Thierischer Magnetismus

[518] Thierischer Magnetismus (Magnetismus animalis, Zoomagnetismus), Naturvorgang zwischen zwei lebenden Individuen, wobei vermöge einer an sich unmerklichen u. unwahrnehmbaren Einwirkung des einen der Organismus u. bes. das Nervensystem des anderen in eine Umstimmung geräth. Am sichersten hat man die Wirkungen des T-n M. bisher bei Menschen wahrgenommen, viele Anhänger desselben behaupten jedoch, daß auch Thiere u. selbst Körper anderer Naturreiche (z.B. Bäume) Theil daran nehmen können. Wenn dieselben Erscheinungen bei manchen Personen auch ohne scheinbares Dazwischenkommen einer zweiten von freien Stücken sich in Folge von Krankheiten zeigen (Autosomnambulismus, Automagnetismus), so mag doch auch hier oft ein solcher Einfluß stattfinden od. leicht übersehen werden. Die Einwirkung ist wohl zumeist psychisch, wenigstens läßt sich von dem Wesen des imponderabeln Agens, auf dessen Wirkung man den T-n M. zurückführen wollte, gar nichts sagen. Überhaupt ist die Erscheinung des T-n M. noch immer von der einen Seite ebensosehr Gegenstand gläubigen Erstaunens, als von der anderen bedenklichen Zweifels wegen so oft in seine Geschichte verflochtener Eigennützigkeit, Verblendung u. wirklichen Betruges. Das thierisch-magnetische Einwirken eines Individuums auf das andere nennt man Magnetisiren (magnetische Manipulation), u. dieses geschieht am gewöhnlichsten durch Anwendung der Hände. Manche beginnen damit, sich mit dem Kranken in Rapport zu setzen, was durch Auflegen der Handflächen auf den Scheitel, die Herzgrube, die Knie, od. auf den leidenden Theil bewirkt wird. Doch gebraucht man den Ausdruck Rapport zwischen Magnetiseur u. Somnambule gewöhnlicher für die durch magnetische Einwirkung u. Entwickelung sich nach u. nach bildende Lebens- u. Seelengemeinschaft der Somnambule mit dem Magnetiseur, wobei sich Letzter bestimmend, jene sich mit dem Bewußtsein des Magnetiseurs verschmelzend verhält. Die Manipulationen können mehrfach abgeändert werden, indem man entweder die ganze innere Fläche der Hand (Palmarmanipulation) gegen die zu magnetisirende Person richtet, od. die ausgespreizten Finger (expandirte Digitalmanipulation), od. pfotenförmig vereinigten Finger (contrahirte Digitalmanipulation, Pugnalmanipulation), od. mehr nur den Daumen allein (Pollicularmanipulation), od. den Rand der Hand (Marginalmanipulation), od. den Rücken der Hand (Dorsalmanipulation), wovon die letztere Weise die schwächste, die Palmarmanipulation die stärkste Einwirkung haben soll. Die Hand wird ferner entweder in unmittelbare Berührung (Contact) mit der zu magnetisirenden Person gebracht u. entweder auf einem Theile ruhen gelassen (sigirt), od. denselben gleichsam knetend (massirend) od. über einzelne Theile od. den ganzen Körper in Strichen wegführend (vagirend) gebraucht, od. wird einige Linien od. Zolle vom Körper entfernt gehalten. Man verfährt dabei bisweilen auch so, daß man mit dem Finger eine Bewegung macht, als wollte man mit einer Flüssigkeit sprengen (Spargiren), od. indem man mit beiden Handtellern gleichsam drückend einwirkt (Comprimiren), od. indem man mit den Händen wie anfächelt, so daß ein gelinder Luftzug entsteht (Ventiliren, Calmiren), was vorzüglich zuletzt geschieht. Für das wirksamste Verfahren hält man das Manipuliren in großen Zügen (Traitement à grands courants), wobei vorzüglich der Daumen gebraucht u. die übrigen Finger seitlich ausgestreckt od. faustartig zusammengeschlagen werden, so daß die Spitzen der aneinandergehaltenen Daumen in die Mitte der Stirn aufgesetzt, dann bis zur Nasenwurzel herab, über die Augenbrauen nach den Schläfen, über die Wangen u. den Hals u. von hier aus in sich mehr annähernder Bewegung über das Brustbein bis zur Herzgrube, sodann über den Leib u. die Beine bis zu den Fußspitzen herabgeleitet werden. Dieses Manöver wird, indem man mit, vom Körper abgewendeten Handflächen zur Stirn zurückkehrt, so oft als nöthig ist, wiederholt. Ist einmal schon somnambüler Zustand eingetreten, so reicht oft schon das Anhauchen der Somnambüle durch den Magnetiseur, das Anblicken, Befehlen od. der sogar nicht lautgewordene Wille, welcher selbst in die Ferne wirken soll, hin ihn wieder zu erzeugen. Die negativen Striche, wodurch der im magnetischen Schlafe Befangene aufgeweckt wird, bestehen in Strichen mit dem Rücken der Hand in entgegengesetzter Richtung. Bei allen diesen verschiedenen Manipulationen wird als unerläßliche Bedingung des Gelingens hingestellt, daß der Magnetiseur keine unreine (geschlechtlichen) Nebengedanken habe, überhaupt körperlich u. geistig möglichst völlig gesund sei, weil, wie man glaubt, körperliche u. geistige Abnormitäten übergetragen werden können. Ersetzend für den Magnetiseur gelten theils von Letzterem getragene Dinge od. von ihm getrennte Theile, wie seine Haare, ferner auch Glas in Platten od. in Flaschen, magnetisirtes Wasser u.a., bes. aber die magnetisirten u. nicht magnetisirten Batterien (Wannen, Baquets). Erstere sind eine Erfindung Mesmers u. dienten diesem nicht nur zum Ersatz der eigenen Manipulation, sondern auch, um eine Menge von Kranken zu gleicher Zeit den Wirkungen des T-n M. unterwerfen zu können. Das Mesmersche Baquet besteht in einem hölzernen, etwa 1 Fuß tiefen Kübel, welcher mit Flaschen mit Wasser, die in bestimmter Ordnung gestellt sind, angefüllt ist u. in deren Zwischenräumen bis zu einer gewissen Höhe sich wieder Wasser, auch Eisenfeile, Hammerschlag, zerstoßenes Glas u.a. Körper befinden, u. welcher zugleich mit einem Deckel versehen ist, durch welchen eiserne Stäbe gehen, die auswärts sich umbiegen, u. von dem an der Wanne sitzenden Kranken mit der einen Hand gefaßt, mit der anderen gerieben werden. In der Mitte der Wanne befindet sich eine Centralflasche, über ihr in dem Deckel ein sie berührender Eisenstab mit hanfener od. wollener Schnur, welche sich der Kranke um den Leib od. die leidenden Theile bindet. Nachdem der Magnetiseur diesen Apparat vorher magnetisch behandelt u. sich mit dem Kranken in Rapport gesetzt hat, erfolgen erfahrungsmäßig häufig dieselben Wirkungen, wie auf die einfache Manipulation bei gewöhnlicher Anwendung des T-n M. Die[518] Einrichtung eines solchen Baquets hat von den späteren Magnetiseurs vielfache Abänderungen erhalten, ohne daß dies auf die dadurch beabsichtigten Wirkungen einen wesentlichen Bezug zu haben scheint. In Deutschland bediente sich vorzüglich Wolfart des Baquets häufig; Kiefer wendete als Material dafür blos Eisen u. Wasser an. Einige Centner des ersten wurden in einem hölzernen Gefäße mit Wasser übergossen; durch den Deckel des Gefäßes gingen Eisenstäbe hindurch, welche als Leiter dienten; sie waren knieförmig gebogen u. wurden mit dem um das Baquet sitzenden Kranken unmittelbar od. mit Schnuren in Verbindung gebracht. Das vorige Magnetisiren des Apparates war bei diesem (siderischen Baquet) unnöthig, eben so wenig die Gegenwart des Magnetiseurs bei der Behandlung erforderlich, dagegen das Streichen der Stangen od. Schnuren des Baquets durch den Kranken selbst, überhaupt aber die Richtung des Geistes auf die Einwirkung des Baquets die Hauptsache. Die Verbindung des Baquets mit der Manipulation schien eher nachtheilig u. störend auf die Entwickelung des T-n M. zu wirken u. gilt als Ursache, daß Mesmer, welcher sich dieses Verfahrens ausschließlich bediente, seine Kranken nicht zum somnambülen Erwachen brachte.

Bei der magnetischen Behandlung wird gänzliche Abgeschiedenheit des magnetischen Kreises von der Außenwelt, Stille u. Ruhe in demselben gefordert; Zuschauer werden nur sehr vorsichtig zugelassen. Der nähere physische Einfluß des T-n M. soll aber abgehalten od. geschwächt werden durch gewisse Dinge, z.B. durch Seide, überhaupt größtentheils durch solche, welche die elektrische Wirkung hemmen, durch andere hingegen schien er verstärkt zu werden, z.B. durch den mineralischen Magnetismus. Durch verschiedene andere Dinge kann die thierisch-magnetische Einwirkung auf mancherlei Weise modificirt u. gestört werden, z.B. durch Metalle u. durch solche lebende Körper, deren Beschaffenheit u. Einfluß mit der Beschaffenheit u. Empfindungsweise des magnetischen Individuums nicht im Einklange sind. Verschiedenheit der Constitution u. des Lebenszustandes, vorzüglich aber ein verschiedener Grad von Kräftigkeit in dem Wirkungsvermögen des Nervensystems gilt als nothwendige Bedingung, wenn ein Individuum auf das andere magnetisch einwirken soll. Das weibliche Geschlecht hat im Allgemeinen wegen der Reizbarkeit seines Nervensystems mehr Anlage in magnetischen Zustand versetzt zu werden, als das männliche, doch hat man ihn auch bei Kindern beobachtet; es kann aber auch (bei umgekehrten Verhältnissen der Nervenkräfte) das Weib einen Mann mit Erfolg magnetisiren, ja selbst ein männliches Individuum das andere. In den meisten Fällen ist eine krankhafte, bes. nervöse u. krampfhafte Disposition des Körpers Bedingung für die Entstehung des T-n M. u. deren Macht so groß, daß sie selbst für sich allein, ohne Mithülfe eines Magnetiseurs, eine besondere Art des Autosomnambulismus, den Krampfsomnambulismus, erzeugen kann. Der Magnetiseur fühlt sich nach der Behandlung eines od. mehrer Magnetisirten gewöhnlich mehr angegriffen u. ermattet, als nach an sich mehr anstrengenden Verrichtungen anderer Art der Fall sein würde. Der Grad dieser Wirkung ist nach der Stärke des einen u. der Empfänglichkeit des anderen Invividuums verschieden. In dem magnetisirten Individuum besteht die Wirkung, wenn sie sich nicht über den untersten Grad (deren die verschiedenen Ärzte mehre annehmen) erhebt, nur in Veränderung des Gemeingefühles u. des Gesundheitszustandes, indem z.B. Schmerzen gestillt, Krämpfe besänftigt werden u. meist auch beim ersten Eindrucke eine eigene Empfindung, ein Kriebeln od. ein leichter Schauer, entsteht. Beschleunigung u. Verstärkung des Pulsschlages, nebst erhöhter eigenthümlicher Wärme des Körpers, worauf aber nach der Behandlung eine erhöhte Empfindlichkeit gegen äußere Kälte zu folgen pflegt, sind die gewöhnlichsten Erscheinungen. Bei stärkerer Wirkung entsteht zunächst ein Ziehen u. Spannen in den Augenlidern mit Unvermögen dieselben gehörig zu öffnen u. zugleich eine durch den Willen schwer zu besiegende Neigung zum Schlafe. Die Sinne sind dabei noch fortwährend thätig, aber mehr betäubt od. krankhaft gereizt. Der Geisteszustand ist aufgeregt od. etwas verwirrt. Die nachbleibende Erinnerung ist gering od. fehlt. Öfter zeigen sich auch Visionen. Die meisten Magnetisirten kommen nicht über diesen Zustand hinaus. Dieser Zustand, theils im Anfange einer Cur, theils bei unvollkommener Behandlung od. Unterbrechung derselben, od. auch am Ende derselben entstehend, heißt der magnetische Hathschlaf u. geht bei fortdauernder Einwirkung schneller od. langsamer in den Magnetischen Schlaf über, in welchem sich gewöhnlich, wenn nicht eine zu große Verstimmung des Organismus dies hindert, ein wohlbehagliches Gefühl des Schlafenden durch besondere Heiterkeit des Antlitzes, womit auch höhere Röthe u. Ausgleichung der Falten durch stärkere Lebensfülle verknüpft zu sein pflegt, deutlich zu erkennen gibt. Meist sind die Augenlider geschlossen, aber auch in einzelnen Fällen, wo sie offen stehen, ist das Auge starr u. die Pupille unbeweglich Der Magnetische Schlaf leitet fast immer die übrigen magnetischen Erscheinungen ein u. beschließt dieselben auch wieder. Seltener treten jene, namentlich das magnetische Erwachen, ohne daß er vorausgegangen ist, ein. Er läuft entweder als solcher ab, od. geht von selbst od. durch fortgesetzten, erweckend wirkenden Einfluß des Magnetiseurs, bei günstiger Empfänglichkeit der behandelten Person, in den Zustand des magnetischen Erwachens (Hellsehens, Clairvoyance) über. In diesem, alle Erscheinungen des Verkehres der Somnambüle mit der Außenwelt u. mit ihrem Inneren selbst umfassenden Zustande fand sich eine enge Beziehung der magnetisirten Personen zum Magnetiseur insofern, als durch dessen Nähe der Schlaf unterhalten, durch seine Entfernung od. die Annäherung von störend einwirkenden Individuen hingegen aufgehoben ward. Das dunkle Bewußtsein des Magnetischen Schlafes geht nur in bestimmte Vorstellungen u. Bestrebungen über, u. es verknüpft sich mit dem Magnetischen Schlafe ein Traumzustand, welcher aber eigenthümlicher Art ist u. Ähnlichkeit mit dem hat, welcher als Folge gewisser krankhafter Verstimmungen bei Personen mit schwachem u. gereiztem Nervensysteme unter dem Namen Somnambulismus sonst zuweilen vorkommt. Der magnetische Somnambulismus zeigt aber die Eigenthümlichkeit, daß bei ihm die auch bei dem Autosomnambulismus nicht fehlende Fähigkeit zum Verkehre mit der Außenwelt durch die Beziehung zu dem Magnetiseur u. den Einfluß desselben modificirt u. zuweilen sehr erhöhet u. vervollkommnet wird. Das magnetisirte[519] Individuum ist mit dem Magnetiseur so genau verbunden u. gleichsam in einem Kreise befangen, daß lebende Individuen, auch leblose Gegenstände erst durch seine Berührung ihm gleichsam entsprechender gemacht, mit ihm in Rapport gesetzt werden müssen, damit dieselben entweder nicht unangenehm u. nachtheilig auf dasselbe wirken od. gewisse Wirkungen überhaupt hervorbringen, indem z.B. eine magnetische Somnambüle die laute Stimme anderer Personen oft nur dann hört, wenn diese den Magnetiseur berührten, obgleich sie die leisesten Töne des Letzteren vernimmt. Die Sinne feiern für die gewöhnlichen Einwirkungen od. nehmen diese höchstens nur sehr unvollkommen wahr, erleiden aber dabei eine wesentliche Umstimmung, so daß sie für Eindrücke, welche vom Magnetiseur od. anderen in engerer Beziehung mit der Somnambüle stehenden Personen od. Gegenständen ausgehen, weit empfindlicher werden. Dabei erleiden zunächst der Gesichtssinn, dann auch das Gehör, der Geruch u. der Geschmack Veränderungen, u. man nennt sie Sinnesversetzungen, wenn die Somnambülen angeblich mit den durch die Haut der Außenwelt zugekehrten Nervenenden überhaupt, theils mit den Fingerspitzen, der Herzgrube etc. empfinden, ja oft mit einem die Kraft des Auges unendlich übersteigenden Ferngefühl od. Fernsehen sich begabt zeigen. Neben dieser Alienation der Sinne spielen dann auch vorzüglich die Visionen, sowohl im Halb-, als Vollschlaf, eine große Rolle in den Phänomenen des T-n M., welche sich in nahe u. weite Ferne erstrecken, so daß manche Somnambülen Mond u. Sterne zu durchreisen glaubten. Gewissermaßen als extremes Wunder der aufgestellten Phänomene des T-n M. wird erzählt, daß manche Somnambülen das Vermögen besessen haben sich entfernten Personen bemerklich zu machen, ihnen Gedanken einzugeben, selbst sichtbar zu erscheinen (Psycheismus). Das magnetisirte Individuum kommt durch den Somnambulismus aus dem Magnetischen Schlafe ebenso wenig heraus, als ein Schlafender durch den Traum aus dem gewöhnlichen Schlafe, u. da jener Zustand ein eigenthümlicher ist, so hat die Somnambüle keine Erinnerung daran im nachherigen Wachen, sondern nur wegen einer gewissen Verwandtschaft beider Zustände, zuweilen einige wie von Träumen. Hingegen ist sie sich ihrer Persönlichkeit u. der damit verknüpften Vorgänge, Wahrnehmungen u. Erfahrungen in dem Somnambulismus bewußt, worauf zunächst die Möglichkeit des darin stattfindenden Nachdenkens u. Urtheilens beruht. Statt daß aber bei dem wachenden Menschen die Empfindungsthätigkeit mehr nach außen gerichtet ist, soll sie in dem magnetischen Schlafzustande zunächst u. im Ganzen mehr nach innen gekehrt werden, u. die magnetischen Somnambülen verriethen große Aufmerksamkeit auf die krankhaften Zustände des Körpers (magnetische Selbstbeschauung). Dieses Wahrnehmen ist jedoch kein eigentliches Sehen, so wie auch kein wahres Fühlen; darauf beruhen die Angaben magnetischer Somnambülen über das, was ihnen heilsam u. schädlich u. zur Beseitigung ihrer Krankheitszustände förderlich sein könnte. Diese somnambulistischen Orakel schreibt man einer Art von erhöhtem u. verfeinertem Instincte zu. Einige Magnetiseurs wollen ihre Somnambülen selbst mit der Kraft andere Personen u. leblose Gegenstände, z.B. versiegelte Briefe, zu durchschauen begabt gefunden haben. Eine religiöse Stimmung ist in der Regel mit diesem Zustand verknüpft u. gewöhnlich auch ein verstärktes, bisweilen auch verderbtes moralisches Gefühl, so wie eine Erhöhung mancher intellectueller Kräfte u. eine Richtung auf das Höhere u. Übersinnliche, welche jedoch leicht in Schwärmerei u. Eitelkeit ausartet. Die prophetische Gabe der Somnambülen, welche über den Verlauf, Ausgang etc. der eigenen Krankheit öfter Überraschendes leistet, hat auch für das Leben außer ihnen bisweilen in Erstaunen gesetzt, aber sich zumeist als Betrug od. Täuschung erwiesen. Die somnambüle Exaltation kann in gewissen Fällen sich auch in das wache Leben hinüber erstrecken u. selbst längere Zeit nach der Cur so fortdauern, wie sich das namentlich bei der Seherin von Prevorst (s.d.) zeigte, wo sich dann aber wegen der Vermischung des Tag- u. Schlafwachens leicht Betrug od. Tänschung einschleicht. Das Eintreten u. Vorhandensein des Somnambulismus od. des Schlafwachens im magnetischen Zustande wird überhaupt Magnetische Krise genannt, weil darin die Angabe der Mittel zur Heilung der Krankheit zu geschehen pflegt. In den nachfolgenden Krisen findet Erinnerung an die vorausgegangenen Statt, aber nicht in den Zwischenzeiten. Zu diesem Zustande gelangen selbst von den Personen, welche nicht ohne Empfänglichkeit für die thierisch-magnetische Einwirkung sind, immer nur einige, weil dazu eine besondere Disposition gehört. Es ist jedoch dieses Schlafwachen durchaus nicht etwas von dem übrigen thierisch- magnetischen Zustande Verschiedenes, denn der Magnetische Schlaf u. die Abhängigkeit der Somnambüle vom Magnetiseur dauern dabei noch immer fort, u. selbst jenes, dem Magnetischen Schlafe eigene Wohlbehagen wird nun von dem Somnambülen durch bestimmte Äußerungen kund gethan. Nach u. nach verlieren die Krisen an Stärke u. Vollkommenheit, od. wenn bloßer Magnetischer Schlaf stattfand, so wird dieser leiser u. dem gewöhnlichen Schlafe ähnlicher; ebenso verliert sich der Halbschlaf, nachdem er zuvor in wirklichen Magnetischen Schlaf übergegangen ist, u. überhaupt hebt der thierisch-magnetische Einfluß zuletzt durch sich selbst seine eigene Wirksamkeit auf. Bis zu diesem Zeitpunkte vergingen meist Monate, auch wohl Viertel- u. halbe Jahre. Selten ist es, daß ein Individuum mehre Jahre hindurch die Disposition behielt in Magnetische Krise zu kommen. Bei einem zu hohen Grade der thierisch-magnetischen Einwirkung entsteht ein nicht gefahrloser Betäubungszustand, der Magnetische Doppelschlaf od. auch der sogenannte Hochschlaf (Magnetische Entzückung, Désorganisation), worin sich die Somnambülen in einem solchen Zustande von Wonne, Entzücken u. Überspannung befinden, daß sie fast alle Empfindung ihres re gungslos daliegenden Körpers verloren zu haben u., der wirklichen Welt entrückt, in himmlischen Gefilden zu schweben scheinen, aber auch oft in dieser Losreißung vom Körper dem Tode nahe zu kommen glauben, od. verrückt zu werden fürchten u. es auch werden können. Nach den magnetischen Curen bleibt fast immer eine höhere od. bessere Seelenstimmung zurück, so wie es selbst schon in den Krisen einem nicht unedlen Gemüthe unmöglich werden soll etwas Unlauteres zu denken od. eine Unwahrheit zu sagen. Man hat die Erscheinungen[520] des T-n M., aber ohne Erfolg, aus einem eignen Nervenfluidum od. durch Analogien mit der Elektricität zu erklären gesucht u. vorzüglich in dem Gangliensystem seine Quelle aufgesucht. Der T. M. ist als Heilmittel zwar vielfach benutzt, aber im Ganzen mehr gemißbraucht worden, so daß damit mehr geschadet wurde, da man, theils aus Neugierde, theils aus Wunderglauben, ihn bis zu seinen höchsten, leicht die Constitution zerrüttenden Graden führte. Gegenwärtig ist man ziemlich allgemein von seiner höchst unsicheren Anwendung abgekommen; früher galt er in Krankheiten von zu schwacher Nerventhätigkeit u. von übermäßiger Reizbarkeit mit Mangel an Energie u. von unregelmäßiger Vertheilung der Nervenkraft, hauptsächlich Krampfkrankheiten der Weiber, bes. in der Entwickelungsperiode, in Unregelmäßigkeiten der Katamenien etc. als bewährtes Heilmittel.

Schon im Alterthum waren die Erscheinungen des T. M. bekannt; so will man Spuren gefunden haben, daß den indischen Braminen der magnetische Einfluß eines menschlichen Organismus auf einen andern Organismus bekannt gewesen sei; die Syrer hatten eine Heilart, welche darin bestand, daß der Arzt die Hand über den Kranken hin- u. herbewegte. Diese Methode soll auch bei Griechen u. Ägyptiern gebräuchlich gewesen sein, u. darauf führten diejenigen, welche die Wunder Jesu natürlich zu erklären versuchten, mehre der Krankenheilungen desselben zurück. Ein merkwürdiges Beispiel von Fernsehen erzählt Gellius (15,18), indem ein Priester zu Padua, Namens Cornelius, in einem erregten Geisteszustande den ganzen Verlauf u. Ausgang der Schlacht bei Pharsalos (9. August 48 v. Chr.) wie gegenwärtig sah u. seiner Umgebung während des Geschehens erzählte, was sich nachher alles bis auf die kleinsten Einzelheiten bewahrheitete. Es wird von ihm ganz bes. gesagt, daß er von edler Geburt, gewissenhaft in seinem Amte u. rein in seinem Leben gewesen sei. Bei den Alchemisten des Mittelalters, Paracelsus, Kircher u. A., finden sich Andeutungen u. Bemerkungen, aus welchen man auf die Kenntniß u. Anwendung der magnetischen Kraft des Menschen schließen kann. Eigens mit dem T. M. beschäftigte sich der Engländer Rob. Foudde in Philosophia mosaica, 1574 (engl. 1659), u. der Jesuit Martin del Rio in Disquisitiones magicae, 1617, 3 Bde. Des Letzteren Schüler Joh Bapt. van Helmont (s.d. 1) brauchte den Namen Magnetismus od. Willensprincip zuerst, u. zwar nahm er ein doppeltes solches Princip im Menschen an, von denen eins seinen Sitz in der Seele, das andere in Fleisch u. Blut habe, letzteres, als Geist des auswärtigen Menschen, habe das Vermögen des Hellsehens u. die Eigenschaft durch große Zwischenräume zu einem bestimmten Gegenstand getragen zu werdenn. durch Influenz auf denselben zu wirken; an sich gleichsam schlafend, werde diese magnetische Kraft von der, durch ein glühendes Verlangen od. auf irgend eine andere, den inneren Drang ersetzende Weise gesteigerten Einbildungskraft geweckt u. aufgeregt. Mesmer (s.d.) in Wien war der erste unter den Neuern, welcher gewisse Regeln für diese Behandlung feststellte; er bediente sich zwar anfänglich eines Magnetes (woher der Name der Erscheinung), allein seit 1773 verwarf er diesen u. wendete vorzüglich das Baquet an (Sendschreiben an einen auswärtigen Arzt über die Magneteur, Wien 1774). Die auffallenden Wirkungen sowohl in Hinsicht der Heilung von Krankheiten, als auch andere an das Wunderbare grenzende Erscheinungen erregten großes Aufsehen, es traten aber auch bald Gegner dieser neuen Methode auf, welche mit allen Waffen des Verstandes u. der Erfahrung gegen den T-n M. sprachen (namentlich Stieglitz, Pfaff etc.), während zugleich eine große Zahl von Gläubigen u. Vertheidigern für den T-n M. schrieben. Während man auf der einen Seite alle thierisch-magnetischen Erscheinungen geradezu abläugnete od. für Betrug od. Täuschung erklärte, wollte man andererseits alle Krankheiten durch das neue Heilmittel curiren; dadurch täuschte man sich u. Andere, u. schlaue Betrüger, bes. Frauenzimmer, welche gern Aufsehen erregen wollten, hintergingen die leichtgläubigen Nachfolger Mesmers häufig u. so auffallend, daß nach u. nach der T. M. eben so sehr in Verruf kam, als er früher für eine wahre Wunderkraft erklärt worden war. In Frankreich, wohin Mesmer von Wien aus ging, fand er Anfangs viel Eingang u. auch fortwährend Anhänger. Eine auf Veranlassung der Regierung von der Akademie der Wissenschaften niedergesetzte. Commission von Ärzten beobachtete 1826–31 verschiedene Fälle der Anwendung des T-n M. u. erklärte schließlich die Wirkungen desselben als mehrfach vom Magnetismus herrührend. Die vorzüglichsten Schüler u. Nachfolger Mesmers waren Graf Chastenet, Marquis u. Graf von Puysegur, von denen der Erstere die Entwickelung des T-n M. zuerst mehr bis zum deutlichen Auftreten des Hellsehens führte, Bergasse, Barbarin, d'Eslon, Caullet de Veaumorel, Villers, Petetin, spätere Deleuze, Rouliller, Teste etc. In Deutschland, wo Anfangs Mesmer wenig Anklang fand, beschäftigten sich zuerst E. Gmelin in Heilbronn damit; dann auf Lavaters Empfehlung die Bremer Ärzte Becker, Olbers u. Wienholt. Später wendete sich ihm vorzüglich auch Wolfart in Berlin, welcher ihn aus Mesmers persönlichen Umgang lernte, u. die Naturphilosophische Schule, bes. Kiefer, Nasse u. Nees von Esenbeck, zu, welche ihn mit einem wissenschaftlichen Glanze zu umgeben suchte. In ein zweites Stadium trat der T. M. in Deutschland seit 1826 durch die sogenannte Seherin von Prevorst u. Iust. Kerner (s. b.), seit welcher Zeit fast alle Geistererscheinungen mit den Zuständen des Magnetischen Schlafes u. Somnambulismus in Verbindung gebracht wurden; dieser Richtung gehörten Schubert, Eschenmayer, Wiener u. A. an. Die eigentlich wissenschaftliche Periode für den T-n M. begann mit von Reichenbach u. Ennemoser (s.d.); in neuester Zeit verhalten sich die wissenschaftlichen Ärzte ziemlich zurückhaltend mit ihren Urtheilen über diese Erscheinung. Außer den Genannten wirkten in Deutschland dafür: Treviranus, Reil, Heineken, Schelling, Kluge, Bartels, Brandis, Schelver, Klein, Runge, Passavant, Breyer u. A. Auch in Italien fand der T. M. Anhänger, z.B. an Baseri (Del magnetismo animale). Nachdem sich in England gegen Ende des 18. Jahrh. Mainaduc, Sibley u. Bell mit dem T-n M. beschäftigt hatten, wurde er erst 1829 von Chevenix wieder angeregt u. 1839 durch Elliotsot eigentlich begründet, u. obgleich Anfangs die Leiter der Universität das Magnetisiren in dem öffentlichen Spital untersagten u. die damit curirenden Ärzte als Charlatane brandmarkten, gewann er doch[521] durch Elliotson u. seine Anhänger Ashburton u. G. Barth bald Ansehen u. Ausbreitung, u. England ist jetzt neben Frankreich die eigentliche Stätte der Magnetisirkunst. Vgl. Kluge, Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus als Heilmittel, Berl. 1811, 3. Aufl. 1819; Stieglitz, Über den T-n M., Hann. 1814; Wolfart, Mesmerismus od. System der Wechselwirkungen, Theorie u. Anwendung des T-n M. etc., Berl. 1814; Pfaff, Über u. gegen den T-n M., Hamb. 1817; Heineken, Ideen u. Beobachtungen den T-n M. u. dessen Anwendung betreffend, Brem. 1800; Wienholt, Heilkraft des T-n M. nach eigenen Beobachtungen, Lemgo 1802–6, 3 Thle.; Kiefer, System des Tellurismus, Lpz. 1821, 2 Thle.; Passavant, Untersuchungen über den Lebensmagnetismus u. das Hellsehen, Frankf. 1817, 2. Aufl. 1837; Carus, Über Lebensmagnetismus u. die magischen Einwirkungen überhaupt, Lpz. 1857; Neuere Beobachtungen im Gebiete des Somnambulismus (an einem Albmädchen) in den Jahren 1832–33, Stuttg. 1834; H. Schmidt, Zwei Fälle von Autosomnambulen, Weim. 1837; B. Görwitz, Richards natürlicher magnetischer Schlaf, Lpz. 1837; M. Wiener, Selma, die jüdische Seherin, Berl. 1838; Siglen, Nachrichten von dem somnambulischen Zustande der neunzehnjährigen Tochter des C. Gaier, Stuttg. 1837 f., 3 Bde.; L. von S., Fingerzeige Gottes in göttlicher Offenbarung für einer Somnambule himmlisches u. irdisches Heil, Weim. 1838; Oberlin (ein Visionär), Über den Zustand der Seele nach dem Tode, Lpz. 1837; vgl. auch Ögger, Rapports inattendus établis entre le monde matériel et le monde spirituel, deutsch von Hofacker, Tüb. 1834. Gegenschriften: Das verschleierte Bild zu Sais, Lpz. 1830; Blasche, Kritik des modernen Geisterglaubens, Gotha 1830; Kiefer, Singularis dementiae species in femina daemonica wirtemberg. illustratur, Jena 1830; Kuno Graf von Rantzau, Briefe über die Geschichten Besessener neuerer Zeit, Heidelb. 1836; Wirth, Theorie des Somnambulismus, Stuttg. 1836; Fischer, Der Somnambulismus, Bas. 1839, 3 Bde.; Iust. Kerner, Nachrichten von dem Vorkommen des Besessenseins u. seiner schon im Alterthum bekannten Heilung durch magisch-magnetisches Einwirken, Stuttg. 1837; Haddock, Somnambulismus u. Psycheismus, Lpz. 1852; Szapary, Handbuch der Magnetotherapie, aus dem Französischen, Berl. 1855. Zeitschriften: Wolfart, Asklepieion, Berl. 1811–21; Annales du magnétisme animal, herausgegeben von den Mitgliedern der Société du Magnétisme animale, 1._– 8. Bd., Par. 1817–19; Archiv für den T-n M., Sphinx od. Neues Archiv für T-n M., herausgegeben von von Eschenmayer, Kiefer, Nasse u. später von Nees von Esenbeck, Lpz. 1817–24, 12 Bde.; Iust. Kerner, Blätter aus Prevorst, 1831–38,10 Hefte.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 518-522.
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