Der Sultan

[455] Der Sultan, ein Arabisches Wort, bedeutet einen mächtigen Landesherrn, und ist der Titel mehrerer Orientalischen Monarchen, besonders aber der Regenten des Türkischen Reichs, die man auch Großsultane, [455] Großherren, und wegen der Besitznehmung von dem ehemahligen Griechisch-Römischen Kaiserthum Kaiser zu benennen pflegt. Die Türken nennen den Sultan gewöhnlich Padischah, d. h. einen das Uebel verscheuchenden Herrscher, auch Schah, d. i. König, Herr: sein völliger Titel aber ist sehr schwülstig, und zu lang, als daß er hier angeführt werden könnte (am richtigsten findet man ihn in Lüdekens Beschreibung des Turk. Reichs, Th. 1, S. 272–74). Er wird aus dem Geschlecht Osmans, des ersten Sultans aus dem jetzt regierenden Türkischen Hause († 1326), vom Großvezier, Mufti, Janitscharen-Aga und den vornehmsten Reichsbeamten gewählt, und gewöhnlich nimmt man den ältesten Prinzen des verstorbenen Sultans dazu, wenn er das gehörige Alter hat. Nach der Wahl wird er in der prächtigen Ejubsmoschee zu Constantinopel mit einem Schwerdt umgürtet (dieser Gebrauch vertritt die Stelle der Kronung), und er schwört hier, daß er die Gesetze und Religion Muhameds schützen wolle. – Die Pracht, die seinen Thron umgiebt, ist außerordentlich, und sein Hofstaat besteht aus 8 bis 10,000 Personen: das Volk erzeigt ihm fast göttliche Verehrung; Niemand, als die Vornehmsten des Reichs, darf ihn ohne ganz besondere Erlaubniß sprechen, und wem ja diese Ehre vergönnt wird, der muß sich ihm mit niedergeschlagenem Blick und kreuzweis gefalteten Armen demüthigst nähern. Er betrachtet sich als Stellvertreter Muhameds, und nennt sich Chalif, maßt sich daher eine völlig despotische Herrschaft an, und regiert ganz nach Willkühr; allein seine Gewalt erstreckt sich blos auf weltliche Dinge, in geistlichen kann er nicht die geringste Aenderung vornehmen. Ueberhaupt genommen ist er von der Clerisei, so wie vom Großvezier, ganz abhängig, und kann auch bei weitem nicht mehr so viel als ehedem durch die Janitscharen ausrichten: ja er muß sich selbst freigebig und gütig gegen sie bezeigen; denn wenn sich Janitscharen und Geistlichkeit gegen ihn vereinigt haben, so ist es gewöhnlich um ihn geschehen, und er muß sich dann noch glücklich schätzen, wenn er dem Tode entgeht und lebenslängliches Gefängniß erhält. Seine Einkünfte sind unermeßlich, und wegen der ungeheuern Geschenke, die er von seinen Paschaʼs und dem Volke erhält, gar nicht zu berechnen. [456] Die Bedrückung, die er seinen Unterthanen widerfahren läßt, kennt keine Gränzen. Selten haben sich Sultane als große Männer gezeigt: denn fast alle sind im Serail auf die elendeste Art erzogen worden, und nichts ist gewöhnlicher, als daß sie dann in der angewöhnten Trägheit fortfahren, und alle Geschäfte dem Großvezier und dem Divan überlassen, der überhaupt nur in den wichtigsten Angelegenheiten des Sultans Einwilligung oder Befehle einholt, sich aber dennoch, da derselbe aus einem verborgenen Cabinet alles hören kann, was im Divan vorgeht, vor Ungerechtigkeiten sehr hüten muß.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 455-457.
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