Der Magnetismus

[18] [18] Der Magnetismus, oder der Inbegriff der magnetischen Erscheinungen, wird in den mineralischen und animalischen oder thierischen eingetheilt. Der mineralische bezieht sich auf die Wirkungen, welche der Magnet auf das Eisen hervorbringt (s. den vorigen Artikel); durch den thierischen Magnetismus hingegen wird 1) die Einwirkung des Magnets in den menschlichen Körper verstanden (dessen Möglichkeit sich wohl begreiflich machen läßt, da man das Eisen sowohl in den Säften als in den festen Theilen der Pflanzen und Thiere findet), 2) seit Mesmer überhaupt das Vermögen, vermittelst gewisser Behandlungen des Körpers mit oder ohne Magnet eine feine, alles durchströmende Materie und geheime Kräfte aufzunehmen und mitzutheilen. Schon die alten Aerzte haben den magnetischen Curen eine heilsame Wirkung zugeschrieben; und in dem verflossenen Jahrhundert stellten Paracelsus, Kircher, Flud, Helmont u. a. dergleichen Curen an, wobei sie nicht wenig auf die Einwirkung der Gestirne rechneten. In neuern Zeiten war es vorzüglich Mesmer, ein Arzt in Wien, der die Kräfte des mineralischen und animalischen Magnetismus in der Heilkunde anempfahl und damit großes Aufsehen machte. Mesmer hatte mehrere Curen des berüchtigten Gaßner als Augenzeuge beobachtet, und war gar nicht abgeneigt, auf eine ähnliche Weise sein Glück zu versuchen; er suchte daher die Heilart mit dem Magnet wieder hervor, bekam aber 1776 vom Erzbischof zu Wien die Anweisung die Stadt zu verlassen. Ob er nun gleich in den umliegenden Gegenden, wo er sehr geschätzt und von manchen für einen Wunderthäter oder Heiligen gehalten wurde, sehr gern würde aufgenommen worden sein; so hielt er es doch für rathsamer auf einem größern Schauplatze aufzutreten, und wählte dazu die Stadt Paris. Hier, wo es an abergläubischen Großen, an vornehmen und reichen Müßiggängern und an kränkelnden Frauenzimmern niemahls gefehlt hat, konnte er hoffen eine reiche Ernte zu finden; und er täuschte sich auch nicht. Er errichtete daselbst 1777 ein so genanntes magnetisches Bacquet, d. i. eine von magnetisirten Stahlstäben künstlich zusammengesetzte Maschine, wodurch mehrere Kranke auf einmahl [19] magnetisirt wurden, und erhielt unbeschreiblichen Zulauf. Mesmer wußte sich diesen Beifall, der für seinen Ruhm eben so ehrenvoll als für seine Casse einträglich war, Jahre lang zu erhalten. Als aber zu Ende des Jahres 1784 die medicinische Facultät zu Paris die Nichtigkeit seiner Wissenschaft darthat, und eine königliche Commission, die zur genauern Untersuchung des Geheimnisses zusammenberufen war, ihren Ausspruch bestätigte; so hielt er es für rathsamer, sich etwas zuruck zu ziehen und von seinen reichlich eingesammelten Schätzen in Ruhe zu leben. Deutschland hatte indessen diesen Wunderthäter auch nicht vergessen: man hörte von Zeit zu Zeit die Erzählungen von seinen Curen; und es standen in dem verflossenen Jahrzhent in mehrern großen Städten eine Menge Magnetiseurs auf, die Mesmers Ruhme nachzueifern strebten. Da durch die häufigen Manipulationen – worunter die sanften Berührungen und Reibungen verstanden werden, mit welchen der Magnetiseur seine Operation bei den Kranken eröffnet – und durch die Krisen – die convulsivischen Bewegungen, in die der Kranke verfällt – diese Curmethode verdächtig, und durch die häufige Anwendung derselben bei Frauenzimmern in mancher Rücksicht bedenklich wurde; so erhoben mehrere Gelehrte und andre erfahrne Männer ihre Stimme dagegen, und erklärten sie geradezu für das Hirngespinst einer zerrütteten Phantasie. Die Freunde des Magnetismus wurden jedoch nichts desto weniger immer zahlreicher; in Frankreich wurden in vielen Städten eigne Verbindungen unter dem Namen der harmonischen Gesellschaften zur Verbreitung des Magnetismus errichtet, und man zählte deren im Jahre 1786 schon neun und zwanzig. Der Marquis de Puysegur, ein eifriger Schüler von Mesmer, erhöhte den Magnetismus bis zum Somnambulismus; er berührte die Patienten so lange, bis sie in einen behaglichen Schlaf verfielen, worin sie völlig desorganisirt, d. i. von den Wirkungen der äußern Sinne befreit, wurden. In diesem Zustande der Betäubung machten sie die Redner – Somniloques – und sprachen nicht nur geheimnißvolle Worte aus, welche sich auf ihren eignen Krankheitszustand und die dazu [20] erforderlichen Heilmittel bezogen, sondern sie erforschten auch durch eine ihnen auf unbegreifliche Weise mitgetheilte Gabe zu weißagen – welche in der Kunstsprache das Divinationsvermögen hieß – die Zukunft und die Krankheiten andrer Patienten, und wurden deßwegen Clairvoyans genannt. Die Curmethoden der Schüler von Mesmer waren verschieden: Einige sahen die Kranken eine Zeit lang mit unverwandten Augen an; Andere drückten sie einige Stunden mit den Fingern in die Gegend der Brust oder des Unterleibes; Manche nahmen zur Musik ihre Zuflucht und spielten den schon halb betäubten Kranken etwas auf dem Fortepiano oder der Harmonica vor; letzterer bediente sich Mesmer selbst bei seinen Operationen. Man überzeugt sich sehr leicht, zu welchen Thorheiten und Schwärmereien dieser Magnetismus und Somnambulismus führen mußte. Denn da man schon so weit gekommen war, daß man die Wirkungen einer aufs höchste gespannten Einbildungskraft für Mittheilungen aus dem Geisterreiche hielt; so mußte man auch nothwendig den Somnambulisirten höhere und geheime Kräfte beilegen: sie sollten auf abwesende Personen wirken, mit geschloßnen Augen sehen, große und ihnen fast ganz fremde Unternehmungen ausführen können, einen erhöhtern moralischen Sinn haben u. d. gl. Weil sie sich in dem schlafenden Zustande alles dessen erinnerten, was ihnen ehemahls begegnet war, und mit einer sehr gefälligen Freimüthigkeit ihr Innerstes aufschlossen; so glaubte man, daß eine geheime Kraft in ihnen wirke, welche ihre Thätigkeit verlor, sobald der magnetische Schlaf vorüber war. Manchen Patienten bekam aber die Cur übel; einige verfielen während den Manipulationen in Zuckungen, andere litten dadurch am Verstande. Es erweckte ein ungünstiges Vorurtheil gegen die Magnetiseurs, daß sie ihre Curen hauptsächlich bei Frauenzimmern machten und ihr eignes Geschlecht nur sparsam ihrer Vorsorge würdigten. – Man würde berechtigt sein, den gesammten Magnetismus in das Reich der Träumereien zurück zu weisen, wenn nicht einige erfahrne Aerzte seinen Nutzen in der Heilkunde zu vertheidigen gesucht hätten; und da diese Männer gewiß von aller Schwärmerei entfernt sind, [21] so läßt sich nicht zweifeln, daß nicht ein Zustand, worin die Nerven der Parienten, welche an hysterischen und ähnlichen Krankheiten leiden, auf eine ungewohnliche Art erschüttert werden, heilsame und der Elektricität ähnliche Wirkungen hervorbringen sollte. Nur müssen freilich alle Einflusse von Geistern daraus verbannt und die Wirkungen einer erhitzten und zerrütteten Phantasie nicht für übernaturliche Erscheinungen gehalten werden. Man darf auch hoffen, deß von nun an sich nur einsichtsvolle Männer mit dem Magnetismus beschäftigen werden; denn die Göttin der Mode hat zu lange mit ihm gespielt, und der daraus entstandene Unfug ist zu lebhaft gerügt worden, als daß das Heer der Charlatane und Gaukler welches immer auf etwas Neues bedacht sein muß, sich noch länger damit beschäftigen könnte.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 18-22.
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