[262] Geschichte, eigentlich was geschieht od. geschehen ist. I. Im Allgemeinen der Inbegriff aller auf einander folgenden Begebenheiten, Thatsachen u. Erscheinungen, welche sich mit irgend einem Gegenstande zugetragen haben, dann aber auch die Darstellung dieser Thatsachen durch die Rede, die Erzählung der G. (Historie). Man spricht daher auch von einer G. der Natur (Naturgeschichte), der Erde, der Thiere, Pflanzen etc., doch läßt man, wenn von der G. als einer Wissenschaft die Rede ist, die Erscheinungen der Natur, welche nur die willenlosen Resulte ewiger, unabänderlicher Gesetze sind, welche der Natur von einer ordnenden Macht außer ihr gegeben sind, außer Acht u. beschränkt den Inhalt der Geschichtswissenschaft auf den Menschen. Die G. bezieht sich somit auf solche Thatsachen, welche unmittelbar den Menschen, sein Thun u. Wirken betreffen, u. entweder durch ihn herbeigeführt wurden od. doch merklichen Einfluß auf seine Willensbestimmung hatten. Wie sich nun die freie Menschenthätigkeit nach sehr vielseitigen u. mannichfaltigen Richtungen hin äußert, so muß sich auch die G. der menschlichen Thaten in eine Reihe von verschiedenen Gebieten trennen. Man kann eine G. der Staaten, der Wissenschaften, der Cultur, der Religion, der Sitten, der Kunst, der Literatur, des Handels, des Ackerbaus, kurz aller verschiedenen Gebiete des Lebens, auf denen geistige od. materielle Thätigkeit sichtbar hervortritt, unterscheiden. Wenn man jedoch von G. ohne näheren Beisatz spricht, so faßt man den Begriff des Wortes enger u. begreift darunter zunächst die politische G., die G. des politischen bürgerlichen od. staatlichen Lebens des Menschen, wie dasselbe sich in der Zeit entwickelt u. gestaltet hat. In dieser Umgrenzung ihres Stoffes führt die G. darnach vorzugsweise die Entwickelung der in das Staatsleben einschlagenden Verhältnisse vor; sie berichtet von den Institutionen, welche durch das gesellschaftliche Leben des Menschen in das Dasein gerufen wurden; sie weist die Fortschritte u. Rückschritte nach, welche letzteres gethan hat; sie erzählt von den Berührungen freundlicher wie feindlicher Art, in welche Völker u. Staaten zu einander getreten sind. Weil jedoch das eigentliche Staatsleben im engeren Sinne mit anderen Gebieten des freien menschlichen Wirkens u. Schaffens in der engsten Wechselberührung steht, so kann sich die vorzugsweise sogenannte politische G. doch keineswegs ausschließlich auf die Darlegung der Thatsachen beschränken, welche jenem angehören, sondern sie muß in ihren Kreis auch solche Thatsachen ziehen, welche auf die Geschicke der Staatsgesellschaft, wenn sie auch diese nicht unmittelbar angehen, doch einen bedeutenden Einfluß geäußert haben, wie Thatsachen der religiösen, literarischen u. materiellen Culturentwickelung etc., diese jedoch nur ihren Hauptmomenten nach u. nur insofern sie mitwirkende Bedingungen u. Ursachen zu einem Umschwung des staatlich-socialen Lebens in engeren u. weiteren Kreisen gewesen.
II. Man unterscheidet Allgemeine G., Universalgeschichte, Weltgeschichte, Particular- u. Specialgeschichte. Die Allgemeine G. enthält den gesammten historischen Stoff, das mehr u. minder Wichtige in wissenschaftlicher Ordnung, u. dieser gemäß jedes nach seinen Rangverhältnissen; sie hat die großen historischen Massen, die aus unzähligen Bestandtheilen von höherer u. niederer Wichtigkeit zusammengesetzt sind, soweit als nur möglich, bis in die geringsten thätigen Elemente zu verfolgen u. das Allgemeine im Einzelnen zu veranschaulichen. Unter Universal- od. Weltgeschichte dagegen kann man entweder, wenn man ihr die Idee der Einheit des gesammten Menschengeschlechtes als eines persönlichen u. individuellen[262] Ganzen zu Grunde legt, gewissermaßen eine Biographie der Menschheit verstehen (Ulrici); od. man kann, wenn man die Gesammtgeschichte als ein organisches Ganze ansieht, die Weltgeschichte als eine zusammenhängende Darstellung der Hauptveränderungen des menschlichen Geschlechtes definiren, woraus sich der jetzige u. jedesmalige Zustand desselben mit seinen Gründen erkennen läßt. Es hat jedoch die Weltgeschichte im letzteren Sinne nur auf einen verhältnißmäßig kleinen Theil der uns erhaltenen Nachrichten, eben nur insoweit als jene Veränderungen auf die Entwickelung des menschlichen Geschlechtes überhaupt u. insbesondere zu seinem gegenwärtigen Zustande entscheidend beigetragen haben, Rücksicht zu nehmen; ebenso kann sie nur die G. derjenigen Nationen u. Staaten, welche als die hauptsächlichsten Träger der weltgeschichtlichen Ideen erscheinen (u. deshalb auch geschichtliche Völker genannt werden), je nach dem Grade, in welchem sie auf die Entwickelung des menschlichen Geschlechtes eingewirkt haben, in das Bereich ihrer Betrachtung ziehen. Berichtet der Historiker über den Entwickelungsgang des Menschen als solchen, so entsteht die G. der Menschheit. Je nach dem Umfange, in welchem die G. aufgefaßt wird, stehen der Allgemeinen G. die Specialgeschichten gegenüber, welche theils die Handelnden, theils die Handlungen betreffen können. Die Handelnden können die Bewohner eines Welttheils, eines Staats, einer Provinz, ein Verein im Staate, eine einzelne Gesellschaft, ja selbst einzelne historisch wichtige Persönlichkeiten sein. In letzterem Falle gehört auch die Biographie (s.d.) hierher. Wie die Handelnden, so können auch die Handlungen von dem ausgedehntesten Umfange an bis in das Individuelle Gegenstand der G. werden. Wie nun die Handlungen als Species Theile des menschlichen Vernunftlebens sind, so wird der Geschichtsschreiber dieselben auch einzeln behandeln können (z. B. G. der Literatur, der Kunst, der Kriege, der Staatsidee, einer einzelnen Wissenschaft etc.); noch einzelner wird die G. der Handlungen, wenn dieselbe noch durch eine einzelne Species von Handelnden näher bestimmt wird, wie z.B. G. des hanseatischen Handels, G. der griechischen Philosophie, die G. des Dreißigjährigen Krieges etc. Man spricht auch im Gegensatz der Universalgeschichte von Particulargeschichte, d.i. der G. einzelner Staaten, Reiche, Völker, Orte etc. Zu derselben würden somit auch die einzelnen Landes- u. Volksgeschichten gehören.
III. Seit die G. eine wissenschaftliche Behandlung erfährt, versuchte man auch die Masse des Stoffes in besondere Gruppen zu sondern. Schon im Mittelalter entstand die Eintheilung der G. nach den sogenannten vier Monarchien, nämlich: a) die chaldäische (od. babylonische, od. assyrische), b) die persische, c) die griechische u. d) die römische. Diese Eintheilung stützt sich auf einige Stellen des Propheten Daniel (bes. 2, 38 ff.; Cap. 7. u. 8.), fand in der angegebenen Form durch Melanchthons u. Carlos Geschichtsbücher in Deutschland allgemeinen Eingang u. wurde erst durch Gatterer beseitigt. Seitdem pflegt man die Weltgeschichte meist in drei Hauptabschnitte zu zerlegen: a) die alte G., welche mit Entstehung des menschlichen Geschlechtes od. mit der Bildung der ersten Reiche u. Staaten beginnt u. mit dem Untergange des Weströmischen Reiches (476 n. Chr.) schließt; b) die mittlere G., welche vom Untergange des Weströmischen Reiches bis zur Entdeckung von Amerika gerechnet wird (4761492); u. c) die neuere G., welche von der Entdeckung Amerikas bis auf die Gegenwart reicht. Mehrere Geschichtschreiber lassen mit der ersten Französischen Revolution von 1789 einen vierten Hauptabschnitt, die neueste G., beginnen, während andere wiederum die gesammte Weltgeschichte nur in zwei Hauptabschnitte, die alte u. neue G., zerlegen u. als Scheidepunkt beider das entscheidende Eingreifen des Christenthums in die G. (Constantin der Große) annehmen. Die Eintheilung in die G. vor u. nach Christus, läßt sich nicht rechtfertigen. Nach anderen, mehr principiellen Eintheilungen unterscheidet man auch a) in Bezug auf die Staatsverfassung drei Weltalter, ein orientalisches, griechisch-römisches u. germanisches, od. b) in Bezug auf die Religionen (nach Rosenkranz) die Kreise des Ethnicismus, Theismus u. des Christenthums od. des Naturstaates, Gottesstaates u. Humanitätsstaates.
IV. Die Anfänge der Geschichtsschreibung bilden die Annalen, wie sie sich bei den Ägyptiern, Babyloniern, Phöniciern u. Römern fanden, wahrscheinlich mit dem religiösen Cultus zusammenhängen u. nur in trockenen Aufzeichnungen der öffentlichen Staatsacte, Begebenheiten des inneren u. äußeren Staatslebens bestehen, bes. soweit sie Religion u. Cultus angehen. Bei denselben leuchtet die Persönlichkeit des Verfassers fast nirgends hervor. Eine zweite Entwickelungsstufe bildete die Chronik, welche in ihrer einfachsten Gestalt nur eine Verknüpfung des annalistischen Stoffes u. in ihrer äußerlichen Form von der der Annalen nicht sehr verschieden ist. Die Chronik erzählt einfach die Begebenheiten, wie sie geschehen sind; sie geht den Motiven u. Absichten der handelnden Personen nicht nach u. läßt sich leicht fortsetzen. Die Chronik ist die Fundamentalform aller Geschichtsschreibung u. das Eigenthum unentwickelter Nationen od. ungebildeter Zeiten. Eine weitere Fortbildung zeigt dieselbe schon, wenn die Chronisten nicht mehr blos fortsetzen, sondern namentlich auch über die frühere Zeit aus ihren Vorgängern od. Sagenquellen zu berichten anfangen. Das Vollkommenste in dieser Richtung leisten die Verfasser der vollständigen Nationalgeschichten, welche die Gesammtmasse des in den vorhandenen Chroniken aufgezeichneten Stoffes zu einem Ganzen verarbeiten. Sie haben nur nationale patriotische Zwecke, beschränken sich formell auf schöne effectvolle Darstellung der Einzelheiten u. entbehren der inneren Einheit, da sie mit den ersten Spuren der vaterländischen G. beginnen u. mit ihrer Gegenwart enden. Eine zweite aufkeimende Hauptgattung der Historiographie bildet das, was man in Italien im Mittelalter Ricordanz, was die Römer im engeren Sinne Historia, was man in neueren Zeiten gewöhnlich Memoire (s.d.) nennt. Im Gegensatze zu dem Chronisten steht der Verfasser eines Memoires im Mittelpunkte seines Werkes, verfolgt meist sehr bestimmte, praktische, politische u. moralische Zwecke u. berücksichtiget weniger die Begebenheiten an sich, als vielmehr die Charaktere, die handelnden Menschen, die Ursachen u. die Folgen der Handlungen. Wie der Chronist mehr dem Volke, so steht der Memoirist mehr den höheren, leitenden Kreisen der Gesellschaft näher. Wie sich aus[263] der Chronik die Volksgeschichten entwickelten, so aus dem Memoire die pragmatische G. Nach Polybios (der auch diesen Ausdruck selbst zuerst gebraucht) besteht diese Gattung der Geschichtsschreibung aus historischen Werken, die nach subjectiven Ideen entworfen, nach bestimmten Absichten geschrieben sind u. moralischen od. politischen Zwecken, z.B. der Besserung des Menschen, der Bildung von praktischen Staatsmännern etc., dienen sollen. Einen bestimmteren Begriff gewähren die Zeiten, in welchen die großen italienischen Geschichtsschreiber, wie Paul Sarpi, Guicciardini, Davila, Vorbilder in dieser Gattung wurden; nach ihnen geht der Pragmatiker darauf aus, die Veranlassungen u. Wirkungen der historischen Thatsachen psychologisch zu erklären u. auf menschliche Triebfedern zurückzuführen. Wenn sich auch in der pragmatischen Geschichtsschreibung ein sehr großer u. wichtiger Fortschritt zeigt, so ist sie doch noch nicht das Höchste, was der Geschichtsschreiber (Historiker) zu leisten hat. Der Letztere hat sich nicht blos mit der Aussonderung u. Prüfung des historischen Stoffes, nicht mehr blos mit der Ergründung des Causalnexus u. der menschlichen Motive zu begnügen, sondern auch nach der inneren Nothwendigkeit der historischen Entwickelung u. nach den leitenden Ideen in der Geschichte zu forschen. Die Aufgabe des Historikers ist es daher, die Ideen in den Begebenheiten aufzusuchen u. die letzteren nach jenen zu ordnen; das Werden u. Wachsen historischer Ideen zum leitenden Faden eines historischen Werkes genommen, gibt demselben eine schöne künstlerische Einheit. In einem wahrhaft historischen Kunstwerke muß sich der denkende Leser stets auf echtem geschichtlichem Boden befinden, dabei aber weder wahrhaft philosophischen Gehalt, noch die echt künstlerische Form u. Wirkung vermissen. Man hat diese vollendetste Art der Geschichtsschreibung wohl auch die philosophische Geschichtsschreibung genannt. Es darf aber nicht an das gedacht werden, was häufig im 18. Jahrh. philosophische Geschichtsschreibung (Historie raisonnée) genannt wurde, u. sich von dem Raisonniren über die historischen Thatsachen, welche den Pragmatismus bilden, nicht unterscheidet. Auch gehört hierher jene Art von Geschichtsbetrachtung nicht, welche die G. gleichsam philosophisch construirt u. mit Abscheidung des historischen Materials, ihr Augenmerk blos auf Erforschung der objectiven Ideen richtet, sowie deren Nothwendigkeit, Entwickelung u. Weiterbildung verfolgt.
V. Der unermeßliche Umfang, zu welchem das historische Material für die Weltgeschichte angewachsen ist, macht nicht nur eine Eintheilung desselben in Gruppen u. Zeitabschnitte (Epochen, Perioden) nöthig, sondern auch eine methodische Behandlung des Stoffes, um die Übersicht des Ganzen zu erleichtern. Am häufigsten angewendet werden die synchronistische u. die ethnographische Methode. Die synchronistische Methode stellt das Gleichzeitige in übersichtlicher Form neben einander auf, während die ethnographische Methode die einzelnen Völker abgesondert behandelt; die erstere läßt ein Mehrfaches in Zeit u. Raum zugleich nicht nach einander, sondern neben einander auftreten, vereinigt das Universale mit dem Particularen, das Allgemeine mit dem Individuellen u. erleichtert die Übersicht des Zusammenhanges; die letztere hingegen hat es mit dem Einfachen in Zeit u. Raum, das nach einander auftritt, zu thun u. gibt demnach Specialgeschichten u. Völkerbiographien. Weil jedoch beide Methoden in ihrer Einseitigkeit durchgeführt nur unvollkommen den Zweck der Übersichtlichkeit u. Anschaulichkeit erreichen, so hat man versucht, in der ethnographisch-synchronistischen Methode die Vorzüge beider zu vereinigen u. die Nachtheile zu verhüten. Andere bisweilen angewendete Methoden sind die geographische, bei welcher vorzüglich die politische Abgrenzung der Ländertheile die Richtschnur bilden; die chronologische, bei welcher Zeitabschnitte festgesetzt werden, innerhalb welcher der Stoff behandelt wird; die sogenannte technographische Methode, die sich vorzugsweise mit den Resultaten des geistigen Lebens des Menschen, den Leistungen in Kunst, Wissenschaft, Religion u. dgl. beschäftigt.
VI. Als Hülfswissenschaften der G. sind zunächst die Chronologie (s.d.) u. die sogenannte Politische Geographie (s.d.) zu nennen, demnächst sind auch die Kunde der Menschen u. Völker, die Kenntniß ihrer Sprachen, sowie die Staatswissenschaften für die Erkenntniß der G. unentbehrlich. Außerdem muß der Geschichtsschreiber eine gründliche philosophische Bildung besitzen, weil ihn dieselbe allein befähigt, die Wahrheit zu erforschen u. dem Erforschten eine künstlerische Darstellung zu geben. Gestützt auf diese Hülfsmittel hat die Geschichtsforschung zunächst die Aufgabe, mit Hülfe der historischen Kritik die Thatsachen möglichst vollständig zu sammeln, dieselben zu sichten u. zu prüfen. Die Quellen, aus denen die Forschung schöpft, sind: a) mündliche (Mythen u. namentlich Sagen). Mit der mündlichen Überlieferung beginnt die G. eines jeden Volkes. Da jedoch der traditionell überlieferte Stoff, namentlich wenn er sich nur auf dem poetischen Wege fortpflanzt, sehr bald u. vollständig verändert wird, so ist bei der Benutzung desselben durch den Historiker die größte Umsicht nöthig; man wird dieselbe weniger zur Feststellung von Facten benutzen können, als vielmehr zu Aufklärungen über die Vorstellungsweise u. den Geist der Zeit, aus welchem sie stammt. b) Factische Überlieferungen; unter ihnen stehen die Sprachen obenan, deren geschickte Benutzung, namentlich in neuester Zeit, manche Aufklärung über die älteste G. der Völker geboten hat. Aber auch Feste, Einrichtungen, Sitten u. Gebräuche dienen nicht selten zur Aufhellung u. Beglaubigung der Sagen. c) Denkmäler; diese zerfallen hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Geschichtsforschung in zwei Hauptklassen. aa) Die erste Klasse umfaßt alle Denkmäler, welche nicht absichtlich zum Andenken an gewisse Begebenheiten errichtet wurden, sondern durch Zufall auf die Nachwelt gekommen sind, wie die Ruinen ganzer Städte (z. B. Palmyrg, Herculanum u. Pompeji, die Ruinenstädte von Ägypten, Mittelamerika u. Peru etc.), einzelne Antiquitäten, als Geräthe, Waffen, Kunstwerke, Münzen etc.; bb) der zweiten Klasse fallen alle diejenigen Denkmäler zu, welche die Kunde von Begebenheiten od. Personen ausdrücklich auf die Nachwelt zu bringen beabsichtigen u. sich als Mittel hierzu theilweise od. ganz der Schrift bedienen. Man unterscheidet drei Hauptarten: aaa) Inschriften an Gebäuden, Säulen, Grabmälern, auf eigenen Tafeln, welche bestimmt sind eine That, eine Begebenheit, ein Gesetz zu verewigen. Die Kunst Inschriften zu entziffern,[264] zu lesen u. zu erklären lehrt die Epigraphik (s.d.). Eine besondere Abtheilung der mit Aufschriften versehenen historischen Denkmäler bilden die Medaillen od. Denkmünzen (s.b.) bbb) Die Urkunden od. Diplome, Schriftstücke, welche zur Begründung u. Sicherstellung von Rechten u. Pflichten abgefaßt sind. Die Erklärung, Beurtheilung u. Benutzung derselben lehrt die Diplomatik (s.d.) od. Urkundenlehre, in deren Kreis man auch die Kenntniß der Siegel od. die Sphragistik (s.d.) gezogen hat; ccc) die eigentlichen historischen Schriften, welche den Gegenstand der historischen Quellen- od. Schriftstellerkunde im eigentlichen Sinne des Wortes bilden. Von den Geschichtsschreibern in der Absicht niedergeschrieben, um die Kunde der Ereignisse u. Begebenheiten auf die Nachwelt zu vererben, zerfallen dieselben in zwei Klassen: in solche, welche von gleichzeitigen u. in solche, welche von später lebenden Verfassern herrühren. Außer diesen historischen Hülfsdisciplinen, welche es vorzugsweise mit der Förderung u. Sichtung des historischen Materials zu thun haben u. deshalb auch wohl von Einigen unter dem Namen der historischen Quellenkunde zusammengefaßt werden, gehören zu der Reihe der historischen Hülfswissenschaft noch d) die Archäologie u. die Kunstgeschichte (s.b.), welche, wenn auch eine jede Disciplin von verschiedenen Gesichtspunkten aus die, aus der Vergangenheit auf uns gekommenen Kunstdenkmäler kennen, würdigen u. zu geschichtlichen Zwecken benutzen lehren, u. als ein besonders gepflegter Zweig derselben die Münzkunde od. Numismatik (s.d.), von welcher die Geschichtsforschung jedoch nur nach ihren historischen Beziehungen Gebrauch macht. e) Die Wappenkunde od. Heraldik (s.d.), welche für die G. des abendländischen Mittelalters nicht ganz ohne Bedeutung ist. f) Die Genealogie (s.d.) od. Geschlechterkunde, die namentlich bei der Erörterung von staatsrechtlichen Verhältnissen, wie Thronfolge, Erbverbrüderungen, Erbstreitigkeiten, Regentschaften etc., nicht entbehrt werden kann. Ist durch die Geschichtsforschung der historische Stoff gesammelt, kritisch gesichtet u. geprüft, so fällt der Geschichtsschreibung (Historiographie) od. historischen Kunst die Aufgabe anheim, die Ergebnisse der Forschung nach ihrem inneren Zusammenhang (der historischen Idee) zu ordnen, sie zu einem wahrheitgemäßen, lebensvollen Gemälde zu gestalten u. in künstlerisch-schöner Form darzustellen.
VII. A) Im frühesten Alterthume, wo bei dem menschlichen Geschlechte mehr das Gefühl als der reflectirende Verstand vorherrschte, tritt uns die G., insoweit sie Darstellung ist, erst als werdend entgegen. Im Morgenlande ist die Geschichtsschreibung kaum über die Chronik hinaus gediehen. So bei den Chinesen, Japanern, den Siamesen u. Birmanen. Die Inder, obgleich ein hochbegabtes Volk, das eine reiche u. originale Literatur geschaffen hat, aber für die historische Forschung total unfähig blieb, kennen eine Geschichtsschreibung nicht; die versificirten chronistischen Arbeiten der buddhistischen Singalesen können kaum in Betracht kommen. Die alten Perser, Babylonier, Assyrer, Phönicier u. Ägyptier besaßen blos Reichsannalen, die wohl meist von der Priesterschaft geführt wurden. Selbst die historischen Schriften der Hebräer, wie sie im Alten Testament vorliegen, erheben sich nicht über die chronistische Darstellung, wenn sie auch eine Art von Nationalgeschichte anstreben. Die freiere künstlerische Form der G. ging von den Griechen aus, bei denen Herodot als der Schöpfer derselben zu betrachten ist. In Thukydides, der sich zu dem freien Geiste historischer Kritik erhob, u. in Xenophon, dessen geschmackvoll-einfache Werke den Geist praktisch-ethischer Betrachtung bekunden, erreichte die griechische Historiographie ihren Höhepunkt. Aus späterer Zeit, wo die Geschichtsschreibung mehr zur gelehrten Compilation od. rhetorischer Ausschmückung für den Zweck der Unterhaltung hinneigte, sind nach Dionysios von Halikarnaß, Diodoros aus Sicilien, Plutarchos, u. bes. wegen seines pragmatischen Geistes Polybios als selbständigere, künstlerische Historiker hervorzuheben. Bei den Römern gedieh die Geschichtsschreibung, nach ihrer Bekanntschaft mit griechischer Literatur u. Kunst, bald zu den vorzüglichen Leistungen eines Sallustius, Julius Cäsar, Vellejus Paterculus u. Tacitus, welche denen der Griechen gleichzustellen sind u. selbst wieder zu klassischen Mustern wurden. Wenn auch die spätere römische Kaiserzeit nichts leistete, was den Genannten gleich kam, so blühte doch die Geschichtsschreibung bis zum Untergange des Weströmischen Reichs. Die historische Muse flüchtete nach Byzanz, wo sie zwar viel Verehrer fand, welche ihr aber kein künstlerisches Gewand zu geben wußten. An die byzantinischen Vorbilder lehnten sich die Geschichtsschreiber der Syrer u. Armenier. B) Dem abendländischen Mittelalter war die historische Kunst völlig unbekannt. Die Geschichtsschreibung, fast nur von Geistlichen geübt, konnte sich nicht über die Chronik erheben. Sie ging von den germanisirten u. germanischen Nationen aus. Vor der Zeit der Karolinger sind nur die Volksgeschichten des Jordanes, Gregor von Tours u. namentlich Beda von Bedeutung. Durch Karl den Großen kam ein regeres Leben in die Historiographie; zu seiner Zeit schrieben Eginhart, Alcuin, Paulus Diaconus, später in Deutschland Rudolf von Fulon. Es bildeten sich zwei Formen der Historiographie aus, eine annalistische, chronikenartige, u. eine biographische. Seit Kaiser Otto I. schrieben Liutprant von Cremona, Widukind Dietmar von Merseburg, Richerus von Rheims, Wippo (Biographie Kaiser Konrads II.), Hermann von Veringen, Lambert von Hersfeld, Otto von Freisingen, Helmold von Bosau u. viele Andere von geringerer Bedeutung. In der zweiten Hälfte des Mittelalters nahm die Historiographie in Deutschland, obgleich in den alten Formen fortgearbeitet wurde, einen anderen Charakter an; es drang das sagenhafte Element immer mehr ein, die Verfasser schrieben ihre Werke meist in der deutschen Sprache, u. die Behandlung der G. wurde der Geistlichkeit immer mehr entzogen (s. Deutsche Literatur). Ähnlich war der Gang der Historischen Literatur bis zum späteren Mittelalter in Italien, wo man sich zuerst der heimischen Sprache bediente (Malaspini, Dino Campagni, Giovanni Villani), in Spanien, wo bis in das 13. Jahrh. klösterliche Chroniken (Lucas von Leon, Roderich Ximenez) in gewöhnlicher lateinischer Weise verfaßt wurden, u. die Veredlung des geschichtlichen Styls im 14. Jahrh. von Catalonien ausging (Ramon Muntaner, [265] Pedro Lopez de Ayala, Hernando del Pulgar), u. in Frankreich, wo sehr viel für die G. geleistet wurde u. namentlich die Kreuzzüge eine lebhafte Bewegung in die historische Literatur brachten (Gregor von Tours). Aus dem 12. Jahrh. ist namentlich Suger zu nennen. Die eigentlich charakteristische Historiographie der Franzosen erblüht jedoch erst im 14. Jahrh. mit der memoiristischen Geschichtsschreibung. Auf Ville-Hardouin folgen Jean Sire de Joinville, Jean Froissart u. Philippe de Comines. In England blieb die Historiographie während des ganzen Mittelalters in den Händen der Geistlichkeit u. daher lateinisch; einige Chronisten, wie Ingulf, Wilhelm von Somerset (Malmesbury), Matthäus Paris, Nicolaus Trivet, Guil. Worcesirius u. Joh. Rossus, haben in ihrer Art Vorzügliches geleistet. Während sich so die G. im Abendlande entwickelte, erwuchs durch die Araber mit der Vertreibung des Islam eine ungemein reiche historische Literatur bei Völkern des Morgenlandes zunächst bei den Arabern selbst, dann namentlich bei den Persern, den moslemischen Hindus, den Osttürken, Osmanen u. Malaien. Bei den Arabern ging die historische Thätigkeit von den genealogischen Überlieferungen aus, welche trotz des unverkennbaren Einflusses der spätgriechischen Vorbilder den Charakter der späteren Arbeiten bestimmten. Die Araber verzeichnen in der Regel die Begebenheiten ohne Rücksicht auf innere Verbindung, genau nach der Zeitfolge, einfach u. kunstlos. Nur wenige Geschichtsschreiber nehmen einen Anlauf zu historischer Kunst. Den meisten philosophischen Geist zeigte Ibn-Khaldun aus Tunis. Die Perser, u. ihre Nachahmer, die Osttürken u. Osmanen, lieben eine höchst schmuckvolle Sprache. (Siehe die Artikel über die betreffenden Literaturen.)
C) Den Übergang zu den Historikern der neuen Zeit bilden die Geschichtsschreiber, welche unter dem Einflusse des Humanismus in Italien schrieben, wo man sich zuerst mit Begeisterung an die klassischen Studien hingab. In Italien wurden Macchiavelli, Guicciardini, Paolo Giovio, Adriani u.a. die Muster der neuen Historiographie, während fast um dieselbe Zeit in Folge des immer mächtiger werdenden Einflusses der altklassischen Literatur bei den Franzosen de Thou, d'Aubigné u. eine große Anzahl Memoirenschreiber bei den Spaniern u. Portugiesen Sepulveda, Mendoza, Herrera u. Zurita, de Goes, de Barros, de Solis, Albuquerque, Mariana u. Ferreras; bei den Engländern die fleißigen Forscher Leland, W. Camden u.a. den Weg zu einer künstlerischen Behandlung des historischen Rechts anbahnten. Auch in Deutschland erwachte mit Erfindung der Buchdruckerkunst der Sinn für historische Forschung immer mehr. Cario lieferte das erste systematische Handbuch der Weltgeschichte; Joh. Reineccius wirkte für die kritische Behandlung des historischen Materials; zugleich wurde letzteres sorgfältig aufgesucht u. gesammelt, während sich Männer wie Sleidanus, Pufendorf, Conring, Seckendorf um die Specialgeschichte verdient machten. Die Ereignisse in den Niederlanden wirkten hier fördernd auf die Geschichtsschreibung; durch H. Grotius, van Hooft, Wagenaar wurde die Revolutionsgeschichte trefflich dargestellt. In Frankreich wurden Rollin u. Bossuet die Begründer der modernen Behandlung der G.; durch die großen Geschichtsschreiber Englands im 18. Jahrh. wurde die von Frankreich ausgegangene historische Kunst in ihrem Gehalte vergeistigt u. zur Herrschaft in Europa gefördert. Die umfassendste Thätigkeit auf dem Gebiet der G. hat jedoch in neuerer Zeit die deutsche Nation entfaltet. Nachdem bereits im 18. Jahrh. in verschiedener Weise für die kritische Sammlung u. Sichtung des Stoffs mit Erfolg gewirkt worden war, wurde die deutsche Geschichtsschreibung einerseits durch die wohlthätige Anregung, welche sie durch das Studium Humes, Robertsons, Gibbons zu einer geistigen u. pragmatischen Behandlung erhielt, andererseits durch die engere Verknüpfung, in welche in Deutschland zu jener Zeit Literatur u. Leben trat, auf eine hohe Stufe gehoben. Justus Möser, Spittler, Joh. von Müller, dann Schiller, Woltmann u. Zschokke, Herder, Schlözer, Dohm u. Beck wirkten in verschiedener Beziehung für den Fortschritt. In noch höherem Grade fand dies für Forschung wie Darstellung in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. statt; Niebuhr, Dahlmann, Raumer, Ranke, Gervinus, Luden, Pertz, Droysen, Bunsen, Schlosser, Duncker, Wachsmuth, Menzel, Waitz Sybel, Giesebrecht, Mommsen, Curtius, Häußer, Löbell dürften bei anderen Völkern, wie in England Macaulay, nur Wenige ihres Gleichen finden. Auch zeigt sich bereits der Einfluß der deutschen u. englischen Historiographie bei den romanischen Völkern, namentlich den Franzosen. Über die historische Kunst vgl. Lucian, πώζ δεῖ ἱστορίαν συγγράφειν; Vossius, Ars historica, Leyden 1653; Bolingbroke, Lettres on the study and use of history, Lond. 1751, 2 Bde., Bas. 1786.; Rühs, Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums, Berl. 1811; Wachler, G. der historischen Forschung u. Kunst seit der Wiederherstellung der literarischen Cultur in. Europa, Gött. 181220, 2 Bde. in 5 Thln.; Tittmann, Über Erkenntniß u. Kunst der G., Dresd. 1817; Creuzer, Die historische Kunst der Griechen, 2. Aufl., Lpz. 1845; Wachsmuth, Entwurf einer Theorie der G., Halle 1820; W. von Humboldt, Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers, Berl. 1822; Duncker, De hist. ejusque tractandae varia ratione, Berl. 1634; Gervinus, Grundzüge der Historik, Lpz. 1837; Ulrici, Charakteristik der antiken Historiographie, Berl. 1833; Roscher, Klio (Beiträge zur G. der historischen Kunst), Gött 1842, 1. Bd.; Vietz, Das Studium der allgemeinen G., Prag 1844; Trächsel, Über das Wesen u. Gesetz der G., Bern 1857.
DamenConvLex-1834: Italien (Geschichte) · Niederlande (Geschichte) · Griechenland (v Geschichte) · Frankreich (Geschichte) · Geschichte · Oestreich (Geschichte) · Spanien (Geschichte) · Türkei (Geschichte) · Russland (Geschichte) · Preussen (Geschichte) · Rom (Geschichte von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten) · Amerika (Geschichte) · Arabien (Geschichte) · Alemannen (Geschichte) · Aegypten (Geschichte) · Afrika (Geschichte) · Asien (Geschichte) · England (Geschichte) · Europa (Geschichte) · Deutschland (Geschichte) · Australien (Geschichte) · China (Geschichte)
Eisler-1904: Philosophie der Geschichte · Geschichte der Philosophie · Geschichte
Herder-1854: Geschichte · Biblische Geschichte
Kirchner-Michaelis-1907: Geschichte der Philosophie · Geschichte
Meyers-1905: Geschichte · Biblische Geschichte
Pierer-1857: Politische Geschichte · Biblische Geschichte · Alte Geographie, A. Geschichte etc.
Buchempfehlung
Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.
86 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro