Vers, der

[1111] Der Vêrs, des -es, plur. die -e, aus dem Latein. Versus. 1. Die Zeile eines Gedichtes. Ein Vers aus dem Horaz. Zwey Verse hersagen. In Versen schreiben, in gebundener Schreibart. Daher dieses Wort im Plural auch zuweilen für das Gedicht selbst gebraucht wird. Verse machen, sowohl ein Gedicht machen, als auch überhaupt ein Poet seyn. Im gemeinen Leben gebraucht man Vers in ähnlichem Verstande und collective. Einen guten, einen fließenden Vers schreiben. Da Vers, so wie Reim, nur die äußere Form eines Gedichtes ausdruckt, so wird es auch in der edlern Schreibart und von vorzüglichen Gedichten nicht gern mehr für das Gedicht selbst gebraucht. Daher die Versart, die Art und Weise, wie die langen und kurzen Sylben in einem Verse abwechseln; die jambische, dactylische, trochäische Versart. 2. Die Strophe eines Gedichtes, im gemeinen Leben, und am häufigsten von Liedern, besonders von Kirchenliedern. Ein Vers aus einem Liede, Gesange. 3 Ein kurzer Absatz in einer prosaischen Schrift, doch nur von solchen Absätzen in der Bibel, wo die Kapitel in Verse getheilet werden, vermuthlich zur Nachahmung der Strophen eines Gedichtes.

[1111] Anm. Dieses Wort ist schon sehr frühe aus dem Latein. Versus entlehnet worden, indem schon Kero Fers und Vers für ein Gedicht gebraucht. Das Latein. Versus stammet von vertere her, vermuthlich, weil nach Endigung einer Strophe die Melodie wieder von vorne anfängt, welches bey dem ersten einfachen Zustande der Poesie und Musik ohne Zweifel auch von den einzelnen Zeilen galt. In den gemeinen Mundarten wird das s mit dem widerwärtigen Zischlaute, Versch, gesprochen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1111-1112.
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