(Das Hochstift) Lüttich

[434] (Das Hochstift) Lüttich, Französisch Liege. Dieses Land, welches in einigen Gegenden ein sehr schönes und fruchtbares Clima hat, durchgängig reich an Naturproducten, vorzüglich Mineralien, ist, und eine überaus thätige und industriöse, dabei aber oft unruhige Nation besitzt, liegt eigentlich in den Niederlanden, und gränzt gegen Morgen an Limburg und Jülich, gegen Abend an Brabant, Namur und Hennegau, gegen Mitternacht an Brabant, und gegen Mittag an Champagne und Luxemburg. Die Größe desselben beträgt 100 Quadratmeilen, und die Bevölkerung 215,000 Menschen. Ungeachtet seiner Lage war indessen Lüttich stets in Verbindung mit dem Deutschen Reiche geblieben; es rechnete sich zum Westphälischen Kreise, und sein Bischof stand in geistlichen Sachen unter dem Erzbischof von Cölln. Im Jahr 1684 drang der damahlige Bischof dem Lande mit Französischer Hülfe eine neue, seine Rechte übertrieben erweiternde Verfassung auf, bei welcher, ungeachtet der Nachgiebigkeit eines seiner Nachfolger, die spätern Bischöfe beharrten. Der vorzüglich in den neuern Zeiten hierüber rege gemachte Unwille des Volks wurde nehmlich durch das Beispiel der ausgebrochenen Revolution in Frankreich zu Thätigkeiten aufgereitzt. Die Einwohner der Hauptstadt Lüttich setzten, durch Einwohner des platten Landes verstärkt, den 16. Aug. 1789 die alten Bürgermeister ab, und nöthigten den Bischof (Constantin Franz, gebornen Grafen von Hoensbroek), eine neue Constitution zu unterschreiben, wozu sich derselbe bereitwillig finden ließ. [434] Allein er entwich nun heimlich nach Trier, protestirte gegen Alles, und wendete sich an das Reichs-Kammergericht. Dieses vernichtete den mit dem Bischof errichteten Vertrag; und als das ganze Land (in welchem der arme Landmann fast ganz für den Adel und die Geistlichkeit arbeiten mußte, welchen die meisten Ländereien gehörten) sich mit der Hauptstadt verband, wurden die kreisausschreibenden Fürsten Westphalens zur Vollstrekkung der Sprüche desselben aufgefordert. Unter diesen schien vorzüglich Preußen sich der Sache annehmen zu wollen, welches auch, zu Folge einer friedlichen Erklärung des nach Lüttich gereisten Preußischen Ministers von Dohm, die Stadt am 23. Nov. 1789 ohne Widerstand besetzte. Da aber das Kammergericht den 4. Nov. d. J. den Auftrag der Execution seines ersten Spruchs wiederhohlte, und eine völlige Unterwerfung der die ihnen entrissenen Rechte wiederfordernden Lütticher unter dem Bischof verlangte; so entzog sich Preußen nach deßhalb entstandenen Mißhelligkeiten der ganzen Angelegenheit, zog seine Truppen zurück (d. 16. April 1790) und schenkte dem unglücklichen Lande die Executionskosten. Nun wurden noch mehrere Fürsten zur Bewirkung der Execution aufgefordert, deren Bemühungen jedoch wenig Erfolg versprachen. Lüttich hatte sich jetzt an den National-Convent in Frankreich gewendet, und von demselben einen Prinzen von Rohan zum Gouverneur bekommen. Noch interessirte sich Preußen für dasselbe auf dem Wahlconvent zu Frankfurt, wo ihnen jedoch harte Bedingungen vorgelegt wurden. Indeß bequemten sie sich den 31. Oct. 1790 zur Unterwerfung, wenn ihnen künftig vom Bischof die freie Wahl der Magistratspersonen gelassen würde. Aber auch dieß mißsiel dem Bischof und den an der Sache Theil nehmenden Churfürsten, Brandenburg ausgenommen. Endlich, nachdem ein Theil der Executionstruppen von ihnen überwältigt worden war, trug das Reichs-Kammergericht dem Burgundischen Kreise eine bewaffnete Vermittelung auf, womit es so schnell ging, daß am 3. Jan. 1791 die Oestreichischen Truppen schon über die Lüttichschen Gränzen rückten, worauf Stadt und Land sich unter Anflehung der kaiserlichen Protection unterwarfen, und der Bischof am 13. Febr. d. J. wieder in seine Residenz einzog. [435] Der Bischof, welcher ein halb Jahr darauf seinem gedemüthigten Volke die despotischsten Gesinnungen zu erkennen gab, starb jedoch schon das folgende Jahr (d. 3. Juni 1792), und an seine Stelle trat Franz Anton Maria Constantin, Graf von Meau und Beaurieux. Da dieser nicht für gut fand, die noch blutenden Wunden seines Volks durch eine zeitige Nachgiebigkeit zu heilen, so benutzten die Lütticher das Glück der Franzosen nach der Schlacht bei Gemappe (vermöge dessen sie alle Oestreichische Niederlande überschwemmten und sich bis Aachen verbreiteten), und stellten die Verfassung ungefähr so wieder her, wie sie in der 1789 gestörten Revolution gewesen war. Nachdem endlich die Franzosen nach der Schlacht bei Fleurns (d. 26. Juni 1794) von neuen die Niederlande in ihre Gewalt bekommen hatten und auch ins Lüttichsche eingerückt waren, so wurde Lüttich nebst dem ganzen Oestreichischen Belgien am 1. Oct. 1795 der Französischen Republik einverleibt. Die Hauptstadt

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 434-436.
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