Geschichte, die

[605] Die Geschichte, plur. ut nom. sing. von dem Zeitworte geschehen. 1) Was geschehen ist, eine geschehene Sache, so wohl in weiterer Bedeutung, eine jede, so wohl thätige als leidentliche Veränderung, welche einem Dinge widerfähret, als auch in engerer und gewöhnlicherer, von verschiedenen mit einander verbundenen Veränderungen, welche zusammen genommen ein gewisses Ganze ausmachen; wo es auch das Diminutivum das Geschichtchen, Oberd. Geschichtlein, leidet. Eine wahre Geschichte, im Gegensatze der erdichteten. In engerer Bedeutung führet nur die erstere den Nahmen der Geschichte. Nach diesen Geschichten begab sichs u.s.f. 1 Mos. 15, 1. Daß du nicht vergessest der Geschichte, die deine Augen gesehen haben, 5 Mos. 4, 9. Die Geschichte des Königs Davids – sind geschrieben unter den Geschichten Samuel, 1 Chron. 30, 29. Die Geschicht des Fastens und ihres Schreyens, Esth. 9, 31, 32.[605] Der Aussätzige – machte die Geschichte ruchtbar, Marc. 1, 45. Eine Geschichte erzählen, beschreiben. Er weiß alle Geschichtchen der Nachbarschaft. Die Geschichte dieses Mannes ist sehr merkwürdig, d.i. alles was sich mit ihm zugetragen hat, seine Begebenheiten. In eben diesem Verstande stehet es oft collective und ohne Plural von mehrern geschehenen Begebenheiten Einer Art. Die alte Geschichte erlernen. Wo sie oft den ganzen Umfang aller, oder doch der wichtigsten Veränderungen in der Welt und ihrer Folgen in sich begreift. 2) Die Erzählung solcher Geschichte oder geschehenen Begebenheiten; die Historie. Gellerts Geschichte des Hutes. Besonders die Erzählung ähnlicher Begebenheiten von einem gewissen Umfange. Die politische Geschichte, Kirchengeschichte, gelehrte Geschichte. Die Geschichte des Römischen Reiches, einer Stadt, einer merkwürdigen Person u.s.f. Wo in weiterer Bedeutung auch erdichtete Begebenheiten, in engerer aber nur wahre, mit dem Nahmen der Geschichte beleget werden. In sehr uneigentlichem Verstande wird es in dem Worte Naturgeschichte gebraucht, das Verzeichniß und die Beschreibung der zu dem Naturreiche gehörigen Körper zu bezeichnen. 3) Die Kenntniß der geschehenen Begebenheiten, die Geschichtkunde; ohne Plural. Die Geschichte ist die zuverlässigste Lehrmeisterinn der Moral. Sich auf die Geschichte legen. Die Geschichte erhält das Andenken der vergangenen Begebenheiten in der Welt.

Anm. In omnibus mundi contingentibus heißt bey dem Notker in allen uuerlt gescihten. Nach dem Beyspiele anderer weiblichen Wörter auf e sollte dieses Wort im Plural die Geschichten haben, und so wird es auch in ganz Oberdeutschland richtig decliniret. Die alten Geschichten lesen, Opitz. In der Geschichten Buch, Hofmannsw. Allein im Hochdeutschen hat man den Plural von dem veralteten Neutro das Geschicht beybehalten, welches ehedem für die Geschichte üblich war, und dieser ist nunmehr wohl zu sehr eingerissen, als daß die Versuche einiger neuer Sprachlehrer denselben werden verdrängen können. In den Schauspielen des 15ten Jahrhundertes wurde der Aufzug, nach dem Muster des Latein. Actus, häufig die Geschicht genannt. Noch in der Monseeischen Glosse wird Historia durch Katatrahha, Historicus durch Katatrahhar, und Historiographus durch Katatrahhascripo übersetzt. Im Nieders. ist für Geschichte noch das einfache Schicht üblich.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 605-606.
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