Am schönen blauen See

[141] Kasperle schlief sehr lange. So sah es nichts von der schönen Welt, hörte nicht Florizel singen und Mister Stopps schnarchen. Es schlief und schlief, und als Kasperle aufwachte, war draußen heller, lichter Morgen, und es lag in einem großen weichen Bett. Neben ihm saß Florizel, und Bob packte einen Koffer. Kasperle fragte sogleich: »Sind wir in Lugano?«

»Noch nicht. Wir sind in Amsteg und fahren jetzt auf die Gotthardstraße.«

»Und dann?«

»Weiter über den Sankt-Gotthard-Paß.«

»Und dann?«

»Ins Tessin hinab.«

»Und dann?«

»Nach Lugano.«

»Und dann?«

»Dann fällst du in den See, du Dummerle. Und nun steh auf, wir fahren gleich weiter.«

Doch Kasperle stand nicht auf, sondern schrie: »Frühstück!« Und als es gefrühstückt hatte, rief es: »Nun wünsch ich mir was!«

»Noch nicht, noch nicht«, mahnte Bob.

Da trat Mister Stopps in das Zimmer. Er war sehr guter Laune und fragte das Kasperle: »Uünscht du dir nun uas?«

»Nä«, sagte Kasperle, »'ne Zuckertüte möcht ich, aber das ist kein richtiger Wunsch. Gelt, Mister Stopps, den Wunsch hab ich dann noch frei?« Da sagte Mister Stopps ja,[141] den hätte es noch frei, und eine Zuckertüte wäre auch wirklich kein richtiger Wunsch. Aber bekommen sollte Kasperle trotzdem eine.

Oh, Mister Stopps, das war nicht klug!

Kasperle erklärte nämlich an diesem Tag noch oft, es habe immer noch keinen Wunsch, nur was zu schlecken möchte es, so daß Mister Stopps zuletzt erklärte: »Dir uird es noch schlecht werden, und uenn du das noch einmal sagst, dann gilt es als Uunsch.«

Kasperle, der Schelm, seufzte daraufhin ein paarmal und klagte: »Mir wird schlecht!«

Sogleich schlug Mister Stopps allerlei Mittel gegen Bauchweh vor, doch klagte Kasperle immer: »Davon wird mir's noch schlechter!« Bis Mister Stopps Schokolade brachte, und davon wurde das kleine Schleckermaul merkwürdig schnell gesund.

Sonst ging die Reise ohne Unfall weiter. Einmal warf Kasperle die Kaffeekanne um, gerade Mister Stopps ins Bett, einmal setzte es sich in den Pudding, einmal fiel es aus dem Fenster und genau einer Geiß auf den Rücken, aber das waren eben alles nur richtige Kasperle-Stücke, und außer Mister Stopps, der Wirtin und der armen Geiß regte sich niemand darüber auf.

Die Fahrt ging jetzt über den St.-Gotthardt-Paß. Immer höher und höher wuchsen die Berge empor, immer kälter wurde es. Kasperle wagte kaum noch seine Nase hinauszustrecken, so sehr fror es ihn. Doch dann senkte sich die Straße wieder, blauer wurde der Himmel, wärmer schien die Sonne Frühlingsblumen blühten, dann Sommerblumen, und an einem Nachmittag fuhren die Reisenden in ein Städtchen hinein, in dem alle Gäßlein bergauf und bergab liefen.

Rumpelpumpel ging es eine holprige Straße entlang, und[142] Kasperle schrie auf einmal: »Da liegt Seide, nein, da ist der Himmel herabgefallen.« Es war aber weder himmelblaue Seide, noch der Himmel selbst, den Kasperle sah, es war der schöne blaue See von Lugano. Der Wagen rollte an ihm entlang, und Kasperle beugte sich weit, weit hinaus.

»Dummerle, fall nicht«, mahnte Florizel, der oben auf dem Wagen saß, doch platsch, da lag Kasperle schon im Wasser. Der See war aber nicht so wild wie der Wasserfall, seine Wellen plätscherten leise an das Ufer. Im sonnenwarmen Wasser lag das Kasperle, und als Mister Stopps angstvoll rief: »Es wird ertrinken!«, da steckte Kasperle nur seine Nase weit aus dem Wasser heraus und rief vergnügt: »Nä, hier ist's fein, hier bleib ich.«

Doch eins, zwei, drei kam Bob herbei, und schon saß Kasperle naß wie ein Fröschlein wieder im Wagen. Der bog in eine Seitenstraße ein, und oben auf einer Anhöhe sah man[143] ein schönes weißes Säulenhaus, ganz von Rosen umrankt waren die Säulen.

»Fein!« rief Kasperle. »Da werden wir wohnen?« Mister Stopps nickte. »Das sein mein Haus, und da steht Angela!«

»Angela sitzt auf dem Wagen«, schrie Kasperle.

»O nein, sie stehen da.«

»Wo?«

»Da!«

»Himmel, die häßliche Frau soll Angela sein? Die ist es nicht!« schrie Kasperle, »ich seh sie doch sitzen!«

»Aber Kasperle, Dummkopf«, rief Florizel, »es gibt eben zwei Angelas.«

»Kann's auch zwei Marlenchen geben?« fragte Kasperle etwas verlegen.

»Freilich!«

»Nä, Marlenchen gibt's nur eines.« Kasperle wurde ganz zornig und ging mit einem so bösen Gesicht in das Haus hinein, daß die alte Angela vor Entsetzen davonlief. »So einen Diavolo hat der Herr mitgebracht?« rief sie klagend.

Da blickte Kasperle sie an und sah, wie gut und freundlich die alte Angela aussah, wenn sie auch häßlich war. So lieb wie Frau Annettchen oder die alte Apfelfrau.

»Heißt du wirklich Angela?«

»Schon, schon«, antwortete die Alte, der das Kasperle auch gefiel, und die sich gar nicht mehr ängstigte. »Du kannst aber auch Nonna sagen.«

»Was heißt das?«

»Großmutter!«

»Dann«, rief Kasperle, »dann sag ich Großmutter!« und von dem Augenblick an war zwischen ihm und Angela die Freundschaft geschlossen.

Es war schön in Mister Stopps' Haus, so schön, daß Kasperle[144] gleich am ersten Tage sagte: »Hier will ich bleiben.«

»Ist das dein Uunsch?«

»Nä, das möchte ich nur. Morgen wünsch ich mir aber etwas, Mister Stopps, das mußt du mir geben.«

»Ja«, versprach Mister Stopps. »Bin neugierig, was es ist.«

Sie schliefen alle gut in dem schönen Hause. Florizel sang schon in der Morgenfrühe von dem Land Italia, dem sie so nahe waren. Bob aber ging mit Kasperle in den Garten und erzählte ihm etwas. Er fragte zehnmal: »Hast du es auch verstanden, Kasperle?«

»Nä«, rief Kasperle, »du mußt's noch mal sagen.« Und Bob erklärte Kasperle noch dreimal den Wunsch, den es Mister Stopps vortragen sollte. Und dann rannte Kasperle in das Haus zurück und schrie: »Ich sag's jetzt gleich!«

Ist auch besser, dachte Bob, es bringt sonst noch alles durcheinander. Kasperle lief im Haus herum, Mister Stopps war aber nicht da. Die alte und die junge Angela standen in der Küche und sagten, Mister Stopps säße am See. Da rannte Kasperle an den See und fand Mister Stopps, der ernst und feierlich dasaß und angelte. Uas uillst du, Kahs–pärle?« fragte er.

»Ich wünsche mir was, Mister Stopps.«

»Uas denn?«

»Geld!«

»Geld?« rief Mister Stopps erstaunt. Da aber sein Geldbeutel neben ihm lag, und er dachte, das naschlustige Kasperle wolle sich etwas zu naschen kaufen, sagte er: »Da, nimm dir heraus, ueil ich es einmal versprochen habe.« Und Kasperle nahm ein kleines Geldstück und rannte damit zu Bob. »Da«, rief es, »nun habe ich gewünscht, und nun können Florizel und Angela nach Rom zu ihrer Großmutter fahren.«[145]

»Aber Kasperle, du Schafskopf«, rief Bob enttäuscht, »das ist viel, viel zu wenig. Dazu braucht man viel mehr Geld.«

Sofort rannte Kasperle zurück und rief: »Mister Stopps, ich habe mir doch Geld gewünscht, nun langt es nicht.«

Mister Stopps, der gerade auf einen großen Fisch aufpaßte, brummelte etwas unwirsch: »Nimm dir nur mehr, ich hab jetzt keine Zeit!«

Da füllte Kasperle den ganzen Beutel in sein Hosensäcklein um und lief wieder zu Bob. »Da«, rief es, und schüttete das Geld in die Stube.

Es ist so schwer, es jemand recht zu machen. Bob rief nämlich erschrocken: »Aber Kasperle, das ist doch viel zu viel.« Dann zählte er eine Summe ab und gebot Kasperle: »Das andere bringst du Mister Stopps zurück und sagst ihm schönen Dank.«

Kasperle rannte wie besessen den Weg zurück und wollte Mister Stopps das Geld zurückbringen; da stolperte das Kasperle aber, und das Geld kollerte ins Wasser. Der Fisch, der gerade anbeißen wollte, schwamm fort, die Angelschnur zerriß, und Mister Stopps rief vorwurfsvoll: »O Kahs–pärle, du sein böse!«

»Nä, ich bin dir nicht böse, Mister Stopps!« Kasperle fiel Mister Stopps so heftig um den Hals, daß der umfiel, und es dauerte eine ganze Weile, ehe Kasperle erzählen konnte, warum es sich Geld gewünscht hatte. Florizel hätte keines, Angela hätte keines, und doch wollten die beiden zu Angelas Großmutter nach Rom. »Florizel will die dann heiraten!«

»Uen – die Großmutter?«

»Hach nä, Angela!« Kasperle lag auf seinem Bäuchlein vor Lachen und schnaufte und quiekte, so komisch kam ihm[146] Mister Stopps' Frage vor. Und schließlich mußte der ernsthafte Herr herzlich mitlachen. Er hatte auch nichts gegen die Reise der beiden einzuwenden, zumal Florizel wiederkommen wollte.

Wenn Florizel aber mit Angela verheiratet war, dann brauchte Angela nicht mehr zu dem bösen Oheim zurückgehen, und Herr von Löwenzahn konnte zusehen, wen er heiratete. Schon am nächsten Morgen reisten die beiden ab, und Florizel sang beim Abschied sein Lied vom Scheiden und vom Wiedersehen. Kasperle hätte sonst vielleicht geweint, wenn das Wiedersehen nicht dabei mitgeklungen hätte. So lief es vergnügt der Kutsche nach, purzelte lustig[147] in das Haus zurück und brachte dort die alte Angela so zum Lachen, daß diese meinte, in ihrem ganzen Leben hätte sie noch nie einen solchen Kauz wie das Kasperle erblickt. Und danach legte sich Kasperle in den Garten, ließ sich die Sonne auf die Nase scheinen und fand die Welt wunderschön.

Zwei Tage vergingen so in schönstem Frieden und in Heiterkeit, am dritten aber rasselte ein Reisewagen vor das Haus, gerade als Kasperle von all dem Sonnenglanz ein wenig dösig vor dem Hause saß.

»Hallo, da sitzt ja Kasperle!« Herr von Löwenzahn lief auf Kasperle zu und schrie es an: »Ist Angela im Haus?«

»Nä, im Garten.« Kasperle gähnte und sah Herrn von Löwenzahn erstaunt an. War der etwa vom Himmel gefallen?

»Ruf sie!« gebot der.

»Was willste denn von ihr?«

»Man nennt mich gnädiger Herr.«

»Meinetwegen«, brummelte Kasperle schläfrig.

»Heiraten will ich sie«, rief der kleine, dicke Herr und stampfte mit dem Stock auf, »gleich heiraten. Geh flink, hole sie!«

Da rannte Kasperle davon, und drei Minuten später kam es mit der alten Angela an. Die hielt sich die Schürze vor das Gesicht. Es kam ihr doch sonderbar vor, daß der adelige Herr sie so auf der Stelle heiraten wollte.

»Sie will dich aber nicht!« rief Kasperle.

»Wenn's aber durchaus sein muß –«, Angela nahm die Schürze vom Gesicht, und Herr von Löwenzahn schrie laut: »Das ist nicht Angela.«

»Doch, ich bin's.«

»Das ist eine Lüge.«

Patsch schlug ihm Angela, die eine handfeste Person war,[148] den Hut vom Kopf. »Ich lüge nie, und was wollen Sie eigentlich von mir?«

»Heiraten will er dich«, krähte Kasperle, »heiraten, heiraten.«

»Die doch nicht, die andere, die junge Angela will ich.«

»Ach«, sagte Bob, der dazugekommen war, gelassen, »die ist bei ihrer Großmutter und heiratet den Sänger Florizel. Wenn Sie sich recht, recht beeilen, kommen Sie vielleicht gerade noch recht zur Hochzeit.«

Und so war es auch. Die schöne Angela heiratete in Rom den Spielmann Florizel, und Herr von Löwenzahn, die Tante und der griesgrämige Oheim konnten noch so viel schelten, weinen und brummen, den Kutscher noch so sehr zur Eile antreiben, sie kamen zu spät.

Kasperle freute sich, und Kasperle war traurig, denn es dachte, Florizel würde nun nie wiederkommen. Aber Bob tröstete es. Florizel und Angela dürften, sooft sie wollten, in Mister Stopps' schönem Hause wohnen und sie würden bestimmt bald wiederkommen.

»Mister Stopps ist doch gut«, meinte Kasperle nachdenklich.

»Ja, das ist er.« Bob dachte freilich, etwas sonderbar wäre zwar sein Herr, aber das sagte er nicht.

Da rannte Kasperle davon und suchte Mister Stopps und fand ihn in seinem Schlafzimmer. »Oh, Mister Stopps, du bist gut!«

Wenn Kasperle jemand so anrannte, dann mußte der schon fest stehen. Mister Stopps stand aber gerade nicht fest, er wankte und setzte sich in eine große Badewanne. »O Kahs–pärle«, rief er, »ich sitzen im Uasser!«

»Das schadet nichts«, schrie Kasperle vergnügt, »ich saß mal im Heringssalat, in der Schlagsahne, im Pudding, in -«[149]

»Oh, ich ueiß, aber du bist ein Kasperle.« Mister Stopps seufzte, stand auf und dachte: Es ist manchmal schlimm mit einem Kasperle. Dann sah er in des Kleinen gutherziges Gesichtlein und sagte froh: »Ich habe dich sehr lieb, mein Kahs–pärle.«

»Ich dich auch, Mister Stopps«, antwortete Kasperle. »Aber gelt, nun gibt es bald Ferien.«

»Erst reisen wir nach Italien.«

»Hurra!« schrie Kasperle, das wird fein, wir reisen nach Italien! Dort sind Florizel und Angela und Michele und Rosemarie auch. Hurra! Hurra! wir reisen nach Italien!


Hurraa!«[150]

Quelle:
-, S. 141-151.
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