Zehntes Kapitel
Ein schrecklicher Lärm im Gefängnis.

[159] Indessen, welch eine große Vorstellung sich auch der Leser von diesem Lärm machen mag, so wird er ihn doch nicht zu groß für die Veranlassung finden, wenn wir ihm kund und zu wissen tun, daß unser Held (ich schäme mich fast, es zu sagen) seine Ehre in dem zartesten Punkt beleidigt fand. Mit einem Worte (denn wissen müßt ihr es, mag es auch übrigens noch so abscheulich dünken), er hatte Fireblood in den Armen der liebenswürdigen Lukrezia angetroffen.

Wie ein edler Stier, der sich lange unter einer ganzen Herde von Kühen herumgetrieben und daher die voreilige Meinung gefaßt hat, alle diese Kühe seien sein Eigentum, wenn er nun einen anderen Stier eine Kuh aus seinem Distrikt bespringen sieht, laut brüllt und mit seinen Hörnern schnelle, augenblickliche Rache droht, bis das ganze Kirchspiel auf sein Gebrüll zusammenläuft – ebenso schrecklich, ebenso geräuschvoll äußerte sich die Wut unseres Helden und setzte das ganze Gefängnis in Schrecken. Zuerst stieß er nur unartikulierte Töne aus, wie etwa an einem Kaffeetische fünfzehn, sechzehn oder mehr helle weibliche Orgelpfeifen zugleich, und zwar über verschiedene Gegenstände, ertönen, alles ist Schall und Harmonie, aber unser Ohr vermag auch nicht eine vollständige Idee zu fassen. Doch zuletzt, als die Vernunft über seine Leidenschaft siegte oder vielmehr als diese Leidenschaft sich aus Mangel an Atem ein wenig legen mußte, hüpften die folgenden Worte über den Zaun seiner Zähne oder vielmehr über den Graben seines Zahnfleisches, denn die Zaunpfähle waren ihm längst in einem Kampfe mit der Amazone von Drury ausgeschlagen worden:

»Ihr seid kein Mann von Ehre! Schickt sich das für einen Freund? Konnt ich so einen Streich erwarten von dir, den ich auf den Pfad des Ruhms geführt? Hättest du ein ander Mittel gewählt, mich aus der Täuschung zu reißen, ich würde dir vergeben haben. Aber du hast mich ins Herz meines Herzens verwundet, und nimmer heilt die Wunde, nichts macht dies Unrecht wieder gut. Ich klage nicht allein über den Verlust einer angenehmen Gefährtin, über den Verlust eines Weibes, die mir teurer war als meine Seele: nein – meine Ehre ist es, die ich beweine. Das Blut der Wilds, das mit einer ununterbrochenen, unbesudelten Reinheit durch so viele Generationen geflossen ist, dieses Blut hast du befleckt, darum fließen meine Tränen, daher mein Kummer. Diese Beleidigung ist[159] nicht wieder abzuwaschen, sie ist nimmer zu verzeihen.« – »Lirum, Larum«, antwortete Fireblood, »ist das nicht ein Lärm um Eure Ehre, um nichts und wieder nichts! Wenn Ihr bloß über eine Beleidigung schreit, die Euer Blut durch mich erlitten, so habt Ihr gar nicht Ursache, zu klagen; denn mein Blut ist so gut wie das eurige.«

Wild: Ihr habt keinen Begriff von der Zartheit der Ehre. Ihr wißt nicht, wie fein und delikat die Ehre beider Geschlechter ist, ein Hauch, ein Atem, der sie unsanft berührt, ist genug, sie zu zerstören.

Fireblood: Ich will Euch mit Euern eigenen Worten beweisen, daß ich Eure Ehre nicht beleidigt habe. Wie oft habt Ihr mir gesagt, die Ehre eines Mannes liege bloß darin, daß er von seinem eigenen Geschlecht keine Beleidigungen dulde; wie die Ehre eines Weibes darin bestehe, daß sie keine Gunstbezeugungen von dem unsrigen annehme. Habe ich Euch nun nicht beleidigt, wie könnt Ihr denn sagen, daß Eure Ehre durch mich gekränkt sei?

Wild: Aber ist das Weib nicht das Eigentum des Mannes, und leidet seine Ehre nicht, wenn die ihrige leidet? Wie grausam habt Ihr mich in diesem kitzlichen Punkte verwundet! Ich darf es nicht wiederholen, ganz Newgate weiß es, und auch die Welt soll es wissen. Ich werde ihr einen Prozeß an den Hals werfen, abschütteln will ich meine Schande, soviel ich nur kann, das heißt: ich will mich von ihr scheiden lassen. Und was dich betrifft, so sprechen wir uns in Westminster-Hall, da sollst du mir schon Red und Antwort geben.

Fireblood: Ich fürchte dich, hol mich der Teufel, nicht und glaube kein Wort von allem, was du sagst.

Wild: Auf persönliche Beleidigungen weiß ich dir schon zu antworten –

Und hiermit sprang er auf Fireblood zu und gab ihm eine Maulschelle, die ihm der junge Mann auch nicht schuldig blieb. Und nun ging es an ein Boxen zwischen unserm Helden und seinem Freunde. Freilich ward ihnen dies ein wenig sauer, denn die Ketten, welche sie an den Füßen trugen, inkommodierten sie ein wenig. Doch wurden von beiden Seiten einige Hiebe ausgeteilt, bevor die Umstehenden sie auseinander bringen konnten, und nun versicherten sich beide Teile, sie wollten sich einander Genugtuung geben, wenn sie die folgende Sitzung überlebten und dem Galgen glücklich entrönnen. Dann trennten sie sich, und die Ruhe ward bald wieder im Gefängnis hergestellt.

Auf Ansuchen des Richters und ihres Mannes fuhr Mistreß Hartfree in der Erzählung ihrer Abenteuer fort, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden.[160]

Quelle:
-, S. 159-161.
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