Psyche

Fig. 267: Psyche
Fig. 267: Psyche

[392] Psyche, (Gr. M), ein liebliches Mädchen, dessen Schönheit so bewundert wurde, dass man dasselbe die zweite Venus nannte, worüber erzürnt Venus beschloss, sie zu verderben, und ihrem Sohne Amor befahl, sie mit dem Pfeil der Schmerzen zu rühren, und in den verworfensten Menschen verliebt zu machen. Amor flog, der Mutter Wünsche zu vollziehen, zur Erde, sah aber kaum[392] das liebreizende Wesen, als er sich selbst in Psyche verliebte. Er entführte sie in einen Palast, umgeben von ewig blühenden Garten, wo sie an seiner Seite des höchsten Glückes genoss, doch den Geliebten selbst niemals sah, weil er sie nur in dunkler Nacht besuchte, und ihr untersagte, nach ihm zu forschen. Sie wünschte ihre Schwestern zu sehen, und diese, als Amor ihren Wunsch erfüllte, brachten Unheil über sie, denn voll Neid über das Glück der Schwester, beredeten sie dieselbe, dass ein Ungeheuer allnächtlich an ihrer Seite ruhe, und dass es ihre Pflicht sei, dasselbe zu ermorden. In Todesangst, eines Unthiers Beute zu sein, erhob sich in der folgenden Nacht P. vom Lager, nahm eine verborgen gehaltene Lampe und einen Dolch und wollte den Todesstreich führen; da sah sie den Götterjüngling, durch den Schlaf verschönt, auf dem Lager ruhen; sie konnte nicht müde werden, in diesem Betrachten zu schwelgen; plötzlich aber fiel ein Tropfen Oel auf seine entblösste Schulter; er erwachte, und zürnend, sein Gebot nicht befolgt zu sehen, entfloh er, P. in Verzweiflung zurücklassend. Die Unglückliche suchte den Geliebten nun überall, und kam zulezt selbst in den Palast der Venus, welche unedel genug war, die Arme als Dienerin auf das Härteste zu behandeln, und ihr Aufträge zu geben, welche offenbar auf ihren Untergang abzweckten. Sie vermochte Alles zu erfüllen, was Venus verlangte, doch nur, indem Amor, seine Liebe noch im Herzen tragend, ihr unsichtbar auf jede Weise beistand und sie aus jeder Gefahr rettete. Amor bat nun bei Jupiter um Erlösung der Geliebten, und so ward sie in den Olymp unter die Unsterblichen aufgenommen und mit Amor auf das Feierlichste und Glänzendste verbunden. Seit dieser Zeit soll sich der Gott der Liebe von der Erde zurückgezogen haben, und nur noch sein Bruder Pothos (das Verlangen) die Herrschaft über die Menschen führen. - Das Wort P. bedeutet im Griechischen Seele. Die Geschichte Amors und der P. ist daher nichts anderes, als eine Allegorie in neuplatonisch-orphischem Geschmacke: das Bild der menschlichen Seele, die durch Leiden geläutert, und so auf den Genuss reiner und ächter Freude vorbereitet und für denselben empfänglich gemacht wird. Uebrigens ist der Mythus von sehr später Entstehung und findet sich zuerst bei Apulejus, der 130 n. Chr. geboren war. - P. wird gewöhnlich mit Schmetterlingsflügeln dargestellt, auch hält sie häufig einen Schmetterling auf der offenen Hand. (Auch der Schmetterling heisst auf griechisch Psyche. Amor) - Unser Bild zeigt uns eine Statue der P. in schreckensvoller Haltung, wie sie den Schlagen der Venus auszuweichen sucht.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 392-393.
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