Heilig

[1071] Heilig, -er, -ste, adj. et adv. am wahrscheinlichsten von dem Hauptworte Heil, und zwar,

I. * Im transitiven oder thätigen Verstande, für heilsam, Heil, d.i. Gesundheit, Nutzen bringend, auf welche Art heilligh bey dem Kero für salutaris vorkommt. In dieser allem Ansehen nach schon lange veralteten Bedeutung, kommt es noch in den Nahmen einiger heilsamen Pflanzen vor. Dergleichen ist die heilige Pflanze, Santolina Chamae Cyparissus L. welche in dem mittägigen Europa wächset, und das heilige Holz, das Holz eines Amerikanischen Baumes, welches in der Arzeneykunde gleichfalls sehr geschätzet wird, S. Franzosenholz.

II. In intransitiver Bedeutung, vermuthlich so fern Heil ehedem, dem Bey- und Nebenworte heil zu Folge, die ganze, unzertrennte Beschaffenheit eines Dinges bezeichnet haben mag.

1. Unverletzt, unverderbt, sich in dem Zustande der gehörigen Vollständigkeit und Vollkommenheit befindend; wo es doch nur im moralischen Verstande in der Theologie, von der sittlichen und geistlichen Vollkommenheit gebraucht wird, Fertigkeit zur überwiegenden Liebe des Guten und zum herrschenden Hasse des Bösen besitzend. 1) Eigentlich. So wird im höchsten Verstande Gott heilig genannt, wo dieser Ausdruck zugleich die höchste Vollkommenheit aller seiner Eigenschaften mit in sich schließet, S. Heiligkeit. Der heilige Geist, die dritte Person des göttlichen Wesens, welche dadurch von andern Geistern unterschieden wird. In eingeschränkterer Bedeutung wird dieses Wort in der Deutschen Bibel oft so wohl von den guten oder heiligen Engeln, als auch von tugendhaften, mit Gott vereinigten Personen gebraucht, welche letztere auch Heilige genannt werden. Im gemeinen Leben hat dieses Wort, so fern es von Menschen gebraucht wird, einen gehässigen Nebenbegriff bekommen, indem man sich bey einem Heiligen oder einer heiligen Person alle Mahl einen Heuchler, einen Scheinheiligen denket. Bey vollendeten Gläubigen verlieret sich dieser Nebenbegriff, daher man ihn in diesem Falle ohne Anstoß gebraucht. Die Heiligen im Himmel. Die Gemeinschaft der Heiligen. Besonders von solchen Personen, welche sich durch einen vorzüglich frommen und Gott gefälligen Wandel von andern unterschieden haben. Der heilige David. Der heilige Johannes. Die heiligen Apostel. In der Römischen Kirche werden nur diejenigen vollendeten Gläubigen, welche wegen ihrer unläugbaren vorzüglichen Tugenden öffentlich für Heilige erkannt und zur Verehrung aufgestellet worden, mit diesem Nahmen beleget, und noch von den Seligen unterschieden,[1071] S. dieses letztere Wort. Jemanden heilig sprechen, eben daselbst, ihn canonisiren. Daher die Heiligsprechung, die Canonisation. Ein wunderlicher Heiliger, ein wunderlicher Mensch. 2) Figürlich, in diesem vollkommenen Zustande des Willens gegründet; ingleichen auf die Hervorbringung dieser Fertigkeit abzielend. Die heiligen Wege Gottes. Eine heilige Lehre. Heilige (gottselige) Gedanken haben. Heilige Betrachtungen anstellen. Ein heiliges Leben führen. Ein heiliger Vorsatz, ein heiliger Trieb. Eine heilige Miene, worunter man aber gemeiniglich eine heuchlerische, scheinheilige Miene verstehet. Die heilige Schrift, die schriftlich verfassete göttliche Offenbarung.

2. Unverletzlich, von Beleidigungen, Beschädigungen oder Mißbräuchen gesichert, von dem gemeinen Gebrauche abgesondert, und zu einem besondern feyerlichen Gebrauche bestimmt. 1) Überhaupt. Ein heiliger Ort, dergleichen die Freystätten, Kirchen, Palläste u.s.f. sind. Die wildesten Völker halten das Recht der Ehe für ein heiliges Recht. Die heilige Asche unsrer Väter. Die Bande des Blutes sind mir nicht heiliger als die Bande der Liebe, Dusch. Etwas heilig verwahren, mit großer Sorgfalt. Etwas heilig versichern, betheuern, versprechen, zusagen, auf die feyerlichste, unverletzlichste Weise.


Ich, sprach der Wolf, kann heilig schwören,

Herr König, ich war nicht dabey,

Lichtw.


Vermuthlich beziehet sich auch hierauf die Benennung des heiligen Römischen Reiches, im Lat. sacri imperii Romani, welche schon von den heidnischen Kaisern angenommen worden; ingleichen des heiligen Beines in der Zergliederungskunst, Os sacrum, weil es unter den Zeugungsgliedern lieget, welche bey allen gesitteten Völkern für heilig, d.i. unverletzlich, gehalten werden, und von welchem auch die heilige Pulsader, Arteria sacra, und die heilige Blutader, Vena sacra, den Nahmen haben, weil sie sich in eben dieser Gegend befinden. 2) In engerer Bedeutung, dem Gottesdienste, der Verehrung Gottes gewidmet, und dadurch unverletzlich gemacht, und von dem gemeinen Gebrauche abgesondert; in welchem Verstande es in der Deutschen Bibel oft als ein Hauptwort vorkommt. Kein Heiliges soll sie anrühren, 3 Mos. 12, 4. Daß Aaron trage die Missethat des Heiligen, das die Kinder Israel heiligen in allen Gaben ihrer Heiligung, 2 Mos. 28, 38. Ein heiliger Ort, heilige Sachen, ein heiliger Tag. Der heilige Abend, der Abend vor einem Feste, der Festabend. Ehedem nannte man auch die Priester und Geistlichen in der Römischen Kirche die Heiligen. Im vorzüglichen Verstande gibt man daselbst noch jetzt dem Papste den Nahmen heiliger, oder wohl allerheiligster Vater, und im Abstracto Se. Heiligkeit. Besonders ist das Wort heilig von solchen Dingen üblich, welche einem feyerlichern Gottesdienste gewidmet sind, oder ein Stück eines feyerlichern Gottesdienstes ausmachen, wo es oft noch mit dem Worte hoch verstärket wird, hochheilig. Das Heilige war in der Jüdischen Kirche ein zum feyerlichen Gottesdienste bestimmter Theil des Tempels, der an das Allerheiligste stieß. Die heilige Woche, die Woche vor dem Osterfeste, die Charwoche. Das heilige Jahr, in der Römischen Kirche, worin das große Jubiläum gefeyert wird. In weiterer Bedeutung wird es oft von allem gebraucht, was sich auf den Gottesdienst und kirchliche Dinge oder Personen beziehet. Die heilige Kleidung, die Kleidung der Geistlichen bey dem Gottesdienste. Das heilige Feuer, der Rothlauf, die Rose. S. Feuer. 3) Figürlich, in der höhern Schreibart, einen hohen Grad der Ehrerbiethung, der Ehrfurcht, der Andacht einflößend, und in dieser Eigenschaft gegründet. Der heilige[1072] Glanz der Tugend, Gell. Die heilige Stille des Waldes. Ein heiliges Dunkel.


Feyerlich zittert im stummen Gehölz ein heiliges Schrecken,

Zachar.


Sein ehrlich fromm Gesicht, sein heilig graues Haar,

Gell.


Anm. In dem übersetzten Isidor heileg, bey dem Ottfried heilag, bey dem Willeram heilig, im Nieders. hillig, im Angels. halig, halga, im Engl. holy, im Dän. hellig, im Schwed. helig. Es vereiniget die Bedeutungen der beyden Lat. Wörter sacer und sanctus in sich. Die Wortforscher haben sich gleichsam um die Wette bemühet, seltsame und gezwungene Ableitungen dieses Wortes zu erdenken, indem sie bald auf das Griech. ƞλιος die Sonne, bald auf das Hebr. אל, Gott, bald auf das alte Nordische Eld, Feuer, bald auf ἁγιος, bald auf das alte Heit, Reichthum, Kleinod, bald auf noch andere eben so unwahrscheinliche Stämme gefallen sind. Nur wenige sind bey dem Worte Heil, welches sich doch so natürlich darbiethet, stehen geblieben. Heilig kommt vermittelst der Ableitungssylbe -ig, von Heil, wie selig von dem veralteten Sal, Heil, Wohlfahrt. Indessen ist nicht zu läugnen, daß es sich in der zweyten intransitiven Bedeutung, wo es den Begriff der Absonderung sehr deutlich mit sich führet, ganz erträglich von dem Zeitworte hehlen, verdecken, bedecken, würde ableiten lassen; welche Ableitung dadurch einige Wahrscheinlichkeit erhalten könnte, daß im Isidor arcana secretorum durch heilac chiruni übersetzt worden. Kero gebraucht für heilig, so fern es sacer und sanctus bedeutet, beständig wih und wiho, (S. Weihen,) ein Vermuthungsgrund, daß heilig in diesen Bedeutungen zu seiner Zeit noch nicht gangbar gewesen. In der zweyten intransitiven Bedeutung wurden ehedem auch frohn und hehr statt desselben gebraucht; S. diese Wörter.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1071-1073.
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