Verwesen (1)

[1178] 1. Verwesen, verb. regul. neutr. welches des Hülfswort seyn erfordert, und eigentlich umkommen, untergehen bedeutet. Der Gottlosen Nahme wird verwesen, Sprichw. 10, 7. In dieser weitern Bedeutung ist es veraltet, indem man es nur noch in engerer gebraucht, durch die Fäulniß aufgelöset, seinen Theilen nach getrennet und zerstreuet werden, in der gemeinen und härtern Schreibart verfaulen. Unser äußerlicher Mensch verweset, 2 Cor. 4, 16. Du wirst nicht zugeben, daß dein Heiliger verwese, Ps. 16, 10. Verwesetes Holz. Die Leinwand ist ganz verweset.


Hoffnungsvoll verwes't die Saat,

Bis zur Zeit der Ärndte,


bey einem der neuern Dichter; wo aber das Zeitwort an der unrechten Stelle steht, indem die Saat in der Erde nicht verweset, sondern entwickelt wird. Daher die Verwesung, der Zustand, da die Theile eines Körpers durch die Fäulniß aufgelöset und zerstreuet werden.

Anm. Im Oberdeutschen gehet dieses Zeitwort irregulär, daher auch Haller singt:


Im stillen Staub von halb verwes'nen Häuten.


Was die Abstammung dieses Wortes betrifft, so findet sich zwar im Schwed. Ißländ, und Angelsächs. ein Zeitwort wisna, visna, veosnan, welches morsch, mürbe werden bedeutet, und eigentlich ein Intensivum ist, welches vermittelst der Endsylbe -nen von einem veralteten Zeitworte wisa, visa, veosan abstammet, welches gar wohl noch in unserm verwesen übrig seyn könnte. Allein, da sich von diesem Worte sonst im Deutschen keine Spur findet, vielmehr noch andere Gründe vorhanden sind, dieses Wort von einem andern Stamme abzuleiten, so muß diese Ableitung zur Zeit noch dahin gestellet bleiben. Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, daß dieses Zeitwort von wesen, seyn, welches noch im Niederd. völlig gangbar, und noch in unserm gewesen und das Wesen vorhanden ist, abstammet. Vermittelst der destruirenden Bedeutung der Partikel ver, bedeutet verwesen, aufhören zu seyn, umkommen, untergehen, welche weitere Bedeutung es ehedem wirklich gehabt hat. Hierzu kommt noch, daß Ottfried und andere alte Oberdeutsche Schriftsteller häufig firwerdan, eigentlich verwerden, für umkommen, untergehen, gebrauchen, Schwed. förvarda, Angels. forweordan. Ja bey dem Notker heißt so gar die Verwesung, Irwartungo und Irwarnissa, die Verwerdung, Verwerdniß, und die Unverweslichkeit, Vnirwartungo, die Unverwerdung. Hieraus erhellet zugleich, daß die Partikel zu dem Verstande des Wortes verwesen wesentlich nothwendig ist, und wie wenig oft unsere neuern Dichter die Natur der Sprache kennen, wenn sie diese Partikeln wegwerfen, und dadurch nachdrücklicher und kernhafter zu schreiben suchen.


[1178] Hier ruht und wes't, Gott seys gedankt,

Mein Weib, das immerdar gezankt u.s.f.


Bey einem sehr bekannten Dichter der neuesten Zeit, wo wesen gerade den entgegen gesetzten Verstand gewähret.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1178-1179.
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