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[54] Es war eine sonderbare Liebesgeschichte, die zwischen dem Moschko Veilchenduft und der Schwester seines Mitlehrlings, Kasia Dumkowicz. Anscheinend handelte es sich in dieser Geschichte gar nicht um zwei Herzen, sondern um Prügel, eine Wurst, zwei hartgesottene Eier und einen Bottich voll Wasser. Schließlich aber wieder um Prügel.
Die Kasia war die leibliche Schwester des Hawrilo, aber sie war lange nicht im Hause der Mutter gewesen. Sie mußte dienen und kam dann mehrere Jahre nicht heim, denn sie war sehr weit weg, ganze fünf Meilen. Das ist bei diesen Leuten, welche so sehr an der Scholle haften, eine ganz respektable Entfernung. Eines Tages aber – sie war damals achtzehn Jahre alt und Moschko neunzehn – kam sie zurück nach Korowla, weil ihr die Mutter einen guten Dienst verschafft hatte bei dem reichen Jacek Hlina. Es hatte zwar dieser Dorfkönig einen berüchtigten Sohn, der auch Jacek hieß, und wegen dieses ebenso hübschen als liederlichen Erbsohnes ging kein anständiges Mädchen gern in dies Haus, aber Kasia fürchtete sich nicht. »Der Alte gibt guten Lohn«, erwiderte sie den Leuten auf ihre Warnungen, »und wenn der Junge mehr von mir verlangt, als ich ihm zu leisten schuldig bin, so habe ich gottlob meine beiden Arme und Hände, und diese Arme können abwehren, und diese Hände können ohrfeigen!« Sie sahen auch ganz darnach aus, diese Hände. Riesig waren sie und rot und derb und schwielig.
Am nächsten Morgen erzählte Hawrilo in der Schmiede seinem Kameraden die Neuigkeit, seine Schwester Katharina sei zurück, um Magd zu werden bei Jacek Hlina, und fürchte sich gar nicht vor dem jungen Jacek.
Moschko hatte sonst ein teilnehmendes Herz, aber diesmal interessierte ihn die Neuigkeit gar nicht. Denn seine Gedanken beschäftigte damals ausschließlich ein anderes Mädchen, seine eigene Braut, und er grübelte eben darüber, wie sie wohl aussehen möge. Denn verlobt war er wohl, aber seine Braut hatte er noch nie gesehen. Er kannte sie nur nach den Beschreibungen des Herrn Itzig Türkischgelb. Der allerdings sagte kurzweg: »Ein Diamant. Ein Brillant. Ein Engel. Schön wie die[54] Sonne. Und wenn sie nicht zwei Zentner wiegt, so darfst du mir den Kopf abbeißen.« Darauf kam es aber unserem Moschko nicht so sehr an. Im Gegenteil! Viel lieber hätte er seinem alten Freunde und Gönner den Kopf dafür abgebissen, weil er ihm eine solche Wagenladung von Liebreiz aufdisputieren wollte. Er wäre gern ledig geblieben, der arme Moschko. Nicht, weil er ein Weiberfeind war; auch der Marschallik erfuhr den wahren Grund nicht, als ihm der Geselle sagte: »Mein Bruder, der Goldene, kann leicht ein Weib haben – wegen seiner Frömmigkeit wird er samt Weib und Kind gefüttert. Aber ich bin ein Schmiedegesell, wer wird das für mich tun?« Der wahre Grund war, weil es ihm ungemein komisch vorkam, sich so früh zu beweiben. Kein Christ tat es, warum die Juden? Und was sollte ihm ein Weib, ihm, der auf die Wanderschaft gehen und die Welt sehen wollte, sofern er der Assentierung glücklich entginge! Denn Soldat werden wollte er nun nicht mehr; ihm schauderte vor dem Müßiggang.
Aber Itzig Türkischgelb hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, aus »Rosel Sprinzeles Krämers«, zu deutsch aus Fräulein Rosa Reinkopf, Tochter der Frau Sprinzele Reinkopf, welche einen kleinen Kramladen zu Chorostkow besaß, und dem Herrn Mosche Veilchenduft ein Paar zu machen. Nur im Interesse seines Schützlings wollte er dies. Besagte Rosel war nämlich eine der reichsten Erbinnen in Chorostkow, sie besaß außer den zwei Zentnern ihres Ich auch bare dreihundert Gulden und die Anwartschaft, nach dem Tode der Frau Sprinze den Laden zu erben. Daß sie ein wenig taub war, ließ sich freilich nicht leugnen, aber ihr Äußeres war gewinnend. Nur mußte, wer sie längere Zeit ansah, rasch ein Gläschen Likör trinken, weil sich sonst Sodbrennen bei ihm einstellte, eine Qual, welche ja regelmäßig dem Genusse allzu fetter Substanzen folgt.
Bei Mosche hatte sich diese Erscheinung noch nicht eingestellt. Er hatte, wie gesagt, Sprinzeles Rosel noch nie gesehen. Vergeblich suchte ihn Itzig Türkischgelb nach Chorostkow zu locken, er wußte es stets unter neuen Vorwänden auszuschlagen. Aber der Marschallik war nicht der Mann, ein Vorhaben, das ihn vernünftig dünkte, aufzugeben. Mit tausend Mitteln wirkte er auf ihn ein. Bald erschien das Ehepaar Veilchenduft vor[55] seinem Jüngsten und flehte ihn unter Tränen an, die Schande von der Familie zu nehmen und zu heiraten, die Leute wiesen ohnehin schon mit Fingern auf sie und ihn. Bald wieder mußte der alte Rabbi in Aktion treten und dem armen Burschen mit den kräftigsten Farben die Wahrheit des Spruches ausmalen: »Wer mit sechzehn Jahren nicht verheiratet ist, ist ein Narr, aber wer mit achtzehn Jahren ledig ist, ist ein Frevler und versündigt sich an Gott, der nicht will, daß sein Volk aussterbe!« Am nachdrücklichsten arbeitete aber Türkischgelb selbst, und zwar mit purer Vernünftigkeit. »Vielleicht«, wiederholte er oft, »hat der alte Rabbi recht, und du versündigst dich an Gott, Wenn du Sprinzeles Rosel nicht heiratest, gewiß aber ist, daß du dich an dir selbst versündigst. Ein so schönes, schweres Mädchen und dreihundert Gulden und dann ein Laden – du Narr, greif zu, das kommt nie wieder. Gerade wenn du Schmied bleiben willst, mußt du doch endlich einmal Meister werden wollen, und dazu braucht man Geld. Also entschließe dich. Taub ist sie ein wenig, das ist wahr; aber wenn man von dir spricht, so hört sie alles, so verliebt ist sie schon jetzt in dich – wie soll das erst werden, wenn sie dich kennt! Also – wann fahren wir nach Chorostkow auf Brautschau?«
Aber dazu war Mosche gar nicht zu bewegen. Und als es ihm endlich der Quälereien zuviel wurde, da rief er: »Meinetwegen! ich will heiraten, wenn es sein muß, aber ich will nichts dabei zu tun haben! Verlobt mich, wenn es Euch nun einmal so beliebt, aber ich bleibe in meiner Schmiede, bis ich unter die Chuppe (Trauhimmel) gehen muß.«
Eine Verlobung ohne persönliches Dabeisein des Bräutigams ist gerade keine Seltenheit in Halbasien, wo die Ehe ein Geschäft ist. Itzig Türkischgelb wäre übrigens der Mann gewesen, auch hier sogar Wunder wahr zu machen. So ward Mosche, ohne daß er seine Schmiede zu verlassen brauchte, glücklich ein Bräutigam.
Ein glücklicher Bräutigam freilich nicht. Was ihn quälte, war aber nicht etwa das Gefühl, daß eine unrechte Wahl für ihn getroffen worden, sondern überhaupt die Tatsache, verlobt zu sein. Wie die Braut aussah, war ihm übrigens auch nicht ganz gleichgültig. Er stand im allgemeinen im Banne der Schönheitsideale[56] jener Landschaften oder prosaischer ausgedrückt: auch ihm, wie jedem Halbasiaten, schien ein Mädchen um so schöner, je dicker es war. Eine Venus Kallipygos würde noch den relativ größten Anwert bei diesen Menschen finden, und käme eine »Riesendame« aus dem Wiener Wurstelprater nach Podolien, sie würde viele Herzen liebessiech machen. Was also diesen Punkt betrifft, so war Moschko durch die feierlichen Zusicherungen seines Gönners beruhigt. Aber im übrigen? Welcher Gemütsart war die Braut? Und hatten ihre Ohren wirklich die wundersame Eigenschaft, alles zu hören, sobald man von ihrem Bräutigam sprach?
Darüber also hatte Moschko nachgedacht, als ihm Hawrilo berichtete, die Kasia sei wieder daheim und freue sich des jungen Jacek Hlina wegen, daß sie Hände habe, die nötigenfalls einen Ochsen niederschlagen könnten. Er vernahm es gleichmütig; ob die Kasia dem Jacek Liebe spenden wollte oder Ohrfeigen, war ihm ganz egal. Aber das änderte sich, als er das Mädchen einige Tage später zum ersten Male sah.
Es war gegen Abend, der rote Sonnenglanz lag auf der Heide, da blickte die hübsche, rotbackige Dirne in die Schmiede hinein, in der nur Moschko arbeitete. Der Meister war im Städtchen, Hawrilo im Hofe. Die Dirne trat auf die Schwelle und blickte den Gesellen verächtlich an. Nicht weil er ein häßlicher Junge war, sondern weil er Wangenlöckchen trug und ein schwarzes Käppchen auf dem Haupte und Bindfäden an seiner Weste, die »Schaufäden« – kurzum, weil er ein Jude war. Darum bot sie ihm auch keinen Gruß, sondern fragte kurz: »Jüdchen, wo ist mein Bruder?«
Dem Moschko gefiel sie. Sie war so stattlich, daß sie ein gut Teil der mächtigen Tür einnahm. Sie gefiel ihm sehr. Und darum grüßte er freundlich: »Guten Abend, Mädchen. Du bist wohl die Kasia?«
»Die bin ich. Aber dich geht's nichts an!«
»Warum nicht?«
»Weil du ein verdammter Jude bist.«
Das war dem Burschen nicht neu. Er war den Schimpf so gewohnt wie seinen Namen. Aber diesmal kränkte es ihn; er hatte so freundlich gefragt! »Du grober Klotz!« sagte er, »packe dich sogleich hinaus!«[57]
»Du Hundsblut«, war die Antwort, »zu dir bin ich nicht gekommen!«
»Dann geh!« schrie er laut.
Hawrilo hörte es im Hofe und kam nachzusehen, wem der Gruß gelte. Als er seine Schwester so behandelt sah, stürzte er auf Moschko los. »Warum schreist du so? Soll ich dir zeigen, wie man mit meiner Schwester spricht?«
»Zeige ihr zuerst, wie man mit mir spricht. Übrigens dürftest du auch stiller reden, sonst prügle ich dich wieder einmal durch wie schon so oft.«
Niemand läßt sich gerne an empfangene Prügel erinnern. Im nächsten Augenblicke waren Moschko und Hawrilo ein Knäuel. Aber diesmal siegte das Christentum. Die Dirne half dem Bruder so kräftig, daß es dem Juden schwärzlich vor den Augen wurde und bläulich am Rücken. Er war in sehr bedenklicher Lage, als der Meister erschien und alle drei vor die Türe setzte.
Nach verschiedenen Richtungen zogen beide Parteien grollend vom Schlachtfeld ab. Grollend, aber mit einem gewissen Gefühl der Hochachtung voreinander. »Du«, sagte die Kasia ihrem Bruder, »es ist merkwürdig, dieser Jud wehrt sich und prügelt! Das hab ich noch nie gehört!« Und vollends Moschko! Immer wieder sagte er vor sich hin: »Diese Hände! Diese roten Backen! Und schlägt drein, wie ein Mann! Das ist ja eine wahre Freude!«
So kamen sie durch Prügel zu gegenseitiger Achtung, und eine Wurst sollte dies bestärken.
Jacek Hlina, der Dorfkönig von Korowla, hatte ein neues Haus erbaut, richtiger eine neue Hütte, denn Häuser gibt es nicht in den podolischen Dörfern. Aber eine stattliche Hütte war es, denn Fenster waren dran und in den Fenstern echte, wirklichwahrhaftige Glasscheiben. Und die Hüttentür und das Hoftor sollten Eisenbeschlag haben und Schlösser. Anderen Leuten genügt ein einfacher Querpflock aus Holz, und es ist bezeichnend für die Zustände dieser Landschaft, daß selbst diese bescheidene Vorrichtung selten genug benutzt wird. Tag und Nacht steht die ruthenische Bauernhütte offen oder wird höchstens nur so geschlossen, daß sie auch von außen geöffnet werden kann. Denn gerauft und totgeschlagen wird viel in Podolien,[58] aber feiger Diebstahl gehört hier zu den Seltenheiten. Anderwärts ist es gerade umgekehrt, was man auch Segnungen der Kultur zu nennen pflegt.
Unser Dorfkönig also wollte es anders haben. Und so kamen die beiden Gesellen des Schmieds von Barnow in das neue Gehöft, die Arbeit zu fertigen. Am frühen Morgen hatten sie begonnen, und darum waren sie gegen die zehnte Stunde recht hungrig und blickten sehnsüchtig nach dem Frühmahl aus. Aber als es endlich herangetrabt kam, da verging dem Moschko sein Appetit, oder er entwickelte sich vielmehr nach anderer Richtung. Denn der Korb kam auf den mächtigen Schultern seiner rotbackigen Feindin heran, der Kasia, der Magd des Jacek. Aber ihn würdigte sie keines Blickes, nur den Bruder lachte sie freundlich an. »Da bring ich etwas Gutes«, sagte sie, »rat einmal, was?«
»Fleisch!« rief Hawrilo schnuppernd. Und als er den Deckel vom Korbe gerissen, verzogen sich seine Züge zu seligem Lächeln. »Wurst«, flüsterte er gerührt. »Und Brot und Speck! Kasia, wie gut du bist ...« Das letztere klang schon undeutlich, er hatte eben den ersten ungeheueren Bissen in den Mund gesteckt.
»Will nicht der Jude mitessen?« fragte die Dirne und tat dabei sehr harmlos. Aber die braunen Augen blitzten schadenfroh. »Es ist ja genug für beide und auch für beide bestimmt.«
Grollend stand Moschko abseits, und seine Fäuste ballten sich unwillkürlich. In ihm wütete der Grimm, und dies um so gefährlicher, weil er hungrig war. Ein satter Mensch kann gar nicht so recht zornig werden. »Du bist ein schlechtes, boshaftes Ding«, sagte er und trat dicht an das Mädchen heran. »Ein ganz niederträchtiges Ding.«
»Hundsblut!« rief die Dirne gellend. »Hawrilo, kannst du ruhig anhören ...« Aber Hawrilo war viel zu sehr beschäftigt; von der Wurst war fast nichts mehr zu sehen.
»Ganz niederträchtig!« fuhr Moschko fort. »Du hast mir deshalb Wurst gebracht und Speck auf das Brot gelegt, damit ich nichts davon essen kann ...«
»An dich habe ich gar nicht gedacht!« rief das Mädchen. »An einen solchen Juden denke ich niemals. Und dann: hätten wir[59] vielleicht eigens eine jüdische Köchin für dich aufnehmen sollen?«
»Das habe ich nicht verlangt«, war die Antwort. »Ich habe deinen Herrn gestern gebeten, daß er mir zwei hartgesottene Eier schickt und ein großes Stück Brot. Du selbst bist dabeigestanden, wie ich ihn darum gebeten habe, und in meiner Gegenwart hat er es dir aufgetragen. Also, warum hast du es nicht getan?«
»Ach was!« sagte die Dirne schnippisch, aber rot war sie doch geworden, denn sie fühlte ihr Unrecht. »Wenn man sich merken sollte, was der Alte alles befiehlt ... Übrigens, es ist nun einmal geschehen, und wenn du nicht hungrig bleiben willst ...«
»Sie hat recht«, fiel Hawrilo ein. Und gutmütig fügte er hinzu: »Du begehst wirklich keine große Sünde. Die Wurst habe ich ganz gegessen und den Speck vom Brote. Und Brot ist auch nicht viel mehr da. Für diese paar Bissen wird dich dein Gott nicht strafen!«
»Das geht dich nichts an, du Fresser«, erwiderte Moschko grimmig. »Das habe ich mit meinem Gotte selbst auszumachen. Aber ich fordere, was mir gebührt. Du, Mädchen, wirst mir zwei hartgesottene Eier bringen und ein großes Stück Brot, sonst –«
Er ballte die Fäuste und trat an sie heran. Mancher Mann wäre da zurückgewichen, denn Moschko machte in solchen Augenblicken einen etwas unbehaglichen Eindruck. Aber die Kasia war eine mutige Dirne. Trotzig warf sie den Kopf zurück und streckte die Fäuste vor. »Wenn es eine andere tun will – meinetwegen. Aber ich koche dir nichts und bringe dir nichts, gar nichts!«
Noch einen Schritt trat Moschko vor, und seine Fäuste hoben sich. Aber dann ließ er sie wieder sinken. »Frauenzimmer«, murmelte er verächtlich und ging an die Arbeit.
Die Kasia blieb verdutzt stehen. Dann nahm sie rasch den Korb auf und ging dem Dorfe zu. Nach einigen Schritten blieb sie stehen und wandte den Kopf zurück, als wollte sie etwas sagen. Aber dann eilte sie rasch davon.
Als sie verschwunden war, machte sich bei Moschko eine andere Wirkung des Hungers bemerkbar, er wurde sentimental.[60] »So schön!« seufzte er, »so dick! und dabei so schlecht! Ich habe ja der Dirne nie etwas getan, und doch hat sie das Herz, mich fasten zu lassen! Höre, Hawrilo, deine Schwester verdient wirklich nicht, daß Gott sie so schön und schwer gemacht hat!«
Hawrilo hörte des Jünglings Klage nicht mehr. Er verschlief eben auf der halbgehobelten Diele sein Raststündchen. Seufzend zog Moschko seinen Ledergurt enger und streckte sich dann gleichfalls hin. Weil aber nicht bloß Grimm und Sentimentalität aus dem Magen kommen, sondern auch die Träume, so läßt sich denken, welche unbehaglichen Gesichte den armen Gesellen quälten.
Ein Traum war besonders lebhaft und fürchterlich. Da sah er sich im Wagen des munteren Simon Galgenstrick hilflos gegen Chorostkow geschleppt, über ihm der unerbittliche Türkischgelb, mit den Armen immer weitere Kreise in der Luft beschreibend, den Umfang der Braut anzudeuten, der er ihn zuführte. Aber da sie nun in Chorostkow waren, wehe! wie häßlich und mager war Rosele Sprinzeles! Eben wollte er sich entsetzt abwenden, als eine erfreuliche Veränderung an ihr sichtbar ward. Itzig Türkischgelb blies sie aus vollen Backen an, und immer dicker ward sie dabei und schöner. Darum auch immer ähnlicher der Kasia und – es war die Kasia selbst, aber als er sich ihr näherte, da schwang sie plötzlich einen Teller voll Wurst und Speck wie ein Wurfgeschoß gegen ihn, daß ihm die ganze Bescherung an den Schädel flog und da klirrend zerbrach.
Mit einem Angstruf fuhr Moschko empor – das Klirren hatte er so deutlich gehört! Das war kein Traum gewesen! Aber als nun der Bursche sah, woher es rührte, da dünkte es ihm erst recht ein lieblicher Traum. Nichts auf der weiten Welt hätte ihn so sehr erfreuen können, als was vor ihm stand.
Und was war's? Ein Korb. Und in dem Korbe auf funkelnagelneuen Holzschüsselchen vier Eier, ferner ein Salztönnchen und ein Laib Brot, beide ungebrochen. Ganz wie er sich's gestern erbeten. Nur daß hier vier Eier lagen anstatt der zwei, die ihm von Rechts wegen zukamen.
Das übersah Moschko mit einem Blick und sprang dann jählings auf, um noch den Spender zu erspähen oder, wie er hoffte, die Spenderin. Aber weit und breit war niemand zu[61] sehen. Nur fern, durch die Äcker hin, sah er den kleinen, braunen Lysko traben, den Hirten des Hlina. Hatte die Magd den Knaben zum Boten erwählt?
Er setzte sich hin und aß behaglich. Was ihn da freute, war freilich zunächst das Essen selbst. Aber daneben sättigte es ihn auch, daran zu denken, daß die hübsche Dirne ihr Unrecht eingesehen und es sogar durch die doppelte Anzahl Eier gesühnt.
Das lockte ihn noch in ganz andere Gedanken hinein. Und als er längst wieder neben Hawrilo bei der Arbeit stand und mit ihm die schmalen Eisenbänder in plumpen Mustern auf das Tor nagelte, dachte er noch immer an die Kasia. Es müssen eigentümliche Gedanken gewesen sein. Denn plötzlich ließ er den Hammer sinken und fragte heftig: »Wie kannst du deine Schwester in einem solchen Hause lassen?«
Hawrilo blickte erstaunt auf. »Wa-as?«
»In einem Hause, wo der Erbsohn bisher jede Magd zugrunde gerichtet hat!«
»Meine Schwester richtet er nicht zugrunde, so schön und schlau er auch ist. Von der kriegt er Prügel, aber keine Liebe. Übrigens, was geht es dich an?«
Auf diese begreifliche Frage gab Moschko keine Antwort, weil er selbst keine wußte. Rot wurde er dabei auch, zu seinem eigenen Erstaunen. Endlich meinte er zögernd: »Nun – weil ich dein Kamerad bin. Natürlich – warum sonst?«
Als er in der Dämmerung gegen Barnow heimging, dachte er wieder einmal darüber nach. Trotzig ist sie, aber nicht schlecht, sonst hätte sie mir nicht vier Eier geschickt. Es wäre wirklich schade, wenn dieser Jacek –
Er schüttelte den Kopf. Nein, der tut ihr nichts! Aber einen Geliebten wird sie wahrscheinlich haben, wie jede Christendirne. Es ist doch komisch bei den Christen – diese Liebe zum Beispiel! Sehr komisch! Bei uns kommt es nicht vor. Warum? In der Bibel freilich steht es, da ist ja die Geschichte von Jakob und Rachel. Aber heute sind wir Juden anders – nun, wahrscheinlich will es Gott so! Das war eine Erklärung, aber sie genügte ihm nur für fünf Schritte. Dann blieb er stehen und starrte vor sich hin. Es ist doch sehr merkwürdig! Also der Hawrilo und ich! Zwei Menschen, zwei Kameraden! Und doch[62] ein Unterschied wie Tag und Nacht! Hm! hm! wer hat es besser? Er hat eine Liebschaft mit der schwarzen Magdusia, die beim Pfaffen dient, allnächtlich ist er bei ihr, der Schlingel; wird er sie heiraten? Nein! Und sie ist nicht seine erste und nicht seine letzte Liebschaft. Also nur dann, wenn ihm eine besonders gefällt, heiratet er sie; ich aber, der ich auch ein Mensch bin, ich habe eine Braut und kenne sie nicht! Ich bin ein Narr gewesen, ein großer Narr! Und ich will meinem Reb Itzig sagen ...
Von ferne kam ein seltsames Klingen, urplötzlich, jäh; Moschko verstummte und horchte. Schrill schnitt es anfangs durch die laue Luft, dann ward der Ton immer weicher, zitternder, leiser. Endlich war's nur noch ein süßer, melodischer Seufzer, der langgedehnt dahinschwamm und endlich ertrank und starb in der Stille des Sommerabends.
Moschko wußte nicht, woher das Tönen rührte, aber er grübelte auch nicht lange darüber. »Ja!« fuhr er heftig fort, »mit dem Marschallik will ich reden. Gefällt ihm die Rosel so gut, so soll er sie selber heiraten. Ich nehme nur eine solche, die mir gefällt! Und wenn er mir sagt: So schau sie dir doch erst an!, so erwidere ich: Mir gefällt überhaupt keine, mit der ich ohnehin schon verlobt bin! – Ja! selbst will ich suchen! War ich der erste Jude, der Schmied geworden ist, so kann ich auch der erste sein, der sich seine Braut selbst wählt! Gleich morgen will ich mit Reb Itzig reden, morgen früh und ...«
Wieder war das seltsame Klingen in den Lüften, aber nicht dies schnitt ihm das Wort entzwei, sondern ein Gedanke, der ihn jählings übermannte. Wie komme ich darauf? Und wenn mir der Marschallik sagt: Gestern hast du mir noch gesagt: Tut, was Euch recht scheint, und heute willst du nichts mehr davon wissen, wie heißt? – was werd ich ihm sagen? Nun, für ihn werde ich schon eine Antwort haben, meinetwegen sag ich ihm: Weil ich heute mehr Verstand habe als gestern und weniger als morgen! – Aber was sag ich mir selbst? Wenn es mir gestern recht war, warum heute nicht?
Ein Name klang in ihm auf, eine Gestalt tauchte vor ihm empor, aber heftig schüttelte er den Kopf und murmelte zornig: »Nein, es ist nicht wegen der dummen Christendirne! Nichts geht sie mich an, gar nichts! Und warum soll ich nicht das Mädel[63] von Chorostkow heiraten? Ich tu's – nein! ich tu's doch nicht ... Ach!« seufzte er plötzlich auf, so recht aus tiefstem Herzen, »was ist mit mir geschehen, daß ich selbst nicht weiß, was ich will!«
Die Klänge waren immer deutlicher geworden, aber auch immer schriller durchtönten sie die Mondnacht. Es war, als strahle sie ein kleines Goldklümpchen aus, welches fern, fern mitten in der silberbeglänzten Heide sich hob. So war es auch. Jenes Goldklümpchen war ein Hirtenfeuer; da lagen die jungen Bursche im Kreise und bliesen auf der Tritschka, der kurzstieligen, helltönenden, ukrainischen Hirtenpfeife. Der Weg des Gesellen führte dicht vorbei. Aber schon von ferne konnte sein scharfes Auge die einzelnen Gestalten unterscheiden. Da saß auch sein Retter aus der Not des Hungers und banger, wursterfüllter Träume, der braune Lysko. Kaum fünfzehnjährig konnte das Bürschlein sein, aber die Einsamkeit reift den Menschen; dieser Hirtenknabe war verwegen und schlau wie ein Mann. Auch in anderer Richtung mochte sein Wissen über die Jahre gehen, denn sehr hell und mit bedeutendem Verständnis begann er plötzlich das Schelmenlied zu singen:
»Braun wie die Haselnuß
Ist meine Dirn,
Und ihre Tugend ist
Dünner als Zwirn.
Daß ein dünn Fädchen reißt,
Das ist ja Brauch,
Doch wären's Ketten, ich
Bräche sie auch!«
Aber der Bursche neben ihm, der blonde Hritzko, der es trotz seiner Jugend bereits zu der Würde eines Stadtgemeinde-Hirtengehilfen von Barnow gebracht, war weit sentimentaler aufgelegt. In langgezogenen Tönen sang er, daß jedes Wort dem Nahenden entgegenschlug:
»Meine Liebste hab ich lieb,
Und sie ist mir teuer,[64]
Wie am staubig-heißen Weg
Ein tiefblauer Weiher.
Wie das erste, süße Kind
Einer Kinderlosen;
Wie dem lang Gefangenen
Duft der roten Rosen!«
Vielleicht war der blonde Hritzko verliebt; blond genug war er dazu. Vielleicht war er verliebt, denn er sang das schöne, zarte Volkslied wirklich so, daß es fast zauberhaft über die mondhelle Heide klang.
Auch auf Moschko übte es seine Wirkung. Er blieb stehen und lauschte. »Dummes Zeug!« brummte er dann grimmig. »Schon wieder etwas von dieser Liebe! Wenn ich nur erfahren könnte, was das eigentlich ist!« Vielleicht war er gar nicht so weit mehr von dieser Erkenntnis. Denn es war eine pure List von ihm, eine List gegen sich selbst, wenn er nun vor sich hin murmelte: »Ich will mich ein wenig zu den Burschen setzen, weil die Nacht so schön ist.« In Wahrheit zog's ihn nur zu dem braunen Lysko, weil er mit dem über ein gewisses rotbackiges, boshaftes und doch gar nicht übles Ding sprechen konnte. »Guten Abend, Bursche«, sprach er und trat in den Kreis.
»Hoi! der Jud, der Schmied!« riefen die Hirten und begannen dann wie aus einem Munde zu singen:
»Schweinefleisch, willst Schweinefleisch?
Jud! Jud!
Handelst dem Teufel die Seelen ab?
Jud! Jud!«
Das ist das allgemein gebräuchliche Spottlied, mit welchem die Ruthenen ihre kaftanbekleideten Mitbürger begrüßen. Es ist nicht allzuviel Bosheit darin, noch auch, wie man sieht, allzuviel Geist.
Moschko ließ sie ruhig zu Ende singen, was einige Zeit währte, obwohl das Lied nur eben diese zwei schönen Verse hat; aber sie können nach Belieben wiederholt werden. Als die Jungen sich satt gesungen, sagte er ruhig: »Schweinefleisch habt ihr selber nicht, ihr verhungerten Lumpenkerle, und was eure Seelen[65] betrifft, so handle ich sie dem Teufel nicht ab, weil sie keinen Knopf wert sind! Jetzt aber rückt zusammen!«
Das taten sie, und nachdem sich Moschko neben den Hirten des Jacek gesetzt, begann er, indes die anderen weiter johlten und pfiffen, seine diplomatischen Fragen. Aber der schlaue Lysko sagte nichts oder gab verdrehte Antworten.
»Warum bist du mit dem Korbe hinausgekommen?«
»Weil der Korb nicht selber gehen kann!«
»Und wie kamen vier Eier in den Korb?«
»Weil man so viele hineingelegt hat!«
Erst als ihm Moschko als Preis für einen wahrheitsgetreuen Bericht ein Hufeisen versprochen hatte, erzählte der Knabe: »Also, wie ich heimkomme, den kranken Ochsen zu pflegen, da sagt mir die Kasia, die just atemlos gelaufen kommt: ›Du mußt einen Gang für mich tun.‹ – ›Gut‹, sag ich, ›für dich tu ich alles.‹ Und da seh ich, wie sie zwei Eier aus einem großen Korbe nimmt und zwei aus einem Körbchen und sie dann siedet. Da frag ich: ›Warum nimmst du nicht alle aus dem großen Korbe?‹ Und darauf sie: ›Weil die im Korbe dem Bauer gehören, und er hat nur zwei Eier zu geben. Im Körbchen liegen jene, welche mir meine eigene Henne gelegt hat. Und ich gebe zwei Stück von den meinigen; ich tu es nicht gern, und ich tu es doch gern.‹ – ›Das versteh ich nicht!‹ sag ich. – ›Das ist auch nicht nötig‹, sagt sie und tut die Eier und Brot und Salz in ein Körbchen und schickt mich zu dir. ›Und wenn er dich fragt, wer dich geschickt hat, so mußt du sagen: Die alte Magd!‹ Aber du hast geschnarcht, und so hab ich nicht zu lügen gebraucht. Das ist alles. Und wann kann ich mir das Hufeisen abholen?«
»Morgen«, sagte Moschko. »Und, hm! was hat sie für eine Miene dabei gemacht, wie sie dich fortgeschickt hat?«
»Höre, Jud«, sagte der Knabe, »du fragst komisch. Du und die Kasia – ha, ha! Mir scheint, ha, ha! O du Halunke!«
Moschko war feuerrot geworden, aber er wußte sich zu helfen. »Du Galgenstrick«, rief er, »du Lump, was willst du da ehrlichen Leuten nachsagen? Nicht soviel geht mich die Kasia an, nicht soviel wie der Schnee vor zwanzig Jahren!«
»Mich geht sie mehr an«, sagte der blonde Hritzko Stefiuk seufzend.[66]
»Nämlich, weil sie nichts von ihm wissen will!« flüsterte Lysko seinem Nachbar zu, »obwohl er fortwährend hinter ihr her ist, wie der Mönch hinter der Nonne ...«
»Sie hat wohl einen anderen Geliebten?« fragte Moschko.
»Wahrscheinlich! Aber bestimmt weiß es niemand. Sie ist ein braves Ding, das muß man ihr lassen.«
»Schlecht ist sie«, sagte Moschko, »ganz schlecht, ich weiß es. Obwohl sie gewiß nicht liederlich ist«, setzte er hinzu. »Gute Nacht, ihr Bursche!«
»Gute Nacht!« erwiderten sie freundlich, begannen aber doch wieder, nicht aus Bosheit, sondern nur aus purer Gewohnheit:
»Schweinefleisch, willst Schweinefleisch?
Jud! Jud!«
Lange hallte es ihm noch nach. Aber Moschko achtete nicht darauf. In tiefen Gedanken ging er dahin oder blieb stehen und hielt sonderbare Monologe, in welchen er sich selbst mit den ausgewähltesten Schimpfwörtern regalierte. Du Narr, du Hund, was geht dich die Christin an? Aber die beiden Eier gingen ihm doch nicht aus dem Kopfe. Von ihrem bißchen Armut hat sie mich beschenkt. Und keinen Geliebten hat sie! Morgen muß ich mit dem Marschallik reden. Natürlich nicht wegen der Christin – was geht mich die Christin an?
Voll wirrer, streitender Gedanken kam er heim und konnte lange keine Ruhe finden.
Ausgewählte Ausgaben von
Moschko von Parma
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