babylonischen Wüste getroffen haben, und andere Reisende glaubten ihre Spuren gar im 19. Jahrhundert bei Mekka zu finden. Wesentlich religiös scheint auch der streng jahwistische Keniterstamm, dem die Rechabiten angehörten, zusammengeschlossen gewesen zu sein. Denn es ist durch Stade mindestens höchst wahrscheinlich gemacht, daß das »Kainszeichen«, d.h. die kenitische94 Stammestätowierung, nicht nur Stammesmarke, sondern, und zwar natürlich primär, Kultgemeinschaftszeichen war95: die indischen Sektenabzeichen würden die Analogie darstellen. Das großartigste Beispiel eines ordensartigen Verbandes von prinzipiell ganz der gleichen Art war auf dem gleichen Boden natürlich: der Islam und die ihm angehörigen kriegerischen Orden, welche zahlreiche und zwar die besonders dauerhaften islamischen Staatsgründungen geschaffen haben. – Der Tatbestand war dabei nun nicht etwa der: daß die Lebensbedingungen der Beduinen und Halbnomaden eine Ordensgründung aus sich heraus »erzeugt« hätten, etwa als »ideologische Exponenten« ihrer ökonomischen Existenzbedingungen. Diese Art materialistischer Geschichtskonstruktion ist hier wie sonst gleich unzutreffend. Vielmehr: wenn eine solche Gründung erfolgte, so hatte sie, unter den Lebensbedingungen dieser Schichten, die weitaus stärksten Chancen, im Auslesekampf die übrigen, labileren, politischen Gebilde zu überdauern. Ob sie aber entstand, das hing von ganz konkreten religionshistorischen und oft von höchstpersönlichen Umständen und Schicksalen ab. War dann die religiöse Verbrüderung in ihrer Leistungsfähigkeit als politisches und ökonomisches Machtmittel einmal bewährt und erkannt, dann trug dies naturgemäß zu ihrer Ausbreitung mächtig bei. Muhammeds sowohl wie Jonadab ben Rechab's Verkündigungen sind nicht als Produkte populationistischer oder ökonomischer Bedingungen zu »erklären«, so sehr ihr Inhalt durch solche mitbestimmt wurde. Sondern sie waren Ausdrücke persönlicher Erlebnisse und Absichten.[88] Aber die geistigen und sozialen Mittel, deren sie sich bedienten, und ferner die Tatsache des großen Erfolgs gerade dieses Typus von Schöpfungen sind allerdings aus jenen Lebensbedingungen zu verstehen. Ebenso für Altisrael.

Wie die Rechabiten ihre Bedeutung dem Zusammenschluß als Orden, so verdankte vielleicht Juda seinen Zusammenschluß als Stamm zu einem machtvollen politischen Gebilde einer Verbrüderung durch einen besonderen Jahwebund. Der Stamm tritt erst spät in der Geschichte auf. Das Deboralied kennt ihn nicht. Die Quellen bezeichnen ihn, in der für Viehzüchter typischen Art, gelegentlich auch als: Sippe. Er war zur Zeit des Mosessegens in politischer Bedrängnis, zur Zeit Sauls ein Tributärstamm der Philister. Der Jakobsegen dagegen kennt ihn als Hegemon in Israel und zugleich als Weinbauer, während in der aus Viehzüchterkreisen stammenden Erzväterlegende Abraham, obwohl in dem weinberühmten judäischen Hebron ansässig, seinen himmlischen Gästen keinen Wein vorsetzt. Der Stamm hatte also – wenn er auch schwerlich, wie Guthe annimmt, erst durch David entstand – doch unter ihm sein Gebiet erweitert und war, offenbar unter Vermengung mit Kanaanäern, seßhaft geworden. Die nach den offiziellen Aufzählungen und Genealogien später zum Stamm Juda gerechneten Sippen sind zum Teil wohl kanaanäischen, zum Teil offenkundig beduinischen Ursprungs: so die zeitweise mit Amalek verbündeten Keniter. Der Stamm Simeon ist teils in Juda aufgegangen, teils unter den Edomitern ansässig geworden. Die früheste Erwähnung eines Leviten bezeichnet diesen als einen Judäer: offenbar wurde auch der Stamm Levi dem Schwerpunkt nach von Juda aufgesogen. Die noch unter Saul bestehende Sonderstellung des Stammes dauerte in anderer Form auch unter den Davididen an: Unter Salomo gehörte sein Gebiet wenigstens zum größten Teil nicht zu den Provinzen des Reichs, sondern war königliche Hausmacht. Seinen endgültigen Umfang hatte er jedenfalls erst durch das Kriegsfürstentum Davids erhalten und vermutlich im Zusammenhang mit der Uebernahme des reinen Jahwekults. Schon die ihm, wie es scheint und wie namentlich Luther annimmt, als Besonderheit eignende bedeutende Stellung der Priester bei der Urteilsfindung (durch Prozeßorakel) legt die Annahme einer spezifisch religiösen Verbrüderung als Grundlage seines so festen Stammeszusammenhalts nahe. Er wäre dann aus Fragmenten[89] verschiedener ethnischer Herkunft durch Gemeinschaft des Kults und der Priester zusammengefügt worden. Diese Annahme wird dann ganz besonders wahrscheinlich, wenn der Name »Jehuda« als ein Derivat von Jahwe anzusehen sein sollte.

Was schließlich die israelitische Eidgenossenschaft selbst anlangt, so war sie nach eindeutiger Ueberlieferung ein Kriegsbund unter und mit Jahwe als dem Kriegsgott des Bundes, Garant seiner sozialen Ordnungen und Schöpfer des materiellen Gedeihens der Eidgenossen, insbesondere des dafür nötigen Regens. Der Name »Israel«, sei es, daß er unmittelbar »das Volk des kämpfenden Gottes« benennen sollte, sei es daß er (unwahrscheinlicherweise) ursprünglich »Jesorel« zu sprechen war und also den Gott bedeutete, »auf den man vertraut«, bringt das zum Ausdruck. Ein Stammesname war »Israel« jedenfalls nicht, sondern der Name eines Verbandes, und zwar: eines kultischen Bundes96. Zur Bezeichnung eines Eponymos hat erst die theologische Bearbeitung der Legenden vom Heros Jakob den Namen Israel gemacht: daher der schattenhafte Charakter dieser Personifikation. – Wir müssen die Struktur des Bundes etwas näher betrachten.

Sein Umfang hat gewechselt. Als Verband muß Israel in Palästina schon zur Zeit des Königs Merneptah, des angeblichen Pharao des Auszugs, existiert haben, denn es wird damals in einer bekannten Inschrift97 erwähnt, daß die Angriffe des königlichen Heeres seine Mannschaften und seinen Besitz dezimiert hätten. In der Art der Erwähnung tritt hervor, daß Israel, im Gegensatz zu den kleinen und größeren Stadtstaaten, als ein nicht stadtsässiger Verband galt. Im Debora krieg bilden, wie wir sahen, die Bauern, die zu Fuß, und deren Fürsten, die auf weißen Eseln in das Feld ziehen, den Kern des gegen die wagenfahrenden Ritter der Stadtkönige kämpfenden Heeres. Das Deboralied kennt als Bundesglieder außer den am Krieg teilnehmenden Bergstämmen Ephraim und dessen beiden Absplitterungen Machir und Benjamin, sowie Sebulon, Naphtali und Issachar, noch: die seßhaften Stämme Asser und Dan nahe dem Meer und andererseits: die Viehzüchterstämme Ruben und[90] Gilead östlich des Jordan, die sich aber der Bundeshilfe entziehen; gesondert nennt es die Stadt Meros als bundbrüchig. Die beiden Segensammlungen kennen dann die übliche Zwölfzahl der Stämme: Machir ist durch Manasse, Gilead durch Gad ersetzt, Juda und Simeon sind hinzugetreten, und je nachdem Levi mitgezählt oder wie im Mosessegen als Priesterstamm besonders gerechnet wird, sind Ephraim und Manasse als zwei Stämme oder gemeinsam als das »Haus Joseph« gezählt. In der Zeit des Deboraliedes galten aber zweifellos weder Juda noch Simeon noch Levi als zugehörige Stämme. Damals und später galt Ephraim oder Joseph unzweifelhaft als Kernstamm des Bundes, wie seine Voranstellung im Liede, seine Abstammung von der Lieblingsfrau Jakobs und seine Kennzeichnung als dessen Lieblingssohn (bzw. -enkel) beweisen. Der Stamm erinnert sich im Deboralied seiner Kämpfe mit den Beduinen und auch im Jakobsegen ist von diesen »Pfeilschützen« als seinen Gegnern die Rede. Gerade für ihn wird im Mosessegen ausdrücklich und sicher auf Grund alter Tradition eine Beziehung zu der mosaischen Dornbuschepiphanie erwähnt. Gerade er also war zweifellos an den Ereignissen, welche zur Rezeption Jahwes als des Kriegsgottes Israels führten, beteiligt. Der in der Tradition am frühesten einen Jahwenamen tragende Heerführer des Bundes, Josua, ist Ephraimit und in dessen Gebiet begraben. So wird denn auch Jahwe, der von Seir in Edom im Wettersturm heranzieht und die Kanaanäer vernichtet, als Kriegsgott des unter Ephraims Hegemonie stehenden Bundes im Deboralied gepriesen. Zu Ephraims Gebiet gehörte von Kultstätten Jahwes vor allem Sichem mit dem »Bundesbaal«. Doch scheint es, daß die eigentliche Kultstätte außerhalb der Stadt lag, welche der Tradition als lange kanaanäisch galt. Offenbar ist Ephraim bis zur Schaffung der nordisraelitischen Residenz Schomron (Samaria) mit am meisten ein Verband bergsässiger freier Großbauern geblieben, auf deren Wehrkraft Israels Macht dereinst so sehr beruhte, daß der Stammesname später sehr regelmäßig schlechthin für das ganze Nordreich gebraucht wurde. Aber eine alte Reminiszenz muß Ruben, Simeon, Levi, welche in den Segensammlungen vorangestellt werden und von der älteren Schwester Lea abstammen, als Kern des Bundes gekannt haben. Juda dagegen taucht überhaupt erst in verhältnismäßig späten Segensprüchen auf und gewinnt seine Stellung erst seit[91] David. Dem Feldherrn Sauls, Abner, galten die Judäer noch als »Hundsköpfe«.

Dieser in seinem Bestand labile israelitische Bund verfügte bis zur Königszeit, soviel ersichtlich, über dauernde politische Organe überhaupt nicht. Die Stämme stehen in gelegentlicher Fehde miteinander. Das religiöse Völkerrecht, welches z.B. das Umhacken der Fruchtbäume untersagte, galt, wenn es überhaupt in alte Zeit zurückgeht, vermutlich gerade für solche Fehden innerhalb des Verbandes. Die Bundesglieder versagen im Deboralied teilweise die Bundeshilfe. Gelegentlich, aber nicht immer, führt das zur Verfluchung und zum heiligen Krieg gegen den Eidbrüchigen. Ein gemeinsames Indigenat besteht nicht. Ein solches hatte anscheinend nur der Stamm. Schwere Verletzung des Metökenrechtes, welches jeder Israelit in jedem anderen Stamm genoß, rächte allerdings unter Umständen der Bund. Irgend ein einheitliches Gericht oder eine einheitliche Verwaltungsbehörde irgendwelcher Art bestand aber offenbar in Friedenszeiten nicht. Die Bundeseinheit äußerte sich darin, daß ein von Jahwe beglaubigter Kriegsheld oder Kriegsprophet regelmäßig Autorität auch über die Grenzen seines Stammes hinaus beanspruchte. Zu ihm kam man von weither, um Rechtshändel schlichten zu lassen oder Belehrung über kultische und sittliche Pflichten zu suchen. Derartiges wird von Debora (Jud. 4, 5) berichtet, und die heute vorliegende Redaktion der Tradition hat sämtliche charismatische Kriegshelden der alten Bundeszeit zu »Schofetim«: »Richtern«, Israels gemacht, welche in ununterbrochener Reihe aufeinander gefolgt wären, in ganz Israel richterliche Autorität genossen hätten und deren letzter, Samuel, während seines Amts alljährlich Bethel, Gilgal und Mizpa bereist habe (1. Sam. 7, 15. 16), um »Recht zu sprechen« und dann, nach Erwählung des Königs, sein Amt wie ein römischer oder hellenischer Polis-Beamter auf Grund eines öffentlichen Rechenschaftsberichts und der Aufforderung, etwaige Klagen gegen ihn jetzt vorzubringen, nach empfangener Decharge feierlich niedergelegt habe (1. Sam. 12). Die Tradition über Samuel ist ohne Frage eine deuteronomistische königsfeindliche Konstruktion, welche das Verhalten des idealen, Jahwe wohlgefälligen Fürsten paradigmatisch im Gegensatz zu den Königen der Gegenwart vorführt. Wie aber steht es mit der prinzipiellen[92] Stellung der »Schofetim«? Während Stade die Ansicht vertritt98, daß die spätere Tradition ganz einfach die alten Kriegshelden Jahwes nachträglich zu friedlichen »Richtern« gestempelt habe, hat Klostermann in geistreicher Art die »Richter« Israels mit den »Gesetzessprechern« (lögsögumadr) der nordischen, vor allem der isländischen Praxis: den Trägern der mündlichen Rechtsüberlieferung und Vorläufern der schriftlichen Rechtsfixierung, in Parallele gestellt99. Er sucht auf diese Art namentlich die Entstehung und literarische Eigenart der vor-exilischen Rechtsbücher zu erklären, welche eben aus den öffentlichen Rechtsbelehrungen dieser »Gesetzesspre cher« entstanden seien. Die namentlich von Puukko eingehend bekämpfte Hypothese enthält nach zahlreichen rechtssoziologischen Analogien einen gewissen Wahrheitswert. Ueberall entwickelt sich das Recht zunächst durch Rechtsorakel, Weistümer, Responsen charismatisch qualifizierter Träger der Rechtsweisheit. Aber nicht überall nehmen diese die sehr spezifische Stellung der nordischen Gesetzessprecher ein, deren Amt – denn das war es – mit der Organisation der germanischen Gerichtsgemeinde eng zusammenhing. Die von der jetzigen Redaktion der Tradition sogenannten »Richter« hatten offenbar ein untereinander sehr verschiedenes Gepräge, waren aber im allgemeinen weit davon entfernt, die eigentlichen Träger der Rechtsweisheit zu sein. Die normale Rechtsweisung legt die Tradition in die Hände der sekenim (Aeltesten). Das Ordal andererseits und das reguläre Prozeßorakel war Sache der Priester und das letztere wurde, wie später zu erwähnen, in älterer Zeit durch rein mechanische Mittel (Los) erzielt. Im übrigen aber erwähnt die Tradition sehr verschiedene Bezeichnungen von Honoratioren, welche innerhalb der einzelnen Stämme traditionelle Autorität genossen. Für eine charismatisch geübte Rechtsweisung konnte also nur neben all diesen Quellen der Rechtsfindung Raum sein. Die Gestalten der »Schofetim« nun, welche die heutige Fassung des sog. Richterbuchs uns vorführt, sind sehr verschiedener Art. Sieht man von[93] denjenigen ab, von denen nur ihre Existenz berichtet ist (Jair, Ebzon, Elon, Abdon), so gilt Simson als ein rein individuell seine Fehden ausfechtender Held, Ehud ebenso, nur mit dem Unterschied, daß er den Bedrücker Israels erschlägt, Othniel, Samgar, Barak, Gideon, Jephtha und wohl auch Thola als erfolgreiche Heerführer Israels, in Wahrheit offenbar: ihrer eignen und benachbarter Stämme. Nur von einem Teil von ihnen wird, und zwar nur ganz allgemein bemerkt, daß sie Israel im Frieden »gerichtet« hätten. Aller Schwerpunkt liegt vielmehr in ihrer Leistung als »Heilande«, das heißt; Retter aus schwerer Kriegsnot. Daneben erscheint in einer als »heiliger Krieg« vorgestellten Bundesexekution (Jud. 20, 28) ein Priester aus dem Elidengeschlecht (Pinchas) als Orakelgeber des Heeres. Reiner Priester ist Eli. Seine Söhne werden als Priester, aber zugleich als berufene Führer des Heerbanns gegen die Philister vorgestellt. Diese letztgenannten Traditionen über die Eliden sind äußerst verdächtig und spät, die Tradition über Samuel aber, der bald als Nabi, bald als Seher, bald als Prediger (1. Sam. 4, 1), bald als Nasir, bald als Priester, bald endlich als Heerführer behandelt wird, ist schlechthin unbrauchbar. Die Zeit, in der diese Darstellungen redigiert wurden, wußte von den wirklichen Verhältnissen der Bundeszeit ersichtlich nichts Sicheres mehr. Die zuverlässigste Quelle: das Deboralied, zeigt die Prophetin neben dem führenden naphtalitischen Kriegshelden Barak, der als Führer des Heerbanns eine ganze Anzahl mit ihm verbündeter Honoratioren der andern Stämme neben sich hat. Nur von Debora und von Samuel weiß die Tradition ausdrücklich zu berichten, daß sie regelmäßig »Recht gesprochen« hätten, d.h. auf Verlangen Prozeßorakel gaben. Das gleiche berichtet die heutige Redaktion des Hexateuch von Mose. Von ihm und von Josua, außerdem nur von Samuel in einem sicher legendären Fall: der Feststellung der Königsprärogative nach Sauls Wahl, wird die Schöpfung »objektiver« dauernd geltender Rechtsnormen und ihre schriftliche Fixierung berichtet. Für ein kontinuierlich funktionierendes »Gesetzessprechen« nach nordgermanischer Analogie ist bei den »Schofetim« jedenfalls kein Raum. Politische Orakel, nicht Prozeßorakel, gaben die »Propheten« von der Art der Debora, und politisch-militärische Entschließungen, nicht Rechtssprüche oder Weistümer, waren die spezifische Tätigkeit der charismatischen »Schofetim«. Dabei ist durchaus wahrscheinlich,[94] daß beide: bewährte Propheten ebenso wie bewährte Kriegshelden, auch im Frieden für die Schlichtung von Streitigkeiten in Anspruch genommen wurden und daß die weltlichen Kriegshelden diese, wie überall, als Herrenrecht ihrerseits in die Hand nahmen, wenn sie dazu gelangt waren, ihre Herrschaft soweit zu befestigen, wie etwa Abimelech. Aber selbst die ersten Könige galten noch nicht in erster Linie als Träger oder gar Schöpfer von Recht, sondern als Kriegsführer. Bei David setzt die Tradition (2. Sam. 14, 2 f.) voraus, daß der König sich in eine Blutfehde gegebenenfalls einmischt. Aber erst Salomo hat offenbar die Rechtspflege systematisch in die Hand genommen (1. Kön. 3, 16 f.): unter ihm ist von einer von ihm erbauten Gerichtshalle die Rede (1. Kön. 7, 7). Vermutlich wegen dieser Neuerung galt er der Nachwelt als Quelle richterlicher Weisheit. Aber von einer amtlichen Fürsorge für die Einheitlichkeit des Rechtes hören wir auch bei den Königen zunächst nichts und noch unter Ahab kann der Hof zwar eine Rechtsbeugung durch Beeinflussung der Richter herbeiführen100, aber nicht der König erscheint als Richter. Erst bei Jeremia (21, 12) erscheint der König als vormittags zu Gericht sitzend. Aber das Gericht über den Propheten selbst (Jer. 26) besteht aus Beamten (Sarim) und Aeltesten (Sekenim) mit den Mannen ('am) als Gerichtsumstand (kahal ha 'am).

Die Tradition könnte sich nicht so verhalten, wenn die Rechtsschöpfung den Schofetim und ihren Nachfolgern in der Macht: den Königen, als Hauptattribut eigen und die Quelle der jetzt vorliegenden Rechtssammlungen gewesen wäre. Die erwähnten vereinzelten unklaren Angaben der Tradition sind ersichtlich spätere Eintragungen einer Zeit, welche – wie wir sehen werden – das »gute alte Recht« und den idealen pazifistischen Fürsten der verderbten Gegenwart gegenüberstellte. Auch die Rechtssammlungen selbst müßten anders aussehen, wenn sie einer für Israel ursprünglich einheitlichen regelmäßigen amtlichen Rechtsweisung entsprungen wären. Dann müßte auch ihre wirklich dauernde praktische Geltung zweifellos sein. Gerade das Gegenteil ist aber zum mindesten für das Schuldsklavenrecht,[95] also den praktisch wichtigsten Teil des ganzen Sozialrechts, wie wir sahen, sicher.

Das Recht konnte sich in Israel entwickeln einmal durch die Rechtspraxis von Dingstätten, wie in aller Welt. Ein einmal ergangener Rechtsspruch galt als Präzedens, von dem ungern abgewichen wurde. »Chuk«101 scheint der alte typische Ausdruck für die durch Präzedenzfall entstandene verbindliche Sitte und Rechtsgewohnheit gewesen zu sein (Jud. 11, 39). Der nach der so entstandenen Sitte Rechtsweisungen gebende Führer (im Deboralied auch Kriegsführer) hieß in Altisrael »chokek«102. In den späten Quellen werden gelegentlich synonym damit Thora, Gedah, Mischpat gebraucht. Indessen Thora war in der präzisen Sprache Orakel und seelsorgerische Belehrung durch die Leviten, wie wir sehen werden, Gedah, wie weiterhin festzustellen ist, eine durch Beschluß der Heeresversammlung anerkannte Anordnung. Endlich »mischpat« war sowohl »Urteil« wie Rechtsnorm, also der am entschiedendsten rein juristische dieser Ausdrücke. Soweit es sich um Normen handelt, scheint er besonders gern für rational formuliertes Recht gebraucht zu werden103, im Gegensatz zu chuk. Die auf babylonischem Einfluß beruhenden Bundesbuchnormen sind mischpat, nicht chuk104. Aber beide Rechtsquellen hatten gemeinsam, daß sie nur schon geltendes oder als geltend vorausgesetztes oder fingiertes Recht anwendeten oder feststellten. Für die bewußte Neuschaffung von Recht kam in Israel zunächst das mündliche Orakel (debar Jahweh oder debar Elohim) in Betracht. In die kategorische Form eines solchen Gebotes: »Du sollst ...« kleiden auch die Theologen der späteren Zeit ihre sozialethischen Anweisungen. Die zweite Form der bewußten Neuschöpfung, Israel eigentümlich, war die feierliche »berith«, stets: nach[96] vorangegangenem Orakel. Sie wurde natürlich nur in besonders wichtigen Fällen, dann aber sowohl für einmalige Maßregeln: so die Sklavenfreilassung unter Zedekia, wie für die Anerkennung dauernd geltender Normen verwendet: so kam sie nach der Tradition bei Annahme des deuteronomischen Gesetzbuchs in Anwendung. Dem Inhalt nach heute durch höchst widerspruchsvolle Interpolationen entstellt, ist dessen vermutlich echter Kern keinenfalls Produkt einer öffentlichen Gesetzessprechertätigkeit oder überhaupt von Rechtskundigen. Sondern, wie auch die Tradition erkennen läßt, Erzeugnis interner Arbeit einer spezifischen Theologen – Schule, deren Charakter hier vorerst noch unerörtert bleibt. Wieviel von den aus der Rechtsüberlieferung entnommenen Mischpatim, welche es (cap. 12-26) enthält, dem publizierten Kompendium ursprünglich angehörten, ist nicht sicher auszumachen. Jedenfalls aber sind sie auf stadtstaatlichem Boden gewachsen, mit Theologumena durchsetzt und eine stark theologisch geartete Fortbildung der im »Bundesbuch« vorliegenden Rechtsnormen. Auch die Mischpatim des Bundesbuchs aber könnten nur zum kleinsten Teil gemeines Recht des alten Israel darstellen, passen für Viehzüchtergemeinschaften überhaupt nicht, sind auch keineswegs spezifisch bäuerliches Recht, sondern – nach Abzug der vermutlich interpolierten Theologumena – ein Kompromiß von Interessen, welcher die Entwicklung der typischen antiken Klassengegensätze voraussetzt. Formell ist die Struktur die, daß einem, wie Baentsch und Holzinger mit Recht darlegen, ganz leidlich systematisch geordneten Kodex von Mischpatim (Ex. 21, 1-22, 16) systemlos Einzel-debarim angehängt sind, die teils rechtlichen, teils sittlichen, teils kultischen Charakters sind. Materiell ist für die Mischpatim der, in hohe Vergangenheit zurückreichende, babylonische Einfluß zweifellos. Die formale juristische Technik und Präzision ist bei den rein profanen Mischpatim nicht gering, bei den debarim teilweise äußerst mangelhaft. Die Redaktion der juristischen Bestandteile muß also in den Händen erfahrener Rechtspraktiker gelegen haben, und diese können – da der König und seine Beamten nicht in Betracht kommen – wohl nur in den Kreisen der an der Rechtsfindung beteiligten sekenim, einer wichtigen und zur Rechtsbelehrung viel besuchten Gerichtsstätte Nordisraels gesucht werden, wie etwa Sichem es war. Der Inhalt dieser eigentlichen Rechtsnormen – im Gegensatz[97] zu der angehängten und eingefügten Paränese – entstammt jedenfalls nicht priesterlicher Rechtsfindung. Inwieweit der im Deuteronomium erhobene Anspruch der Priester: an der Rechtsfindung beteiligt und für zweifelhafte Fälle ausschlaggebend zu sein, in vorexilischer Zeit geltendem Recht entsprach, ist durchaus fraglich. In der Königszeit muß im allgemeinen eher mit einem Zurücktreten der Bedeutung der alten Prozeßorakel gerechnet werden, wie sie auch für Babylonien zu beobachten ist105. Der deuteronomische Anspruch entspricht dem, was in Aegypten zur Zeit der Herrschaft der Amon-Priester geltendes Recht war. Die offensichtliche Beteiligung der Reflexion über die Gottwohlgefälligkeit und Billigkeit des als geltensollend dargestellten Rechts und die Beifügung der debarim bestätigen, daß es sich beim Deuteronomium um ein »Rechtsbuch«, also eine private und formell unmaßgebliche, aber nach Art des Sachsenspiegels oder der Sammlung des Manu populär gewordene Arbeit handelte, welche unter dem Einfluß theologisch interessierter Kreise entstand und durch Zusätze erweitert wurde. – Eine gemeinsame, formell maßgebliche Rechtsweisungsstätte Israels gab es in der alten Bundeszeit nach alledem nicht. Sondern nur die intermittierende, verschieden weit reichende Macht der charismatischen Kriegshelden, das Ansehen bewährter Orakelgeber und alter Kultstätten des Bundeskriegsgottes (vor allem: Silo), endlich vielleicht (aber unsicher) auch einige periodische amphiktyonische Ritualakte, wie möglicherweise jene sichemitische Segens- und Fluchzeremonie und die mehrfach (Jud. 21, 19 und 1. Sam. 1, 3) erwähnten jährlichen Jahwefeste in Silo. Formell wurde der Bund aktuell nur in Zeiten eines Bundeskriegs. Dann allerdings übte die gedah, wie vornehmlich die ganze Heeresversammlung ganz Israels genannt wird, Justiz gegen Frevler am Kriegsrecht oder an den rituellen und sozialen Geboten Jahwes. Wie der Ausdruck gedah für »Anordnung« zeigt, konnten durch sie auch generelle Verfügungen getroffen werden. In beiden Fällen beteiligte sich das Heer selbst wohl, wie meist in solchen Fällen, durch Akklamation zu den Vorschlägen der vom Herzog aus den Aeltesten der Kontingente bestimmten Kriegsobersten, welche vielleicht den gelegentlich vorkommenden Titel »Aelteste[98] in Israel« führten. Diese werden ihrerseits vorher ein Orakel eingeholt haben.

Ueber die Verteilung der Beute, namentlich über die Teilnahme der Nichtkombattanten daran, bestanden angeblich (nach Num. 31, 27) feste Grundsätze, die jedoch in der Erzählung von Davids Beuteverteilung (1. Sam. 30, 26) als eine von diesem eingeführte Neuerung erscheinen. Der Casus foederis eines Bundeskrieges, dessen Heerführer und das Ziel des Krieges wurden durchweg charismatisch und prophetisch durch Erweckungen und Orakel Jahwes als des Kriegsherrn des Bundes bestimmt. Als eigentlicher Herzog eines Bundeskriegs galt Jahwe selbst. Ihm persönlich, nicht nur den Eidgenossen, haben die Eidbrüchigen die Hilfe versagt und verfallen daher, wie Jabes, der Ausrottung. Ein Bundeskrieg war daher ein heiliger Krieg106 oder er konnte es doch jederzeit werden, und wurde in Zeiten der Not sicher immer dazu erklärt. Die gedah, das versammelte Heer, heißt im Deboralied (Jud. 5, 11) und beim heiligen Krieg gegen Benjamin (Jud. 20) ganz einfach die »Mannen Gottes« ('am Jahwe bzw. 'am haelohim). Das hatte zunächst rituelle Folgen. In der Philisterzeit wurde nach der Samueltradition das tragbare Feldheiligtum: die »Lade Jahwes« in das Heerlager gebracht und nach einem in der Priestertradition erhaltenen Spruch der Gott rituell ersucht: sich, sei es aus ihr als seinem Behältnis, sei es von ihr als seinem Thronsitz, zu erheben und dem Heer voranzuziehen, nach dem Kampf ebenso: wieder Platz zu nehmen. Auch das Ephod, später ein priesterliches Bekleidungsstück, erscheint gelegentlich (1. Sam. 14, 3; 6. 9; 30, 7) im Lager. Durch Verfluchung der Feinde, Orakel und Gelübde vor der Schlacht, Segenzauber während der Schlacht wurde gesucht, Jahwes Eingreifen zu sichern. Zu den Mitteln hierfür gehörten mindestens in Zeiten großer Kriegsnot auch Menschenopfer, wie sie zuletzt noch König Manasse gebracht hat. Aber auch abgesehen von jenen besonderen Gelübden, die sich in der ganzen Welt verbreitet finden, mußte im heiligen Kriege das Heer die vorgeschriebene Askese üben: vor allem Fasten und sexuelle Abstinenz. David und seine Gefolgschaft durften, nach Annahme der Tradition, vom heiligen Brot essen, wenn[99] sie sich, als Krieger, sexuell enthalten hatten. Vergebens läßt David, als sich Folgen seines Ehebruchs mit Baths ba zeigen, deren Mann Uria aus dem Felde kommen, damit er selbst mit seiner Frau Umgang pflege und so die Spur verloren gehe: Uria enthält sich, der militärischen Disziplin gehorchend, des Umgangs. Der Bruch der Askese, speziell des Fastens, durch einen Einzelnen bedroht alle mit dem Zorn Jahwes und bedingt daher den Tod des Uebertreters: nur durch Opferung eines Ersatzmannes wendet das Heer diesen von Sauls Sohn Jonathan ab.

Mit der Vorbereitung zum Einbruch in Kanaan unter Josua wird von einer Tradition auch die universelle Beschneidung in Zusammenhang gebracht. Sie war den Israeliten mit den umwohnenden Völkern, mit Ausnahme der von Uebersee eingewanderten Philister, vor allem aber mit den Aegyptern gemeinsam, von denen sie, nach Herodot, Syrien und Phönizien angenommen hatten. Sie ist der einzige vielleicht von Aegypten übernommene Bestandteil des israelitischen Ritus. Ihr ursprünglicher Sinn ist bekanntlich Gegenstand ungeschlichteten Streits. Vielleicht galt sie in Aegypten anfänglich nicht universell, sondern für die Vornehmen107 und würde dann entweder mit der Jünglingsweihe der Krieger oder mit der priesterlichen Novizenweihe im Zusammenhang stehen. Ihr Vollzug im Kindesalter ist sicher erst Produkt späterer Zeit. Auch an Ismael vollzieht Abraham sie im 13. Jahre108. Die ätiologische Sage von Moses und Zippora im Exodus zeigt andererseits, daß sie jedenfalls auch als gegen dämonische Einflüsse beim geschlechtlichen Verkehr gerichtet galt. Inwieweit die in der rabbinischen Tradition sich öfter findende Beziehung zu der Verheißung reichlicher Nachkommenschaft alt ist, steht durchaus dahin. Dagegen zeigt sich, daß in der friedlichen nachexilischen Zeit ihre Unentbehrlichkeit für Proselyten wenigstens nicht absolut feststand. In älterer vorexilischer Zeit waren, was wohl zu beachten ist, die nicht wehrpflichtigen gerim – und das war die gesamte[100] nicht bodenständige Bevölkerung des Landes – auch der Beschneidung nicht unterworfen. Dies könnte als ein Hauptargument für deren Herkunft aus der Kriegeraskese sprechen, welche das Wahrscheinlichste bleibt. Andererseits aber soll jedes Mitglied des Hausstandes, nach einer Bestimmung von allerdings unbestimmtem Alter109 auch der Sklave, beschnitten werden, und dies gilt (Ex. 12, 48) als Voraussetzung der Teilnahme am häuslichen Passahmahl. Die Spuren der Herkunft bleiben also etwas vieldeutig. Daraus, daß der Unbeschnittene ('arel) später in einen besonderen Hades gelangt (Hes 31 18; 32, 18) ist auch nichts Sicheres zu entnehmen110. Jedenfalls galt der fremde Unbeschnittene in spezifischem Sinn als ritueller Barbar und Vorhäute der Feinde wie in Aegypten nach Art der indianischen Skalpe als Trophäen. Das weitaus Wahrscheinlichste ist alles in allem, daß sie ursprünglich mit der Kriegeraskese und Jünglingsweihe der Jungmannschaft irgendwie zusammenhängt: Ob außerdem etwa mit irgendwelcher dabei im Ursprungsland üblicher phallischen Orgiastik, bleibt wohl für immer im Dunkeln111. Hygienisch rationalistische Deutungen, wie sie noch immer vorkommen, sind jedenfalls hier wie meist ganz besonders unwahrscheinlich.

Neben die Maßregeln zur Heiligung des Heeres trat nun im heiligen Krieg das rituelle Tabu für die Beute: deren Weihung an den Kriegsgott des Bundes, der Cherem, der zur Zeit der nachexilischen Umwandlung in eine befriedete konfessionelle Gemeinde als Exkommunikation inkorrekt lebender Gemeindegenossen fortlebte. Reste privater Tabuierung scheinen sich auch in Israel zu finden. Die Tabuierung und Opferung der ganzen oder eines Teils der lebenden und toten Beute an den[101] Gott aber war sehr universell verbreitet und namentlich in Aegypten bekannt, wo der König kraft ritueller Pflicht die Gefangenen abschlachtete. Die Feinde galten hier wie dort als Gottlose: von ritterlichem Empfinden findet sich in keinem von beiden Fällen eine Spur. Der Cherem im Kriege konnte verschieden weit gehen, und jedenfalls zeigen die Regeln über die Beuteteilung, daß die Tabuierung der gesamten Beute: Männer, Weiber, Kinder, Vieh, Häuser, Hausrat nicht die Regel war. Zum Teil wurden nur die erwachsenen Männer: »Alles was an die Wand pißt«, oder wohl auch nur die Fürsten und Honoratioren, als Opfer geschlachtet. Außerhalb des heiligen Krieges unterschied, wie der Islam, so auch das altisraelitische Kriegsrecht zwischen Feinden, die sich freiwillig unterwarfen und solchen, die im Kampf verharrten und beließ den ersteren das Leben (Deut. 20, 11). Danach ist auch gehandelt worden, und zwar innerhalb sowohl wie außerhalb des kanaanäischen Gebiets. Erst die prophetisch beeinflußte Theorie von der spezifischen Heiligkeit des von Gott verheißenen Landes, wie sie in Elias Zeit zuerst hervortritt, verlangte die absolute Reinigung dieses Gebiets von Götzendienern (Deut. 7, 2. 3). Und nur die Theorie der Kriegsprophetie, dann des Exils und die Entwicklung des Judentums zur Konfession neigte sich dem fanatischen Grundsatz zu, daß man den Landesfeind schlechthin auszurotten habe112. Abgesehen davon, daß bei weitem nicht alle Kriege, sondern nur die des Bundes als solchem, und vielleicht auch sie nicht immer, als heilige Kriege galten, zeigt der Gegensatz im Verhalten Sauls gegen die Anforderungen, welche die Tradition dem Samuel in den Mund legt, die relative Jugend der letzten Konsequenzen des Cherem. Diese wurden nun aber mit rücksichtloser Schärfe auch in der Gestaltung der Ueberlieferung durchgeführt und dieses wesentlich theoretische blutige Kriegsrecht brachte jene eigentümliche Verbindung einer fast wollüstigen Grausamkeitsphantasie mit den Geboten der Milde gegen die Schwachen und Metöken hervor, welche manchen Partien der heiligen Schriften ihr Gepräge gibt.

In Verbindung mit der allgemeinen Kriegeraskese kennt die israelitische Kriegsführung auch die Erscheinungen der Kriegerekstase[102] in ihren beiden auch sonst verbreiteten Formen. Entweder als Gemeinschaftsekstase, wie sie der Kriegstanz und die Fleisch- oder Alkoholorgie der Krieger erzeugen. Davon finden sich einige Spuren in der Tradition, deren deutlichste das den Philistern unheimliche Kriegsgeschrei (Teru'ah 1. Sam. 4, 5) der Israeliten nach dem Eintreffen der Lade Jahwes im Kriegslager ist (vermutlich doch: ein Kriegstanz um diese) und das gelegentlich (1. Sam. 14, 32) erwähnte Essen rohen Fleischs und Bluts (entgegen also dem normalen Ritual) nach der siegreichen Schlacht. Oder als individuelle charismatische Heldenekstase, wie sie sich sehr universell verbreitet bei den Helden vom Typus des Tydeus oder Cuchullin oder der »Amok-Läufer« und in typischer Art vor allem bei den nordischen »Berserkern« findet, deren Ekstase sie in einem Rausch von tollwutartigem Blutdurst sich in die Mitte der Feinde stürzen und halb besinnungslos abschlachten läßt, was um sie ist113. Ein typischer Berserker dieser Art ist der Simson der Sage, einerlei ob er seinem Ursprung nach, wie der Name (Schamasch) nahelegt, aus einem Sonnenmythos stammt. Wenn der Geist Jahwes über ihn kommt, so zerreißt er Löwen, steckt Felder in Brand, reißt Häuser ein, schlägt mit beliebigen Werkzeugen beliebige Massen von Menschen tot und verübt andere Akte wilder Kriegswut. Er steht sicher als Vertreter eines Typus in der Tradition. Zwischen dem als ekstatischer Berserker auftretenden Einzelhelden und der nur akuten Gemeinschaftsekstase des Kriegstanzes in der Mitte steht das asketische Training einer berufsmäßigen Kriegerschaft zur Kriegsekstase. Eine solche ist in Rudimenten wohl in den »Nasiräern« zu finden, den »Abgesonderten«114, ursprünglich wohl sicher asketisch geschulten Kriegsekstatikern, welche – das einzig sicher Ueberlieferte – ihr Haar ungeschoren ließen und sich des Alkohols, ursprünglich wohl auch des Sexualverkehrs, enthielten115. Auch Simson galt als solcher und ging in der ursprünglichen Legende wohl deshalb zugrunde,[103] weil er sich zum Bruch des sexuellen Tabu hatte verführen lassen. Die Nasiräer als Kern des Heeres finden sich in dem zweifellos alten Segensspruch des Mosessegens über Joseph (Deut. 33, 16), und das »langwallende Haar« (?) der Mannen ('am), die sich zum Kriege weihten (hithnadeb), erscheint im Anfang des Deboraliedes. In der späteren pazifistischen Entwicklung ist der Nasiräat zu einer Kasteiungsaskese kraft Gelübdes mit rituell exemplarischer Lebensführung, vor allen mit Enthaltung von Verunreinigung, geworden, – was er ursprünglich sicher nicht war, denn der Simson der Sage rührt Aas (des Löwen) an, gilt aber als Nasir. Das überlieferte Nasiräer-Ritual (Num. 6) hat schon diesen Charakter. Ursprünglich war, neben der magischen Vorbereitung für die Ekstase, wohl gerade die Erhaltung der physischen Vollkraft der Zweck jener Vorschriften. Graf Baudissins Hypothese, daß der in den Rechtsbüchern durch eine Ablösungsgebühr ersetzte alte Anspruch Jahwes auf alle menschliche Erstgeburt ursprünglich die Verpflichtung der Eidgenossen bedeutet habe, ihm den Aeltesten als nasiräischen Berufskrieger zu weihen, – womit man dann noch die Vorschrift des doppelten Erbanteils für den Aeltesten, um ihn ökonomisch »abkömmlich« zu machen, kombinieren könnte, – bleibt eine ansprechende, aber nicht sicher zu beweisende Vermutung, für welche vor allem der enge Zusammenhang zwischen den »Nasiräern« und »Erstgeborenen« im Mosessegen für Joseph (Deut. 33, 16. 17) sprechen könnte. Jedenfalls macht es die Erwähnung der Nasiräer in beiden Segensprüchen über Joseph wahrscheinlich, daß in diesem Stamm zur Zeit dieser Sprüche ein Kern von jahwistischen Glaubenskämpfern, eine Art jahwistischer Kriegsorden also (wenn man den Ausdruck zulassen will), der Träger der Kampfkraft gewesen ist. Näheres zu wissen ist unmöglich. Ebenso können wir nur sehr undeutlich die Beziehungen des alten Nasiräats zu einer andern aus der Zeit des alten Bauernheerbanns herrührenden Erscheinung erkennen: den Nebijim116. Beide[104] hatten enge Berührungen. Samuel wird in der Tradition von den Eltern in einer Art zum Jahwedienst geweiht, die dem Nasiräat entspricht und gilt einer allerdings fragwürdigen Ueberlieferung als Kriegsheld gegen die Philister. Andererseits aber gilt er auch als Nabi und Haupt einer Nebijim-Schule. Der Nasir, der Kriegsekstatiker stand, wie immer man diese Tradition bewertet, in jedem Fall dem Nabi, dem magischen Ekstatiker, nahe. Paß Nasir und Nabi ineinander übergehen, entspricht auch durchaus dem sonst bekannten Wesen von Glaubenskämpferorganisationen.

Die »Nebijim« sind in keiner Art eine Israel oder Vorderasien allein eigentümliche Erscheinung. Daß weder in Aegypten (vor der Ptolemäerzeit) noch in Mesopotamien die Existenz ähnlicher Formen der Ekstase bezeugt ist, sondern nur für Phönizien, hat sicherlich seinen Grund lediglich in der Diskreditierung der orgiastischen Kulte und der bürokratischen Reglementierung und Verpfründung der Mantik schon in der Frühzeit der Großkönigtümer, wie in China. »Propheten« heißen in Aegypten einfach die Inhaber bestimmter Arten von Tempelpfründen. In Israel aber wie in Phönizien und Hellas blieb, wie in Indien, die prophetische Ekstase infolge des Fehlens der Bürokratisierung eine lebendige Macht, und in Israel insbesondere stand sie in der Zeit der Befreiungskriege als Massenekstase in Verbindung mit der nationalen Bewegung. Die israelitischen Nebijim unterschieden sich im Wesen offenbar nicht von den schulmäßigen Berufsekstatikern, die wir über die ganze Erde hin verbreitet finden. Ihre Rekrutierung erfolgte nach persönlichem Charisma und war, wie die geringschätzige Behandlung durch die spätere Tradition erkennen läßt, stark plebejisch. Sie tätowierten sich offenbar (1. Kön. 20, 41), ähnlich den indischen Mendikanten, an der Stirn und trugen eine Tracht, zu welcher vor allem eine besondere Art von Mantel gehörte, durch dessen magisch wirkendes Ueberwerfen, scheint es, das Schulhaupt (der »Vater«) seine Jünger oder Nachfolger designierte. Sie trieben gemeinsam ihre Uebungen in besonderen Behausungen, anscheinend zuweilen auf Bergen (so dem Karmel); doch werden auch in einigen israelitischen Orten (Gibea, Rama, Gilgal, Bethel, Jericho) »Nebijim« erwähnt. Dauernde Askese oder Familienlosigkeit werden für sie nicht überliefert (2. Kön. 4, 1). Musik und Tanz gehörten hier wie[105] sonst zu den Mitteln der Erzeugung der Ekstase (2. Kön. 3, 15). Die Nebijim des phönikischen Baal, welche unter der Omriden-Dynastie in Nordisrael Eingang fanden, verwendeten einen Hinktanz um den Altar mit orgiastischer Selbstverwundung als Regenzauber. Selbstverwundung und auch (1. Kön. 20, 35 f.) gegenseitige Verwundung gehörten neben der Erzeugung kataleptischer Zustände und Irrereden auch zu den Praktiken der Jahwe-Nebijim, ohne daß wir über die Einzelheiten Genaueres wüßten. Der Zweck war der Erwerb magischer Kräfte. Die Mirakel, welche (2. Kön. 4, 1 f.; 4, 8 f.; 4, 18 f.; 4, 38 f.; 4, 42 f.; 6, 1 f.; 8, 1 f.) von dem letzten Meister der Zunft, Elisa, erzählt werden, tragen durchaus das typische Gepräge der berufsmäßigen Zauberei, wie sie in indischen und andern Magierlegenden sich finden. Und wie alle solche ekstatischen Zauberer wurden – wie jene Zaubergeschichten (und die von Elia überlieferten) erkennen lassen – Nebijim teils als Medizinmänner, teils als Regenzauberer in Anspruch genommen, teils aber traten sie wie die indischen Naga und die ihnen am ehesten vergleichbaren Derwische, als Feldkapläne und wohl auch direkt als Glaubenskämpfer in Aktion. Als Kriegspropheten traten die Jahwe-Nebijim in Nordisrael beim Beginn der Nationalkriege auf, vor allem in den Befreiungskämpfen gegen die unbeschnittenen Philister, die ja recht eigentlich Religionskriege waren. Aber wohl damals nicht zum erstenmal, sondern in allen eigentlichen Befreiungskriegen – deren erster der Deborakrieg war – ist offenbar auch die ekstatische Prophetie hervorgetreten. Sie hatte zunächst nichts mit irgendeiner »Weissagung« zu tun (das Orakel war ja zu Gideons Zeit reines Losorakel), sondern ihr Werk war, wie bei Debora, der »Mutter Israels«: Aufruf zum Glaubenskampf, Verheißung des Sieges und ekstatischer Siegeszauber. Daß freilich diese ekstatische Kriegsprophetie Einzelner mit der späteren schulmäßigen Nabi-Ekstase in direkter Verbindung stand, ist nicht sicher erweislich: das Deboralied und das Richterbuch kennt die letztere nicht.

Aber Beziehungen bestanden wohl sicher. Denn die Kriegsekstase war keineswegs auf die individuelle Ekstase der charismatischen Berserker und Kriegspropheten der früheren und die Massenekstase der Derwischbanden der späteren Zeit des bäuerlichen Heeres beschränkt. Sondern es finden sich überall die Verbindungsglieder. Nicht nur wird von den charismatischen[106] Kriegsführern der sogen. Richterzeit sicher ein erheblicher Teil, wenn nicht alle, den Charakter von Kriegsekstatikern gehabt haben, sondern vor allem auch von dem ersten König Israels ist dies ausdrücklich überliefert. Und zwar im Zusamenhang mit Beziehungen zu den Nebijim. Nach einer Tradition, die den Sachverhalt nicht mehr verstand, gerät Saul angeblich »zufällig« nach seiner den »Geist Jahwes« vermittelnden Salbung unmittelbar vor seinem öffentlichen Auftreten als König in eine Gesellschaft von Nebijim hinein und wird selbst von der Nabi-Ekstase erfaßt (1. Sam. 10). Aber auch später, noch während seines Kampfs gegen David, erfaßt ihn (1. Sam. 19, 24) bei einem wiederum angeblich zufälligen Besuch in Samuels Nabischulen, die Ekstase, so daß er nackt umhergeht, irre redet und einen ganzen Tag in Ohnmacht ist. In einem von Jahwe gesandten heiligen Wutanfall zerstückt er bei der Nachricht von den Kapitulationsverhandlungen von Jabes den Ochsen und ruft ganz Israel unter religiösem Fluch gegen die Säumigen zum Befreiungskampf auf. Seine Anfälle von Wut gegen David wertete die davididische Tradition als Folge eines bösen, aber ebenfalls von Jahwe stammenden Geistes. Er war offenbar ein kriegerischer Ekstatiker wie Muhammed. Aber ebenso wie Saul weilt auch David in Samuels Nabiwohnungen. Er tanzt vor der Bundeslade, als sie im Triumph eingebracht wird. Wie die Beziehung im einzelnen ausgesehen hat, ist aus solchen Nachrichten nicht mehr feststellbar, aber sie bestand.

Wie die Ekstasen Sauls, so wird aber von der späteren Tradition auch dieser ekstatische Akt Davids halb schonend entschuldigt. Ihr erschienen diese Züge als unköniglich. Michal, Davids Weib, spricht es ausdrücklich aus, daß ein König sich nicht benehmen dürfe »wie ein Plebejer«, und der Spruch: »Wie kommt Saul unter die Nebijim? wer ist ihr (der Nebijim) Vater?« drückt das genau Entsprechende aus: die Verachtung dieser würdelosen Plebs. Einerseits die noch zu erörternde veränderte Stellung der literarisch gebildeten Schichten der späteren Königszeit zu den alten Ekstatikern spricht dabei mit. Andererseits die inzwischen veränderte Stellung dieser Derwische infolge der seit Davids Stadtresidenz, endgültig aber seit Salomo, durchaus veränderten Struktur des Königtums. Vor seiner Etablierung als Stadtkönig war David ein charismatischer Fürst im alten Sinn, den der Erfolg allein als Gottesgesalbten legitimierte.[107] Als daher die Amalekiter die Herden und Weiber seiner Gefolgschaft geraubt haben, gerät er in Gefahr, von dieser kurzerhand als dafür verantwortlich erschlagen zu werden. Anders wurde das mit der endgültigen Begründung der erbcharismatischen stadtsässigen Monarchie und der Aenderung der Heeresverfassung, welche auf diese folgte. Salomo importierte Rosse und Wagen aus Aegypten und schuf damit das Ritterheer. Die königliche Menage bestand mindestens für die Leibtruppen und einen Teil, wenn nicht alle, Wagenkämpfer (1. Kön. 10, 26), die unter Salomo als in besondern »Wagenstadten« untergebracht auftreten. Seitdem vermutlich heißt in der Redaktion der Tradition das »Heer«, z.B. das Wagenheer des Pharao, einfach dessen »Vermögen« (chail), der königliche Oberst darüber der »sar chailim«. Dazu traten leiturgiepflichtige Königshandwerker und Untertanenfronden für die Festungs-, Palast- und Tempelbauten und auch für die Bestellung des sich ausdehnenden Königslandes, königliche Beamte mit Pfründen und Landlehen als Offiziere und wenigstens in den Residenzen auch als Richter, ein königlicher Drillmeister für die Heeresmannschaft, ein Kronschatz als Machtmittel und für Spenden an die Getreuen, zu seiner Speisung Eigenhandel des Königs auf dem Roten Meer und Abgaben der unterworfenen Fremdgebiete, aber auch regelmäßige Naturalabgaben der in 12 Bezirke eingeteilten Untertanen zur monatlich reihumgehenden Versorgung der königlichen Tafel, schließlich auch Arbeitsfronden nach ägyptischer Art. Ein regulärer Harem, Verschwägerungen und Bündnisse mit den Herrschern der großen Mächte, vor allem Aegyptens und Phöniziens, um Weltpolitik treiben zu können, im Gefolge davon Import fremder Kulte, teils nur in der Form von Hofkapellen für die fremden Prinzessinnen, teils aber auch durch Einfügung der fremden Götter in die eigenen Kulte, waren die sofort eintretenden Konsequenzen der Königsmacht. Das Königtum gewann so die bei den großen Kriegsmächten des Orients typischen Züge. Die königlichen Schreiber, der Kanzler, der Majordomus, der Rentmeister und der typisch ägyptische Rangtitel »Freund des Königs« (re'eh hamelech) treten auf. Auch weltliche Stellen sind mit Priestern oder Priestersöhnen, als den Schreibkundigen, besetzt (1. Kön. 4, 1 f.) und das bedeutete hier, wie überall, eine Steigerung der Macht der schulmäßig gebildeten Priester an Stelle der charismatischen Ekstatiker.[108] Aber dazu trat noch anderes. Aus der lockeren Eidgenossenschaft von Bauern, Hirtensippen und kleinen Bergstädten versuchte durch alle jene Mittel Salomo ein straff organisiertes politisches Gebilde zu schaffen. Zwölf geographische königliche Verwaltungsbezirke traten an die Stelle der durch den Jahwebund vereinigten Stämme; diese wurden jetzt Phylen, wie sie in allen antiken Stadtstaaten für die Repartierung der Staatslasten bestanden. Der größte Teil des Herrenstammes Juda scheint als Hausmacht eximiert gewesen zu sein, wie in den meisten monarchischen Staatenbildungen. Im übrigen knüpfte die Gliederung wohl meist an die Grenzen der alten Stämme an. Die Teilung Josephs in Ephraim und die beiden Manasse hängt vielleicht damit zusammen. Die Stereotypierung der 12 Stämme Israels erhielt wohl erst dadurch ihren Abschluß. Der wiederholte Abfall der Nordstämme änderte nach der Gründung von Samaria gar nichts daran, daß beide Reiche seitdem diesen Charakter behielten. Damit aber und vor allem mit dem steigenden Gewicht des Wagenkämpferheeres mußten der alte ekstatische Heldencharismatismus ebenso wie der alte Bundesheerbann an Bedeutung schwinden. Das stehende Heer: die königlichen Leibgarden und Soldtruppen, gewannen auf Kosten des alten bäuerlichen Aufgebots zunehmende Bedeutung. Die alten Gibborim waren wohl nur die panhopliefähige »classis« (römisch gesprochen) des Eidgenossenheeres gewesen. Mit der nunmehr steigenden Kostspieligkeit der Ausrüstung aber wurden sie eine Ritterschaft, zu deren Gunsten der Heerbann der Gemeinfreien zunehmend zurücktrat. Die Grundlage der königlichen Heeresmacht bildeten in zunehmendem Umfang die Magazine und Arsenale, welche namentlich für Hiskia (2. Chron. 32, 28) erwähnt werden. Damit trat jene Entmilitarisierung der bäuerlichen Schichten ein, von der schon gesprochen wurde. Der durch die Stadtentwicklung eingetretene Zustand verhielt sich an sich zu dem der alten israelitischen Eidgenossenschaft etwa so wie die Hegemonie der »Großmächtigen Herren von Bern« zu dem ursprünglichen Bauernbund der Schweizer Urkantone. Wesentlich verschärfend aber trat dabei in Israel hinzu die Herrschaft des Fronkönigtums. Man wußte sehr gut, daß der alte Bund und sein Heer sozial anders ausgesehen hatten und als etwas Neues wurden die Steuern und Königsfronden der freien Israeliten bitter empfunden.

[109] Die alten Vorkämpfer der Freiheit, die Nebijim, wurden von der eingetretenen Aenderung stark betroffen. Sie waren die geistlichen Lenker der alten Bauernaufgebote gewesen. Mirjam, Debora, nach der späteren (fragwürdigen) Tradition auch Samuel, die alten Berserker-Helden und die Banden der Derwische galten der populären Erinnerung als die vom »Geist« des Bundeskriegsgotts ergriffenen Träger der echten frommen Heldengesinnung. Der Feind waren die wagenkämpfenden Ritter gewesen – ägyptische, kanaanäische und philistäische –, gegen welche Jahwe durch die Erweckung der Helden- und Prophetenekstase dem Bauernheer den Sieg verliehen hatte. Jetzt aber wurde das Heer der eigenen Könige selbst ein Aufgebot geschulter wagenkämpfender Ritter und fremdstämmiger Söldlinge, in welchen für die Nebijim und Nasiräer kein Platz mehr war. Auch die Nabi-Ekstase und die Nasiräer – Askese wurden also – dies war ein religionsgeschichtlich sehr wichtiger Zug dieser innerpolitischen Entwicklung – entmilitarisiert. Wir sahen schon, wie der Degout der höfischen Gesellschaft gegen Davids ekstatischen Tanz der Michal in den Mund gelegt wurde. Einen »Verrückten« nennt ein Offizier Jehus jenen Nabi, der von dem Haupt der Jahwe-Nebijim, Elisa, geschickt wurde, um dem Feldherrn die Salbung zum Gegenkönig anzubieten. Bei dieser von den Rechabiten unterstützten jahwistischen Revolte Jehus gegen die Omridendynastie traten unter der Führung des Elisa auch die von ihm geführten ekstatischen Nebijim noch einmal als politischer Faktor hervor. Es fällt aber auf, daß in den Berichten über die Nebijim Elisas die ekstatischen Erscheinungen wesentlich temperierter erscheinen als in der Saul-und Samuel-Tradition: nicht vagierende, dionysisch ra ende Banden, sondern durch Musik zur Ekstase angeregte seßhafte Schulen sind ihre Träger. Und es ist überhaupt das letzte Mal, daß wir in dieser Art von ihnen als einem politischen Faktor hören. Die nächste Erwähnung ist eine negative: der Prophet Amos verwahrt sich unter Jerobeam II. dagegen, ein »Nabi« zu sein. Damit war offenbar gemeint: ein berufsmäßig geschulter Ekstatiker, der daraus ein Gewerbe macht. Denn an anderen Stellen braucht auch Amos den Namen Nabi als Ehrentitel. Aber immer wieder kehrt bei den Schriftpropheten die Klage über die Lügenhaftigkeit und Verderbnis der Nebijim. Damit sind stets Berufsekstatiker gemeint.

[110] Daß die berufsmäßige Nabi-Ekstase nur teilweise politisch orientiert, im übrigen aber ein einfacher Erwerb als Magier war, geht aus den Quellen deutlich hervor. Einen nationalisraelitischen Charakter hatten offenbar diese freien Nebijim nicht. Sie stellen ihre Dienste unter Umständen auch Nichtisraeliten zur Verfügung. Elisa geht nach Damaskus und der Feind Ahabs, König Benhadad, läßt ihn konsultieren. Auch seinem am Aussatz erkrankten Feldhauptmann gibt er ein magisches Heilmittel an, durch welches dieser zum Jahwe-Verehrer bekehrt wird. Er verkündet dem Feldherren des Damaskenerkönigs, Hasael, dem späteren Todfeinde Israels, seine Bestimmung zur Krone des Aramäerreichs. Ebenso steht er auch dem eigenen König auf Verlangen als ekstatischer Zauberer im Moabiterkrieg zur Verfügung. Aber in festem Dienst steht er nicht: er gilt der Tradition als Leiter einer Gemeinschaft freier Nebijim. Die im Königsdienst stehenden Nebijim waren in Phönizien alt. König Ahab hatte Baal-Nebijim seiner phönikischen Frau in seinen Diensten, aber, da er seine Kinder jahwistisch benannte, sicher auch Jahwe-Nebijim. Beide in der von jeher in Syrien typischen Art: als Pfründner, die an der königlichen Tafel lebten. Offenbar gab es aber damals schon eine Kategorie von Nebijim, welche jede Verwertung des ekstatischen Charisma zu irgendwelchen Erwerbszwecken perhorreszierte. Dieser Standpunkt wird, mit fraglichem Recht, dem Elisa zugeschrieben. Er schlägt den Schüler, der Entgelt nimmt, mit Aussatz. Das entspricht dem, was wir bei den Intellektuellenschichten auch anderer Länder, bis zu den hellenischen Philosophen, als Gebot der Standesehre wiederfinden und diesen Anschauungen entsprang auch die Ablehnung des Nabi-Titels durch Amos. Sowohl jene berufsmäßigen Königsnebijim wie auch diese Schicht von freien Nebijim aber, welche sich als Hüter der reinen Jahwe-Tradition fühlten, sahen sich, da ihre unmittelbar militärische Bedeutung als Glaubenskämpfer seit der Wagenkampftechnik fortfiel und nur, für die ersteren, eine Art magische Feldkaplanschaft blieb, jetzt darauf hingewiesen, vor allem die andere, solchen Ekstatikern eigene Gabe zu pflegen: die ekstatische Weissagung.

Die Beziehung der Nabi-Ekstase zur Weissagung ist zweifellos alt, wie schon der Zusammenhang des (nicht hebräischen) Wortes »Nabi« mit dem Namen des babylonischen Orakelgotts nahelegt. Daß die phönizischen Stadtkönige schon der Ramessidenzeit[111] sich Ekstatiker als Propheten hielten und nach deren Weisungen ebenso handelten, wie die mesopotamischen Könige nach den Orakeln der Tempelpriester, zeigt die Reisebeschreibung des ägyptischen Schreibers und Abgesandten des Amonpriesters Wen Amon, aus der Zeit etwa des Deboraliedes, für Byblos. Einer der Propheten des Königs gibt in der Ekstase ein Orakel, welches die gute Behandlung des Gastes empfiehlt und danach wird gehandelt. Die alten charismatischen Kriegsfürsten Israels hatten entweder ihrerseits den Gott direkt um ein Omen gebeten oder ihre Entscheidung an ein bestimmtes Zeichen geknüpft: so, nach der Tradition, Gideon dreimal nacheinander. Oder sie waren von einem ekstatischen Nabi zum Krieg aufgerufen worden, wie vor allem Barak von Debora. Zum erstenmal von Saul wird in der historischen Tradition berichtet, daß er einen »Seher« (Roeh), der zugleich Nabi war (Samuel), von sich aus um ein Orakel und um magisch wirksamen Segen für das eigene und Fluch gegen das feindliche Heer bat. Die gleichen Leistungen schrieb dann die Legende für die Vorzeit dem ebenfalls als ein, politischen Zauber bewirkender, Roeh und zwar, wie die etwas unklaren Andeutungen (Num. 24, 1) beweisen, als Ekstatiker, aufgefaßten Moabiter oder Midianiter Bileam zu. Er wird von der Legende eingeführt als herbeigeholt durch den feindlichen König und von Jahwe wider seinen Willen gezwungen, Israel zu segnen. Indessen das entstammt späteren Vorstellungen vom Wesen der prophetischen Berufung. Bileams Segenssprüche für Israel und Unheilsdrohungen gegen Amalek, Kain, Edom entsprechen den überall typischen Heilsprophetien.

Da die historische Situation, welche sie voraussetzen, derjenigen der Zeit der ersten Könige entspricht, darf man in den ihm zugeschriebenen Sprüchen die ersten sicheren Repräsentanten einer Heilsprophetie für Gesamtisrael sehen. Für den Zusammenhang der Figur Bileams mit der gerade für Nordisrael typischen Art von Ekstatik sprechen dabei die Vorwürfe, welche ihm später (Num. 31, 16; 25, 1) gemacht wurden. Ueber diesen Heilsspruch zeitlich rückwärts führen einige der Segenssprüche in den Sammlungen dieser. So vor allem der für den Stamm Joseph im Jakobse gen (Gen. 49, 22 f.), in älterer Fassung im Mosessegen (Deut. 33, 13 f.). Aber er scheidet sich dadurch von jenem Bileamspruch, daß er offenbar nicht den Zweck magischer Beeinflussung bestimmter politischer Ereignisse hatte.[112] Er war keine Heilsprophetie, sondern vermutlich ein bei Stammesfesten von Barden vorgetragenes Preislied auf das schöne, fruchtbare Land des Stammes, verbunden mit dem Erflehen des Segens des Dornbusch-bewohnenden Jahwe für die tapferen Nasiräer und Erstgeborenen des Stammes. Aehnlich fleht der zweifellos spätere Mosesspruch über Juda (Ex. 33, 7) den Segen auf diesen Stamm herab, der als von Feinden bedrängt, aber zum Hegemon des Bundes designiert gilt. Er scheint indessen wesentlich literarischen Charakters zu sein. Die andern Stammsprüche sind teils allgemeine Preislieder auf den Landbesitz oder das Heer des Stammes, oder umgekehrt Tadel- und Spottverse oder, wie bei Ruben, Simeon, Levi, nachträgliche Rechtfertigungen ihres Untergangs, sämtlich aber ohne eigentlich prophetischen Charakter. Ein anderes Gepräge trägt nur der Spruch für Juda im Jakobsegen (Gen. 49, 9 f.). Er enthält neben dem Lobe des weingesegneten jüdischen Landes die Zusicherung, daß dieser Stamm das Szepter behalten und daß aus ihm der große Held Israels kommen werde. Der Spruch ist ganz offenbar ein Produkt der großen Machtentfaltung Davids und zweifellos eine vaticinatio ex eventu. Aber er hat die Art der Heilsweissagung in der Form einer Königsprophetie und ist das zeitlich vermutlich älteste erhaltene Produkt dieser Art in Israel. An allen orientalischen Höfen, namentlich auch im benachbarten Aegypten, war diese Art von höfischer Heilsprophetie bekannt und sie ist seit David von den israelitischen Königspropheten gepflegt worden. Im Judaspruch gilt das Heil noch dem Stamme des Königs als dem Hegemon. Bei den typischen Königsprophetien galt er dem Könige. Für diesen handelte es sich dabei vor allem darum, den Fortbestand seiner Dynastie durch ein unzweideutiges und zugleich wirkungskräftiges Orakel zu sichern. Daß ein solches dem David persönlich von Jahwe gegeben worden sei, ist die Form, in welcher die älteste überlieferte Heilsprophetie (2. Sam. 23, 1 f.) der Davididendynastie auftritt. Hier legt der Königsprophet seinen Spruch zugunsten der Dynastie deren erstem König selbst in den Mund, den die Tradition als einen von Jahwes Geist ergriffenen Ekstatiker auf dem Thron behandelt. Eine dem Salomo und seinem Tempel freundliche spätere Tradition, wohl die gleiche, welche seine zweifelhafte Legitimität zu stützen suchte, indem sie den sonst in der vorprophetischen Ueberlieferung als freien »Seher«[113] geltenden Nathan zu einem in die Hof- und Priester-Intriguen nach Davids Tod eingreifenden höfischen Parteigänger machte. legt dagegen diesem Propheten ein entsprechendes Heilsorakel für Salomo und den ewigen Bestand des davididischen Throns in Verbindung mit dem Tempelbau in den Mund (2. Sam 7, 8 f.). Dürfte dem Orakel ein hohes Alter zugeschrieben werden, so wäre es die früheste erhaltene Heilsprophetie des spätern Typus. Von den späteren Königen Israels berichtet die Tradition namentlich für Ahab die Benutzung seiner offenbar ziemlich zahlreichen höfischen Nebijim als Orakelgeber und, was stets damit identisch ist, als Spender magisch wirkender Glücksverheißungen. Unter der streng jahwistischen Dynastie Jehus wird dann zum erstenmal der Fall berichtet (2. Kön. 14, 25), daß ein Orakel des Jona, des Sohnes des Amittai von Gath in Galiläa, welches – zweifellos während des schweren Kriegs gegen die Aramäer – einen König vorausgesagt habe, der die Grenze des davididischen Reichs wieder herstellen werde, durch die Kriegstaten Jerobeams II. erfüllt und daß dieser also der geweissagte König gewesen sei. Hier tritt also die Weissagung vom Retterkönig nicht nur – wie bei dem Judaspruch im Jakobsegen – als literarische Form, sondern als wirkliches Orakel auf. Zweifellos handelt es sich auch hier um einen königlichen Heilspropheten. Ihre dauernde Verwendung in beiden Teilreichen steht auch anderweit fest und ist durch die scharfen Worte der späteren unabhängigen Schriftpropheten gegen die Lügenpropheten der Könige genügend bezeugt. –

Wie man aus dem Gesagten sieht, scheidet die heutige Fassung der Tradition nicht mehr zwischen »Nabi« und »Roeh«. Sie behauptet vielmehr gelegentlich ausdrücklich, daß letzteres der ältere Name für den ersteren gewesen sei – wobei sie unter »Nabi« den spätern Schriftpropheten versteht. – Allein das trifft zweifellos nicht zu. Alle jene heillose Unklarheit, in welcher heute Figuren wie Bileam, Samuel, Nathan, auch noch Elia, vor uns stehen, schreibt sich nicht nur daher, daß in der Tat hier wie überall die Uebergänge der Typen flüssig waren, sondern aus der tendenziösen Ausmerzung und Verwischung der alten Gegensätze. Was der typische »Roeh« ursprünglich war zeigt der Bericht über das zitierte Heilsorakel des Nathan: ein Mann, der auf Grund von Traumdeutungen Orakel gab, entweder also eigene oder (wie Joseph in der novellistischen[114] Tradition) fremde Träume erfolgreich deutete oder – und das war die Hauptsache – in der apathischen Ekstase Hellgesichte hatte. Was ihn vom alten Nabi unterscheidet, ist vor allem die Nichtverwendung der diesem typischen orgiastischen Rauschmittel und also auch: der Massenekstase. Er erhält seine Gesichte einsam und wird von seinen Kunden zum Zweck der Befragung aufgesucht. Nicht immer – z.B. dem Nathan nicht –, aber in aller Regel traute man ihm magische Kräfte zu. Es scheint, daß für einen solchen zugleich mit magischen Kräften ausgerüsteten »Roeh« der Name »Gottesmann« (isch haelohim) gebräuchlich war. Samuels Stellung in der historischen Tradition erklärt sich vielleicht ursprünglich daraus, daß er zuerst in der Zeit der Befreiungskämpfe die seitdem als klassisch zugelassenen Formen der Jahwe-Offenbarung: Traum und hellseherische Entrückungsvision, für politische Orakel gepflegt hatte. Nathan und Gad (2. Sam. 24, 11) unter David, Ahia von Silo unter Salomo und Jerobeam (1. Kön. 15, 19), Jehu der Sohn Hananis unter Baesa scheinen diesem Typus angehört zu haben. Später sind sie daher mit den Nebijim – freien oder Königspropheten – in einen Topf geworfen worden. Die Erteilung politischer Orakel war aber offenbar nicht die ursprüngliche und wohl dauernd nicht die hauptsächliche Tätigkeit der »Seher« gewesen. Und andererseits waren die offiziellen Orakel der angestellten Jahwepriester, politische und prozessuale, nicht Traum-oder Visions-, sondern Losorakel.

Auch die Roeh-Ekstase war zunächst privater Erwerb. Die Tradition berichtet noch, wie Alltagsfragen aller Art, z.B. nach dem Verbleib von Eselinnen, vor den Seher gebracht und die kraft Hellgesichts abgegebenen Orakel durch Geschenk entgolten werden (1. Sam. 9, 6. 7). Allerdings: der späteren Tradition ist der Gottesmann und Seher vor allem ein Mann, der den Willen des Bundesgottes den maßgebenden Autoritäten: den Aeltesten, oder dem König oder einem von ihm zum charismatischen Kriegsfürsten zu erweckenden Helden, verkündet. So verfahren schon Samuel und Nathan. Allein hier hat die prophetisch beeinflußte jetzige Redaktion vor allem der deuteronomischen, den Samuel auf den Schild hebenden Schule offenbar dem wirklichen »Seher« der alten Zeit eine ganz andere, von ihm verschiedene Figur substituiert. Alle bisher behandelten Typen gehören nämlich dem Gebiet der seßhaften[115] bäuerlichen Stämme des Nordens an. Das ist kein Zufall, wie sich später zeigen wird. Die Viehzüchterstämme und der ihnen genuine Jahwismus kannten dagegen – und ebenfalls nicht zufällig – andere Arten, in welchen die Gottheit ihren Willen kund tut. Die älteste ist die Epiphanie. Sie findet sich bei allen Erzvätern, in der historischen Tradition zunächst in der legendären Versammlung des Volks in Bochim (Jud. 2, 1), zuletzt aber bei Gideon. Aus Jahwe selbst ist dabei schon ein göttlicher Bote geworden. Denn der spätern Tradition hat nur Mose Jahwe von Angesicht zu Angesicht gesehen. Immer aber handelt es sich darum: daß derjenige, welchem die Epiphanie zuteil wird, die leibhaftige Stimme Jahwes oder seines Boten hört, nicht ein bloßes Traumgesicht empfängt. Das ist also wiederum ein anderer Prophetentypus117. Seine Vertreter behaupten, den »Träumern von Träumen«, deren Gesichte unsicher und unkontrollierbar seien, überlegen zu sein. Das in ihren Augen entscheidende Merkmal bleibt auch in der späteren Zeit der klassischen Prophetie das gleiche: persönlich muß man mit Jahwe verkehrt, in der »Ratversammlung« des Gottes gewesen sein und die Stimme des Herrn selbst gehört haben, wenn das Orakel gelten soll. Dem dadurch beeinflußten Zweige der Tradition galten demgemäß die Traumorakel als unklassisch und trügerisch und die bloß Träume deutenden Seher als verdächtig. Mochte auch die Traumdeutung, trotz des rücksichtslosen Kampfs namentlich Jeremias dagegen, noch in späterer, nachexilischer Zeit (Joel 3, 1; Daniel 2, 1 f.) Prestige unter babylonischem Einfluß wiedergewinnen und jedenfalls nie gänzlich abgelehnt werden, so war doch, wenigstens in vorexilischer Zeit, die Entstehung einer priesterlichen Traumdeutungslehre nach Art der mesopotamischen Traumbücher nicht möglich. Kombinationen von »Sehen« und »Hören« kommen vor: Amos wird von seinem Gegnern »Choseh« genannt und seine Eingebungen sind Verbindungen von »Gesichten«[116] mit auditiven Deutungen dieser durch Jahwe. Aber es sind reale Wachgesichte. Das Uebergewicht des »Hörens« ist auch bei ihm bestimmend für den Typus.

Das Temperament eines auditiven, nicht durch Traumvision in der apathischen Ekstase, sondern emotional durch Stimmenhören inspirierten Propheten, ist naturgemäß ein weit erregteres und aktiveres als das eines Traumvisionärs. Daher offenbar kam der Name »Nabi« auch für diese Orakelgeber auf. Ihr Typus prägte nun die Tradition. Ihr ist seitdem der »Gottesmann« vor allem ein Mann, der den Willen des Bundesgottes teils, wie die Nebijah Hulda unter Josia oder wie Jeremia unter Zedekia auf Befragen, teils aber und zunehmend gerade ungefragt den politischen Machthabern kündet, mag ihnen das Orakel erfreulich sein oder nicht, ja gerade dann, wenn es ihnen unerfreulich ist. Samuel gilt der Tradition als der erste, dessen Prestige ihm dies zu tun erlaubte, und die spätere Anschauung legte auf die Möglichkeit, daß ein amtloser und nicht zu den Priestergeschlechtern gehörender Mann von diesem prophetischen Geist Jahwes ergriffen sein könne – was offenbar gelegentlich von den Interessenten angefochten wurde – solches Gewicht, daß sie dafür in Eldad und Modad (Num. 11, 29) ein eigenes mosaisches Paradigma schuf. In der legendenumwobenen Figur des Elia erreichte dieser Typus seinen Höhepunkt und bog zugleich schon teilweise in den neuen des späteren (Schrift-) »Propheten« um, der sich von dem alten Gottesmann dadurch unterscheidet, daß seine Orakel mindestens teilsweise sich an die Adresse der politisch interessierten Oeffentlichkeit des »Publikums« wendet, nicht nur an die verfassungsmäßigen Gewalten – je nachdem: König oder Aelteste – allein. Elia, der durch die tendenziöse Tradition der Nebijim wenigstens indirekt mit der Nabischule Elisas – die noch ganz den traditionellen Charakter trägt – in Beziehung gebracht wird, ist die erste spezifisch »klerikale« Gestalt der israelitischen Geschichte. Zu einem Magier vom Typus des Elisa hat ihn erst die Legende und die – sogar in der Tradition als »Streberei« hervortretende – Absicht dieses Epigonen der alten Nebijim gemacht, sich als seinen Nachfolger hinstellen zu können. Im Gegenteil war das Eindrucksvolle seines Auftretens offenbar gerade darin begründet, daß er kein anderes Mittel als die einfache Anrufung Jahwes im Gebet, im Gegensatz zu dem ekstatischen Zauber der Baals-Nebijim,[117] verwendete. Elisa ist nicht zufällig, wie wir sehen werden, der Tradition ein seßhafter Bauer, während Elia aus Thisbe jenseits des Jordans, also aus dem Steppengebiet stammt und ein Wanderleben über das ganze Gebiet der Jahweverehrung hin bis zum Horeb führt, von der Königin des Nordreichs mit dem Tode bedroht, während Elisa als Kriegsmagier Ahabs fungiert. Elia empfängt seine Befehle von Jahwe in der Einsamkeit und verkündet sie persönlich, als Bote seines Gottes, so, wie dies die jahwisti sche Anschauung seiner Zeit den Epiphanien der Engel Jahwes zuzuschreiben pflegte. Darauf und auf der bis dahin unerhörten Rücksichtslosigkeit seines Auftretens gegenüber den politischen Machthabern beruhte sein beispielloses Prestige. Historisch aber ist er wichtig als der erste historisch leidlich sicher greifbare Unheilsprophet und darin der Vorläufer jener Reihe großartiger Gestalten, die für unsern heutigen literarischen Bestand mit Amos beginnt und mit Hesekiel ein Ende nimmt. Sie wurden die geistigen Träger der Opposition gegen das Königtum und alle die von ihm (wirklich oder angeblich) verschuldeten Neuerungen, von den perhorreszierten fremden und kanaanäischen Kulten angefangen bis zum sozialen Druck gegen die einstigen Träger des Bundesheerbanns. Wie bei den apathischekstatischen Traumsehern, so ist auch bei ihnen das entscheidende Unterscheidungsmerkmal gegenüber den orgiastischmassenekstatischen Nebijim: die Einsamkeit. Psychologisch freilich, wie schon angedeutet und später zu erörtern, aus gänzlich andern Gründen. Soziologisch aber zunächst deshalb, weil Unheilprophetie sich nicht, wie Heilsprophetie, berufsmäßig lehren läßt, weil sie ferner nicht erwerbsmäßig verwertbar ist: denn ein böses Omen – und das war jedes Unheilorakel – kaufte man nicht, und weil endlich alle sozialen Gewalten und Gemeinschaften dem Unheilpropheten aus dem Wege gehen oder ihn geradezu als Verderber des Volks und aller guten Omina verfemen. Die Einsamkeit sowohl wie die hier zuerst zum Grundsatz erhobene Ablehnung des Erwerbs durch Orakel118 seitens der Unheilpropheten war also in den Verhältnissen begründet und nur teilweise freiwillig. Sie bedingte[118] es aber, daß in ihnen die großen Ideologen des Jahwismus erstanden, die gar keine Rücksichten kannten und ebendadurch jene gewaltigen Wirkungen erzielten, die ihnen beschieden waren. Den Elia bezeichnet König Ahab als Unheilmenschen und Volksverderber. Er hat in der Tat auch seelisch schon ganz den Typus der spätern Propheten. Als einen von Jahwes zornigem Geist Besessenen der leidenschaftlichsten Art, der nach dem siegreichen Gottesurteil gegen die konkurrierenden Baalspriester vom Karmel hochgeschürzt vor dem Königswagen her bis in die Residenz hinabrennt, aber auch als Glaubenshelden, der mit seinem Gott wie Mose ringt und schilt und von ihm einer Epiphanie gewürdigt wird, die der des Mose zunächstkommt, als den letzten großen Magier und den einzigen unter den von Jahwe in den Himmel Entrückten, dem die jetzige Redaktion diese Ehre gegönnt hat, kennt ihn die Tradition und so hat diese Figur die Phantasie der Gläubigen mit Wiederkunfts-Erwartungen bis in die späteste Zeit beschäftigt. Gleichzeitig mit dieser von der Legende ins Uebermenschliche gesteigerten Gestalt findet sich aber in der Tradition eine rein geschichtliche Figur, welche, von allen solchen übernatürlichen Zügen befreit, in einem entscheidenden Punkt ebenfalls bereits dem Typus der späteren »Propheten« entspricht und auch von den Redaktoren der Tradition als einer ihrer Prototypen behandelt wird: Micha der Sohn des Jimla, der vor dem Feldzug den Hunderten von Heilspropheten im Dienste Ahabs mit einer Unheilsweissagung entgegentritt, die dann in Erfüllung geht (1. Kön. 22, 8 f.). Dies: die politische Unheilsandrohung, die zugleich magisch als böses Omen gewertet wurde, schien, wie schon den Zeitgenossen des Elia (1. Kön. 21, 20), so auch denen des Micha und Jeremia (Jer. 26, 18) das charakteristische Merkmal einer besonderen Art von Prophetie. Sie war politisch gefährlich. Aber es schien auch gefährlich, den von Jahwe ergriffenen Unheilskünder anzutasten. Das Merkmal wurde nun auch rückwärts in die halb legendären Gestalten der früheren »Seher« der Vorzeit hineinprojiziert und dadurch der (angebliche) Moabiter Bileam zu einem den Israeliten. Elisa zu einem dem Hasael wider ihren Willen Heil weissagenden Propheten gemacht.

Das erste Auftreten der unabhängigen politisch orientierten »Seher«, deren Nachfolger diese »Propheten« wurden, fällt nicht zufällig ziemlich genau mit jener großen Wandlung zusammen,[119] welche unter David und Salomo das Königtum für die politische und dadurch auch für die soziale Struktur Israels mit sich brachte. Die Frage des Tempelbaues, Thronfolgefragen, private Sünden des Monarchen, Kult und die allerverschiedensten politischen und persönlichen Entschließungen – bei Elia zuerst auch eine soziale Ungerechtigkeit des Königs – sind Gegenstände ihrer Orakel und ihrer meist unerbetenen, oft außerordentlich scharfen Kritik. Diese Kritik aber legt in der Tradition ein für allemal einen Maßstab zugrunde: das »gute alte Recht« des altisraelitischen Bundes, so, wie die Träger der Kritik es verstanden. Die Umwandlung des Staates in einen Leiturgiestaat, in ein »ägyptisches Diensthaus« im Zusammenhang mit dem Wagenkampf und der Weltpolitik ist ihnen die Quelle alles Uebels. Der ganze bürokratische Apparat ist ägyptischer Greuel, Volkszählungen ziehen, selbst wenn Jahwe selbst dazu – zur Strafe für Sünden – die Anregung gegeben hat, eine Pest nach sich. Das entsprach der volkstümlichen Auffassung. Die israelitischen Bauern wußten, daß sie einst für Fronfreiheit gegen die Ritter gekämpft hatten. Jetzt spürten sie die politische und ökonomische Uebermacht des Königs und der Patrizier und ihre eigene zunehmende Schuldverknechtung. Die vom König unabhängigen Seher und Propheten, die Erben der Volkstümlichkeit der nun außer Betrieb gesetzten kriegerischen Nebijim, verklären daher die Zeit, wo Jahwe selbst als Herzog dem Bauernheer voranzog und der auf dem Esel reitende Fürst sich nicht auf Rosse und Wagen und auf Bündnisse verließ, sondern ausschließlich auf den Bundeskriegsgott und seine Hilfe. Von hier aus kam zuerst die hohe Wertung des »Glaubens« an Jahwes Verheißungen in die israelitische Religiosität hinein. Der Name »Jahwe Zebaoth«, Jahwe der Heerscharen119, welcher dem Pentateuch und dem Richterbuch fremd ist, wurde nun erst die von den Sehern und später, nach ihrem Beispiel, von den Schriftpropheten, vor allem (aber nicht: nur) den Unheilpropheten fast ausschließlich gebrauchte Gottesbezeichnung. Die »Zebaoth« waren dabei zwar zunächst die himmlischen Diener Jahwes, vor allem das schon im Deboralied[120] mitkämpfende Sternengeisterheer (Zebah) und die Engel. In der weltlichen Tradition aber bedeutet Zebaoth, wie Kautzsch mit Recht hervorhebt, an allen jenen (26) Stellen, wo das Wort ohne Verbindung mit dem Gottesnamen vorkommt, stets den alten Heerbann Israels. Dessen Gott war in den Augen dieser Kreise Jahwe und an diesen ist daher zweifellos bei jenem prophetischen Gottestitel mindestens mitgedacht. Und zwar finden sich solche Stellen auch in der jüngeren Tradition aus einer in der wirklichen Politik pazifistischen Zeit. Es handelt sich eben um eine nachträgliche ideale und tendenziöse Konstruktion der eidgenössischen Vergangenheit Israels. Die jahwistische Unheilsprophetie brauchte den Ausdruck nicht nur, weil die Prophetie der alten, guten Zeit Kriegsprophetie gewesen war, und nicht nur um zum Ausdruck zu bringen, daß Jahwe allein der legitime Heerkönig Israels sei (was zuerst Jes. 6, 5 vgl. 24, 21 behauptet wird). Sondern auch deshalb, weil die alten Verheißungen des Gottes, wie wir sehen werden, neben dem materiellen vor allem gerade das kriegerische Heil Israels zum Gegenstand gehabt hatten und sie davon sich nicht lossagen konnte und wollte. Neben die pazifistische Gestaltung der Erzvätersagen, welche im Kreise der entmilitarisierten Kleinviehzüchter ihre Heimat hatte, und neben die Verklärung des alten Sozialrechts, vor allem des sozialen Schuldrechts des Jahwebundes, an welchem die entmilitarisierten Plebejer hingen, trat so die spezifisch glaubenskämpferische Legende der tatsächlich ebenfalls entmilitarisierten, nur noch in ihrer Phantasie mit Jahwe gemeinsam kämpfenden Propheten, die jetzt statt kriegerischer Derwische und ekstatischer Therapeuten und Regenmacher als eine Schicht literarisch gebildeter politischer Ideologen auftraten. Nach einer gelegentlichen Bemerkung des Amos (2, 11 f.) scheint es, daß die königliche Bürokratie die unbequemen demokratischen Glaubenskämpfer, die Nasiräer und freien Nebijim, ganz bewußt bekämpft hat. Dies ist, nach allen Analogien von anderswoher, an sich höchst wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, daß in Zeiten starker Regierungen auch die Prophetie schwieg. Aber in Zeiten sinkender Macht und äußerer Bedrohung regten sich alsbald die alten demokratischen Erinnerungen. Die utopische Phantasie ihrer Träger sättigte sich um so mehr mit blutigen Bildern kriegerischer Heldentaten Jahwes, je unmilitärischer sie selbst inzwischen geworden waren, – ganz so, wie wir[121] ja auch heute in allen Ländern das Höchstmaß von Kriegsdurst bei jenen Literaten-Schichten erleben, welche vom Schützengraben am weitesten entfernt und ihrer Natur nach am wenigsten kriegerisch geartet sind. – Der eigentliche Stein des Anstoßes für diese Literaten mußte nun die Politik des Königstums sein, welche alle jene Umgestaltungen der alten Heeres- und Sozialordnung herbeigeführt hatte. In diesem Gegensatz gegen die politischen und sozialen Umformungen fanden alle: die rechabitischen und anderen von Jahwepriestern geleiteten Hirten, die Bauern, die exemplarisch frommen Jahweverehrer, sich im Zeichen der Verklärung der guten alten Zeit der reinen Jahwefrömmigkeit und des freien Jahwebundes zusammen. Die äußere und innere Unabhängigkeit dieser Kritik gegenüber dem König war durch das Fehlen eines hierokratischen Charakters des Königtums begünstigt. Der israelitische König hatte keine priesterliche Würde. Zwar Ansätze dazu finden sich, wenn David das Ephod trägt. Aber im übrigen war der König zwar in der Lage, die Priester der von ihm sustentierten Heiligtümer anzustellen und zu entlassen120, ja sie wie seine Beamten zu behandeln, ebenso wie große Grundherren (Micha) dies an ihren Kapellen taten. Er konnte opfern, wie ursprünglich jeder Israelit. Aber er hatte nicht die Qualifikation, Orakel zu geben, Weihe und Sühne zu spenden. Dies war dem charismatisch Qualifizierten: dem Propheten und später dem geschulten Leviten, vorbehalten. Das relative Zurücktreten der Bedeutung des Gemeinschaftsopfers in der Tradition der Jahwereligion, bedingt durch das ursprüngliche Fehlen einer perennierenden Bundesautorität und den Charakter der Beziehung Jahwes zur Eidgenossenschaft, kam der Selbständigkeit der hierokratischen Machtstellung der freien Nebijim (ebenso wie später der Thoralehrer) gegenüber dem König zugute.

Die spätere Tradition legt daher dem Samuel, den sie zugleich als, »Roeh« und »Nabi« und als Vertreter des alten Rechts verklärt, die Schilderung des Inhalts des ihr verhaßten neuen Königsrechts in den Mund. Weil das Volk trotz aller Warnung darauf bestand, sich einen König zu küren, sollte Samuel es schriftlich (1 Sam. 10, 25), also, dem alles beherrschenden Gedanken[122] der berith entsprechend, nach Art einer Verfassungsurkunde im Archiv niedergelegt haben (1 Sam. 8, 11): Der König wird Hauptleute über Tausend und Fünfzig ernennen. Er wird die Söhne der Israeliten für die Bedienung seiner Kriegswagen pressen, andere zum Dienst als Waffenschmiede und Wagenbauer, ihre Töchter zum Salbenbereiten, Kochen und Backen (für seine Tafel und den Heeresbedarf). Er wird Felder, Wein- und Oelgärten als Lehen für seine Beamten verlangen, Ackerbestellungs- und Erntefronden, namentlich Zwangsdienst von Knechten, Mägden, Rindern und Eseln für sein Königsland und seinen sonstigen Bedarf, den Zehnten von Wein, Feld und Kleinvieh für die Bezahlung seiner Offiziere und Soldaten. Die freien Israeliten werden seine »Knechte« (d.h. Untertanen statt Eidgenossen) sein121. Gegen diesen Zustand wendete sich die politische Tendenzlegende und redigierte die Ueberlieferung um. Während z.B. die echte Tradition (2 Sam. 21, 19) weiß, daß einer der Ritter Davids, Elhanan der Bethlehemiter, den Gathiter Goliath erschlagen hat, läßt die Tendenzlegende ihn von dem unbekannten und ungepanzerten Hirtenknaben David mit einem Stein nach Bauernart getötet werden. Massenhafte Züge ähnlicher Art sind teils aus der echten Tradition ausgelesen unter Unterdrückung anderer, teils neu erfunden. Der Vorliebe dieser Tradition für das alte Bauernheer verdanken wir vermutlich die Erhaltung gerade des Deboraliedes aus den alten Liedersammlungen, andererseits aber auch die Art, wie die Eroberung Kanaans und die Kriege der Richterzeit legendär umgestaltet worden sind. Vor allem aber kommt auf ihre Rechnung die Verklärung der brüderlichen Gleichheit und Schlichtheit der Eidgenossen in der Wüstenzeit, dieses von Budde sehr glücklich sogenannte »nomadische Ideal«. Daher waltet diese Tendenz ganz offensichtlich auch bei der Auslese der uns aus den alten Rechtssammlungen allein aufbewahrten früher besprochenen sozialrechtlichen Bestimmungen und bei deren vermutlich ziemlich weitgehender Interpolation mit utopischen Theologumenen.

Aus der gleichen Tendenz heraus verlangten die Vertreter der alten Tradition: der König solle nicht, um Rosse und Wagen zu halten, »in das ägyptische Diensthaus zurückkehren« (Deut. 17, 16). Glanz und Pracht des salomonischen Hofs und Tempels[123] verwarfen sie zugunsten der alten Bauernfreiheit und des alten schmucklosen Kults auf einem Erdaltar. Allein angesichts der bedeutenden Interessen, welche mit dem glänzenden königlichen Tempelkult verknüpft waren, standen diese Forderungen selbst in den Kreisen der frommen Jahwisten nicht ohne Gegner da. Die Stellungnahme zu Salomos grundstürzenden Neuerungen und zum Königtum überhaupt ist demgemäß in den Quellen uneinheitlich. Ein Teil der Tradition weiß, daß in der königlosen Zeit Unordnung und Willkür herrschte und entschuldigt alles, was vom späteren rituell und ethisch korrekten Standpunkt aus als Frevel galt, damit: daß damals kein König in Israel war und deshalb jeder »tat, was ihm gut schien«, (Jud. 17, 16; 21, 25, ähnlich: 18, 1; 19, 1). Die gewaltige Machtstellung vor allem Davids, aber auch Salomos als des Erbauers des Tempels, wirkte naturgemäß in der Richtung der Verklärung gerade dieser Könige auf Kosten sowohl des Bauernfürsten Saul wie der späteren Teilkönige. In der Zeit großer kriegerischer Erfolge in den Befreiungskriegen und gleich nachher war eben das Prestige des Königtums gewaltig122. Der König empfing durch die Salbung den »Geist« Jahwes, er hatte noch keinerlei dauernd wirksam konkurrierende klerikale Priestermacht neben sich, opferte dem Gott persönlich im Priestergewand (nach der Tradition tat dies David) und schaltete über Priesterstellen und Kultorte fast so frei wie manche mesopotamischen Großkönige. Der König gilt daher dieser Tradition als »Messias«: »Gesalbter« (ha maschiah) Jahwes, wie nach dem Exil der Hohepriester. Die bei der normalen Thronfolge anscheinend nicht erforderliche, aber bei der prophetischen Legitimierung von Usurpatoren (David, Jehu, darnach vermutlich: Saul in der einen der drei Traditionen) vorkommende Salbung, wahrscheinlich einem alten Brauch einheimischer Stadtfürsten (vielleicht Jerusalems) entnommen, gewann eine rituelle Bedeutung123. – Aber ein anderer Zweig der Tradition stand unter dem Eindruck der späteren[124] Abnahme der Macht des Landes und des aufsteigenden Prestiges der Propheten. Er weiß daher, daß, ehe Israel sich einen König setzte, der Bundesgott selbst und er allein und unmittelbar der Herrscher gewesen war, daß dieser keines solchen Amts-, Steuer- und Fron-Apparats bedurft hatte wie die jetzigen Könige vielmehr seinem Volke durch die Seher und Helden der Vorzeit seinen Willen jeweils offenbart und ihm, wenn es seinen Geboten gehorchte, stets erneut geholfen hatte. – Stärker noch als im Südreiche, wo die Nähe Jerusalems wirkte, scheint diese Stimmung bei den ephraimitischen Bauern geherrscht zu haben. Von den Propheten gab zuerst Hosea ihr Ausdruck. Das Prestige der davidischen Dynastie, der einzigen dauernd sich auf ihrem Thron behauptenden, direkt durch die Forderung der Abschaffung des Königstums anzutasten war im Südreiche kaum möglich. Daher ging dort das Programm auf Beseitigung der Neuerungen, welche das Königtum gebracht hatte. Auf politischem Gebiet vor allem: des Militarismus mit seinen Rossen und Wagen, dem Kronschatz, des Harems der fremden Prinzessinnen und ihrer Kulte und der königlichen Günstlinge als Beamter, der Bau-und Ackerfronden der Untertanen. Der König soll, verlangt das Deuteronomium, die hochmütigen Sultansallüren der Großkönige abtun und wieder ein charismatischer primus inter pares werden, ohne viele Rosse und Wagen, – also ein auf dem Esel reitender weiser Richter und Schirmer der einfachen Leute. Dann wird der alte Bundesgott Jahwe, wie einst mit dem Bauernheer, auch gegen noch so übermächtig scheinende Feinde, mit ihm sein, wenn er nur – was Vorbedingung für alles andere ist – den Prätensionen der Weltpolitik, die an all jenen Neuerungen schuld war, entsagt. Wir werden sehen, wie sich priesterliche Machtinteressen und Theologen-Ideologien in diesem Programm zusammenfanden, welches tatsächlich unter Josia wenige Jahrzehnte vor dem Untergang Jerusalems das deuteronomische Gesetz durchzuführen versuchte.

Das Königtum war in Israel kein patrimoniales Wohlfahrtskönigtum, sondern mit der Macht der gibborim verbündet. Die Vertreter der alten Tradition wendeten sich daher gegen beide zugleich. Mit großer Wucht tritt diese Strömung in den Orakeln der vorexilischen Schriftpropheten hervor. Ueber ihre politische Stellung und Bedeutung im ganzen ist später zusammenhängend zu reden. Hier kommt es auf die Vorwürfe an, welche sie der[125] populären Kritik an den sozialpolitischen Zuständen entnahmen. Das Geschenke nehmen, die Bestechung, die Rechtsbeugung stehen an der Spitze (Amos 2, 6. Jesaja 1, 23; 5, 3), durch welche »Recht in Galle verwandelt« wird (Amos 6, 12), Blutgeld wird genommen (Amos 5, 12), unschuldiges Blut vergossen (Jesaja 1, 15; 7, 6; 22, 3) das Volk geschunden (Micha 3, 2-3) die Rechtsprechung zum Vorteil der Gottlosen und zum Nachteil der Armen, Witwen und Waisen (Jesaja 10, 2) und der Gerechten (Amos 5, 12) verkehrt, statt Recht Gewaltsamkeit (Jeremia 7, 6; 22, 3) und Schinderei geübt (Jesaja 5, 7), Acker an Acker und Haus an Haus wird gereiht (Jesaja 5, 8; Micha 2, 1. 2), die Armen (Amos 8, 4), insbesondere die »Armen im Tor« (Amos 5, 12), d.h. die von den Stadtpatriziaten beherrschte Landbevölkerung unterdrückt, Korn in großen Lasten von ihnen genommen (Amos 5, 11), die Weiber und Kinder vom Hof getrieben (Micha 2, 9), Unrecht an den Dürftigen verübt (Amos 4, 1), von dem Ertrag ihrer – entgegen dem Pfändungsverbot – gepfändeten Kleider schlemmen die Reichen (Amos 2, 8). Hochmütig sind die Reichen (Amos 6, 4 f.; vgl. Jesaja 3, 16), die gibborim saufen (Jesaja 5, 22; vgl. 5, 11), und das Kardinallaster ist der Geiz (Amos 9, 1, so auch nach dem Exil Habakuk 3, 9). Es sind die in aller Welt, vor allem aber doch im Occident, in der vorkapitalistischen – antiken, frühmittelalterlichen – Epoche, von den plebejischen Schichten je nachdem gegen die höfischen Beamten oder gegen patrizische Stadtgeschlechter erhobenen Vorwürfe, deren Mundstück z.B. im hellenischen Altertum Hesiod ist. In Israel waren, wie wir sahen, Königtum und reiche ökonomisch wehrhafte Sippen in enger Verbindung, die Beamten der Könige meist den Patriziern entnommen. Diese typischen sozialen Gegensätze treten in der Prophetie mit großer Deutlichkeit zutage.

Stets und überall aber beruft sich diese stadtadels-und königsfeindliche Tradition auf den alten Bund, den einst Jahwe durch Mose mit Israel im Gegensatz zu allen anderen Völkern geschlossen habe und auf das ganz einzigartige historische Ereignis, welches dieser ebenfalls einzigartigen Bundesschließung zugrundeliege. Und in der Tat: das für Israel besondersartige Verhältnis: der Bundesschluß nicht nur unter der Garantie des Gottes, sondern mit dem Gott selbst als Gegenpartei, war ganz offenbar wirklich das Produkt jenes konkreten Geschehnisses, auf welches einmütig die gesamte israelitische Tradition[126] diesen Vorgang zurückführt. Allen Propheten gilt als Wahrzeichen einerseits der Macht des Gottes und der unbedingten Verläßlichkeit seiner Verheißungen und andererseits der dauernden Dankesschuld Israels gegen ihn die Befreiung von der ägyptischen Fronpflicht durch die wunderbare Vernichtung eines ägyptischen Heeres im Schilfmeer. Und zwar war das besondersartige des Vorganges, daß dies Wunder bewirkt wurde durch einen in Israel bis dahin fremden Gott, der nun daraufhin mit feierlicher berith unter Einrichtung des Jahwekultes durch Mose als Bundesgott rezipiert wurde. Diese Rezeption erfolgte aber auf Grund beiderseitiger Versprechungen, welche durch den Propheten Mose nach beiden Seiten hin vermittelt wurden. Die Versprechungen des Volkes begründeten seine besondere dauernde Verpflichtung gegenüber dem Gott, und die als Gegengabe gebotenen Versprechungen des Gottes machten ihn in einem so eminenten Sinne, wie keinen in der Weltgeschichte sonst irgendwo bekannten Gott, zu einem Gott der Verheißung für Israel. Dies ist die unzweideutige Auffassung der Tradition. Es ist die ganz offenbare Voraussetzung des nirgends sonst in der Umwelt sich findenden, dagegen schon im Deboralied vorausgesetzten Begriffs des »Abfalls« von Jahwe als eines spezifisch verderblichen Frevels124. Und es ist vor allem die unentbehrliche gedankliche Grundlage für die nirgendwo sonst erreichte Bedeutung der Prophetie und der Heilsweissagungen. Zwar Reichtum, langes Leben, zahlreiche Nachkommen und ein guter Name war von jeher überall in der Welt das, was Priester und Mystagogen dem Verehrer ihres Gottes versprachen und was die Könige sich von ihren Hofpropheten verheißen ließen. Und ebenso verstand es sich überall von selbst, daß der Kriegsgott des Stammes oder der Gott des Königs mit ihm gegen die Feinde sein werde. So auch in Israel. Daß er zahlreiche Nachkommen haben werde, so daß das Volk wedren solle wie Sand am Meer, Sieg über alle Feinde, Regen, reiche Ernten und sicheren Besitz, endlich: daß der Name der legendären Ahnherren und der des gesegneten Volkes selbst ein Segenswort sein werde, – dies erhoffte man von dem angenommenen mächtigen Bundesgott.[127] Aber weil das Verhältnis zu ihm auf einer berith beruhte, gewann diese Hoffnung eine äußerst feste Grundlage und galt als auf ausdrücklicher Verheißung: einem Schwur des Gottes, beruhend. Die Verheißungen sind ursprünglich nicht als an besondere Bedingungen geknüpft vorgestellt, und ihre ältesten Formulierungen in der Tradition machen sie auch nicht von irgendwelchem besonderen, etwa einem spezifisch sittlichen, Verhalten Israels abhängig. Sondern sie sind – selbstverständlich – nur an die eine Bedingung geknüpft: daß Jahwe eben Israels Gott ist und von ihm als solcher behandelt wird: dann wird Jahwe mit ihm gehen durch Dick und Dünn. Darauf allein kam es an und dies allein war es, was die militaristischen Träger des »Geistes« Jahwes, die Nasiräer und Nebijim, die Glaubenskämpfer, wußten und (wie schon das Deboralied tut) dem Heerbann einprägten. Die den antiken Religionen sonst ganz fremde Vorstellung von der »Abgötterei« als eines Frevels gewann dadurch ihre penetrante Bedeutung. – Sein eigener Eidschwur und schlechterdings gar nichts anderes ist es – so schärft noch das Deuteronomium (7, 7) ein –, was Jahwe veranlaßt, Israel vor allen anderen Völkern zu bevorzugen, nicht etwa dessen sittlich höherer Wert. Immerhin: dies entsprach schon der volkstümlichen Anschauung nicht. Diese wußte – wie bei jedem Volk – daß andere Völker den Israeliten ungleichwertig waren und also auch dem Gott dafür gelten mußten. Und zwar beruhte, wie überall, die Ungleichwertigkeit darauf, daß sie andere Lebensgewohnheiten hatten, Dinge taten, die man »nie getan hat in Israel«. Da nun Jahwe durch die berith Vertragspartner der rituellen und sozialen Ordnungen des Bundes war, so war der Grund der Minderwertigkeit der anderen für Jahwe eben der: daß sie seine Ordnungen nicht kannten oder jedenfalls nicht hielten. Dieser negative Grund der Unterscheidung, die Jahwe macht, tritt denn auch, vereint mit jener Auffassung, im Deuteronomium auf. Aber die Auffassung der religiös Interessierten war schon damals weiter gegangen. In der ganzen Welt schützen die Götter der sozialen Ordnung diese, ahnden ihre Verletzung, belohnen ihre Innehaltung. Die Auffassung der Beziehung zum Bundesgott als berith mußte dies in spezifisch gesteigerter Art glauben, sobald man Anlaß hatte, sich die Frage nach dem Grunde des Verhaltens des Gottes vorzulegen. Dieser Anlaß entstand mit dem Rückgang der politischen Machtstellung Israels. Man kann[128] deutlich bemerken, daß die Erinnerung an Mose und den Bund und auch die Bedeutung des »Bundes«-Gedankens überhaupt zeitweise, nämlich unter dem Einfluß der blendenden Machtstellung des Königstums, zurückgetreten war, späterhin aber, kurz vor der Exilszeit und während der Redaktion der Priestertradition im Exil, einen neuen Höhepunkt erreicht: die ganz natürliche Folge des Sinkens des Prestiges der politischen Gewalten und der Frage nach dem Grunde des Verfalls. Das alte Recht des Bundes und die Bedeutung der Innehaltung von Jahwes Geboten als der Bedingung seiner Gnade trat nun mit großer Gewalt hervor und prägte die Zukunftshoffnungen: sie sind jetzt an die Voraussetzung des Gehorsams gegen die alten Gebote geknüpft, und die »Bundes«-Vorstellung wurde so, in einer Art wie bei keinem anderen Volk, die spezifische Dynamik der ethischen Konzeptionen der Priesterlehre und Prophetie. Die Vorstellung daß die religiöse Beziehung Israels zu Jahwe durch den Begriff eines mit ihm selbst eingegangenen »Bundes« erschöpfend gekennzeichnet sei, fanden die Schriftpropheten als festes Material vor. Die den Propheten charakteristischen Unheildrohungen gegen Israel fehlen in den als genuin »jahwistisch« und »elohistisch« angesehenen Traditionen freilich noch. Auch die vermutlich älteste der großen ausdrücklichen göttlichen Heilsverheißungen an Abraham (Gen. 15, 18-21): die Zusage der Herrschaft über das Land Kanaan (nach einem Zusatz: von der Grenze Aegyptens bis an den Euphrat!) gehört erst der von Wellhausen so genannten »jehovistischen« Redaktion, also der prophetischen Zeit, an. Auch sie geschieht durch förmliche rituelle berith Gottes mit dem Erzvater. Der göttliche Schwur ist dabei die Folge des bedingungslosen Glaubens des letzteren an den Gott, welchen dieser ihm »zur Gerechtigkeit rechnet«. Das ist nun schon eine ersichtlich sekundäre, weil sehr abstrakte Passung. Sie entspricht der von der exilischen Redaktion überlieferten Form (Gen. 12, 2 f.). Aber die Vorstellung von der Bedeutung des Gehorsams rein als solchem selbst muß unbedingt wesentlich älter sein. Denn z.B. die Geschichte von der Opferung Isaaks als Paradigma des echten bedingungslosen Glaubens scheint vorprophetisch (»elohistisch«) redigiert, wenn auch die ausdrückliche Erneuerung der Schwurzusage des Gottes aus diesem Anlaß als späterer Zusatz gilt. Die Formulierung des Inhalts der berith in der Form einer Verheißung als Lohn[129] für Gehorsam also ist in unsern Redaktionen später. Aber so fest stand schon bei Beginn der Aera der Schriftpropheten die Konzeption der berith selbst, daß gleich einer der Ersten: Hosea, den religiösen Sinn der Beziehung zum Gott nach Art einer Ehe, jeden Verstoß gegen die Verpflichtungen Israels als Ehebruch gegen Jahwe auffassen konnte. Und nichts spricht deutlicher für die bis in die späteste Zeit dauernde völlige Selbstverständlichkeit dieser uralten Grundlage, als daß die zum Teil höchst ausgelassenen Liebeslieder der als »Hohes Lied« in den heutigen Kanon aufgenommenen Sammlung für eine freilich schon stark »pietistisch«-sentimental empfindende Nachwelt die Bedeutung als ein adäquater Ausdruck des Verhältnisses Jahwes zu seinem Volk erlangen konnten. »Eifersucht« (kin'ab) Jahwes gegen die anderen Götter war daher eine seiner am festesten stehenden Eigenschaften bei allen Propheten von Hosea bis Hesekiel125.

Daß Jahwe ein durch die mosaische Kultordnung für den israelitischen Kriegsbund neu rezipierter Gott war126, sagt die gerade in diesem Fall ältere der beiden Großen Quellensammlungen, der sog. »Elohist«, sehr unzweideutig. Eine unerwartete Epiphanie des Gottes, nach der ältesten auch im Segensspruch für Ephraim erhaltenen Ueberlieferung in der Lohe eines Dornbuschs in der Wüste nahe dem Horeb, offenbart ihn dem als israelitischer Hirte in midianitischen Diensten aufgefaßten Mose. Der Gott, von ihm nach seinem Namen gefragt, antwortet ausweichend, nach der Redaktion der Tradition mit dem etymologischen Wortspiel: »Ich bin der ich bin«, nennt aber dabei den anscheinend nicht israelitischen Namen »Jahwe«127. Der[130] Gott der Erzväter, mit dem er später identifiziert wurde, führt in dieser älteren Quelle den Jahwenamen noch nicht, sondern nur den »El«-Namen in verschiedenen Zusammensetzungen, deren höchst bewertete in der späteren Tradition der Priester »El Schaddaj« wurde: – ebenfalls ein etymologisch wohl nicht israelitisches Wort. »Mose« ebenso wie »Pinchas« sind ägyptische Namen, seine »kuschitische« Frau wird in einer Tradition dem Mose von Mirjam und Aaron vorgerückt: Reminiszenzen alter Zwiste zwischen Priestergeschlechtern, in denen jedoch wohl eine Kenntnis davon fortlebt: daß auch später noch Jahwe und seine Priester als ganz oder halb Landfremde galten. Die ägyptischen Namen beweisen natürlich in einer Zeit ägyptischer Vorherrschaft in Palästina und der Sinaiwüste so wenig etwas für ägyptische Herkunft des Bundesstifters oder vollends seines Gottes, wie babylonische oder hellenische Namen bei Juden der Spätzeit über deren Abkunft etwas aussagen. Immerhin fehlt Mose im Gegensatz zu Josua ursprünglich die (erst spät und künstlich konstruierte) israelitische Abstammungsbezeichnung und ist der levitische Ursprung der auf ihn am wahrscheinlichsten zurückgehenden (elidischen) Priestersippe ebenfalls erst spätere Konstruktion. Wie dem sei, jedenfalls zeigt die alte Ueberlieferung deutlich, daß der Gott schon außerhalb Israels verehrt worden war, als er rezipiert wurde. Offenbar waren es die an Israel südlich angrenzenden Beduinen- und Oasen-Stämme, unter denen er organisierte Verehrung genossen hatte. Auf Bergen war von Anfang an sein Sitz, die Oase Kades aber in der Sinaiwüste galt der ältesten Tradition als sein eigentlicher Kultort, wo das Grab der Prophetin Mirjam gezeigt wurde und wo vermutlich entscheidende Akte der Konstituierung Israels sich abspielten. Am »Haderwasser« von Kades (Deut. 33, 8), d.h. am Quell jener Oase, an welchem seine Priester Prozeßorakel erteilten, war der für den Ursprung der Leviten wichtigste Ort seiner organisierten Verehrung. Sein Priester128 Jethro, in der Tradition Schwiegervater[131] und Berater des Mose, galt als Midianiter. Ebenso galt die legendenverdunkelte Gestalt des Bileam, der in seinem Namen weissagt, als fremder, teils moabitischer, teils ammonitischer, nach der richtigen Deutung aber wohl edomitischer oder midianitischer Seher, den die Israeliten später im Kriege erschlagen. Wie nun mit dem Vorgang in Kades die feste Ansässigkeit des Gottes auf dem Sinai und der von einer jüngeren Tradition dorthin verlegte Bundesschluß zu vereinigen ist, bleibt hier dahingestellt. Die Edomiter sind früh erobernd gegen die ägyptische Grenze zu vorgedrungen und Edom, insbesondere das Waldgebirge Seir der Wohnsitz Esaus (Gen. 32, 3), des älteren Bruders Jakobs, wo später auch Geschlechter des früh verschollenen Stammes Simeon ansässig waren (1. Chron. 5, 41. 42), galt noch Jeremia und Obadja als alter Sitz der Jahweweisheit. Das levitische Geschlecht der Korachiten (Ex. 6, 21) scheint (Gen. 36, 5) ursprünglich auf Esau, also edomitische Abstammung, zurückzugehen. Aus Seir zieht Jahwe im Deboralied zum Kampf heran und von dorther hört noch der Dichter des schönen unter die Jesajaorakel geratenen Wächterlieds aus der Exilszeit, trotz der damaligen bitteren Feindschaft gegen Edom, den Ruf: »Wie lang noch die Nacht«? Die Keniter, später besonders eifrige Jahweverehrer, gehörten ursprünglich nicht einmal zum Stamme Juda, geschweige denn zu Israel, für welches ja Kain sowohl in der Totschlaglegende wie in dem einen der alten Bileam-Sprüche ein Verfluchter war. Daß der Sinai, später dem Horeb gleichgesetzt, ein Vulkan an der nordwestarabischen Küste nahe dem Schilfmeer östlich gegenüber der heute sog. Sinaihalbinsel war, begegnet manchem Zweifel. Niemals aber hat jedenfalls auch nur die Sage behauptet, daß er je zum Gebiet Israels gehört habe. Ebensowenig Kades. Und ebenso sicher galt Jahwe der alten Tradition weder als der ursprüngliche Gott Israels, noch als Gott nur Israels, noch als ein in Israel residierender Gott. Erst der späteren Schlußredaktion des Hexateuch, welche Jahwe zum Weltgott macht, ist es selbstverständlich, daß auch die Erzväter keinen anderen Gott als ihn verehrt haben. Der alten Tradition ist er noch in der Jephthalegende ein Gott neben anderen, nur ein besonders mächtiger und erhabener. Und ferner ist er zwar der »Gott Israels« und für Jephtha »mein Gott«, so wie Kamos der Gott des Ammoniterkönigs ist, aber doch in einem sehr besonderen Sinne. Er war – und das blieb eine folgenreiche Vorstellung –[132] ein »Gott aus der Ferne«, von seinem entlegenen, dem Himmelnahen Bergessitz aus waltend und gegebenenfalls persönlich in die Geschehnisse eingreifend. Diese »Ferne« gab ihm von vornherein eine besondere Majestät. Zwar eine der alten Ueberlieferungen wußte, daß auf dem Sinai die Aeltesten selbst mit ihm zur Tafel gesessen hatten. Aber die überwiegende Ansicht der späteren Zeit war des Glaubens, daß von allen Menschen nur Mose ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen (Num. 12, 6 f.) und daß danach selbst dessen Antlitz in so übernatürlichem Glanz geleuchtet habe, daß er es vor dem Volk bedecken mußte: – dies letzte vielleicht eine Reminiszenz an die alten Teraphim-Masken, von denen noch zu reden sein wird. Und die eigentliche Meinung (Ex. 33, 20) ging dahin, daß auch Mose ihn auf seine Bitte nur von rückwärts habe an sich vorbeiziehen sehen können, weil jedermann, der sein Antlitz erblickte, des Todes sei. – Nicht ein altvertrauter Orts- oder Stammesgott, sondern eine fremde und geheimnisvolle Gestalt war es, welche der israelitischen Eidgenossenschaft die Weihe gab.

Die Vernichtung jenes ägyptischen Heeres, auf welche das gewaltige Prestige dieses Gottes von der Tradition zurückgeführt wird, geschah offenbar durch eine nach plötzlicher Ebbe ebenso plötzlich eintretende Sturmflut des Schilfmeers östlich der Sinaihalbinsel, ziemlich wahrscheinlich – wie die Erscheinung der Feuer- und Wolkensäule und die Feuerglut auf dem Berge andeuten – im Zusammenhang mit vulkanischen Erscheinungen irgendwelcher Art. Sowohl diese Schilfmeerkatastrophe wie der ägyptische Aufenthalt Israels sind mehrfach bezweifelt worden. Aber daß Viehzüchter der Steppe bei Dürre oder Bedrohung Schutz als Metöken im ägyptischen Grenzlande suchten, war nach den ägyptischen Quellen nichts Ungewöhnliches; ganz selbstverständlich war dann ihre gelegentliche Heranziehung zu Fronden durch die Könige und ebenso naheliegend, daß sie sich der Fronbelastung bei gegebener Gelegenheit entzogen. Da jene Grenzfestungen, an deren Bau die Israeliten mitgewirkt haben wollen, unter Ramses II. gebaut zu sein scheinen, Israel aber unter dessen Nachfolger Merneptah bereits in Palästina als Feind erwähnt wird, bleibt freilich die Chronologie der Einwanderung und des Auszugs besonders dann sehr schwierig, wenn man die weit früher, unter Amenophis III. und IV., als Feinde in Palästina auftretenden »Chabiru« identifiziert mit den Ibrim,[133] den »Jenseitigen«, d.h. wohl den Ostjordanischen, als welche die Israeliten und andere mit ihnen als verwandt geltende Stämme129 in der Tradition vom Standpunkt der Fremden aus, im eigenen Munde der Israeliten aber, außer bei dem als Wanderhirte gedachten Abraham, welcher stets »der Hebräer« heißt, nur einmal im Bundesbuch130 und sonst fast nur im Verkehr mit Fremden bezeichnet werden131. Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß die später zum israelitischen Bunde zusammengetretenen Stämme in verschiedenen Wellen über das westjordanische Land hereingebrochen sind und daß auch die Zusammensetzung des Bundes selbst, wie schon früher sich als wahrscheinlich zeigte, gewechselt hat und Kanaanäer einerseits, frühere Beduinenstämme andererseits mit einbezogen worden sind. Daß an dem ägyptischen Aufenthalt nicht alle späteren Stämme Israels oder deren Vorfahren mitbeteiligt waren, ist wohl ebenfalls sicher. Den viel später sich bildenden Stamm Juda läßt die verläßlichste, weil natürlichste, Tradition von Süden her, nicht von Osten, in seine Wohnsitze eindringen. Ob, wie die Phöniker angeblich – aber schwerlich wirklich – vom persischen Meerbusen her und ein Teil der Sa-Gaz-Nomaden vermutlich von der Grenze Mesopotamiens zuwanderten, so auch ein hinter der Abraham- (oder Abram-)Tradition sich bergender Bestandteil der Israeliten schon früher, etwa in der Amarnazeit, aus der mesopotamischen Steppe zugewandert ist, bleibt dunkel.[134] Es scheint aber nicht unmöglich. Der Name (Abiram) ist in Babylon häufig. Zwar enthält die dem Abraham zugeschriebene Religiosität keine erkennbaren babylonischen Züge. Indessen die Kedor-Laomer-Tradition ist doch eine auffällige Eigentümlichkeit. Auch andere Züge der Tradition lassen mehrere Wellen der Ueberflutung des Landes vermuten. Als Kern des altisraelitischen Bundes aber, wie ihn das Deboralied kennt, galt den Segenspruchsammlungen und der priesterlichen Tradition jedenfalls der von Mose zum Zweck der Eroberung und Behauptung des Westjordanlandes gestiftete Bund mit dem Gott, der das Schilfmeerwunder gewirkt hatte. An der Geschichtlichkeit der Person des Mose132 zu zweifeln, liegt kein Grund vor133. Es handelt sich nur darum, welche Eigenart seiner Leistung zuzusprechen ist.

Eine wirklich sichere Feststellung des Herganges erscheint historisch schlechthin unmöglich. Die Vorstellung, daß ein Gesetzbuch (etwa das Bundesbuch) oder ein Katalog ethischer Pflichten (etwa der Dekalog) den Gegenstand der berith gebildet habe, ist ganz unhistorisch und pragmatisch gedacht, von andern[135] unübersteiglichen Schwierigkeiten abgesehen. Die Uebernahme der an den Orten seiner bisherigen Verehrung geltenden, der Umwelt entsprechend offenbar überaus einfachen Riten (bildloser Kult, vielleicht Beschneidung, sicher aber: Losorakel) und gewisse allereinfachste, für einen erobernden Heerbann von Steppennomaden geeignete soziale Brüderlichkeits-Ordnungen, schließlich: das Prestige der Kriegsprophetie als solcher, sind die aus rein sachlichen Gründen und nach allen, auch den islamischen Analogien wahrscheinlichsten Inhalte der Verbrüderung, die ja vielleicht nicht die erste ihrer Art war. Die besondere Schärfe, mit welcher der Gott Mord an Volksgenossen und Verletzung des Gastrechts perhorresziert und das strenge Beute-Tabu passen ebenfalls in diese Provenienz. Wir werden ohne zu große Unvorsichtigkeit annehmen dürfen, daß dies etwa die (ausdrücklich oder der Sache nach) durch die berith übernommenen Verpflichtungen Israels waren. Sie enthalten an sich keinerlei Bestandteile, die nicht unter ähnlichen Verhältnissen auch sonst geschichtlich vorkämen. Und Jahwe? Er war und blieb immer ein Gott der Erlösung und Verheißung. Aber das Wichtige war: sowohl Erlösung und Verheißung betrafen aktuelle politische, nicht innerliche, Dinge. Erlösung von der Knechtschaft der Aegypter, nicht von einer brüchigen, sinnlosen Welt, Verheißung der Herrschaft über Kanaan, das man erobern wollte, und ein glückliches Dasein dort, nicht Verheißung transzendenter Güter, bot der Gott. Gerade dieser primitive ungebrochene Naturalismus und gerade jene auf primitive materielle und soziale Kulturverhältnisse zurückgehende rituelle Eigenart wurden das Wichtige. Und gerade in der alsbald nach der Einwanderung beginnenden Verbindung mit den überall verbreiteten Elementen einer rationalen und geistig differenzierten Kultur. Denn ganz universell ist jene Erscheinung: daß Kulturrezeptionen im allgemeinen gerade da ganz neue und eigenartige Gebilde erzeugen, wo sie Gelegenheit haben und genötigt sind, sich mit Vorstellungsreihen zu verschmelzen, welche ihrerseits noch unsublimiert und nicht durch priesterliche, amtliche oder literarische Prägung stereotypiert sind und also die Anpassung der alten rationalisierten Gebilde an ganz neue und relativ einfache Bedingungen erzwingen.

Die israelitischen, lediglich auf die mosaische Stiftung zurückgehenden Konzeptionen stellten die in Kanaan verbreiteten[136] orientalischen Bildungselemente vor diese Notwendigkeit. Durch welche eigenen Qualitäten aber geschah das? Zunächst also: welche Züge eignen dem, nach der Tradition, von Mose für den (gleichviel wie beschaffenen) israelitischen Bund neu eingeführten Gott und dessen Beziehung zu Israel?

Jahwe zeigt in der alten Tradition verschiedene charakteristische Qualitäten. Die hochgradigen anthropomorphen Züge134, welche er gerade in den älteren und namentlich den aus dem Süden stammenden Teilen der Tradition (des sog. »Jahwisten«) trägt, teilt er mit den althellenischen und anderen Göttern kriegerischer Völker. Nicht überall und vielleicht nicht von Anfang an, aber offenbar sehr früh und dann sehr regelmäßig haftet ihm aber ein Zug an, der in dieser Stärke sich nicht oft findet: daß seine Nähe, unter Umständen selbst die Nähe der von seinem »Geist« (ruach) befallenen »Gottesmänner« unheimlich und gefährlich, sein Anblick, wie wir sahen, tödlich ist. Der für Jahwe in besonders hohem Grade spezifische Begriff der Heiligkeit besagt, wie, anschließend an Graf Baudissins Untersuchungen, jetzt allgemein angenommen wird, ursprünglich ausschließlich oder wesentlich diese aus der Gefahr jeder Berührung und jedes Erblickens des Gottes folgende Unnahbarkeit und Abgesondertheit von allen nicht eigens für das Ertragen seiner Nähe rituell qualifizierten Menschen sowohl wie auch Gegenständen. Diese wichtige Qualität hängt offenbar zum Teil mit der später zu besprechenden alten Bildlosigkeit seines Kults, zunächst aber mit seiner jetzt zu besprechenden Natur und der Art seiner Manifestationen zusammen. Er ähnelt dem indischen Indra, denn wie dieser ist er, für Israel wenigstens, zunächst und vor allem Kriegsgott. »Einen Kriegsmann« (isch hamilchamah) nennt ihn eine Variante eines alten Berichts (Ex. 18, 25). Nach Blut, dem Blut der Feinde, der Ungehorsamen, der Opfer lechzt er. Ueber alle Maßen gewaltig ist seine Leidenschaft. In seinem Grimm verzehrt er die Feinde mit Feuer oder läßt sie von der Erde verschlingen, stürzt sie, wie die Wagen der Aegypter nach dem alten Doppelzeiler des Mirjamreigens, ins Meer oder läßt ihre Wagen wie die der Kanaanäer in der Deboraschlacht im regengeschwollenen Bach stecken bleiben, so daß die israelitischen Bauern sie ebenso abschlachten konnten, wie dies der lateinischen[137] Ritterschaft in Griechenland einmal in der späten Kreuzzugszeit widerfuhr. Noch bei den Propheten ist die Furchtbarkeit seines Zorns und seiner Kriegsmacht der hervorstechende Zug. Großartig wie sein Zorn ist aber auch seine Gnade. Denn sein leidenschaftliches Herz ist wandelbar. Ihn reut es, den Menschen Gutes getan zu haben, wenn sie es ihm schlecht vergelten, und dann wieder gereut ihn sein übergroßer Zorn. Die späte rabbinische Tradition läßt ihn selbst beten (!): daß seine eigene Barmherzigkeit über seinen Zorn die Oberhand behalten möge. Im Wettersturm zieht er persönlich dem Heerbann zu Hilfe. Und seinen Freunden hilft er, wie Athene dem Odysseus, unbedenklich auch in List und Trug. Aber man ist nie sicher, durch irgend ein unwissentliches Versehen seinen Grimm zu reizen oder von einem göttlichen Numen aus dem Kreise seiner Geister ganz unerwartet und unmotiviert überfallen und mit Vernichtung bedroht zu werden. Der »Geist«, die ruach, Jahwes, ist in vorprophetischer Zeit weder eine ethische Potenz noch ein religiöser Dauerhabitus, sondern eine akute dämonisch-übermenschliche Kraft verschiedenen, sehr oft und vorzugsweise aber furchtbaren Charakters. Die wilden charismatischen Kriegshelden der israelitischen Stämme, Berserker wie Simson, Nasiräer und ekstatische Nebijim, wissen sich von dieser Kraft erfaßt und fühlen sich als seine Gefolgen. Alle Kriegspropheten und -prophetinnen treten in Jahwes Namen auf; auch die Träger eines anderen theophoren (Baals-)Namens wie Jerubbaal nehmen als Kriegsfürsten einen neuen Namen (Gideon) an.

Zum Kriegsgott eignete sich Jahwe ebenso wie Indra um deswillen, weil er wie dieser ursprünglich ein Gott der großen Naturkatastrophen war. Erdbeben (1. Sam. 14, 15; Jes. 2, 12 f.; 46, 7), vulkanische Erscheinungen (Gen. 19, 24; Ex. 19, 11; Psalm 46, 7) unterirdisches (Jes. 30, 27) und himmlisches Feuer, der Wüstenwind von Süden und Südosten (Sach. 9, 14) und die Gewitter sind die Begleiterscheinungen seines Auftretens, die Blitze wie bei Indra seine Pfeile (Ps. 18, 15) noch bei den Propheten und Psalmisten. Zum Umkreise der Naturkatastrophen gehörte für Palästina auch die Insekten-, vor allem die Heuschrec kenplage, welche der Südostwind ins Land brachte. Mit Heuschrecken plagt daher der Gott die Feinde seines Volks und Schwärme von Hornissen sendet er vor ihm her, die Feinde zu verwirren, Massen von Schlangen zur Bestrafung des eigenen[138] Volkes. Endlich: die Seuchen (Hos. 13, 14). Mit Pest schlägt der Gott die Aegypter, ebenso die Philister und andere, die sich an seiner heiligen Lade vergreifen (1. Sam. 4, 8; 6, 6. 19). Der Schlangenstab seiner Priester im Tempel von Jerusalem deutet wohl auf diese einstige Bedeutung als Pestgott hin. Denn als »Herr« der Krankheit konnte er sie auch abwehren und war ihr Arzt, wie überall im gleichen Fall. Alle furchtbaren und schicksalhaften Naturerscheinungen also waren die Domäne des Gottes: er vereinigte die Züge Indras mit denen Rudras. Neben jenem Charakter kriegerischer und naturmythischer Wildheit zeigt er freundlichere Züge schon in der alten Tradition als Herr des Regens. Nachdrücklich weist er sein Volk darauf hin, daß in Israel nicht wie in Aegypten der Ackerertrag durch die Bewässerung bedingt werde – also, heißt das, ein Produkt der bürokratischen Verwaltung des irdischen Königs und der eigenen Arbeit des Bauern sei –, sondern durch den von ihm, Jahwe, nach seiner freien Gnade gespendeten Regen. Die starken Gewitterregen, wie sie namentlich dem an die Wüste angrenzenden Steppengebiet eigneten, waren sein Werk. Der Regen verknüpfte ihn von Anfang an mit dem Einzelnen und seinen ökonomischen Interessen und erleichterte das später immer mehr hervortretende Eindringen der Züge eines gütigen Natur- und Himmelsgottes in sein Bild. Vor allem unter dem Einfluß der in den umliegenden Kulturländern und auch in Palästina selbst verbreiteten Konzeptionen höchster Himmelsgötter trat diese Sublimierung und Rationalisierung des Bildes des Gottes zu einem weisen Weltenlenker ein. Daneben war auch der, wie wir sehen werden, bei den israelitischen Intellektuellen sich entwickelnde Vorsehungsglauben mitbestimmend. Aber nie verschwanden aus seinem Bilde die von dem alten Jahwe stammenden Züge des furchtbaren Katastrophengottes. In all jenen Mythologemen und mythologisch beeinflußten Bildern, deren Benutzung der Sprache der Propheten ihre unvergleichliche Großartigkeit verleiht, spielen diese Züge die entscheidende Rolle. In erster Linie solche Machtbeweise, nicht Beweise weiser Ordnung, sind, bis tief in die exilische und nachexilische Zeit, die von Jahwe gelenkten Naturvorgänge. Der Zusammenhang der bis in die Zeit nach dem Exil stets festgehaltenen Qualitäten Jahwes als eines Gottes der furchtbaren Naturkatastrophen, nicht der ewigen Naturordnung war, außer in der allgemeinen Verwandtschaft[139] jener Vorgänge mit dem Kriege, eben rein historisch dadurch begründet, daß der Gott sich dieser seiner Macht, zuerst gegen die Aegypter, dann, in der Deboraschlacht, gegen die Kanaanäer und ebenso später gegen Israels Feinde in der Schlacht bedient hatte. Der »Gottesschrecken« (cherdath Elohim, 1. Sam. 14, 15): die durch Natureingriffe, namentlich Erdbeben (a.a.O.) und schwere Gewitter (Deboraschlacht) erregte Panik der Feinde wurde ihm zugeschrieben und eine solche, vulkanisch bedingte, Panik (der Aegypter) hatte zur Rezeption des Gottes geführt. Das blieb unvergessen.

Praktisch wichtig war nun aber vor allem, daß Jahwe wenigstens für das alte Israel trotz dieses Charakters auch eir sozialer Verbandsgott wurde und blieb. Auch das in besonderem Sinn. Er war, wie wir annehmen müssen: seit Mose, der Bundesgott des israelitischen Bundes und, dem Zweck des Bundes entsprechend, vor allem der Bundeskriegsgott. Aber dies war er in sehr eigener Art. Durch einen Bundesvertrag ist er dazu geworden. Und dieser Vertrag mußte außer unter den Bundesgliedern auch mit ihm selbst abgeschlossen werden deshalb, weil er nicht ein inmitten des Volkes residierender oder schon bekannter, sondern ein bisher fremder Gott war und ein »Gott aus der Ferne« blieb. Dies war das Entscheidende der Beziehungen. Jahwe war ein Wahlgott. Durch berith mit ihm hat sich ihn das Bundesvolk erwählt, ganz ebenso wie es sich später durch berith seinen König einsetzte. Und umgekehrt hat er dieses Volk aus allen anderen nach freiem Entschluß erwählt. Das hält er dem Volk durch die priesterliche Thora und die prophetischen Orakel später immer wieder vor: aus freier Gnade hat er dies und kein anderes Volk sich als sein Volk ausersehen, ihm Verheißungen gegeben wie keinem andern und dafür seine Versprechungen entgegengenommen. Und daher war nun überall, wo das Bundesvolk als solches eine berith machte, er, der Gott, der ideelle Gegenpartner. Alle Verletzungen der heiligen Satzungen waren also nicht nur Verstöße gegen Ordnungen, die er garantiert, wie dies andere Götter auch tun, sondern Verletzungen der feierlichsten Vertragsverpflichtungen gegen ihn selbst. Ihm persönlich, nicht nur dem Bunde, verweigert die Heerfolge, wer dem Bundesaufgebot nicht folgt: er ist »Jahwe nicht zu Hilfe gezogen«. Das Bundesheer wird »Mannen Gottes« (,am haelohim) genannt (Jud. 20, 1 f.).

[140] Auf diese Art wurde er aber außer zum Bundeskriegsgott auch zum Vertragspartner des durch berith festgestellten Bundesrechts, vor allem der sozialrechtlichen Ordnungen. Da der Bund als solcher ein Verband von Stämmen zunächst ohne alle staatliche Organisation war, konnten ja neue Satzungen gleichviel ob kultischer oder rechtlicher Art im Prinzip gar nicht anders als durch neue Vereinbarung (berith) auf Grund eines Orakels entstehen, ganz ebenso wie der ursprüngliche Bund. Alle diese Satzungen standen damit auf der gleichen Grundlage wie das alte Vertragsverhältnis, welches zwischen ihm und dem Volk bestand. Insofern war gerade in der Zeit vor dem Königtum die »berith« staatsrechtlich durchaus nichts nur Theoretisches. Ebenso aber auch nicht für die religiöse Vorstellung. Bei Jeremia (2, 5) fragt Jahwe: welches Unrecht denn die Väter an ihm erfunden hätten? Und andrerseits mahnt ihn Jeremia (14, 21): seinen Bund mit Israel nicht zu brechen.

Weder konnte dieser als Vertragspartner geltende Bundesgott in Israel als ein bloßer Funktionsgott irgendwelcher Naturvorgänge oder sozialen Einrichtungen angesehen werden. Noch war er ein Lokalgott in dem Sinn, wie die orientalischen Städte einen solchen überall kannten. Auch nicht ein bloßer Gott des »Landes«. Sondern die Personengemeinschaft des israelitischen Bundesheeres mußte bei jener Auffassung als sein mit ihm durch die Bundesgemeinschaft verbundenes Volk gelten. Dies war die eigentlich klassische Auffassung der Tradition. Die Uebertragung der Heiligkeit auf den politischen Landbesitz als das »Heilige Land« ist erst eine spätere, vermutlich durch heterogene, teils dem Baalkult, teils der Lokalisierung Jahwes als Gott der Königsresidenz entstammende Gottesvorstellungen vermittelte Konzeption, die sich in der Königszeit für David in einer Tradition unsicheren Alters, dann im Nordreich bei Elisas Bekehrung des Naeman zuerst bezeugt findet.

Jahwe schützt als Garant der Bundesordnungen Sitte und Brauch. Das, was in Israel »unerhört« ist, ist auch ihm ein Greuel. Er war aber seinem ursprünglichen Charakter entsprechend Garant des Bundesrechts und der Sitte nicht in dem Sinne wie Varuna oder ähnliche Götter es waren: Hüter der schon an sich vorhandenen Heiligkeit der unabänderlichen Ordnung: des Rechts oder einer an festen Maßstäben zu messenden »Gerechtigkeit«. Nein, durch positive berith mit ihm war dies[141] positive Recht für Israel geschaffen; es war nicht immer dagewesen und es konnte sein, daß es durch neue Offenbarung und neue berith mit dem Gott wieder geändert wurde. Nicht erst Paulus, sondern, wenn auch nur gelegentlich, schon einzelne Propheten (Jeremia, Hesekiel) glaubten, daß der Gott manche Satzungen dem Volk als ein hartes Joch oder zur Strafe auferlegt habe, ganz ebenso wie – nach dem volkstümlichen Mythos – dem Adam die Arbeitsmühsal und den Tod. Das Recht war nicht ein ewiges Tao oder Dharma, sondern eine positive göttliche Satzung, über deren Innehaltung Jahwe eiferte. Zwar hat der ethische Rationalismus der deuteronomischen Schule später gelegentlich (Deut. 4, 2) das Gesetz Gottes als »ewig« bezeichnet und die ursprüngliche sittliche Vollkommenheit (Deut. 4, 8) der gerechten Ordnungen des Gottes gerühmt, wie sie kein anderes Volk besitze. Allein diese gelegentlichen paränetischen Argumentationen enthalten nicht die aus dem »berith«-Charakter des Rechts unvermeidlich sich ergebende typische Stellungnahme. Die Verfügungen des Gottes stehen in seiner Hand und sind an sich wandelbar. Er kann sich durch berith an sie binden, aber das ist dann Ergebnis seines freien Willensentschlusses. Ewige Ordnungen kennt denn auch erst die priesterliche Redaktion und zwar sind dies fast durchweg kultische oder auf die Rechte der erst in der Exilszeit zum Kultmonopol aufgestiegenen Aaroniden bezügliche Normen, welche, gerade weil sie Neuerungen waren, pathetisch mit diesem Ausdruck (chukath golam) belegt wurden (Ex. 27, 21; Lev. 3, 17; 16, 31; 23, 14. 31. 41; Deut. 12, 1 betreffen kultische, Lev. 7, 37; 24, 3; Num. 18, 23 priesterrechtliche Ordnungen aus der Exilszeit; 1. Gen. 9, 14: berith golam die theologischen Konstruktionen des noachischen Bundes). Die einzige weltliche »ewige« Ordnung: die Bestimmung, daß für ewige Zeiten Israel und die gerim die gleichen Rechte haben sollen, ist ebenfalls eine von den Priestern geschaffene Neuerung der Exilszeit. Man kann solche Novellen geradezu an der Verwendung des Ausdrucks »ewig« erkennen. Niemals wird in der alten Literatur Israels behauptet, daß diese und keine andere Sozialordnung an sich die ewig unabänderlich kraft ihrer inneren Vollkommenheit geltende sei und deshalb von Jahwe gehütet werde. Es ist im höchsten Grade bezeichnend, daß der Gott, als er dem Hiob auf dessen Verlangen, ihm Rede zu stehen über die Ungerechtigkeit[142] der Ordnung des Menschendaseins, im Wettersturm erscheint, mit keinem Wort die Weisheit seiner Ordnung der menschlichen Beziehungen vertritt, wie sie etwa dem Konfuzianer selbstverständlich war, sondern ganz und gar nur seine souveräne Macht und Größe in den Naturereignissen. Bis in die Zeiten der Entstehung der altchristlichen Naturrechtslehre hinein ist diese historisch bedingte Eigenart des Gottes folgenreich gewesen.

Von Anfang an lagen gewisse Züge einer über Israel hinausgreifenden Stellung und in diesem Sinn eines gewissen Universalismus in der Konzeption Jahwes, richtiger: in der eigenartigen Beziehung, in der sich, aus rein historischen Gründen, der israelitische Bund zu diesem Gott befand. Man hat sich neuerdings darüber gestritten, ob Monolatrie (exklusive Verehrung nur eines von den mehreren Göttern), Henotheismus (aktuelle Behandlung des gerade angerufenen Gottes als des einzig mächtigen) oder Monotheismus (prinzipielle Einzigkeit) die alte Jahwevorstellung beherrscht haben. In dieser Art ist wohl schon die Frage falsch gestellt. Die Anschauung hat nicht nur gewechselt, sondern war zur selben Zeit je nach den sozialen Kreisen ganz verschieden. Für den Krieger war es klar: daß der Gott, den er anruft, sein Gott sei und folglich der Gott der Feinde ein anderer: so behandelt das Richterbuch (11, 24) in der Jephtha-Erzählung, das Königsbuch (2. Kön. 3, 27) in der Erzählung vom Moabiterkrieg die Götter Jahwe und Kamos135. Für den König und die stadtsässigen, vor allem die Tempelpriester- und Patrizier-Schichten, aber auch für den städtischen Massenglauben war es klar: daß der Gott im Tempel der Stadt lokalisiert sei, daß anderwärts also andere Götter seien, daß der eigene Gott mit der Existenz der Stadt stehe und falle, daß, wer aus der Stadt (oder dem zugehörigen Lande) gehen müsse, dem eigenen Gott nicht dienen könne, sondern fremden Göttern dienen müsse (so David: 1. Sam. 26, 19), daß dagegen, wer aus fremdem Land kommt, dem einheimischen Gott zu dienen gut tue, weil dieser sich sonst rächen könnte (so Jahwe an den assyrischen Kolonisten in Samaria, 2. Kön. 17, 25. 26). Dies ist Produkt stadtsässiger Kultur. Für den Israeliten einer Tempelstadt, zumal Jerusalems, war Jahwe im Tempel ansässig. Für[143] eine solche Lokalisierung bot seit alters die Lade Jahwes naturgemäßen Anlaß. Das überlieferte Ritual zeigt, daß die Krieger im Felde sich ihn als auf diesem Lagerheiligtum anwesend vorstellten. Ganz anders war naturgemäß der Standpunkt der halbnomadischen Viehzüchterstämme. Der von ihnen beeinflußten Tradition versteht es sich von selbst, daß der Gott auch im fremden Land mit dem Israeliten ist (Gen. 28, 20). Sie wissen recht gut, daß Jahwe auch von nichtisraelitischen Stämmen verehrt wird und ihre Legenden setzen daher das gleiche als selbstverständlich nicht nur von Laban (Gen. 24, 50; 31, 49), immerhin einem Verwandten, sondern auch für Abimelech von Gerar (Gen. 20, 11; 21, 23) voraus. In der Joseph-Novelle (Gen. 41, 39) ist sogar jene Auffassung spürbar, die bei handeltreibenden Weltvölkern, wie den Hellenen und den späteren Römern, typisch war: die naive Identifikation bestimmter fremder Götter mit den eigenen, wie sie im nachexilischen Judentum sich für den Gott des Nebukadnezar (bei Daniel) und des Perserkönigs findet. Im ganzen aber war diese Vorstellungsweise dem älteren Israel fremd, weil Jahwe durch berith sein Gott geworden war. Das schloß, nach der ursprünglichen Vorstellung, zum mindesten aus, daß er im gleichen Sinn wie für Israel auch der ganz persönliche Schutzgott fremder Könige sei, wie etwa Marduk und Ahuramazda es waren. Die beruflichen Jahwepropheten der alten Zeit, die Nebijim und Seher, waren offenbar weder von der Einzigkeit noch auch davon überzeugt, daß gerade nur in Israel ihr Gott zu Hause sei. Sie hatten zum Teil internationale Kundschaft und die Elia-Tradition setzt wenigstens an einer Stelle (1. Kön. 17, 9) vor aus, daß auch die Witwe in Sidon Gebote Jahwes von diesem empfange. Im übrigen war ihr Gott zwar nicht der einzige, aber natürlich der stärkste von allen, die andern letztlich »Nichtse«. Das konnte auch die alte jahwistische Kriegertradition (Jos. 2, 9) akzeptieren. Ihr kam es vor allem auf die Sonderstellung Israels kraft der berith an. Für sie stand fest: Mochten auch andere Jahwe verehren, Israel stand doch in seiner besonderen Hut. Jahwe war ihr nicht der Feind fremder Völker: – dieser Anschauung hat sich erst der nationale Fanatismus der königlichen Heilspropheten und der konfessionelle Fanatismus der Priester nach dem Exil gelegentlich genähert. Aber, wie wir später sehen werden: auf Israel allein kam es ihm an, wie dies ja von jedem Lokalgott oder Lokalheiligen und jeder lokalisierten Madonna[144] aller Zeiten auch erwartet wurde, – nur daß bei Jahwe eben die im Resultat ähnliche Vorstellung ursprünglich nicht von der Lokalisierung, sondern gerade von einem (relativen) Universalismus und der partikulären berith mit Israel ausging. Die verschiedenen Auffassungen aber standen nebeneinander und ihre logische Gegensätzlichkeit wurde, wie üblich, nicht empfunden. Jedenfalls hat man sich zu hüten, die »partikularistischere« Gottesauffassung für die notwendig ältere zu halten. In gewissem Umfang und Sinn trifft das Gegenteil zu, und bei Jahwe war dies unvermeidlich so. In der rhythmischen alten Gottesrede Ex. 19, 5 nennt Jahwe sich, ehe er den Inhalt des zu schließenden Bundes verkündet, der Israel zu seinem Eigentum machen soll, geradezu den »Herren der ganzen Welt«. Auch diese Auffassung fand sich also schon in vorprophetischer Zeit gelegentlich neben den anderen. »Universalistisch« in diesem Sinn treten ja auch die Götter anderer Völker auf. Vor allem die Großkönigsgötter der Hauptstädte der Weltreiche. In Aegypten hat Amon unter der Priesterherrschaft der späteren Ramessidenzeit universelle Macht der Heilsspendung in Anspruch genommen136. Aehnliches werden die Berater und Hofpropheten israelitischer Könige in Erinnerung an das Davidsreich von Jahwe verkündet haben137. Aber historisch ruhte der besondersartige (relative) Universalismus Jahwes nicht auf dieser Grundlage. Sondern: auf der Tatsache seiner Rezeption. Jahwe hatte eben in einem anderen Sinn als andere Götter bereits bestanden und seine Macht bewährt, ehe Israel ihm opferte. Das hatte gewichtige kultische Konsequenzen. Mochten auch Opfer als ihm angenehm, folglich als geeignete Mittel gelten, seine Gunst zu gewinnen, – schwerlich konnte doch die sonst so häufige Vorstellung aufkommen: daß der Gott in seiner Existenz davon abhängig sei, daß sie ihm dargebracht würden138. Er thronte in der Ferne auf[145] seiner Bergeshöhe und bedurfte ihrer nicht, wenn er sie auch gern genoß. Dazu kam nun aber, was wohl zu beachten ist, in der Zeit vor dem Königtum in Friedenszeiten das Fehlen jeglicher politischen oder hierokratischen Instanz, die im Namen des Bundes hätte Opfer darbringen können: wir wissen von solchen gar nichts und ihre Existenz scheint ausgeschlossen. Das Opfer also konnte schlechterdings, gerade in alter Zeit, in der Beziehung zu Jahwe nicht jene Bedeutung gewinnen, wie anderwärts. Insofern waren also die Propheten später ganz im Recht, nicht nur für die Wüstenzeit, sondern für den israelitischen Bund überhaupt, wenn sie betonten: damals habe man Gott nicht durch Opfer gedient. Da die spezifische Form, durch welche das Bundesvolk immer wieder mit ihm in Berührung trat, die berith war, so lag es nahe, die Erfüllung der durch berith mit ihm geheiligten Gebote für mindestens so wichtig oder eigentlich für wichtiger zu halten als die von den Einzelnen nach Gelegenheit und später von den Königen und Tempelpriestern dargebrachten Opfer, wie dies denn von einem Teil der reinen Jahweverehrer auch immer erneut geschah139. Es hat in der späteren Königszeit immer in Israel eine Partei gegeben – und ihr haben gerade die gewaltigsten Schriftpropheten, wie Amos und Jeremia zugehört –, welche die Erinnerung an diesen Zustand wach erhielt und alle und jede Opfer als Jahwe letztlich gänzlich gleichgültig hinstellte. Begreiflicherweise hingen gerade die am wenigsten an festen Kultstätten seßhaften, also die Kleinviehzüchterschichten, am meisten dieser Auffassung an. Genaue Innehaltung der ihm spezifischen Riten und im übrigen Gehorsam gegen seine Offenbarungen war augenscheinlich das, was der gewaltige himmlische Kriegsfürst in Wahrheit verlangte: diese folgenreiche Auffassung ist – wiederum politisch bedingt – zweifellos von Anfang an in Israel gerade bei den eifrigsten Hütern der alten Tradition lebendig geblieben. Mochten die ursprünglich von ihm dem Kriegerbunde auferlegten ethischen Gebote noch so primitiv und barbarisch gewesen sein (was heute nicht mehr sicher auszumachen[146] ist), – in jenem Sinn war er doch eben unvermeidlich weit mehr als andere Götter ein ganz spezifisch auf die Erfüllung bestimmter Gebote: ritueller und sozial-ethischer Alltags-Normen, »eifernder« Gott. Wohlgemerkt: nicht ein Gott, der eine ewig gültige Ethik schätzte oder selbst an ethischen Maßstäben gemessen würde. Das stellte sich erst allmälich als Produkt des Intellektuellenrationalismus ein. Nein, er verfuhr wie ein König, in Zorn und Leidenschaft, wenn die ihm kraft berith geschuldeten Pflichten nicht erfüllt werden. Es handelte sich um Pflichten, wie sie der erkorene Herr vom Untergebenen verlangt, um ganz positive Verpflichtungen, über deren absoluten ethischen Wert man zunächst nicht grübelte und nicht zu grübeln hatte. Das was »in Israel nicht erhört« war und das positiv durch berith Festgestellte war der Inhalt des Gesollten. Aber auf dessen Erfüllung hielt der Gott mindestens soviel, nach einer schon früh verbreiteten Ansicht sogar mehr, als auf Opferdienst. Schon Traditionen von hohem Alter zeigen ihn in gewaltigem Zorn nicht nur wegen ritueller, sondern auch wegen ethischer Frevel. Und als selbstverständlich wird vorausgesetzt, daß der heilige Krieg des Bundes wegen schwerer Verstöße gegen ethische Pflichten – wegen solcher Dinge, die »in Israel nicht gesehen worden waren« (Jud. 19, 30) – über Bundesglieder verhängt werden konnte. Der Grund aber für ein Einschreiten des Bundes aus solchen Gründen, also für eine spezifisch stark ethische Orientierung des altisraelitischen Bundesrechts, lag in der religiösen Solidarhaft der Bundesglieder für die Frevel aller einzelnen. Diese überaus wichtige und folgenreiche Voraussetzung einer Haftung der Gesamtheit für jeden in ihrer Mitte wissentlich oder unwissentlich geduldeten Frevler war, wie dem Repressalienrecht aller internationalen Beziehungen bis heute, so dem religiösen Glauben eines Volkes selbstverständlich, welches wie Israel seinem Gott als ein Verband freier Volksgenossen gegenüberstand. Während die Haftung des einzelnen für die Sünden seiner Vorfahren und Nächstversippten sich in babylonischen Hymnen findet, war jene Solidarhaft des ganzen Volkes für alle einzelnen – die Voraussetzung aller prophetischen Unheilsverkündigungen – in einem rein bürokratischen Staat naturgemäß gedanklich nicht entwickelt. Die politische Struktur spielte also auch hier eine entscheidende Rolle. Wie die Volksgenossen füreinander, so haften die Nachfahren bis in entfernte[147] Glieder für Frevel der Vorfahren. Das war bei der Blutrache ganz ebenso und also nichts Auffallendes. Und mit Abschwächung der Blutrache änderte sich das: die deuteronomische Spekulation sah in beiden Arten der Haftung für fremdes Verschulden: für den Genossen wie für die Voreltern, eine Härte, ohne doch die Anschauung wirklich beseitigen zu können. Für Israel war sie eine Folge des berith-Verhältnisses mit dem Gott selbst.

Die Qualität des Gottes als eines durch besonderen Vertragsakt angenommenen Bundeskriegsgotts und Garanten des Bundesrechts erklärt auch noch eine Eigentümlichkeit von großer Tragweite: er war und blieb, bei allem Anthropomorphismus, unbeweibt und daher kinderlos. Auch die bne Elohim des sechsten Genesiskapitels waren keine »bne Jahwe«. Eine weibliche Ergänzung konnte bei der Eigenart seiner Stellung gar nicht in Frage kommen. Sie fehlte ihm ebenso, wie sie auch sonst gelegentlich gewissen Funktionsgöttern, welche soziale Ordnungen garantieren, (Varuna, Apollon) und importierten Göttern (Dionysos) aus ganz ähnlichen Gründen fehlte. Bei Jahwe aber trug dieser Umstand sicher sehr wesentlich dazu bei, ihn von Anfang an als etwas, anderen Göttergestalten gegenüber, Besondersartiges, Weltferneres erscheinen zu lassen; vor allem hemmte er – wie wir sehen werden – echte Mythenbildung, die immer »Theogonie« ist. Auch diese sehr wichtige Eigentümlichkeit war also vermutlich durch jene politische Besonderheit der Entstehung seines Kults bedingt.

Solche Züge von Präeminenz des Bundesgotts begründeten aber, wie wir schon sahen, keineswegs notwendig einen Anspruch auf Exklusivität seiner Geltung. Wie es nach außen den Göttern anderer Völker gegenüber stand, davon war schon die Rede: Jephtha behandelt die Existenz und Macht des ammonitischen und später auch moabitischen Gottes Kamos als ganz selbstverständlich. Noch unter Ahab ist die Auffassung keine andere: der Moabiterkönig vermag durch das Opfer seines eigenen Sohnes den Kamos so zu stärken, daß sein Grimm gegen Israel und dessen Gott die Oberhand gewinnt. Aber – worauf es hier ankommt – auch nach innen bestand der Tatsache nach die Exklusivität nicht. Hinsichtlich der Halbbeduinen der Steppe ist es allerdings sehr wahrscheinlich, daß der große Kriegsgott des Bundes für sie von Anfang an der einzige in Betracht kommende Gott war. Diese Monolatrie erklärt sich sehr einfach daraus, daß bei ihnen differenzierte Kultur, welche Funktionsgötter erzeugt, [148] nicht bestand und daß die politische Gemeinschaft bei ihnen schlechterdings nichts als nur den kriegerischen Schutz der Weidereviere und der Eroberungen nach außen zu besorgen hatte. Vermutlich von Anfang an sind daher gerade diese halbnomadischen Stämme, vor allem die Südstämme, die Vertreter der »Einzigkeit« Jahwes im Sinn der Monolatrie gewesen. Und von da aus ist diese Auffassung auf die berufsmäßigen Vertreter derjenigen Funktion übergegangen, welche Jahwe von Anfang an eigentümlich war: die Kriegspropheten. Das älteste Dokument, in welchem die Verehrung »neuer Götter« durch Israel tadelnd erwähnt wird, ist das Deboralied (Jud. 5, 8). Alle Kriege gegen die Patriziate der Städte, der kanaanäischen wie der philistäischen, sind in Jahwes Namen geführt worden, und bei solchen Gelegenheiten tauchte begreiflicherweise jedesmal die Auffassung auf: daß eine Bundespflicht der Israeliten die ausschließliche Verehrung des Gottes sei, der ihnen im Kriege zu helfen verheißen hatte. Alle nicht weltlichen, sondern prophetischen – männlichen oder weiblichen – Führer in den Befreiungskriegen waren Feinde aller anderen Götter oder wurden es im Kriege. Aber im übrigen ist für die seßhaften Israeliten nichts sicherer, als daß sie noch »andere Götter« außer Jahwe hatten. Und zwar zunächst ganz legaler Weise. Der Besitz anderer Götter bedeutete ja lediglich den Bestand anderer, dem Jahwe nicht gewidmeter Kulte, und daß es solche, auch abgesehen von den importierten auswärtigen Numina, gab, hat auch die priesterliche Redaktion der heiligen Schriften nicht verwischen können140.

Zunächst berichtet die Tradition von Sippenkulten und Hausheiligtümern. David entschuldigt sich beim Opferfest des Saul mit einem Kultfest seiner Sippe, von welchem die Kultordnungen Jahwes nichts wissen. Nicht nur Laban ferner, sondern (nach den Bestimmungen des Bundesbuchs über die Erbversklavungszeremonie und nach der Erzählung über die Flucht Davids aus seinem Hause) jeder vollversippte Israelit hatte ursprünglich eine heilige Stätte im Haus und einen Hausgötzen. Was diese »Teraphim« letztlich gewesen sind, ob sie vielleicht identisch waren mit Masken oder Puppen, welche das Sippen- oder Familienhaupt[149] beim orgiastischen Mimus zu tragen hatte, ist nach Lage der Quellen vielleicht nicht sicher auszumachen und soll hier nicht erörtert werden. Wohl aber beweist die Art, wie sie aus den emendierten Redaktionen verschwinden, daß sie nichts mit einem (ganz unwahrscheinlichen) »häuslichen Jahwekult« zu schaffen hatten, so wenig wie vermutlich jene Sippenfeste. Im einzelnen freilich bleibt alles unsicher.

Auf recht problematischem Boden befindet man sich ebenso auch bei der wichtigen Frage, ob und welche Art von Totenkult in Altisrael geherrscht hat und inwieweit dessen späteres vollkommenes Fehlen mit dem Zurücktreten der sozialen und kultischen Bedeutung der Sippen zusammenhängt.

Die geistvollen Konstruktionen eines ursprünglichen Ahnenkults in Israel von Stade und Schwally haben der eindringenden Kritik namentlich Grüneisens nicht standhalten können. Allerdings scheint die Totenseele in der altpalästinensischen Magie einmal eine sehr beachtete Potenz gewesen zu sein. Aber in der späteren Zeit ist gerade sie eine sehr problematische Figur. Daß die »Seele« nichts notwendig Einheitliches ist, teilt die israelitische Auffassung mit sehr vielen anderen, auch mit jener ägyptischen Vorstellung, welche zum mindesten dem König eine Mehrheit von Seelen zuschreibt. Aber die schon in früher Zeit die ägyptische Spekulation beherrschende einheitliche Konzeption des »Kai« ist in Israel nicht übernommen und scheint auch keinen Einfluß geübt zu haben. Die spätere, auf Verschmelzung verschiedenartiger älterer eigener und einiger vermutlich übernommener Vorstellungen zurückgehende Auffassung unterschied am Menschen dreierlei: 1. den Körper (basar), 2. die im Blut sitzende141 Seele (nefesch) als Trägerin der normalen Affekte, der »Individuation« (wie wir sagen würden) und aller gewöhnlichen Lebenserscheinungen überhaupt und 3. den »Geist«, den »Lebensodem« (ruach). Ruach ist dabei ein von Jahwe dem Menschen eingeblasener göttlicher Windhauch, durch dessen Vorhandensein aus dem ganz kraftlosen oder nur vegetativ beseelten Körper erst ein lebendiger Mensch wird: »von den vier Winden her« läßt Jahwe durch ein Zauberwort des Hesekiel in dessen Vision den Odem kommen, der die über Israels Boden verstreuten Totengebeine wiederbelebt. Außerdem und vor allem aber ist nun ruach jene besondere göttliche Kraft, welche, der[150] »mana« und »orenda« entsprechend, als Charisma überalltäglicher Leistung im Helden, Propheten, Künstler und umgekehrt als dämonische Besessenheit in schweren Affekten und außeralltäglichen Zuständlichkeiten sich äußert. Nefesch und ruach sind in den Quellen nicht immer scharf geschieden. Es scheint, daß der in der späten Redaktion der Schöpfungsgeschichten (Gen. 1) sich findende Dualismus von lebendigem Gottesodem (dem »Wehen« der Gottheit) und totem Chaos von phönikischen Vorstellungen her durch Vermittlung der Intellektuellenspekulation rezipiert worden ist und die Konzeption eines Dualismus ruach-basar ermöglicht hat. Dieser kam den feindlichen Tendenzen der Priester gegenüber dem Totenkult entgegen. Nach der späteren Vorstellung kehrt nämlich die ruach, als substantiell den Winden gleich, mit dem letzten Atemzug zum Odem des Himmels zurück, geht mithin als Individualität unter und ein Totenreich der Individualseelen fällt damit ganz fort. Das entsprach dem alten Volksglauben keineswegs. Die ursprüngliche Vorstellung über das Schicksal der nefesch ist zwar nicht immer ganz klar, ging aber offenbar dahin, daß sie fortbestehe. Einmal, bei Jeremia, findet sich die auch in Altägypten ursprüngliche Annahme: daß die Seele im Grabe weile. Dabei handelt es sich aber um eine Heroine (Rahel) und der Grund jener Vorstellung war zweifellos, daß in diesem Fall ein alter Grabkult existierte. Dagegen ein »Ahnenhimmel« der Sippengenossen scheint nicht nachweisbar. Sippengräber finden sich für einzelne vornehme Geschlechter, noch in der Spätzeit z.B. für die Makkabäer und, nach der Tradition der Priester, für die Erzväter. Nur bei seßhaften Stämmen waren solche möglich. Der vermutlich alte Ausdruck: »zu seinen Vätern versammelt werden« bedeutete jedenfalls eher: Versammlung zu den gemeinsam beerdigten Sippengenossen als: in einen besonderen Ahnenhimmel, zumal er mit dem anderen Ausdruck: »zu seinen Leuten ('am) versammelt werden« abwechselt, der sowohl Sippengenossen wie Kriegskameraden bedeuten kann. Auch ein Kriegerhimmel ist geschichtlich nicht nachweisbar. Besonders von ihm begnadete religiöse Helden raffte Jahwe, nach der volkstümlichen Vorstellung, hinweg: sie existieren weiter unter seinen himmlischen Heerscharen, d.h. (wie in Aegypten nach einer Vorstellung) im leuchtenden Sternenheer oder vielleicht auch in seinem himmlischen Rat, während die korrekte Ansicht wohl die war:[151] daß er sie in seinen Armen sanft verlöschen lasse, wie den Mose. Die nephesch aller anderen aber führt ein Schattendasein im Hades, der »Scheol«. Aus dieser ist nicht, wie in Aegypten, ein Ort seliger Existenz der Begnadeten ausgeschieden oder eine Chance der Wiedergeburt eröffnet. »Schlaff« (rephaim), wie bei den Hellenen, sind vielmehr alle Totengespenster. Allerdings deshalb nicht ungefährlich. Die Steinigung eines von einem bösen oder einem mit dem cherem belegten Geist besessenen Menschen oder Tieres hatte zweifellos den Zweck, seiner unruhigen Totenseele den Weg so gründlich zu verschütten, daß sie nicht umgehen konnte. Während in Aegypten aus ähnlichen Anfängen die Lehre vom »Kai« entwickelt wurde142, ist die israelitische Vorstellung von der »Seele« durchaus widerspruchsvoll geblieben. Das strenge rituelle Verbot des Blutgenusses wird von der späteren, deuteronomischen und priesterlichen, Auffassung gelegentlich damit begründet, daß man die Seele auch eines Tiers nicht essen dürfe: das gibt bösen Zauber und vielleicht Besessenheit. Aber eine Lehre von den Schicksalen der Tier-und Menschenseelen hat sich nicht entwickelt. Im Hades lebte die nephesch nur als schattenhaftes Abbild des Lebenden, weil sie weder Blut noch Odem hatte. Man erfährt dort nach der Vorstellung auch der Psalmisten nichts von Jahwes Taten und kann ihn nicht preisen: das Gedenken ist erloschen. Wie Achilleus wünscht man vor diesem Schicksal so lange als möglich bewahrt zu werden und empfindet diese Existenz nicht als ein »jenseitiges Fortleben«. Vollends weiß man nichts von »jenseitiger Vergeltung«, wie sie das aus den chthonischen Kulten entwickelte Totengericht in Aegypten, die Grundlage der dortigen priesterlichen Beeinflussung der Ethik, darstellte. Spärliche Anfänge einer Tartaroskonstruktion für Uebeltäter finden sich bei späteren Propheten zwar, sind aber ebensowenig weiter ausgebaut worden, wie bei den Hellenen und Babyloniern. Der verschwommene Charakter all dieser Vorstellungen erklärt sich am einfachsten daraus, daß Scheol sowohl wie nefesch alte Bestandteile des Heeres- und Volksglaubens waren und daß die Träger des Jahwismus beides gleichermaßen beiseite ließen, ihrerseits dagegen mit dem anfänglich[152] wohl aus der animistischen Wiedergeburtsvorstellung der Kriegeraskese entnommenen, dann mit dem göttlichen Weltodem, dem Winde Jahwes, in Beziehung gesetzten Begriff der »ruach« operierten143 und kein Fortleben einer »Seele« in einem Jenseits kennen wollten144. Sondern was fortlebte und fortleben sollte, war bei ihnen etwas ganz anderes: der gute Name145 des Helden bestand unter den Kameraden und Nachfahren weiter. Die Hochschätzung des Namens ist eine typische Beduinenwertung, wie wir sahen. Aber sie herrschte auch in Aegypten. Wie dort, so bestand auch in Israel die Vorstellung: daß jeder Name etwas, wie dem Ding, so der Person Wesenhaftes, irgendwie Reales sei. Daß Jahwe den »Namen« des Frevlers aus seinem »Buch« austilgen werde, ist Ausdruck für die ihm angedrohte Vernichtung für immer (Ex. 32, 32. 33 f). Die Bedeutung des persönlichen Charisma und des Kriegsheldenruhms in Verbindung mit der herrschenden Sippengliederung und Benennung der vornehmen Sippen nach dem Ahnen als Eponymos wirkte wohl dahin, diese Vorstellung zu verstärken. Der Name eines Menschen, den der Gott im Leben sichtbar gesegnet hat, kann zu einem »Segenswort« werden, welches noch späte Geschlechter als solches gebrauchen. Daß dies seinem Namen geschehen solle, ist die höchste Verheißung, welche Abraham von Jahwe erhält. Denn in der einzigen alten (jahwistischen) Redaktion des später (Gen. 18, 18; 22, 18; 26, 4; 28, 14) umgestalteten Wortes (Gen. 12, 2. 3) lautet dies dahin, daß Abrahams Name »ein Segenswort werden« und daß künftig einmal »alle Geschlechter auf Erden sich mit seinem Namen segnen sollen«. Das bedeutete an sich nur: daß er selbst und die Seinen ein weltbekannt gesegnetes Leben führen werden. Irgendeine »messianische« Deutung lag ganz fern. Um dieses Werts des Namens willen, damit der Name in Israel nicht ausgetilgt werde, ersehnte man große Nachkommenschaft (Deut. 25, 6. 7. 10; Ruth. 4, 5. 10; 1. Sam. 14, 22; 2. Sam. 14, 7)146. Nicht aber, wie anderwärts,[153] um der Totenopfer willen147. Zwar existierten solche. Aber daß die Opfer für das Geschick des Toten oder für das des Opfernden selbst besonders wichtig seien, ist wenigstens in den uns zugänglichen Quellen nirgends angedeutet148. Dies Schweigen hängt wenigstens ursprünglich nicht, wie man wohl glauben könnte, mit einem bewußten Kampf der Priester gegen eine bereits bestehende am Ahnenkult verankerte Macht der Sippen zusammen. Zwar für die spätere Zeit ist der Gegensatz der Wirkungsrichtung von Priesterreligion und Sippenmacht, wie sich mehrfach zeigen wird, unzweifelhaft. Aber er blieb auch dann wesentlich latent und ist jedenfalls nicht der Ausgangspunkt der vollkommen fremden Stellung des Jahwismus gegenüber allem Totenkult gewesen. Denn Sippenmacht und Totenkult gehen zwar oft, aber nicht notwendig und immer zusammen. In Aegypten hat der so intensiv wie nirgends sonst gepflegte Totenkult keineswegs zur Bildung von magisch oder kultisch[154] gebundenen Sip penverbänden geführt149, die dort vielmehr so vollständig wie fast nirgends sonst fehlten, weil die Patrimonialbürok atie des Fronstaates die Bedeutung der Sippen bereits gebrochen hatte, ehe der Totenkult seine alles überragende letzte Ausgestaltung erhielt. Die stark entwickelte alte israelitische Sippengliederung andererseits hat doch keinen wirklichen Ahnenkult chinesischen oder indischen und auch keinen Totenkult ägyptischen Gepräges entstehen lassen. Gewiß hatte er sich aus der hauspriesterlichen Stellung des Familienhauptes und den Sippenkulten leicht entwickeln können, und wenn er entstanden wäre, so würde er die Macht und das rituelle Prestige der Sippen außerordentlich gesteigert und dadurch der Ausbreitung des reinen Jahweglaubens ernstliche Widerstände bereitet haben. Die Gastvölkerorganisation hätte dann vielleicht zur Kastenbildung führen können. Insofern war es allerdings von nicht geringer Bedeutung, daß der Jahweglauben offenbar von Anfang an der Entstehung eines Toten- oder Ahnenkults ablehnend gegenüberstand150. Denn die typischen Ansätze zur Entstehung solcher Kulte scheinen bestanden zu haben. Sicher feststellbar ist ein Kult von wirklichen oder angeblichen Stammesheroen zwar nicht, aber die Erwähnung von Gräbern einiger von ihnen macht Kulte wahrscheinlich, die dann von der späteren Priesterredaktion sehr geflissentlich umgedeutet wurden. Mehr als die hohe Wertung der Leichenpietät im (apokryphen) Tobit-Buch, die vielleicht persisch beeinflußt ist, zeigen die Erwähnung der Totenopfer und Trauerbräuche im Deuteronomium (26, 14) und die Reste der Totenorakel, daß der Weg zum Totenkult begangen war. Und noch weit mehr als all diese Spuren spricht dafür gerade die ganz offensichtlich bewußte schroffe Ablehnung aller dieser Ansätze durch die Jahwereligion, welche ihnen die Entwicklung abschnitt. Denn diese[155] Gegnerschaft hat einen augenfällig tendenziösen Charakter. Nicht etwa die Unreinheit alles Toten und alles auch nur indirekt zum Grabe in Beziehung Stehenden, wie etwa des Trauerbrots, ist dafür entscheidend. Denn »unrein«, d.h. Quelle magischer Befleckung, war der Tote und was ihn anging, auch da, wo er Gegenstand eines Kults war, z.B. in Aegypten. Daß dem Jahwepriester jede Beteiligung an der Totentrauer außer für die allernächsten Angehörigen unbedingt untersagt war, geht aber immerhin über das hinaus, was dadurch bedingt wäre. Ebenso die absolute rituelle Unreinheit aller Vorräte, von denen auch nur Teile für Totenopfer verwendet oder bei Totenmahlen gegessen waren: es war geradezu Gegenstand des »negativen Sündenbekenntnisses«, welches der Einzelne, wenn er »vor Jahwe erschien«, abzulegen hatte, daß das zu Opfernde in dieser Hinsicht rituell rein sei (Deut. 26, 14). Nicht minder die Perhor reszierung der Totenorakel. Denn sie erfolgte nicht etwa, wie bei manchen anderen verbotenen Orakelpraktiken, weil sie trügerisch wären, sondern obwohl sie, wie ja das Beispiel der Beschwörung Samuels zeigt, wirksam waren und die Wahrheit enthüllten. Nein: sie waren eine Konkurrenz gegen die von den Jahwepriestern gehandhabten Orakelformen und entstammten Kulten, welche für diese offenbar eine gefährliche Rivalität bedeuteten. Neben einheimischen chthonischen Kulten war vor allen Dingen gerade der ägyptische Totenkult in der unmittelbaren Nachbarschaft offenbar ein Feind, gegen welchen die Verpönung alles Totendienstes sich richtete151. Die in Palästina zahlreich gefundenen Skarabäen dienten bekanntlich als magischer Schutz für den Toten vor dem Totenrichter und machen es sehr wahrscheinlich, daß die ägyptische Art des Totenkults nicht unbekannt war. Nichts beweist aber deutlicher das tiefe Unbehagen, mit welchem die Jahwereligion aus diesem überall spürbaren Gegensatz gegen die ägyptische Esoterik und chthonische Mysterien heraus allen Angelegenheiten des »Jenseits« gegenüberstand, als das unvermittelte Abbrechen aller scheinbar unvermeidlich dorthin führenden Gedankengänge152 in der ganzen alttestamentlichen[156] Literatur mit Einschluß sämtlicher Propheten, Psalmisten und Legendendichter. Den Propheten (Jes. 28, 15) bedeutet ein politisches Bündnis mit Aegypten den Bund mit Scheol, das heißt mit den Totengöttern: das erklärt mit ihre hartnäckige Feindschaft gerade gegen diese Anlehnung.

Bei all dem hat man nun aber doch den Eindruck, daß der in Babylon esoterisch bestehende, durch Astralmythen bedingte Auferstehungsglaube, der plötzlich im Danielbuch als fertige Vorstellung hervortritt und nach der Makkabäerzeit (pharisäischer) Volksglaube wird, auch in vorexilischer Zeit nicht etwa unbekannt war153. Die offizielle babylonische Religion weiß freilich von solchem Glauben ebensowenig etwas wie die israelitische. Der Tod ist ihr ein unvermeidbares Uebel alles Menschentums. Denn die Lebenspflanze ist unter der Obhut böser Dämonen tief verborgen in der Unterwelt, die auch dort ein reines Schattenreich ist. Und nur vereinzelte Sterbliche sind, wie in Israel, durch Göttergnade in ein seliges Dasein entrückt. Aber in Israel ist nicht nur ein Ignorieren, sondern Ablehnung zu spüren. Das ganze Gebiet des Totenreichs und des Schicksals der Seele blieb der offiziellen priesterlichen und prophetischen Religion unheimlich. Bis auf die Zeit der Pharisäer, welche darin Wandel schufen, operieren ihre Repräsentanten, gerade die größten unter ihnen, niemals mit dem in der ägyptischen und der zarathustrischen Religion heimischen Gedanken einer jenseitigen Vergeltung. Die Pietät gegen die lebenden Eltern wird hoch gerühmt und ihr Bruch streng verpönt, aber von einem Jenseitsschicksal noch so glänzender Ahnen ist niemals die Rede, obwohl doch die Vergeltung und der gerechte Ausgleich das war was die Jahwegläubigen von ihrem Gott erhofften und obwohl die Solidarität der Sippe mit ihrer Haftung der Nachfahren für die Sünden der Väter feststand. In späterer Zeit haben, wie wir sehen werden, die Verheißungen der Propheten durch ihre Eigenart diese Ablehnung aller individuellen Jenseitsvergeltung zugunsten der kollektiven diesseitigen Hoffnungen mit bedingt. In der Frühzeit aber ist diese für die Rechtssammlungen wie die Geschichtsschreiber gleichmäßig charakteristische Ablehnung jeder Jenseitsspekulation, zumal[157] in der Nachbarschaft des sehr genau bekannten Aegypten, doch wohl kein Zufall. Freilich: der nächste und unmittelbarste Gegner waren vermutlich die orgiastischen Kulte der chthonischen kanaanäischen Numina. Die Aufzählung der verpönten Trauerbräuche (Einritzen von Wunden, Kahlscheren des Haupts und Aehnliches) bei den Propheten (Amos, Jesaja, Micha) und in der Thora (Lev. 19, 28; Deut. 14, 1) zeigt auch keine spezifisch ägyptischen, sondern allgemein chthonische Züge. Und motiviert ist das Verbot (Deut. 14, 2) durch die Beziehung zu Jahwe, also: kultisch. Jahwe hat eben, so viel bekannt, nie und nirgends Züge eines chthonischen Gottes an sich getragen. Immer residiert er auf den Bergen oder im Tempel, nie in der Erde. Niemals wird Scheol, der Hades, als von ihm geschaffen hingestellt: es ist die einzige unter allen Stätten des Weltalls, von der dies nicht behauptet wird. Niemals ist er der Gott der Toten oder eines Totenreichs. Die Kulte der chthonischen und der Totengötter haben eben überall sehr spezifische Eigentümlichkeiten, von denen sich keinerlei Spur im Jahwekult nachweisen läßt. Ebensowenig ist er jemals ein Vegetationsgott oder Gestirngott gewesen: – Gottheiten, deren Kulte die Auferstehungshoffnungen zu erzeugen pflegen. Dieser kultische Gegensatz war unzweifelhaft für die Stellungnahme der Jahwepriester und Thoralehrer der entscheidende. Aber mit Totenkulten verbundene Auferstehungsvorstellungen waren wohl auch in Palästina nicht unbekannt. Nur die Jahwepriesterschaft hatte mit ihnen nichts zu tun und wollte mit ihnen auch nichts zu tun haben, weil ihre eigenen rituellen Gepflogenheiten mit siderischen ebenso wie mit chthonischen Kulten unvereinbar waren. Und neben dem äußeren Gegensatz gegen Totenpriester und Totenorakeldeuter war wohl auch die Befürchtung, bei jeden Konzessionen an irgendwelchen Jenseitsspekulationen durch Kulte von der unermeßlichen Popularität des ägyptischen Osiriskults, sei es durch diesen selbst oder eine an ihn anknüpfende Esoterik von Auferstehungsmysterien, überrannt oder zurückgedrängt zu werden, für ihr Verhalten maßgebend. Zustatten kam ihnen bei der Ablehnung aller Toten- und Ahnenkulte wohl auch, daß die durch die Struktur der ägyptischen Sozialordnung gegebene Verklärung der buchmäßig fixierten Weisheit der Ahnen als solcher für das alte Israel nicht in Betracht kam. Ebenso: daß eine eigentliche Adelsentwicklung[158] mit individueller Ahnenverehrung ausblieb. Denn so wenig ein schon entwickelter »Ahnenkult« Anlaß der Feindschaft der Jahwepriester gegen die Trauerbräuche war, so zeigt doch die Zusammenstellung des Verbotes der Trauerkasteiung durch Körpereinschnitte mit der Tätowierung (Lev. 19, 28): zweifellos einer Tätowierung mit dem vom Stammesvater überkommenen Sippen- und Stammeszeichen, daß die Gegnerschaft im praktischen Effekt auch der kultischen Bedeutung der Sippen als solcher galt. Der Kampf der reinen Jahwegläubigen gegen die Entstehung von Kultverbänden der Sippen hinderte seinerseits auch wieder die Entstehung eines Ahnenkults, für den Sippenverbände ja die Stätte abgegeben hätten. Die Sippenfeste sind denn auch später durchaus verschwunden.

Dagegen hatte sich der Jahwekult zunächst damit abzufinden gehabt, daß im Ackerbaugebiet Palästinas die üblichen Götter der Ackerbauer: siderische und typische Vegetationsgötterkulte, fortbestanden. Neben den schon vorhandenen oder importierten phönizischen Kulten (vor allem: Moloch und Astarte) und mesopotamischen Gottheiten (Tammuz, der Mondgott Sin), die niemals von den Jahwepriestern anerkannt wurden, scheint durch die Legende von Jephthas Tochter der Bestand von jährlichen Klageriten um den Tod einer alten weiblichen Vegetationsgottheit bezeugt zu sein. Diese fremden Götter haben aber auf die Gestaltung der Jahwereligion keine entscheidende Bedeutung gehabt und interessieren hier nicht. Denn ihr Einfluß wirkte zwar in massenhaften Einzelheiten, aber nicht in den für die grundlegenden Formen der Lebensführung entscheidenden Riten nach. Mit einer Ausnahme. Die überaus wichtige Institution des Sabbat154 hängt mit dem Schabattutage des auch in Babylon herrschenden Mondkults offensichtlich zusammen. Wie die Etymologie des hebräischen Worts für »schwören«: »sich besiebenen« zeigt, ist die in Babylonien eingebürgerte Heiligkeit der Siebenzahl und wohl auch der »Siebengötterschaft« auch in Palästina alt. Aber die beiderseitige Geltung des Sabbats beruht schwerlich auf eigentlicher Uebernahme, sondern wohl auf gemeinsamer Ueberlieferung. Schon bei den frühesten Erwähnungen[159] des Sabbats treten die Unterschiede hervor. In Mesopotamien war der Schabattutag streng an den Mondumlauf: Neumond, Vollmond, später die durch 7 teilbaren Tage des Monats und den 7 x 7. Tag, gebunden. In Israel ging der jeweilig siebente Tag als Feiertag unbekümmert um die Mondphasen durchlaufend weiter, obwohl die Heiligkeit des Neumonds auch dort alt war155 und anscheinend auch für die einstige Heiligkeit des Vollmonds sich Spuren finden. Vielleicht hat der Name Sabbat ursprünglich Vollmondtag bedeutet, wie Beer annimmt und ist erst später auf den »siebenten Tag« (Ex. 23, 12; 34, 21) übertragen worden. Gemeinsam war mit Babylonien nur die Verwendung der Siebenzahl, verschieden die Art, wie sie geschah. In Mesopotamien ferner war der Schabattu in historischer Zeit ein Bußtag. In Israel war der siebente Tag zunächst offenbar ganz und gar ein fröhlicher Tag der Arbeitsruhe, an welchem man andere Dinge als die übliche Berufsarbeit besorgte, namentlich auch die Gottesmänner aufsuchte (2. Kge. 4, 23). Wie vor allem noch die Nehemiachronik (13, 15) zeigt, war er aber auch der Tag für die Bauern, zur Stadt, zum Markt und zur Kirmeß zu fahren156, ebenso wie die römischen Nundinae und wie der eine Tag der, in manchen Gemüseländern herrschenden, kürzeren 5 Tage-Woche dort. Die Anklage des Propheten Amos (8, 1) gegen diejenigen Getreideverkäufer, denen der Sabbat, als Geschäftsstörung, zu lang ist, zeigt, daß schon damals die Arbeitsruhe wenigstens für die (wie der Zusammenhang ergibt: stadtsässigen, berufsmäßigen) Händler durchgeführt wurde. Schon die Rücksicht auf die sonst eintretende Begünstigung der Konkurrenz der Gerim hatte dies nötig gemacht (vgl. ganz analog: Neh. 13, 16 f.). Sklaven und Vieh scheinen nach der aus der Zeit der Jehu-Dynastie stammenden Prophetenlegende (1. Kön. 4, 22) damals noch nicht, sondern erst in der deuteronomischen Zeit einbegriffen worden zu sein. Wohl erst damals wurde der karitative Zweck in den Mittelpunkt gerückt. Seine letzte Steigerung[160] zu dem, neben der Beschneidung, wichtigsten Merkmal Israels und einer absoluten und dabei rein rituellen Enthaltungspflicht von aller über das rituell vorgeschriebene Maß hinausgehenden Tätigkeit erhielt er erst in der Exilszeit durch das Streben der Priester nach absolut unübersteiglichen »konfessionellen« Unterscheidungspflichten Israels. Er wurde nun – da die bloße Tatsache der Beschnittenheit ja keine Gewähr der wahrhaft gottgefälligen Lebensführung bot – zu einem der wiederholt und immer pathetischer eingeschärften rituellen Hauptgebote Israels und stand an Bedeutung neben dem Verbot des Mordes, der Idolatrie und des Blutgenusses. Nun erhielt er durch die Redaktion des Sechstagewerksmythos einen kosmischen Hintergrund. Der priesterlichen Auffassung dieser Zeit galt die Verletzung der Sabbatruhe als todeswürdiger Frevel (Ex. 31, 14 f.). Der Ursprung aber ist sicherlich nicht bei den Viehzüchtern der Wüste oder Steppe – wo er praktisch undurchführbar oder ohne Bedeutung ist und die Mondphasen wenig wichtig sind – sondern in einem Ackerbaugebiet zu suchen, wobei dann die Frage, ob es sich bei der Siebenzahl um Planetenrechnung oder Vierteilung des Mondumlaufs handelte, sicher mit Recht zunehmend zugunsten der letzteren Annahme beantwortet wird157. Daß aber der Feiertag in Israel im Gegensatz zu Babylonien durchlaufend wurde (oder: blieb), erklärt sich einfach aus dem stärkeren Vorwiegen der am lokalen Stadtmarkt orientierten bäuerlichen Wirtschaftsinteressen und Gepflogenheiten in Palästina, dagegen des vornehmen astronomischen Priesterwissens bei den Babyloniern. Hier war die astronomische Korrektheit rituell wesentlich, bei den Israeliten dagegen war in der Zeit der Fixierung der Sabbatgewohnheiten das Interesse der Bauern und Kleinstädter an regelmäßiger Wiederkehr des Markttages ausschlaggebend. Endgültig hat sich das Durchlaufen des Sabbats wohl mit der Erstarkung der Marktwirtschaft durchgesetzt: das spezifische Stadtstaatgesetz, das Deuteronomium, erwähnt die alten Mondfeste nicht mehr. Siderische Korrektheit vermochten die Israeliten aus eigener Kraft doch nicht zu erreichen: man muß sich erinnern, welche Pein eine[161] korrekte Feststellung mancher an sich einfacher astronomischer Tatbestände noch den Rabbinen der Spätzeit gemacht hat.

Ließ sich der Sabbatritus leicht aus dem Zusammenhang mit dem Mondkult lösen und der Jahwereligion einfügen, ja sogar zu einem ihrer rituellen Hauptgebote machen, so bereiteten auf die Dauer um so größere Schwierigkeiten andere Kulte der Ackerbauer, welche die Israeliten des Jahwebundes durch Beitritt ansässiger Stämme und eigenen Uebergang zur Seßhaftigkeit in ihrer Mitte teils vorfanden, teils übernahmen. Wie in den Amarnatafeln die Götter der Chabiru »ilani« genannt werden, so heißen die Gottheiten der Kanaanäer und der nördlichen ansässigen Israeliten Elohim, ein Name, der hie und da vielleicht auch für israelitische Götter noch als Plural verstanden wurde – das Attribut wird öfters in den Plural gesetzt –, in der gegenwärtigen Redaktion aber, wenn von israelitischer Religion die Rede ist, durchweg als eine Einzahl gedacht ist. Davon scheint allerdings gerade eine Stelle im »Bundesbuch« (Ex. 22, 8) eine Ausnahme zu machen und ebenso scheinen die grammatischen Verhältnisse bei den Anreden Abrahams an die göttliche Epiphanie der drei Männer es wahrscheinlich zu machen, daß die Einzahl der Anrede eine polytheistische Auffassung als Quelle nicht ausschloß. Der Plural als Bezeichnung eines präeminenten und zugleich abstrakten in der Ferne des Himmels thronenden höchsten Wesens war gerade im benach barten Phönizien, aber anscheinend auch in Palästina verbreitet158 und im späteren Sprachgebrauche Babyloniens ist der Plural »ilani« ebenso wie Elohim in Israel Bezeichnung der »Gottheit«. Trotzdem bleibt wahrscheinlich, daß eine Pantheonbildung irgendwelcher Art dem Ausdruck ursprünglich zugrundelag. Aber namentlich Hehn hat glaublich gemacht, daß schon die Einwanderung der Israeliten die Bezeichnung als Kollektivum für die »Gottheit« oder den »höchsten Gott« vorfand. Für die Jahweverehrer stand naturgemäß die Suprematie des Bundesgottes[162] Jahwe fest. Er war ihnen »Elohim«, weil er ihre »Gottheit« schlechthin war159. Dies fand in der Stellung des höchsten Himmelsgottes in Babylonien und den von dort beeinflußten Gebieten eine Parallele, und der Brief des Kanaanäers Achijam bezeichnet (15. Jahrh.) den höchsten Gott als »Bei ilanu«, »Herr der Götter«. Mit solchen höchsten Himmelsgöttern wurde Jahwe naturgemäß besonders leicht verschmolzen. Er heißt noch in relativ späten Stellen ein »Gott der Götter«. Die Erinnerung daran, daß dies einst ihm gegenüber selbständige Götter waren, lebt außer in zornigen Bemerkungen des Jesaja gegen die Elim auch in den Namen einiger von ihnen und der offensichtlich nachträglichen Identifikation mit Jahwe fort. Den »höchsten Gott«, El eljon – nach andern Nachrichten wohl ein phönizischer Name für den Himmelsgott an der Spitze des Pantheon – läßt eine freilich in der jetzigen Redaktion späte Tradition zu Abrahams Zeit in Jerusalem (?) durch den Priesterkönig Malkisedek verehrt werden und den gleichen Ausdruck wendet Abraham dann für Jahwe an160. Die alte Bezeichnung El Schaddaj, nach Delitzsch mit Shadu: (babyl.) Berg, zusammenhängend, bezeichnet das gleiche161. Andere himmlische Wesen galten der späteren Auffassung als ihm untergeordnete Boten und Helfer. Aber ursprünglich waren sie sicherlich auch ihrerseits Götter, wie wiederum die überaus schwankende Behandlung der drei Gestalten der Epiphanie bei Abraham im Hain Mamre und ebenso die bei göttlichen Ratschlüssen in der Genesis sich öfter findende Selbstbezeichnung »wir« zu zeigen scheint. »Die Kinder der Elohim« finden in dem verstümmelten alten Titanenmythos (Gen. 6) Gefallen an den Töchtern der Menschen und zeugen mit ihnen die Nephilim (Num. 4, 13), die Giganten (der großen Sternbilder), von denen die Enaksöhne (Num. ebenda), und jene Ritter (gibborim) der verschollenen kanaanäischen Urzeit abstammten, gegen welche die Ahnen zu kämpfen hatten und welche nach dem ursprünglichen Zusammenhang der Himmelsgott in der[163] Sintflut vernichtete. Das Sternenheer, sahen wir, war im Deboralied in Nordisrael der Kern jener himmlischen Gefolgschaft von der Jahwe auch später in den prophetischen Visionen umgeben ist. Numina, welche mit Jahwe nicht identisch scheinen, lauern den Helden auf und eine solche Gottheit wird von Jakob im Ringkampf bezwungen. Direkte Einwirkungen der Echnatonschen Sonnenreligion auf die Jahwereligion sind sehr unwahrscheinlich, schon weil die ohnehin unsichere Propaganda in Palästina162 sicher wenig intensiv war und weit zurücklag. Die nordisraelitische abstrakte Gottesbezeichnung »El«163 entspricht dagegen der babylonischen und die Verehrung des höchsten Gottes auf dem Garizim und anderen Bergeshöhen dem babylonischen Versuch, durch Verehrung auf riesigen Terrassentürmen dem Himmelsgott so nahe wie möglich zu sein.

Fast alle diese vorderasiatischen Götter hatten astralen und meist zugleich vegetativen Charakter und waren einander sehr ähnlich164. Wie überall war bei ihnen die Entwicklung zur Personalität erst allmählich eingetreten: ursprünglich war der Sternengeist von dem Stern selbst nicht zu trennen165 und erst Funktionsgötter der Kultur, wie z.B. der babylonische Schreibergott Nabu, waren von Anfang an ganz persönlich aufgefaßt. Aber eine gewisse Neigung zum Zurückgleiten ins[164] Unpersönliche blieb an den meisten haften; gerade die höchsten Himmelsgötter (so Anu in Babel) waren überall abstrakt und dem Volkskult fremd. Ueberall bestand die Neigung zum Synkretismus und zur Erhebung des Sonnengottes zum höchsten, in den Augen der Intellektuellen im Grunde einzigen Gott. Davon finden sich aber in Palästina nur dürftige Spuren, wenn schon die Elohim-Abstraktion immerhin auf diesem Wege gelegen hatte.

Die wichtigste mit Jahwe wirklich konkurrierende Gotteskonzeption war vielmehr kanaanäischen stark phönizisch beeinflußten Ursprungs und gehörte einem Typus an, welcher in der entwickelteren babylonischen Religion schon stark umgeformt war. Es ist der Baal-Typus. Der ursprüngliche oder richtiger: der zur Zeit der Okkupation herrschende Sachverhalt war der: daß ein besonderer Gott der »Herr« über bestimmte Dinge oder Vorgänge der Natur oder des sozialen Lebens war, so wie sich das in primitiver Form über die ganze Erde verbreitet bei Naturvölkern findet und so wie etwa der indische »Gebetsherr« oder die altchinesische Landesgottheit es auch war. Dinge oder Vorgänge »gehören« dem betreffenden Baal so wie einem Menschen ein Stück Land oder Vieh oder ein von ihm monopolisierter »Beruf« gehört. Daraus entstehen vor allem zwei Kategorien von Göttern. Einmal Funktionsgötter, wie vielleicht der »baal berith« einer war, der »Bundesherr«, der für Bundesschlüsse »kompetent« war, sie schützte und ihre Verletzung rächte. Oder der baal zebul von Ekron, der »Herr« der Pest verbreitenden Fliegen. Oder der »Herr« der Träume oder des Zorns usw. – Andererseits: Götter, denen der fruchttragende Boden, gehört: die »Lokalgötter« in diesem spezifischen Sinn. Während der israelitische Bundesgott Jahwe ein Gott der personalen Volksgemeinschaft war, ähnlich dem Bel des assyrischen Kriegervolkes, aber noch mehr nach Art eines Heerkönigs geartet, war der palästinische Baal eines Orts der Herr des Landes und all seiner Erträgnisse nach Art eines patrimonialen Grundherrn, ähnlicher dem babylonischen Bel, dem Herrn der fruchtbaren Erde. Wir werden später die große rituelle Bedeutung dieses chthonischen Charakters wenn auch sicher nicht aller, so doch der praktisch wichtigsten Baal-Kulte kennen lernen. Dem Baal gebühren die Erstlinge aller Früchte vom Boden, Vieh, Menschen, die von diesem Lande leben: – was die Priester auf Jahwe übertragen[165] haben, dem das ursprünglich unbekannt war. Das religiöse Motiv der früher erwähnten Pflicht, das Land nicht ganz abzuernten (Lev. 19, 9 und 23, 22) ist wie die Motivierung: »ich bin Jahwe euer Gott« beweist, aus jenem Vorstellungskreis entnommen. Jene nicht unbedingt gegensätzliche, aber doch abweichend gerichtete Vorstellung: Gott der Personalgemeinde einerseits, des Ortsverbands andererseits, Himmelsgott dort, Erdgott hier, lag zwischen den Konzeptionen von Jahwe und Baal. Im kanaanäischen Lande ist die zweite, aus der Stadtsässigkeit und patrizischen Grundherrlichkeit unmittelbar folgende, Vorstellung sicher sehr alt. Jede Stadt hatte ihre eigenen Lokalgötter dieses Gepräges. In der Amarnazeit klagen die Statthalter dem König, daß die Stadtgottheiten, durch deren Huld der Pharao Herr der Stadt sei, die Stadt verlassen haben und deshalb diese den Feinden verfalle. Die Israeliten scheinen einer ganzen Anzahl von Göttern mit Sondernamen, so dem unter einem Stierbild verehrten Hadad, den Baal-Namen beigelegt zu haben, ebenso dem unter der Omriden-Dynastie importierten phönizischen Milk oder Melkart. Jedenfalls war die wichtigste mit Jahwe konkurrierende, weil funktionell sehr universelle Gestalt der Baal des Orts, der Eigentümer des »Landes« in wirtschaftlichem und politischem Sinn. Bei friedlicher oder gewaltsamer Angliederung von Städten an Israel verblieben diese Baale natürlich im Besitze der Stadt und ihrer Heiligtümer. Nach der ursprünglichen Vorstellung tat das dem großen Bundeskriegsgott keinen Abbruch. Irgendwie freilich mußte seine Stellung zu ihnen mit seinem steigenden Prestige reguliert werden. Er konnte entweder als Himmelsgott an die Spitze eines Pantheon treten, und derartiges scheint in der Elohimbenennung nachzuklingen. Er geriet dann freilich in Gefahr, wie alle solche höchsten Himmelsgötter zu verblassen, wo immer er keine dauernde Kultstätte für Alltagsbedürfnisse hatte. Die Baale blieben dann Herren der lebendigen Kulte. Oder er wurde einfach mit den Baalen identifiziert oder in der Verehrung irgendwie mit ihnen verbunden. Bis in die Zeit nach dem Exil ist Jahwe sogar mit ganz fremden Göttern zusammen in einem und demselben Tempel von Juden mit der größten Unbefangenheit verehrt worden166,[166] Bei einer Kombination mit dem Lokalgott Baal mußte dann in Zeiten friedlichen Gedeihens naturgemäß mehr der Baal, in Zeiten großer Kriegsnot mehr der Jahwe in der Mischgottheit (oder in der kombinierten Verehrung) hervortreten167. Das ist tatsächlich geschehen und erklärt die Erscheinung daß die später gegen Baal eifernden puritanischen Jahwepropheten gerade in Zeiten friedlichen Gedeihens den schwersten Stand hatten, daß dagegen jeder Nationalkrieg und jede fremde Bedrückung und Bedrohung sofort Jahwe, dem alten Gott der Schilfmeerkatastrophe, zugute kam. Für große Zeiträume darf aber ein friedliches Nebeneinander mit sehr starkem, aber nicht als Gegnerschaft gegen Jahwe aufgefaßtem Hervortreten der Baale angenommen werden. Auch bei gefeierten Helden Nordisraels finden sich Namen mit Baal: So namentlich Jerub-Baal, der dann als Kriegsheld Jahwes ganz charakteristischerweise einen neuen Namen (Gideon) erhielt; ähnlich noch Söhne des gut jahwistischen Königs Saul, deren Namen die spätere Tradition charakteristisch verändert hat.

Infolge der häufigen Identifikation mit lokalen oder funktionellen Baalen nahm der Jahwekult auch deren kultische Attribute an. Vor allem: die Kultbilder. Der ursprüngliche israelitische Bundeskult ist nach Ausweis der Tradition und auch der Ausgrabungen mit höchster Wahrscheinlichkeit als bildlos anzusehen und war offenbar in dieser Form übernommen worden. Dies war freilich gewiß nicht das Produkt irgendeiner spekulativen »Höhe« der alten Gottesvorstellung. Sondern gerade umgekehrt eine Folge primitiver Kultmittel, welche, bei der hohen Heiligkeit des alten Bundeskriegsrituals, besonders früh und definitiv stereotypiert wurden. Der Gott blieb einfach deshalb bildlos, weil er es in der Zeit seiner Rezeption infolge des materiellen Kulturstandes der Gegend, in welcher er rezipiert wurde, noch war. Aus dem gleichen Grund schreiben die ältesten Rechtsbücher einen einfachen Altar aus Erde und unbehauenen Steinen vor, wie er damals dort gebräuchlich war. Die Erhaltung dieser Bildlosigkeit auch in Zeiten entwickelter Kunstübung ist durchaus nichts dem Jahwekult Spezifisches. Sie ist vielfach,[167] z.B. bei manchen frühhellenischen und altkretischen Kulten nachweisbar und findet sich auch bei den, ebenso wie Israel, von Babylon her beeinflußten Iraniern. Entscheidend für ihre Erhaltung an einigen der wichtigsten Kultstätten waren zweifellos die dortigen althergebrachten und um dieses Alters willen besonders heilig gehaltenen Kultformen, wel che die Rezeption von Ikonen erschwerten: die Scheu vor bösem Zauber im Fall der Aenderung. Der israelitischen Entwicklung spezifisch oder wenigstens in annähernd ähnlicher Art nur noch der von ihr beeinflußten islamischen und teilweise der zarathustrischen ähnlich war nur die Penetranz der Wirkung. Anderwärts beschränkte sich die Verpönung der Bilder auf einige Kultorte oder auf die betreffenden Götter und ließ der Kunstübung im übrigen innerhalb wie außerhalb der religiösen Sphäre freien Raum. In Israel wurde Jahwe zum einzigen Gott und haben die Vertreter des bildlosen Kults nicht nur, gleichzeitig mit Steigerung dieser Ansprüche Jahwes auf Monolatrie, die Verpönung der Bilder Jahwes, sondern die Verwerfung aller bilderartigen Paramente vertreten und diesen Standpunkt schließlich bis zu einem Grade gesteigert, welcher aller Ausübung bildender Kunst sich nahezu prinzipiell feindselig gegenüberstellte, wie dies das zweite Gebot in seiner endgültigen Formulierung tat. Das ist für die Unterdrückung der Kunstübung und des Kunstsinns im späteren Judentum von größter Tragweite gewesen. Diese letzte ganz radikale theologische Konsequenzmacherei war indessen erst ein Produkt des priesterlichen Strebens nach absolut wirksamen rituellen »Unterscheidungsgeboten«. Sie findet sich in den älteren Quellen, wo ja sogar zweifelhaft ist, ob der jahwistische Puritanismus nur Guß bilder, die Produkte städtischer Kultur, oder auch (oder: gerade) Schnitzbilder oder alle Bilder verpöne – die drei »Dekaloge« befinden sich da untereinander im Widerspruch – und wo die Kunstfertigkeit der Paramentenhandwerker als göttliches Charisma galt, noch in keiner Art. Sie wuchs erst im Verlauf des überaus heftigen Kampfs, den die Vertreter des alten bildlosen Kults gegen die auf dem Kulturboden Kanaans entstandenen Jahwebilder und anderen Kultparamente zu führen hatten, zu dieser Schärfe empor. Die Art dieser Paramente ist durch die spätere Tradition stark verwischt. Insbesondere nimmt das Ephod168 eine unbestimmte Stellung ein. Wie bei den[168] Teraphim ist bei ihm nicht sicher auszumachen, was es ursprünglich war. Der gelegentlich behauptete phallische Charakter169 ist schwerlich erweislich. Manche Nachrichten könnten annehmen lassen: ein Bild, andere: ein Umhang mit Tasche für die Orakeltafeln, noch andere: ein Bekleidungsstück. Eine Aenderung des Sinnes unter dem Einfluß der späteren Auffassung des bildlosen Kults ist sehr möglich. War es anfänglich ein bildartiges Parament, so ist es dem ursprünglichen Kult Jahwes vermutlich fremd gewesen. Die Nachricht, welche am meisten diese Deutung nahelegt, ist nordisraelitisch. Ob das »Stiftszelt« Jahwes mehr als eine spätere theoretische Konstruktion war, kann hier dahingestellt bleiben. Denn weit wichtiger und ein spezifisches Parament des bildlosen Jahwekultes war die tragbare »Lade Jahwes«.

Ob diese Lade, wie namentlich Ed. Meyer annahm, ursprünglich ein Fetischkasten und also ägyptischen Ursprungs oder ob sie, wie M. Dibelius170 wahrscheinlicher gemacht hat, ursprünglich ein kastenförmig aussehender Himmelthron und also vorisraelitisch-palästinischen Ursprungs war, ob sie, wenn dennoch ein Kasten, ursprünglich einen heiligen Stein, vielleicht mit Runen, enthielt oder – wie das Schwally nach Analogie eines islamischen Feldheiligtums (des Machmal) annimmt – von Anfang an ein leerer Kasten war, in welchen man den Gott gebannt hatte, wird wohl nie sicher auszumachen sein. Jedenfalls hat aber Dibelius es aus den ältesten Nachrichten (Num. 10, 35. 36 in Verbindung mit 1. Sam. 1, 10 und 4, 4 und dem Bilde des Jeremia 3, 16) höchst wahrscheinlich gemacht, daß sie in der Zeit der Befreiungskriege gegen die Philister ein kerubengeschmückter Sitz sein sollte, auf welchem Jahwe unsichtbar thronte und den man in Kriegsnot auf einem Wagen in das Lager fuhr. Jahwe wurde dann vor der Schlacht durch eine rhythmische Anrufung aufgefordert, sich gegen die Feinde zu erheben, nach dem Siege ebenso, wieder Platz zu nehmen (Num. 10, 35. 36). In der (späten) Samuellegende erscheint Jahwe als in oder wohl auf der Lade im Heiligtum lokalisiert. Das ist vielleicht Produkt späterer Auffassung aus der Zeit der vollen Seßhaftigkeit, – obwohl das Nebeneinanderstehen logisch unvereinbarer Vorstellungen vom[169] Gott an sich häufig ist. Der Glaube, daß Jahwe im Krieg auf der Lade unsichtbar throne, war mit der Ansicht, welche z.B. das Deboralied von seinem Herbeistürmen vom Sitz auf dem Waldgebirge Seir hatte, nicht gleichartig, aber vielleicht nicht absolut unvereinbar. Es ist jedenfalls wohl kein Zufall, daß die Perser, – wie die Israeliten ein bergsässiges Nachbarvolk wagenkämpfender Ebenenvölker – nach Herodot (7, 40) ebenfalls ihren unsichtbaren Gott Ahuramazda auf einem Wagen mit in den Krieg führten171. Man wollte ursprünglich wohl den wagenfahrenden Kriegskönigen und Idolen der Feinde den wagenfahrenden Himmelskönig entgegenstellen. Leere Götterthrone sind von Reichel mehrfach, auch im hellenischen Gebiet, nachgewiesen. Ein Gott, dessen von alters überkommener Kult bildlos war, mußte eben ein – normalerweise – unsichtbarer sein und eben aus dieser Unsichtbarkeit seine spezifische Dignität und Unheimlichkeit speisen. Auch hier war die rein historisch gegebene Form des Kults des Bundesgottes der Anlaß für jene Spiritualisierung des Gottes, die durch eben jene Qualitäten nicht nur ermöglicht, sondern sehr nahegelegt wurde. Die Lade ist in der Tradition an Silo und das alte elidische Priestergeschlecht dort gebunden, also nordisraelitisch. Ebenso ist sie sehr intim mit der Qualität Jahwes als Kriegsgottes und Herren der Heerscharen (Zebaoth) verknüpft. Indessen weiß das Deboralied und die Kriegsgeschichte vor der Philisterzeit nichts von ihr und auch damals ist ihr Auftreten ephemer, so daß Zeit, Anlaß und Umfang ihrer ursprünglichen Anerkennung als jahwistischen Kultparaments und Kriegswahrzeichen unsicher bleiben. Zur »Bundeslade«, also dem Behältnis der Gesetzestafeln, hat sie erst die deuteronomistische Theologie gemacht, welcher die an die Lade anknüpfende, den Gott in ihr oder auf ihr lokalisierende Gottesauffassung nicht mehr zusagte. Jedenfalls war die leere Lade und ihre Bedeutung ein Symptom und wohl auch ein Anlaß jener relativen Spiritualisierung dieser anthropomorphen Gottesvorstellung, wie sie durch die Tatsache der Bildlosigkeit des Kults unmittelbar bedingt wurde. Der Sitz des Bundesgottes auf dem Waldgebirge Seir war selbstverständlich ganz ohne Bilder und Tempel, von denen keine Spur bekannt ist. – Die Hiskia-Annalistik ergibt, daß ein Schlangenstab, die sogenannte eherne »Schlange«,[170] zu den – im Gegensatz zu den salomonischen Prachtgeräten – auf Mose zurückgeführten und, weil unverstanden und ätiologisch legendär gedeutet, offenbar wirklich alten Paramenten des späteren jerusalemitischen Kults gehört hat. Mose wird in der Tradition auch als therapeutischer Wundertäter behandelt, insbesondere als Retter aus einer Pestnot. Das würde dazu gut stimmen, daß zu Jahwes spezifischen Kampfmitteln gegen seine Feinde auch die Seuchen gehörten. Nach einer angesichts der ätiologischen Sage naheliegenden, aber natürlich nicht erweislichen Annahme wäre der Schlangenstab172 ein Emblem solcher Jahwepriester gewesen, die Medizinmänner waren und später verschwunden sind. – Damit sind aber die eigentlich alten jahwistischen Paramente erschöpft.

Als nun mit der intimen Vermengung Jahwes und Baals der Bilderdienst des Kulturlandes in den nordisraelitischen Jahwekult eindrang, wurde Jahwe namentlich als Stier, also wohl als der Fruchtbarkeitsgott der Ackerbauer, dargestellt. König Jerobeam der einen Jahwenamen trägt und einen Jahwepropheten auf seiner Seite hatte, wurde es zum Verdienst angerechnet173, daß er, zum Zweck der Emanzipation von Jerusalem, an einigen nordisraelitischen Kultorten Jahwes vergoldete Stierbilder aufrichtete, eines davon in Dan, einer als besonders korrekt geltenden, von einem angeblich von Mose abstammenden Priestergeschlecht geleiteten Kultstätte. Von den nordisraelitischen Propheten unter den Omriden, Elia und Elisa: rücksichtslosen Gegnern der unter phönizischem Einfluß sich stark entwickelnden Baalkulte, ist nicht die geringste Einwendung gegen den offenkundig bestehenden Gebrauch solcher Jahwebilder berichtet. Aber allerdings kann es kaum zweifelhaft sein, daß von dem damals eröffneten Kampf gegen die durch auswärtige Prinzessinnen und Bündnisse importierten fremden Kulte, die sämtlich Idolkulte waren, der Kampf gegen die Idole als solche auch innerhalb des Jahwismus seinen Ausgang nahm. Er konnte anknüpfen an jene im Lande bestehenden Kultstätten, an welchen Jahwe ebenso wie zweifellos an den alten außerisraelitischen Kultorten der Wüste, bildlos verehrt wurde. Die Priester[171] dieser Kultstätten mußten geneigt sein, allein diese Form als korrekt anzusehen und konnten die mit steigender äußerer Bedrängnis steigende Sorge um die Korrektheit des Jahwekultes in der Form, wie sie in der Zeit der alten Siege Israels gewesen war, für sich mobil machen. Wo die Lade Jahwes das allerheiligste Kultobjekt bildete, und das war bis auf David in Silo, kann von jeher nur bildloser Dienst bestanden haben. Daß in Jerusalem seit der Ueberführung der Lade dorthin der Dienst zunächst ganz bildlos war, ist ebenfalls kein Grund zu bezweifeln. Die Tradition läßt aber erkennen, daß die heilige Lade vor der Gründung des Kultstätte in Jerusalem durch David längere Zeit halb vergessen in einem Privathaus gestanden hatte, nachdem die Philister sie in der Schlacht genommen und vermutlich Silo zerstört hatten. Es hatte daher wahrscheinlich einen ersten entscheidenden Wendepunkt zugunsten der Machtstellung des bildlosen Jahwekults bedeutet, als David durch Ueberführung gerade dieses Wahrzeichens der bildlosen Verehrung des Bundeskriegsgotts diese zur Kultform der Königsresidenz machte. Ihm hatte vermutlich der Bund mit den elidischen, aus Silo vertriebenen, Priestern von Antang an die Stütze gegen den zwar jahwistischen, aber nordisraelitisch, an der kombinierten Jahwe-Baal-Verehrung, orientierten Saul gegeben. Dafür richtete dieser unter jenen Priestern ein berüchtigtes Blutbad an, welches ihm die Tradition mit einem noch in der heute vorliegenden Fassung nachwirkenden Haß vergolten hat. Der Süden wurde nun das Zentrum des Glaubens an die alleinige Korrektheit der bildlosen Verehrung. Der salomonische Tempel bedeutete zwar schon an sich einen Rückschlag gegenüber diesem puritanischen Kult. Nicht nur trug er, wie es scheint, einen Weihespruch, der auf Sonnenverehrung, wie sie bei vielen Dynastien über die Erde hin als Königskult verbreitet war, schließen läßt: – später wird auch ein Sonnenwagen mit Rossen erwähnt –, sondern er verstieß auch offensichtlich gegen die alte Vorschrift, Jahwe auf einem einfachen Erdaltar ohne behauene Steine zu verehren. Der späteren Forderung absoluter Meidung ikonenartiger Paramente hat er zweifellos in vielen Einzelheiten nicht entsprochen. Der Sturz des Eliden priesters Abjathar hängt wohl mit jenen Neuerungen des an Aegypten und Phönizien orientierten Fronkönigtums zusammen. Aber damals standen offenbar nicht sie im Mittelpunkt des Interesses. Der eigentliche Kampf dagegen begann[172] erst weit später. Als längst die allerverschiedensten Paramente als Anklänge an auswärtige Kulte verdächtig geworden waren, ist doch eine prinzipielle Opposition gegen alle Bilder noch nicht bemerkbar. Sie begann in der Zeit des Hosea und erreichte ihren ersten Erfolg in der Zeit des Hiskia. Damals schon machte sie nicht einmal vor dem auf Mose zurückgeführten alten Parament des Schlangenstabes Halt, welches von diesem König zertrümmert wurde. Es wirkte die zunehmende politische Sorge um die Abwendung aller denkbaren Gründe des Zornes des alten einst bildlos verehrten Kriegsgottes der Ueberlieferung zusammen mit dem inzwischen sublimierten Gottesbegriff der Intellektuellen-Kreise, denen gerade die Unsichtbarkeit und Bildlosigkeit des Gottes für ihre Konzeptionen wertvoll war und die nun das Menschenwerk der Handwerker in den fremden Idolkulten mit seiner majestätischen Uebermenschlichkeit kontrastierten und verspotteten. Der Baalkult wurde nun als Quelle des Eindringens dieses Greuels in den Jahwekult verfolgt. Aber die zunehmende Schärfe dieses Kampfs gegen den Baalkult hing außerdem allerdings zusammen mit sehr tiefgehenden inneren Eigentümlichkeiten der Gottesverehrung, welche mit dem altkanaanäischen Baalkult untrennbar verknüpft, der genuinen jahwistischen Religiosität aber schlechthin gegensätzlich war. Wir müssen zum Verständnis dessen etwas weiter ausholen und uns zunächst mit den Trägern des Kultbetriebs: den Priestern, befassen.

Es ist mit hinlänglicher Sicherheit bezeugt, daß die israelitische Frühzeit keinen von Bundes wegen allgemein anerkannten Priesterstand174 hatte, vor allem keinen, der ein Monopol des Opfers im Namen des Bundes als solchen für den Bundesgott gehabt hätte. Der Beziehung des israelitischen Bundes zu Jahwe mußte ja die spätere Bedeutung des Opfers notwendig fehlen. Denn vor dem Königtum gab es wie schon gesagt gar keine Bundesinstanz, welche zur regelmäßigen Darbringung von Opfern in Friedenszeiten kompetent gewesen wäre. Nur im Kriege war eine Einheit des Bundes vorhanden, und dann war nach der Tradition die teilweise oder auch vollständige Tabulierung der Beute das spezifische rituelle Mittel, dem Gott[173] das Seinige zu geben. Diese Maßregel interessierte den Gott ja auch weit stärker am Siege Israels als ein vorheriges Opfer. Natürlich wurden Jahwe wie allen Göttern wohl von jeher Opfergaben dargebracht, um sein Wohlwollen zu gewinnen. In Kriegszeiten auch von Bundes wegen, in Friedenszeiten aber von den einzelnen je nach Anlaß. Nach der Theorie der Tradition war jede Mahlzeit, jedenfalls jede Fleischmahlzeit, in dem allerdings sehr weiten Sinne ein »Opfermahl«, daß der Gott daran durch Spenden seinen Anteil zu erhalten hatte. Vor der Schlacht, und sonst nach Bedarf an den alten Kultstätten, opferten ihm die Fürsten und ebenso gegebenenfalls die Sippenhäupter. Nur die Blutbesprengung des Altars scheint eine zuverlässige Tradition dem Mose, also: Berufspriestern, vorzubehalten. Aber ob diese Kultform außerhalb Silos verbreitet und wie alt sie war, steht nicht fest. Die spätere priesterliche Theorie stellt freilich schon Sauls Opfer ohne Zuziehung Samuels (den sie dabei zum Priester stempelt) paradigmatisch als einen ihm zum Verderben gereichenden Eingriff in die Priesterbefugnisse hin. Dem geltenden Recht entsprach dies aber noch viel später keineswegs. David trägt im Samuelbuch Priestertracht und spricht den Segen. Unter König Ussia spielt sich in der priesterlich bearbeiteten Königstradition der gleiche Konflikt wie angeblich zwischen Saul und Samuel ab175. Als sicher ist freilich anzunehmen, daß Fürsten und große Grundherren sich rituell geschulte Priester hielten. Aber sie wählten diese ursprünglich gänzlich frei. In der älteren, später vom Chronisten ausgemerzten Tradition macht David zwei seiner Söhne zu Priestern176. Das Entsprechende tut im Richterbuch ein großer Grundbesitzer im Norden, Micha, nach einer Tradition, von der in anderem Zusammenhang bald zu reden sein wird. Die Heiligtümer, welche in dieser Art von Fürsten und Privaten ausgestattet waren, galten als ihr Privatbesitz. Sie hatten darin das Hausrecht: so die nordisraelitischen Könige in Jerobeams Stiftung in Bethel (Amos 7, 13); was sie befehlen, führt der von ihnen angestellte Priester, ihr Beamter, aus, und zwar nach der Tradition, z.B. in Jerusalem auch Altarbauten nach fremdem Muster (2. Kön. 16, 10). Eine Gesamtorganisation[174] der Opferpriesterschaft fehlte schon infolge der Konkurrenz der Opferstätten, bei welcher im Nordreich begreiflicherweise die privaten »Eigenkirchen« gegenüber den königlichen Stiftungen nicht in dem Maß im Nachteil waren wie in dem zentralisierten jüdischen Stadtstaat. Der Oberpriester führte den Namen: »der Priester« (hakohen); spät erst findet sich in Jerusalem (2. Kön. 25, 18) der Titel Hauptpriester (kohen ha rosch); das Vorkommen des nachexilischen Titels »Hoherpriester« (kohen ha gedol) ist unsicher (2. Kön. 22, 4. 8 und 23, 4 ist als Glosse verdächtig, vgl. 2. Kön. 11, 9 f., wo für den gleichen Oberpriester Jojada177 der Titel hakohen steht). In jedem Fall aber werden die Kultpriester der Königstempel als königliche Beamte aufgezählt (2. Sam. 8, 16 f., 20, 23 f.), begleiten den König ins Feld und haben mit der einen Ausnahme des Jojada unter Athalja in vordeuteronomischer Zeit keine irgendwie bemerkenswerte selbständige politische Rolle gespielt. Am allerwenigsten galten sie als Häupter einer religiösen »Gemeinde«. Eine solche gab es nicht. Der Heerbann war in alter Zeit die Gemeinde, auch in religiösen Dingen, später die Landsgemeinde der Vollisraeliten. Das über Jeremia urteilende Gericht besteht aus den königlichen Sarim und den Sekenim, deren Rolle bei der Urteilsfällung fraglich bleibt. Die 'am (Mannen) bilden den »Umstand« dieser Gerichtsgemeinde (kahal), die Priester sind die Anklänger, sitzen aber nicht im Gericht. Der König (Josia), nicht der Oberpriester (Hilkia) beruft die Gemeinde zusammen, auch wo es sich um eine religiöse berith handelt. Wie es mit dem alten Priesterkönigtum in Jerusalem stand, von welchem die zweifelhafte Tradition Gen. 14 wissen will und in wessen Interesse diese Ueberlieferung repristiniert wurde, bleibe dahingestellt. Jedenfalls war der alten Tradition der Fürst auch zum Opfern für seinen Verband legitimiert und rituell qualifiziert. Ebenso sicher gab es nun aber von jeher alte von weither aufgesuchte Kultstätten, an welchen ganz ausschließlich die dortigen erbcharismatisch qualifizierten Priestergeschlechter nach alten Regeln sowohl für Fürsten wie für Private besonders feierliche Zeremonien leiteten. So vor allem das Geschlecht der Eliden an der den Propheten (Jeremia) als besonders alt und rein jahwistisch geltenden Kultstätte in Silo. Ueber die dortige sicherlich alte Opferpraxis scheint die[175] Tradition zu ergeben: daß die Kunden im Zusammenhang mit individuellen Gebeten um Erfüllung bestimmter Wünsche Fleischopfer darbrachten, daß davon der Priester seinen Anteil nahm, daß aber außerdem auch Opfermahle mit Trunkenheit der Teilnehmer nichts Seltenes waren. Die Bedeutung der Opfermahle hat uns später zu beschäftigen und der sehr komplizierten Geschichte des altisraelitischen Opfers überhaupt soll nicht nachgegangen werden178. Hier halten wir uns zunächst an die Opfergaben und sehen, daß diese in Israel wie überall zunächst als geeignete Mittel galten, der bittenden Anrufung des Gottes Nachdruck zu verleihen. Die ältesten Kultordnungen, wie sie die kultischen Anhänge des Bundesbuchs erhalten haben, schrieben nur allgemein vor: daß der Israelit dreimal jährlich vor Jahwe erscheinen solle und zwar »nicht mit leeren Händen«. Andere sicher alte Bestimmungen gibt es nicht, und wie weit die praktische Bedeutung dieses Gebots reichte, ist nicht feststellbar.

Die Bedeutung des Gabe-Opfers verschob sich zunächst quantitativ mit zunehmendem Prestige des Bundes-Kriegsgotts, wie sie die Expansion mit sich brachte, und vor allem mit Errichtung des Königtums. Die Davididen und im Norden Jerobeam richteten königliche Kultstätten mit regelmäßigen Opfern ein.

Weit wichtiger aber wurde die Verschiebung des Sinnes des Gabe-Opfers, welche mit zunehmender Verdüsterung der politischen Lage des Landes im weiteren Verlauf der Königsherrschaft eintrat. Denn die Frage mußte nun entstehen: woher denn diese ungünstige Entwicklung der politischen und militärischen Lage Israels komme? Die Antwort konnte nur lauten: der Zorn Gottes lastet auf dem Volke. Der israelitische »Sünde«-begriff knüpft, wie die alten mesit von chatah »verfehlen« abgeleiteten Worte zeigen, an rein objektive Tatbestände an. Ein Verstoß, offenbar zunächst und vor allem ein ritueller Verstoß, erregt den Zorn des Gottes. Furcht vor rituellen Fehlern und ihren Folgen war daher hier wie überall das älteste Motiv, Sühne zu suchen. Aber: Jahwe war auch Vertragspartner der berith mit Israel, und das alte auf Kameradschaftlichkeit und brüderlicher Nothilfe aufgebaute Sozialrecht galt daher als ihm gegenüber verpflichtend. Der Sündenbegriff mußte sich daher früh auch auf inhaltlich »ethische«, zunächst: die sozialethischen[176] Gebote erstrecken. Vor allem die jahwistische Kritik an den durch die Stadtsässigkeit bedingten sozialen Verschiebungen und an der Haltung des Königtums hat den Begriff der »Sünde« hier, wie unter ähnlichen Verhältnissen auch anderwärts, z.B. in der sumerischen Inschrift Urukaginas, über das rituelle Gebiet hinaus auf das sozialethische erweitert. Der gewaltige Kriegsgott knüpfte – das schien offenbar – seine Gnade an die Befolgung seiner durch berith feierlich angenommenen Gebote, neben den rituellen Vorschriften179 besonders an die Innehaltung des von ihm garantierten alten Bundesrechts. Bei Mißerfolgen und politischer Bedrängnis wurde naturgemäß die Feststellung: welcher sozial relevante Frevel wohl den Zorn des Gottes erregt haben und wie man ihn beschwichtigen könne, eine immer allgemeiner erörterte Frage. Schwere Bedrängnis wurde aber seit dem 9. Jahrhundert die chronische Lage der beiden Königreiche. Mit alledem trat die Bedeutung des Opfers als eines Mittels, Schuld zu sühnen, wie die Quellen deutlich erkennen lassen, immer mehr in den Vordergrund bis zu schließlich überragender Wichtigkeit. Von den vermutlich sehr mannigfaltigen Arten der Sühnopfer der einzelnen Kultstätten sind zwei, chattat und ascham, wohl durch rein zufällige Umstände später allein kanonisch geworden180. Damit aber steigerte sich die Notwendigkeit, ritual- und rechtskundige Jahwepriester zur Erforschung des Willens des Gottes und der zu sühnenden Verfehlungen angehen zu können. Die mit steigender Rationalisierung des Lebens überall, auch in Mesopotamien, sich steigernde Nachfrage nach Mitteln der Sündenfeststellung und Sündenabbüßung[177] gewann unter dem Druck des politischen Schicksals Israels dort besondere Wucht. Mit der wachsenden Bedeutung des Sühnopfers und der Belehrung über Jahwes Willen wuchs also die Nachfrage nach Trägern des Wissens von Jahwe und seinen Geboten. Denn es war ja nicht in erster Linie die Darbringung des Opfers selbst, so wichtig dessen Korrektheit sein mochte, sondern vor allem die Erforschung des göttlichen Willens und der vorgekommenen Verstöße dagegen dasjenige, was man begehren mußte. Sowohl die politischen und lokalen Verbände wie die Einzelnen als solche kamen in diese Lage. Angelegenheiten des politischen Verbandes als solchen waren vor allem die Beeinflussung des Kriegsglücks und die Erzeugung von reichlichem Regen. Beides steht bei den Verheißungen Jahwes für Gehorsam und rechtes Verhalten nebeneinander. Dazu trat für den einzelnen die Nothilfe in persönlicher Bedrängnis aller Art. Mose ebenso wie noch Elia tun in der Tradition sowohl politische, vor allem Kriegs-, Regen- und Speisewunder, wie private Heilungswunder, erforschen den Willen Gottes und die Verstöße dagegen. Dies letztere war und wurde immer mehr die eigentliche Leistung der beruflichen Träger des Jahwismus.

Die Quellen zeigen nun, daß für die Erforschung des göttlichen Willens zunächst fast alle Arten von Mitteln, welche die Kulturwelt ringsum kannte, auch in Palästina vorkamen. Aber nicht alle galten der israelitischen Tradition als gleich legitim. Die vom Standpunkt der strengen Jahwereligion später (Num. 12, 6) als korrekt geltenden Formen waren nur drei: 1. Verkündigung durch Jahwe an einen in seiner Vollmacht redenden wahren Seher und Propheten: woran man einen »wahren« vom »falschen« Propheten unterschied, bleibt für später zu erörtern; 2. für gewisse Fälle: das Losorakel der berufsmäßigen Orakelpriester mit Hilfe der Orakeltafeln (urim und thummim) und vielleicht ursprünglich auch des Pfeilorakels; 3. endlich auch, aber mit zunehmenden Vorbehalten dagegen, die Traumvision. Alle anderen Formen von Erforschung sei es der Zukunft, sei es prozeßwichtiger oder sonst erheblicher Tatsachen oder endlich und namentlich der Willensmeinung des Gottes galten einer zunehmend siegreichen Anschauung als fluchenswerte, unter Umständen todeswürdige Magie oder einfach als Schwindel. Nur für einige wenige Fälle, insbesondere für Erprobung der ehelichen Treue einer Frau, hielt sich das Ordal bis in die deuteronomische Zeit.[178] Das Losorakel, dessen alte Heiligkeit ganz ebenso wie Jahwes Bildlosigkeit durchaus auf seiner der Kulturlosigkeit der Steppe entsprechenden Einfachheit beruhte, hat bis in die späte vorexilische Zeit bestanden, aber gegenüber der Befragung von Sehern, Propheten und anderen Wissenden in abnehmender Bedeutung. Die Exilstradition läßt es durch den Verlust der Lostafeln untergegangen sein. Ebenso haben, trotz der Verpönung, die Totenorakel und alle andere Formen der Divination natürlich fortbestanden. Aber ganz ersichtlich mit abnehmender Bedeutung. An sich war ja die Zunahme der Befragung von Sehern, Propheten und Ritualkundigen auf Kosten sowohl der Losform wie anderer irrationaler Entscheidungsformen eine ganz naturgemäße Folge der zunehmenden Kompliziertheit der zu stellenden Fragen, welche immer weniger mit einem einfachen »Ja« oder »Nein« oder durch einfaches Los beantwortet werden konnten. Aber dazu trat für den genuinen Jahwismus der andre, in der Besonderheit der Beziehung zu Jahwe liegende Grund: wenn Jahwe zürnte und der Nation oder dem einzelnen nicht half, so mußte daran eine Verletzung der berith mit ihm die Schuld tragen. Hier mußte also die Fragestellung sowohl der amtlichen Instanzen wie der einzelnen einsetzen: welches seiner Gebote war übertreten worden? Darauf konnten irrationale Divinationsmittel keine Antwort geben, sondern nur die Kenntnis der Gebote selbst und die Gewissenserforschung. So drängte der in den genuin jahwistischen Kreisen lebendige Gedanke der »berith« alle Erforschung göttlichen Willens in die Bahn einer mindestens relativ rationalen Fragestellung und rationaler Mittel ihrer Beantwortung. Mit großer Schärfe wendete sich daher die unter dem Einfluß der Intellek tuellenschichten stehende priesterliche Paränese gegen die Wahrsager, Vogelschauer, Tagewähler, Zeichendeuter, Totenbeschwörer als gegen charakteristische heidnische Arten der Gottesbefragung181. Die Schriftpropheten und die ihnen nahestehenden streng jahwistischen Kreise haben dann, wie wir sehen werden, auch die Verläßlichkeit der Traumwahrsagerei angegriffen, was teils mit der spezifischen Berufsqualifikation dieser Propheten, teils mit ihrer Auffassung von Jahwes Eigenart und Absichten zusammenhing. Der vor ihrer Zeit geführte Kampf gegen die[179] irrationalen Formen der Divination und Magie hatte natürlich neben den angegebenen rationalen auch einfach zufällige historische Gründe in dem Ausgang des Konkurrenzkampfs der verschiedenen Priester- und Wahrsagerkategorien gegeneinander und in demjenigen technischen Zustand, in welchem sich die Orakelkunst bei den Trägern der siegreichen Form damals befand. Ueberall, in China, Indien und in den alten sumerischen Stadtstaaten, finden wir ja den »Zauberer« als den verketzerten und illegitimen Konkurrenten der aus oft sehr zufälligen Konstellationen heraus rezipierten legitimen Priesterschaft und diese Verpönung betrifft dann auch seine Praktiken. Das Losorakel war an sich gewiß nicht rationaler als die babylonische Leberschau: nur freilich gab es keinen Anknüpfungspunkt für kosmische Spekulationen wie diese. Daß gerade die erwähnten Arten der Willenserforschung rezipiert wurden, war freilich auch insofern nicht nur zufällig, als sie bedingt war durch Ausscheidung aller mit chthonischen Kulten und der ihnen eigenen Art der Ekstatik zusammenhängenden Praktiken182. Wir werden diese Seite des Gegensatzes bald kennenlernen.

Wer war nun Träger der Befragung Jahwes?

Von der etwas schwankenden Rolle der alten »Seher« war bereits die Rede. Sie sind später ganz verschwunden. Aber da der alte Jahwismus des Kriegsbundes zwar die Kriegsekstatiker und emotionalen Kriegspropheten und ebenso die Befragung der apathisch-ekstatischen Seher gekannt hatte, nicht aber einen amtlichen Bundeskult, so ist es – und das war wichtig – den Priestern nicht möglich gewesen, nun den Anspruch darauf zu erheben, ihrerseits das Monopol der Orakelkunst in Händen zu haben. Sie haben von Anfang an, zweifellos ungern genug, zugestehen müssen, daß die Prophetengabe auch außerhalb ihres Kreises möglich und verbreitet sei. Die Spannung blieb trotzdem bestehen, zum mindesten für alle diejenigen Propheten, welche nicht, wie die Priester der großen Residenzen selbst, im Königsdienst standen. Daß der Kult königlicher Kult war, diskreditierte das »Opfer« als solches in den Augen der zum Königtum skeptisch stehenden Kreise. Die Priester mußten sich damit begnügen, alle diejenigen Praktiken auszurotten, welche Gegenstand[180] eines eigentlich zunftmäßigen und kultartigen Betriebes waren und dadurch mit ihnen in unmittelbare Konkurrenz traten. Den regelmäßigen Betrieb des Jahwekults und aller mit ihm zusammenhängenden Praktiken suchten sie für sich zu monopolisieren. Wer aber waren sie selbst?

Wie die Priester an den Kultstätten der alten Zeit eigentlich geartet waren, ist nicht sicher zu ermitteln. Das alte Priestergeschlecht der Eliden von Silo wurde durch David nach Jerusalem verpflanzt, durch Salomo degradiert. Ein Mann, den erst die spätere Tradition mit einem von ihrem Standpunkt aus korrekten Stammbaum versehen hat, der aber in der alten Ueberlieferung nicht einmal ein israelitisches Patronymikon trägt: Zadok, wurde leitender Priester in Jerusalem. Das Königtum schaltete sowohl über die Besetzung dieser Priesterstellen wie über die ökonomische Versorgung der Priester offenbar nach Ermessen, nahm auch zunächst noch das Recht eigenen Opferns in Anspruch. Noch unter Joas hat der König eine Neuordnung der Pfründenversorgung der Jerusalemiter Priester unter Staatskontrolle vorgenommen. Dies alles änderte sich formell erst mit der deuteronomischen Reform in den letzten Zeiten des Reiches Juda. Die Priesterschaft von Jerusalem fühlte sich damals stark genug, die Zehentrechte und sonstigen Abgabe ansprüche des Gottes, welche das Vorrecht einiger Kultstätten, vielleicht – nach der Malkisedek-Tradition zu schließen – gerade Jerusalems, auf beschränktem Gebiet gewesen sein mochten, als universell für den ganzen Umkreis Israels, damals also: des judäischen Reiches, gültig hinzustellen und, wie wir sehen werden, gleichzeitig eine ungeheure Steigerung ihres eigenen Kultmonopols in Anspruch zu nehmen. Eine gewaltige Zunahme des Prestiges der Priesterschaft mußte dem vorangegangen sein. Diejenige Jahwepriesterschaft nun, welche dem deuteronomischen Gesetzbuch als von jeher allein legitim gilt, wird in diesem Kompendium als die »levitischen Priester« bezeichnet.

Der Name »Levi« hat keine hebräische Etymologie183. Es ist möglich, daß Leviten auch außerhalb Israels im Dienste[181] des minäischen Stammesgottes Wadd tätig waren184. Wie alt die Verbreitung dieser gelernten Priester eigentlich ist, steht nicht fest185. Sicher scheint nur, daß sie ursprünglich in Nordisrael wenig heimisch waren, sich dorthin durch Einzeleinwanderung verbreitet hatten und jedenfalls von Jerobeams Dynastie, vermutlich aber noch später, mindestens nicht als einzig legitime Jahwepriesterschaft anerkannt waren. Schlechthin alle Anzeichen weisen auf einen südlichen Ursprung, in der Steppe am Wüstenrand, in der Oase von Kades und in Seir. Einer ziem lich alten Tradition sind die Leviten zuerst die ganz persönliche Gefolgschaft des Mose186, die er gegen widerspenstige und ungehorsame Gegner aufruft und welche in einem Blutbad unter den eigenen Nächstversippten seine Autorität sichert. Diese Tradition, ebenso aber auch der Mosessegen ergeben nach Eduard Meyers einleuchtender Interpretation, daß jedenfalls dieser Zweig der Ueberlieferung sie nicht als Erbkaste kannte: im Gegenteil mußte man nach dem Mosessegen Vater und Bruder verleugnen, um Levit zu sein. Sie waren für diese Auffassung also ein gelernter Berufsstand. Daß sie später gentilizisch gegliedert und als erbcharismatisch qualifizierter Stamm auftreten, würde nichts dagegen beweisen: diese Entwicklung findet man außerhalb wie innerhalb Israels immer wieder. Indessen andere Teile der Tradition kennen einen nicht priesterlichen wehrhaften »Stamm Levi«187 als politischen Genossen der Stämme Israels, insbesondere der Stämme Simeon und Juda, und der Jakobsegen weiß nichts davon, daß gerade er ein Priesterstand sei oder daß es überhaupt levitische Priester gebe. Vielmehr erzählen die Quellen von seinen militärischen Gewalttaten gemeinsam mit Simeon, und der Jakobsegen weissagt Levi die Zerstreuung wegen eines Frevels. Männer haben sie getötet und »den Stier verstümmelt«. Sie sollen »in Jakob« und »in Israel« zerstreut werden, wie Simeon. Mose gehörte der späteren Priestertradition[182] zum Stamme Levi als Mitglied. Vielleicht galt er der älteren, später tendenziös ausgemerzten, Tradition als Stammvater oder wenigstens als Archeget derjenigen Sippen des Stammes Levi, welche Leviten im rituellen Sinne waren oder wurden. Denn unbedingt muß es zur Zeit des Jakobsegen Glieder eines Stammes Levi gegeben haben, welche nicht »Leviten« im späteren Sinne waren. Es steht nun zur Wahl, entweder anzunehmen: daß die Glieder eines durch politische Katastrophen oder ökonomische Wandlungen zerstreuten Stammes Levi sich ganz oder teilweise der Pflege des Jahweopfers und Jahweorakels zugewendet und Jahwepriester geworden seien188. Oder: daß umgekehrt einmal aus dem zuerst auf persönlicher Einschulung ruhenden, dann erbcharismatischen Berufsstand der im Süden, interethnisch, verbreiteten »Leviten« Laiensippen, solche also, bei denen die rituelle Schulung und Tradition erloschen war, als ein »Stamm« angesehen wurden oder wirklich als ein solcher sich konstituiert und mit Simeon verbunden haben, später aber ebenso wie dieser Stamm zerfallen seien. Bei den Brahmanen in Indien finden wir ja wie bei den Leviten den Kampf der personalcharismatischen und berufsständischen mit der erbcharismatischen und geburtsständischen Qualifikation. Auch bei ihnen war und ist bei weitem nicht jeder geburtsständische Brahmane rituell zu den Privilegien der Brahmanen: Opfer, Vedalehre, Pfründen, qualifiziert. Sondern nur der, welcher das rituell vorgeschriebene Leben geführt und nach richtiger Lehre die Weihe empfangen hat. Auch in Indien gibt es ganze Dörfer, die nur von damit belehnten Brahmanen, die zum Teil die Vedaschulung ganz oder fast ganz aufgegeben haben, bewohnt sind. Die Möglichkeit besteht also, daß es auch bei den Leviten ähnliches gegeben hat. Die Art, wie im Deuteronomium die Ausdrücke »Leviten« und »Priester« kombiniert werden könnte den Gedanken nahelegen, daß es auch damals nicht geschulte und nicht rituell reine, also zum Praktizieren nicht qualifizierte Levitenabkömmlinge gegeben hat, die nicht »Priester« waren (bzw. sein konnten). Es ist diese Annahme sogar praktisch fast nicht abzuweisen. Denkbar wäre dann, daß das Zerstreutleben dieser auch damals zu keinem von den anderen[183] Stämmen zu zählenden »Laien-Leviten« der Tradition den Anlaß dazu gab, sie mit Simeon gemeinsam in den Sichem-Frevel zu verstricken.

In deuteronomischer Zeit waren die levitischen Priester erbcharismatisch in Sippen gegliedert und ständisch abgesondert, beanspruchten das Monopol bestimmter Orakelformen, der Priesterlehre und der Priesterstellen. Dies mit Erfolg wenigstens im Süden. Im Norden findet sich die Erwähnung levitischer Priester nur zweimal im Richterbuch (Kap. 17 f. für Dan und Ephraim); zur Zeit der Redaktion dieser Partie unsicheren Alters scheinen die Leviten noch ein Berufsstand, kein Geburtstand gewesen zu sein. Als solcher erscheinen sie dagegen in den von der priesterlichen Tradition beeinflußten Darstellungen der Wüsten- und Eroberungsgeschichte und im Deuteronomium. Diese Tradition behandelt die Leviten schlechthin als die geschulten erblichen Jahwepriester. Dabei haben die einzelnen Leviten privaten Besitz, auch Haus- und Grundbesitz aller Art. Zugewiesen ist ihnen das Monopol der Vollziehung des Opfers, soweit ein Priester mitwirkt, ferner das ausschließliche Recht des Losorakels und der Lehre und die für alles dieses zu leistenden Abgaben und Kasualien, in der Theorie der jetzigen Redaktion des Deuteronomiums ferner: das Zehntrecht von allem Ertrag des Bodens.

Der älteren Tradition sind die Leviten rechtlich gerim189. Ja sie sind geradezu der vollendetste Typus des »Gaststammes« innerhalb der israelitischen Gemeinschaft. Sie haben diese Stellung in der jetzigen Redaktion am reinsten bewahrt. Wir finden in der Erzählung vom Frevel von Gibea einen Leviten als Metöken der Ephraimiten. Zweifellos lebte er von Kasualien. Die Leviten standen außerhalb des Verbandes der Kriegshufenbesitzer. Sie entbehrten der Wehrpflicht (Num. 1, 49; 2, 33) und ihr Dienst galt, wie die Bezeichnung: 'ebed zeigt, als Metökenleiturgie gegenüber der politischen Gemeinde. Ihre Rechtsstellung wurde zunehmend fest geregelt und ihre innere Gliederung nach Vaterhäusern (Ex. 6, 25; Num. 3, 14 f.) entspricht sowohl der Art, wie ein indischer Gaststamm, wie derjenigen, wie die damaligen israelitischen Stämme gegliedert waren. Die Vorschrift eines Zweiges der Tradition (Num. 35, 2 f.) über die ihnen zuzuweisenden[184] Levitenstädte190 muß nicht notwendig fiktiv sein, sondern kann darauf beruhen, daß in manchen Städten ihr Unterhalt durch Zuweisung von Hausgrundstücken und Weideland neben Anteil an den Steuererträgen bestimmter Ortschaften gesichert war, wie sich ähnliches ja auch für Fürsten (Josua) findet und wie es auch manchen indischen Analogien entspricht. Nach einer anderen freilich noch fragwürdigeren Tradition (Lev. 25, 32 f.), welche von Feldgrundstücken der Leviten spricht, wären diese ganz unveräußerlich – wohl deshalb, weil leiturgisch belastet – und auch ihre Häuser nicht, wie bei andern Israeliten, frei für immer verkäuflich gewesen191. Man wird jedenfalls wohl örtlich recht verschiedene Arten ihrer Ausstattung annehmen dürfen192.

Die Analogie mit den Brahmanen geht in manchen Punkten noch weiter. Jene Lage der Leviten als Gaststamm mit festgeregelter Stellung war nicht die einzige und vermutlich nicht die ursprüngliche Form ihrer Beziehung zu Israel. Die Tradition berichtet, wie schon erwähnt, von Fürsten und Grundherren, daß sie entweder, wie dies bei Jerobeam mißbilligt wird (1. Kern. 12, 31), niedrig Geborene, teils aber ihre eigenen Söhne oder Verwandten als Priester an ihren Hauskapellen (»Eigenkirchen« im Stutzschen Sinn) anstellten. Das letztere erzählt eine alte danitische Tradition auch von dem Grundherren Micha in Nordisrael. Von diesem wird nun aber weiter berichtet, wie er sich später mit einem aus Juda zuziehenden Leviten in Beziehung setzt, diesen mit dem Dienst an seinem Heiligtum betraut und zu seinem »Vater« (dem indischen Guru entsprechend) macht, schließlich aber: wie die auf der Wanderung nach Norden begriffenen Daniten das Bild aus dem Heiligtum und den Leviten mitnehmen und ihm die erbliche Priesterschaft am Tempel der neugegründeten Stadt im Sidoniergebiet übertragen »bis auf diesen Tag«. Dies entspricht genau der Art der Ausbreitung der Brahmanen in Indien. Ebenso sind die späteren levitischen Hofkapläne die Parallele des brahmanischen Purohita. Man sieht hier deutlich, welche Motive zur Ausbreitung der Leviten führten: offenbar[185] ihre überlegene rituelle Schulung für den Opferdienst, vor allem aber für die »Seelsorge«, d.h. die Beratung über die Mittel, Jahwe günstig zu stimmen und seinen Zorn abzuwenden. Die Fürsten und Grundherren stellen sie an nicht nur um ihres persönlichen Bedarfs nach solcher Beratung willen, sondern zweifellos auch um ihres Prestiges als Herren der Kultstätten und um der Einkünfte willen, welche der Ruf eines von einem geschulten Priester versorgten Heiligtums seinem Besitzer abwarf: wir sahen ja, wie Gideon seinen Beuteanteil zur Errichtung einer Kapelle mit einem Bild verwendete. Daß Gemeinden als solche sie beriefen und ausstatteten, wird später – wie bei den Daniten – auch vorgekommen sein. Daneben stand ihre freie Erwerbstätigkeit. Auf diese Art hatten die Leviten im Wege allmählicher Ausbreitung ihr in deuteronomischer Zeit innerhalb des judäischen Gebietes im wesentlichen anerkanntes Monopol erlangt. Das Deuteronomium setzt voraus, daß in jedem Ort ein Levit sitzt und von den Opfern leben will. Ohne Widerstand ist diese Ausbreitung nicht erfolgt, wie der Fluch des Mosessegens gegen ihre »Hasser« (Deut. 33, 11) zeigt. Es gab, wie in der Tradition die Revolte der später als degradierte Leviten erscheinenden Korachiten in Verbindung mit Abkömmlingen Rubens gegen die Vormacht der Priesterschaft in der priesterlichen Redaktion beweist, eine machtvolle Schicht innerhalb Israels, welche sich erinnerte, daß von einer solchen klerikalen Vormacht, insbesondere von einem Opfer- und Orakelmonopol einer erblichen Kaste, ursprünglich nichts bekannt gewesen war. Jahwe hatte durch Propheten und Seher seinen Willen offenbart. Es scheint, daß gerade der alte Hegemon des Bundes, der Steppenstamm Ruben, auf diesem Standpunkt gestanden hat. Seine Zerstreuung wäre dann vielleicht dem Fehlen einer fest organisierten Priesterschicht mit zuzuschreiben, deren Existenz Judas Stärke bedingte. Die Schulung der levitischen Orakelgeber und wohl vor allem die zunehmend hinter ihnen stehende Macht des Königtums haben diese Anfechtungen zum Schweigen gebracht. Für die Zeit vor dem Untergange Nordisraels bleibt es trotzdem durchaus problematisch, welches Maß von Machtstellung die Leviten und ihre Orakel dort im Konkurrenzkampf eingenommen haben.

Rituell scheinen sich die Leviten von Anfang an, wie die Brahmanen, durch Innehaltung bestimmter Reinheitsvorschriften[186] von den »Laien« geschieden zu haben. Hier interessiert davon lediglich die besonders strenge Meidung der Berührung mit Toten und allem, was mit Gräberkult zu tun hat: offenbar war diese Priesterschaft die Hauptträgerin des Gegensatzes gegen den benachbarten ägyptischen Totenkult. Ueber die spezifischen Leistungen der Leviten in der Zeit ihrer universellen Anerkennung gibt der Mosessegen (Deut. 33, 8 f.) eindeutig Auskunft. Gar nicht erwähnt ist darin eine therapeutische Funktion der Leviten, obwohl Mose selbst therapeutische Magie zugeschrieben wird, wie wir sahen, und der Schlangenstab vielleicht ein Rest einstiger magischer Therapeutik war. Noch später ist den Priestern die Feststellung des Aussatzes zugewiesen. Aber im übrigen hören wir von Therapie der Leviten gar nichts und der Aussätzige gehörte später vor ihr Forum wesentlich als rituell unrein. (Wie es mit der ärztlichen Kunst in Altisrael stand, ist völlig unbekannt. Die Empfehlung des Arztes und der Apotheke durch den Sirachiden spiegelt Verhältnisse der hellenistischen Zeit wider.) Es ist also anzunehmen, daß eine eigentliche magische Therapie in historischer Zeit nicht mehr in ihren Händen lag. Der Kranke gehörte nur in ihre »Seelsorge«, von der später zu reden ist. Irrationale therapeutische Mittel scheinen sie nicht angewendet zu haben. Vorangestellt ist im Mosessegen (V. 8) die Erinnerung an das Losorakel des »Haderwassers« (der Prozeßorakelquelle) von Kadesch, dann kommt (V. 10) die Pflicht der Belehrung über mischpatim und thora, dann erst, zuletzt: Räucherwerk und Vollopfer. Mose hat (nach V. 8) dem Jahwe das Orakel im Ringen entwunden: gemeint ist dabei das Prozeßorakel. Das levitenfreundliche deuteronomische Gesetz ermahnt dazu, Prozeßsachen »vor Jahwe zu bringen«, und die Ueberlieferung läßt Mose, außer in besondern Fällen als Magier, den ganzen Tag durch Prozeßgeschäfte in Anspruch genommen sein, bis er sie auf Jethros Rat den Sarim der Königszeit überträgt, die als ihm untergeordnet vorgestellt werden. Aus Laien und Priestern gemischte Gerichte schlägt noch eine späte Tradition vor (Deut. 17, 8; 19, 17). Diese Angaben sind Spuren einer sich auch sonst findenden Spannung zwischen weltlicher und hierokratischer Rechtsfindung. In Babylon hatte die Generation vor Hammurapi die Priester zugunsten der Laien aus den Gerichten ausgeschaltet und auf die bloß technische Vollziehung von Orakeln in dem von Laienrichtern instruiertem Prozeß beschränkt. Der Kodex Hammurapi[187] erwähnt das für den Verdacht der Zauberei und des Ehebruchs der Frau. In Israel ist das Orakel in den Rechtssprüchen auf den zweiten dieser Fälle beschränkt. Laienrichter: die Aeltesten oder die königlichen Beamten, entschieden wenigstens in Nordisrael allein die Prozesse. Im Süden muß, wie schon früher angedeutet, nach der Bedeutung von Kadesch und der Prozeßorakeltätigkeit im Mosessegen, die Stellung der Priester im Prozeß allem Anschein nach weit bedeutender gewesen sein. Daß die Priester dort, wie gelegentlich angenommen wird, jemals wirklich als ordentliche Richter fungiert haben, ist, wie gesagt, nicht erweislich. Wohl aber als Schiedsrichter und Orakelstätte, an die sich Parteien und Richter mit Rückfragen wenden. Ihre stärkere Position im Süden ist an sich leicht erklärlich. Wie die politischen Verbände der halbnomadischen Stämme nur als religiöse Bünde stabil zu bleiben pflegten, so hatte bei ihnen auch – gegenüber der an persönliches Prestige gebundenen Macht des Schechs – nur das priesterliche Orakel eine wirklich überindividuell zwingende Gewalt. In den »mischpatim« des aus Nordisrael stammenden Bundesbuches, kenntlich an der abstrakten hypothetischen Formulierung des Tatbestandes mit »wenn« ..., haben wir, wie früher erwähnt, den Niederschlag einer alten durch babylonische Vorbilder beeinflußten Laienjurisprudenz. Nur gelegentlich kleiden sich rein profane Gebote in die Form der »debarim«: »du sollst« oder »du sollst nicht«. Nicht ausschließlich also, aber doch stark vorwiegend ist diese Form jedoch jenen Geboten und Verboten eigen, welche rituellen oder religiös-ethischen Charakters sind und zweifellos nicht auf profane Juristen, sondern entweder auf Orakel von Propheten oder auf priesterlich gelehrte Gebote zurückgehen. Wir werden über die Art der Entstehung dieser letzteren, also der nicht prophetischen, sondern priesterlichen Vorschriften, noch zu reden haben. Jedenfalls sind daran die Leviten, denen der Mosessegen die Pflicht des Unterrichts des Volkes sowohl in den Rechten (Mischpatim) als in den »Thoroth« zuspricht, beteiligt. Die an sich profanen Mischpatim (von schafat: »richten«) waren vom jahwistischen Standpunkt aus religiös erheblich, weil und soweit sie als Teile der berith mit Jahwe galten. Die Chukim, die (rituellen) Traditionen zu lehren wird den Leviten (10, 11) aufgetragen.

Der levitische Lehrer hatte jedenfalls im Prinzip nur mit dem zu tun, was rituell für die Lebensführung geboten[188] war. Aber die Scheidung von »jus« und »fas« ist hier noch weniger als bei anderen hierokratisch beeinflußten Sozialordnungen durchgeführt worden. In der praktischen Tätigkeit der Leviten hatte in der Zeit des Mosessegens das Losorakel gerade in Rechtsstreitigkeiten (wie der Name Meribath ergibt) in Tätigkeit zu treten. Und nachdem die Thora rationale religiöse Unterweisung geworden war, wurde der Unterschied erst recht flüssig. Denn darüber: was als Bestandteil der von Jahwe garantierten alten Bundesordnungen anzusehen sei, entschieden ja die Leviten nach der Thora. Ursprünglich aber heißt »Thora« nicht, wie gelegentlich noch immer übersetzt wird, »Gesetz«, sondern: »Lehre«. Freilich knüpft der Begriff ebenfalls an das alte Losorakel der Leviten an193. In den Quellen bezieht er sich jetzt in aller Regel auf die Gesamtheit der von Priestern zu lehrenden Bestimmungen. Im Mosessegen, wo Thora von Mischpat unterschieden ist, bedeutet sie aber offenbar speziell die rituellen und ethischen, vor allem aber auch: sozialethischen, jedenfalls: nicht die rechtlichen Gebote des Bundesgottes. Mag nun der im Mosessegen (erst hinter Vers 9 und getrennt von Vers 8) etwas nachklappende Vers (10) über die Thora nachträglich hinein gekommen sein, so lehrt er doch (im Zusammenhalt mit Vers 8 und der sonstigen Tradition) deutlich, auf welchen Leistungen die Ausbreitung und Macht der Leviten beruhte: auf der Beantwortung nicht prozessualer Anfragen ihrer »Kundschaft«. Orakelgeben war zwar von Anfang an die spezifische Form ihrer Leistung auch hier. Aber für den Privatbedarf hätten das rein mechanische Loswerfen auch rituell Ungeschulte erlernen können, und wir sehen in der Tat aus den Gideon- und Jonathan-Geschichten, daß Omina und Pfeilorakel zur Ermittlung des Willens Jahwes sowohl wie zur Tatsachenfeststellung auch von Nichtleviten benutzt wurden. Die rituelle Korrektheit des Verfahrens bei der Befragung Jahwes war das Entscheidende. Auf diese rituelle Korrektheit mußten vor allem amtliche Instanzen, richterliche und politische, bei Anfragen unbedingtes Gewicht legen, und für sie blieb daher das levitische Losorakel dauernd wichtig. Was aber die Privatkundschaft anlangt, so konnte ihren Bedürfnissen diese primitive Form, bei[189] aller offiziellen Anerkennung ihres Prestiges (noch in Esras Zeit, als sie längst nicht mehr bestand) unmöglich auf die Dauer genügen. Die sozialen Verhältnisse und dadurch die zu stellenden Fragen komplizierten sich. Wir sahen, wie in der aus der Zeit der Blüte der Kultstätte in Dan stammenden Tradition (Jud. 17) der Grundherr Micha den zuwandernden Leviten, angeblich einen Abkömmling des Moses, zu seinem »Vater« macht, d.h. ihm neben dem Bildkult vor allem die Spendung von Belehrung über seine, des Stifters, Pflichten gegen Jahwe überträgt (wie in Indien dem brahmanischen Beichtvater). Ebenso war schon von der stets zunehmenden Bedeutung der Chattat- und Ascham-Opfer neben den alten Gabeopfern (Bittopfern) die Rede. Diese steigende Bedeutung des Bedürfnisses nach Sündensühne ging mit der zugunsten der rationalen Beantwortung gestellter Fragen abnehmenden Bedeutung der mechanischen Losorakel zusammen. Eben an das Orakelgeben für Private schloß sich naturgemäß diese zunehmend rationale Belehrung an. Flüssig war die Beziehung zur Prophetie und zum Kultpriestertum. Zwar scheidet Jeremia klar zwischen der Thora, die Sache der Priester, und dem dabar Gottes, welches Sache der Prophetie sei. Aber die Bedeutung von »Thora« als »Orakel« (und also insofern gleichbedeutend mit »debar Jahwe«) findet sich bei Jesaja (1, 10 und 8, 16. 20), und einmal (8, 16) wird so eine den Jüngern versiegelt übergebene Orakelrolle des Propheten bezeichnet. »Thora-Lehrer« (Thosfê hattora: Leute, die »mit der Thora umgehen«) nennt auch Jeremia (2, 8) neben den Priestern, den Kohanim: wohl den Kultpriestern des Jerusalemitertempels.

Jedenfalls aber gewannen die Leviten ihr Prestige nicht durch Schulung zum Opferkult für die Gemeinschaft, sondern durch die Schulung im rein rationalen Wissen von Jahwes Geboten, den rituellen Mitteln, Verstöße dagegen – durch chakat, ascham, Fasten oder andere Mittel – wieder gutzumachen und dadurch bevorstehendes Unheil abzuwehren, schon eingetretenes rückgängig zu machen. Das interessierte zwar König und Gemeinschaft auch. Aber vor allem doch die Privatkundschaft. Mit zunehmender politischer Bedrängnis Israels nahm grade dies Bedürfnis universell zu. Ihm durch Belehrung der Kundschaft abzuhelfen: das wurde nun ausschließlich der Sinn der levitischen »Thora«. Sie wird gegen Lohn gegeben (Micha 3, 11). Dem Leviten[190] wird die Sünde gebeichtet (Num. 5, 6) und er »versöhnt« dann den Schuldigen mit Jahwe (Lev. 4, 20. 31; 5, 10; 6, 7): das ist seine für die Privatkundschaft wichtigste Leistung. Mit dem Zurücktreten der alten dem bäuerlichen Heerbann angehörigen ekstatisch-irrationalen Kriegspropheten und Nebijim parallel geht dieser Aufstieg der – mag man sich zunächst die Inhalte so primitiv vorstellen wie man will – doch jedenfalls relativ rationalen, weil lehrhaften Beeinflussung durch die Leviten.

In die Bahn rationaler Methodik wurde die levitische Thora auch durch die technische Eigenart ihres Orakelmittels gedrängt. Gegenüber der Eingeweide schau, der Beobachtung des Vogelfluges oder anderer Verhaltungsweisen von Tieren, vollends aber gegenüber jeder Art von ekstatischer Mantik war schon das primitive Auslosen der Antwort auf konkrete Fragen mit »Ja« oder »Nein« mit dem absoluten Minimum von Esoterik, emotionaler oder mystischer Irrationalität belastet. Es gab keinen Anlaß zur Entstehung solcher Theoreme, wie sie uns die babylonische Omina-Literatur darbietet. Vielmehr erzwang es etwas ganz anderes: damit durch einfaches Losen der Tatbestand und der konkrete Wille des Gottes festgestellt werden könne, mußte die Frage richtiggestellt sein. Darauf also kam alles an und der Levit mußte sich mithin eine rationale Methodik aneignen, die Probleme, die dem Gott vorgelegt wurden, auf einen mit »Ja« oder »Nein« beantwortbaren Ausdruck zu bringen. Zunehmend aber mußten auch Fragen auftauchen, die mit den Mitteln des Loses und mit »Ja« oder »Nein« überhaupt nicht direkt erledigt werden konnten. Ehe sie vor den Gott gebracht wurden, mußten komplizierte Vorfragen erledigt sein, und in sehr vielen Fällen war nach dieser Erledigung gar nichts mehr übrig, was der Ermittlung durch das Losorakel bedürftig gewesen wäre. War insbesondere durch Befragung festgestellt: um welche Sünde des Kunden es sich handelte, so stand die Art der Sühne traditionell fest. Nur wo die Person des Sünders fraglich war, mußte, wie die Achan-Erzählung paradigmatisch zeigt, das Losorakel helfen. Gerade für die privaten Bedürfnisse aber trat es an Bedeutung unvermeidlich immer mehr zurück zugunsten der rationalen Sünden-Kasuistik, bis der theologische Rationalismus des Deuteronomium (18, 9-15) das Losen der Sache nach überhaupt diskreditierte, es mindestens gar nicht erwähnte,[191] und für die Fälle, in denen es bisher üblich und unvermeidlich gewesen war: – wo nämlich die Traditionen der Thoralehrer versagten –, die Befragung der Propheten als einziges Mittel übrig ließ.

Das Prestige der levitischen Thora hat Wandlungen durchgemacht. Beginnend, wenn den betreffenden Erinnerungen irgend zu trauen ist, schon in der Zeit des alten Bundes, steigerte es sich unvermeidlich mit dem Eintritt der judäischen Südstämme in den Verband, wurde dann vielleicht durch die Trennung der Reiche wieder geschwächt, stieg aber wieder mit sinkendem Prestige der nördlichen Könige und wurde im Südreich zunehmend alleinherrschend. In Aegypten war das Sühnopfer, wie es scheint, nicht bekannt. Magier standen hier an der Stelle, welche die Leviten in Israel einnahmen. Gelegenheit und Anlaß zu rationaler Belehrung über die ethischen Pflichten scheint, jedenfalls in späterer Zeit, wesentlich der Totenkult der Osirispriester, der volkstümlichste von allen, geboten zu haben. Dagegen findet sich die Sühne der Sünde durch Opfer in Mesopotamien, vor allem aus Anlaß von Krankheit, die als Folge göttlichen Zorns galt. Der Sünder hatte unter Leitung des Priesters die alten (zum Teil vorbabylonischen) Bußpsalmen zu rezitieren, um die rituelle Unreinheit (assyrisch: mamitu) von sich abzuwälzen. Aber der Charakter des Vorgangs war auch hier, wie in Aegypten, magisch, nicht ethisch-paränetisch. Und das für Babylonien zwar von Hesekiel (21, 26) erwähnte, aber aus der Priestertechnik, soviel bisher bekannt, längst verschwundene Losorakel war hier nicht durch rationale Thora, sondern durch Sammlung und Systematisierung der Omina und eine priesterliche Fachlehre ihrer Deutung ersetzt, welche uns in einer höchst monströsen Literatur erhalten ist194. Wir werden später erörtern auf welchen Gründen dieser wichtige Unterschied der Entwicklung beruhte.

Die Leviten paßten sich bei ihrer Verbreitung den vorhandenen Zuständen an. Wie das Beispiel des Micha zeigt, hatten die älteren Leviten sich dem Idolkult des Nordreichs unbedenklich gefügt; vermutlich gehörten sie dort zu den Trägern der Vorstellung, daß die Idole eben Jahwe-Idole seien. Aber ihr nach[192] der Tradition unzweifelhafter Ursprung aus dem Süden ließ, als der Bilderstreit begann, den Nachschub sicherlich mit steigendem Gewicht in die Wagschale der Bilderfeinde fallen. Sehr wahrscheinlich ist ein Teil der später, wie bald zu erörtern, zu priesteramtsunfähigen Leviten und Tempeldienern degradierten Leviten aus idolatrischen Levitengeschlechtern hervorgegangen, wofür die Entwicklung des Brahmanentums in Indien ja ebenfalls Analogie bieten würde.

Wie bei den Brahmanen, so lag bei den levitischen Priestern die eigentliche Quelle ihres Prestiges im »Wissen« von den maßgeblichen Vorschriften Jahwes. Nur eben – bei der aus politischen Gründen weit geringeren Bedeutung und größeren Jugend des Kults und dem Fehlen eines heiligen Buches vom Charakter des Veda – im Wissen von positiven rituellen und ethischen Geboten und der Art, wie man durch deren Befolgung den Gott günstig stimmt oder seinen durch Verstöße dagegen erregten Zorn besänftigt. Es war so, als ob es in Indien nur grihyasutras und darmacastras und überhaupt an rituellen Geboten nur ganz wenige einfache Vorschriften gegeben hätte. Darin lag der überaus große Unterschied gegenüber den Brahmanen. Und dann: in dem Fehlen jeder Esoterik im indischen Sinn. Weder ein magisches oder ein Mystagogen-Wissen, noch ein Buchwissen, noch astrologisches, therapeutisches oder anderes Geheimwissen brachte diese von Süden her langsam das Land überflutende Welle. Mystagogie konnte sich nur auf dem Boden der Nabi-Ekstase entwickeln und hat sich auch daraus, wie wir aus den Elisa-Mirakeln sehen, entwickelt. Daß die »Gottesmänner«, Gegenstände scheuer Furcht und gläubiger Verehrung, als magische Nothelfer nicht nur, sondern auch als Fürbitter bei Jahwe eintreten und Sündenvergebung erwirken, ist, von Gen. 20, 7 angefangen, massenhaft in der Tradition bezeugt. Aber es hat sich daraus nicht, wie in Indien, eine anthropolatrische Verehrung lebender Heilande entwickelt. Die levitische Thora hat das verhindert. Diese Männer des Südens und ihre rechabitischen und andern Verbündeten wußten nur: daß das alte gute Recht der Jahwe-Eidgenossenschaft durch berith Jahwes mit dem israelitischen Heerbann nach Verkündigung durch Mose dereinst festgestellt war und daß jede Verletzung dieser Satzungen Jahwes Zorn hervorrufen müsse. Neben dem, wie das[193] Deuteronomium zeigt, schlichten Ernst ihrer Opferpraxis standen bei ihnen die damals noch einfachen Ritualgebote und die rationale Lehre der privaten und Sozialethik. –

Die Leviten werden sich, wie die Brahmanen, mancherlei alte örtliche Priesterschaften assimiliert haben. Andererseits kann es keinem Zweifel unterliegen, daß heftige Kämpfe der Priestergeschlechter der einzelnen Kultstätten stattgefunden haben. Priester, die sich an verworfenen Kulten beteiligten, wurden deklassiert195. Das ursprüngliche Verhältnis der von Süden zuwandernden Leviten zu den altansässigen Kultpriestergeschlechtern ist problematisch. Das alte Priestergeschlecht der Eliden in Silo, welches nach dem in ihm vorkommenden ägyptischen Namen (Pinchas) am wahrscheinlichsten auf Mose zurückgeht, wird zwar später als ein Levitengeschlecht behandelt. Ebenso das danitische Priestergeschlecht. Aber ursprünglich scheinen die Eliden nicht als Leviten zu gelten, und vollends undeutlich bleiben die ursprünglichen Verhältnisse zu den beiden großen Priestergeschlechtern, welche, das eine in der deuteronomischen und frühexilischen, das andere in der nachexilischen Zeit, die entscheidende Rolle spielen: den Zadokiden und den Aaroniden. Die späteren levitischen Stammbäume beider sind natürlich gefälscht. Die Zadokiden waren seit Salomo das führende jerusalemitische Königspriestergeschlecht. Dem Deuteronomium galten sie als levitisch; sie müssen also – ein Beweis für das damals schon als althistorisch feststehende Prestige der Leviten – bereits vorher mit diesen sich zu verschmelzen für klug gehalten haben. Am problematischsten bleibt dagegen die ursprüngliche Stellung der Aaroniden und der Figur Aarons selbst196. In den ältesten vordeuteronomischen Nachrichten (Ex. 24, 1. 9; 18, 12) scheint Aaron als der vornehmste der Aeltesten Israels zu gelten, also nicht als ein Priester. In den späteren, insbesondere den exilischen, Redaktionen ist er Priester und steigt fortwährend, zuerst zum Sprecher des Mose, der schwerer Zunge ist, dann zum Bruder der Prophetin Mirjam, dann zum Bruder, und zwar zum älteren Bruder, des Mose selbst. Und schließlich kommt es in der spätesten Redaktion vor, daß er auch allein und direkt Offenbarungen[194] über seine und seines Geschlechts Rechte erhält (Lev. 10, 8; Num. 18, 1. 9. 20)197. Die Zadokiden wurden nun als ein Teil der Aaroniden behandelt. Dem Mose wird mit erstaunlicher Dreistigkeit seine in der alten Tradition vorkommende Nachkommenschaft, zu der sich außer dem Priestergeschlecht der Eliden vor allem das in Dan rechnete, fortkonfisziert und dem Aaron zugeschrieben. Da die jahwistische Renzension Aaron gar nicht gekannt zu haben scheint und er mit dem Stierdienst in Verbindung gebracht wird, so hat man auf nordisraelitischen Ursprung geschlossen. Da die aaronidische Rezension der Abrahamsage (Gen. 17) sich Gott dem Abraham als »El Schaddaj« vorstellen läßt, so ist es möglich, daß die Aaroniden ein altes El-Priestergeschlecht waren und deshalb auf diese Feststellung der Identität ihres Gottes mit dem im Exil zum einzigen Weltgott erhobenen Jahwe Gewicht legten. Die Notiz im letzten Verse des Josuabuchs könnte Beziehungen zu Benjamin vermuten lassen, dem in der spätern Redaktion der Jakoblegende so stark bevorzugten Lieblingssohn. Indessen bleibt das alles unsicher.

Die heftigen Kämpfe unter den Priestergeschlechtern spiegelt die Tradition neben zahlreichen Retouchierungen der Fassung auch in den gegenseitigen Fluchsprüchen wider. Dem vermutlich alten überschwenglichen Segensspruch für Pinchas, den Ahn des elidischen Priestergeschlechts in Silo, steht nach dem Sturz der Eliden unter Salomo die im Samuelbuch verzeichnete Unheilsdrohung gegen dies Geschlecht gegenüber. Gegner der Priesterautorität, wie die Korachiten, werden von der Erde verschlungen: später sind sie degradierte Sängersippen. Auch der Widerstand nicht nur der puritanisch gesinnten jahwistischen Priesterschaft, sondern vor allem der Interessenten der alten Kultorte im Norden gegen den salomonischen Tempelbau und gegen das dadurch gegebene Uebergewicht dieser Kultstätte muß, wie die Spuren in der umredigierten Tradition ergeben, sehr stark gewesen sein. Und sicherlich ist der Abfall des Nordreiches sehr wesentlich mitbedingt gewesen durch diese Gegensätze der Priesterschaften und ihrer Kultregeln, wie Jerobeams Maßregeln zugunsten von Dan und Bethel, vor allem aber deren Motivierung durch den König ergeben. Am deutlichsten zeigt sich aber die[195] Schärfe der Gegensätze darin, daß in den gegenseitigen Tendenzlegenden auch die Stammväter des Jahwekults nicht geschont werden. Gegen Mose selbst schreibt die Legende der aaronidischen Priester dem Aaron und der Prophetin Mirjam schwere Vorwürfe zu, vor allem seine Mischehe. Die Tradition weiß, daß seine Nichtbeteiligung am Einmarsch in das gelobte Land Folge seiner Sünde war. Andererseits wird aber Mirjam dafür nach der mosaischen Legende vom Aussatz geschlagen. Ganz schwankend ist vor allem die Stellung Aarons selbst, dem neben sonstigen Irrungen vor allem die Beteiligung am Stierdienst – ein in der Zeit der Endredaktion dieser Tradition todeswürdiges Verbrechen – vorgeworfen wird, dem aber dennoch in der Tradition nichts Uebles dafür widerfährt.

Dieser Kampf der Priesterschaften untereinander mußte sich verstärken, als die Jerusalemiter Priesterschaft (damals: die Zadokiden) nach der politischen Vernichtung des Nordreiches die letzte Konsequenz zog und den, gegenüber der klaren alten Tradition ganz unerhörten, Anspruch aufstellte; daß fortan nur in Jerusalem ein Tempel und eine rituell vollwertige Opferstätte bestehen solle, die alte Verehrung Jahwes auf Höhen und unter Bäumen und an den alten ländlichen und provinzialen Kultstätten in Bethel, Dan, Sichem und an anderen Orten aufzuhören habe. Die Forderung war wohl nicht absolut neu, sondern entstand vermutlich gleich nach dem Untergang des Nordreichs. Denn es scheint, daß schon Hiskia in der schweren Kriegsnot gegen Sanherib einen Anlauf zu ihrer Verwirklichung genommen hatte. Aber der Widerstand der ideellen und materiellen Interessenten der ländlichen Kultstätten: der Bauern und Grundherren, war damals wohl zu stark. Unter Manasse, der seinerseits als assyrischer Vasall mesopotamischen Sterndienst in Jerusalem pflegte, war keine Rede mehr davon. Sein gleichgesinnter Nachfolger Amon wurde, vermutlich auf Anstiften der jahwistischen Partei, durch eine Militärrevolte, ähnlich wie seinerzeit die Omriden im Nordreich, beseitigt. Die Stärke der Widerstände gegen die Priesterforderung zeigte sich aber damals darin, daß die hier erstmalig unter dem später oft wiederkehrenden Parteinamen 'amme ha arez, »Landleute«, auftretenden Interessenten der ländlichen Kultstätten die Revolution niederwarfen. Aber es gelang den mit vornehmen, den jahwistischen Parteien befreundeten Adelssippen verbündeten[196] Priestern, auf den unmündigen Josia Einfluß zu gewinnen und als die große Koalition gegen das assyrische Reich, die ihm den Untergang brachte, sich vorbereitete, tauchte die Forderung erneut auf. Sie war die Kernforderung des deuteronomischen Gesetzbuchs, eines literarischen Produkts der um die Jerusalemiter Priesterschaft gruppierten Intellektuellenschicht. Man ließ es durch Angestellte des Tempels in diesem »auffinden«. Die utopische Hoffnung, durch Erfüllung der in diesem, angeblich den echten alten mosaischen sefer hattorah repräsentierenden Fund enthaltenen Gebote Jahwes Hilfe gegen den durch Palästina marschierenden Pharao Necho zu erlangen, war es offenbar, die König Josia veranlaßte, das Volk in feierlicher berith auf dies Gesetz zu verpflichten, die alten Kultstätten zu zerstören und durch Totengebeine rituell zu verunreinigen (621). Die Niederlage und der Tod des Königs in der Schlacht bei Meggiddo machte indessen allen diesen Hoffnungen ein Ende und war überhaupt ein furchtbarer Schlag für die levitische Jahwe-Partei. Der augenscheinliche Anspruch des Kompendiums, an die Stelle aller anderen Rechtssammlungen zu treten, war damit zunächst dahingefallen. Aber als ideale Forderung der damals allein fest organisierten Jerusalemiter Priesterschaft blieb er bestehen. In kluger Weise hatten seine Redaktoren mit jenem Monopolanspruch andere, ihrer eigenen Machtstellung zugute kommende, zugleich aber sehr populäre Forderungen verbunden. Zunächst den alten Protest gegen das salomonische Fronkönigtum. Nie war vergessen worden, daß auch die an Prestige höchststehende, davididische Dynastie durch berith der Aeltesten den Thron erlangt hatte und daß der alte israelitische Führer ein auf dem Esel reitender charismatischer Volksfürst ohne Kriegswagenpark, Hort, Harem, Fronden, Steuern und ohne weltpolitische Allüren gewesen war. Das sollte nun im Ernst wieder hergestellt werden. Die Entscheidung über die Würdigkeit der Könige sollte das alte Losorakel der Priester geben, der König an das deuteronomische mosaische Gesetz, das er täglich lesen sollte, gebunden sein. Entsprechende Berichte über die Art, wie Saul von Samuel zum König kreiert worden sei, wurden nun den alten Ueberlieferungen eingefügt, ebenso die Legende vom Sieg des Hirtenknaben David über Goliath an Stelle der echten Tradition. In der Umredaktion der Königstradition erhielt nun jeder König seine Zensur je nach seiner Stellung zum Idol-und Höhendienst.[197] Aus ähnlichen Gründen war das alte Sozialrecht des Bundesbuchs entsprechend umgestaltet in das neue Kompendium aufgenommen worden. Da der babylonische Lehensherr des Zedekia ein Interesse an der Schwächung der Königsgewalt hatte, so ist durchaus glaubhaft, daß unter diesem Fürsten einige Zeit mit diesen Forderungen wirklich Ernst gemacht wurde.

Die Exilszeit überkam, neben den erst teilweise und unvollkommen vereinheitlichten anderen Sammlungen von Legenden und Traditionen, dies Kompendium als die einzige ganz in sich geschlossene Theologie. Die praktisch weittragendste Forderung des deuteronomischen Gesetzes war von Anfang an das Kultmonopol Jerusalems und seiner Priesterschaft. Zugleich freilich diejenige, welche die erheblichsten Schwierigkeiten schuf. Von dem Widerstand der nicht jerusalemitischen Laieninteressenten ganz abgesehen, – was sollte aus jenen Leviten und andern Priestern werden, die bisher an den andern Kultstätten amtiert hatten? Das später sehr stark interpolierte deuteronomische Gesetz enthält darüber in der jetzigen Redaktion zwei widersprechende Bestimmungen. Einerseits die Mahnung an alle Israeliten, die »Leviten in ihren Toren« nicht ohne Nahrung zu lassen: diese sollten also Rentner ohne Kultrecht werden und mit den Priestern nur das Recht der »Lehre« des Gesetzes teilen. Andererseits die Bestimmung, daß diese Priester nach Jerusalem übersiedeln und am dortigen Kult teilnehmen könnten: – eine jedenfalls nicht von den Priestern selbst in das Gesetz gebrachte Bestimmung, deren Ausführung denn auch, als damit Ernst gemacht wurde, die Jerusalemiter Priesterschaft nicht zuließ. Darüber kam das Exil und das hieß: die Fortführung aller Priestergeschlechter. Im zwingenden Interesse der gesamten Priesterschaft lag es nun, sich zu vertragen. Noch Hesekiel hatte das Monopol der Jerusalemiter Zadokiden vertreten und von ihnen der deuteronomischen Theorie entsprechend die »Leviten« als Priester zweiten Grades, ohne Opferrecht, geschieden. Aber das Monopol der Zadokiden war offenbar nicht durchzusetzen. Das schließliche Kompromiß in der Perserzeit, für dessen Inhalt wahrscheinlich auch das Maß des höfischen Einflusses der einzelnen Geschlechter maßgebend war, hat offenbar der schriftgelehrte Priester Esra gefunden, indem er die Zadokiden als einen Teil der Aaroniden behandelte und diesen allen die Qualifikation zum Opferdienst an der alleinigen Kultstätte Jerusalem gab, alle anderen als[198] levitisch anerkannten Geschlechter zu ihnen unterstellten reihum dienenden Subalternbeamten des Kults degradierte, gewisse andere zu leiturgischen »Tempelsklaven« (Nethinim) Sängern und Türhütern. Die Dreiteilung der Hierokratie: Priester, Leviten, Nethinim und, nachdem diese letzteren verschwunden waren: Priester und Leviten, die noch in den Evangelien besteht, entstammt dieser Regulierung. Das Mittel, sie annehmbar zu machen, war die Ordnung der materiellen Verhältnisse: die universelle Zehentpflicht des ganzen heiligen Bodens wurde durchgeführt und der Ertrag dieser und einiger hier nicht interessierender anderer Gefälle unter die beteiligten hierokratischen Interessenten verteilt. Die besonderen Verhältnisse einerseits der Exilsgemeinde, andererseits die später zu erwähnende Art der politischen Beziehungen zum Perserhof, welche für die Neuregelung maßgebend waren, bedingten diese Art der Erledigung der alten Kämpfe, welche durch massenhafte Interpolation der alten Satzungen und Traditionen und durch die Neukodifikation der Bestimmungen des von Esra durch feierliche Verpflichtung der synoikisierten Gemeinde auferlegten sogenannten »Priesterkodex« legitimiert wurde. Uns sollen hier die Einzelheiten dieser äußeren Regulierung nicht näher angehen. Wir kehren vielmehr nochmals in die vorexilische Zeit zurück und betrachten die inneren Konsequenzen und die Triebkräfte der eigenartigen Entwicklung.

Die Kultmonopolisierung in Jerusalem hatte zunächst eine sehr wichtige Konsequenz: die Profanierung der bis dahin wenigstens theoretisch als »Opferung« und »Opfermahl« geltenden häuslichen Schlachtungen und Fleischmahlzeiten. Diesen Charakter verloren sie jetzt, wo nur in Jerusalem Opfer stattfinden konnten, vollständig. Und nur der Vorbehalt: daß wenigstens die nicht zu entfernt wohnenden Abgabepflichtigen ihre Opfergabe in der heiligen Stadt selbst als Opfermahl verzehren sollten – den anderen wurde Umwechselung in Geld gestattet – blieb, in zunächst problematischer Bedeutung, bestehen. Jene Profanierung aller privaten Mahle war, nach der Ablehnung des Totenkults, der letzte Schlag, welchen der Jahwismus der Möglichkeit einer sakralen Bedeutung der Sippe versetzte: es konnte fortan keine vom Sippenhaupt geleiteten Kultmahle mehr geben. Denn das Passahmahl war längst kein Sippenmahl mehr, sondern ein häusliches Familienfest. Das schnelle Schwinden[199] der Bedeutung der Sippen in nachexilischer Zeit hängt wohl auch damit zusammen. Als eine absichtsvoll gegen die Sippen gerichtete Maßregel ist jene Bestimmung, welche diesen Erfolg haben mußte, freilich wohl kaum gedacht gewesen: sie war ein Nebenerfolg der Kultmonopolisierung, wie schon die Halbheit der für das Verzehren der Abgaben geschaffenen Bestimmungen zeigt. Die Bedeutung der Kultmahle als solche war vielmehr schon in vorexilischer Zeit langsam aber nachdrücklich ihres einstigen Sinns entkleidet worden. Ihrem einstigen Sinn und dem mit dem Vordringen der Leviten eng zusammenhängenden Prozeß seiner Aenderung müssen wir uns jetzt zuwenden. Denn hier liegen sehr tiefgehende Eigentümlichkeiten der puritanischen Jahwereligion, welche die Stellungnahme ihrer Vertreter zu den andern Kulten erst verständlich machen.

Es ist Ed. Meyers Verdienst, auf einen charakteristischen Gegensatz des Ritus bei der israelitischen »berith« aufmerksam gemacht zu haben, der zwischen der Hauptkultstätte Nordisraels, Sichem, einerseits und Jerusalem andererseits bestand. Der Bund in Sichem hatte nach dem Josuabuch den Charakter eines Kultmahls, also einer Speisegemeinschaft: einer »Koinonia«, mit dem Gott, so wie sie auch in einer alten nordisraelitischen Erzählung vom Sinaibunde berichtet wird, wo die siebzig Aeltesten ebenso an Jahwes Tafel Gäste sind, wie umgekehrt er zum Opfermahl der Kultgenossen zu Gaste kommt. Sehr anders ist der überlieferte Ritus in Juda, der besonders eingehend für die berith unter Zedekia berichtet und von der Legende auch für Gottes berith mit Abraham als geltend vorausgesetzt wird. Das Opfertier wird zerstückt und zwischen den Stücken gehen die sich verpflichtenden: König, Priester und, je nachdem, Sippenälteste oder Mannen ('am) sämtlich hindurch. In jener Legende tut dies Jahwe nächtlicherweile. Eine sakramentale Koinonia mit dem Gott fand hier also nicht statt. Die Zerstückelung eines Opfertiers findet sich nun in einer anderen Zeremonie wieder. Der Held oder Prophet, der Israel zum heiligen Kriege gegen Fremdvölker oder frevelnde Eidgenossen aufrufen will, zerstückt ein Tier und sendet die Stücke im Lande umher. Das gilt als Mahnung an die Pflicht, Jahwe Heerfolge zu leisten. Diese Form wird nur zweimal, aber gerade für Nordstämme: Ephraim und Benjamin, berichtet Nimmt man irgend eine Beziehung zu der judäischen Form der berith an, was immerhin nahe liegt, so könnte[200] also diese Form auch im Norden nicht unbekannt gewesen sein. Dann wäre wohl anzunehmen, daß die bei der festangesessenen Bevölkerung von Sichem übliche Koinonia die altkanaanäische Form der Herstellung einer Beziehung zum friedlichen Gott, dagegen bei den minder fest seßhaften Bauern und Hirten der Berge jene andere dem Bundeskriegsgott Jahwe eigene der Kriegsverbrüderung dienende Form ursprünglich heimisch gewesen sei. Dafür spricht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit auch deshalb, weil diese Zerstückung des Opfertiers doch wohl als ein rituelles Rudiment der alten orgiastischen Zerreißung des Opfertiers – bei den afrikanischen Beduinen: eines Hammels – anzusprechen ist, wie sie sich namentlich bei Gebirgs- und Steppenvölkern findet, und wie sie bei den Iraniern erst durch Zarathustra, vielleicht unter dem Einfluß mesopotamischer Bildung, ausgerottet worden zu sein scheint. Man wird in der Annahme kaum fehl gehen, daß auch bei den judäischen Stämmen ein planvoller Kampf gegen die ursprüngliche, z.B. auch im Dyonysoskult sich findende, Fleischorgie diese beseitigt hat. Vielleicht bedeutet das spätere rituelle Verbot des Blutgenusses eine Etappe auf diesem Wege, und dann würde die an sich späte Motivierung: daß man »die Seele des Tiers nicht essen dürfe«, doch Spuren des einstigen animistischen Sinnes aufbewahren. Denn, wie wir gelegentlich sahen: für das Heer im Kriege galt jenes Verbot anscheinend ursprünglich nicht. Es wäre die Entwicklung dann so zu denken; daß der Blutgenuß, der ursprünglich nur in normalen Zeiten, außerhalb der dem Kriegsgott vorbehaltenen Fleischorgie, untersagt war, später, unter dem Einfluß des uns bekannten Entmilitarisierungsprozesses und der Beseitigung der Orgien, als ein für allemal verboten gegolten hätte. Doch kann dies nur als unsichere Hypothese gelten. In der Ueberlieferung findet sich schließlich (Ex. 24, 6. 8) noch eine dritte Form der Eingehung einer berith: die Besprengung der Jahwegemeinde mit Opferblut, mit welchem zugleich auch der Altar besprengt wurde. Sie setzt Mitwirkung des Priesters voraus, denn nur er kann jenen Akt vornehmen. Da sie in die sehr alte Erzählung vom gemeinsamen Mahl Jahwes mit den Aeltesten eingeflochten ist: – diese Tischgemeinschaft ist hier Folge der geschlossenen berith, nicht ihrerseits Stiftung der religiösen Koinonia –, so mag auch sie alt und in diesem Fall südlichen Ursprungs sein.[201] Auch dies ist unsicher. Für uns ist lediglich wichtig: daß den Südstämmen eine Zeremonie, welche eine sakramentale Koinonia mit dem Gott herstellte, in historischer Zeit unbekannt war. Denn damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt, der den entscheidenden Gegensatz des südlichen reinen Jahwismus gegen die nordisraelitische Verschmelzung mit Baal- und verwandten Ackerbaukulten bedingte und zu dessen äußeren Zeichen jener an sich mehr formale Gegensatz der berith gehört.

Die Baalkulte, wie die meisten alten Ackerbaukulte, waren und blieben bis zuletzt orgiastisch und zwar insbesondere alkohol- und sexualorgiastisch. Die rituelle Begattung auf dem Acker als homöopathischer Fruchtbarkeitszauber, die alkoholische und orchestische Orgie mit der unvermeidlich sich anschließenden Sexualpromiskuität, abgemildert später zu Opfermahl, Singtanz und Hierodulenprostitution, sind mit voller Sicherheit als ursprüngliche Bestandteile auch der israelitischen Ackerbaukulte nachzuweisen. Die Reste liegen zutage. Der »Tanz um das goldene Kalb«, gegen welchen nach der Tradition Mose, die »Hurerei«, gegen welche die Propheten eifern, die kultischen Reigen, von denen überall die Spuren vorhanden sind, die in den Rechtssammlungen, in den Legenden (Tamar) und bei den Propheten ausdrücklich bezeugte Existenz der Hierodulen (Kedeschen) ergeben den sexual-orgiastischen Charakter der alten fröhlichen Baalskulte. Dieser geht auch aus den ausdrücklichen Angaben der Quellen hervor. Die weibliche Gefährtin, die Baalat, fehlte den Baalen so wenig wie den indischen Fruchtbarkeitsgöttern. Sie war mit Astarte und diese mit der babylonischen Istar, der Gottheit der Sexualsphäre, identisch. Von den Baalkulten her drang bei der Vermischung mit Jahwe die Sexualorgiastik auch in die Jahwekulte ein. Die Existenz von Hierodulen auch am Tempel von Jerusalem ist bezeugt.

Gegen diesen orgiastischen, den alkohol- und insbesondere den sexualorgiastischen Charakter der Baalkulte und der durch sie beeinflußten Religiosität richtete sich nun der leidenschaftliche Kampf der Vertreter des reinen Jahwismus. Der Kampf der Rechabiten gegen den Wein war keine bloße Konservierung alter Steppengewohnheiten, sondern vor allem Kampf gegen die Alkoholorgiastik der seßhaften Bevölkerung. Vor allem aber die Stellungnahme des jahwistischen Rituals und der jahwistischen Ethik zum Sexualleben sind Zeugen dieses tiefgehenden[202] Gegensatzes. Den Baalen dienen heißt ein für allemal ihnen »nachhuren«. Die ganze Reglementierung der Sexualsphäre hat von dem Kampf dagegen ihren im Judentum dauernd nachwirkenden Charakter erhalten. Die religiöse Verpönung der Verletzung einer fremden Ehe als todeswürdigen Frevels entspricht freilich lediglich dem, was in allen prophetisch und priesterlich reglementierten Religionen wiederkehrt und ist nur besonders streng in der Art der Strafe. Die Auffassung der Ehe als eines Mittels zur Erzeugung von Kindern und zur ökonomischen Sicherung ihrer Mutter enthält natürlich erst recht nichts spezifisch Israelitisches, sondern war universell verbreitet. Ebenso ist der ausgeprägte Naturalismus in der Art der Auffassung der Sexualvorgänge in keiner Art nur Israel eigentümlich. Die kultischen und kriegerasketischen Keuschheitsregeln, Tabuierungen und Unreinheitsvorschriften für Menstruierende usw. waren in freilich sehr verschiedener Art ebenfalls sehr weit verbreitet und lediglich Ausdruck der Betrachtung der Sexualsphäre als eines spezifisch dämonisch beherrschten Gebiets, wie sie überall gerade durch den Eindruck der Sexualorgiastik den Trägern rationaler Kulte und Religiositäten nahegelegt war. Aber der Grad und die Art, wie sich das israelitische Ritual und die israelitischen Legenden, gerade soweit sie spezifisch jahwistisch beeinflußt sind, mit dieser Sphäre befassen, zeigt allerdings einen sehr radikalen Grenzfall dieser Auffassung, der sich schlechterdings nur aus dem tendenziösen Gegensatz gegen die Baalorgiastik erklärt, ganz ähnlich wie wir die Ablehnung jeglicher Jenseitsspekulationen vermutungsweise auf eine Tendenz gegen den ägyptischen Totenkult zurückführen mußten. Auf dem Gebiet des Sexuellen tritt diese Tendenz gegen die orgiastische Schamlosigkeit, als deren Träger die Kanaanäer verachtet und verflucht werden, vor allem in der schroffen Perhorreszierung jeglicher physischen Entblößung hervor. Die bloße Tatsache einer solchen oder das bloße begehrliche Anblicken eines Verwandten wird (Lev. 20, 10) als Incest und todeswürdiges Verbrechen behandelt, und der Stammvater der Kanaanäer gilt der Genesis als der Urheber all jener Schamlosigkeit, welche die Verfluchung dieses Volks zu ewiger Knechtschaft verschuldet haben soll. Andererseits wird auch (Lev. Kap. 18) jeder Incest, jedes Anrühren des väterlichen Harems, aber auch jede andere unerlaubte Geschlechtsverbindung unter dem Bilde einer physischen[203] Entblößung bezeichnet. Die Zulassung von Stufen am Altar war im alten Ritual ganz verboten (Ex. 20, 26), weil sonst eine Entblößung gegenüber jenen Stufen, die schon zum ideellen Sitz Jahwes gehörten, stattfinden konnte. Daß sie »nackt« sind, ist bei den ersten Menschen das allererste, was ihr, nach dem Genuß vom Baum der Erkenntnis erwachtes, Unterscheidungsvermögen für das, was »gut« und »böse« ist, dokumentiert. Die gleiche Anschauung und Tendenz geht durch alle hierher gehörigen Bestimmungen und Kasuistiken hindurch. Die Sünde Onans ist perhorresziert. Nach der jetzigen Tradition allerdings als Verbrechen gegen die Pflicht, dem Bruder Nachkommenschaft zu erwecken. Ursprünglich aber war ihre ausdrückliche Verwerfung wohl bedingt durch die Gegnerschaft der Jahwisten gegen gewisse Molochorgien (Lev. 20, 2), bei denen männlicher Samen geopfert wurde. Alle Arten verpönten, weil orgiastischen oder incestuösen oder widernatürlichen Geschlechtsverkehrs fallen – zwar nicht allein sie, aber sie doch in allererster Linie – unter den spezifisch jahwistischen Begriff der »Narrheit« (Gen. 34, 7; Deut. 22, 21) und dies Wort bezeichnete in der Sprache noch der spätesten Tradition und selbst noch der Evangelien das äußerste, was gegen einen Israeliten gesagt werden konnte. Alle spezifisch israelitischen, hier nicht ins einzelne zu verfolgenden Regle mentierungen der Sexualvorgänge haben daher nicht ethischen, sondern rituellen Charakter. Die materielle Sexualethik Altisraels war nicht strenger als andere priesterliche Reglementierungen. Der Ehebruch des Dekalogs war Verletzung der Ehe eines fremden Mannes, nicht Bruch der eigenen Ehe. Den Geschlechtsverkehr des Mannes außerhalb der Ehe zu verpönen hat erst die spätere nachexilische Zeit begonnen und zwar – ganz ebenso wie die Konfuzianer und die ägyptische Spruchweisheit z.B. Ptahoteps – zuerst nur unter Gesichtspunkten der Lebensklugheit. Ein Ausdruck für »Keuschheit« im ethischen Sinn des Worts fehlt der alten Sprache Israels. Erst unter persischem Einfluß, wie wir sehen werden, ging die Reglementierung weiter und auch zunächst nur in unkanonischen Schriften (Tobit). Nach altisraelitischer Auffassung dagegen konnte die Verführung eines Mädchens ohne vorherigen Kontrakt mit ihrer Sippe zwar deren Rache hervorrufen, wie der Fall der Dina zeigt; die Rechtssammlungen schreiben aber als Sühne nur die Heirat d.h. den Erwerb des Mädchens durch Zahlung des Kaufpreises vor, ähnlich[204] wie die angelsächsischen Gesetze den Fall als eine Art von Sachbeschädigung behandeln. Die Antipathie gegen das, was als sexuell schamlos galt, hat auch nichts mit einer besondern »Reinheit der Sitten« etwa der Beduinen zu schaffen. Gerade den Arabern der Wüste wirft Jeremia (3, 2) vor, daß sie »Hurerei an der Straße« treiben, d.h. – wie das Verhalten der Tamar zeigt – an den Stellen, wo sich die käuflichen Dirnen aufzuhalten pflegten, darunter auch die Hierodulen der Tempel, welche die Propheten mit allen anderen Resten der Sexualorgiastik verwerfen. Nur die homöopathische sexuelle Orgie war den Beduinen im Gegensatz zu den Ackerbaukulten rituell fremd.

Der spezifisch rituelle, nicht primär ethische Charakter der ganzen Sexualkasuistik nun, der sich auch später immerhin weitgehend erhalten hat, gibt ihr, weil er zwar nicht der Art, aber dem Grade und der tendenziösen Penetranz nach sich nur hier findet, eine eigenartige Note. Die Verbindung der alten naturalistischen Unbefangenheit in der Behandlung und Erörterung der Sexualvorgänge an sich, verbunden mit dieser ganz und gar rituellen Angst vor der rein physischen Entblößung hat mit jener besonderen Art von Würdegefühl, welches sich mit unsren durch feudale oder bürgerliche Konvention hindurchgegangenen Schamgefühlsreaktionen zu verknüpfen pflegt, gar keine Beziehung. Sie erscheint der durch feudale, bürgerliche und christliche Vorstellungen beeinflußten modernen Schamempfindung leicht wie eine Karikatur eines echten Schamgefühls in dem uns geläufigen Sinn. Die Quelle jener Besonderheit liegt aber historisch ganz und gar in dem schroffen Gegensatz gegen die Orgiastik der nordisraelitischen Ackerbauer, wie sie die Priesterschaft pflegte. Der Islam kennt ja ähnliches und ist in allen Gebieten seiner Verbreitung wegen seiner Antipathie gegen die Nacktheit Träger der Entwicklung der Textilindustrie oder doch eines Marktes für sie geworden. –

Diese Gegnerschaft gegen die Orgiastik und orgiastische Ekstatik bestimmte nun auch die Stellungnahme des Südens zu den aus beiden hervorgegangenen ekstatischen Virtuosen. Die alten massenekstatischen Nebijim waren unbestreitbar eine wesentlich nordisraelitische, teils aus phönizischen, teils aus kanaanäischen Baalskulten hervorgegangene Erscheinung. Noch Sacharja nimmt (13, 5) als selbstverständlich an, daß die falschen Propheten Ackerbauer seien und daß ihre angeblichen Selbstverwundungen[205] von den Nägeln von Dirnen herrührten. In aller Welt haben sich ja die dem orgiastischen Massenkult dienenden charismatischen Ekstatiker zu Zünften oder Schulen zusammengeschlossen. Die Nabischulen des Elisa und schon der früheren Zeiten entsprachen nur dieser allgemeinen Erscheinung. Die Orgiastik, aus welcher die Nabiekstatik stammte, war, sahen wir, vor allem homöopathische Fruchtbarkeitsorgiastik. Etwas Derartiges kannten die Nomaden und Halbnomaden nicht. Wenn sie wirklich einmal die Fleischorgie gekannt haben, dann als Bestandteil der Kriegerekstatik. Zwar das älteste Israel, gerade auch Nordisrael, kannte die nasiräische Kriegeraskese und die Kriegerekstase der Berserker. Ebenso waren die alten massenekstatischen Nebijim, wie wir sahen, wenigstens zum Teil auch Kriegspropheten. Aber dreierlei zeigt sich: einmal, daß für die nasiräischen Kriegsekstatiker im Gegensatz zur kultischen Orgiastik der Baale gerade die Alkoholabstinenz vorgeschrieben war. Dann, daß die klassische Kriegsprophetie der Zeit Debora's, im Gegensatz zu den Nebijim Einzelprophetie war. Endlich fällt auf, daß das Deboralied von »anderen Göttern« spricht, denen sich Israel hingegeben habe. Es können damit schlechterdings nur die Landesgötter, also die Baale, gemeint sein. Jahrhunderte später sehen wir wiederum die Einzelprophetie des Elia im Kampf gegen die gleichartigen »anderen Götter« und die orgiastische Massenekstatik. Der Prophet, den Jehu auf seinem Wagen mitführt, ist ein Rechabit, also Gegner der Alkoholorgiastik. Immer wieder geht dieser Kampf vorwiegend von Männern aus, welche entweder dem Süden oder doch vorwiegend den Viehzüchterverbänden entstammen. Der typische Einzelprophet Elia, der Todfeind der Baalekstatik, stammt aus Gilead und ist ein typischer Wandernomade. Elisa, der Massenekstatiker, war nach der Tradition ein Bauer. Gleich der erste wiederum geraume Zeit später gegen die Kultpraxis des Nordens auftretende Prophet, Amos, ist ein Hirt aus Thekoa. Daraus folgt: aus dem Norden kamen unter dem Einfluß der kanaanäischen Orgiastik und Ekstatik die massenekstatischen Nebijim und die irrationalen und emotionalen Formen der Magie, aus dem Süden, welcher die Ackerbauorgiastik nicht kannte, die rationale levitische Thora und die rationale ethische Sendungsprophetie, die da weiß, daß diese Schamlosigkeiten Jahwe ein Greuel sind und daß Kult und Opfer überhaupt dem alten Bundesgott[206] gar nichts bedeuten gegenüber der Erfüllung seiner alten Gebote. Der Zwiespalt zog sich also offenbar latent durch die ganze israelitische Geschichte von der Einwanderung angefangen. Er nahm akute Formen an mit Zunahme des rationalen Charakters der Gedankenwelt jener beiden Mächte, welche der Orgie feindlich waren: der Leviten und der Unheilspropheten. Diese war wenigstens zu einem Teil Folge der Zunahme der literarischen Intellektuellenkultur als solcher. Daher haben wir uns die Art klarzumachen, wie die miteinander teils latent, teils offen ringenden elementaren Grundlagen jener untereinander grundverschiedenen Religiositäten innerhalb der altisraelitischen Literaten sich auswirkten. –

Die literarische Produktion des vorexilischen Israel war offenbar so reichhaltig und vielgestaltig wie irgendeine Literatur der Welt. Neben den teils nach Kriegerart glühend sinnlichen, teils höfisch schwülen, teils ländlich anmutigen Minneliedern, die am fröhlichen Königshof von Thirza und wohl schon vorher vorgetragen, später bis in die Zeit persischen Einflusses hinein abgewandelt und als »Hohes Lied« gesammelt wurden, und neben einigen überaus schwungvollen Königspreisliedern, welche die Psalmensammlung enthält, sind innerhalb und außerhalb dieser auch eine Anzahl religiöser Hymnen erhalten, welche das Walten des großen Himmelsgottes in der Natur nach babylonischer Art in nirgends überbotener Vollendung verherrlichen. Weltliche sowohl wie religiöse Barden müssen also, und zwar als eine Schicht oberhalb der Träger der rein volkstümlichen Dichtung, mindestens in der Königszeit existiert haben. Denn es handelt sich um ausgesprochene Kunstdichtung. Und das Deboralied, ein vorzüglich gelungenes Gelegenheitsgedicht, halb religiöses Siegeslied, halb politisches Spottgedicht gegen die alten Feinde in den Städten und gegen säumige Bundesgenossen, zeigt ein noch weit höheres Alter dieser Gattung. Die jedenfalls – nach dem in Wen Amons Reisebeschreibung bezeugten Papyrus-Import nach Byblos – in das Ende des zweiten Jahrtausends zurückgehende, wenn auch dokumentarisch erst durch den moabitischen Mesastein (9. Jahrhundert) belegte Buchstabenschrift war das bei weitem am leichtesten erlernbare von allen Verständigungsmitteln der ganzen damaligen Welt. Erfunden ist es wohl sicher im Dienste geschäftlicher Interessen der Kaufleute und also vermutlich in Phönizien. Diese Schrift erleichterte aber das Entstehen einer[207] eigentlichen zum Lesen bestimmten Literatur in Israel und zugleich die Verbreitung der Schreib- und Lesekunst dort ganz außerordentlich. Zunächst freilich kam sie den Kanzleien der Könige zugute. Die Würde des Mazkir (meist als »Kanzler« übersetzt, wohl zugleich Reichsannalist und »Erinnerer« des Königs) und die Soferim am Hofe Davids und beider Königreiche zeigen, daß jedenfalls seit David, vielleicht, wie eine erhaltene Liste (1. Sam. 14, 49 f.) nahelegt, in den Anfängen schon seit Saul, die Schriftlichkeit der Verwaltung bestand. Für Salomos Fronstaat war ein Stand schriftkundiger, offenbar nicht selten aus den Priestern, aber auch aus gebildeten weltlichen Sippen rekrutierter, Beamter unentbehrlich. Auf offizielle Königsannalen wird in den späteren pragmatisch umredigierten Königsgeschichten immer wieder Bezug genommen und ebenso existierte wohl eine jerusalemitische Tempelannalistik. Es muß ferner, mit Kittel, angenommen werden, daß schon die ersten Redaktionen der Geschichten von Davids Königtum von einem zwar zu den königlichen Archiven zugelassenen, dabei aber doch unabhängig nach seiner eigenen Ansicht über die Dinge schreibenden Erzähler verfaßt sind.

Die große Freiheit der Ueberlieferung gegenüber dem doch immerhin zeitweise machtvollen Königstum überhaupt hängt zusammen einerseits mit der starken Stellung, welche, wie wir sahen, im Gegensatz zu den meisten anderen monarchischen Staatsbildungen des Orients, die wehrhaften großen Sippen in Israel sich bewahrt hatten. Andererseits mit der Bedeutung der dem Königtum innerlich unabhängig und sehr kritisch gegenüberstehenden, aber von ihm um des Prestiges des alten Bundeskriegsgottes willen nicht zu ignorierenden Gruppen der Träger seines »Geistes«: der Seher und der berufsmäßigen Jahwelehrer.

Aus den Kreisen der schulmäßig organisierten Nebijim des Nordens stammen die in das Königsbuch hineingenommenen Mirakelerzählungen. Aber ein Teil der Elia-Berichte und ebenso die doch wohl vordeuteronomische erste Redaktion der Erzählungen von den Sehern der Vorzeit, Samuel vor allem, zeigen, daß es Kreise gab, welche sich nicht nur dem höfischen, sondern ebenso dem schulmäßig organisierten prophetischen Einfluß völlig entzogen und daneben andere, die zwar Beziehungen zum Hof, aber auch zu dem gegenüber dem Königtum kritischen Jahwismus[208] unterhielten und diesen systematisch unterstützten. Dies konnten nur begüterte und politisch einflußreiche fromme Laien sein. Wir finden denn auch in der Zeit des Jeremia vornehme Sippen, aus denen stets erneut Hofbeamte hervorgehen, die aber offenbar zugleich durch Generationen hindurch Protektoren der dem Hof und den Priestern gegenüber rücksichtslos kritischen großen Jahwepropheten waren. Derartiges mußte sich einstellen, sobald einmal das Prestige des Königtums durch äußere Mißerfolge ins Wanken geriet. Diese unabhängigen Laienkreise und die von ihnen geschützten reinen Jahweverehrer sind es nun offenbar gewesen, welche sich schon früh der Sammlung der noch vorhandenen alten Ueberlieferungen über die vorkönigliche Zeit angenommen haben. Die gelegentlich zitierten alten Liedersammlungen: das »Buch der Kriege Jahwes« und das »Buch vom Braven« lagen wohl schon seit der ersten Königszeit gesammelt vor. Vermutlich Laien haben sich der Sichtung der volkstümlichen, im Sinne des Jahwismus verwertbaren, nicht rein militaristischen Dichtungen zugewendet. Die alten Legenden, Märchen, Gleichnisse und Sprüche haben zweifellos zunächst in den Händen eines Standes volkstümlicher wandernder Sänger und Erzähler gelegen, die auf der ganzen Erde bei bäuerlichen und halbnomadischen Bevölkerungen sich finden. Die alte Tradition weiß allerdings nur von einem Gastvolk der Musikanten, der Abkömmlinge Jubals. Aber die Erzähler haben nicht gefehlt: die älteren Erzväterlegenden machen unbedingt den Eindruck dieser Herkunft. Dagegen hat beispielsweise die umfangreiche Josephgeschichte in der jetzigen Form bereits den Charakter einer von einem gebildeten Dichter für jahwistische Gebildete kunstvoll geformten erbaulichen »Novelle«, ist also Kunstdichtung. Es bestanden also Zwischenglieder und vor allem wohl direkt Beziehungen zwischen literarisch gebildeten und dabei politisch und religionspolitisch interessierten unabhängigen Laienkreisen und den Trägern der volkstümlichen Spruch- und Legendendichtung. Diese ergeben sich auch aus dem Charakter einiger erhaltener Erzeugnisse der »Maschal«-(Gleichnis-)Gattung. An plastischer Phantasie steht ein Maschal wie das Dornbuschgleichnis der Abimelechgeschichte o er das dem Nathan in den Mund gelegte Gleichnis vom Schaf des Armen den am besten gelungenen Gleichnissen der Evangelien ebenbürtig zur Seite. Sie unterscheiden sich in dieser Hinsicht auffällig[209] von dem typischen späteren rabbinischen Maschal198, der fast stets ein Erzeugnis des Buchdenkens ist, daher meist nur in der Groteske unmittelbar plastisch wirkt199. Der Unterschied ist etwa so, wie zwischen den Gleichnissen von Jesus und denen des Paulus, der sich bekanntlich gelegentlich, (wo er landwirtschaftliche Gleichnisse wagt) charakteristisch im Bilde vergreift200.

Zur Zeit des Jeremia finden sich zuerst (18, 18) Spuren jener Art der Beratung in praktischen utilitarischen Alltagsproblemen durch Gebildete, wie sie die späteren Chokma-(Weisheits-)Lehrer und ihre Literaturprodukte bieten. Aber diese Art Beziehung des Literatentums zu plebejischen Interessen trat offenbar in vorexilischer Zeit noch weit zurück hinter dem damals alles beherrschenden politischen und damit untrennbar verknüpften religiösen und religiös unterbauten sozialpolitischen Interesse. Die beiden vorhin zitierten Gleichnisse sind dafür Beispiele. Sie sind ersichtlich weit davon entfernt, naive Produkte rein künstlerischer Art zu sein, sondern stehen im Dienst königsfeindlicher jahwistischer Tendenzen. Die ganze, nach den Zitaten und Resten zu schließen, überaus reiche und vielgestaltige vorexilische Volksdichtung und Literatur wurde so unter religionspolitischen Gesichtspunkten verarbeitet. Wenn aus ihr nur das und nur in der Form erhalten ist, was und wie es Aufnahme in den jetzigen Kanon fand, so ist dies das Resultat einer höchst penetranten geistigen Arbeit jahwistisch interessierter Intellektuellenschichten. Zum Teil vollzog sich diese erst in der exilischen, zu einem wesentlichen Teil aber bereits in der vorexilischen und zwar teilweise schon in einer noch vor dem Auftreten der Schriftpropheten liegenden Zeit. Die Leistung dieser Zusammenarbeitung, mag sie uns heute in vielen Punkten, auf die zum Teil schon Goethe hinwies, literarisch unbefriedigt lassen, war dennoch sehr bedeutend, wenn man ihre Schwierigkeiten bedenkt. Zwischen den literarischen Produkten der vorexilischen Zeit sowohl wie zwischen ihren Trägern bestanden nach Tendenz und Gesinnung scharfe Gegensätze. Zunächst standen[210] in dieser Hinsicht die Erzeugnisse der königlichen Heilsprophetie, des nationalen Bardentums und der nationalen Geschichtserzählung mit den Zweigen der vom Königtum zurückgedrängten Schichten der Jahwegläubigen in unversöhntem Gegensatz. In den im »Hohenlied« gesammelten Resten der alten erotischen Dichtung und ebenso in den nicht zahlreichen erhaltenen alten Königspsalmen weht eine völlig andere Luft als in den literarischen Produkten der jahwistischen Intellektuellen. Die Religiosität der Könige stand natürlich, wo sie sich ungeschminkt äußert, auch in allen Nachbargebieten mit der Volksfrömmigkeit in starkem Kontrast. Zu essen bis er satt ist, zu trinken bis er berauscht ist, Gesundheit, langes Leben, Herzens- und Sinnenfreude, den Nachkommen ewige Herrschaft, jeden Tag Freude und hohen Nilstand begehrt Ramses IV im Gebet von Osiris als Gegenleistung gegen das, was er ihm gegeben hat. Lebensgenuß und lange glückliche Regierung ist ganz ebenso auch das Gebet aller babylonischen Könige bis auf Nebukadnezar. Anders dürfte es auch in Israel nicht gewesen sein. Wenn die heutige Tradition dem Salomo das früher erwähnte fromme Gebet in den Mund legt, so entsprachen dem die ebenfalls oft sehr frommen Inschriften Nebukadnezars und anderer Großkönige: hier wie dort handelt es sich um Priesterprodukte. Die unglaubliche Prahlsucht der ägyptischen ebenso wie der mesopotamischen Großkönige wird sicher auch den Königen Israels in der Zeit ihrer Macht geeignet haben und stand hier wie dort in schroffstem Widerspruch mit dem Bedürfnis der Plebejer nach einem gnädigen Fürsprecher und Nothelfer und mit Jahwes von jeher besonders schwerem Zorn gegen die Hybris der Menschen. – Jahwe war niemals ein Gott der Dynastie, wie Assur, Marduk oder Nebo, sondern von alters her ein Gott der israelitischen Eidgenossen. Aber immerhin hatten die Dynastien sich seinen Kult zu eigen gemacht und die Könige jahwistische Barden und Heilspropheten in ihrem Dienst. Und neben den Jahwetraditionen liefen die mannigfachsten ätiologischen Kultsagen einheimischer Götter und Heroen und zahlreiche entweder aus Aegypten und Mesopotamien, direkt oder über Phönizien, importierte oder mit diesen Gebieten seit alters gemeinsame Mythen und Vorstellungen um, an deren einfache Ausmerzung nicht zu denken war. Die Aufgabe der Zusammenarbeitung war schwer. Aber auch die Produkte der eigentlichen Intellektuellenkultur[211] in Palästina müssen eine bedeutende Rolle gespielt haben. Es fragt sich, wie sie sich zu denen der benachbarten Kulturgebiete verhielten.

Die nominelle ägyptische Herrschaft bestand bis fast gegen Ende der Richterzeit. Allerdings haben nach den Amarnabriefen die Pharaonen die religiöse Eigenart des Landes nicht angetastet und eine effektive politische Macht nach Ramses II nur selten noch entfaltet. Aber die Möglichkeit geistigen Verkehrs bestand wie in alter Zeit. In der Zeit des Sesostris kannte man bei den halbbeduinischen Herren der Gebiete östlich von Byblos einen lebenden ägyptischen Weisen dem Renommee nach, oder der Erzähler der Sinuhegeschichte durfte diese Möglichkeit wenigstens voraussetzen. In der Zeit völligen Verfalls der Ramessidenherrschaft (um 1100) weiß allerdings der Stadtkönig von Byblos nichts von dem ägyptischen Amon und seiner von dessen Abgesandten Wen Amon geschilderten Macht201. Wohl aber scheinen seine Hofpropheten etwas davon gewußt zu haben: daher erklärt sich vermutlich das Orakel eines von ihnen zugunsten jenes Boten. Jedenfalls aber war man, infolge des Karawanenverkehrs, in Südpalästina gut orientiert über Aegypten. Nicht nur übernahm Salomo die Kriegswagentechnik und offenbar teilweise auch die Art der Tempelanlage (das »Allerheiligste«)202 ägyptischen Mustern, sondern vor allem die Josephnovelle zeigt eine immerhin genaue Kenntnis ägyptischer Zustände und deutet überdies (einerlei ob mit Grund) Beziehungen zu der Tempelpriesterschaft von Heliopolis an, der Hauptstätte ägyptischer Weisheit. Daß alle Lehre und Kunst von Aegypten nach Phönizien gekommen sei, erkennt der König von Byblos dem Wen Amon gegenüber an203. Eine der Traditionen über Mose macht auch ihn zum Träger ägyptischer Weisheit. Die Beschneidung wäre nach der Josua-Tradition unmittelbar, nicht über Phönizien, von Aegypten her übernommen. In vielen Einzelheiten, die teils nicht interessieren, teils seinerzeit erwähnt wurden, finden sich weitere Spuren. König Merneptah erwähnt Kriege, die sein Heer in Palästina gegen Israel geführt habe. Daß[212] aber die Beziehungen keineswegs immer unfreundliche waren, geht daraus hervor, daß neben den stammverwandten Edomitern später ausdrücklich die Aegypter als qualifiziert zur Aufnahme in die israelitische Gemeinde bezeichnet werden, obwohl die Tradition, nicht ganz korrekt, voraussetzt, daß die Erzväter in ihrer Eigenschaft als Viehzüchter in Aegypten als »unrein« gegolten hätten204. Die palästinischen Ausgrabungen haben, wie schon erwähnt, massenhafte Skarabäen, die für Aegypten »ebenso charakteristisch sind wie das Kreuz für das Christentum« (wie Erman sich ausdrückt) zutage gefördert. – Angesichts alles dessen ist es nun eine der auffälligsten Tatsachen: daß in der gesamten Tradition diese ägyptische Herrschaft absolut totgeschwiegen wird und daß spezifisch ägyptische Einschläge gerade in den älteren Grundlagen der israelitischen Religiosität so gut wie ganz fehlen, während später solche, wie wir sehen werden, vielleicht sich geltend machten. Jenes Schweigen hat Eduard Meyer nur mit der Jugend der israelitischen Tradition erklären zu können geglaubt. Allein diese bewahrt sonst gelegentlich Züge von hohem Alter auf, wie z.B. die verschollenen Beziehungen nach Mesopotamien hin. Das Schweigen über die politische Herrschaft ist wohl dadurch zu erklären, daß vom Standpunkt schon der Chabiru und der Sa Gaz in der Amarnazeit die Herrschaft des Pharao gar nicht praktisch in die Erscheinung trat, da sie ja lediglich mit seinen Vasallenfürsten zu tun hatten. Die wenigen Razzias abgerechnet, war dies später erst recht so. Die sonstige Fremdheit aber gegenüber der ägyptischen Kultur erklärt sich ausschließlich, aber auch ausreichend, aus ganz bewußter Ablehnung durch die Träger des Jahwismus. Abgelehnt wurde der ägyptische Fronstaat, dessen entscheidende Züge ja gerade das waren, dessen Uebernahme durch das einheimische Königtum den entmilitarisierten Schichten am tiefsten verhaßt war. Abgelehnt wurde ebenso der charakteristischste Teil der ägyptischen Frömmigkeit: der Totenkult. Neben der radikalen Diesseitigkeit des alten Bundeskriegsgotts mit seiner rein innerweltlichen Orientiertheit war dafür, wie wir sahen, der Umstand[213] maßgebend, daß Jahwe zwar zu verschiedenen Zeiten verschiedenartige Züge vereinigte, aber jedenfalls niemals ein chthonischer Gott gewesen war, sondern zu diesen Gottheiten und der spezifischen Art ihrer Kulte stets im schärfsten Gegensatz stand. Dazu trat nun, daß das Verständnis der ägyptischen Sakralschrift und die ägyptische Priesterbildung überhaupt Fremden unzugänglich war. Die ägyptischen Weisheitslehrer (Ptahotep) empfehlen zwar, wie das Deuteronomium, den Volksunterricht, aber ausdrücklich mit Ausschluß der eigentlich priesterlichen Geheimlehre, von der die israelitischen Lehrer denn auch weder etwas wußten, noch vermutlich etwas hätten wissen wollen. Ebenso stand es auf ägyptischer Seite. Besiegte Feinde mußten, wie überall, den siegreichen Göttern Aegyptens Ehre erweisen. Aber dadurch wurden sie nicht Aegypter. Tempel ägyptischer Götter gab es nach den Inschriften in Syrien, und unter den Ramessiden auch solche syrischer Götter in Aegypten. Aber an dem grundlegenden, durch die soziale Eigenart der ägyptischen Schreiberkultur fest gegebenen Verhältnis änderte das nichts. Eine Eingliederung in die ägyptische Erziehung und Weisheit war nur für den Einzelnen als Einzelner möglich und bedeutete ein völliges Aufgeben der eigenen geistigen Selbständigkeit. Sie wäre für das Volksganze überdies von der Annahme der verhaßten Schreiberbureaukratie untrennbar gewesen. Auch wurde der ägyptische Tierdienst, den die Priester in Aegypten erst ziemlich spät und im Interesse der hierokratischen Beherrschung der Massen systematisiert hatten, von der jahwistischen Religiosität, nach der nur einmaligen Erwähnung bei Hesekiel (8, 10) zu schließen, als ein besonders würdeloser Greuel verworfen. Er entsprach den Beziehungen freier Viehzüchter zu ihrem Vieh in keiner Art und war auch der überkommenen Eigenart Jahwes besonders fremd. Diese Ablehnung aller entscheidenden Züge der ägyptischen Kultur beweist uns nun immerhin das eine: daß wir das Vorhandensein selbständiger und bewußter geistiger Träger der Jahwereligion in Palästina und ebenso in den Oasen von Edom und Midian, wie sie die Tradition bezeugt, als eine historische Tatsache vorauszusetzen haben. Denn während sowohl lybische wie asiatische Beduinen gleichmäßig in fortwährendem Verkehr mit Aegypten standen. Palästina aber lange Zeit von Aegypten aus direkt[214] beherrscht wurde, haben zwar die ersteren205, nicht aber die letzteren, jedenfalls nicht die Jahweverehrer unter ihnen, irgendwelche Züge der ägyptischen Religion übernommen. Die eigentliche Priesterlehre und vollends die schon im dritten Jahrtausend entwickelte spekulative Theologie der Aegypter – ursprünglich eine höchst naturalistische, später eine pantheistische Spekulation206 – blieben denn auch den levitischen Jahwisten gänzlich fremd. Dagegen in der volkstümlichen Frömmigkeit und religiösen Ethik werden wir weiterhin erhebliche Verwandtschaftsspuren finden.

Verwickelter ist die Beziehung zur mesopotamischen Geisteskultur. Einst, in der Amarnazeit, hatte die Keilschrift und die babylonische Diplomaten- und Handelssprache ganz Vorderasien beherrscht und wurde von gebildeten Aegyptern verstanden. Die Vorstellung von den Sternengeistern und ihrem Eingreifen in irdische Geschehnisse war, wie das Deboralied lehrt, auch in Israel heimisch. Und sogar der Schreibergott Nebo hatte anscheinend eine Kultstätte, und zahlreiche Einzelheiten aller Art sprechen von alten geistigen Gemeinsamkeiten und Rezeptionen. Vor allem waren Maß und Gewicht, auch Münzgewicht, ferner aber das Recht und wichtige Teile der kosmogonischen Mythen gemeinsam. Die Enge der Beziehung scheint sich freilich verschoben zu haben, als die in der homerischen Zeit bestehende Handelssuprematie der Phöniker aufkam. Die alten in den ägyptischen Inschriften auftauchenden Seehandels-, Seeräuber- und Reisläufervölker des Mittelmeers traten damals, wenigstens relativ, zugunsten der phönikischen Meerbeherrschung zurück: große Völkerwanderungen waren dabei mitbeteiligt. Die phönikische Buchstabenschrift verdrängte damals in Palästina die Keilschrift, und die Bedeutung der babylonischen Sprache nahm langsam zugunsten der aramäischen ab. Winckler stellt zwar fest daß noch im 9. und selbst bis in das 7. Jahrhundert die babylonische Sprache in Syrien gut gekannt worden ist. Ihre endgültige Bedeutung als universelle Diplomatensprache Vorderasiens hat die aramäische Sprache erst in der Perserzeit erlangt. Immerhin trat Babylon für längere Zeit in den Hintergrund. Phönikische Königshandwerker arbeiteten an Salomos[215] Tempel. Phönikische Sklavenhändler begleiteten die israelitischen Heere zur Verwertung der Gefangenen. Die Kulte der phönikischen Baale, des Moloch und der Astarte wanderten ein. Die Kosmogonien, die in Palästina umliefen, trugen, nach Ansicht der Fachleute, wesentlich phönikisches Gepräge. Einzelne israelitische Stämme gerieten in phönikische Botmäßigkeit, andere schickten Arbeitskräfte in phönikische Häfen. Königsnebijim phönikischer Art wurden in Nordisrael gehalten.

Die phönikischen Kulte hat erst Elia und die Revolution Jehus vernichtet. Die alten ekstatischen Nebijim wurden von den Puritanern verworfen. Die phönikischen Menschenopfer und die gnostisch raffinierten onanistischen Molochopfer verpönten die Verbote des Deuteronomium und des Heiligkeitsgesetzes.

Mit dem Neuaufstieg der mesopotamischen Großmächte steigerte sich deren Einfluß wieder. Zeitweise ist in Jerusalem von den tributär gewordenen Königen (namentlich Manasse) das babylonische Himmelsheer: die Gestirne also, angebetet worden. Mesopotamien galt in den umlaufenden Paradies- und Sintfluterzählungen seit alters und auch jetzt wieder als Mittelpunkt der Welt, die großen Terassentempel dort waren als Versuche, dem Himmelsgott nahezukommen, bekannt. Die Einzelheiten interessieren hier nicht. Denn die Hauptsache steht fest: eine Rezeption der Priesterweisheit fand nicht statt. Schon die babylonische (sumerische) Sakralsprache vieler wichtiger Stücke schloß eine unmittelbare Uebernahme dieser durch die israelitischen Priester aus. Wir wissen aber überhaupt gar nichts davon, daß man in Palästina jemals Bestandteile der babylonischen heiligen Literatur zu Kultzwecken benutzt hätte. Erst viel später, in der Zeit der Abfassung der Psalmen, zeigen sich Anklänge an einzelne Hymnendichtungen Babyloniens. Vor allem: gerade die für die Gestaltung der Religion entscheidenden kultischen und theologischen Grundlagen der phönikischen sowohl wie der babylonischen Religion wurden von der jahwistischen Religiosität nicht nur nicht übernommen, sondern ganz bewußt abgelehnt. Insbesondere wurden der babylonische Gestirndienst und die Astrologie nicht rezipiert, also der Grundpfeiler dessen, was man neuerdings (A. Jeremias) als »babylonische Weltanschauung« bezeichnet hat. Man kannte oder verstand die eigentliche Geheimlehre der babylonischen Priester vom Makrokosmos und Mikrokosmos in Palästina vermutlich ebensowenig wie die[216] der ägyptischen, mögen auch Spekulationen und Manipulationen mit heiligen Zahlen und Weltperioden in noch so viel Einzelheiten eine Rolle in der jetzt vorliegenden Redaktion der Ueberlieferung spielen, übrigens vielleicht erst infolge exilischer und nachexilischer Ueberarbeitung.

Gerade eine Grundlehre: den astrologischen Determinismus, hat man aber ersichtlich recht gut verstanden und eben deshalb ganz bewußt abgelehnt. Denn was sollte die levitische Thora oder das Orakel der Propheten nutzen, wenn das Schicksal des Einzelnen in den Sternen geschrieben stand? Mit ihren seelsorgerischen und auch mit ihren Machtinteressen war dieser Determinismus, der nur für die Gnosis von Erlösungskonventikeln Raum ließ, ganz und gar unvereinbar. Man verwarf also diese Lehren, welche dem massiv politischen jahwistischen Gottesbegriff widerstrebten. Schon Jesaja (24, 23) und ebenso Jeremia (10, 2), von dem man eine besonders nahe Beziehung zur babylonischen Priesterschaft voraussetzen müßte, versichern Israel, daß vor Jahwes Macht die Gewalt der Sterne dahinschwinden werde. In der Exilszeit verhöhnt, in Babylon selbst, Deuterojesaja nicht nur die babylonischen Magier im allgemeinen, sondern vor allem auch (47, 13) ihre astronomische Wissenschaft und Astrologie. Auch in nachexilischer und rabbinischer Zeit bestand der Satz: In Israel gelten keine Planeten. Nicht, daß der Einfluß der Gestirne auf die Vorgänge der Erde bezweifelt worden wäre. Das tun auch die Propheten nicht. Ebensowenig wie die Priester die Realität der Totenorakel und also der damit verbundenen Jenseitsvorstellungen bezweifelten. Im Exil hat man offenbar gelegentlich babylonische Astrologen konsultiert, und noch ein Rabbine wird im Privatberuf als Astrologe bezeichnet. Der astrologische Glaube an sich bestand ja über die ganze Erde hin, von China bis Rom und in die occidentale Neuzeit. Man glaubte an die Sterne auch in Israel. Aber das Entscheidende war: Wie in China noch in den letzten Jahrzehnten eine Eingabe des Hanlinpräsidenten den regierenden Kaiserinnen vorhielt: nicht die Gestirnkonstellation, sondern die (konfuzianische) Tugend des Herrschers bestimme die Geschicke des Landes, und wie in Indien Karman das Schicksal einschließlich des Horoskops bestimmt, so sind auch in Israel nicht die Sternengeister die Herren der Menschenschicksale. In rabbinischer Zeit drückte sich das in dem charakteristischen Glauben aus,[217] den der Talmud ausspricht: daß zwar alle anderen Völker der astrologischen Heimarmene verknechtet seien, Israel aber, kraft seiner Erwählung durch seinen Gott, nicht. In vorexilischer Zeit waren die Sternengeister die Zebah und wie alle Zebaoth Diener des Gottes Israels. Er allein war der Lenker aller Geschicke: darauf kam es an und das schloß gerade die entscheidenden Grundlagen der babylonischen Bildung von der Uebernahme aus. In der Exilszeit finden wir demgemäß in Babylon die Juden zwar in allen möglichen zum Teil sehr angesehenen Lebensstellungen, aber mit der charakteristischen Ausnahme des Schreiberberufs. Das konnte keinerlei sprachliche Gründe haben, denn die aramäische Volkssprache hatten die Israeliten gelernt, und die Aneignung der offiziellen babylonischen Sprache würde ihnen keine Schwierigkeiten gemacht haben. Wir finden ja auch in der späteren Tradition vorausgesetzt, daß Juden in allerhand Hofämtern und als Eunuchen der babylonischen Könige und ihrer Nachfahren, der Perserkönige, zu Einfluß gelangten. Der Ausschluß vom Schreiberberuf hatte also zweifellos andere und zwar vermutlich kultische Gründe: die Unmöglichkeit, diese durch Priester vermittelte Bildung sich ohne Verstoß gegen die Gebote der jahwistischen Religiosität anzueignen. Verwandt blieb die israelitische der babylonischen und ebenso der phönikischen offiziellen Religiosität im Gegensatz zur ägyptischen in einem wichtigen Punkt: der Ignorierung des Jenseits und der sich daran anknüpfenden Spekulationen. Aber die spezifisch babylonischen Gotteskonzeptionen: der Synkretismus, das Götter-Pantheon, die henotheistische Absorption von Göttergestalten durch die jeweils als Hauptgott angesehene Gestalt als deren »Erscheinungsformen«, die immer wieder überragende Stellung des Sonnengotts blieben der israelitischen Gotteskonzeption ebenso fremd wie die andersartigen, aber im Resultat vielfach ähnlichen ägyptischen Konzeptionen. Wo sich in Babylonien »monotheistische« Tendenzen zeigen, sind sie wesentlich entweder solar oder politisch-dynastisch bedingt, meist aber beides, ähnlich wie es die Reform des Echnaton in Aegypten war. Jahwe aber war nun einmal weder ein Sonnengott noch ein Gott der Dynastie, sondern ein eidgenössischer Bundesgott. Die in Babylonien starke Tendenz ferner, von den chthonischen und Vegetationskulten aus die Götter des den Menschen, Tieren, Pflanzen gemeinsamen Lebens und der Fruchtbarkeit zu Nothelfergottheiten,[218] insbesondere Istar zur barmherzigen Fürsprecherin zu machen, mußte dem Jahwismus fremd bleiben. Jahwe selbst und allein ist der Heiland. Nergal, der ähnlich wie ursprünglich Jahwe ein Gott gewisser furchtbarer Volksgeißeln, vor allem auch der Seuchen war, stand ihm als Gott des Totenreichs fremd gegenüber und die in theophoren Eigennamen auch in Kanaan hervortretende Verehrung Adads, der als Gott des Sturms und Kriegs mit Jahwe Verwandtschaft zeigte, hat auf dessen Konzeption keinen ersichtlichen Einfluß ausgeübt. Eine den babylonischen Priestern gleichartige Bildungsschicht gab es in Israel, eine den israelitischen Thoralehrern gleichartige Bildungsschicht gab es in Babylonien nicht. Die unter allen Umständen, bei noch so vielen Einzelanklängen, feststehende Ablehnung gerade der imponierendsten Produkte der babylonischen Gestirnkunde zeigt wiederum deutlich die große Selbständigkeit der intellektuellen Kultur in Palästina gegenüber den Nachbarländern.

Wir haben uns also sehr zu hüten, uns Palästina als ein zu irgendeiner historischen Zeit von eigenen Bildungsschichten entblößtes Gebiet vorzustellen, in welchem nur barbarische Magie und ganz primitive religiöse Vorstellungen geherrscht hätten. In einem Briefe eines Kanaanäers aus etwa dem 15. Jahrhundert an einen Fürsten wird die Gnade des Herrn der Götter für diesen gewärtigt, denn er, der Fürst, sei ein »Bruder«, welcher »Liebe« im Herzen trage, also doch wohl: ein Glaubensgenosse. Und der Absender fährt fast im Missionarstil fort, die Bedeutung der Gnade dessen, der »über seinem Haupt« und auch »über den Städten« sei, für den Erfolg des Königs zu betonen. Derartige Konzeptionen lagen den Hirten und Bauern des altisraelitischen Heerbanns gewiß fern. Aber für die bedeutenderen Städte sprechen alle Anzeichen gegen die Annahme ihres völligen Schwindens. Um so erfolgreich, wie es geschah, die religiösen Konzeptionen großer Kulturgebiete, deren Einfluß in allen anderen Sphären ganz offensichtlich ist, ablehnen und eigene, davon charakteristisch abweichende Konzeptionen schaffen zu können, mußte eine eigene Bildungsschicht vorhanden sein, welche die in der Umwelt vorhandenen alten Orakel und Verheißungen selbständig aufnahm und rational verarbeitete. Das konnten weder die ekstatischen Nebijim, deren Schulüberlieferung nur Mirakelerzählungen von der Art der Elisageschichten produzierte, noch die höfischen[219] Kreise, welche jene verachteten, noch endlich die Hirten und Bauern und ihre Kriegspropheten sein. Zwar hat man kernen Grund, sich das israelitische Landvolk als besonders »stumpf« vorzustellen, wie gelegentlich207 geschieht. »Stumpf« wird der Bauer überall erst, wo er in einen ihm fremdartig gegenüberstehenden bürokratischen oder leiturgischen Großstaatmechanismus eingespannt oder grundherrlicher Verknechtung preisgegeben ist, wie in Aegypten, Mesopotamien, den hellenistischen und dem spätrömischen Staatswesen. Im Gegensatz dazu war der vorexilische israelitische Plebejer zuerst wirklich, später seiner Erinnerung und seinem Anspruch nach, ein freier wehrhafter Eidgenosse, der die Ritterschaft der Kulturgebiete besiegt hatte. Aus sich selbst hätte er freilich die rationalen Konzeptionen der alttestamentlichen Schriften nie zu schaffen vermocht. Das mußten andere für ihn tun. Aber für die meisten von ihnen war er aufnahmefähig. Und gerade in dem Aufeinanderwirken einer begeisterten Intellektuellenschicht mit diesem Publikum von Schichten, welche durch die Entwicklung der Königszeit entmilitarisiert und sozial deklassiert waren, liegt eines der Geheimnisse der Entfaltung des Jahwismus. Kaum je sind ganz neue religiöse Konzeptionen in den jeweiligen Mittelpunkten rationaler Kulturen entstanden. Nicht in Babylon, Athen, Alexandria, Rom, Paris, London, Köln, Hamburg, Wien, sondern in dem Jerusalem der vorexilischen, dem Galiläa der spätjüdischen Zeit, in der spätrömischen Provinz Afrika, in Assisi, in Wittenberg, Zürich, Genf und in den Außengebieten der holländisch-niederdeutschen und englischen Kulturzonen, wie Friesland und Neu-England, sind rationale prophetische oder reformatorische Neubildungen zuerst konzipiert worden. Aber freilich nie ohne den Einfluß und Eindruck einer benachbarten rationalen Kultur. Der Grund ist überall ein und derselbe: um neue Konzeptionen religiöser Art zu ermöglichen, darf der Mensch noch nicht verlernt haben, mit eigenen Fragen den Geschehnissen der Welt gegenüberzutreten. Dazu hat gerade der abseits von den großen Kulturzentren lebende Mensch dann Anlaß, wenn der Einfluß jener ihn in seinen zentralen Interessen zu berühren oder zu bedrohen beginnt. Der einmal inmitten kulturgesättigter Gebiete lebende, in ihre Technik verflochtene Mensch stellt solche Fragen ebensowenig an die Umwelt, wie[220] etwa das Kind, welches täglich auf der elektrischen Bahn zu fahren gewohnt ist, von selbst auf die Frage verfallen würde: wie diese es eigentlich anfängt, in Bewegung gesetzt werden zu können. Die Fähigkeit des Erstaunens über den Gang der Welt ist Voraussetzung der Möglichkeit des Fragens nach ihrem Sinn. Jene Erlebnisse nun, welche die Israeliten vor dem Exil gemeinsam hatten und die ihnen Anlaß zu solchen Fragestellungen gaben, waren: die großen Befreiungskriege und die Entstehung des Königtums, die Entstehung des Fronstaats und der stadtsässigen Kultur, die Bedrohung durch die Großmächte, namentlich aber: der Zusammenbruch des Nordreichs und das jedermann sichtbar vor Augen stehende gleiche Schicksal des Südreichs als des letzten Restes unvergessener Herrlichkeit. Dann das Exil. Die Freiheitskriege schufen das Prestige Jahwes als Kriegsgott. Die soziale Deklassierung und Entmilitarisierung der Träger des alten Jahweheerbanns schufen die jahwistische Geschichtslegende. Die ganz großen Fragen der Theodizee aber warf erst der drohende Zusammenbruch des Reiches auf.

Der zweiten Epoche gehört nun offenbar im wesentlichen jene geistige Arbeit an, welche die beiden großen später zusammengearbeiteten Redaktionen des Hexateuch schuf, Erzeugnisse zweier religiöser Literatengruppen, die heute nach der Art des verwendeten Gottesnamens als »jahwistische« und »elohistische« unterschieden zu werden pflegen208. Diese Sammler und Schriftsteller standen augenscheinlich selbständig neben den ursprünglichen Bearbeitern der rein historischen Traditionen und Legenden in den Richter- und Königsbüchern. Denn alle Versuche, die Scheidung der beiden Schulen auch in diesen Schriftwerken durchzuführen, scheinen mißglückt zu sein. Der Bildungsgrad beider Sammler oder Sammlerschulen muß als erheblich gelten, weil sie zahlreiche Namenetymologien und ätiologische Erzählungen bringen, welche entschieden geistreich und meist keinesfalls volkstümlichen Ursprungs sind. Der letzten Epoche gehört die Jerusalemiter deuteronomische Schule an, der Exilszeit und[221] teilweise der Zeit nachher die im engeren Sinn priesterliche Ergänzung und Ueberarbeitung der vorhergehenden Epochen, wenn auch deren Anfänge in die Zeit vor dem Exil zurückreichen werden.

Die jahwistische und die elohistische209 Sammlung stehen noch nicht unter dem schweren Theodizeeproblem, welches durch den Niedergang der nationalen Staatswesen aufgeworfen werden mußte. Ihr Monotheismus ist »naiver« Monotheismus. Ebenso fehlt ihnen noch die Kenntnis des Kampfs der aufsteigenden Priestergewalt mit der prophetischen, gegen den Opferdienst indifferenten Bewegung. Ebenso wissen sie noch nichts von dem späteren Abscheu gegen die alten ländlichen Kultstätten und gegen die Kultparamente und Bilder. Dagegen sind diese Sammlungen, von denen die eine bis in Salomos Zeit, die andere bis mindestens ins 8. Jahrhundert hinaufreichen, beeinflußt von der sozialen Problematik, welche das Königtum hervorgebracht hat. Daher bilden in beiden die Erzväterlegenden – mit denen der Elohist überhaupt erst beginnt – einen wichtigen Teil der Darstellung und beide befassen sich dann ausführlich mit dem Auszug aus Aegypten und der Eroberung Kanaans unter Mose und Josua, mit den kultischen, sittlichen und rechtlichen Geboten, welche Jahwe damals dem Volk auferlegt hat. An Alter des Materials dürfte, wie in den Segensammlungen, bald die eine bald die andere in frühere Zeiten hinaufreichen. Ob das Bundesbuch und der ethische Dekalog einen ursprünglichen Bestandteil der elohistischen Sammlung, der kultische Dekalog der jahwistischen Sammlung gebildet haben, ist in keiner Art sicher, auch für die Charakteristik sachlich nicht wichtig. Denn beide Sammler wirken durch die Art ihrer Erzählung an sich ethisch paradigmatisch und bezwecken dies auch, so wenig es ihnen gelungen ist, die oft recht unethischen Bestandteile der alten Sagen auszumerzen. Für die Zeit seit Abraham haben beide Sammlungen annähernd das gleiche Material verwendet. Einen eigentlichen Gegensatz der »Tendenz« zwischen ihnen zu konstruieren wäre[222] irreführend. Beide verklären, der Stimmung ihres Publikums entsprechend, die Zeit der Entstehung des Volks. Ebenso läßt sich eine größere »Volkstümlichkeit« von keiner von beiden oder wenn man will bald von dieser bald von jener behaupten. Schwerlich absichtslos lassen sie beide die damals volkstümlichen Verheißungen: – Israel zum großen Volk zu machen, seine Freunde zu segnen, die Feinde zu verfluchen und einen Namen zu hinterlassen, mit dem sich noch in später Zeit alle anderen Geschlechter der Welt segnen werden, – nicht etwa einem König oder dessen Ahnen, sondern den alten legendären Stammvätern des Volks gegeben sein. Vielleicht ist diese Auffassung der alten Legendenhelden als Stammväter Gesamt-Israels eine der Leistungen dieser Schriftsteller. Die ihnen gegebenen Verheißungen aber sind bei ihnen noch unbedingte, an keine Leistung geknüpfte Zusagen der Freundschaft des Gottes für Israel durch Dick und Dünn, was der späteren prophetischen Anschauung ganz ebenso stracks zuwiderlief, wie dies die Heilsprophetien der Königsnebijim taten. Ferner spielt die Verklärung des Mose weder in der politischen noch in der hymnischen noch in der prophetischen Literatur, noch natürlich in der späteren priesterlichen Redaktion welche ihm nach Möglichkeit den Priester Aaron unterschob, eine solche Rolle wie bei ihnen. Und doch erweisen das Deboralied und die später in das Deuteronomium eingefügte Segensspruchsammlung sein volkstümliches Prestige als unbedingt und alt, nicht erst nachträglich konstruiert. Alte populäre, dem Königtum schwerlich bequeme, Traditionen setzten also diese Sammler fort. Und zwar jede von beiden Schulen in einer etwas abweichenden Art. Beiden sind die Erzväter friedliche Hirten. Aber die elohistische Sammlung betont stärker ihre Stellung als gerim der ansässigen mit ihnen durch berith verbrüderten Bevölkerung, während anderseits die offenbar stärker levitisch beeinflußte jahwistische Erzählung (in der Geschichte von Isaaks Brautwerbung) bereits die Abneigung gegen die Mischehen mit den Kanaanäern kennt. Daß die Ackerarbeit Folge eines göttlichen Fluchs sei, ist wesentlich die Ansicht des Jahwisten. Ihm ist das Paradies ein bewässerter und bepflanzter Fruchtgarten nach Art einer Steppenoase. Der Elohist, der den Mosessegen aufgenommen hat, scheint etwas von einem Anspruch des Stammes Joseph auf die Königswürde zu wissen, während beim Jahwisten im Jakobsegen Juda statt Ruben und Joseph[223] Träger der Verheißung ist. Diese und ähnliche spezifische Züge machen die von namhaften Forschern vertretene Annahme wahrscheinlich, daß im ganzen die elohistische Redaktion mehr nördlich, die jahwistische mehr südlich beeinflußt ist, während dem Alter nach bald die eine bald die andere, im großen Durchschnitt wohl eher die jahwistische Sammlung als die etwas ältere gelten darf. Auch daß der Elohist den Abraham und überhaupt alle religiösen Heroen als Nebijim, die Helden aus Joseph als Nasiräer aufzufassen geneigt ist, zeugt für seine im ganzen nördliche Herkunft. Ebenso, daß in der elohistischen Redaktion die Einsetzung der Aeltesten in Israel ätiologisch begründet wird, während für die jahwistische Mose, also: die levitischen Priester, die Rechtsfinder sind, wie es im Süden vermutlich mindestens dem Anspruch nach weitgehend der Fall war. Puritanische Einflüsse sind beim Jahwisten leicht zu finden. Wenn in der jahwistischen Sündenfallerzählung die Schlange eine so hervorragende Rolle spielt, so dürfen wir uns erinnern, daß den ägyptischen Magiern in der Auszugserzählung ähnliche Stäbe zugeschrieben werden wie der mosaische Schlangenstab im Tempel von Jerusalem und daß dieser Schlangenstab des Mose von der elohistischen Redaktion der Wüstengeschichte mit magischer Therapie in Zusammenhang gebracht wird. Hat es also je, wie teilweise angenommen wird, einen Schlangenkult und levitische »Medizinmänner« gegeben, so dürfte die schroffe Ablehnung durch die jahwistische puritanische Tradition, welche unter Hiskia zur Zertrümmerung des Idols führte, sich hier darin äußern, daß nun gerade die Schlange und ihre an sich unbezweifelte Weisheit als Quelle alles Bösen hingestellt wurde. Ob dabei, wie teilweise angenommen wird, auch die häufige Qualität der Schlange als Gottestier für das Totenreich mitspielte scheint nicht sicher auszumachen.

Der Unterschied der Provenienz scheint sich auch in der Behandlung der Gotteskonzeption auszudrücken. Zwar für beide Sammlungen stand als Ausgangspunkt absolut fest die Qualität des Gottes als eines persönlichen die Geschicke der Menschen in der Welt durch sein Eingreifen bestimmenden, aber mit Israel seit Mose durch berith und Eidschwur verbundenen und dessen Satzungen garantierenden Herrn. Daran war nicht zu rütteln. Der Jahwe des Mose und der alten Kriegspropheten war eben niemals jener ganz primitive Unhold, zu dem man ihn[224] im Interesse einer geradlinigen Entwicklung gelegentlich hat stempeln wollen. Andererseits konnte er nicht zu einer unpersönlichen Weltpotenz verflüchtigt werden wie in China und Indien. Gewisse universalistische Züge trägt er, aus den fruher erörterten Gründen, bei beiden Sammlern. Nur in verschiedener Art. Die jahwistische Auffassung stellt ihn, wie man oft bemerkt hat, in zuweilen sehr drastisch anthropomorpher Form dar. Von den grandiosen aber abstrakten Konstruktionen der Exilspriester, wonach Jahwes über dem Chaos brütender Geist durch ein Zauberwort das Licht aufblitzen läßt und dann weiter Tag für Tag durch sein bloßes Gebot eins nach dem andern aus dem Nichts entsteht (Gen. 1), ist keine Rede. Jahwe hat (Gen. 2) auf der bis dahin wüsten und dürren Erde zuerst Wasser quellen lassen, dann den Menschen aus Erde geformt, durch Einblasen seines Odems belebt und dann erst Pflanzen und Tiere entstehen lassen. Diese stellt er nun dem Menschen vor und überläßt ihm das nach Auffassung seiner Zeit und (ägyptischen) Umwelt höchst wichtige Geschäft: sie zu benennen. Es will ihm zuerst nicht gelingen, eine dem Menschen zusagende Gesellschaft für diesen zu bieten, bis er aus einer Rippe das Weib erschafft, welches der Mensch sofort als seines Wesens erkennt. In der Abendkühle spaziert dieser Gott in seinem Garten Eden, in den er auch den Menschen hineinsetzt, wie ein Schêch einer Oase. Er verhört ihn persönlich, als er verbotswidrig an seine Bäume gegangen ist und jagt ihn zur Strafe mit einem Fluch hinaus. Er muß aber dabei den Menschen, der sich versteckt hat, erst suchen und rufen. Ebenso muß er, um den Riesenbau in Babylon zu sehen, erst dorthin niederfahren. Hat er etwas zu befehlen oder zu verheißen, so erscheint er den Menschen persönlich. Noch den Mose hat er, im Widerspruch mit der späteren Tradition, sein Angesicht wirklich schauen lassen, auch mit den Aeltesten Israels zusammen auf dem Sinai getafelt. Es ist also ein Gott der leibhaftigen Epiphanien, ganz und gar nach menschlichen Motiven handelnd, aber doch ein Gott, der die ganze Erde gemacht hat und auch in Babylon, dem Mittelpunkt der Welt, seine Macht äußert.

Diese anthropomorphe Leibhaftigkeit nun war der elohistischen, bei aller Volkstümlichkeit darin doch weit mehr unter den alten im Norden stärker gebliebenen Kultureinflüssen stehenden Auffassung offenbar peinlich. Ihr ist der Gott Israels[225] der höchste Himmelsgott, der nicht auf Erden unter den Menschen wandelt. Sie läßt in der jetzigen Redaktion diese Urgeschichte ganz beiseite und beginnt mit den Erzväterlegenden, wobei dahingestellt bleiben muß, ob dies ursprünglich so war oder ob vielleicht die spätere Zusammenarbeitung hier elohistische Auffassungen nicht übernehmen wollte, welche mit der Gottesvorstellung ihrer Zeit sich nicht mehr vertrugen. Jedenfalls läßt die elohistische Redaktion die göttlichen Befehle und Verheißungen mit Vorliebe entweder im Traum, oder durch einen Ruf vom Himmel oder endlich durch einen Boten (malak) oder Engel des Gottes erfolgen. Vereinzelt (Gen. 15, 6) kommt dies auch beim Jahwisten vor. Die Konzeption der Gottesboten ist alt. Das nordisraelitische Deboralied kennt ihn bei der Verfluchung von Meros. Der Elohist verwandelt aber alle überlieferten Theophanien in ein Auftreten solcher Mittelwesen. Das ist ein offenbares Theologumenon. Ihm traten in den späteren Redaktionen der Sammlungen andere, an sich vielleicht alten Vorstellungen entnommen, zur Seite. So die unpersönliche »Herrlichkeit« (kabod) des Gottes. Sie wird namentlich dazu benutzt, die bei der seßhaften, namentlich der stadtsässigen, Bevölkerung übliche Vorstellung von der Lokalisierung des Gottes am Kultort, namentlich im Tempel, mit der Konzeption des fernen großen Himmelsgotts zu versöhnen. Nicht er selbst, sondern seine kabod hat sich in Gestalt einer strahlenden Wolke an der Kultstätte niedergelassen (Ex. 40, 34 f.). Oder es stellt sich eine andere unpersönliche Macht, das »Antlitz« (phanim), das »Wort« (dabar), der »Geist« (ruach), besonders oft aber nach ägyptischer Art der »Name« (scham) Gottes als wirkend ein. Die schwerlich feststellbare Herkunft all dieser Theologumena soll uns hier nicht interessieren, nur von dem zuletzt genannten ist bald noch näher zu reden.

Solchen Spiritualisierungstendenzen kamen nun die alten Erzväterlegenden insofern entgegen, als in ihnen wie in allen solchen theologisch nicht verarbeiteten volkstümlichen Erzählungen vornehmlich die Menschen handelten, und nicht, wie in der jahwistischen Urgeschichte, der Gott. Zwar einige besonders alte, weil ursprünglich polytheistische, Epiphanien mußten beibehalten werden. Aber der Erzvätergott wurde im allgemeinen ein Gott mit geheimnisvollen Zügen, den man nur indirekt, in allerhand Fügungen des Schicksals, erkennt. Ein erbaulicher,[226] zuweilen rührsamer Zug, wie ihn namentlich die künstlerisch ausgeführte religiöse Novellistik zu erzeugen pflegt, tritt öfter, am deutlichsten in der Josephgeschichte und in der Erzählung von der Opferung Isaaks hervor. Diese Art der Pragmatik war Quelle desjenigen Rationalismus, der zum Vorsehungsglauben führte. Andererseits zeigen jene Theologumena doch auch eine gewisse Neigung zur Entwicklung unpersönlicher göttlicher Potenzen: Vorstellungen, welche gerade mit der orgiastisch-ekstatischen Eigenart der nordisraelitischen Gottbesessenheit ebenso wie überall sonst in innerer Verwandtschaft standen.

Aber eben diese theologische Tendenz wurde später offenbar bewußt wieder verlassen. Nur jenes der steigenden Majestät des Gottes dienliche und die allzugrob anthropomorphen Theophanien vermeidende, alte Theologumenon vom Gottesboten ist dauernd beibehalten, die andern vor dem Exil nur rudimentär entwickelt. Der Grund war offenbar rein praktisch. Die levitische Priesterthora: die Beratung der von Mißgeschick, also von Gottes Zorn, Verfolgten hatte an Bedeutung gewonnen und der Kampf der puritanischen Jahwisten des Südens gegen die orgiastische Gottesgemeinschaft und Gottbesessenheit des Nordens eingesetzt. Das Interesse an rationaler Belehrung über die Absichten und Befehle des Gottes, über kultische und ethische Sünden vor allem und die Abwehr von deren Folgen, hatte sich entwickelt und dies Theodizee-Bedürfnis mußte um so mehr an Bedeutung steigen, je bedenklicher sich die politische Lage des Volkes gestaltete. Diesem plebejischen Bedürfnisse aber kam der leibhaftige massive, dereinst mit den Menschen persönlich verhandelnde Gott der jahwistischen Redaktion weit besser entgegen als die sublimiertere Auffassung der elohistischen Schule. Man bedurfte der verständlichen Motivierung der göttlichen Ratschlüsse und dazu der Möglichkeit, sich auf persönliche leibhaftige Aeußerurgen von ihm zu berufen. Die vorexilischen Propheten erhalten ihre Befehle und Orakel nicht durch Boten, sondern unmittelbar, obwohl sie im übrigen durch die elohistische Auffassung oft ganz offensichtlich besonders stark beeinflußt sind: – Folge des nordisraelitischen Schauplatzes des ersten, stark nachwirkenden, Auftretens der Prophetie. Bei der Zusammenarbeitung der alten Sammlungen durch die, nach Wellhausens Vorgang, heute meist als »jehovistisch« bezeichnete Redaktion tritt deshalb der[227] alte Gott der Väter und des Bundes wieder sehr oft persönlich auf. Und nunmehr, dem rationalen Bedürfnis der Intellektuellen entsprechend, vor allem: redend (Gen. 13, 14 f.) oder mit seinen Propheten argumentierend. Oder es werden geradezu seine internen Erwägungen wörtlich vorgeführt (Gen. 16, 17 f.). Dafür bot schon die ältere jahwistische Darstellung jener Ueberlegungen, welche Jahwe zur Bestrafung des Sündenfalls und zur Zerstörung des babylonischen Terrassenturms veranlaßt hatten, das Vorbild. Aber die Art der Motive ändert sich. In der primitiven Vorstellung, die noch bei dem Jahwisten nachwirkt, waren wie in allen alten Mythen egoistische Interessen, vor allem die Eifersucht des Gottes gegen die ihn bedrohende Hybris: die zunehmende Weisheit und Macht der Menschen, für seine Entschlüsse maßgebend. In den späteren Redaktionen dagegen ist wohlwollende Fürsorge für die Menschen das entscheidende Motiv. In der Schlußredaktion der Erzählung vom Wüstenzug erwägt z.B. der Gott die verschiedenen Möglichkeiten des Verhaltens der Israeliten, zu deren Standhaftigkeit er geringes Zutrauen hat, je nach dem Weg, den er sie führt, und entschließt sich danach lediglich in ihrem Interesse. Das Charakteristische bleibt: daß überall nach rein menschlich verständlichen Motiven des Gottes gefragt und darnach die Darstellung gestaltet wird.

Deutlich ist auch sonst zu sehen, wie das intellektualistische Streben nach Sublimierung der Gotteskonzeption mit den Interessen der praktischen Seelsorge im Streit lag. Die alten Sagen ließen in unbefangener Weise Jahwe sich seine Entschlüsse und Handlungen »gereuen«. Schon ziemlich früh schien dem Rationalismus der Schriftsteller zweifelhaft, ob dies der Majestät eines großen Gottes angemessen sei. Bileam wird daher der Spruch in den Mund gelegt, daß Gott nicht »ein Mensch sei, den etwas gereuen könne« und dies wurde dann öfter wiederholt (Num. 13, 19; 1. Sam. 15, 29). Allein das praktische Bedürfnis der levitischen Paränese stand der Durchführurg dieser Sublimierung im Wege. Wenn die einmal gefaßten Entschlüsse des Gottes endgültig feststanden, dann waren ja Gebet, Gewissenserforschung und Sühne nutzlos. Es war dann die gleiche fatalistische für die Seelsorgerinteressen der Thoralehrer verderbliche Konsequenz zu befürchten, die man an der astrologischen Determiniertheit der Schicksale scheute. Immer wieder läßt daher die spätere Redaktion der Mosegeschichten den Propheten den Zorn[228] Jahwes durch seine Fürbitte besänftigen. Jahwe ändert seinen Entschluß, entweder auf Fürbitte oder auf Reue und Buße hin. Das gleiche läßt die Nathan-Tradition dem David und die Elia-Tradition dem Ahab widerfahren, als sie Buße tun. Dieser anthropomorphe und daher verständliche Gott kam eben damals geradeso wie heute den praktischen Notwendigkeiten der Massen-Seelsorge besser entgegen. Das deuteronomische Kompendium fand den Ausweg, daß Jahwe im voraus sein Verhalten von dem Handeln der Menschen abhängig macht: »Seht, ich lege euch heute Segen und Fluch vor«, – wählt.

Aehnlich und aus ähnlichen Gründen zwiespältig blieb die Stellungnahme in anderen Problemen, vor allem in der letzten Frage: der Theodizee. Die alte Grundlage der Beziehung Jahwes zu seinem Volk war die berith. Der Eidschwur Jahwes, mit diesem Volk als mit dem seinigen sein zu wollen, schien aber durch das stete Unheil, welches politisch teils drohte, teils hereinbrach, in Frage gestellt zu sein. Der Jahwist hilft sich gelegentlich, in der ziemlich spät übernommenen Sintflutsage, damit, daß ein für allemal alles Tun der Menschen »böse von Jugend auf« sei. Darnach hatten die Menschen schlechthin alles Ueble verdient. Aber da Jahwe trotz allem nun einmal den lieblichen Geruch des Opfers nicht entbehren mag, beschließt er gerade um der Unvermeidlichkeit ihres üblen Tuns halber in Zukunft wenigstens nicht mehr in einer Sintflut die ganze Welt zu verderben (Gen. 8, 21): – übrigens ein Anklang an den Schluß der babylonischen Sintflutsage, wie noch zu erwähnen sein wird. Jene pessimistische Beurteilung der Menschen stammte wohl aus der Beichtpraxis der südlichen Thoralehrer. Sie war nicht die allgemein rezipierte, welche in Israel stets den Menschen als schwach, aber nicht als konstitutionell verderbt ansah. (Nur die Unheils-Prophetie der Endzeit Israels neigte wieder dazu.) Daß vor Jahwe niemand unschuldig sei, war eine weit adäquatere Formulierung (Ex. 34, 7) und dies Argument entsprach offensichtlich auch den praktischen Bedürfnissen der Seelsorge gegenüber schuldlos Leidenden. Indessen damit war das Problem des speziellen Unheils Israels, welches doch immerhin Jahwes Volk war, nicht gelöst. Das gegebene Mittel hierfür war natürlich der Hinweis darauf: Jahwe habe seine alten Verheißungen selbstverständlich an die Bedingung geknüpft, daß das Volk seinen rituellen und ethischen Verpflichtungen nachkomme, und das sei nicht geschehen. Tatsächlich[229] wurden denn auch allmählich alle alten Verheißungen aus ursprünglich unbedingten Versprechungen Jahwes in bedingte Zusagen für den Fall des Wohlverhaltens umstilisiert. Auch das entstammte zweifellos den praktischen Bedürfnissen nach einer rationalen Theodizee und war vor allem, wie wir sehen werden, eine Grundthese der Prophetie. Indessen erhoben sich Schwierigkeiten: Die alte Vorstellung der Solidarhaftung der Gemeinschaft für das Tun aller Einzelnen und der Nachfahren für das der Vorväter, wie es dem Bluträcher und dem politischen Feind gegenüber bestand, war in einer freien Eidgenossenschaft ursprünglich eine Selbstverständlichkeit und auch pragmatisch sehr brauchbar210. Dagegen war aber die Frage zu fürchten: was nutzte dem Einzelnen die Erfüllung der Gebote Jahwes, wenn das Tun anderer ihn dennoch schuldlos in Unheil verstrickte? Für die Sünden der Mitlebenden gab es das Auskunftsmittel, die Sünder durch Cherem dem Gott zu weihen und zu steinigen. Das geschah denn auch ganz ebenso, wie man etwa einen alten Frevel gegen eine Metökengemeinde durch Auslieferung der Frevler oder ihrer Angehörigen von sich abwendete, was unter David mit der Familie Sauls an Gibeon geschehen sein soll. Die sichemitische Fluch- und Segenszeremonie hat wenigstens in späterer Zeit wohl ebenfalls dem Zweck gedient: die Haftung der Gemeinschaft durch Abladung des Fluchs auf die Person der Sünder von ihr abzuwälzen. Die Todesstrafe gegen den Mörder wurde ausdrücklich als Reinigung des Landes von der Solidarhaft für die Schuld gegen Jahwe aufgefaßt, für Fälle, wo der Mörder nicht auffindbar war, besondere Sühne-Zeremonien geschaffen. Indessen für die Sünden der Vorfahren gab es dies Mittel nicht. Hier galt das bittere, von Hesekiel zitierte Volkssprichwort: »Die Väter haben Herlinge gegessen und den Söhnen sind davon die Zähne stumpf geworden.« Auch da drohten also fatalistische, den Seelsorgeinteressen abträgliche Konsequenzen. Deshalb offenbar entschloß sich, wie früher erwähnt, die deuteronomische Schule unter dem Einfluß der levitischen Thoralehrer dazu, die Haftung der Nachfahren für die Väter überhaupt ganz abzulehnen, für die Rechtspraxis ebonso wie in der ethischen Verantwortlichkeit. Jedoch die Schwierigkeit war, daß man[230] den Gedanken der Vergeltung für Sünden der Vorfahren schließlich doch zum Zweck der Theodizee nicht entbehren konnte, da es keine Jenseitsvergeltung gab und die Beobachtung immer wieder zu lehren schien, daß der Einzelne eben nicht nach Verhältnis seiner Sünden und Guttaten gestraft und belohnt wurde. Vor allem für die politische Theodizee war die Annahme unentbehrlich und wurde es wohl namentlich nach der bitteren Erfahrung der Schlacht von Megiddo. Die Propheten haben denn auch stets mit der Solidarhaftung der Gemeinschaft und der Nachfahren für die Väter gearbeitet. Der Solidarhaftsgedanke ist daher niemals wirklich definitiv aufgegeben worden. Unmittelbar nebeneinander stehen noch in der priesterlichen Redaktion (Num. 14, 18) die Versicherung von Gottes Gnade und Barmherzigkeit und von seiner Rache bis ins dritte und vierte Glied. Die Zwiespältigkeit entstammte dem Gegensatz der Bedürfnisse der pragmatischen politischen Prophetie gegen die Interessen der priesterlichen Seelsorge und den Rationalismus der Bildungsschicht. Gemeinsam aber war allen als Resultat: der Gott sollte ein Gott der gerechten Vergeltung sein und diese Qualität wurde namentlich von der deuteronomischen Schule auf das nachdrücklichste betont.

Die Gebote des Gottes selbst sowohl wie die Sühne für Verstöße wurden dabei zunehmend gesinnungsethisch sublimiert. Der unbedingte Gehorsam als solcher und das unbedingte Vertrauen auf seine, wie es immer wieder scheinen konnte, problematischen Verheißungen, nicht aber die äußere Art des Tuns waren das, worauf es dem himmlischen Herrscher ankam. Der Gedanke selbst findet sich schon in der jahwistischen Erzählung von Abrahams Berufung zur Uebersiedelung nach Kanaan und der Verheißung eines Sohnes: blindlings folgt Abraham jener und daß er dieser blindlings glaubt, wird ihm von Gott »zur Gerechtigkeit gerechnet« (Gen. 15, 6). Daß der Gedanke zuerst in einer Erzvätersage sich findet, ist nicht zufällig. Denn innerhalb der pazifistischen Halbnomaden fand sich zweifellos eine der Stützen jener Partei, welche dem durch die Könige und ihre Priester eingerichteten Opferkult die These entgegenstellte: daß der alte Bundesgott überhaupt nicht am Opfern, sondern allein am Gehorsam gegen seine Gebote Gefallen finde, vor allem aber: daß die Gemeinde selbst heilig sei und also der Priester nicht bedürfe. Rückhalt fand dieser priesterfeindliche[231] Glaube natürlich in der alten Kriegeraskese und Kriegerekstase, überhaupt in den Zuständen der alten Zeit, welche ein beamtetes und vollends erbliches Bundespriestertum nicht gekannt hatte. Aber ohne Zweifel lag er auch den intellektuellen Schichten nahe. Und schließlich darf es als sehr wahrscheinlich gelten, daß der Orden der Rechabiten, an welchem der Gegner der Priester von Jerusalem, Jeremia, ein solches Gefallen fand, einer seiner Träger war. Auch alle diejenigen Leviten, welche nicht an Kultstätten angestellt waren, sondern lediglich durch Seelsorge und Thoralehre ihr Auskommen fanden, konnten sich ihn zu eigen machen. Ihm entsprach der andere Gedanke: daß nicht in den vom Sünder zur Sühne gebrachten Opfern und in ähnlichen Handlungen, sondern in der bußfertigen Gesinnung als solcher die für Jahwe entscheidende Genugtuung liege, welcher wohl in den gleichen Intellektuellenkreisen heimisch war und von den Redaktoren der Tradition den alten Sehern (zuerst dem Nathan) in den Mund gelegt wurde. Ein anderer Teil der Leviten freilich, namentlich die der deuteronomischen Schule zugehörigen, war mit den Interessen des Kults und Opfers zu eng verknüpft, um solche Konsequenzen ziehen zu können. Gerade die jahwistische, im ganzen mehr südliche und von Leviten beeinflußte Redaktion hat die rein kultischen Gebote (den sog. kultischen Dekalog) in sich aufgenommen. Aber jener Gedanke selbst blieb, vor allem in der Prophetie, lebendig, solange die Priester mit dem Königtum verbunden waren. Auch die spätere priesterliche Redaktion hat seine Spuren nicht ausmerzen können. Sie hat zwar in den Mosegeschichten das Strafgericht Jahwes über die korachitischen Leviten an eben jene ketzerische Behauptung von der Heiligkeit der Gemeinde und der Entbehrlichkeit der Priester geknüpft, aber sie hat nicht hindern können, daß sie in der Niederschrift der Orakel der mächtigsten Prophetengestalten in höchst wuchtiger Form fortlebte.

Eine spezifisch plebejische Wendung nahm diese Gesinnungsethik des gehorsamen Gottvertrauens nun durch die Ausgestaltung, welche der alten mythologischen Vorstellung vom Neid und Haß des Gottes gegen die Hybris der Menschen in der Paränese der Thoralehrer gegeben wurde. Wenn ägyptische Weise Gehorsam, Schweigen und Mangel an Selbstüberhebung als gottwohlgefällige Tugenden rühmen, so war die bürokratische Subordination die Quelle. In Israel war es der plebejische[232] Charakter der Kundschaft. Der Stolz und Hochmut, das Pochen auf die eigene Kraft, wie es die Könige und ihre Kriegshelden repräsentieren, war dem Gott jener Plebejer, mit deren Beratung und Seelsorge sich die Thoralehrer und die Kreise, aus welchen die Propheten hervorgingen, zu befassen hatten, verhaßt und der eigentliche Frevel. Mißfällig waren Jahwe die Erotik (nach Amos) und das fröhliche Zechen (nach Jesaja) der Gibborim. Dem Propheten Zephanja (3, 12) steht fest, daß nur das arme Volk das wirkliche, alles Gott anheimstellende Vertrauen zu ihm habe und deshalb seinerzeit allein von ihm mit dem Untergang verschont werde. Das Mißfallen Jahwes an den Großen schienen ja die Mißerfolge dieser hochmütigen Kaste gegen die auswärtigen Feinde, im Gegensatz gegen die Zeit des alten Bauernheers, zu beweisen. Das unbedingte demütige Vertrauen nur auf ihn allein konnte vielleicht den alten Bundesgott veranlassen, wieder wie dereinst unbedingt mit seinem Volke zu sein. Damit stehen wir wieder, wie schon wiederholt, vor einem Grundmotiv der utopischen politischen Ethik der Propheten und des darin von ihnen beeinflußten Deuteronomiums. Davon wird besonders zu reden sein. Hier machen wir uns nur noch einige der Umstände deutlich, auf welchen in Israel die formellen Eigentümlichkeiten der ganzen Beziehung der Menschen zum Gott beruhten, vor allem: der gewaltige Akzent dieser rationalen Gesinnungsethik.

Es war vor allem das Fehlen der sonst üblichen Machtstellung der Magie oder vielmehr – da die Magie in Israel so wenig wie irgendwo jemals aus der Praxis der Massen wirklich ganz verschwunden ist – ihre systematische Bekämpfung durch die Thoralehrer, welche für ihr Schicksal innerhalb der alttestamentlichen Frömmigkeit ausschlaggebend gewesen ist. In Israel gab es Magier aller Art. Aber die maßgebenden jahwistischen Kreise, vor allem die Leviten, waren keine Magier, sondern: Träger von Wissen. Das waren nun, sahen wir, die Brahmanen auch. Aber das Wissen war in Israel ein von dem ihrigen grundverschiedenes. Als in der jahwistischen Paradieseserzählung die Schlange dem Weib anrät, vom Baum der Erkenntnis zu essen, stellt sie den Menschen in Aussicht, daß sich ihnen »die Augen auftun und sie sein werden wie Gott selbst ist«. Und sie hat nicht etwa die Unwahrheit gesagt. Denn nachdem Jahwe den Menschen und die Schlange verflucht hat, fügt er hinzu: »der Mensch ist geworden wie unsereiner«, also: wie ein Gott,[233] – durch das Wissen, – und er jagt ihn aus dem Garten, »damit er nicht noch von dem Baum des Lebens nehme und esse und unsterblich werde«. Also der Besitz zweier Dinge: Unsterblichkeit und Wissen macht zum Gott. Welches Wissen aber? An beiden erwähnten Stellen heißt es: die Erkenntnis davon, »was gut und böse ist«. Dies also ist das Wissen, welches nach der Vorstellung dieses vorprophetischen Schriftstellers Gott gleich macht. Freilich: daß es ein rational ethisches und nicht ein rein rituelles oder esoterisches Wissen war, verstand sich auch danach nicht von selbst. Auch in Aegypten wird der von der priesterlichen Schriftbildung entblößte Plebejer als ein Mann bezeichnet, der »nicht weiß was gut und böse ist«. Und in der Paradieserzählung ist die rein rituell bedingte Verpönung der Nacktheit, und nicht ein rational ethisches Wissen das, was der Mensch, soviel wir sehen, durch das Essen vom Baum der Erkenntnis erfährt. Aber schon Micha, zu Hiskias Zeit, betont (6, 8), daß dem Menschen, also: jedem Menschen, »gesagt sei, was gut ist: das Halten der göttlichen Gebote, Liebe zu üben, und vor Gott demütig zu sein«. Es handelt sich also nicht um esoterisches und auch nicht um bloß rituelles Wissen, sondern um durchaus exoterisch gelehrte Ethik und Karität. Die Pflege gerade dieser Art von Belehrung war das der levitischen Thora eigentümliche und wir sahen, daß die besondersartige Beziehung zu Jahwe als dem persönlichen Partner der berith mit der Eidgenossenschaft zuerst diesen starken Akzent auf das »Halten seiner Gebote« gelegt hatte. Darin lag die Vorzugsrolle des Gehorsams und der Ethik gegenüber den bei der Struktur des Bundes notwendig so gut wie ganz fehlenden kultischen und den vermutlich in älterer Zeit nur in wenigen einfachen Regeln entwickelten rein rituellen Geboten. Bei der Solidarhaftung der Gemeinschaft Jahwe gegenüber für die Verfehlungen aller Einzelnen war diese ethische Problematik ein eminentes Interesse jedes einzelnen Volksgenossen211, vor allem aber: der an den Schicksalen des Landes interessierten Intellektuellen. Von da aus hat diese Vorstellung von dem Wesen des göttlichen Wissens die Kreise der zunehmend entmilitarisierten jahwistischen Plebejer und aller jener Intellektuellen, die am guten alten Recht hingen, zu beherrschen[234] begonnen. Seine Bedeutung nahm stetig zu. Das göttliche Charisma hatte die alte Zeit nur als Kriegsekstase und Kriegsprophetie gekannt. Beide waren verfallen. Die Tendenz, Mose zu einem Magier zu machen, dessen Zauber nach Art des indischen Hofbrahmanen den Sieg entschied, hat, wie die Ansätze in der Tradition zeigen, bestanden. Aber dergleichen gab es jetzt nicht mehr. Einen Propheten, dem Jahwe von Angesicht zu Angesicht erschienen wäre, hatte er seither nicht erweckt. Denn die Zeiten waren andere geworden. Die Kriegsorakel des Elisa sind der letzte in der Tradition zu findende Nachklang dieser Art von magischer politischer Prophetie. Die Leviten, die einzigen kontinuierlichen perennierenden Träger des Jahweglaubens, fühlten sich, kraft der Art ihrer sozial wichtigsten Funktionen, als Träger des Wissens davon, durch welche Sündenman sich Unheil zuziehe und wie man sie wieder gutmachen könne. Wenn wirklich der Name jide'oni, der (Lev. 20, 27; 2. Kge. 23, 24) die Orakelgeister bezeichnet, welche gewisse Magier bewohnen, soviel wie »kleines« Wissen bedeuten sollte, so würde dies den spezifischen magiefeindlichen Wissensstolz der Vertreter des Jahwismus kennzeichnen. Die israelitischen Schriftpropheten haben allerdings gelegentlich auch Königen Rat erteilt, ebenso wie Hofpropheten und Magier. Aber stets im Sinn der levitischen Thora: Gehorsam gegen Jahwe und unbedingtes Vertrauen auf ihn. Keiner von ihnen hat dem Lande durch Zauber zu helfen gesucht.

Selbstverständlich gab es Anläufe zur Entwicklung magischen Gotteszwangs auch innerhalb der rein jahwistischen Kreise von jeher und vielleicht bis in ziemlich späte vorexilische Zeit. Neben anderen, mehr nebensächlichen Spuren ist namentlich die, sehr universell verbreitete, Zauberkraft des Gottesnamens, der Glaube also: daß der Gott, wenn man seinen Namen kenne und richtig anrufe, gehorchen werde, ganz offenbar in der Entwicklung begriffen gewesen. Nicht ohne Grund weicht Jahwe bei der Dornbuscherscheinung der Nennung seines Namens zunächst aus, und ebenso jenes Numen, mit dem Jakob ringt. Als später Mose als Gunst von Jahwe begehrt, ihn von Angesicht zu schauen, weist dieser ihn an, seinen Namen zu nennen. Dieser also zwang ihn. Die weitverbreitete Vorstellung war, wie wir schon sahen, namentlich in Aegypten heimisch. Der Name Jahwes ist auch ebenso das Symbol seiner Macht, wie der Name des[235] Pharao für diesen. Wie der König in den Amarnabriefen »seinen Namen auf Jerusalem gelegt« hat, so ist Jahwes Name über Israel (Deut. 28, 10; Jer. 14, 9) oder: über Jerusalem (Jer. 25, 29) oder: über einen Propheten (Jer. 15, 16) »ausgerufen«, »wohnt« in Jerusalem, wo ihm »ein Haus gebaut ist«, »kommt von fern« (Jes. 30, 27), »ist nahe« (Psalm 75, 2) und Jahwe wirkt durch ihn (Psalm 30, 27) zugunsten aller, die »seinen Namen lieben« (Psalm 5, 12; 69, 37; 119, 32). Teilweise handelt es sich um das schon erwähnte Theologumenon, um Jahwes anthropomorphe persönliche Anwesenheit auszuschalten. Aber teilweise handelt es sich auch um jene gerade in Aegypten herrschende Vorstellung vom Wesen des Namens und es ist schwerlich Zufall, daß fast alle charakteristischen Stellen dieser Art deuteronomistisch sind, also der Zeit entstammen, welche überhaupt die größte Verwandtschaft mit ägyptischen Frömmigkeitsformen zeigt. Die spezifische Heiligkeit des Gottesnamens, wie sie auch in Aegypten galt, wo einerseits Isis dem Ra durch Kenntnis seines Geheimnamens seine Macht entreißt, andererseits Ptah den »Mißbrauch« seines Namens rächt, stieg auch in Israel, wo das sonst vielfach verbreitete Tabu des Gottesnamens ursprünglich nicht galt. Der späteren Auffassung galt der Versuch, durch das Mittel der Namensnennung den majestätischen Gott zu zwingen, als schwerer Frevel, den er rächen werde. Die noch während der prophetischen Epoche herrschende Unbefangenheit im Gebrauch des Namens wich jener spezifischen Scheu, für welche Ansätze schon früh vorhanden gewesen sein müssen. Das in unbekannte Zeit zurückgehende dekalogische Verbot des Namensmißbrauchs meint zweifellos den Versuch, magischen Gotteszwang auszuüben. Die Ablehnung dürfte auch hier auf bewußten Gegensatz gegen Aegypten und vielleicht wiederum gerade gegen den Totenkult zurückgehen. Denn nirgends ist die Bedeutung der Gottesnamen in Aegypten so zentral wie im 125. Kapitel des Totenbuchs, wo ihr richtiger Gebrauch das Schicksal der Seele entscheidet. An jeder Pforte des Hades verlangt der betreffende Gott von dem Toten, daß er seinen Namen wisse, ehe er ihn passieren läßt. Schwerlich sind einerseits die Anklänge, andererseits die schroffe Ablehnung ganz zufällig.

Die Verwerfung der Magie bedeutete praktisch vor allem: daß sie nicht, wie anderwärts, von den Priestern zwecks Domestikation der Massen systematisiert wurde. In Babylonien[236] vollzog sich ihre Systematisierung unter dem Druck des Theodizee-Bedürfnisses, war also rationalen Ursprungs. Die Erfahrung, daß auch der Schuldlose leidet, schien mit dem Vertrauen auf die Götter nur dann vereinbar, wenn nicht sie, sondern Dämonen und böse Geister die Urheber des Uebels waren: die Theodizee lenkte damit in die Bahn eines latenten und halben Dualismus ein212. Davon konnte in Israel keine Rede sein. Daß auch alles Uebel von Jahwe stamme, war eine der Grundthesen schon des ersten Propheten (Amos). Der Entwicklung der magischen Dämonenabwehr stand daher in Israel, wo alles Uebel Strafe oder Verfügung des mächtigen Gottes war, die Entwicklung der rein ethischen Priesterthora und Sündenbeichte als des eigentlichen Machtmittels der levitischen Priester gegenüber. Dies wirkte durch das ganze Gebiet der religiösen Entwicklung Israels hindurch. Zunächst: wo bei den asiatischen Religionen der »Zauber« steht, da steht bei den Israeliten: das »Wunder«. Der Magier, der Heiland, der Gott Asiens »zaubert«, der Gott Israels dagegen tut auf Anrufung und Fürbitte »Wunder«. Ueber den tiefgehenden Gegensatz wurde schon früher gesprochen. Das Wunder ist, gegenüber dem Zauber, das rationalere Gebilde. Die Welt des Inders blieb ein irrationaler Zaubergarten. Ansätze einer gleichartigen Entwicklung sind in Israel in den Mirakeln der Elisageschichten zu finden, deren Irrationalität durchaus auf gleicher Stufe mit den asiatischen Zaubereien steht. Diese Vorstellungsart hätte sehr leicht die Oberhand gewinnen können. Es war offenbar immer wieder der Kampf gegen alle orgiastische Ekstatik, welche es bedingte, daß in den genuinen jahwistischen Legenden, etwa in den Erzvätergeschichten, aber auch der Mose- und Samueltradition, überhaupt in den alttestamentlichen Schriften so stark wie sonst in keinem heiligen Buch, nicht der Zauber, sondern das aus sinnvollen, verständlichen Absichten und Reaktionen des Gottes entspringende Wunder herrscht und daß selbst dieses gerade in vielen alten Partien, am meisten den Erzväterlegenden, relativ sparsam verwendet wird. Dies Fehlen des Zaubers vor allem drängte alle Fragen nach dem Grunde des Geschehens, der Schicksale und Fügungen, in die Bahnen des Vorsehungsglaubens: der Vorstellung also von einem geheimnisvoll und doch letztlich verständlich die[237] Welt und insbesondere die Geschicke seines Volkes lenkenden Gottes: »ihr gedachtet es schlimm zu machen, aber Gott hat es gut gemacht«, wie die elohistische Kunstdichtung der Josephlegende es ihren Helden prägnant formulieren läßt. Gottes Wille behält hier ebenso das Feld gegenüber menschlichen Versuchen, ihm zu entrinnen, wie in indischen Erzählungen das »Schicksal« über alle Kniffe, ihm ein Schnippchen zu schlagen, triumphiert. Aber: nicht Karman wie dort, sondern eine rationale Vorsehung des persönlichen Gottes bestimmt in Israel dieses Schicksal.

Diesem, bei aller Leidenschaftlichkeit seines Grimmes, dennoch im letzten Grunde rational und planmäßig handelnden Gott der Intellektuellen war nun zweierlei eigentümlich. Zunächst: er war, wie schon angedeutet, ein Gott von Plebejern. Das darf nicht mißverstanden werden. Jahwe in dieser Gestalt war nicht etwa der Gott der »Volksfrömmigkeit«, und kam vollends nicht den Bedürfnissen der »Massen« entgegen. Vielmehr war er gerade in seiner schließlich siegreichen Konzeption stets ein Gott, den eine Schicht teils von Propheten (Kriegspropheten, später Thorapropheten) und Thoralehrern dem Volk zu oktroyieren suchte. Oft gegen Widerstand. Denn die genuinen Bedürfnisse der Massen gehen überall auf Nothilfe durch Magie oder Heilande und so war es auch in Israel. Und ebenso sind auch weder die Ideale noch die Idealisten der Jahwefrömmigkeit etwa dem Kreise der »armen Leute« als solcher entnommen. Der ökonomisch gut situierte und dabei fromme Israelit ist vor dem Exil der Held nicht nur der gesamten echten Königstradition, sondern auch der alten Bruchstücke der Ueberlieferungen aus der Richterzeit. Und auch für die fromme Legende waren die Erzväter schwer reiche Leute. Reichtum sollte ja nach den alten Verheißungen hier wie überall der Lohn der Frömmigkeit sein. Die literarisch gebildeten Träger des Jahwewissens selbst waren aller Wahrscheinlichkeit nach zumeist Angehörige vornehmer Sippen. Aber: nicht nur zeigt gleich der Beginn der Prophetenzeit (Amos), daß dies bei weitem nicht immer der Fall war. Sondern vor allem: die Kreise, deren puritanisch echte, der Orgiastik, Idolatrie und Magie abholde Frömmigkeit die Literaten züchten zu können hofften und tatsächlich erfolgreich züchteten, waren in sehr starkem Maße Plebejerschichten mindestens in dem Sinn: daß sie nicht am Besitz der politischen Macht partizipierten und nicht Träger des[238] Militär- und Fronstaats der Könige und der sozialen Machtstellung des Patriziats waren. Das äußert sich deutlich in der Redaktion der Tradition. Nirgends, außer in Resten in den Königsgeschichten, kommt adeliges Heldentum zu Worte. Sondern fast durchweg ist es der friedlich fromme Bauer oder Hirt, der verklärt wird und an dessen Anschauungskreis die Art der Darstellung und Darlegung angepaßt ist. Keine Rede freilich von demagogischem Buhlen um die Masse. Zugunsten des großen Haufens soll der Richter das Recht so wenig beugen wie zugunsten des Vornehmen, verlangte, wie in Aegypten, die levitische Paränese, und für Sauls Unstern wird u.a. auch verantwortlich gemacht, daß er sich dem törichten Volk gefügt habe. Vielmehr: das Wissen von Jahwes Geboten entscheidet über den Wert und die Autorität des Einzelnen. Aber das »nomadische Ideal« nach Art der Rechabiten und die Erinnerung an den bäuerlichen Heerbann beherrschte die Ideale auch der Bildungsschicht. Daß nur die Erfüllung der Gebote des Himmels das Schicksal des Staates und Volkes gewährleiste, war zwar die Grundüberzeugung der Konfuzianer ganz ebenso wie der radikalen Jahwisten. Aber dort war es eine vornehme, ästhetisch kultivierte literarische Pfründnerschicht, deren Tugenden entschieden, hier aber galt die Verklärung zunehmend den Tugenden eines idealen israelitischen Plebejers in Land und Stadt. Zunehmend mit dem Vorstellungskreis dieser ihrer Kundenschicht rechnete die levitische Paränese. Das Besondersartige aber war dabei: daß hier und nur hier plebejische Schichten Träger einer rationalen religiösen Ethik wurden.

Das Zweite, ebenfalls höchst Wichtige aber war: Jahwe blieb ein Gott der Geschichte, und zwar insbesondere: der politisch-militärischen Geschichte. Das unterscheidet ihn von allen asiatischen Göttern und hatte seinen Grund in dem Ursprung seiner Beziehungen zu Israel. Für seine getreuesten Verehrer blieb er immer der eidgenössische Bundeskriegsgott. Mochte er außerdem der Regengott sein und mochte ihn die Spekulation Nordisraels zum Himmelskönig steigern, für die eigentlich jahwistische, namentlich auch die prophetische Frömmigkeit blieb er der Gott politischer Schicksale. Kein Gott also, mit dem man mystische Vereinigung durch Kontemplation suchen konnte, sondern ein übermenschlicher und doch verständlicher persönlicher Herr, dem man zu gehorchen hatte. Er hatte seine positiven Gebote gegeben, daran hatte man sich zu halten.[239] Man konnte seine Heilsabsichten, die Gründe seines Zorns und die Bedingungen seiner Gnade erforschen, wie bei einem großen König. Aber darüber hinaus gab es: nichts. Die Entwicklung einer Spekulation über den »Sinn« der Welt nach indischer Art war auf dem Boden dieser Voraussetzung vollständig ausgeschlossen. Aus untereinander verschiedenen Gründen ist sie auch bei den Aegyptern und Babyloniern nicht über gewisse sehr enge Grenzen hinausgegangen. Im alten Israel war für sie schlechthin kein Boden.

Wenn so nach der einen Richtung die Rationalisierung des Weltbildes in feste Schranken gebannt blieb und gerade dadurch durchführbar wurde, so setzte auf der anderen Seite die Eigenart Jahwes auch seiner Mythologisierung feste Grenzen. Jahwes Gestalt war wie die jedes Gottes mit Mythologemen behaftet. Die grandiosesten Bilder der Propheten und Psalmisten von der Art seines Handelns und seiner Epiphanien entstammen ganz zweifellos sehr altem und verbreitetem Mythenschatz. Die in Babylonien und zweifellos auch schon im vorisraelitischen Kanaan verbreiteten Vorstellungen vom Urdrachen, von den Ungeheuern und Giganten, mit welchem der die jetzige Welt hervorbringende Gott zu ringen hat, lebten außerhalb der priesterlich redigierten Kosmogonie in Gestalten wie Leviathan, Behemoth, Rahab fort, innerhalb ihrer aber in der Benennung des chaotischen Urgewässers mit dem gleichen Namen, den der babylonische Ur drache trägt (Tehom: Tiamat). Der bewässerte Gottesgarten Eden, die Behandlung des Urmenschen als Ackerbauer, die großen Weltflüsse, das armenische Gebirge in der jetzigen Redaktion der Urgeschichte zeigen, daß alle diese Mythen nicht ursprünglich in der Steppe oder im palästinischen Bergland zu Hause waren. Der patriarchale Pflanzer des Gottesgartens paßt mit dem Rudiment der Gigantomachie im 6. Kapitel der Genesis schlecht zusammen. Und die von der spätesten priesterlichen Redaktion rezipierte Vorstellung von dem über den Wassern brütenden Gotteshauch gehört wiederum einer andersgearteten Vorstellungsreihe an. Die ältere jahwistische Kosmogonie läßt Jahwe die Welt nicht »aus dem Nichts« erschaffen. Aber immerhin: was auf der Erde entsteht, bringt er allein hervor. Diese von Peisker213 glücklich als »naiver Monotheismus«[240] bezeichnete Vorstellung hat mit Einzigkeit und Universalismus des Gottes nichts zu tun. Denn in fast allen Kosmogonien schafft ein Gott die Welt und an die anderen wird nicht gedacht. Charakteristisch aber ist, daß der in Versen gedichteten babylonischen Ursage hier ein schlichter Prosabericht gegenübersteht, ebenso wie die mythologischen Bilder der Propheten und erst recht der Priester im Laufe der Zeit zunehmend abstrakt und immer weniger plastisch sich gestalten: die typische Folge der Verarbeitung mythischer Vorstellungen durch theologischen Rationalismus. Das Endprodukt: der unerreicht majestätische, aber ganz unplastische Schöpfungsbericht im jetzigen ersten Kapitel der Genesis ist eine typische Priesterleistung, entstanden in der Exilszeit im bewußten Gegensatz gegen die babylonische Umwelt. Alle Phantasmen der babylonischen Ursage, die Spaltung des Drachens vor allem, sind fortgeläutert, dieser selbst in ein Urgewässer entpersönlicht. Und die Schöpfung erfolgt durch das bloße »Wort« des Gottes, welches das Licht aufblitzen und die Gewässer sich teilen läßt, so wie ja sein Wort es ist, welches aus dem Munde der Lehrer an die Menschen ergeht. Erst damals vielleicht sind aus dem unvermittelt daneben bestehen gebliebenen älteren Berichte die theogonischen und gigantomachischen Reste fast ganz ausgemerzt worden. Denn hier war die entscheidende Grenze für die Mythenbildung des Jahwismus. Jahwe vertrug wohl einzelne Mythologeme, aber er vertrug gerade die eigentliche Krönung aller großen Mythensysteme: die Theogonie, auf die Dauer nicht. Innerhalb Israels, welches ihn von außen rezipiert hatte, war der Boden für theogonische Jahwemythen schon deshalb nicht günstig, weil er ein unbeweibter, bildlos verehrter Gott blieb, für den ein die künstlerische oder dichterische Phantasie anregender, aus Orgiastik und mimischem Dämonenzauber geborner Kult – die normale Quelle aller Mythensysteme – nicht bestand, und der nüchterne Opferkult überhaupt nicht das für die Beziehung zum Gott Wichtigste war.

Denn neben jenen persönlichen Zügen brachte auch seine Stellung als Garant der sozialrechtlichen Ordnung ihn in Gegensatz zu den in Kanaan ebenso wie in ganz Vorderasien umlaufenden Göttermythologien. Er unterschied sich dadurch auch von den großen Universalgöttern der Religionen der Kulturgebiete. Das Wirkungsfeld dieser mit Einschluß des Echnaton'-schen Sonnengottes war in erster Linie: die Natur. Die politischen[241] Schicksale pflegte der Lokalgott der Residenz, die sozialen Ordnungen ein oder mehrere Funktionsgötter und erst sekundär der große Himmelsgott zu garantieren. Auch Jahwe war nun, und zwar zweifellos gerade ursprünglich, ein Naturgott. Aber ein Gott bestimmter Naturkatastrophen, welche der levitischen Paränese als Ausdruck seines Grimms gegen Ungehorsam galten. Diese Verknüpfung seines Verhaltens mit dem größeren oder geringeren Gehorsam der Einzelnen stand in Israel mit steigender Bedeutung der Thora immer fester. Damit aber waren alle Naturmythologeme einer nüchtern rationalen Orientierung des göttlichen Handelns untergeordnet. Die für die israelitische Bildungsschicht unvermeidliche Rezeption universalistischer kosmologischer Mythen in die Jahwevorstellung mußte infolgedessen für die Gestalt, welche diese Mythen dabei annahmen, weitgehende Folgen haben: sie wurden ethisch gewendet. Andererseits aber ist ein Einfluß der Mythenrezeption auf die Art der Gotteskonzeption und auf die Soteriologie nur in sehr geringem Grade zu finden, in geringerem jedenfalls, als man erwarten könnte.

Die durchaus sekundäre Bedeutung der kosmogonischen und anthropogonischen Mythen für die jahwistische Religiosität tritt wohl in nichts deutlicher hervor, als in dem Fehlen fast jeglicher Anspielung auf den für unsere heutige Vorstellung so grundlegenden Mythos vom »Sündenfall« des ersten Menschenpaares. Ein soteriologisch irgendwie bedeutsames, für Jahwes Verhalten zu Israel oder zu den Menschen überhaupt entscheidendes Ereignis ist er in der ganzen alttestamentlichen Literatur nicht geworden. Es finden sich nur ganz vereinzelte und zwar nur paradigmatische Anspielungen (Hosea 6, 7). Für die Heilslehre grundlegend wurde Adams Fall erst durch bestimmte Spekulationen des alten Christentums, und zwar auf Grund von Vorstellungen, welche ihre Herkunft aus der orientalischen Gnosis nicht verleugnen, aber der genuinen israelitischen Religiosität fernlagen. Adams und Evas Fall ist allerdings ätiologischer Mythos für den Tod, die Mühsal der Arbeit und des Gebärens und die Feindschaft mit der Schlange, – später: mit allen Tieren. Aber darin erschöpft sich seine Bedeutung. Wenn die Rabbinen später die Verehrung des goldenen Kalbes als ungleich schwereren Frevel ansehen als den Ungehorsam Adams: – weil dort eine berith gebrochen wurde, hier aber nicht –, so entspricht das[242] durchaus der alten uns bekannten Grundlage der Stellung Jahwes zu Israel, welche der Mythos unerschüttert ließ. Zwar faßt schon Hosea (a.a.O.) auch Adams Frevel als Bruch einer »berith« auf. Aber eine folgenreiche Konzeption wurde dies für die israelitische Religiosität nicht. Umgekehrt war dagegen die Beeinflussung des Mythos durch die Eigenart Jahwes grundstürzend. Wo der schon in den Amarnatafeln als Uebungsstück für Schreiber enthaltene babylonische Mythos vom Urmenschen Adapa diesen die Unsterblichkeit durch Befolgung eines falschen Ratschlags eines anderen Gottes verscherzen läßt und ihn übrigens als von vornherein »unrein« und deshalb für Anus Himmel disqualifiziert behandelt, gestaltet die israelitische Konzeption daraus das höchst eindrucksvolle Paradigma von den Folgen des Ungehorsams.

Diese Wendung ist unzweifelhaft eine Leistung der levitischen Thora, die dann erst in der Schlußredaktion der Urgeschichte endgültig rezipiert ist. Denn bei Hesekiel (28, 13 ff.) und im Hiobbuch (15, 7) zeigt sich noch die Spur einer ganz anderen Auffassung, welche in dem Urmenschen eine Gestalt voll Weisheit und Schönheit sah, die in dem (nach babylonischer Art) edelsteingeschmückten Gottesgarten auf dem auch den Psalmen bekannten, der Berggottnatur Jahwes entsprechenden wunderbaren Gottesberg wie ein Cherub ohne Makel lebte, aber durch seine Hybris in Schuld verstrickt und von Jahwe herabgestürzt wurde. Hier war also der Urmensch keineswegs der »reine Tor« des jahwistischen Paradiesesmythos. Da Hesekiel zweimal Noah, Hiob und Daniel (14, 14. 20) als drei weise und fromme Leute der alten Zeit, Daniel sogar (28, 3) als allwissend schildert, so war offenbar hier die aller Priestertradition naheliegende Verklärung der übermenschlichen Weisheit der Altvordern in der Entwicklung begriffen, welche dann später von den nachexilischen Chokmalehrern in ganz anderer Art wieder aufgenommen wurde. Den eigentlichen Thoralehrern blieb sie fremd. Bei der Sintflutsage, dem nach Annahme der Fachleute am spätesten rezipierten Mythos, kam das babylonische Vorbild dem ethischen Bedürfnis insofern entgegen, als ein auch in den Erzväterlegenden vorkommendes Motiv wenigstens gestreift war. Die Götter machen dem Enlil, der die Sintflut losgelassen hat, zum Vorwurf, daß er alle Menschen ohne Unterschied, ob sie gesündigt haben oder nicht, habe vertilgen wollen: nur Ea's heimlicher Rat hatte dem[243] babylonischen Gegenbild des Noah die Rettung ermöglicht. Bei der Rezeption der Sintflutsage war nun die charakteristische Aenderung die: daß Jahwe die Sintflut nicht wieder zu schicken beschließt, weil aller Menschen Trachten von Jugend auf verderbt ist; ihm liegt eben an dem Bestand und Schicksal der Menschen um deren selbst willen. Es ist wiederum nicht die Tatsache einer ungewöhnlich »erhabenen« Sittlichkeit, die man den Israeliten zugeschrieben hat, welche die Erklärung dieser charakteristischen Aenderungen bedingte. Die alte israelitische Ethik war derb und schlicht. Es war der Umstand: daß hier die Seelsorge an den plebejischen Schichten infolge der historisch gegebenen Eigenart Jahwes und seiner Beziehung zu Israel ethischen und nicht magischen Charakter hatte, daß Mythen sie daher nur in paradigmatischer Funktion interessierten. Göttliche rational bedingte Wunder, Macht-, Straf- und Belohnungs-Erweise bedurfte sie für ihre Zwecke, nicht Zauber- und Heldengeschichten.

Eine für die spätere Entwicklung folgenreiche Konzeption, die in Verbindung mit den kosmogonischen Mythen aufgenommen wurde, war das durch ethische Schuld verscherzte Paradies und der in ihm herrschende Stand des Friedens und der Unschuld. Die äußerliche Form des Paradieses hat offenbar gewechselt. Die Konzeption des »Gottesberges« im Exil (bei Hesekiel 28, 11 ff., 31, 8. 9. 16; 36, 35) hatte offenbar den Zweck, Jahwe von der Lokalisation in Jerusalem zu befreien und seine Stellung als Universalgott zu festigen. Von den Thoralehrern war die alte jah wistische Auffassung rezipiert. Ein eigentlicher Paradieses-Mythos ist bisher in Babylonien nicht nachgewiesen, obwohl ein göttlicher Zauberpark mit Edelsteinbäumen und auch ein von Göttern gegrabener Kanal sich finden. Mythen von einem Urstand des Friedens mit den Tieren sind von Usener214 als ziemlich verbreitet nachgewiesen und existierten anscheinend auch in Babylonien (Gilgamesch-Epos), wo, wie es scheint, ebenso wie in der Genesis das Weib die Schuld an dem Verlust trug. Der Mythos von einem durch Gott gepflanzten und bewässerten friedlichen Garten und dem aus ihm zur Mühsal des Bodenanbaus und Kampf mit Schlangen hinausgestoßenen Menschen ist auch an sich am wahrscheinlichsten in einem Lande wie Mesopotamien entstanden; wie alt er in Kanaan ist, läßt[244] sich nicht sagen. Den Ursprung aus einem Gartenbauland legt auch die noch jetzt hindurchschimmernde Vorstellung nahe: daß die Menschen ursprünglich, solange der Frieden mit den Tieren bestand, von vegetarischer Kost gelebt hätten: auch dafür finden sich im Gilgamesch-Epos gewisse Andeutungen. Einen Stand der unwissenden Unschuld scheint aber keine für die Uebertragung in Betracht kommende Religion zu kennen215 und vor allem in der besonderen Wendung der Unwissenheit als Unkenntnis von der Unzulässigkeit des »Nackten« ist der Einschlag der rituellen Besonderheit des Jahwismus sofort ersichtlich. Die zentrale Bedeutung des berith-Gedankens legte die Israel eigentümliche Vorstellung nahe, daß die friedliche Beziehung der Urmenschen zu den Tieren auf einer berith Jahwes mit den Tieren beruht habe und daß Jahwe in Zukunft eine solche berith erneut machen könne und werde: ein Gedanke, der schon bei den ersten Propheten (Hosea 2, 18; Jesaja 11, 1) auftritt. Und hier lag eben das Wichtige der Vorstellung. Hatte man die selige friedliche Urzeit einmal verscherzt, so konnte sie vielleicht bei entsprechendem Verhalten künftig wiederkehren; und es scheint nicht zweifelhaft, daß diese eschatologische Vorstellung, mit der die Propheten arbeiten, bereits vor ihnen verbreitet war. Dieser Endzustand wird wie Eden sein (Jes. 51, 3), Frieden unter den Menschen wird herrschen, die Schwerter wird man in Pflugscharen umschmieden (Jes. 2, 4) und Bogen, Schwert und Krieg wird vom Lande fern bleiben (Hos. 2, 18), die Erde wird durch Himmelsgnade Korn, Most und Oel in Fülle hervorbringen (Hos. 2, 22). Das sind Heilshoffnungen spezifisch pazifistischer unmilitärischer Bauern.

Diese Friedenserwartungen waren nicht die einzige Form eschatologischer Hoffnungen, welche auf die vorprophetische Zeit zurückgehen, sondern neben ihnen standen, entsprechend der Verschiedenheit der sozial bedingten Interessenlage, andere. Die volkstümliche Zukunftshoffnung der Krieger sah anders aus. Schon bei den ersten Propheten (Amos) finden wir die Erwartung eines »Tages Jahwes« (jom Jahwe), der nach der bis[245] dahin gangbaren Vorstellung ein Tag großen Heils für Israel ist. Was war sein ursprünglicher Sinn? Jahwe war ein Kriegsgott und folglich war es ein siegreicher Schlachttag, so wie einst der »jom Midian« (Jes. 9, 3), der Tag des Sieges Gideons also, gewesen war. Die alten Losorakel gaben ja dem Kriegshelden, wie wir bei Gideon und öfter sehen, Tag und Stunde, zu welcher Jahwe die Feinde »in Israels Hände geben« werde, genau an: daher wohl die Vorstellungsweise. Und die Mittel des alten Katastrophengottes waren bekannt: der »Gottesschreck« durch Erdbeben oder Wetterkatastrophen. Der Tag Jahwes war also ein Tag des Schreckens (jom mehumah, Jes. 22, 5), aber in den Augen der Krieger natürlich: für die Feinde Israels, nicht für Israel (Amos 5, 18-20). Daneben scheint eine andere, pazifistischere, Vorstellung ihn als ein Tag fröhlichen Opfermahls angesehen zu haben (Zeph. 1, 7), zu dem Jahwe die Seinen zu Gaste lud.

Diese je nachdem mehr pazifistischen oder mehr kriegerischen Zukunftshoffnungen verbanden sich nun mit den Verheißungen der königlichen Heilsprophetie. Vor allem Greßmann216 hat darauf aufmerksam gemacht, daß an den benachbarten Großkönigshöfen ein ziemlich fester »Hofstil« für solche bestand. Jeder König wird von den heilsprophetischen Barden als Bringer einer Segenszeit gepriesen: Kranke werden gesund, Hungernde satt, die Nackten gekleidet, die Gefangenen amnestiert (so für Assurbanipal), den Armen ihr Recht verschafft (so oft in babylonischen Königsinschriften, in Israel: Psalm 72). Der König selbst ist von dem Gott (in Babylon: Marduk) erwählt (so David von Jahwe 2. Sam. 6, 21), zu seinem Priester gemacht (so Psalm 110), oder er ist von ihm adoptiert (so der König Israels Psalm 2, 7) oder geradezu gezeugt (ebenda). Daß er dies ist, sein Charisma also, hat der König durch das dem Volk widerfahrende Heil zu bewähren (wie in China und überall bei genuin charismatischer Auffassung). Um ihm seine göttliche Abstammung zu beglaubigen, wird schon in früher mesopotamischer Zeit, für den Sumerer Gudea, für Sargon, den Gründer der babylonischen Macht, dann in der Spätzeit Assyriens für Assurnasirpal, dem König nachgesagt: daß sein Vater oder daß auch seine Mutter unbekannt sei, daß er in der Verborgenheit oder auf[246] den Bergen, also von einem Gott, gezeugt worden sei. Namentlich – aber nicht nur – Usurpatoren greifen zu diesem Mittel der Legitimierung. Auch diese Vorstellung scheint in Israel bekannt gewesen zu sein, denn Jesaja bedient sich ihrer, als er dem glaubenslosen König Ahas den bald erscheinenden, ja vielleicht schon jetzt geborenen Heilskönig, den Immanuel, entgegenhält, der ganz diese Züge trägt. Je nach der mehr militaristischen oder pazifistischen Schicht ist dann der Heilskönig ein Monarch, der auf Rossen und Wagen kommt (Jer. 17, 25; 22, 4) oder ein auf dem Esel reitender Fürst nach Art des altisraelitischen charismatischen Helden der Bundeszeit (Sach. 9, 9 f.) und ein Friedensfürst, wie der jesajanische Immanuel. Im Judäerreich wurde naturgemäß aus dem Davididenstamm, daher aus Bethlehem, dieser »Gesalbte« (ha maschiah, das heißt einfach: der König) erwartet, der ein »Heiland« (moschua') sein wird, als welcher Jerobeam II. von seiner Zeit aufgefaßt wurde. Die Besonderheit dieser Hoffnungen in Israel ist politisch bedingt. Während die starke, unvordenklich alte Stellung des Königtums in den großen Kulturgebieten dort die soteriologischen Hoffnungen wesentlich an den lebenden König knüpfte217 und nur ganz ausnahmsweise – wie unter Bokchoris – eigentlich »messianische« Heilserwartungen sich finden, lag dies in Israel anders. Zwar mit der erstarkenden Stellung des Priestertums war auch in Aegypten der König (so unter der 21. Dynastie) nur der von Ammon anerkannte und legitimierte Herr, nicht mehr, wie wenigstens nach der offiziellen Auffassung des Alten Reichs, selbst lebender Gott; und in Mesopotamien war es in historischer Zeit stets so. Aber in Israel trat, zumal im Nordreich mit seinen steten Militärrevolten und Usurpationen, das Königtum als Heilsbringer stark gegen andere Erwartungen zurück. Für Hosea gibt es einen legitimen König überhaupt nicht, – was der Zeitlage entsprach. Und auch sonst stand der offiziellen königlichen Heilsprophetie und Zukunftsweissagung die Hoffnung gegenüber: daß entweder Jahwe selbst dereinst das Regiment in die Hand nehmen, die fremden Götter vernichten (Jes. 10, 3. 4) und die Welt neu gestalten werde218 oder daß[247] er einen übermenschlichen Wundertäter schicken werde, dies zu bewerkstelligen. Dieser wird dann alle fremden Bedränger, aber nicht nur sie, sondern auch die Uebeltäter im eigenen Lande vernichten: zu dieser spezifisch ethisch gewendeten Hoffnung verdichtete sich, unter dem Einfluß der besondersartigen Beziehung Jahwes zu seinem Volk kraft der berith, die Hoffnung in Israel und nur dort. Es finden sich von einer derartigen Wendung anderwärts keine Spuren und sie konnte auch, unter der Herrschaft der Magie als universellen Heilsmittels, sich anderwärts nicht entwickeln. Daraus folgte aber: daß das Kommen des Tages Jahwes Unheil auch über die Sünder im eigenen Volk bringen werde. Nur ein Rest219: schearith, wird vor Jahwes Zorn bestehen: mit diesem für alle Propheten grundlegend wichtigen »Rest«-Gedanken arbeitet gleich der erste von ihnen, Amos, als mit einer festen Vorstellung, und Jesaja nannte einen seiner Söhne Schear jaschub (»Rest bekehrt sich«). Natürlich: ein sittlich qualifizierter Rest, – so daß die eschatologischen Naturmythologien der Umwelt auch hier ethisch gewendet wurden. Von den beiden möglichen Vorstellungen über die Person des eschatologischen Helden war die im allgemeinen in den jahwistischen Kreisen herrschende offenbar: daß Jahwe selbst seine Sache gegen seine Feinde führen werde. Die andere: daß ein eschatologischer Held in seinem Auftrag handeln werde, führte entweder in die Bahnen der königlichen Heilsprophetie – wie meist in Jerusalem, wo die Davididen Träger dieser Hoffnung waren – oder sie führte zu esoterischen Mythologemen. Der Retter wurde dann eine überirdische Gestalt. Wie ein »Stern« geht er auf im Bileamspruch (Num. 24, 17). Er ist ein »Vater für ewig« (in der freilich zweifelhaften üblichen Lesart der Stelle Jes. 9, 5). Sein Ursprung ist in den unvordenklichen Tagen der Vorzeit (Mich. 5, 1). Diese dunkeln Andeutungen, die in dem »Gottesknecht« des Deuterojesaja im Exil ihre Fortbildung erfuhren, sind nirgends näher ausgeführt. In den bisher aus der Umwelt Israels vorliegenden Dokumenten[248] finden sich keine unmittelbaren Analogien; die Einwirkung iranischer Vorstellungen ist äußerst fraglich, und es handelt sich bei Yima und den anderen in Betracht kommenden Gestalten der älteren iranischen Religion auch nicht um eschatalogische Heilsbringer. Da die entscheidende Stelle (Micha a.a.O.) das Davididengeschlecht als Träger der Heilshoffnung hinstellt und die Vorstellung eines Fortraffens großer Gotteshelden in Jahwes Himmel in Israel nicht fehlte (Henoch, Elia), so ist dort wohl an die Wiederkehr Davids selbst gedacht. Das der israelitischen Erwartung Eigentümliche ist dabei die steigende Intensität, mit welcher, sei es das Paradies, sei es der Heilskönig, das erste aus der Vergangenheit, das zweite aus der Gegenwart, in die Zukunft projiziert wurden. Das geschah nicht nur in Israel. Aber mit derartiger und zwar offenbar stetig zunehmender Wucht ist diese Erwartung nirgends in den Mittelpunkt der Religiosität getreten. Die alte berith Jahwes mit Israel, seine Verheißung in Verbindung mit der Kritik der elenden Gegenwart ermöglichte das; aber nur die Wucht der Prophetie machte Israel in diesem einzigartigen Maße zu einem Volk der »Erwartung« und des »Harrens« (Gen. 49, 18).

Die Vorstellung endlich, daß die erwartete Zukunftskatastrophe Heil und Unheil und zwar zuerst Heil, dann Unheil, bringen werde, findet sich wenigstens in einigen Ansätzen im ägyptischen Glauben bezeugt. Man pflegt sie, ohne (bisher) genügenden Beweis220, als ein festes Schema der Zukunftserwartung[249] anzusehen, dessen Uebernahme durch die Propheten den charakteristischen Zug ihrer Verkündigung konstituiert habe. Tatsächlich beherrscht das Schema wenigstens einen erheblichen Teil der vorexilischen Prophetie, ohne übrigens rein an sich deren spezifische Eigenart irgendwie erschöpfend zu charakterisieren. Die Herkunft aus kultischen Eigentümlichkeiten der chthonischen und gewisser siderischer Götter läge, wenn dies »Schema« tatsächlich als solches existiert hätte, nahe: Nacht und Winter brechen erst vollends herein, ehe die Gottheiten der Sonne und der Vegetation ihre Kraft wieder entfalten können. Inwieweit dabei die weithin über die Welt und so auch in der Nachbarschaft verbreiteten Vorstellungen von dem Leiden eines Gottes oder Heros, ehe er zur Gewalt gelangt, herstammend aus den Kultmythen der siderischen und Vegetationsgötter, auch in die volkstümliche israelitische Vorstellung übergegangen waren, muß dahingestellt bleiben. Daß Israel namentlich jene Kindheitsmythen, wie sie sich daran anzuknüpfen pflegten, kannte, zeigt die Geschichte von der Jugend des Mose. Die vorexilische Prophetie hat mit diesen volkstümlichen Konzeptionen, sie in ihrer Art abwandelnd, gearbeitet. Die Priesterschaft und die theologischen Intellektuellen überhaupt haben, soviel ersichtlich, sie gemieden und statt dessen die nüchterneren Verheißungen materiellen Wohlstandes, starker und geehrter Nachkommenschaft und eines großen, als Segenswort gebrauchten Namens verwertet. Vermutlich mieden sie die volkstümliche Eschatologie wegen ihres Zusammenhangs mit fremden astralen, chthonischen oder Toten-Kulten. Wo eine Verheißung einer Zukunftspersönlichkeit auftritt, ist es bei ihr nicht ein König, sondern ein Prophet wie Mose (Deut. 18, 15. 19). Die Hoffnung, daß Jahwe selbst in der Zukunft die Herrschaft wieder in die Hand nehmen werde, wie er sie – nach der zuerst in der prophetischen Zeit auftauchenden Vorstellung der Samuel-Legende – einst vor der Errichtung des Königtums gehabt habe, gehört wohl im wesentlichen erst der Exilszeit an, wo (bei Deuterojesaja) der Heilands-Titel auf Jahwe angewendet wird.

Wir werden die Art, wie die Prophetie diese Zukunftserwartungen verwertet hat, gesondert zu besprechen haben. Vorher aber werden wir zweckmäßigerweise die Leistung ihrer Konkurrentin in der Prägung des Judentums erörtern: der vorexilischen Thoralehre. Denn nicht die Prophetie schuf[250] den materiellen Inhalt der jüdischen Ethik, so wichtig ihre Konzeptionen für deren Geltung wurden. Sie setzte vielmehr gerade den Inhalt der Gebote als bekannt voraus und man würde aus den Propheten allein niemals auch nur annähernd vollständig die ethischen Anforderungen Jahwes an den Einzelnen entnehmen können. Diese Anforderungen waren eben von einer ganz anderen Seite her geprägt: durch die levitische Thora. Resultat ihrer Arbeit waren auch diejenigen Gebilde, welche wir heute als besonders bedeutsame Schöpfungen der israelitischen Ethik anzusehen pflegen: die »Dekaloge« (eigentlich: der eine, »ethische«, Dekalog221) Ex. 20, 2 f.; Deut. 5, 6 f. und die beiden Dodekaloge Ex. 34, 14 f. und Deut. 27, 18 f.). Man hat immer wieder versucht, für diese Sammlungen ein besonders hohes Alter, womöglich mosaischen Ursprung, wahrscheinlich zu machen. Vor allem mit dem Argument: daß das »Einfache« an der Spitze der »Entwicklung« gestanden haben müsse. Das ist schon an sich auf diesem Gebiet nicht immer richtig. Unser »ethischer« Dekalog insbesondere (Ex. 20, 2-17; Deut. 5, 6-18) erweist die (relative) Jugend seiner Geltung als gemeinverbindliche Norm schon durch das Schnitzbilderverbot, welches dem gemeinisraelitischen Brauch der älteren Zeit nicht entspricht. Ferner auch dadurch, daß er vom »Haus« des Nächsten und vom Gerichtszeugnis spricht, also feste Häuser und Prozeßverfahren mit Zeugenverhör voraussetzt. Weiter durch die sonst in vorexilischer Zeit nirgends so stark hervortretende Scheu vor dem Mißbrauch des Jahwenamens. Endlich durch die abstrakte Fassung des 10. Gebots: »laß dich nicht gelüsten«, selbst wenn der gesinnungsethische Sinn des Worts erst später an die Stelle des ursprünglichen massiveren (»betrügerisch manipulieren«) getreten sein sollte. Nebenbei steht auch das allgemeine Verbot des »Tötens« mit dem Blutracherecht in Widerspruch. Andererseits enthält der ethische Dekalog keineswegs alle gerade dem alten Israel fundamental charakteristischen Vorschriften: jede Erwähnung der Beschneidung fehlt und von den rituellen Speisegeboten ist keine Rede. Abgesehen von der starken Betonung des Sabbat könnte der ethische Dekalog daher geradezu den Eindruck einer von Intellektuellen geschaffenen Formel einer interkonfessionellen Ethik machen: und er hat ja auch dem Christentum stets erneut als ethisches Orientierungsmittel[251] gedient. Das ist weder bei den früher erwähnten Verfluchungsformeln der Sichemer Zeremonie (Deut. 27, 14-26), die man als »sexuellen Dekalog« zu bezeichnen pflegt, noch bei dem einzigen in jahwistischer Fassung erhaltenen Gebotenverzeichnis, den im Text als »Wort des Bundes« (debar ha berith) bezeichneten Vorschriften Ex. 34, 14-26 (dem sog. »kultischen Dekalog«) der Fall. In dem ersteren werden bei den sozialen Schutzvorschriften die für Israel charakteristischen gerim neben den Witwen und Waisen genannt. In dem letzteren aber wird neben der Vorschrift der Monolatrie (Verbot des Anbetens eines anderen »El«) und der Gußbilder das Verbot der Teilnahme an den kanaanäischen Opfern und jeder »berith« mit Kanaanäern überhaupt sehr nachdrücklich eingeschärft, woran sich dann Vorschriften über die Sabbatruhe und die Feste, die jährlich dreimaligen Wallfahrten zur Kultstätte, die Erstlingsabgaben an Jahwe, – alle in ziemlich allgemeinen Ausdrücken gehalten, – und schließlich drei sehr spezialisierte und unzweifelhaft sehr alte rituelle Speisebestimmungen, darunter eine über das Passah, schließen. Da in diesem »kultischen« Dekalog Ackerbaufeste und Passah beide vorkommen, Fälle von berith mit Kanaanäern mindestens bis Salomo existierten, andererseits das (übrigens in diesem Dekalog nicht unbedingt verbotene222 connubium mit ihnen, wie die Legende von der Brautwerbung für Isaak wahrscheinlich macht, bei den jahwistischen Viehzüchtern am frühesten Bedenken erregt hat, so kann diese Komposition in ihrer jetzigen Form nicht übermäßig alt sein. Für den sog. »sexuellen Dekalog« gilt insofern das gleiche, als er voraussetzt, daß die Aufstellung von Schnitz- oder Gußbildern, die Jahwe ein Greuel sind, nur noch »insgeheim« erfolge, – was bis in die späte Königszeit selbst in Juda nicht der Fall war. Die zweifellose (relative) Jugend des jetzigen Inhalts würde nun das Alter von dekalogartigen Gebotsammlungen in Israel nicht ausschließen. Aber schon die Unterschiede der jetzigen Dekaloge, denen allen gerade die zweifellos jüngsten Bestimmungen (Bildverbot) gemeinsam sind, machen die ursprüngliche Form problematisch und dazu tritt die Erwägung: daß jedenfalls solche Katechismusartigen[252] paränetischen Gebilde, wie der Dekalog Ex. 20 eines ist, nach den indischen Analogien zu schließen, nie am Anfang einer Entwicklung zu stehen pflegen, sondern relativ späte Produkte lehrhafter Absichten sind. Wir finden denn auch in der vorexilischen Literatur, vor allem der prophetischen, keine sichere Spur davon, daß den Dekalogen irgendwelche spezifische Würde und Bedeutung zugeschrieben wäre, ja daß sie überhaupt als allgemein bekannt vorausgesetzt223 worden wären. Möglich[253] scheint, daß der »ethische« Dekalog in der Zeit Hoseas in Nordisrael schon bekannt war. Sicher ist auch das in keiner Weise. Allein in jedem Fall ist die angebliche Sonderstellung der drei Dekaloge, von der alle jene Ansichten ausgehen, ganz unbegründet. Ganz offensichtlich gilt das für den »kultischen« und den »sexuellen« Dekalog. Die Zusammenstellung der Sexualgebote Lev. 18, die Sammlung kultischer, ethischer, ritueller und karitativer Satzungen Lev. 19: die umfassendste, auch die Gebote unseres »ethischen Dekalogs« einschließende Sammlung von allen, endlich auch die Sammlung Lev. 20, rituelle und sexualethische Vorschriften enthaltend, sind, wie der Augenschein lehrt, schlechthin gleichartig mit dem »kultischen« und »sexuellen« Dekaloge, und mindestens Lev. 19 geht auf eine Sammlung zurück, die ihrem ursprünglichen, wenn auch überarbeiteten Bestand nach keineswegs jünger sein muß, als irgendeiner der Dekaloge. Die Frage des Alters hängt aber mit der anderen zusammen: welchen Ursprung denn diese Sammlungen vermutlich gehabt haben?

Hervorragende Forscher haben geglaubt, sie als alte Bestandteile kultischer »Liturgien« auffassen zu sollen. Die Analogien sprechen aber entschieden gegen diesen Ursprung. Uns sind aus Aegypten und Babylonien Sündenkataloge erhalten, welche schon öfter mit den israelitischen Sammlungen in Parallele gestellt worden sind. Woher stammen nun diese? Nicht aus dem Kultus, sondern aus der »Seelsorge« der Magier und[254] Priester. Der von Krankheit oder Unglück Verfolgte, der beim Priester Rat sucht, wie er den Zorn des Gottes beschwichtigen solle, wird von diesem nach Sünden abgefragt, die er etwa begangen haben könnte. Dafür haben die Priester zweifellos früh feste Schemata entwickelt. Für Babylon ist ein erhaltener Sündenkatalog ganz unmittelbar ein solches Schema und das gleiche ist zweifellos der Ursprung des Sündenkatalogs des ägyptischen Totenbuchs, welcher die Sünden angibt, nach welchen die 42 Totenrichter im Hades den Toten befragen werden.

Wir sahen, daß die Thora der Leviten genau in dieser Richtung lag. Sündenbeichte und gegebenenfalls Erstattung unrechten Guts an den Geschädigten mit 20% Zuschlag schreibt die Priestergesetzgebung ausdrücklich vor (Num. 12, 6), sicherlich auf Grund alten Brauchs. Die überlieferten Vorschriften über die levitischen Schuld- und Sühnopfer zeigen auch die Gelegenheit, bei welcher gerade diese »Beichte« des Opfernden vorgenommen wurde: ein privates Opfer, nicht: ein Kultakt. Mit steigender Bedrängnis von außen und dadurch steigendem Druck des allgemeinen Sündengefühls steigerte sich die Bedeutung gerade dieser Tätigkeit der Leviten. Die Erklärung, welche nach dem Deuteronomium (26, 13 f.) in jedem dritten Jahre der Israelit bei Opferung des Zehnten an Leviten, gerim, Witwen und Waisen abzugeben hat: daß er diese Ablieferung richtig besorgt, keines der Gebote Jahwes übertreten und insbesondere nichts von dem Abgelieferten in Unreinheit oder Totentrauer gegessen oder einem Toten geopfert habe, hat genau die Form der ägyptischen Sündenreinheitserklärung. Man braucht aber einen zum Abfragen bestimmten Sündenkatalog nur in positive Vorschriften umzukehren und man hat eine Liste göttlicher Gebote, wie sie insbesondere auch die Dekaloge darstellen. Daher stammen sie und alle ähnlichen Sammlungen. Nicht aus dem gemeinsamen Kult, an dem ja die von Unglück Geschlagenen, als von Gottes Zorn verfolgt, gar nicht teilnehmen durften, sondern vielmehr aus der Beichtpraxis der Leviten gegenüber den »Mühseligen und Beladenen«. Mit ihnen als »Kunden« hatte sich der Levit in der Praxis fortwährend zu befassen: daher die Vorliebe der Thora für diese gedrückten Schichten und der Zorn gegen die »Hochmütigen«, die sich nicht geneigt zeigen, sich vor Gott, d.h. vor dem Leviten, zu »demütigen« (und: ihn für die Versöhnung mit Jahwe zu entgelten).

[255] Indirekt war freilich auch die Gemeinschaft an der Sündenbeichte interessiert. Deshalb: weil sie solidarisch haftete. Das »Erscheinen vor Jahwe«, welches der kultische Dekalog für alle Israeliten anordnet, hatte vielleicht den Zweck, eine präventive Abfragung der Erscheinenden nach Sünden zu ermöglichen, damit sie und die Gemeinschaft vor dem Zorn Jahwes bewahrt blieben. Jedenfalls aber sollte es die priesterliche Machtstellung sichern. Die sichemitische Zeremonie verfluchte namens der Gemeinschaft diejenigen, welche eine (durch den Leviten ungesühnte!) Sünde auf sich hatten, auf daß nicht die Gemeinschaft unter Jahwes Zorn leide: diesen Zweck und die Sündenverfluchung selbst haben vermutlich erst die levitischen Thoralehrer in den ursprünglich wohl für die einfache Dämonenverfluchung bestimmten Ritus nachträglich hineingebracht. Dem gleichen Zweck: Reinhaltung der Gemeinschaft von Sünden, um den Zorn des Gottes von ihr fernzuhalten, diente ja nach der Auffassung der levitischen Priester auch die von ihnen als Pflicht und Recht in Anspruch genommene Aufgabe der Belehrung des Volks über die Thora überhaupt. Die deuteronomische Vorschrift, die Thora alle sieben Jahre öffentlich verlesen zu lassen, ist ebenso jung wie die Konstruktion des »Erlaßjahrs«, mit dem sie (Deut. 31, 11. 12) verbunden ist; schon daß auch die gerim sie hören sollen, zeigt das. Das Interesse der Gemeinde an der Sündenbeichte und Sündenkatalogisierung stieg eben mit den steigenden Zeichen göttlichen Zorns.

Die Abweichungen der Sammlungen und auch das seltsame Nebeneinanderstehen der im Wesen dem gleichen Zweck dienenden »Schuldopfer« und »Sühnopfer« (Chattat und Ascham) in der jetzigen Redaktion erklären sich daraus, daß eben keine einheitliche Organisation, sondern zahlreiche bekannte Amtssitze von Leviten und bis zum Siege Jerusalems auch zahlreiche levitische Opferstätten nebeneinander standen. (Ein solcher alter Sitz levitischer Weisheit, an den man sich mit Fragen wandte, wird 2. Sam. 20, 28 erwähnt.)

Jedenfalls aber: Die drei sogenannten Dekaloge dürfen nicht anders angesehen werden als die andern ähnlichen Sammlungen. Daß man ihnen auch in der wissenschaftlichen Betrachtung bei uns jene Sonderstellung einräumte, hatte außer in der späten Legende von der »Bundeslade« als dem Aufbewahrungsort von zwei die Gebote enthaltenden Steintafeln, offenbar auch in der[256] Hoffnung seinen Grund: auf diese Art etwas greifen zu können, was an inhaltlichen Geboten auf Mose zurückgeführt werden könnte. Aber diese Hoffnung ist doch wohl ganz vergeblich. Die Rezeption Jahwes als Bundesgott und des levitischen Orakels sind die beiden Leistungen, welche mit gutem Grund auf Mose zurückgeführt werden dürfen. Das ist nicht wenig: aus der Eigenart des Bundesgotts und der Leviten folgte – unter Mitwirkung bestimmter historischer Verkettungen – später alles andere. Aber die durch jene Hoffnung bedingte Sonderstellung der Dekaloge ist aufzugeben. Wenn die mosaische berith über die aus der Rezeption ohne weiteres folgenden rein rituellen Verpflichtungen hinaus inhaltliche Gebote enthalten haben sollte, dann sicher nur solche, welche der Erhaltung des Friedens innerhalb des Heerbanns dienten, über die Rache vergossenen Blutes und vielleicht »sozialpolitische« Schutzbestimmungen für verarmende wehrhafte Sippen. Was aber die inhaltliche Ethik anlangt, so zeigen die Quellen, daß im alten Israel zunächst, wie überall, die Sitte der letzte Maßstab des »Sittlichen« war. Nie findet eine Bezugnahme auf »Gebote« statt. Nebalah, »Ruchlosigkeit«, war das, was in Israel »unerhört« war. Erst die levitische Thora begann für die Zwecke der Sündenbeichte Einzelgebote zu formulieren und zu katalogisieren. Der »ethische« Dekalog (Ex. 20) nimmt unter ihnen allerdings eine von andern ähnlichen Sammlungen kaum irgendwo erreichte Sonderstellung ein. Aber nicht weil er »mosaisch« wäre. Das ist er am allerwenigsten. Sondern weil er wahrscheinlich den Versuch darstellt, eine summarische Jugendlehre für die Heranwachsenden – deren Unterricht über Gottes Willen ja (Ex. 13, 8. 14 und öfter) vorgeschrieben war – zu bieten, ebenso wie die indischen Dekaloge dem Laien- (und außerdem dem Novizen-)Unterricht dienten. Der Wucht, Plastik und Präzision seiner Formulierung, nicht der Sublimierung oder Höhe seiner ethischen Ansprüche (die tatsächlich recht bescheiden sind) verdankt er seine Stellung. Seine wichtigsten Eigenarten aber, vor allem seine Aussonderung aus der Verbindung mit rituellen Vorschriften einerseits, sozialpolitischen andererseits, verdankt er zweifellos der Adresse, an die er sich wendete: es sind weder die politischen Gewalten, noch sind es die Angehörigen einer Bildungsschicht, die er belehren will, sondern der Nachwuchs des breiten bürgerlichen und bäuerlichen Mittelstandes, des »Volkes«.[257] Deshalb enthält er nur das, was alle Altersklassen im Alltagsleben beobachten sollen, nicht mehr. Die »zehn Gebote« dienen ja auch bei uns wesentlich dem Zweck der elementaren Jugend- und vor allem: Volks-Belehrung. Weit entfernt also, daß der Gemeinschaftskult, womöglich der Tempelkult, die Quelle der zahlreichen »debarim«und Thorasammlungen, darunter auch der Dekaloge, gewesen wäre, entsprangen sie der levitischen Seelsorge und dem Lehrbetrieb, für welchen wir alsbald im Exil in Babylon das »Lehrhaus« antreffen, also: dem historischen Vorläufer der späteren Synagoge, der mit »Kult« ursprünglich gar nichts zu schaffen hatte.

Wie die Brahmanen ursprünglich aus der rituellen und magischen Seelsorge für die einzelnen, so sind die levitischen Thoralehrer nicht aus Funktionen im Gemeinschaftskult, sondern gerade aus der rituellen und ethischen Seelsorge vor allem für die einzelnen (einschließlich des Fürsten) zu ihrer Machtstellung und kulturhistorischen Bedeutung aufgestiegen und ihre Beteiligung im Kult war vielleicht überhaupt erst sekundär, jedenfalls aber nicht die Hauptsache. Gerade das Fehlen einer Kult-Zentralisation und eines amtlichen Organs für einen Bundeskult im alten Jahwebunde gab sowohl den alten Propheten und Sehern, wie den Leviten ihr starkes Gewicht. Mit diesem Gewicht hatten die eigentlichen Kultpriester auch in der Königszeit schon deshalb zu rechnen, weil breite Kreise der im Besitz der Rechtsüberlieferung befindlichen Laien den Leviten starken Rückhalt gewährten. Und zwar sind es anscheinend gerade manche vornehmen Sippen gewesen, deren Angehörige im königlichen Dienst standen und dadurch im Gegensatz zu den Sippen der alten Sekenim zu einer rationalen Betrachtung des Rechts nach Art der levitischen Paränese neigten, die innere Opposition gegen die sultanistischen Anwandlungen der Könige aber mit den levistisch-jahwistischen Kreisen einerseits, den Sekenim andererseits teilten. Die Prophetin Hulda war Frau eines solchen Beamten. Die gleiche Provenienz tritt in einer deuteronomischen Sammlung ziemlich deutlich hervor, für welche »Schofetim«, offenbar: Laienrichter anderer Art als die Sekenim, mit den Leviten gemeinsam Träger der Rechtsprechung sind, während die alte Tradition durchweg die Sekenim als die eigentlich legitimen Vertreter des Volkes behandelt.

Ursprünglich als Losorakelgeber, dann als Seelsorger und dadurch[258] rationale Thoralehrer, hatten die Leviten ihre Machtstellung erlangt. Eine strenge Trennung von »jus« und »fas« war mit ihrer zunehmenden Bedeutung und der steigenden Berücksichtigung ihrer Anschauungen durch die jahwistisch interessierten Laien nicht aufrechtzuerhalten. Die alte nie vergessene Bedeutung der »debarim Jahwe« für alle wichtigen Entschließungen kam ihrem Einfluß auch auf die Rechtsanschauungen zugute. Die Theologisierung des Rechts einerseits, die Rationalisierung der religiösen Ethik andererseits waren die Folge dieser Zusammenarbeit jahwistisch frommer Laien mit ethisch reflektierenden Priestern. Das wichtigste Produkt dieser Zusammenarbeit, entstanden unter dem beherrschenden Einfluß der Jerusalemiter Priesterschaft nach dem Zusammenbruch des Nordreichs, war nun: das Deuteronomium. Es ist uns schon begegnet 1. als Redaktion der Mischpatim, 2. als Kompendium der jahwistischen gegen den salomonischen Fronstaat und die »Weltpolitik« gerichteten Forderungen nach Beschränkung der Königsgewalt, 3. als Kompendium der kultischen Monopolansprüche der Priester von Jerusalem. Diesen kultischen Monopolansprüchen trat nun 4. der Monopolanspruch auf die Thora zur Seite. Der Israelit soll (Deut. 17, 10) nach dem handeln, was an der von Jahwe bestimmten Kultstätte in Jerusalem gelehrt wird. Kultpriester als solche pflegen im allgemeinen nicht Träger rational ethischer Lehre zu sein, sondern sind in aller Regel rein ritualistisch orientiert. So war es auch in der Zeit des zweiten Tempels. Damals war das große »Beth Din in der Quaderkammer« des Tempels von Jerusalem – dessen Stellung und Bedeutung Büchler in glänzenden Untersuchungen aufgedeckt hat – die Zentralinstanz für die Entscheidung aller rituellen Fragen der Lebensführung und zugleich zur Abgabe von Gutachten über Fragen des »fas« auf Anfrage der weltlichen Gerichte zuständig. Daß eine formal organisierte und anerkannte einheitliche Instanz dieser Art in vorexilischer Zeit in Jerusalem bestanden hätte, ist nicht überliefert. Aber die gebildetste Großstadt-Priesterschaft des Landes wahrte durch jene Bestimmung den Anspruch, maßgeblich den Willen Jahwes für die Gerichte, Thoralehrer und Privaten interpretieren zu können.

Das Deuteronomium wollte ein Kompendium der levitischen Lehre, das maßgebliche »Sefer hattorah«, sein. Später wird uns seine Beziehung zu der Verkündigung der Propheten zu beschäftigen[259] haben. Hier geht uns jetzt sein Gehalt an levitischer Paränese und an theologischer Rationalisierung der Ethik an. Die nur von orientalistischen Fachmännern zu entscheidende Frage, ob etwa das unter Josia angenommene Kompendium, wie Puukko im Gegensatz zu Wellhausen glaubt, ursprünglich nur aus diesen paränetischen Teilen und den auf die Kult- (und wohl auch: Thora-)Konzentration und die damit zusammenhängenden Verhältnisse bezüglichen Bestimmungen bestand, die übrigen aber, also nicht nur die unmittelbar prophetischen, zum Teil sicher erst exilischen oder nachexilischen, sondern auch die Mischpatim und das Königsrecht erst später damit verschmolzen worden sind, kann hier dahin gestellt bleiben. Denn auf jeden Fall entstammten auch in diesem Fall sowohl das Königsrecht wie auch die Bearbeitung der Mischpatim dem gleichen oder einem nahe verwandten Theologenkreis und verfolgten die gleiche Tendenz. Die eigentlich paränetischen Partieen des Deuteronomium sind das Werk eines Einzelnen, offenbar eines Thoralehrers aus dem Kreise der Tempelpriesterschaft von Jerusalem. Aber die Art der »Auffindung« und die dabei genannten Personen gestatten den Schluß: daß das Ganze ein gut vorbereiteter Akt einer bereits um eine entsprechende Anschauung gescharten Partei war.

»Höre Israel, Jahwe ist unser Gott, Jahwe allein«, – der Anfangssatz des heutigen jüdischen Morgengebets, steht an der Spitze der Paränese. Er ist ein eifersüchtiger Gott (Deut. 6, 15), aber er ist treu (7, 9), er hat den Bund mit Israel, welches er erwählt hat (7, 6), beschworen (7, 12) und hält ihn durch tausend Geschlechter; er liebt sein Volk (7, 11) und wenn er es Mühsal und Not erdulden ließ, so hat er das getan, um die Echtheit seiner Gesinnung zu erproben (8, 2. 3). Denn er knüpft seine Liebe und Gnade daran, daß seine Gebote gehalten werden (7, 13); wenn nicht, so wird er den Sünder und zwar ihn selbst, ohne Aufschub (auf andere Generationen) strafen (7, 10). Vor allem aber haßt er den Hochmut und das Selbstvertrauen (8, 14), besonders das Vertrauen auf die eigene Stärke (8, 17), welches zumal dann leicht eintreten kann, wenn Israel reich geworden ist (8, 12. 13). Und ebenso die Selbstgerechtigkeit (9, 4); denn er hat Israel nicht erwählt und bevorzugt um seiner Tugenden willen. Diese hat es gar nicht, es ist das geringste der Völker (Deut. 7, 7. 8), – eine höchst nachdrückliche Ablehnung alles kriegerischen nationalen Heldenstolzes. Sondern er erwählte es wegen der Laster der[260] anderen Völker (9, 5. 6), worunter zweifellos vor allem die Sexualorgiastik (23, 18) und andere »Landessitten« Kanaans (12, 30) verstanden sind. Nach solchen Sitten des Landes soll man nicht, in der Meinung, dies den Göttern des Landes schuldig zu sein, leben, sondern nach Jahwes Geboten allein. Alle Magie und Zeichendeutung jeder Art (18, 10. 11), alle Menschenopfer (18, 10), aber auch alle Bundesschließungen (7, 2) und das connubium (7, 3) mit den Kanaanäern sind wegen der Gefahr des Abfalls streng verboten: alle Feinde sind ein für allemal dem Cherem verfallen. Jeden, der zum Abfall von Jahwe verleitet und sei es ein Prophet (13, 6) oder der eigene Bruder oder Sohn, muß man mit eigener Hand den Steinigungstod erleiden lassen (13, 7). Was die Beziehung des Frommen zu Jahwe anlangt, so soll man ihn fürchten, verehren, nur bei ihm schwören (6, 13), vor allem aber: ihn lieben (7, 9) und seinen Verheißungen unbedingt vertrauen: Jahwe hat die Macht, Israel seine Zusagen zu halten auch noch so viel stärkeren Völkern gegenüber (7, 17. 18) und das Wunder des Manna in der Wüste hat gezeigt, daß der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern von allem, was Jahwe geschaffen hat (8, 3). Die Macht des Gottes wird ins Riesenhafte, Monotheistische, gesteigert: er ist allein der Gott des Himmels und der Erde und kein anderer (4, 39); Himmel und Erde und alles gehört ihm (10, 14), er allein und kein anderer ist Gott (4, 35) heißt es in vielleicht erst im Exil entstandenen Zusätzen. Aber dieser Wundermacht wird er sich für Israel nur dann bedienen, wenn es ihm gehorcht und seine Gebote hält. Dann – diese Bestandteile der später im Exil stark erweiterten Verheißungen und Flüche (Kap. 28) werden als ursprünglich gelten dürfen – wird materielles Wohlergehen aller Art eintreten, die Feinde wird Jahwe, wenn sie kommen, niederstrecken, dem Lande Regen geben und Israel zum Gläubiger anderer Völker, zum Patriziat also, machen; entgegengesetztenfalls wird er in allem das gerade Umgekehrte tun.

Es ist viel und in meist steriler, weil konfessionell-apologetischer Art darüber gestritten worden, ob »Furcht« das für Israel im Gegensatz zu andern Religionen maßgebende Motiv sittlichen Handelns gewesen sei224. Nun lehrt jede realistische Beobachtung, daß dieses Motiv für Massenreligionen – im Gegensatz[261] zu Virtuosenreligionen – überall in der Welt (neben dem qualitativ ähnlichen Motiv der Hoffnung auf diesseitige oder jenseitige Belohnung) seine beherrschende Rolle gespielt hat. Wie die levitischen Thoralehrer durch das Sündensühneverfahren, so hat die abendländische Kirche durch die Bußordnungen und nicht durch die Predigt der Liebe die Domestikation der Massen in die Wege geleitet. Der Predigt der Gottes- und Nächstenliebe in der christlichen Kirche stehen genau gleichartige und genau gleich ernst gemeinte israelitische (vor allem: rabbinische) Lehren gegenüber. Zutreffend ist nur eins: der ritualistische Charakter einer Religiosität bedingt natürlich, je stärker er vorherrscht, desto mehr, daß die Besorgnis vor rein formalen, für die moderne Vorstellung gesinnungsethisch irrelevanten, Verstößen die religiöse Beziehung färbt. Und zutreffend ist ferner: daß die Entwicklung der vorexilischen Ethik sehr stark unter dem Druck der Angst, man ist fast versucht zu sagen: der »Kriegspsychose«, angesichts der furchtbaren Raubkriege der großen Eroberungsreiche sich vollzog225. Davon wird später zu reden sein. Die Ueberzeugung; daß nur ein Gotteswunder, nicht Menschenkraft, retten könne, war die Grundstimmung des deuteronomistischen Kreises.

Die utopistischen Kriegsregeln des Deuteronomium und sein Königsrecht stimmen zu diesen prinzipiellen Grundlagen auf das beste. Auch in Aegypten wird in dem Gedicht des Pentaur gesagt: daß Ammon allein den Sieg bewirke und nicht eine Million Soldaten. Aber gehandelt wurde darnach nicht. Auch die Priestermacht in Aegypten entspricht den Anforderungen der Priester von Jerusalem. Aber in Israel mußten diese Züge ganz wesentlich penetranter wirken. Sie alle beruhten auf dem Prestige Jahwes, der allein, ohne Zutun Israels, alles zum besten lenken kann und lenkt, wenn man ihm nur vertraut. Dies an den Ammonglauben erinnernde, aber weit stärker durchgeführte Prestige Jahwes war in Jerusalem offenbar durch die, Jesajas Verheißung gemäß, unter Hiskia wider alle Wahrscheinlichkeit eingetretene Errettung aus der Belagerung durch Sanherib erzeugt. Die Heils- und Unheilsdrohungen entstammen zum Teil den von der Heils- und Unheilsprophetie geprägten Schemata.[262] Aber nur zum Teil: die Verheißung über das Geldleihen ist spezifisch bürgerlich-jerusalemitisch. Die strenge Monolatrie war eine damals schon alte jahwistische Forderung und das nach Innen gewendete Korrelat des Monopols der jerusalemitischen Priester nach außen. Der dem Wesen nach schon streng konfessionelle Abschluß nach außen entsprach teils Priester-Interessen, teils der Frömmigkeit einer stadtbürgerlichen, aber hierokratisch von Thoralehrern geleiteten Intellektuellenschicht. Dem Abschluß gegen die »Fremden« (nakhri) entsprach nach Innen die religiöse und sozialethische Gleichstellung der frommen und rituell korrekten gerim mit den Israeliten, das Produkt der Entmilitarisierung der Plebejer: Jeremia stellte ja zur gleichen Zeit die Rechabiten, also typische gerim, den Israeliten als Träger exemplarischer Gottwohlgefälligkeit hin. »Plebejisch« ist nicht nur die völlige Fremdheit gegenüber allen realen politisch-militärischen Bedürfnissen und jeglicher Heldengesinnung, sondern die ganze Art der gesinnungsethischen Beziehung zum Gott: Demut, Gehorsam, vertrauensvolle Hingabe – daher das Verbot, »Gott zu versuchen«, d.h. Wunder von ihm als Zeichen seiner Macht zu verlangen (Deut. 6, 16: es wird auf den Vorgang in Massa exemplifiziert, vgl. Ex. 17, 2. 7) vor allem eine pietistisch anmutende »Liebe« zu ihm, die vorher nur etwa bei Hosea (wenigstens nur bei ihm vorher sicher datierbar) als Grundstimmung bezeugt ist. Fromme Stimmung und eine gelegentlich in der Paränese pathetische, aber doch von aller radikalen und gottbesessenen Leidenschaft freie, gesinnungsethische Sublimierung der inneren Hingabe an den Gott kennzeichnen die Gesamthaltung. Durch die großen Propheten ist dieses Kompendium zwar, wie schon das hier Gesagte ergibt, in seinen grundlegenden utopistischen Voraussetzungen ganz entscheidend bedingt, aber es ist keinenfalls ihr Werk, wie wir später bei Betrachtung jener leicht sehen werden. Dagegen wird von den Fachleuten angenommen – was an sich wahrscheinlich ist –, daß der Redakteur des Deuteronomium die jahwistischen und elohistischen Sammlungen gekannt und namentlich die letzteren gelegentlich benutzt hat.

Der Abschluß der deuteronomischen Arbeit liegt wohl zeitlich nahe der (von Wellhausen sogenannten »jehowistischen«) Zusammenarbeitung der jahwistischen und elohistischen Redaktion der alten Erzväter-Legenden und levitischen Mose-Traditionen.[263] Es sind zahlreiche an die im Deuteronomium vertretene Religiosität unmittelbar erinnernde Einträge in diesen – später durch priesterliche Ergänzung, Interpolation und teilweise Ueberarbeitung veränderten – Redaktionen zu finden, und der »Jehovist« hat vor allem die großen Verheißungen an die Vorväter teils neu eingefügt, teils ergänzt. Gemeinsam mit dem Deuteronomium ist ihm dabei das Absehen vom Königtum: nicht dem Könige, sondern dem frommen Volk wird, in Anknüpfung an die alten, Bileam zugeschriebenen Segenssprüche aus der Zeit vor dem salomonischen Fronkönigtum, das Heil (an die Adresse seiner legendären Stammväter) verheißen. Theologisch interessierte fromme Laienkreise in Gemeinschaft mit Leviten dürften die Stätten sein, aus denen beide Arbeiten hervorgingen, nur daß beim Deuteronomium die unmittelbare Beteiligung der Priester weit stärker gewesen ist, weil es sich hier um ein durch priesterliche Interessen bestimmtes, allerdings aber auf der Thora der Leviten ruhendes, paränetisches Werk handelt.

In religiöser Hinsicht eignet der Paränese des Deuteronomium die starke Betonung des Vergeltungsgedankens und Vorsehungsglaubens, die erbauliche, weiche, karitative, oft miserabilistische Gestaltung der inneren Beziehung Gottes zu den Menschen und umgekehrt, und der durchweg plebejische Charakter der ganzen demütig ergebenen Frömmigkeit. Es sind das Züge, die in ausgeprägtem Maße auch der ägyptischen Volksfrömmigkeit des »Neuen Reichs« eignen und schon im Alten Reich Anknüpfungsquellen finden. Schon dort liebt, nach Ptahoteps Weisheitslehren, Gott vor allem: den Gehorsam. Die Denksteine von Handwerkern aus der Zeit der Ramessiden fügen hinzu: daß er »unbestechlich« ist, Kleinen wie Großen seine Macht zeigt, daß Ammon aber vor allem den Armen hört, wenn er zu ihm schreit, daß er auch von ferne – wie Jahwe – herbeikommt zu helfen, mit der »süßen Luft« des Nordwinds, der dort ebenso ersehnt wurde, wie das »stille sanfte Sausen« des West in Palästina, daß man auf ihn hoffen und ihn lieben solle, daß er seinen Zorn nicht den ganzen Tag über dauern lassen werde. Der Mensch ist, wie in der israelitischen Thora, nicht erbsündlich verderbt, aber töricht von Natur, er kennt »gut und böse« nicht. Gebet und Gelübde – die gleichen Mittel wie in Israel – stimmen ihn gnädig, vor allem aber: recht tun. Denn der Vergeltungsgedanke hat in der Frömmigkeit des Neuen Reichs offenbar[264] stark zugenommen und Krankheit ist natürlich auch hier die übliche Form göttlicher Strafe. Man sieht: diese ganz persönliche Frömmigkeit ist wesensgleich der überall in der Welt in plebejischen Klassen verbreiteten. Sie hat in Indien zur Heilands-Religiosität geführt. In Aegypten ist es der Pharao, durch dessen Fürsprache und Mittlerschaft man Heil erhofft, aber: wesentlich politisches Heil oder Regen, die Heilsgüter, für welche der politische Verband überall sorgt. Das private Ergehen des einzelnen galt zwar ebenfalls als vom Charisma des Pharao abhängig. Aber: die Bürokratie stand zwischen ihm und den Massen. Und die persönliche Religiosität der Pharaonen war die typische rein materielle do ut des-Moral: Das hatte mit jener plebejischen Frömmigkeit gar keine Beziehung. Und unvermittelt neben ihr stand die grobe Magie der Priester, an welche sich der Nothilfsbedürftige wendete. Eine ethische Belehrung der Massen lag eben nicht nur den auf ihre theologische Esoterik stolzen ägyptischen Priestern fern, sondern auch ihre materiellen Interessen verwiesen sie auf das viel einträglichere Geschäft des Verkaufs von Totenbuchrollen und Skarabäen. Es existierte also in Aegypten zwar eine plebejische Frömmigkeit ganz gleichartigen Gepräges wie im vorexilischen Israel und bei den fortwährenden direkten Beziehungen sind Einflüsse von dort nach hier keineswegs unwahrscheinlich, wennschon natürlich nicht strikt nachweisbar. Aber sie wurde niemals Gegenstand einer systematischen Rationalisierung sei es prophetischer sei es priesterlicher Art. Und ganz ähnlich stand es in Babylonien. Die alten Bußpsalmen der stadtbürgerlichen Zeit Mesopotamiens, aus der Bibliothek Assurbanipals und anderen Quellen bekannt, stehen an Stimmungsgehalt der israelitischen Psalmenfrömmigkeit überaus nahe, ja gelegentlich drängt sich der Gedanke einer Beeinflussung unmittelbar auf. Die Frömmigkeit des Nebukadnezar und der ersten Perserkönige stand ebenfalls der israelitischen nahe und dies war den Propheten ihrer Zeit auch bekannt, die nicht ohne Grund sie als »Knechte« Gottes bezeichnen. Aber auch dort fehlt die systematische Rationalisierung zu einer Alltagsethik der Massen. Es fehlte außer der rationalen Thoralehre eben zwar nicht die Prophetie überhaupt, aber: die spezifisch israelitische Art der Prophetie. Daß sie fehlte und nur in Israel bestand, hatte (s.u.) in rein politischen Umständen seinen Grund.

Wenn so die Thoralehrer im Mittelpunkt der Entwicklung[265] der religiösen Ethik standen, so erübrigt ein kurzer Blick auf deren materiale Anforderungen, um noch die Frage aufzuwerfen, ob sie etwa den Inhalt ihrer ethischen Lehren von anderswoher übernommen haben und wie er sich überhaupt zu der politischen Ethik anderer Kulturgebiete verhält.

Zur Würdigung der inhaltlichen Eigenart der altisraelitischen Ethik, wie sie in den Dekalogen, aber natürlich ganz ebenso und zum Teil noch deutlicher in den sonstigen ethischen Debarim sich äußert, interessiert im ganzen mehr als die vielfachen, aber im allgemeinen rein ethisch nicht sehr ertragreichen, jedenfalls darin kaum über das überall Selbstverständliche hinausgehenden Parallelen mit babylonischen Sündenregistern226 die Vergleichung mit der ägyptischen Sündenliste des 125. Kapitels des Totenbuchs227. Sie lag schon vor der Entstehung des israelitischen Bundes fertig vor und gab zweifellos die Anforderungen der Priester so wieder, wie sie auch bei Gelegenheit der Sündenabfragung an die Kundschaft gestellt wurden. Der Unterschied gegenüber den Anforderungen des ethischen Dekalogs ist im einzelnen zuweilen erheblich; aber andererseits finden sich starke Anklänge. Dem dekalogischen Verbot des »Mißbrauchs«[266] des göttlichen Namens entspricht dort die Versicherung, nie einen Gott »beschworen«, d.h. durch Magie gezwungen zu haben (B. 30). Gegenüber dem »keine anderen Götter haben« (ursprünglich: »keinen anderen Göttern opfern«) ist die ägyptische Forderung: Gott nicht im Herzen zu verachten (B. 34) infolge der stärkeren pantheistischen Wendung der ägyptischen Frömmigkeit stärker ins Gesinnungsmäßige gewendet. Die deuteronomische Forderung: Gott zu lieben ist in den ägyptischen Katalogen in dieser allgemeinen Form nicht ausdrücklich vertreten. Daß dagegen Gott den Gehorsam liebt, weiß schon Ptahotep (Pap. Prisse). (Dieser Gehorsam und das »Schweigen« sind dort stark politisch orientiert. Die ägyptische Forderung der Untertanenloyalität (B. 22, 27 und Kap. 17, l. 3. 48, Kap. 140) fehlt im ethischen Dekalog ganz und ist auch außerhalb seiner auf das Gebot, »dem Fürsten des eigenen Volkes nicht zu fluchen«, reduziert (Ex. 22, 27, vgl. 2. Sam. 16, 9 und Jes. 8, 21)228. Die dekalogische Elternpietät und ebenso die vom Deuteronomium unter Androhung der Steinigung eingeschärfte Pflicht des Gehorsams gegen die Eltern (Deut. 22, 6. 7) bezieht sich wohl sicher ebenso wie die vielen Bestimmungen der babylonischen Rechtsliteratur gegen pietätlose Kinder auf Respekt gegen die alten, vor allem die im Altenteil sitzenden Eltern, mit denen sich noch der Sirachide befaßt. Diesem dekalogischen und deuteronomischen Pietätsgebot gegen die Eltern und den in Urkunden häufigen babylonischen schweren Strafdrohungen gegen den Sohn, der zu Vater oder Mutter sich unehrerbietig äußert, steht im Totenbuch nur (B. 27) die Erklärung gegenüber: gegen den Vater keine Uebeltat begangen zu haben. Im übrigen freilich schärfte die Priester- und Schreiberethik der Aegypter die Ehrung des Alters, der Lehren der Eltern und der Tradition unablässig ein, wie denn auch in Israel geboten wird: »vor einem grauen Haupt aufzustehen« (Lev. 19, 32). Dem Verbot des Tötens im Dekalog entspricht im Totenbuch die Versicherung, nicht getötet und nicht zum Mord angestiftet zu haben (E 7 A 18). Dem[267] »Schinden« der Armen und der gerim (Ex. 23, 9) steht im ägyptischen Katalog das Verbot jeder Gewalttat (A 14) und der Anstiftung von Schaden (A 20) gegenüber. Zahlreiche Grabinschriften ägyptischer Monarchen und Beamten rühmen, daß der Tote die Armen nicht bedrückt habe. Das dekalogische Verbot des Ehebruchs, die Verpönung des Incests auch in der Form bloßen begehrlichen Anblickens einer Verwandten und die Verbote der Onanie finden eine Analogie in dem Verbot aller Arten von Unzucht (Ehebruch, Hurerei, Onanie A 25. 26, B 15. 16). Das Verbot des Stehlens und das zehnte Gebot des ethischen Dekalogs ist im Totenbuch in dem Verbot des Stehlens (A 17) oder irgendeiner Aneignung von fremdem Gut (A. 23) ausgedrückt. Das Verbot des falschen Zeugnisses wird durch das Verbot jeder Art von Lüge (E 7, A 22) und Illoyalität (A 30) überboten. Die Ablenkung eines Kanals (E 10) findet ihre Parallele in dem israelitischen Fluch gegen die Grenzverrückung, das Verbot falscher Wage (E 9) gehört auch der levitischen Paränese an. Das an der Spitze von allen anderen stehende ägyptische Bekenntnis: dem Nächsten nichts Böses getan (E 4) und die noch weiter gehende Versicherung: »niemanden Herzensqual verursacht« (A 10) und »niemanden weinen gemacht« (A 24), niemanden »erschreckt« (B 18) zu haben, hat ihre Parallele in Israel in der mehr formalen allgemeinen Vorschrift, dem Nächsten nicht unrecht zu tun (Lev. 19, 13), die an karitativer Sublimierung hinter den ägyptischen Vorschriften zurückbleibt. Das allgemeine Gebot der »Nächstenliebe« ist bekanntlich in Israel mit dem Verbot, Rache gegen den Volksgenossen nachzutragen, identisch, welches auch im Totenbuch (A 27) sich findet. Dagegen fehlen im ägyptischen Katalog solche positiven Vorschriften, wie die Vorsorge für das verirrte Vieh des Nächsten (Deut. 22, 1-4) – es wird an einer Stelle nur Zurechtweisung des verirrten Menschen gelobt – und vollends fehlt das Gebot (Ex. 23, 4-5) der Zurückführung des verirrten Viehs des »Feindes« dort ganz. In der bekannten ägyptischen »Unterhaltung der Katze mit dem Schakal« wird vielmehr die Vergeltung von Bösem mit Gutem kritisiert. Gänzlich fehlen andererseits natürlich im Dekalog sowohl wie in der altisraelitischen Ethik überhaupt die aus den Schicklichkeitskonventionen der ägyptischen Schreiber entnommenenen Regeln, welche zum Teil in das Gebiet des guten Geschmacks, zum Teil aber auch in das einer sehr sublimierten Ethik fallen. Dahin gehören[268] z.B. das Verbot der ägyptischen Schreiberethik (Ptahotep): den Gegner durch Ueberlegenheit im Disputieren zu beschämen und die auch im Totenbuch wiedergegebenen Verbote: sich überhaupt in Worten gehen zu lassen, zu übertreiben, in Erregung zu geraten und heftig zu werden, vorschnell zu urteilen, zu prahlen, gegen die Wahrheit taub zu bleiben (B 25. 29, A 34. 33, B 18. 23 21. 19). Derartiges taucht erst im nachexilischen Judentum auf, als die Träger der jüdischen Lehre selbst »Soferim«und weiterhin gelehrte Rabbinen geworden waren.

Auf dem Gebiet der eigentlichen Wirtschaftsethik war die ägyptische Moral ausgezeichnet durch eine sehr starke Bewertung der beruflichen Pflichttreue und Pünktlichkeit bei der Arbeit: die ganz natürliche Konsequenz der auf lieturgisch gegliederter und bürokratisch geleiteter Arbeit ruhenden halb staatssozialistischen Wirtschaft. Aehnliche Züge, wenn schon weit weniger deutlich, finden sich auch in Babylonien, wo es anscheinend zeitweise üblich war, die Prinzen praktisch die Bauarbeiten auch manuell lernen zu lassen. Darin spricht sich die zentrale Bedeutung der königlichen Bauten aus. In Aegypten tritt ein starker Berufsstolz von Kunsthandwerkern (namentlich Kunststeinmetzen) schon in der Zeit des alten Reichs hervor, so wie ja auch in Israel Jahwe die Kunsthandwerker der mosaischen Tempelparamente mit seinem Geist ausgerüstet hat. Die große Labilität des ägyptischen Reichtums, das (namentlich im Neuen Reich) sehr häufige Aufsteigen von Plebejern in der Bürokratie ließ hier schon früh die Vornehmheitsvorstellungen des grundherrlichen Amtsadels zurücktreten, und so wurde die wirtschaftliche Aktivität schon von Ptahotep als alleiniges Mittel, den Reichtum zu erhalten, gepriesen. Aber der bürokratische Charakter des politischen Verbandes und der strenge Traditionalismus der Religion setzten der Tragweite dieser Auffassung enge Grenzen. Das Standesgefühl der Schreiberklasse, wie es sich in der Ramessidenzeit in einer höhnischen Satire auf alle anderen Berufe, militärische wie wirtschaftliche, äußerte, verachtete alle illiterate Tätigkeit als elendes Banausentum. Während eine scharfe Scheidung persönlicher Freiheit und Unfreiheit fehlte, war die Schranke zwischen Literaten und Illiteraten sehr schroff. Wer Vornehmer (sar) war, darüber entschied die Erziehung allein. Und die absolute hierarchische Subordination der Bürokratie bestimmte das Lebensideal. »Ma«, die »Loyalität«, welche[269] zugleich »Schicklichkeit«, »Rechtlichkeit« und »Pflichttreue« war, – ein etwas modifiziertes Gegenbild der chinesischen Bürokratentugend, des Li, – bildete den Inbegriff aller Vortrefflichkeit. Die Nachahmung des Vorgesetzten, die unbedingte Aneignung seiner Ansichten, die strenge Innehaltung der Rangordnung, auch in der Lage der Gräber in der Nekropole, waren Pflichten des loyalen Untertans. »Sein Leben lang sich zu bücken« galt als des Menschen Schicksal. Die Berufskonzeption blieb demgemäß streng traditionalistisch. Den Arbeiter außerhalb seines gewohnten Berufs zu beschäftigen war verboten. Andererseits war der urkundlich bezeugte Streik der Arbeiter in der Nekropole von Theben nicht sozial bedingt, sondern erstrebte nur die Lieferung der gewohnten Gebührnisse, das »tägliche Brot« im Sinn des christlichen Vaterunser.

In Israel findet sich in der Zeit vor dem Sirachiden eine so starke ethische Einschätzung der Arbeitstreue wie in Aegypten nicht. Die bürokratische Organisation fehlte eben und der Begriff der »ma« hatte hier keine Stätte, am wenigsten in der religiösen Ethik, welche ja den bürokratischen Fronstaat als das »ägyptische Diensthaus« verabscheute. Von der Schätzung ökonomischer Aktivität als einer Tugend spüren wir nichts. Geiz ist im Gegenteil das eigentlichste Laster. Darin zeigt sich: daß hier die Feinde des Frommen die städtischen Patrizier sind. Irgendwelche »innerweltliche Askese« vollends fehlte dort wie hier. Wenn in Aegypten vor den Frauen gewarnt wird, weil ein kurzer Augenblick des Genusses durch schweres Unheil bezahlt werde, so ist das eine Regel der Lebensklugheit nach Art der konfuzianischen Ethik und findet in der nachexilischen Zeit Analogien in der jüdischen Literatur. Aber im übrigen blieb in Aegypten und Mesopotamien Lebensgenuß, temperiert durch Lebensklugheit, letztlich das Ziel alles Strebens. Davon unterschied sich die israelitische Gesinnung vor allem durch die mehr, als sich dies auch anderwärts, namentlich in Babylonien, beobachten läßt, zunehmende, stark durch die politischen Schicksale mitbedingte Sündenfurcht- und Bußstimmung. Der Grad der gesinnungsethischen Sublimierung war ähnlich der ägyptischen, und im ganzen, wenigstens in der Massenpraxis, wesentlich feiner ausgebildet als in der im praktischen Leben stets wieder magisch behandelten und dadurch gebrochenen babylonischen Sündenkonzeption229.

[270] In einer wichtigen Hinsicht stand die israelitische Ethik, bei allen Anklängen im einzelnen, im Gegensatz zur ägyptischen und ebenso zur mesopotamischen: in der relativ weitgehenden rationalen Systematisierung. Denn dafür allerdings kann schon die bloße Existenz des ethischen Dekalogs und anderer ähnlicher Gebilde im Gegensatz zu den ganz unsystematischen Sündenregistern in Aegypten und Babylon als ein Merkmal angesehen werden. Aus keinem dieser beiden Kulturgebiete ist ferner irgend etwas überliefert, was einer systematischen religiös-ethischen Paränese von der Art des Deuteronomium gleich käme oder auch nur ähnlich wäre. Soweit bekannt, gab es neben lehrhafter Lebensweisheit und dem esoterischen Totenbuch in Aegypten, und neben Sammlungen magisch wirksamer Hymnen und Formeln, welche auch ethische Bestandteile enthalten, in Babylonien keine einheitlich zusammengefaßte religiös fundamentierte Ethik, wie sie schon im vorexilischen Israel existierte. Dort war sie das Produkt der durch zahlreiche Generationen fortgesetzten ethischen Thora der Leviten und, wie noch auseinanderzusetzen: der Prophetie. Die Prophetie wirkte nicht sowohl auf den Inhalt – den sie vielmehr als gegeben hinnahm – als auf die Herstellung der systematischen Einheitlichkeit durch Beziehung des Gesamtlebens des Volks und aller einzelnen auf die Innehaltung von Jahwes positiven Geboten. Sie eliminierte ferner die Vorherrschaft des Rituellen zugunsten des Ethischen. Die levitische Thora ihrerseits prägte dabei den Inhalt der ethischen Gebote. Beide gemeinsam aber gaben der Ethik den zugleich plebejischen und rational systematischen Charakter. –

Ein charakteristischer Bestandteil der altisraelitischen Ethik, der ihr mit andern gemeinsam ist, bedarf noch eines etwas näheren Eingehens. Die oben besprochenen ethischen Vorschriften zeigen zum Teil jenes sehr ausgeprägt karitative Gepräge, wie es der heute vorliegenden Redaktion der Thora überhaupt eignet. Dahin gehören vor allem die zahlreichen Bestimmungen zugunsten der Armen, Metöken, Witwen, Waisen, wie sie schon in den älteren Sammlungen, namentlich aber im Deuteronomium sich finden, dessen Gott ein unbestechlicher, die Person nicht[271] ansehender Richter ist, welcher jenen Schwachen »ihr Recht schafft« (Deut. 10, 16). Die Schuldknechtschaftsbestimmungen des formalen Rechts wurden, wie wir sahen, von der Paränese durch weitgehende Bestimmungen über Lohnzahlung, Schulderlaß, Pfändungsschranken und allgemeine Karitätsbestimmungen ergänzt. »Den Armen die Hand aufzutun« (Deut. 15, 11), dem Elenden, Armen, Beraubten (Jerem. 22, 16), dem Unterdrückten (Jes. 1, 17) zu helfen, sind wohl die allgemeinsten Formulierungen dieser Pflichten, in deren Umkreis auch die früher besprochenen Nachlese- und Brachjahrsbestimmungen eingegliedert erscheinen. Die Quellen lassen die stetig zunehmende Bedeutung dieser Bestandteile der Paränese mit steigender hierokratischer Beeinflussung der ursprünglich keineswegs besonders sentimentalen israelitischen Ethik erkennen. Woher stammt dieser Zug?

Die beiden klassischen Gebiete der Entwicklung der Karität waren: Indien einerseits, Aegypten andererseits. In Indien waren vor allem Jainismus und Buddhismus die Träger. Ganz allgemein aber das durch den Samsaraglauben wesentlich verstärkte Gefühl der Einheit alles Lebendigen. Wir sahen nun, daß die indische Karität, wie sie auch in den Dekalogen der Buddhisten Ausdruck fand, sehr bald ein formales und fast rein rituelles Wesen annahm. In Aegypten war die Karität sehr stark durch die bürokratische Struktur des Staates und der Wirtschaft mitbedingt. Die Könige des »Alten« und »Neuen« und die Feudalfürsten des »Mittleren« Reichs waren Fronherren und als solche interessiert an Schonung der Arbeitskraft von Mensch und Tier, die sie gegen die achtlose Roheit der Beamten zu schützen suchten. Deutlich tritt in den ägyptischen Quellen hervor, wie stark dies bei der Entwicklung des Armenschutzes mitsprach230. Die Beamten, welche dem König für den ökonomischen und populationistischen Zustand des Landes verantwortlich und außerdem der jederzeit und wie es scheint unmittelbar an den König zulässigen Beschwerde der Untertanen ausgesetzt waren, rühmen sich in den Inschriften schon des Alten Reichs: daß sie in Hungersnot geholfen, niemanden seine Felder fortgenommen, nicht die Untergebenen anderer Beamter mißbraucht, niemals einen Streit unredlich geschlichtet, niemandem seine Tochter fortgenommen oder vergewaltigt, kein Eigentum verletzt, die Witwen nicht bedrückt, oder: daß[272] sie den Hungrigen gespeist, den Nackten gekleidet, Leute, die kein Boot hatten, über den Strom gesetzt, die Ställe ihrer Untergebenen mit Vieh gefüllt haben231. Ueberall sieht man, daß es sich dabei um die Bevölkerung des dem Beamten vom Pharao anvertrauten Verwaltungsbezirks handelt. Ganz allgemein drücken die Beamten sich auch so aus: daß sie »niemals jemanden etwas Böses zugefügt«, vielmehr getan hätten, »was allen gefiel«. Verdacht und Verpönung des Geschenknehmens der Richter ist bei den ägyptischen religiösen Dichtern und Moralisten fast so allgemein wie bei den israelitischen Propheten. Die Angst vor dem König, der ja schließlich – wie der Zar in Rußland – weit fort war, wurde dabei ergänzt durch die Angst vor Beschwerden bei einer anderen Instanz: den Göttern. Niemand, sagt ein Monarch aus der Zeit der fünften Dynastie, habe er geschädigt, so daß er sich »beim Stadtgott beklagt hätte«. Der Fluch des Armen wurde gefürchtet, unmittelbar wegen des möglichen Eingreifens des Gottes, mittelbar wegen der Gefährdung des für die ägyptische Vorstellung so überaus wichtigen guten Namens bei der Nachwelt. Der Glaube an die magische Wirksamkeit eines auf wirkliches Unrecht gegründeten Fluchs war in Vorderasien offenbar allgemein: dies »demokratische Machtmittel« stand also auch dem Letzten und Aermsten zu Gebote. Die ägyptischen Beamten verfehlen daher nicht zu betonen, daß das Volk sie »liebte«, weil sie taten, was ihm gefiel. Zwar irgendeine Verantwortung der Großen gegenüber dem Volk ist der ägyptischen Vorstellung womöglich noch fremder, als der israelitischen. Aber ein Mann wird »wie Gott« sein, wenn seine Arbeiter ihm Vertrauen schenken. Denjenigen dagegen, der »wie ein Krokodil« gegen sie verfährt, trifft der Fluch. Die vornehme Schreiberethik des Ptahotep betont daher, daß die Uebung der Karität vergolten werde durch die Beständigkeit der eigenen Stellung (ursprünglich wohl: von Pharao, dann: von Gott). Die Denksteine der kleinen Leute (Handwerker) des 13. und 12. Jahrhunderts selbst aber getrösten sich der Hoffnung, daß Ammon auf die Stimme des »betrübten Armen« (im Gegensatz zum »frechen« großen Mann, Krieger, Beamten)[273] zu hören pflege. Denn Gott leitet und schützt alle seine Geschöpfe, auch Fische und Vögel232.

Ganz ebenso wie die Beamten verhalten sich die Könige. Nicht nur die ägyptischen, sondern ebenso alle dem vorderasiatischen Kulturkreis angehörigen. Und zwar schon seit der frühesten monumental zugänglichen Zeit. Neben allerhand Freveln gegen göttliches Eigentum und die Staatsordnung ist es die harte Bedrückung der ökonomisch Schwachen, welche nach Urukagina seinen Vorgängern Gottes Zorn zugezogen hat und seine eigene Usurpation legitimiert. In diesem Fall eines Stadtkönigtums waren es die Härten des Uebergangs zur Geldwirtschaft: Verschuldung und Versklavung, die, wie in Israel, gemeint sind. Die Usurpatoren regieren, wie wir bei Abimelech sahen, überall mit dem Demos gegen die großen Sippen. In Aegypten und den späteren mesopotamischen Großkönigtümern ist es die übliche patrimonial-bürokratische Wohlfahrtsstaatslegende, welche den Charakter der formelhaft gewordenen Königskarität prägt. Ramses IV. rühmt sich, keine Waise und keinen Armen geschädigt und niemanden seinen Erbbesitz genommen zu haben. Nebukadnezar spricht sich ähnlich aus. Kyros vermutet, daß die übermäßige Belastung des babylonischen Volks durch Nabunahid Gottes Zorn über diesen König verursacht habe und Darius in der Behistun-Inschrift stellt sich ganz ebenso auf den Boden königlicher Wohlfahrts- und Schutzpolitik für die Schwachen. Diese war also Gemeingut aller orientalischen Patrimonialstaaten, wie der meisten derartigen Monarchien überhaupt. In unmittelbarer Nachbarschaft Israels und hier wohl unter ägyptischem Einfluß zeigt eine phönikische Königsinschrift (die älteste phönikische Inschrift, welche bisher existiert) ganz die gleichen Züge233. Von da werden den Schreibern der Könige Israels vermutlich diese schließlich wohl überall formelhaft erstarrten, aber deshalb doch nicht notwendig wirkungslosen Maximen zugetragen worden sein.

Diese aus der patrimonialen Wohlfahrtspolitik und ihrer[274] Projektion in das himmlische Weltregiment erwachsene Karitätsethik wurde in Aegypten anscheinend zuerst von den kleinen Patrimonialfürsten und Feudalherren des Mittleren Reichs aus den von jeher vorhandenen Ansätzen heraus ganz bewußt entwickelt, und dann später von den Schreibern. Priestern und priesterlich beeinflußten Moralisten, dem allgemeinen Typus der hierokratischen Sozialpolitik entsprechend, systematisiert. An der Spitze aller näher spezialisierten Versicherungen, welche im 125. Kapitel des Totenbuchs der Tote im »Saal der Wahrheit« abzugeben hat, steht die Erklärung: Niemand über sein festgesetztes Maß zur Arbeit genötigt zu haben (E 5). Die Herkunft aus der Fronstaatsverwaltung ist offenbar. Dann folgen die Versicherungen: niemand in Furcht, Armut, Leiden, Unglück, Hunger, Trauer gebracht, nicht die Mißhandlung eines Sklaven durch seinen Herrn verursacht (E 6), keinem Säugling die Milch verkürzt, das Vieh nicht mißhandelt (E 9) und keinem Kranken Böses getan zu haben (B. 26). Am Schluß des ganzen Bekenntnisses aber (B 38) findet sich die Versicherung: Gott durch die eigene »Karität« (mer) sich verbunden, »dem Hungrigen Brot, dem Durstigen Wasser, dem Nackten Kleider, dem, der des Kahns ermangelte, einen solchen gegeben zu haben«. In Verbindung mit dem schon erwähnten ethischen Verbot, einem anderen Schmerz zuzufügen, oder Angst einzujagen, dem Nächsten überhaupt Böses zu tun und mit der in der ägyptischen Ethik auftauchenden, aber allerdings bestrittenen, Vorschrift, auch dem Feinde Gutes zu erzeigen, bedeuten diese Gebote rein inhaltlich angesehen, eine weitgehende Vorwegnahme der Karität der christlichen Evangelien.

Die altisraelitische Karität ist in ihrer Entwicklung vermutlich, sei es direkt, sei es auf dem Wege über Phönizien, von Aegypten her beeinflußt worden. Am stärksten in deuteronomischer Zeit. Daß Jahwe den Schwachen als solchen (die Frau gegen den Mann, die Kebse gegen die Frau, den verstoßenen Sohn) schützt, ist allerdings eine Ueberzeugung schon der vordeuteronomischen Epoche (Gen. 16, 5. 7; 21, 14; 1. Sam. 24, 13). Sie findet sich beim Jahwisten wie beim Elohisten und hatte religiös die gleiche Grundlage wie die ägyptische: der Arme und Bedrückte »schreit zu Jahwe« (Deut. 24, 15) und dieser als der himmlische König kann dann Rache an dem Bedrücker nehmen. Die in der israelitischen Exilsethik herrschend gewordene Vorstellung:[275] daß das Erdulden des Drucks das richtige, weil die Rache des Gottes am sichersten herbeiführende Verhalten sei, fand damals in der sozialen Ohnmacht der bedrückten Klassen ihren Grund, geht aber wohl auf die alte Bedeutung des bei den Nachfahren gesegneten Namens zurück. Denn es wird, entsprechend der Wirkung des Fluches, umgekehrt der Segen des Armen, gegen den man sich den Karitätsge boten entsprechend verhält, von Jahwe »zur Gerechtigkeit gerechnet« (Deut. 24, 13). Die Paränese der Leviten, die von ihnen beeinflußte Sichemitische Fluchformel und die dem Bundesbuch angehängten Debarim, dann das Deuteronomium und die Priestergesetzgebung entwickelten die Karität immer systematischer weiter. In den materiellen Anforderungen weicht die israelitische Karität, bei zahlreichen augenfälligen und schwerlich zufälligen Aehnlichkeiten, vor allem in der allgemeinen Temperierung ab. Nicht eine priesterlich beeinflußte Patrimonialbürokratie, sondern eine priesterlich beeinflußte Gemeinschaft freier Sippen von Bauern und Hirten war ihr Träger, mochte vielleicht auch die Wohlfahrtsstaats-Ethik frommer Könige nach ausländischem Beispiel sie zuerst im Munde geführt haben. Natürlich kommen auch in Israel Bedrückungen durch die königlichen Beamten nach ägyptischer Art vor. Und auch – was offiziell in Aegypten unmöglich ist – durch den König selbst. Dagegen lassen die Priester in ihrer paradigmatischen Redaktion Jahwe durch das von den Propheten verkündete Unheil reagieren. Aber in erster Linie war doch die Bedrückung nicht durch eine Bürokratie, sondern durch einen städtischen Patriziat das zu bekämpfende Uebel und die Verhältnisse waren weit einfacher. Die gesinnungsethische Sublimierung der Karität geht daher in der vorexilischen Ethik nur teilweise so weit wie in Aegypten, während andererseits die Einzelvorschriften mehr dem patriarchalen Hausgemeinschaft- und Nachbarschaftscharakter der Beziehungen entsprechen, als die Abstraktionen der ägyptischen Schreiber. Erst die pazifistisch und städtisch gewordene Epoche der Thora unmittelbar vor und im Exil brachte die Abstraktionen des Heiligkeitsgesetzes. So das Verbot: statt offener Aussprache Haß und Rachgier gegen den »Nächsten«, d.h. (Lev. 19, 18) gegen die Kinder des eigenen Volks (und, nach 19, 34, auch den ger) im Herzen zu tragen und in Verbindung damit den prinzipiellen Satz: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«(Lev. 19, 18). Diese Verpönung der[276] Rachgier könnte als Rückschlag der levitischen Paränese gegen die den (politischen) Rachedurst stark fördernden Verheißungen mancher Propheten erscheinen. Die Vorschrift der Nächstenliebe gegen die Volksgenossen zeigt indessen schon durch den einschärfenden Zusatz: »Denn ich bin der Herr«, daß es sich auch hier um die häufig wiederholte Vorschrift handelte: die Rache Gott anheimzustellen, dessen Sache sie sei (Deut. 32, 35) und der sie, wie man hoffen durfte, dann um so gründlicher vollbringen werde. Dieses Gottanheimstellen der Rache, welches also keine eigentlich ethische Bedeutung hat, ist ganz aus dem Empfindungskreis plebejischer und zwar politisch ohnmächtiger Schichten geboren. Als Paradigma für die dadurch um so befriedigender gestaltete Rache wurde offenbar die Geschichte von David und Nabal (1. Sam. 25, 24. 29) komponiert. Für die Thoralehrer war der Vorbehalt der Rache für Gott die naturgemäße ethische Parallele der Beseitigung der Blutrache auf rechtlichem Gebiete und das positive Gebot der »Liebe« des Nächsten eine Uebertragung der Grundsätze der alten Sippenbrüderlichkeit auf den Glaubensbruder. Erst die rabbinische Deutung hat aus ihr die positive Vorschrift gemacht: daß man den Nächsten auch rein innerlich nicht hassen und mit Rachewünschen verfolgen dürfe, ohne doch in der Praxis selbst des eignen Empfindens damit vollen Erfolg zu haben234.

Neben den Schutz der Armen tritt auch in der israelitischen – wie gelegentlich in der ägyptischen – Karität der Schutz der mit Krankheiten und vor allem der mit Gebrechen Behafteten. Man soll ihnen nicht fluchen und Blinden nichts in den Weg legen oder sie irreführen (Lev. 19, 14). Einem Verirrten den Weg zu weisen und Kranken nichts Böses zu tun schrieb auch die ägyptische Karität vor, die sich sonst mit jenen Bresthaften nicht näher befaßte. Die Abwehr von Gebrechen, Krankheit und ähnlichem Elend pflegte die Heilsprophetie der Großkönige dem regierenden Monarchen zuzurechnen. Darin bewährte er sein Charisma. Der eigentümliche Spruch für David (2. Sam. 5, 68) bei der Einnahme von Jerusalem hängt wohl mit der gleichen Vorstellung von der Wundermacht des Regiments eines charismatisch[277] qualifizierten Herrschers zusammen. In der levitischen Thora ist der Grund des Bresthaftenschutzes aber darin zu finden, daß sie zu den vernehmlichsten Beichtkindern der Leviten gehörten und die Erfahrung von ihrer Frömmigkeit zu häufig war, um die alte magische Vorstellung: daß der Kranke persönlich ein wegen Frevel Gottverhaßter sei, unbedingt aufrechtzuerhalten. Er konnte für die Sünden seiner Vorfahren leiden müssen und bei Tauben und Blinden vermochte die Annahme, daß sie unter einem geheimnisvollen göttlichen Walten stehen, leicht die Vorstellung zu erzeugen: daß sie auch über Kräfte verfügen, die anderen abgehen, wie dies die weite Verbreitung der Schätzung der Blinden erkennen läßt. Ihre Verletzung schien jedenfalls geeignet, den Zorn des Gottes zu reizen.

Endlich finden sich im Deuteronomium eine Anzahl Tierschutzbestimmungen wie die zum Schutz der Vogelmutter (22, 6. 7) und das berühmte Verbot (25, 4), dem dreschenden Ochsen das Maul zu verbinden, – während auf den römischen Plantagen die Sklaven am Mühlstein einen Maulkorb trugen. Die Wertung des Sabbats als eines Ruhetags auch für das Vieh und des Sabbatjahrs als Gelegenheit für die Tiere, sich frei zu nähren, tritt hinzu. Inwieweit diese Theologumena wesentlich mit dem in ganz Vorderasien verbreiteten Glauben vom einstmaligen und für künftig wiedererhofften Paradiesesfrieden zwischen Mensch und Tier oder etwa auch mit irgendeinem vielleicht aus Ackerbaukulten örtlich erwachsenen alten rituellen Vegetarismus zusammenhängen oder einfach als Konsequenz des Liebesgebots entstanden sind, lassen die israelitischen Quellen unerkennbar. Bileams sprechender Esel ist einfach ein volkstümliches Fabeltier, wie es sich sonst auch findet (so in dem prophetischen Lamm unter Bokchoris in Aegypten). In Aegypten beruhte das Verbot der Mißhandlung des Viehs ursprünglich wohl auf dem Interesse des Königs an seiner Arbeitsfähigkeit. Bei Ramses II. findet sich das charakteristische Versprechen an die Pferde, welche ihn aus der Schlacht von Kadesch gerettet hatten, daß sie fortan im Palast in seiner Gegenwart gefüttert werden sollen, ganz ebenso wie er seinen Arbeitern die richtige Leistung ihrer Gebührnisse verspricht: ein Ausfluß der typischen Beziehung des Reiters oder Stallherren zu seinen Tieren. Der priesterlich systematisierte, volkstümliche Tierkult und die Fähigkeit der Totenseelen, in Tiergestalten einzugehen, war wohl nicht[278] Quelle der tierfreundlichen Gesinnung, aber diese Konzeptionen beförderten naturgemäß die Tierkarität. In Israel ist die Sabbatruhe für das Vieh, wie für die Sklaven, wie ihr Fehlen in der Legende 2. Kön. 4, 23 ergibt, erst Produkt der spätköniglichen, vermutlich der deuteronomischen Zeit. Die Tierfreundlichkeit überhaupt war möglicherweise wenigstens in ihrer allgemeinen Richtung ägyptisch beeinflußt.

Alles in allem ist eine Beeinflussung der israelitischen Ethik und Karität in der späten vorexilischen Zeit durch das Beispiel der großen Kulturgebiete in vielen Einzelheiten nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern namentlich von Aegypten her, direkt und auf dem Wege über Phönizien, recht wahrscheinlich. Die entscheidenden Züge dieser Art von Karität haben sich freilich auch ohne Entlehnung überall da herausgebildet, wo eine hinlängliche Stärke der priesterlichen Interessen an ihren mit Gebrechen oder Unglück behafteten Kunden eine Rationalisierung der Fürsorge für die Schwachen als solche bedingte. Immerhin hat die israelitische Thora die Gebote auch da, wo die Annahme einer Beeinflussung naheliegt, selbständig abgewandelt.

Weit wichtiger als alle Einzelabweichungen ist aber der schon betonte prinzipielle Sachverhalt: die Abwesenheit magischer Surrogate für die Erfüllung der Gebote. Die ägyptische Priesterlehre beispielsweise mochte ethische oder karitative Gebote aufstellen, welches Inhalts immer, – was konnte sie ihnen für Nachdruck geben, wenn es ganz einfache magische Mittel gab, um den Toten zu befähigen, im entscheidenden Augenblick vor dem Totenrichter seine Sünden zu verhehlen? Und das war der Fall. Der Bitte an das eigene Herz im Totenbuch (Kap. 30, L. 1), nicht gegen den Toten zu zeugen, wurde später durch Mitgabe eines geweihten Skarabäus Nachdruck gegeben, welcher das Herz befähigte, der Zaubergewalt der Totenrichter zu widerstehen und die Sünden zu verschweigen. Die Götter wurden also überlistet. Nicht ebenso kraß lag es in Babylon. Immerhin war auch dort in neubabylonischer Zeit Magie aller Art das spezifische und populäre Einwirkungsmittel auf die unsichtbaren Gewalten. Mit zunehmender Rationalisierung der Kultur hatte zwar die Sündenstimmung seinerzeit auch in Mesopotamien namentlich unter der pazifistischen bürgerlichen Bevölkerung zugenommen. Aber die stimmungsvollen sumerischen und altbabylonischen Bußpsalmen sind später als rein[279] magische Formeln und oft ohne Rücksicht auf den Sinngehalt verwendet worden, nachdem an die Stelle der großen Götter im Volksglauben die bösen Geister als Urheber des Uebels getreten waren. Im alten Jahwismus dagegen fehlte diese Art von Magie und war schon deshalb die Bedeutung der einmal als verbindlich geltenden ethischen Gebote notwendig wesentlich realer. Dies hatte außer in der andersartigen Wendung des Theodizeeproblems wiederum in dem uns schon oft begegneten Umstand seinen Grund: daß in Israel als in einem Verband freier Volksgenossen, welche aus der berith solidarisch für die Innehaltung der Gebote des Bundesgottes hafteten, alle Einzelnen die Rache zu fürchten hatten, wenn sie die Verletzungen seiner Gebote in ihrer Mitte duldeten. Ausstoßung des mit dem Gott unversöhnten Sünders, Bannung und Steinigung waren daher die Mittel, mit welchen hier gegen die Sünde reagiert wurde. Die Vollstreckung der Todesstrafe ohne Gnade war an gewissen schweren Sündern Pflicht, weil das einzige Mittel der Entsühnung der Gemeinschaft als solcher. Dies Motiv fiel in bürokratischen Monarchien und vollends bei Vorhandensein von Berufsmagiern gänzlich fort. Es findet seine Analogie an der Haftung der altchristlichen und der puritanischen Abendmahlsgemeinde für die Entfernung jedes offensichtlich Verworfenen vom Tisch des Herrn im Gegensatz zum Katholizismus, Anglikanismus und Luthertum. Die spezifisch ethische Wendung der Levitenthora mußte unter dem stetigen Druck dieses Interesses immer stärkeren Rückhalt gewinnen. Die Stellung der Leviten selbst aber entstammte ihrem Verhältnis zu ihrer Privatkundschaft. Zu alledem hatte die Stiftung der alten berith durch Mose und die Uebernahme der Orakelfunktion den ersten Anstoß gegeben. Insofern also gilt Mose tatsächlich mit Recht als Urheber dieser wichtigen ethischen Entwicklung. Andererseits aber wäre die Entfaltung der israelitischen Religiosität zu dem gegen alle Zersetzung von außen her widerstandsfähigen Gebilde, als welches sie durch die Geschichte gegangen ist, unmöglich gewesen ohne das Eingreifen jener schon mehrfach gestreiften eigenartigsten und folgenschwersten Erscheinung, die sie hervorgebracht hat: der Prophetie. Ihr müssen wir uns jetzt zuwenden.[280]

Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Band 3, Tübingen 81986, S. 1-281.
Lizenz:

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon