Max Weber

Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter1

Der »Verein für Sozialpolitik« hat eine Erhebung über die Verhältnisse der Landarbeiter veranstaltet, deren Ereignisse seit 11/2 Jahren in 3 starken Bänden vorliegen. Die darin niedergelegten Angaben sind durch Nachfrage bei den Grundbesitzern gewonnen, eine Befragung der Arbeiter (wie sie seither der Evangelisch-soziale Kongreß durch Vermittlung der Landgeistlichen unternommen hat) mußte damals des Kostenpunktes wegen unterbleiben. Das gewaltige Material an Tatsachen, welches die Enquete ergab, ist also gewiß ein einseitiges und läßt einen ganz einwandfreien Schluß auf die tatsächliche Lage der Landarbeiter nicht zu. Allein da im Jahre 1849 und wieder 1873 Erhebungen in gleicher Weise ins Werk gesetzt worden sind, so ist etwas sozialpolitisch Wichtigeres möglich: durch Vergleichung der Ergebnisse der drei Erhebungen, welche alle dieselbe Fehlerwahrscheinlichkeit an sich tragen, über die Tendenzen der Entwicklung in den Landarbeiterverhältnissen Auskunft zu erlangen. Nicht die Frage: haben die jetzigen Arbeiter einen auskömmlichen Lohn, gute Wohnungen oder nicht, ist die wichtigste, sondern die: wohin geht die Gesamtentwicklung ihrer Stellung innerhalb der Nation, was ist ihre Zukunft?

Für die Beurteilung dieser Frage bietet uns die Publikation eine Grundlage, welche gewiß nicht einen endgültigen, aber doch einen in hohem Grade wahrscheinlichen Schluß gestattet. Sie zeigt uns gewisse elementare Wandlungen innerhalb der sozialen Struktur, der Arbeitsverfassung der großen Gutsbetriebe des Ostens, deren Wirkung, ähnlich der von Verschiebungen in der Moleküllagerung der Körper, deshalb nur um so unwiderstehlicher eintritt, weil sie sich langsam und dem an die großen Ziffern der Statistik gewöhnten Auge fast unmerklich vollzieht.[470] – Die Umgestaltung der Arbeitsverfassung und ihre Wirkung, um die es sich für uns hier handelt, kann aber nicht isoliert betrachtet werden. Sie hängt mit dem Schicksal der Landwirtschaft im Osten überhaupt und speziell der landwirtschaftlichen Großbetriebe daselbst zusammen. Gewiß ist es nun völlig unberechtigt, diese dem Osten charakteristischen Großbetriebe unter Ignorierung der ungeheuren Differenzen ihrer natürlichen Bedingungen als eine wesentlich gleichartige Masse zu betrachten, ganz allgemein das Vorhandensein einer »Notlage« zu behaupten, oder sie ebenso allgemein zu bestreiten, oder doch, soweit sie zugestanden wird, mit mangelndem Kapital oder mangelnder Intelligenz des Leiters zu motivieren. Trotzdem trifft doch ein für die Bedeutung der gegenwärtigen Lage entscheidendes Moment bei allen in gleicher Weise zu. Die ostelbischen großen Güter sind keineswegs nur Wirtschaftseinheiten, sondern lokale politische Herrschaftszentren. Sie waren nach den Traditionen Preußens bestimmt, die materielle Unterlage für die Existenz einer Bevölkerungsschicht zu bilden, in deren Hände der Staat die Handhabung der politischen Herrschaft, die Vertretung der militärischen und politischen Macht der Staatsgewalt zu legen gewohnt war. Die Angehörigen des Landadels qualifizierten sich, vom Standpunkt des Staatsinteresses aus, wie es die preußische Tradition verstand und nach ihrer Geschichte verstehen mußte, zu dieser Vertrauensstellung deshalb, weil sie wirtschaftlich »satte Existenzen« waren, mit relativ unentwickeltem Erwerbstrieb und demgemäß unterdurchschnittlicher wirtschaftlicher Intelligenz, deshalb zu einer rein geschäftlichen Ausbeutung ihrer Machtstellung regelmäßig nicht geneigt und jedenfalls nicht darauf angewiesen. Die Beherrschung der wirtschaftlich und sozial unentwickelten und politisch wichtigsten Osthälfte des Staats ließ sich, auf diesen Stand gestützt, billig und doch ohne Gefahr der Korruption durchführen. Mit einem Wort, die Gutshöfe des Ostens bedeuteten eine Dislokation einer politisch herrschenden Klasse über das Land. Sie bilden als die Stützpunkte, bei welchen die Garnisonen und das Beamtentum der Kreis- und selbst Regierungshauptstädte adäquaten gesellschaftlichen Anschluß finden, noch jetzt ein ungemein wirksames – tatsächlich das ausschlaggebende – Gegengewicht gegen die Monopolisierung der politischen Intelligenz durch das städtische Großbürgertum.

[471] Allein mit dieser Stellung sind bestimmte Ansprüche an die Lebenshaltung von selbst gegeben, Ansprüche an die Kindererziehung, die Form der Geselligkeit und in zahlreichen anderen Dingen, welche hauptsächlich die eigentümliche Erscheinung bewirken, daß, während die Kosten der meisten Massenartikel stetig fallen, doch unser Leben stetig teurer wird. Der Gutsbesitzer muß in seiner Lebenshaltung auf der Stufe stehen, welche das städtische »höhere« Bürgertum im Durchschnitt einnimmt, oder: er wird zum Bauern. – Nun heben sich aber seit 50 Jahren Lebenshaltung und Lebensansprüche der städtischen bürgerlichen Bevölkerung stetig in eminentem Maße, am meisten gerade diejenigen des Großbürgertums, also des bisherigen Hauptkonkurrenten der ländlichen Aristokratie um die politische Herrschaft. Der unter den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen selbstverständliche, ja unumgängliche Versuch, mit dieser Lebenshaltung gleichen Schritt zu halten, bildet für die breite Masse der östlichen Grundaristokratie ein Verhängnis, welches auch ohne alle Einflüsse der ausländischen Konkurrenz ihre wirtschaftliche Grundlage gefährden muß. Die Ansprüche an die Lebenshaltung, welche heute ein preußischer Rittergutsbesitzer – alle Extravaganzen ausgeschlossen – stellen muß, wenn er sich auf dem standard of life eines Mitgliedes der »herrschenden Klassen« erhalten will, vermögen die typischen östlichen Rittergüter, welche bekanntlich das Gegenteil von »Latifundien« sind, schlechterdings nicht zu bieten. Ein Areal von ca. 500 Hektar bei durchschnittlichem (und noch erheblich mehr bei unterdurchschnittlichem) östlichem Boden, wie es mehr als 1/3 aller Rittergüter im Osten nur besitzen, trägt hier, trotz der gesteigerten Erträge, keine »Herrschaft« mehr. Denn diese Steigerung ist durchschnittlich eine außerordentlich viel langsamere gewesen, als die Steigerung der durchschnittlichen Lebenshaltung der herrschenden Klassen, und dieser relative Maßstab ist ausschlaggebend. Das wird oft verkannt, weil es den Anschein hat, als seien die Erfordernisse des Gutshaushalts im wesentlichen naturalwirtschaftlich zu bestreiten und deshalb keine erhebliche Belastung des Budgets, allein dabei liegen optische Täuschungen vor, denn die moderne Lebensführung fordert stetig wachsende Barausgaben. Das veränderte soziale Ensemble, innerhalb dessen er seine Rolle zu spielen hat, erdrückt denjenigen Rittergutsbesitzer, der ein[472] Areal zur Verfügung hat, welches nicht wiederum so groß ist, daß es eine wirkliche Selbstbewirtschaftung überhaupt ausschließt. Die politische Macht, statt sich auf die gesicherte materielle Unterlage stützen zu können, muß nun umgekehrt in den Dienst der wirtschaftlichen Interessen gestellt werden. Es ist darum nur natürlich, daß das Verlangen nach Schutz bereits leicht die Tonart des unbefriedigten Almosenempfängers annimmt. Auf dem Lande tritt uns statt der wirtschaftlich »satten Existenzen« der bekannte Typus des »notleidenden Landwirtes« entgegen. Das würde – in beschränktem Maße – auch ohne alle internationale Konkurrenz der Fall sein. Es liegt auf der Hand, daß die politische Machtstellung auf dieser Grundlage dauernd nicht aufrecht zu erhalten ist; ein bedeutendes relatives Herabsteigen auf der politischen und gesellschaftlichen Stufenleiter ist unter allen Umständen, sofern nicht die fortschreitende industrielle Entwicklung geradezu unterbunden wird, die unumgängliche Folge.

Allein nicht nur der Ertrag des Bodens läßt den Rittergutsbesitzer bei dem Streben nach Aufrechterhaltung seiner politischen Machtstellung im Stich, sondern auch die sozialen Gruppen, die er beherrschte und auf welche er sich stützte. Die Organisation der großen Güter, wie wir sie aus den Regulierungen überkommen hatten, trug die Eierschalen der isolierten Hauswirtschaft noch an sich. Der aus der Wirtschaft ausgeführte Bruchteil des Produkts war allerdings ein wesentlich größerer geworden, als im Mittelalter, allein die beginnende Verflechtung in die Weltwirtschaft, wurde nicht und konnte auch nicht bewußt und planvoll vollzogen werden. Sie wurde den Betrieben teils halb widerwillig durch die Verhältnisse aufgezwungen, teils andauernd von ihnen ignoriert. Der typische Rittergutsbesitzer wirtschaftete in traditioneller Weise weiter, als ob er für Lokalmärkte produzierte. Die alte Arbeitsverfassung und soziale Schichtung blieb in dem Inst- und Gutstagelöhnerverhältnis des Ostens erhalten. Der ländliche Arbeiter war und blieb Kleinwirt, beliehen mit Land als Entgelt für die Unterwerfung unter die Herrschaft des Herrn und als Genosse beteiligt an dem Ertrage der Wirtschaft. Erst im Laufe dieses Jahrhunderts drang die Gewährung nennenswerter Geldlöhne neben und schließlich teilweise an Stelle der Land- und der Ertragsanteile in diese Arbeitsverfassung ein. Auch dann noch war die Gutswirtschaft[473] überwiegend eine Form der patriarchalisch geleiteten und beherrschten Gemeinwirtschaft. Der Gutsherr war nicht ein gewöhnlicher Arbeitgeber, sondern ein politischer Autokrat, der die Arbeiter persönlich beherrschte, im übrigen einen so erheblichen Bruchteil der unmittelbaren materiellen Interessen mit ihnen gemeinsam hatte, wie dies bei keinem modernen Unternehmer sonst im Verhältnis zu seinen Arbeitern der Fall ist. Schlechter Ernteausfall, niedrige Getreide- und Viehpreise belasten das Budget eines auf Land- und Rohertragsanteil gestellten Instmannes, der Getreide und selbst gezogene Schweine verkauft, ebenso schwer oder schwerer als das des Herrn. Daß diese Sachlage die Arbeiter um so unbedingter der Disposition des Herrn auslieferte, liegt auf der Hand. Wichtiger aber war für die Grundlagen der Machtstellung des Gutsherrn jenes starke materielle Interessenband, welches die Landarbeiter – oder doch deren im Osten weitaus wichtigste Schicht: die »Instleute« – von dem gewerblichen Proletariat scharf trennte. Ein gegen die Herrn gerichtetes Klassenbewußtsein des ländlichen Proletariats konnte, außer in Zeiten hochgradiger politischer Erregung, sich nur rein individuell gegenüber dem einzelnen Herrn, soweit er hinter der durchschnittlichen Mischung naiver Brutalität mit Menschenfreundlichkeit zurückstand, entwickeln. Dem entsprach es auf der anderen Seite, daß die Landarbeiter normalerweise nicht dem Druck einer rein geschäftlichen Ausbeutung ausgesetzt waren. Ihnen stand eben nicht ein »Unternehmer«, sondern ein Territorialherr en miniature gegenüber. Der mangelnde spezifisch geschäftliche Erwerbssinn der Herren und die stumpfe Resignation der Arbeiter ergänzten einander und waren die psychologische Stütze der traditionellen Betriebsweise wie der traditionellen politischen Herrscherstellung der Grundaristokratie.

Die Dekadenz dieser politischen Machtstellung aber in Verbindung mit der teils eingetretenen, teils drohenden Depossedierung durch das kapitalkräftigere Bürgertum – sei es in Form des Kaufes, sei es der Verpachtung der Güter – führen mit zwingender Gewalt die Herren der landwirtschaftlichen Großbetriebe, wenn sie dies bleiben wollen, dazu, zu werden, was sie früher nicht –wenigstens nicht in erster Linie – waren: Unternehmer, die unter rein geschäftlichen Gesichtspunkten wirtschaften. Entweder dies geschieht, oder der Großbetrieb zerfällt im Wege der völligen oder teilweisen Zerschlagung in[474] Kleinbetriebe. Im ersteren Fall »bewegt sich der Boden« zwar keineswegs, wie behauptet wird »in der Richtung zum besten«, wohl aber zum kapitalkräftigsten Wirt; und dieser müßte seine Natur verleugnen, wollte er nicht das, was der Grundaristokratie in zweiter Linie stand, in die erste stellen: den geschäftlichen Erwerb. Damit aber wird der isolierten Gutswirtschaft der letzte Stoß versetzt.

Mit der Beseitigung der Isolierung der Gutswirtschaften tritt die Notwendigkeit eines relativ weit größeren Gehorsams gegenüber den weltwirtschaftlichen Produktionsbedingungen gebieterisch an diese Betriebe heran. Die notwendigen Konsequenzen dessen für den Wirtschaftsbetrieb sind je nach der Gunst oder Ungunst der Boden- und klimatischen Verhältnisse, verschieden. Ein Teil des von der Natur in beiden Beziehungen besonders begünstigten Areals ist zweifellos in der Lage, im Wege eines hochintensiven Betriebes bei starkem Kapitalaufwand die internationale Konkurrenz aufzunehmen. Diese der intensiveren Kultur zugeführten Betriebe haben alsdann nach bekannten allgemeinen Gesetzen das Streben, speziell kapitalintensiv zu werden. Sie folgen eben deshalb der von Sering zutreffend nachgewiesenen Tendenz der Verkleinerung des von einem Zentrum aus bewirtschafteten Areals unter konzentrierter Kapitalinvestition. Schon daraus folgt vom Standpunkte des politischen Herrschaftsinteresses aus eine Schwächung der Machtstellung des Gutsbesitzers: das beherrschte Areal wird kleiner. Sie werden freilich keine bäuerlichen, aber bürgerlich-kapitalistische Großbetriebe und verschmelzen – eine in den Rübendistrikten zu beobachtende Erscheinung – mit den aufsteigenden großbäuerlichen Betrieben zu einer einheitlichen Masse von Unternehmungen mit bürgerlich-gewerblichem Typus. Ein anderer und zwar der am ungünstigsten ausgestattete Teil des Areals ist weltwirtschaftlich wertlos und kann im Großbetriebe nur als Weiderevier für sehr extensive Viehzucht benutzt werden. Zwischen beiden liegen zahlreiche Kategorien von Boden mittlerer Qualität in den verschiedensten Abstufungen, dessen Ueberführung zur intensiveren Kultur mit abnehmender Güte zunehmende Kapitalaufwendungen erfordert. Werden diese nicht gemacht, so wird er durch die Weltmarktskonjunkturen von der Fähigkeit, durch Produktion für den Markt eine Rente abzuwerfen, mehr und mehr ausgeschlossen und damit, wenn er weiter[475] im kapitalschwachen Großbetriebe genutzt wird, in die gleiche Lage wie der schlechteste Boden gebracht, – d.h. er kann erfolgreich mit Feldfrüchten nicht bestellt werden. Dieser Bruchteil dürfte der umfangreichste sein. Die Getreidezölle vergrößern auf seine Kosten das Areal, welches intensiv mit Getreide bebaut werden kann, die bisherige Begünstigung der Rübenkultur und die noch bestehende der Kartoffelsprit-Brennerei ermöglichen seine Bebauung mit den betreffenden Hackfrüchten. Weit unerheblicher sind dagegen für den Osten diejenigen Bruchteile, welche der reinen oder überwiegenden intensiven Viehzucht und der Gartenkultur vom weltwirtschaftlichen Standpunkte aus zuzuweisen sind. Der letztere ist klein, weil eine Verschiebung zu seinen Gunsten um wenige Prozente des Areals eine völlige Umwälzung des Konsums voraussetzte, und der erstere deshalb, weil die in England zugunsten der intensiven Viehzucht bestehenden klimatischen und sonstigen Vorbedingungen im Osten mit Ausnahme der Küstenstriche Ostpreußens und einiger anderer relativ beschränkter Bezirke weder vorhanden sind, noch in absehbarer Zeit eintreten werden2. – In den Fällen, nun wo die Großbetriebe, den Postulaten der internationalen Produktionsteilung gehorchend, unter Ersparnis von Kapital und Arbeit zur Weidewirtschaft übergehen, entgleitet der Beherrschung des Grundherrn zwar nicht das Areal – dies zeigt im Gegenteil die Tendenz zu starker Ausdehnung, – wohl aber verlieren sie die Hintersassen, die sie beherrschten, da sie nur ein Minimum an Arbeitskräften halten, und auch die Zahl der Unternehmer verringert sich im Wege der Latifundienbildung. Auch hier also büßt der Stand als solcher an seiner politischen Machtstellung ein.

Ueberall aber finden wir eine gemeinschaftliche Erscheinung als Ergebnis der Situation: wo nicht auf die Dauer Zerschlagung in Kleinbetriebe oder Verödung als Weiderevier eintreten soll, da besteht die Notwendigkeit umfassender Steigerung der Kapitalintensität und eines Wirtschaftens unter kaufmännischen Gesichtspunkten, wie sie der traditionelle Grundherr im Osten nicht kannte. Mit anderen Worten: an die Stelle der Grundaristokratie tritt – mit oder ohne Personenwechsel – mit[476] Notwendigkeit eine landwirtschaftliche Unternehmerklasse, die sich in ihren sozialen Charakterzügen von den gewerblichen Unternehmern prinzipiell nicht unterscheidet.

Diese Umwandlung in den allgemeinen Typus der ländlichen Arbeitgeber hat auf die Stellung der Arbeiter zu ihnen die bedeutendsten Rückwirkungen. Bei allem Durchgehen typischer Züge ist die Mannigfaltigkeit der Arbeitsverfassung und die rein individuelle Gestaltung der Lage der einzelnen Arbeiter eine Begleiterscheinung der patriarchalischen Gutswirtschaft noch jetzt in ähnlicher Weise wie in der Gutsverfassung des Feudalzeitalters. Denn die Arbeitsverfassung der Güter war nicht nach geschäftlichen Gesichtspunkten und unter dem Einfluß des Strebens nach möglichst hohem Unternehmergewinn gestaltet, sondern historisch entwickelt für den Zweck, dem Gutsherrn eine standesgemäße Existenz zu ermöglichen; sie streifte deshalb so wenig als eben möglich von ihrer überkommenen natural- und gemeinwirtschaftlichen Grundlage ab. Eine ländliche Arbeiterklasse mit unter sich gleichartigen wirtschaftlichen Interessen existierte und existiert deshalb in der überwiegenden Hälfte des Ostens noch nicht. – Die moderne Entwicklung sucht zunächst innerhalb dieses naturalwirtschaftlichen Rahmens das Prinzip der Wirtschaftlichkeit in der Lohngestaltung entschiedener zur Geltung zu bringen. Sie beseitigt demgemäß zunächst die gemeinwirtschaftlichen Reste (Landanteil, Dreschanteil, Weideanteil). Diese Anteilsrechte am Ertrage fallen schon deshalb auf die Dauer notwendig fort, weil die gemeinwirtschaftliche Arbeitsverfassung mit ihren Anteilslöhnen die Isolierung des einzelnen Gutsbetriebes in wirtschaftlicher Beziehung voraussetzt. Von dem Ertrage eines Gutes, das nach alter Art ohne besondere Aufwendungen für Maschinen, Kunstdünger, Drainage usw. bewirtschaftet wurde, konnte der Herr mit seinen Arbeitern annähernd behaupten: dieser Ertrag sei das Ergebnis ihrer Arbeit und nur dieser. Mit jeder Kapitalinvestierung schwindet dies Moment: der Ernteertrag des in die Volkswirtschaft verflochtenen Gutes ist nicht mehr das Arbeitsprodukt lediglich der Wirtschaftsgemeinschaft der Gutsinsassen, und der Entgelt für die Verwendung der Produkte fremder Arbeit in das Gut erscheint, der kapitalistischen Organisation entsprechend, als (latente oder offene) Kapitalrente, welche aus den Erträgen vorweg bestritten werden muß. Damit verschwinden die auf[477] dem Anteilsprinzip beruhenden Lohnformen, und zwar um so mehr als ihr Bestand in der Hauptsache die Folge mangelnden Betriebskapitals des Unternehmers und seiner darauf beruhenden Unfähigkeit, Geldlöhne zu zahlen, war. Gerade der Geldlohn ist aber das auf die Dauer unentbehrliche Korrelat jeder auf rein geschäftlicher Grundlage ruhenden Wirtschaftsverfassung und wird auch den landwirtschaftlichen Betrieben, zumal in Gestalt des nach der Leistung bemessenen Geldakkordlohnsystems, aufgezwungen.

Wir müssen, um die volle Bedeutung dieser langsamen, aber unvermeidlichen Umwandlung zu verstehen, näher auf die charakteristischen Eigentümlichkeiten der ländlichen Arbeitsverfassung im Osten eingehen. Diese beruhen, wie bei jeder Arbeitsverfassung größerer Güter, auf der Art, in der sie das wichtigste Problem der Organisation der Arbeit im landwirtschaftlichen Betriebe zu lösen sucht. Dies Problem besteht darin, daß bei jeder Art des Ackerbaues – weit weniger bei der reinen Viehzucht – der Bedarf an Arbeitskräften während der verschiedenen Jahreszeiten ein sehr stark schwankender ist. Darauf beruht die typische Unterscheidung von ständigen und Saisonarbeitern in der Landwirtschaft. Von jeher sind die ersteren überwiegend in Naturalien gelohnt, kontraktlich gebunden und wohnen meist auf dem Gute. Die letzteren werden überwiegend in Geld – Tagelohn oder Akkord – gelohnt, regelmäßig von auswärts als »fremde« Arbeiter zeitenweise herangezogen und wieder abgestoßen. Nur bei sehr extensivem Betrieb kann die gesamte Erntearbeit mit den Kräften der eigenen Arbeiter unter Zuziehung ihrer Frauen usw. bewältigt werden. Es existiert kein Mittel, namentlich auch kein maschinelles, um diese Differenz auszugleichen; gerade die am allgemeinsten anwendbaren Maschinen, speziell die Dreschmaschine, steigern dieselbe vielmehr, und insbesondere wird sie durch jede Steigerung der Intensität des Betriebes, am meisten durch den Hackfruchtbau, sehr stark vergrößert.

Die Veränderung der Arbeitsverfassung, welche durch die moderne Umgestaltung der Betriebsweise herbeigeführt wird, betrifft nun sowohl die Zusammensetzung der Arbeiterschaft als Ganzes, wie den Typus jeder Kategorie für sich. Es ändert sich einmal das Zahlenverhältnis der ständigen zu den unständigen Arbeitskräften, und es verwandelt sich ferner sowohl die Physiognomie[478] der ständigen Arbeiterschaft, für sich betrachtet, wie die der unständigen.

Nach der normalen traditionellen Einrichtung des Betriebes wird das Vieh von ledigem Gesinde gewartet, welches auch die Feldbestellung wenigstens zum Teil besorgt. Den Bedarf an ständigen Feldarbeitern im übrigen decken die Instleute. Sie erhalten als Lohn die erwähnten Anteilsrechte an Mahd und Erdrusch (Mandel und Dreschmaß), Landzuweisung, bestehend in festem Gartenland und mit den Gutsschlägen rotierenden »Morgen«, und Viehweide. Sie stehen nicht in einem individuellen Kontraktsverhältnis zum Herrn, sondern die Arbeiter- Familie ist der Herrschaft des Herrn unterworfen und deshalb zur Arbeit nach seiner Willkür mit allen verfügbaren Kräften verpflichtet, – mindestens sind zwei Arbeitskräfte zu stellen, so daß der Instmann eventuell, mangels erwachsener Kinder, einen »Scharwerker« mieten und dem Herrn vorhalten muß. Schriftliche Kontrakte und ein Recht auf Arbeitsgewährung bestanden ursprünglich nicht, ebenso wurde Geldlohn nur außerhalb der Ernte- und Dreschzeit und mehr nach Art eines Taschengeldes gezahlt. Es war also ein rein einseitiges Unterwerfungsverhältnis, welches die Arbeiterfamilien, die der Herr in seinen Gutswohnungen unterhielt, ihm auch formell zur unbedingten Disposition stellte. Nach einigen Provinzialrechten ist auf die Instleute die Gesindeordnung anwendbar, so daß in Beschränkung der Freizügigkeit auch Zwangsrückführung bei vorzeitigem Abzug stattfindet, – Koalitionsrecht besteht durchweg nicht. Dies die ständigen Arbeitskräfte. Die unständigen dagegen wurden, soweit nicht die Erntearbeit der Instfrauen ausreichte, aus den benachbarten Bauerndörfern ohne festen Kontrakt herangezogen und gegen Geldlohn, früher gelegentlich auch – die »Schnitter« – gegen Anteilsakkord, beschäftigt. Sie wohnten regelmäßig nicht auf dem Gut, und ihre Rechtsstellung näherte sich schon damals der der Industriearbeiter an. Alle anderen, sehr mannigfaltigen Kategorien von Arbeitern auf den Gütern waren in den Nordprovinzen (anders schon früher in Schlesien), lokale Spezialitäten oder durch Umgestaltung und Kombination entstanden.

Diese Form der Arbeitsverfassung ist aber heute im Abnehmen begriffen. Sie herrscht in der geschilderten Art – mit der eigenartigen Anteils-Lohnform – überhaupt auch für die in Naturalien gelohnten Arbeiter nur noch in der Nordhälfte des Ostens:[479] – Preußen, Pommern, Mecklenburg, das nördliche Brandenburg und Posen – und geht auch dort zurück. Derjenige Typus von ständigen Kontraktsarbeitern, dessen Weiterverbreitung auf den großen Gütern im Osten durch die gegenwärtige Entwicklung, wie es scheint, am meisten begünstigt wird, ist vielmehr der »Deputant«. Er ist ein Arbeiter, welcher zur Arbeit das ganze Jahr verpflichtet ist, regelmäßig in Guts-Wohnungen umsonst oder gegen niedrige Miete wohnt und neben einem niedrigen Barlohn, der entweder als Tagelohn je nach Zahl der Arbeitstage oder wie die Gesindelöhnung als fester Jahreslohn gezahlt wird, ein sogenanntes »Deputat«, d.h. statt der dem ledigen Gesinde zubereitet gereichten Beköstigung die entsprechenden Naturalien geliefert erhält. Diese Naturalien sind ihrem Betrage nach im allgemeinen berechnet auf die Deckung des Bedarfs an Nahrungsmitteln für den Arbeiter selbst und seine Familie, deren Mitarbeit demgemäß in Gestalt der Stellung einer zweiten Arbeitskraft regelmäßig in Anspruch genommen wird.

Der Gegensatz gegen das Instverhältnis im engeren Sinne besteht also in dem Wegfall der Anteilrechte und ihrem Ersatz durch feste Bezüge – ganz wie es den obenerwähnten allgemeinen Grundzügen der Entwicklung entspricht. Das Deputantenverhältnis gewinnt sowohl auf Kosten des alten Instverhältnisses als auf Kosten der Haltung des – stets schwieriger zu erlangenden – ledigen Gesindes an Boden.

Aber über das Deputantenverhältnis hinaus führt die Entwicklung zu einer stetigen Zunahme der nur oder fast nur in Geld gelohnten Arbeiter. Zu Anfang des Jahrhunderts waren sie in nennenswertem Maße nicht vorhanden. Schon 1849 stand fest, daß sie diejenige Schicht von Arbeitern waren, die sich am schnellsten vermehrt hatte: das ist auch weiter so geblieben. Den Mehrbedarf von Arbeitskräften bei intensiverer Kultur durch Ansetzung neuer Instleute zu beschaffen, suchte der Grundbesitzer zu vermeiden: er hätte Teile seines Landes in demselben Augenblick an Arbeiter abgeben müssen, wo der Ertragswert dieses Landes für ihn stark stieg und wo infolge des Prosperierens der Landwirtschaft bis zum Beginn der 70 er Jahre die Zahlung von Geldlöhnen für ihn erleichtert worden war. Heutzutage wiederum fehlt ihm das Kapital, Arbeiterhäuser in einer den fortgeschrittenen Anforderungen entsprechenden Weise zu bauen. So führte, auch von den später zu erwähnenden Einflüssen der[480] Verschiebung des Arbeitsbedarfs abgesehen, die Entwicklung zu einem allmählichen Zurücktreten der relativen Bedeutung der in Naturalien gelohnten Arbeiter.

Der »freie Arbeitsvertrag« mit in Geld gelohnten, auf eigenem Grund und Boden oder als Mieter ansässigen Arbeitern hielt seinen Einzug in das Land. – Betrachten wir die Konsequenzen.

Die große Praktikabilität des Verhältnisses der auf vorwiegenden Guts-Naturallohn gesetzten, verheirateten Deputatknechte und -tagelöhner lag darin, daß aus dem einzelnen Haushalt des Tagelöhners mehrere Arbeitskräfte gestellt werden. Sie können auf diese Art so billig wie möglich, bei Ausnutzung einerseits aller Vorzüge des Großbetriebes für die Beschaffung der Bedarfsgegenstände unter Ausschaltung aller Zwischenglieder, andrerseits unter Verwertung der Vorzüge der Familienwirtschaft als Konsumtionsgemeinschaft, ernährt werden. Allein die Vorzüge der Naturallöhnung gehen teilweise, und zwar in den Nordprovinzen, noch weiter. Die Gewährung der Deputate an die Arbeiterfamilien erfolgt nämlich in verschiedener Art. In Teilen von Schlesien erhalten die Deputatknechte feste wöchentliche bzw. monatliche Fleisch-, Kartoffel-, Brot-, Salz-, Milch- und Leinwandbezüge, – sie erhalten hier also die Bedarfsgegenstände, wenn der Ausdruck erlaubt ist, im Zustande von Ganz- bzw. Halb-Fabrikaten, als ganz oder fast ganz konsumreife Produkte; ihr eigenes Verhalten dazu ist ein fast nur konsumtives, der Unterschied von der einfachen Gesindebeköstigung nicht bedeutend. Der Grund liegt darin, daß in Schlesien die Tendenz zur Bodenkonzentration die eigene Wirtschaft der früher unfreien Untertanen gänzlich absorbierte bzw. nicht aufkommen ließ. In den nördlichen Provinzen ist das regelmäßig anders. Die Zerealien werden als Deputat unvermahlen und unverbacken gegeben, die Kartoffeln meist nur zum Teil, den andern Teil baut der Deputant selbst und erhält zu diesem Behufe Land angewiesen; teilweise wird ihm auch das Saatgut gestellt, regelmäßig hat er dies selbst zu ersparen, auch den Dünger selbst zu produzieren. Ebenso steht es mit dem Flachs; er säet und erntet ihn, wo noch die alten Verhältnisse bestehen, selbst, er gewinnt ferner die Wolle vom eigenen Schaf, für welches ihm Weide gestellt wird, Milch und Butter von der eigenen Kuh, welche ihm von der Herrschaft geweidet und gefüttert wird, das Fleisch vom eigenen Schwein, welches er aus seinen Naturalien[481] füttert, die Gespinste und Gewebe stellt die Familie im Winter selbst her. Mit anderen Worten, es ist dort auch ein wesentlicher Teil des Produktionsprozesses seines Bedarfs vom Herrn auf ihn abgewälzt, es werden seine freie Zeit, die späten Abendstunden, die freien Sonntage und die arbeitsstille Winterzeit, und es werden seine nicht mitarbeitenden Familienmitglieder mit ausgenutzt. So werden die Arbeiterfamilien selbst für die Erzeugung des zur Reproduktion der Arbeitskräfte Unentbehrlichen verwendet und dadurch die wirtschaftlichen Vorzüge der Familienwirtschaft nicht nur als Konsumtions-, sondern auch als Produktionsgemeinschaft den Interessen des Herrn nutzbar gemacht. Fragen wir unter Beiseitesetzung der sozialen Seite der Sache zunächst nur, wie sich der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit hier: der kleinstmöglichen Unterhaltungs- und Reproduktionskosten der Arbeitskraft, dazu stellt, so ist das Ergebnis für den Herrn offenbar ein notwendig günstigeres als in Schlesien. Um den gleichen Nahrungsstand wie dort zu erzielen, hat er hier erheblich geringere Opfer zu bringen, da er (außer der Wohnung) fast ausschließlich Rohstoffe und Naturkräfte zur Verfügung stellt und die Produktion und Verarbeitung genußreifer Bedarfsmittel daraus auf die Arbeiter überwälzt3. Oder umgekehrt gesagt: mit den gleichen oder geringeren Aufwendungen ermöglicht er der Arbeiterfamilie einen relativ erheblich höheren Nahrungsstand. Er spannt dabei allerdings ihre Arbeitskraft bis auf den letzten überhaupt denkbaren Grad an, und dies geschieht freilich in Schlesien ceteris paribus nicht in gleicher Art; das hat aber bei dem sklavenartigen Kulturniveau der dortigen polnischen Arbeiterschaft nicht etwa deren Hebung, sondern begreiflicherweise nur das Brachliegen des Eigeninteresses an der Güterproduktion in den hier notwendig rein konsumtiven Familienwirtschaften zur Folge.

Freilich ist diese abweichende Gestaltung der Lage der nordöstlichen Gutsarbeiter gegenüber den schlesischen nicht etwa aus diesen Erwägungen der Wirtschaftlichkeit heraus entstanden. Die Differenz hat vielmehr historische Gründe.

[482] Der schlesische Deputatknecht verleugnet seinen Ursprung nicht. Er befindet sich in einer nur wenig modifizierten Hausgesindestellung. Sein Haushalt ist kaum merklich vom Gutshaushalt abgegliedert, seine Situation gleicht der eines beköstigten Knechtes sehr. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß mit dem Deputatknecht und seiner Ehefrau meist je besondere Kontrakte geschlossen, für beide Lohn und Naturalien je besonders, aber dennoch so ausgeworfen werden, daß die Bezüge von Mann und Frau zusammengenommen sich zu dem dort typischen Bedarf einer Arbeiterfamilie nebst Kindern ergänzen. Der schlesische Deputant ist ein Produkt beginnender Emanzipation des Hausgesindes aus dem herrschaftlichen Haushalt.

Anders im Norden. Das Deputantenverhältnis als normale Lohnform ständiger Kontraktarbeiter hat sich dort überhaupt erst teilweise durchgesetzt, es bildet noch nicht die Regel, andererseits ist es im hohen Grade wahrscheinlich, daß die ihm jetzt günstige Entwicklung der Arbeitsverfassung künftig darüber hinaus zu einer rein geldwirtschaftlichen Gestaltung des Lohnes führen wird. Der nördliche Deputant ist historisch keineswegs ein von der Gutsküche sich allmählich emanzipierender Knecht. Die Form der Entlohnung ist allerdings von den Gutsbeamten her übernommen: Vögte, Kämmerer, Oberknechte usw. wurden von jeher in dieser Weise ausgestattet. Allein die große Masse der Deputanten hat eine andere Geschichte hinter sich, ihre historischen Vorfahren im Norden waren fronpflichtige Eigenwirte. Der moderne Deputant steht nur am (vorläufigen) Schlußpunkt einer Entwicklung, welche weit in die Vorzeit der modernen landwirtschaftlichen Großbetriebe hinaufreicht. Sie beginnt mit dem (allerdings nur lokal nachweisbaren) Zustande, daß dem Grundherrn nicht Arbeiten geleistet, sondern Naturalien zur Bestreitung seines Haushaltes geliefert wurden. Der Grundherrschaft entsprach ein grundherrlicher Haushalt, aber keine Gutswirtschaft, der Herr bezog, kraft seiner politischen Herrschaft, als Zivilliste könnte man sagen, seinen Unterhalt von den abhängigen Wirtschaften; nicht er, sondern nur diese waren landwirtschaftliche Produzenten. Auf diesen Zustand folgte in England wie bei uns der andere, welcher den bekannten Typus der patriarchalischen Gemeinwirtschaft bildet: beide, Herr wie Hintersassen, wirtschaften, die abhängigen Wirtschaften der Bauern stellen zugleich die Arbeitskräfte für die Gutswirtschaft.[483] In England blieb dies ein Intermezzo: der Grundherr zog sich im Verlauf der Entwicklung wieder auf die Benutzung der Hintersassen als tributpflichtiger, aber selbständiger Kleinproduzenten, zurück. Nur daß er jetzt statt der Naturalien Geldrente bezog. Im deutschen Osten dagegen steigerte sich zufolge der Rückständigkeit der geldwirtschaftlichen Entwicklung die naturalwirtschaftliche Unternehmerstellung des Grundherrn auf Kosten der Hintersassen weiter, und nur ein Teil der letzteren mit einem Teil ihres Areals vermochte sich bei Gelegenheit der Regulierungen aus der erdrückenden Umarmung freizumachen; im übrigen kehrte sich der frühere Zustand um, der Gutsherr wurde der einzige Unternehmer: nicht, wie einst, er, sondern die Hintersassen beziehen jetzt das feste Deputat aus den Produkten des Gutes.

Diese Entwicklung ist, wie gesagt, im Norden bisher unvollendet, und zwar wesentlich dank der wirtschaftlichen Schwäche der Gutsherren: es war nicht zuletzt der Mangel an Betriebskapital auf seiten dieser, welcher den in der Regulierung begriffenen Bauern die Existenz als solche rettete. Es würde sonst, wenn die Gutsherren zur Bewirtschaftung größerer Flächen das Kapital besessen hätten, alsbald ein weit bedeutenderer Teil der Bauernwirtschaften durch Ankauf verschwunden sein. Mangel an Betriebskapital und damit die Unmöglichkeit, Barlöhne zu zahlen, hinderte ebenso die vollständige Proletarisierung der von der Regulierung ausgeschlossenen und allmählich depossedierten kleinen Bauern und Landarbeiter. Der Gutsherr mußte die Entlohnung in Gestalt von Er tragsanteilen, Landbeleihung und Weiderechten bestehen lassen, weil er zufolge seiner wirtschaftlichen Schwäche nur naturalwirtschaftlich löhnen konnte. Damit war zunächst die Weiterexistenz mehrerer Hunderttausend eigentümlich zwitterhafter Kleinwirtschaften im Osten – der Instwirtschaften (im engeren Sinne des Wortes, in welchem es die Deputanten ausschließt) – gefristet. – Die eigentümliche Doppelstellung dieser mit Land beliehenen und am Ertrag beteiligten Arbeiter, teils als Kleinunternehmer, teils als Teilhaber an der Wirtschaft des Herrn, wurde schon oben erörtert. Die vollständige Unterwerfung unter die Disposition des Herrn, aber verbunden mit wirtschaftlicher Interessengemeinschaft, ist das dem Verhältnis Charakteristische. Das Deputantenverhältnis, welches bei steigendem Wert des Bodens und[484] Uebergang zur intensiveren Wirtschaft neben und an die Stelle des alten Instverhältnisses zu treten pflegt, enthält in Gestalt der Einziehung eines Teiles des Landes und der Ersetzung der Anteile am Rohertrag durch feste Deputate, eine Beschränkung des bis dahin die Arbeiter treffenden Risikos und insoweit unbedenklich eine Besserstellung. Zugleich entzieht es sein Budget der Verflechtung in die Wirtschaft des Herrn und stellt ihn damit in höherem Maße auf eigene Füße. Jede weitere Beschneidung der Kleinunternehmerstellung des Instmannes und jedes Steigen der relativen Bedeutung des Goldlohnes wirkt in gleichem Sinne und kann also als eine Besserstellung der Arbeiter erscheinen gegenüber der absoluten Unterwerfung des alten Instmannes. Dieser Rückgang der Kleinunternehmerstellung macht beim Deputanten nicht Halt. Das wesentliche Moment der Stärke der überkommenen Naturallöhnung war – sahen wir – daß der einzelne Haushalt dem Gut mehrere Arbeitskräfte stellte, neben dem Instmann resp. Deputanten den Scharwerker. Zu dieser Gestellung mehrerer Arbeitskräfte sind die Arbeiter mehr und mehr außerstande. Die eigenen Kinder bleiben nach der Militärzeit spätestens fort, und außer dem übelst berufenen Gesindel verdingt sich heute niemand mehr leicht dem Instmann zum Scharwerker – dem niedersten Grade des ländlichen Gesindes. Es steht fest, daß die Tage des Scharwerkerverhältnisses gezählt sind. Dann aber entfallen die Vorzüge der Naturallöhnung für den Gutsherrn; die Naturalien, welche für den Bedarf einer Familie berechnet waren, kann er für die halbe Arbeitsleistung nicht gewähren, und kürzt es sie, so reichen sie zur Ernährung der Familie nicht mehr. Beide Teile werden so zum Geldlohn gedrängt. Der Geldlohn hat ja augenscheinlich am unbedingtesten den Vorzug, daß der Arbeiter weiß, was er erhält. Der Wert der Leistung des Gutsherrn, welcher bei Naturallöhnung höchst problematisch ist, ist hier rechtlich sichergestellt.

Aber nicht immer bedingt die rechtliche formale Fixierung eine Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiterschaft. Das zeigt deutlich der Gang, den die Entwicklung in Schlesien genommen hat.

In Schlesien nämlich – es handelt sich namentlich um Mittel- und Niederschlesien – hatte die Art der Wirtschaftsbetriebe früher als im Norden einen geschäftlich-kapitalistischen Charakter angenommen und war gleichzeitig das Verhältnis der Arbeiter[485] zum Gut rechtlichformal in höherem Maße festgelegt als im Norden. Wir finden hier noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in den Dreschgärtnern eine Kategorie von Arbeitern, deren wirtschaftliche Stellung völlig derjenigen der Instleute entspricht. Der Unterschied ihrer Lage war ein doppelter. Einmal wurde ihnen (im Gegensatz zu den »Robotgärtnern« Oberschlesiens) ein erbliches Besitzrecht zugestanden und die gegenseitigen Rechte und Pflichten als Reallasten behandelt, der Disposition des Herrn über sie also eine rechtliche Schranke gezogen. Andererseits aber war die wirtschaftliche Uebermacht der sehr reichen schlesischen Magnaten eine ungleich größere als die der nordischen Gutsherren. Beides vereint, wurde den Arbeitern verhängnisvoll. Das Verhältnis war nicht so elastisch wie das Instverhältnis, und die Umgestaltung der Gutswirtschaften im Sinne umfassenderer und rationellerer Eigenwirtschaft des Herrn sprengte es deshalb auseinander. Die Gutsherren erzwangen die Ablösung der Arbeitspflichten, aber auch der Anteilrechte, und die Dreschgärtner wurden zu formal freien Kleinstellenbesitzern, welche zur Arbeit auf dem Gute nicht mehr verpflichtet, aber auch nicht mehr anteilsberechtigt, dabei aber auf die Arbeit auf den Gütern angewiesen blieben. Den vermehrten Bedarf an Arbeitskräften deckten die Gutsherren, indem sie neben den früheren Dreschgärtnern in neu errichteten Familienhäusern sogenannte »Lohngärtner« mit kleiner Landanweisung ansetzten, eine Parallelerscheinung zu den Instleuten. Der größeren Kapitalkraft der Unternehmer entsprechend wurde das Arbeitsverhältnis sowohl der früheren Dreschgärtner als der Lohngärtner auf geldwirtschaftlicher Grundlage geregelt, der Kleinstellenbesitzer erhielt von Anfang an meist nur Geldlohn, der Lohngärtner daneben Land und Weide, beides in ungleich geringerem Umfange als der nördliche Instmann. Nun ist es charakteristisch für die traditionelle ländliche Lohnbildung, daß der Kleinstellenbesitzer zur Zeit nach der Ablösung an Geldlohn nicht erheblich mehr erhielt, als der Instmann neben seinen Naturalien, und daß er ebenso heute regelmäßig an Geldlohn nur das Nämliche erhält, was die Lohngärtner oder sonstige besitzlose Arbeiter neben der ihnen gewährten Wohnung und der Landanweisung beziehen. Die Gutsherren pflegen sich dieserhalb in der Vorstellung zu gefallen, sie gewährten den besitzlosen Arbeitern Wohnung und Land »gratis«. Historisch und wirtschaftlich ist[486] nur die umgekehrte Ausdrucksweise korrekt: sie rechnen dem Kleinstellenbesitzer das Areal und die Wohnung, welche sie ihm nicht gewähren, sondern welche er selbst besitzt, auf seinen Lohn an. Es entspricht das auch in Wahrheit der Art, wie die Grundbesitzer die Lohnfrage anzusehen pflegen. Wenn man im Gespräche mit Grundbesitzern z.B. aus Sachsen, wo die Verwendung von grundbesitzenden Arbeitern aus den Dörfern gleichfalls mehrfach vorkommt, den dort früher typischen Lohnsatz von 1 Mk. kritisierte, so bezogen sich die Betreffenden stets darauf, daß die Arbeiter, da sie eigenen Besitz haben, für die Bestreitung ihrer Existenz auf diesen Lohn nicht angewiesen seien: es zeigt sich, wie irrelevant die Rechtsformen gegenüber der übermächtigen Gewalt der traditionellen wirtschaftlichen Verhältnisse sind. Nicht die Arbeitsleistung ist auf dem Lande der Maßstab des Lohnes, sondern das Mindestmaß der Bedürfnisse der Arbeiter nach ihrer traditionellen Lebenshaltung. Das gilt für den Deputanten so gut wie für die sonstigen reinen Lohnarbeiter: die Höhe der gewährten Deputate ist in den einzelnen Gegenden sehr stark verschieden und richtet sich lediglich nach dem historisch überkommenen und auf dieser Grundlage sich langsam fortentwickelnden Nahrungszustand, dieser bestimmt den Lohn, nicht umgekehrt. Angesichts dessen war es vom Standpunkt der Arbeiter ein bedeutungsvoller Vorzug der nördlichen patriarchalischen Arbeitsverfassung mit ihrer Behandlung der Instleute nicht als reiner Lohnarbeiter, sondern als unfreier Wirtschaftsgenossen, daß trotz, ja man kann sagen: gerade wegen der formell schrankenlosen Verfügungsgewalt des Herrn vermöge der Stetigkeit der traditionellen Kompetenzen der Arbeiter ihre materielle Lage, was den Nahrungsstand anlangt, mit der allmählichen Steigerung der Roherträge sich stetig hob. In stark abgeschwächtem Maße kann das gleiche auch die Begleiterscheinung der Deputatlöhnung sein. Ganz anders beim Geldlohnsystem. Die Naturallöhne der Instleute und in geringerem Maße auch der Deputanten werden aus den steigenden Roherträgen unter Abwälzung eines entsprechenden Teils des Risikos und, wie oben ausgeführt, des Produktionsprozesses auf den Arbeiter bestritten, die Geldlöhne aus den sinkenden Reinerträgen ohne eine entsprechende Ueberwälzung. Das bedingt den Fortfall der oben erörterten rein wirtschaftlichen Vorzüge. Der Umstand, daß ein Teil der Arbeiter eigenen Grundbesitz hat,[487] wirkt dabei fast ausschließlich ungünstig, denn ihre Schollenfestigkeit und die eben besprochene Wirkung auf die Lohnbemessung drückt auf das Lohnniveau im allgemeinen. Der Kleinstellenbesitzer ist aus der Wirtschaftsgemeinschaft des Gutes ausgeschaltet. Er befindet sich nicht, wie der Getreide verkaufende Instmann, in Interessengemeinschaft, sondern, da er Brot zukauft, im Interessengegensatz zum Gutsherrn. Es entspricht aber, wo die Machtverhältnisse zwischen Unternehmer und Arbeiter für den letzteren so ungünstige sind wie auf dem Lande, dessen materiellen Interessen nicht, daß eine formale rechtliche Schranke, welche die wirtschaftliche Machtlage doch nicht zu alterieren vermag, in Gestalt der Verleihung des Eigentums an der Arbeiterstelle errichtet wird. Es wird dadurch das die volle, formale Dispositionsgewalt des Herrn voraussetzende patriarchalische Herrschaftsverhältnis in ein geschäftliches verwandelt. Damit wird für den Arbeiter an Stelle der Eventualität einer brutalen, persönlichen Beherrschung, der er sich durch Wegzug entziehen kann, die andere der geschäftlichen Ausbeutung gesetzt, der er, weil sie äußerlich unmerklicher eintritt, sich tatsächlich schwerer entzieht und als Kleineigentümer sich auch gar nicht zu entziehen in der Lage ist. Man zwingt ihn durch die formale rechtliche Gleichstellung in einen Interessenkampf, den eine weithin über das Land dislozierte, der Organisation unfähige Arbeiterschaft durchzufechten nicht die Macht hat.

Wenn hier das traditionelle Instverhältnis als ein »patriarchalisches« bezeichnet und als ihm charakteristisch die »Interessengemeinschaft« des Arbeiters mit dem Herrn hingestellt worden ist, so sollte dieser Ausdruck billigerweise von dem Mißverständnis verschont bleiben, als ob damit irgendeine persönliche Vertrauensbeziehung zwischen Herrn und Arbeiter als notwendige Folge dieser Arbeitsverfassung behauptet werden sollte. Behauptet werden soll nur, daß sie ein festes gemeinschaftliches Interessenband um Herrn und Arbeiter schlingt und die patriarchalische Leitung der Wirtschaftsgemeinschaft durch den Herrn dieser Sachlage ebenso adäquat ist wie sie mit dem Geldlohnsystem in Widerspruch steht, weil das materielle Interessenband fehlt. Die patriarchalische Arbeitsverfassung bringt ehrlich zum Ausdruck, daß auf dem Lande der Arbeiter nicht in einem Vertrags-, sondern in einem persönlichen Unterwerfungsverhältnis[488] zum Herrn steht und diese Ehrlichkeit ist ihre Stärke. Sie setzt aber eben deshalb jene resignierte, in die Tradition der Unfreiheit gebannte Arbeiterbevölkerung voraus, welche die östlichen Instleute repräsentierten, und diese Voraussetzung wird mehr und mehr zuschanden. Nicht nur die Unternehmer, sondern ebenso auch die Arbeiter sind es, welche das Deputanten-statt des Instverhältnisses, den Geldlohn statt des Naturallohns, die rechtliche Ungebundenheit statt des Kontrakts bevorzugen, das scheint jetzt im allgemeinen völlig sichergestellt. Wie dem aber sei, jedenfalls zerfällt mit dieser Umwandlung eine notwendige Voraussetzung der patriarchalischen Herrschaft: die Interessenbeziehung zum einzelnen Gut. Die Unterschiede in der Stellung der einzelnen Kategorien von Arbeitern nivellieren sich, und die Person des Unternehmers wird für die ländlichen Arbeiter in ähnlicher Art »fungibel«, wie sie es für die gewerblichen regelmäßig schon ist. Mit andern Worten, die Entwicklung führt zur stetigen Annäherung der ländlichen Arbeiterschaft an den Charakter einer in ihren wesentlichen Lebensbedingungen einheitlichen Klasse mit proletarischem Typus, wie die Industriearbeiterschaft sie bereits darstellt. Die kapitalistische Unternehmung strebt aus den oben angedeuteten Gründen aus dem Naturallohnsystem trotz seiner wirtschaftlichen Vorzüge heraus, – die Arbeiter suchen den Geldlohn, weil er sie am meisten von der Abhängigkeit von der Wirtschaft und dem guten Willen des Herrn befreit, trotzdem sie sich dabei wirtschaftlich schlechter stehen. Wie der Geldzins des Bauern im Mittelalter als das wichtigste Symptom seiner persönlichen Freiheit erscheint, so der Geldlohn des Arbeiters heute. Die Landarbeiterschaft opfert ihre materiell oft günstigere, immer aber gesichertere, abhängige Lage dem Streben nach persönlicher Ungebundenheit. Daß diese entscheidende psychologische Seite des Vorgangs den Beteiligten wesentlich unbewußt sich vollzieht, steigert nur die Wucht ihrer Wirksamkeit. Für eine Arbeiterschaft aber, welche ebensowenig wie die Industriearbeiter normalerweise die geringste Aussicht hat, in die Schicht der selbständigen Unternehmer aufzusteigen, hat diese Umwandlung nur einen Sinn als vorbereitendes Stadium für einen Klassenkampf. Es zeigte sich schon, daß auch die Grundherren der Umwandlung in eine unter sich wesentlich gleichartige Klasse mit geschäftlichem Unternehmertypus zu[489] verfallen begonnen haben. Auch hier setzt die moderne Entwicklung an Stelle der persönlichen Herrschaftsverhältnisse die unpersönliche Klassenherrschaft mit ihren psychologischen Konsequenzen.

Es fragt sich nun: was wird weiter daraus werden? Wird der Kampf einen ähnlichen Verlauf nehmen wie in der Industrie? Ist es wahrscheinlich, daß im Laufe der Zeit im Wege der Arbeiterorganisation daraus eine ländliche Arbeiter-Aristokratie ersteht, wie wir sie in manchen Großindustrien Englands finden, wo gerade die volle Proletarisierung den Durchgangspunkt für eine aufstrebende Bewegung der höchsten Schichten der Arbeiterschaft bildete? –

So günstig steht leider die Prognose des ländlichen Klassenkampfs nicht.

Versuchen wir uns die Wirkungen zu verdeutlichen, welche die Umgestaltung der Betriebsweise gemäß den Anforderungen der internationalen Konkurrenzlage für die Gesamtlage der Landarbeiterschaft mit sich bringt, so müssen wir von einem Durchschnittszustande der landwirtschaftlichen Betriebe ausgehen, wie er vor 40 bis 50 Jahren auf mittlerem Sandboden im Osten bei Gütern von 500 und etwas mehr Hektar noch als Regel gelten konnte, heute natürlich nicht mehr ist: Ausschluß des Maschinenbetriebs, intensiver Viehzucht und starken Hackfruchtbaus einerseits, Emanzipation von der Dreifelder- und extensiven Feldgraswirtschaft andererseits. Nicht intensiver Getreidebau bei mäßiger Viehhaltung beherrschen den Wirtschaftsbetrieb. Wir suchen nun zu ermitteln, welchen Einfluß eine Umgestaltung des Betriebs unter geschäftlichen Gesichtspunkten in den uns interessierenden Punkten ausüben mußte.

Einfach liegt diese Frage, wenn es sich um Uebergang zu reiner oder annähernd reiner Viehzucht handelt. Hier ist eine starke Verminderung der Arbeitskräfte die Folge. Dies um so mehr, als bei uns allgemein nicht die englische, intensive, sondern eine ziemlich extensive Weidewirtschaft in Frage käme, welche eines Minimums von Arbeitskräften bedarf. In besonders starkem Maße werden die unständigen Arbeitskräfte, deren der Getreidebau für Sommer und Ernte bedarf, davon betroffen.

Nicht so einfach dagegen ist die hier mehr interessierende Wirkung des intensiveren Ackerbaus (Drillen und Hacken der Zerealien, starke Kunstdüngung, Dreschmaschinen,[490] Maschinenbetrieb überhaupt, intensive Hackfruchtkultur usw.) im Vergleich mit der traditionellen Wirtschaftsweise. Zunächst sind die einzelnen Formen, in welchen sich der Uebergang zur intensiven Ackerbaukultur vollzieht, selbstverständlich nicht untereinander von gleicher Wirkung. Aber in einem Punkt kommen sie im Ergebnis dennoch alle überein: In der starken relativen Steigerung des Bedarfs an Sommer- im Verhältnis zu den Winterarbeitskräften bei absoluter Steigerung des Arbeitsbedarfs im Ganzen. Das letztere Moment wird regelmäßig zuerst, das erstgenannte im weiteren Verlauf der Entwicklung wirksam. Demgemäß steigt bei langsamer Zunahme der Intensität, und in den Anfangsstadien des Ueberganges die Zahl der ständigen Arbeitskräfte im Verhältnis zur Bodenfläche langsam; die der nichtständigen schneller; im weiteren Verlauf oder bei schnellerem Uebergang zu Intensität die nichtständigen fast ausschließlich, und es findet sogar bei hohen Intensitätsgraden eine relative und schließlich absolute Abnahme der ständigen Arbeitskräfte statt. Der letzte Punkt, die – nicht überall, aber anscheinend überwiegend, in den Gegenden mit starkem Wanderarbeiterzuzug fast ganz regelmäßig, – eintretende absolute Abnahme der ständigen Arbeiter, könnte überraschen. Die Gründe der Erscheinung liegen auch – wie nachher zu erörtern – nicht nur, aber doch immerhin auch in der Art der Betriebseinrichtung. Die Kunst der traditionellen Betriebsweise in der Verteilung der Arbeiten über die Jahreszeiten bestand nämlich in der möglichsten Verminderung der Saisondifferenzen und der Sorge dafür, daß die verfügbaren Arbeitskräfte auch ständig beschäftigt seien, also in der möglichsten Abschwächung des Charakters der Landwirtschaft als eines Saisonbetriebes. Man verteilte – mit anderen Worten – die notwendige Arbeit möglichst über das ganze Jahr. Verhältnismäßig ebenso leicht aber läßt sich eine Verschiebung in der Disposition im umgekehrten Sinne vornehmen, also ein Teil der Arbeiten, die normalerweise im Winter vorgenommen werden, den Sommer- und Herbst-Saison-Arbeitern übertragen und dadurch der Charakter als Saisonbetrieb verstärken, der Bedarf an Dauerarbeitern auch absolut nicht unbeträchtlich vermindern. Die Vorfrage, ob das möglich und zweckmäßig ist, hängt davon ab, ob gerade Saisonarbeiter mit besonderer Leichtigkeit zu erlangen sind. Das war unter den alten stabilen[491] Verhältnissen und bei der traditionellen Wirtschaftsweise nicht der Fall. Anders mit Umsichgreifen der intensiven Kultur. Sie bedarf verstärkter Saisonarbeit und schafft sie sich durch Steigerung der Saison-Geldlöhne. Es entsteht und wächst dadurch mit den modernen Verkehrsmitteln eine Klasse von Arbeitern, die überhaupt nur landwirtschaftliche Saisonarbeiter sind, die Wanderarbeiter. Es wandert zunächst der Bevölkerungsüberschuß übervölkerter oder extensiv bewirtschafteter Gegenden. Aber auf die Dauer ergreift die Wanderbewegung stetig größere Bruchteile der Landarbeiterschaft überhaupt. Das so geschaffene Material von Saisonarbeitern nützt nun der intensive Betrieb bis aufs äußerste aus. Die Akkordlöhne steigern die Leistung; aber der Wanderarbeiter ist auch an sich arbeitswilliger. Polnische Mädchen, welche in der Heimat kein noch so hoher Lohn zu energischer Arbeit anspornt, leisten auswärts Außergewöhnliches. Der Wanderarbeiter ist eben aus dem gesamten Ensemble seiner Familie und gewohnten Umgebung gerissen, er ist nur Arbeitskraft für den Gutsherrn wie in seinen eigenen Augen. Die Wanderarbeiterkaserne ist in ihrer Funktion das geldwirtschaftliche Analogon der antiken Sklavenkaserne. Der Gutsbesitzer spart Arbeiterwohnungen, denn die Unterbringung der Wanderarbeiter macht wenig oder keine Kosten. Er spart ferner die Landanweisung, endlich aber und vor allem jegliche verwaltungs- und armenrechtliche Verantwortung. Dagegen zahlt er in Gestalt der höheren Saisonlöhne im ganzen regelmäßig nicht mehr, oft weniger, als wenn er den traditionellen Entgelt das ganze Jahr hindurch an einheimische Arbeiter zahlen würde. Die Nachteile des Geldlohns unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit gleichen sich für ihn in dieser Form mehr als aus. In einzelnen Teilen Schlesiens betrachtet man die Wanderarbeiter schon als »Stamm« der Arbeiterschaft. – Welcher Grund aber veranlaßt, vom Interessenstandpunkt der Arbeiter aus, die Wanderbewegung? Differenzen des Lohnniveaus scheinen das Nächstliegende und bilden einen erheblich mitwirkenden Faktor. Aber die Erhebungen des Vereins für Sozialpolitik sowohl als die des evangelisch-sozialen Kongresses bestätigen, daß auch, wo solche absolut nicht vorliegen und auch alle in den Bevölkerungsverhältnissen möglicherweise liegenden Umstände fehlen, gewandert wird, ja daß benachbarte Gebiete ihre Arbeitskräfte direkt oder auf Umwegen geradezu austauschen.[492] Der Grund ist eine Kombination wirtschaftlicher und psychologischer Momente. Der Wanderarbeiter würde eine allgemeine Lebenshaltung – es handelt sich nicht allein, nicht einmal hauptsächlich, um die Nahrung4 – und ein solches Ensemble, wie es ihn auf der fremden Arbeitsstelle umgibt, in der Heimat sich nicht bieten lassen. Auf Grund eben dieser erniedrigten Lebenshaltung aber und der durch die Aufgabe der gewohnten heimatlichen Umgebung vermehrten Arbeitsenergie erspart er, auch wenn die Lohnsätze in der Fremde nicht höher sind, als in der Heimat, relativ erhebliche Beträge, wie er sie im heimatlichen Arbeitsverhältnis nicht zu ersparen vermöchte, und kann – ein begreifliches Verlangen – in der ohnehin arbeitslosen Winterzeit »Ferien« machen. Aber ferner und namentlich: die Abwanderung entzieht ihn der Notwendigkeit, bei den benachbarten heimatlichen Gutsherren Arbeit zu suchen. Gerade die Arbeit in der Heimat aber ist mit dem traditionellen Herrschaftsverhältnis historisch und gedankenmäßig verknüpft: es ist der dunkle Drang nach persönlicher Freiheit, welcher die Arbeiter zur Arbeit in die Fremde treibt. Sie opfern ihre gewohnten Lebensverhältnisse dem Streben nach Emanzipation aus der Unfreiheit: ihre stumpfe Resignation wird durchbrochen. Die vielbeklagte »Mobilisierung« der Landarbeiter ist zugleich der erste Anfang der Mobilmachung zum Klassenkampf.

Wir sehen: die Konsequenzen planmäßiger »Verflechtung in die Weltwirtschaft« für die landwirtschaftlichen Betriebe des Ostens auf demjenigen Areal – dem unzweifelhaft größten –, welches zu intensiver Viehzucht nicht überzugehen vermag, sind, wenn sie Großbetriebe bleiben wollen, schon unter dem Gesichtspunkt der Bevölkerungsschichtung schwerwiegender Art. Gehen sie in Unterordnung unter die Gebote der internationalen Produktionstei lung zur extensiven Weidewirtschaft über, so sinkt der Nahrungswert der Bodenprodukte und die Bevölkerungsziffer. Gehen sie unter Steigerung der Bodenkultur zum intensiven Ackerbau über, so schränken sie die relative Bedeutung, teilweise auch die absolute Zahl der ständigen Arbeiter ein, befördern[493] dagegen die Fluktuation der Arbeiterschaft und gefährden damit die Stabilität der Gruppierung der Bevölkerung durch Entstehung eines modernen Nomadentums. Es kommt darin nur zu deutlich zum Ausdruck, daß die Konkurrenzfähigkeit der ausländischen Produzenten eben in dem niedrigeren Kulturniveau beruht, auf den ungeschwächten Naturkräften des Bodens und dem Fehlen der mittelbaren Belastung durch das soziale Ensemble, welches die Bevölkerungsdichtigkeit und die Lebensansprüche einer Bevölkerung mit älterer Kultur schaffen. Die landwirtschaftlichen Großbetriebe auf dem nicht besonders begünstigten Boden des Ostens müßten in der Bodenkultur und in dem sozialen Niveau der Arbeiter wie der Unternehmer eine Kulturstufe heruntersteigen können, um als Großbetriebe konkurrenzfähig zu bleiben.

Diese verhängnisvolle Situation ist auch für die rein materielle Lage der Landarbeiterschaft – ihren Nahrungsstand – von maßgebender Bedeutung in einem Augenblick, wo zum erstenmal die freie Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt als organisatorisches Prinzip auch auf dem Lande erscheint. Die an die Tradition gebundene Art der Lohnbemessung, welche dem platten Lande eignete, brachte es mit sich, daß die Einkommens- und Ernährungsverhältnisse der Arbeiter durch rein ökonomische Momente nur teilweise und indirekt, unmittelbar dagegen durch solche Umstände bestimmt werden, welche jenen festen Halt, den die Tradition einer festgefügten typischen Arbeitsverfassung bot, erschüttern. Das ist aber gerade bei denjenigen Veränderungen der Fall, welche die moderne Betriebseinrichtung mit sich bringt.

Sehen wir uns die wichtigsten derjenigen Faktoren an, welche einen Einfluß auf die Lage der Arbeiter möglicherweise ausüben können: Es sind: 1. die verschiedene Größe der einzelnen Betriebe; 2. die verschiedene Güte des Bodens; 3. die verschiedene Intensität der Bodenbewirtschaftung; 4. die Grundbesitzverteilung. Was zunächst die Wirkung der Größe der Betriebe auf die Lage der Arbeiter anlangt, so scheint der Satz ziemlich allgemein aufgestellt werden zu dürfen: je größer der Betrieb, desto weniger ständige Arbeiter bedarf er im Verhältnis zur bebauten Fläche. Eine Abnahme der ständigen Arbeiter im Verhältnis zur bebauten Fläche bei untereinander gleichen Verhältnissen der Bodenqualität und Intensität scheint nun ferner regelmäßig[494] mit einer Hebung ihrer Lage verbunden zu sein5. Das entspricht bekannten Analogien in der Industrie und ist natürlich, da es sich in diesem Falle lediglich um eine rationellere Disposition über die vorhandenen Arbeitskräfte unter Ersparung unnützer Mitesser handelt. Daraus ergibt sich – und das entspricht der Erfahrung –, daß ceteris paribus, d.h. bei gleicher Bodenqualität und Wirtschaftsintensität, die Arbeiter größerer Großbetriebe besser gestellt sein werden als die kleinerer. Dieser Satz hört aber sofort auf richtig zu sein, sobald man verschieden intensive Betriebsformen und namentlich, wenn man Güter aus verschiedenen nicht unmittelbar benachbarten Gegenden mit verschiedener Arbeitsverfassung und Kulturstufe der Arbeiter miteinander vergleichen wollte, wie etwa Oberschlesien und Ostpreußen. Die Vergleichbarkeit besteht nur für lokale Bezirke mit traditionell gleichartigen Verhältnissen. Ebenso ist es eine ganz andere Frage, wie sich die Lage der Arbeiter bäuerlicher Betriebe zu der in Großbetrieben verhält. Unter einander vergleichbar sind nur Betriebe des gleichen sozialen Gesamtcharakters.

Aehnlich liegt die Sache mit der Wirkung der Bodenqualität. Die bessere Qualität des Bodens erfordert in der Ernte einen größeren Arbeitsaufwand, im übrigen steigt mit zunehmender Qualität der Bedarf an ständigen Arbeitskräften[495] langsamer als die Ertragsfähigkeit. Sie wirkt deshalb bei den auf Anteil gesetzten Instleuten unter sonst gleichen Verhältnissen naturgemäß steigernd auf das Einkommen; in einem gewissen, aber erheblich geringeren Maße wirkt das auch auf die Deputanten zurück. Was die Geldlöhne anlangt, so ist eine Abhängigkeit von der Bodengüte (Grundsteuerreinertrag) in unmittelbar benachbarten Bezirken selten sicher zu konstatieren. Hier überwiegen die rein individuellen Umstände (Weite der Wege, Isoliertheit des Gutes usw.). Faßt man Bezirke von etwa vier bis fünf Kreisen von in sich etwa gleichen Boden- und Bewirtschaftungsverhältnissen zusammen, so findet regelmäßig ein deutlicher Parallelismus der Lohnhöhe mit der Bodengüte statt6. Sobald man aber große Gebiete – Provinzen – zusammenfaßt, hört dieser Parallelismus auf, ja, er hört nicht nur auf, sondern kehrt sich um, wenn man die Reinertragsziffern Schlesiens mit denen des Nordens vergleicht. Der Grund liegt wiederum in der Differenz der Arbeitsverfassung.

Beide bisher erörterten Faktoren also stehen an Bedeutung hinter einem anderen: – der Art der Arbeitsverfassung und der Nationalität der Arbeiter – zurück. Sehen wir nun zu, welcher Einfluß dem dritten oben aufgeführten Faktor: der zu- oder abnehmenden Intensität des Betriebes, zukommt. Eine Abnahme[496] der Betriebsintensität – sei es nun der Arbeits- oder der Kapitalintensität – wird bei fortbestehendem Großbetrieb im Osten regelmäßig mit Verdrängung der Feldarbeit durch extensive Viehzucht identisch sein, eine Steigerung der Intensität gegenüber der traditionellen Betriebsweise kann in Form intensiverer Viehzucht erfolgen, – dann handelt es sich um Zunahme der »Kapitalintensität« des Betriebes – oder in Gestalt intensiverer Ackerbaukultur – dann nimmt der Betrieb an Intensität des Kapital- sowie des Arbeits-Aufwandes zu.

Der Uebergang zur reinen oder fast reinen Viehwirtschaft im Großbetriebe scheint bei starkem Rückgang der Zahl der Arbeiter deren Lage da, aber auch nur da günstig zu beeinflussen, wo die klimatischen Verhältnisse diesen Uebergang entschieden provozieren7. Das Material ist hier sehr unzulänglich, die Frage ist aber auch nicht von hervorragender Bedeutung für uns; als erkennbare und uns interessierende Wirkung bleibt für uns nur bestehen, daß eine auf Kosten des Feldanbaues zunehmende Viehzucht die Zahl der Arbeitskräfte und hiermit die Volkszahl des platten Landes überhaupt stark vermindert.

Der intensive Ackerbau nun, der uns hier speziell interessiert, führt zu einer solchen Verminderung der benötigten Arbeitskräfte nicht, da der Ersatz der menschlichen durch maschinelle Arbeitskraft in der Landwirtschaft eine im Verhältnis zur Industrie weit untergeordnete Rolle spielt. Er führt vielmehr zu nächst – wie schon oben konstatiert, – zu einer Verschiebung nur innerhalb der Arbeiterschaft: der Anteil der ständigen Arbeitskräfte im Verhältnis zu den überhaupt verwendeten Arbeitskräften sinkt. Zu erörtern bleibt, wie die materielle und soziale Lage der ständigen sowohl als der unständigen Arbeiter beeinflußt wird.

Die intensivere Bodenkultur trägt an sich selbstverständlich die Tendenz zur Steigerung des Kulturniveaus und der Lebenshaltung der Bevölkerung überhaupt in sich. Da, wo eine große Zahl von ansässigen Eigenwirten die gesteigerten Erträge voll perzipieren, muß die Folge eine anhaltende Steigerung der Lebensansprüche aller Schichten der Bevölkerung, auch der Arbeiter,[497] sein. Problematisch dagegen liegt die Frage für die letzteren unter der Vorherrschaft des Großgrundbesitzes. Wo eine festgefügte Arbeitsverfassung Arbeitern, welche von jeher an hohe Nahrungsansprüche gewöhnt sind, die volle Teilnahme an der Steigerung der Erträge sichert, tritt derselbe Erfolg ein. So tatsächlich in Mecklenburg, Ostholstein und Neuvorpommern. Daß das Gegenteil mindestens möglich ist, zeigt die traurige Lage der Arbeiter in den am intensivsten bewirtschafteten Teilen Schlesiens, wo die Arbeitsverfassung, wie oben ausgeführt, und ebenso zum Teil die Nationalität der Arbeiter eine andere ist. Damit scheint also auch die größere oder geringere Intensität der Kultur ebenso wie die Bodenqualität ein an sich stets günstig wirkendes, nur eventuell durch die Einflüsse der sozialen Schichtung der Arbeiterschaft und ihrer Rassengewohnheiten an Bedeutung überwogenes Moment zu sein. Allein es scheint nur so. Denn wenn, wie wir immer wieder sehen, in der Tat die Art der Arbeitsverfassung, also der sozialen Schichtung und Gruppierung der Landarbeiterschaft, für ihre materielle Lage entscheidend ist, und wenn sich ferner zeigte, daß unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen auf dem Lande die geldwirtschaftliche Gestaltung der Arbeitsverfassung die materielle Lage der Arbeiter schwer gefährdet, so muß eine Umwandlung der Betriebsweise, welche diese geldwirtschaftliche Verfassung mehr oder weniger vollständig herbeizuführen die Tendenz hat, die gleichen Gefahren in sich tragen. Das aber ist bei der intensiven Betriebsweise der Fall.

Es wurde oben hervorgehoben, daß der intensive Ackerbau zunächst, solange nämlich die Arbeitsverfassung in der Hauptsache unverändert bleibt, die Relativzahl der ständigen Arbeitskräfte zur Bodenfläche regelmäßig erhöhe. Ebenso erhöht er ihre Bezüge unter der gleichen Voraussetzung. Da der alte Instmann durch Anteile gelohnt wird, steigert sich bei gleichbleibenden Verhältnissen sein Verdienst8; – das ändert sich nicht notwendig dadurch, daß regelmäßig auf besserem Boden und mit steigender Bodenkultur das Anteilsverhältnis herabgesetzt[498] wird, und daß dies immer bei Einführung des Maschinendrusches der Fall ist9.

Im weiteren Verlauf der Entwicklung pflegt aber – sahen wir – das Anteilverhältnis gänzlich beseitigt und durch festes Deputat ersetzt zu werden. Damit ist jedenfalls der Teilnahme der Arbeiter an der Steigerung der Erträge ein Ende gemacht. Es bedeutet dies nun nicht an sich eine Verschlechterung sei es der Gesamtlage, sei es speziell des Nahrungsstandes. Im Gegenteil bringt es ihnen zunächst sehr oft eine Besserung durch Sicherstellung und Regulierung ihres Verbrauchsquantums. Aber es bedeutet, da die hohen Dreschlohneinkünfte in Getreide wegfallen eine Verschiebung nach Seite des Kartoffel- zuungunsten des Zerealienfaktors im Budget, wie sich auch aus den Berichten deutlich ergibt. Und Hand in Hand damit geht regelmäßig ein Rückgang der Naturalienlöhnung überhaupt zugunsten der Geldlöhnung, ein Schritt also auf dem Wege zur Proletarisierung. Die Proletarisierung bedeutet aber vor allem auch einen Bruch der festen Traditionen in bezug auf die Ernährung. Die typische Nahrung der Landarbeiter bestand bis vor 100 Jahren aus Zerealien und Milch mit relativ seltenem Fleischgenuß. Im Laufe der Zeit hat die Kartoffel zunehmend die Bedeutung des »täglichen Brotes« erlangt. Das ist nicht so unbedenklich, wie es scheint. Nicht als ob die relativ steigende Bedeutung der Kartoffel in der Volksernährung an sich ein Nachteil wäre. Im Gegenteil, die Notwendigkeit der Ernährung größerer Massen auf der gleichen Fläche postuliert dies Nahrungsmittel. Aber von entsprechend steigender Wichtigkeit für den Gesamtnahrungsstand ist dann die Frage, was neben den Kartoffeln konsumiert wird, denn die Kartoffel hat die Eigenart, den Magen stark zu füllen und so das Gefühl physischer Sättigung zu erzeugen, ohne doch die physiologisch erforderlichen Eiweißstoffe dem Körper entsprechend zuzuführen. – Wir haben seit dem Mittelalter zunächst einen Umschwung in der Volksernährung zuungunsten der Fleischnahrung und zugunsten der Zerealiennahrung als Begleiterscheinung der steigenden Kultur erlebt. Die annähernde Ausschließlichkeit[499] der Zerealiennahrung bei der Landbevölkerung bildete vielleicht nicht am wenigsten die physiologische Unterlage ihrer psychischen Eigentümlichkeiten: stumpfer Resignation und Lenksamkeit. In diesem Jahrhundert beginnt dann die Fleischnahrung wieder den Gradmesser der Kultur zu bilden, und der typische Konsum des modernen, aufstrebenden Proletariats setzt sich mehr und mehr aus Kartoffeln und Fleisch oder – Schnaps zusammen. Der letztere ersetzt nur zu leicht scheinbar das, was die Kartoffel dem Körper nicht zugeführt hat. Entscheidend ist also für die Volkesernährung im ganzen, ob eine entsprechende Eiweiß- (Fleisch- oder Milch-)Zufuhr dem vermehrten Kartoffelkonsum die Wage hält. Und von völlig entscheidender Bedeutung für die Lage der Landarbeiter, ihre soziale Position wie die Gewährleistung eines relativ zulänglichen Nahrungsstandes, ist unter diesen Umständen das Schicksal ihrer Viehhaltung. Objektiv wie subjektiv bildet sie den Mittelpunkt ihres Haushalts, die Grundlage auch für eine angemessene Verwendung der Arbeit der Frau und der jüngeren Kinder innerhalb des Haushalts im gemeinsamen Interesse der Familie. Gerade sie aber ist den schärfsten Angriffen von seiten der intensiven Bodenkultur ausgesetzt, da die Steigerung des Bodenwertes die Beseitigung der Weiden fordert.

Wir finden denn auch, nicht überall, wohl aber als Begleiterscheinung speziell des Hackfruchtbaus, aber auch – und das ist charakteristisch – der intensiven Viehwirtschaft, zunächst die Einschränkung, dann die Beseitigung der Gänse-, Schaf- und Kuhhaltung. Nur das Schwein bleibt. Dieser Schritt wirft auch die ganze alte Bedeutung der Deputate über den Haufen, sie dienen nun wesentlich nur konsumtiven, nicht produktiven Zwecken in der Familienwirtschaft des Arbeiters. Er ist damit Proletarier geworden, und sein Freiheitsinteresse fordert auf die Dauer den Geldlohn. Auch deshalb führt die Entwicklung mit Notwendigkeit über den jetzt herrschenden Zustand hinaus, zu Verhältnissen, wie sie in Schlesien bei den »Lohngärtnern« bestehen, schon darum, weil ein proletarisierter, besitzloser Arbeiter eine Inststelle gar nicht annehmen kann. Die Größe des eignen Besitzes (Möbel usw., Vieh) und die Bedeutung der eigenen Wirtschaft stehen in Wechselwirkung, wie ein Blick auf die Versicherungsziffern der mecklenburgischen Tagelöhner im Gegensatz zu den schlesischen zeigt. Auch aus diesem Grunde ist die Zahl[500] der »freien« nur in Geld gelohnten Arbeiter, welche an Stelle der Instleute als ständige Arbeitskräfte treten, im stetigen Zunehmen begriffen. Bei ihnen steht die Kartoffel als Nahrungsmittel herrschend da, ihr Zerealien- und Fleischkonsum ist problematisch. Ganz überwiegend wird berichtet, daß die materielle Lebenshaltung der freien Arbeiter eine schlechtere sei, als die der Instleute, ebenso fest aber steht, daß sie einen stetig wachsenden Bruchteil auch der ständigen Arbeitskräfte bilden. Gerade die Nachfrage nach freien Arbeitern hat sich aus den schon wiederholt hervorgehobenen Gründen seit Jahrzehnten am stärksten vermehrt und ihre Löhne – die Geldlöhne – gesteigert, während die Bezüge der in Naturalien abgelohnten Kontraktsarbeiter relativ stabil blieben. Diese »freien« Arbeiter waren früher Angehörige der Dörfer, die gelegentlich einige Groschen nebenher verdienten, sonst nur eine zahlenmäßig wenig erhebliche unterste Schicht der Landbevölkerung, die noch 1849 abwechselnd der Armenpflege anheim fiel, in- und außerhalb der Landwirtschaft Arbeit fand. Jetzt sind sie eine Gruppe von stets steigender relativer Bedeutung. Ihr Lohnniveau zeigt die Tendenz, sich innerhalb der einzelnen, größeren Bezirke mit annähernd gleicher Arbeitsverfassung auszugleichen. Und zwar auf einem Niveau, welches dem 1873 in den reicheren Gegenden erreichten nahe kommt, also eine oft erhebliche Erhöhung der Löhne in den ärmeren Gegenden bedeutet. Dagegen gleicht die Umwandlung der alten Instleute in Deputanten das Lohnniveau der Kontraktarbeiter regelmäßig auf einem Niveau aus, welches um etwas, aber nicht erheblich über demjenigen der weniger günstigen Gegenden (nicht gerade der allerschlechtesten) liegt und durch die Beseitigung der Viehhaltung häufig darunter gedrückt wird. Der erhöhte Geldlohn der freien Arbeiter bedeutet aber für die materielle Lage nur in den günstigsten Fällen das gleiche, wie die Gesamteinkünfte der Deputanten, auf deren Kosten sie zunehmen. Wir haben als Gesamtergebnis in den Gegenden mit noch vorwiegender patriarchalischer Arbeitsverfassung Nivellierung der Lebenshaltung der Landarbeiter auf einem gegen die frühere Lage ihrer unteren Schichten gehobenen allgemeinen proletarischen Niveau, verbunden mit einer sozialen Deklassierung ihrer obersten Schichten und zunehmender Abschneidung der Verbindungsglieder zum Kleinunternehmertum; wir finden ferner ein konstantes Vordringen[501] der kapitalistischen Arbeitsverfassung; wo aber diese letztere bereits seit langer Zeit besteht (Schlesien), da finden wir minimales Lohnniveau und minimale soziale und materielle Lebenshaltung, beide durch die Entwicklung nur etwa soweit gehoben, daß die Resignation diesem Zustande gegenüber aufhört. Gerade entgegen also der Tendenz zur Entwicklung einer Arbeiteraristokratie wie sie in den kapitalstarken, englischen Industrien entsteht, führt hier die kapitalistische Umgestaltung bei den ständigen Arbeitern zur Entwicklung einer unter sich gleichartigen proletarischen Masse. Es wäre auch seltsam, wenn die Entwicklung anders verliefe, da gerade die hochintensiven Kulturen (Rüben) eines Maximums an Arbeitskräften ohne jede Qualifikation bedürfen und der Bedarf nach einer den »gelernten« Arbeitern der Industrie ähnlichen Kategorie von Arbeitskräften zwar durchaus nicht völlig fehlt, ihm aber für den hochintensiven Landwirtschaftsbetrieb auch nicht in irgend vergleichbarem Maße eine ähnliche Bedeutung zukommt, wie in technisch hochentwickelten Industrien.

Weit einschneidender noch gestaltet sich nun aber diese Erscheinung angesichts des stetigen Umsichgreifens des Wanderarbeitertums. Denn hier kommen die nationalen Gegensätze im Osten zur Geltung. Seit Aufhebung der Polensperre (1890) haben wir im Osten eine Sachsengängerei nicht nur von dort nach Sachsen, sondern auch von Russisch-Polen und Galizien nach den östlichen Provinzen und sehr viel weiter – vereinzelt bis in die Wetterau! Die Zahl dieser fremden Nomaden betrug zeitweise – neueste Zahlen liegen nicht vor – allein in den 4 Grenzprovinzen ca. 30000 im Jahre. Gerade die hochintensive (Rüben-)Kultur, welche die niedrigsten Ansprüche an die Qualität der Arbeiter stellt, zieht sie herbei. Nicht die Arbeiter mit höchster, sondern die mit niedrigster Lebenshaltung werden bevorzugt und behalten das Feld. Auch hier entscheidet nicht das rein wirtschaftliche Interesse der Gutsherren allein, sondern ihr damit nur indirekt verknüpftes Machtinteresse. Die Disposition über den Polen ist schrankenlos: ein Wink, und der benachbarte Amtsvorsteher – auch ein Gutsbesitzer – spediert ihn über die Grenze zurück. Die Herbeiziehung der Polen ist im eigentlichsten Sinne Kampfmittel in dem hier schon antizipierten Klassenkampf, gerichtet gegen das erwachende Selbstbewußtsein der Arbeiter, und triumphierend melden die Berichte,[502] daß sie in dieser Beziehung auch wirksam gewesen sei. Niemals wird der Streit verstummen, ob die Abwanderung der Zuwanderung, oder diese jene veranlaßt habe; für die Würdigung ihrer Bedeutung ist er ganz müßig; beide steigern sich gegenseitig, weil sie, wie gesagt, Kampfmaßregeln in einem latenten Kampfe zwischen Besitz und Arbeit darstellen. Die Fortwanderung ist latenter Streik, die Poleneinfuhr das entsprechende Kampfmittel dagegen.

In diesem Kampf kommt nun endlich auch der Grundbesitzverteilung im Osten eine verhängnisvolle Rolle zu10. Von dem Arbeitermangel betroffen, werden naturgemäß diejenigen Besitzkategorien, welche fremde Arbeitskräfte gebrauchen, zum Teil schon die Großbauern, besonders aber, in mit der Größe sich steigerndem Maß, die Rittergüter. Der Bauer ist gar nicht in der Lage, einen Polenimport planmäßig ins Werk zu setzen. Das kann nur der Ritterhutsbesitzer. Er ist zur Zeit, wenn er intensiv wirtschaften will, geradezu darauf angewiesen. Schon den gewöhnlichen Bedarf an Erntearbeitskräften kann er heute nicht mehr aus der Nachbarschaft decken. Warum nicht? Weil ein großer Teil dieser Nachbarschaft ebenfalls aus Rittergütern besteht, die ebenfalls nicht »Produzenten«, sondern »Konsumenten« von Arbeitskräften sind; – mit anderen Worten: wegen Mangels an Dörfern. Die durchschnittliche Dichtigkeit der Bevölkerung der Gutsbezirke beträgt nur einen Bruchteil derjenigen der Landgemeinden: natürlich, denn erstere ernähren nicht in erster Linie die ansässige Bevölkerung an Ort und Stelle, sondern senden ihre Produkte auf den fremden Markt. Wo, wie in Mecklenburg auf den Domänen, durch einsichtige Kolonisation ein starker Bauernstand geschaffen ist, hat man wenig über Arbeitermangel zu klagen und ist die Abwanderung gering. In den Bezirken der Ritterschaft, welche die Bauern gelegt hat, rächt sich dieser Raub, – denn das ist er teils ökonomisch, teils auch formaljuristisch – durch Blutleere an Arbeitskräften. Es ist doch kein Zufall, daß gerade der Osten mit vorherrschendem[503] Großbesitz die höchsten Verschuldungsziffern und den stärksten Arbeitermangel aufweist. Die »Sünden der Väter« kommen über die heutigen Gutsbesitzer und bedrohen uns mit einer slavischen Ueberflutung, die einen Kulturrückschritt von mehreren Menschenaltern bedeuten würde. – Es zeigt sich aber dabei zugleich die Aussichtslosigkeit des Kampfes für beide Teile. Der Klassenkampf in der östlichen Landwirtschaft wäre ein Ringen auf einem versinkenden Kahne: Beide Teile würden zugrunde gehen. Dies um so sicherer, als der Kampf auf seiten der Arbeiter auch nach Aufhebung des Koalitionsverbots notgedrungen ein unorganisierter bleiben würde. Die Koalitionsfreiheit, welche den Landarbeitern zu gewähren lediglich ein Gebot der formalen Gerechtigkeit ist, wird ihnen als Kampfmittel, von lokalen Streitfällen abgesehen, nichts nutzen, weil die Art ihrer Dislokation deren zielbewußten Gebrauch dauernd hindert. Dies auch, nachdem die fortschreitende Proletarisierung sie einander unter sich gleichartiger gemacht haben wird, – zur Zeit kommt die Unmöglichkeit einer Vereinigung ihrer in ihren Interessen weit auseinanderstrebenden Gruppen dazu.

Mit dem Troste, daß auf dem Lande das Einkommen der Arbeiter vielfach, teilweise beträchtlich, gestiegen ist, werden gegenüber diesen ernsten Erscheinungen nur die landläufigen Wohlfahrtspolitiker oder Interessenvertreter der Unternehmer sich zufrieden geben. Tatsächlich wird die Lage auf dem Gebiete, auch was die Verschärfung der Klassengegensätze anlangt, auf die Dauer mindestens so ernst werden, wie auf diesem der Industrie, und die erwachsenden Probleme erschöpfen sich wahrlich nicht im »Arbeitermangel«. Es findet eine überaus tiefgreifende Umwandlung des Charakters der Bodenbesitzer sowohl, als ihrer Arbeiter statt, welche die Stellung des Staates zu beiden wesentlich verschieben, die ersteren ihrer Qualifikation zu politischen Vertrauenspersonen des Staates entkleiden muß. Und diese Umwandlung hat eine gewaltige Verschiebung der Bevölkerung, Kulturgefahren sowohl für die Produktion als für die Arbeiterschaft im Gefolge, welche auch rein politisch nicht gleichgültig sind. –

Die Feststellung dieser unerfreulichen Zustände hätte nun lediglich die Bedeutung einer der heute so in Mode befindlichen sozialpolitischen Jeremiaden, wenn die hier herausgehobene Entwicklungstendenz den Charakter eines allein herrschenden[504] Naturgesetzes trüge. Allein das ist nicht der Fall, sie kann vielmehr ihre Wirkung nur entfalten unter den eigenartigen Bedingungen, welche die Besitzverteilung auf dem Lande im Osten in Verbindung mit den Herrschaftsansprüchen einer sinkenden Klasse mit sich bringt. Andernfalls müßte sie auch im Westen unter gleichen Bodenverhältnissen in gleicher Stärke eintreten, und das ist nicht der Fall, – womit nicht gesagt sein soll, daß etwa der Westen und Süden auf dem gleichen Gebiete keine Probleme aufzuweisen hätten. Aber für die hier geschilderten wirtschaftlichen Umwälzungen ist es nicht ungefähr dasselbe, oder lediglich ein quantitativer Unterschied, ob der Großbesitz und -betrieb 20 oder ob er 50%, der Fläche okkupiert, sondern es ist das Gegenteil voneinander. Hunderttausend Bauern verhalten sich zum heimatlichen Boden auch in den Stunden der Not, wie sie die heutigen Konkurrenzverhältnisse über die Landwirtschaft bringen, anders als hunderttausend Landarbeiter.

Vorbedingung eines erfolgreichen Eingreifens des Staates in die große Kulturfrage, die sich hier erhebt – ich glaube die Bedeutung der Landarbeiterverhältnisse und ihrer Entwicklung durch diese Bezeichnung nicht zu überschätzen –, ist eben, daß man die jetzige Grundbesitzverteilung im Osten nicht als eine unantastbare Grundlage der bestehenden politischen und sozialen Organisation betrachtet, in welche ein radikaler Eingriff jedenfalls nicht geplant werden dürfe. Die Gefahren der intensiven Kultur sowohl, als der Weltmarktskonjunkturen überhaupt, auch soweit sie die intensive Kultur nicht begünstigen, bestehen für unsere Kultur im Osten in der Hauptsache im Zusammenhang mit der bestehenden Grundbesitzverteilung: vielleicht nicht der günstigste Boden (z.B. Reg.-Bez. Stralsund), oder andrerseits der allerschlechteste Boden, wohl aber der typische »mittlere Sandboden«, das charakteristische überwiegende Areal des Ostens, befindet sich zum Schaden der Bodenkultur und des Kulturniveaus der Landarbeiter in dieser Besitzverteilung festgelegt und durch die goldenen Klammern der Hypothekenverschuldung zusammengehalten.

Und auch die Arbeitsverfassung kann nicht ohne gleichzeitige Aenderung der Besitzverteilung umgeschaffen werden. Wir finden, wie Kaerger überzeugend nachgewiesen hat, die günstigsten Arbeiterverhältnisse zur Zeit einerseits bei den Heuerlingen[505] Westfalens, andererseits bei den Pachtarbeitern Ostholsteins. In beiden Fällen ist das Charakteristische der Verhältnisse eine Verbindung von Kleinpacht-mit Arbeitskontrakten. Die Arbeiter erhalten Land und Viehweide verpachtet und gegen berechnetes Entgelt vom Gut bestellt und leisten dem Gut Arbeit gegen Tagelohn, und Forderungen sowie Schulden beider Teile werden gegeneinander gerechnet. Es ist das Instverhältnis, aber unter Gewährung festen abgegrenzten Landes und unter Beseitigung des Moments von Unfreiheit, welches im Instverhältnis noch immer steckt, – freier Arbeitsvertrag und doch eigner Kleinbetrieb der Arbeiter. Allein: es mag lokal vorkommen, im ganzen aber ist es schlechterdings Illusion, zu glauben, daß bei der jetzigen Besitzverteilung im Osten die Arbeiter sich zur Uebernahme von Heuerlingsstellen entschließen werden. Mit Recht hob Knapp hervor, daß die Entwicklung im allgemeinen den umgekehrten Verlauf nimmt. Es ist das auch vom Standpunkt der Arbeiter selbstverständlich. Denn einen Erfolg hat die intensivere Kultur bei ihnen gehabt, und zwar einen Kulturerfolg, aber er liegt nicht auf materiellem Gebiet: sie lernten die Freiheit kennen und dem dumpfen Streben darnach sind sie, das zeigt sich, in steigendem Maße geneigt, anderes, selbst ihr materielles Wohlbefinden zu opfern. Es kann für sie bei der jetzigen Grundbesitzverteilung die Vorstellung – diese, nicht die objektive Möglichkeit ist entscheidend – eines Weges nach oben innerhalb der Heimat nicht erwachsen. Und unter diesen Umständen ziehen sie unbewußt, aber sicher, den zu treffenden Schluß: daß unter der vorwiegenden Herrschaft des Großbesitzes und Großbetriebes auf dem Lande Heimatlosigkeit und Freiheit ein und dasselbe ist.

Das wichtigste Problem bleibt deshalb die innere Kolonisation, auch unter dem Gesichtspunkte der ländlichen Arbeiterfrage.

Sie liegt heute in den Händen der Ansiedlungskommission einerseits und wird hier vom Staat durchgeführt, und der Generalkommissionen andererseits, welche auf Antrag privater Großgrundbesitzer die Abzweigung von Rittergütern vermitteln. Die Ansiedlungskommission hat bereits ca. 1500, die Generalkommission ca. 6000 Bauern eingesetzt. Die quantitative Ueberlegenheit der privaten Besiedlung hat aber zwei Schattenseiten: sie schafft 1. zu einem sehr großen Teil kleine Zwergbauern. Denn gerade diese können heute am ehesten den Preisdruck auf die[506] Produkte ertragen, da sie dieselben überwiegend selbst verzehren, und leiden nicht unter dem Arbeitermangel, weil sie keine Lohnarbeit verwenden. Es besteht aber eben deshalb die Gefahr, daß gerade diejenige Schicht der Bevölkerung auf diese Weise ansässig wird, welche mit den geringsten Kulturansprüchen sich begnügen kann, also ein Grundbesitzer-Proletariat – der schrecklichste der Schrecken – entsteht. Das um so mehr als 2. die Generalkommissionen es nicht in der Hand haben, für Ausstattung der neu entstehenden Gemeinden mit Allmenden genügend zu sorgen. Gerade für die kleinen Leute sind diese aber eine Lebensfrage.

Deshalb ist es unentbehrlich, daß eine groß angelegte staatliche, also eine Domänenkolonisation – in Anknüpfung an den bald wieder aufgegebenen Versuch in den 70er Jahren – daneben tritt.

Kein Verständiger kann andererseits wünschen, daß der Domänenbestand des Staates eine starke Verminderung erleide und der Staat einer seiner wichtigsten Regulatoren auf agrarischem Gebiet beraubt werde.

Nur die törichte Angst vor dem Gedanken einer »Expropriation« ist es, die weite Kreise verhindert zu sagen, was im Stillen doch jeder denkt: Ein großer Teil des Großbesitzes im Osten ist in privaten Händen nicht haltbar. Man möge, nicht überstürzt, aber systematisch und allmählich, aus dafür zu gewährenden Etatsmitteln diesen Teil aufkaufen und in Domänen verwandeln, welche an kapitalkräftige Domänenpächter unter Gewährung von staatlichen Meliorationsdarlehen verpachtet werden. So wird dem Domänenbestand auf der einen Seite hinzugefügt, was ihm auf der andern genommen wird, und auf die Dauer werden sich die finanziellen Interessen des Staats dabei günstig stehen. Es handelt sich dabei freilich um eine große Aufgabe, welche in dieser Form wohl noch nirgends gelöst ist. Nicht zu jeder Domänenverwaltung könnte man das Zutrauen haben, daß sie Derartiges zu bewältigen bereit und imstande sein würde. Ich glaube aber: man kommt nicht in den Verdacht der Schmeichelei, wenn man anerkannt, daß gerade die deutschen Domänenverwaltungen – nicht nur Preußens, sondern z.B. auch Mecklenburgs und Badens, sich bisher den Aufgaben gewachsen zeigten, welche im Lebensinteresse der Nation an sie gestellt wurden. Möge die Zukunft halten, was die Vergangenheit versprach.[507]


Fußnoten

1 1894 publiziert.


2 Ein erheblicher Teil der Fälle, in denen der Uebergang zur reinen oder fast reinen Viehzucht auf gutem Boden sich vollzogen hat, hat nicht in wirtschaftlichen Momenten, sondern in dem Mangel an Arbeitskräften seinen Grund, auch wo der Betrieb ein kapitalintensiver ist.


3 Selbst die scheinbar anachronistische Produktionsform der Hausspinnerei und -weberei besteht hier vor dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Die darauf verwendete Arbeitskraft übersteigt zwar die zur Produktion der erzeugten Bekleidungsgegenstände »gesellschaftlich notwendige« weit, sie muß aber andernfalls während der betreffenden Wintermonate völlig brach liegen.


4 Auch bei dieser darf man nicht an Fälle denken, wie die Zuwanderung aus halbbarbarischen Gegenden (Oberschlesien) nach Gegenden mit einem Maximum von Kultur (Sachsen). Bei den Wanderungen innerhalb des Ostens ist nach den Zeugnissen der Berichte die Nahrung der Wanderarbeiter ganz überwiegend – Ausnahmen kommen vor – die schlechteste von allen.


5

Beispiel: Nach einem sehr sorgfältigen, aus Angaben der Arbeiter und Wirtschaftsbüchern der Güter zusammengestellten Bericht auf die Enquête des ev.-soz. Kongr. aus dem Kreise Königsberg (Land) stellt sich innerhalb eines Bezirkes, der so eng ist, daß die Bodenverhältnisse schwerlich Einfluß haben, bei anscheinend auch etwa gleicher Intensität des Anbaues, und wenn man gleichmäßig dieselben Geldumrechnungsfaktoren anwendet, das Reineinkommen der Instfamilien, abzüglich Kosten für Scharwerke, auf mehreren benachbarten Gütern wie folgt:

  • 1. für 1 Instmann der auf je 35 ha Fläche kommt, auf 525,35 Mk.
  • 2. für 1 Instmann der auf je 40 ha Fläche kommt, auf 742,50 Mk.
  • 3. für 1 Instmann der auf je 43 ha Fläche kommt, auf 752,50 Mk.
  • 4. für 1 Instmann der auf je 53 ha Fläche kommt, auf 803,63 Mk.Also ein völliger Parallelismus. In einem fünften Fall stellt sich das Einkommen:
  • 5. für 1 Instmann der auf je 57 ha Fläche kommt, auf 645,00 Mk.

Hier wird teilweiser Dreschmaschinenbetrieb gemeldet. Der Abstand von Fall 1 zu Fall 2 ist auffallend groß, auch hier wird für Fall 1 teilweiser Dreschmaschinenbetrieb gemeldet. Fall 1 und 5 untereinander folgen wieder der Regel. Es zeigt sich, daß nur unter sich annähernd gleiche Betriebsformen vergleichbares Material ergeben. (In diesem Falle hängt übrigens die Verschiedenheit der Arbeitsintensität mit der Betriebsgröße nicht zusammen.)


6 Beispiele: Die Lohnverhältnisse Ostpreußens, wo eine hochintensive Feldbebauung (Rübenkultur usw.) im allgemeinen auch auf den besten Bodenklassen 1891 nicht in großem Umfange bestand, die verschiedene Intensität durchschnittlich vielmehr der verschiedenen Bodengüte etwa entsprechen dürfte. Nach den allerdings sehr rohen, hier aber doch vorläufig genügenden Zusammenstellungen in der Enquête zeigt sich folgender Parallelismus:


Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter

7 In den relativ intensiven Weidewirtschaften im Kreise Fischhausen, wo das Klima die intensive Viehzucht entschieden begünstigt, sind die Arbeiter nach den Berichten besser gestellt, als in den Körnerbau treibenden Wirtschaften; das Umgekehrte ist nach den Berichten aus dem Kreise Filehne daselbst der Fall, wo der klimatische Vorzug wegfällt.


8 Wo die Anteilsverhältnisse auch nur annähernd konstant geblieben sind, kommen in fruchtbaren Gegenden sehr hohe Dreschereinnahmen vor, im Kreise Königsberg Land bis zu 120 Neuscheffel Getreide verschiedener Art das Jahr durchschnittlich nach Angaben von Berichten der Enquête des ev.-soz. Kongresses.


9 In Ostpreußen ist noch jetzt vielfach der 10. bis 11. Scheffel üblich, weiter westlich war der 15. bis 18. lange Zeit typisch, auf besserem Boden und bei Dampfmaschinendrusch geht der Anteil, wo er bestehen bleibt, jetzt bis zum 33. Scheffel herab und hat dann nur noch den Charakter einer Tantième. Der Ernteanteil ist jetzt wohl überall beseitigt. Er betrug stellenweise die 5. (!) Mandel.


10 Das Vorherrschen des Großbesitzes an sich steigert nur die sozialen Klassenunterschiede. Die materielle Lage der Arbeiter kann dadurch, wenn und solange eine festgefügte typische Arbeitsverfassung besteht, durch den starken Arbeitsbedarf größerer Güter gehoben werden. So war es bisher in Neuvorpommern zufolge der hohen, aus der Vergangenheit übernommenen Lebenshaltung der Arbeiterschaft. Umgekehrt in Oberschlesien, wo der polnischen Arbeiterschaft übermächtige Magnaten gegenüberstehen.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988.
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