Das Edict von Nantes

[211] Das Edict von Nantes, durch welches Heinrich IV. von Frankreich seinen alten Glaubensgenossen, den Reformirren, i. J. 1598 die freie Religionsübung und ihre Sicherheitsplatze versicherte, und ihnen mit den Römisch katholischen Staatsbürgern gleiche Burgerrechte gab (man vergleiche die Artikel Bluthochzeit und Heinrich IV.), war eine Zeit lang von den glücklichsten Folgen für die Reformirten und die religiöse Ruhe des Französischen Reichs. Allein schon zu Anfange der folgenden Regierung Ludwigs XIII. bekamen die Reformirten neue nicht ungegründete Besorgnisse, daß man sie wieder unterdrücken wolle; Besorgnisse, welche die Parteisucht zu vergrößern und zu benutzen suchte. Doch erst als ihnen der König ihre Kirchen und die dazu gehörigen Güter in der Landschaft Bearn nahm, ergriffen sie (an der Spitze von Rohan und Soubise), wiewohl ohne Vortheil, die Waffen, worauf ihnen der König 1622 einen Vergleich bewilligte. Es gehörte zu Richelieuʼs Plane, die Reformirten zu demüthigen und dadurch den unruhigen Großen eine Stütze zu benehmen; er benutzte daher die erste Gelegenheit, ihre stärkste Festung Rochelle zu erobern und die Reformirten oder Hugonotten dadurch zu entwaffnen (1629). Doch verfolgte sie Richelieu nicht weiter, und ließ ihnen freie Religionsubung: auch nahmen die Reformirten weiter keinen Antheil an den innern Unruhen in Frankreich, als zum Besten des Königs; und sowohl Ludwig XIII. als sein Nachfolger Ludwig XIV. gab ihnen das Zeugniß, daß sie [211] treue Unterthanen seien. Um desto empörender ist die Grausamkeit, welche der leztere (Ludwig XIV.) an ihnen ausübte, und welche sich i. J. 16851 mit der völligen Aufhebung des Edicts von Nantes endigte. Ludwig XIV. hatte die Absicht, die Reformirten durch alle Mittel zu nöthigen, ihre Religion zu verlasen, aber nicht, wie viel zu glauben scheinen, sie zu vertreiben. Fünf volle Jahre lang – von 1680 – 1685 – war er geschäftig, Millionen ruhiger Unterthanen zu quälen und ihnen ihre Existenz zu verleiden. Schon i. J. 1681 wurde verordnet, Kinder von sieben Jahren als Bekehrte anzunehmen, deren manches durch Zuckerbrot angelockt wurde, zu erklären, daß es katholisch werden wolle. Colbert hinderte indeß bis an seinen Tod (1683) den Ausbruch gewaltthätiger Maßregeln. Als aber Ludwig XIV. nachher gänzlich theils in schändliche, theils in schwache Hände fiel (s. Ludwig VIV. S. 424.), erlaubte er sich die unerhörtesten Gewaltthätigkeiten gegen die Reformirten, legte Dragoner in ihre Häuser; und Louvois schrieb in die Provinzen: »Sr. Majestät will, daß man die äußerste Strenge alle diejenigen empfinden lasse, welche nicht Dero Religion annehmen wollen.« Zu gleicher Zeit ließ er die Gränzen so genau als möglich besetzen, daß sie nicht herausziehen sollten; allein dessen ungeachtet soll Frankreich binnen drei Jahren 50,000 fleißiger, geschickter und zum Theil geldreicher Familien verloren haben, welche man in England, Holland und verschiedenen Deutschen Ländern, vorzüglich in den Brandenburgischen Staaten, mit offenen Armen aufnahm. Tausende von Andern hatten sich bequemt, wenigstens zum Schein katholisch zu werden. Die an den König gesandten Verzeichnisse gaben deren eine so große Anzahl an, daß es Ludwigs Schmeichlern leicht ward, ihn zu überreden, es seien nur wenig Reformirte mehr in Frankreichübrig; und so wurde das Edict von Nantes d. 22. Oct. 1685 ausdrücklich mit Anführung des Grundes aufgehoben, weil der König wenig Unterthanen [212] mehr habe, zu deren Vortheile dasselbe gegeben worden, und es also jetzt ganz überflüssig sei, noch darüber halten zu wollen. – Frankreich verlor hierdurch eben so sehr, als andere Mächte durch Aufnehmung der Französischen Flüchtlinge dabei gewannen.


Fußnoten

1 In dem Art. Ludwig XIV. S. 423. sieht durch einen Druckfehler 1688 Statt 1685.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 211-213.
Lizenz:
Faksimiles:
211 | 212 | 213
Kategorien: