[382] Die Emigranten, a. d. Lat. so nennt man alle diejenigen, welch ihr Vaterland freiwillig verlassen, im Gegensatze von Exsulanten, worunter solche verstanden werden, die aus irgend einer Ursache aus dem Lande vertrieben worden sind. Die Geschichte liefert zahlreiche Beispiele von Emigrationen, unter welchen in neuern Zeiten die durch Religionsverfolgung bewirkte Auswanderung der Hugenotten aus Frankreich (1685) und der Protestanten aus dem Erzbisthum Salzburg (1731) besonders merkwürdig geworden sind. Jedoch hat eine ungleich zahlreichere Emigration, welche die Geschichte unserer Tage aufstellt, das Andenken an jene älteren Begebenheiten um ein merkliches verdrängt [382] Alle Lande Europens sehen jetzt mehr oder weniger Französische Ausgewanderte in ihrer Mitte, welche, von den nothwendigsten Lebensbedürfnissen entblößt, Nahrung und einen sichern Zufluchtsort suchen. Die öffentliche Meinung hat sich beinahe überall gegen sie erklärt; und die Anzahl der Länder und Ortschaften, worin man sie duldet, verringert sich immer mehr und mehr. Freilich kann nicht geläugnet werden, daß das Betragen der Meisten so beschaffen war, daß man sie überall verabscheuen mußte; dessen ungeachtet giebt es aber auch unter ihnen Männer von ausgezeichneten Talenten und erprobter Rechtschaffenheit, welche alle Achtung verdienen, und Unglückliche, welche ihr Vaterland unter dem Schrekkensregiment des Robespierre verließen, und desto gegründetere Ansprüche auf unser Mitleiden haben, je weniger Aussichten ihnen übrig blieben, in ihrem Vaterlande glücklich zu leben. Man kann daher die Ausgewanderten in mehrere Classen abtheilen, und Ur-Emigranten, constitutionelle Emigranten und Flüchtlinge unterscheiden. – Unter den Ur-Emigranten versteht man denjenigen Theil des Hof- und Landadels und der Geistlichkeit, welcher aus Unzufriedenheit mit der neuen Ordnung der Dinge Frankreich (vorzüglich in den Jahren 1789. 1790 und 1791) verließ, um, unter der Anführung der Französischen Prinzen (oder der Prinzen von Geblüt, wie sich diese Herren genannt wissen wollten) Provence, Artois und Condé, als unerbittliche Sieger wieder zurückzukehren, und den ehemaligen Despotismus mit gewaffneter Hand wieder einzuführen. Man versammelte sich vorzüglich in den Rheingegenden, wollte eine Ritterarmee organisiren, in dem Innern Frankreichs alles mit Feuer und Schwert verheeren, und jede Neuerung bis auf die kleinste Spur vertilgen. Die königlichen Prinzen hatten bestimmte Rollen unter sich vertheilt, Graf Provence und Artois machten den eigentlichen Hof aus, und Prinz Condé war Oberbefehlshaber der Truppen. In Coblenz hatte sich ein eigener Gerichtshof gebildet, der die Justizsachen des so genannten auswärtigen Frankreichs entschied, und seine Gerichtsbarkeit sogar auf Deutsche Unterthanen ausdehnen wollte. Man schmiedete am Hofe der Prinzen eben solche Cabalen, wie ehedem in Versailles, und verpraßte die aus Frankreich [383] mitgenommenen Summen auf die unverantwortlichste Weise. Die ausgerüstete Armee gewährte einen sehr abenteuerlichen Anblick, weil die Chevaliers die Geheimnisse der Toilette mit dem Costüme der alten Ritter vereinigen wollten. Reiter und Pferde waren nicht an den Schuß gewöhnt, deßwegen zerstreute sich einst ein Detaschement dieser Krieger, als in der Nähe eine Flinte abgedrückt wurde. – Ungeachtet dieses gänzlichen Mangels an militärischen Eigenschaften machten diese Herren doch Anspruch auf Ehrenbezeigungen jeder Art, und behandelten jedermann mit empfindlichem Stolze und wegwerfender Kälte. Prinz Condé beehrte einst die Deutschen mit dem Nahmen Lumpengesindel (canaille allemande) und Artois fand fürstliche Tafeln für seinen lüsternen Gaumen zu schlecht besetzt. Diesem Unwesen, welches mit jedem Tage höher stieg, mußte endlich mit Gewalt ein Ende gemacht werden, und in einzelnen Landen erging deßhalb schon zu Ende des Sommers 1792 der Befehl, keinen Emigranten länger zu dulden. Das äußerst schlechte Benehmen ihrer Armee bei den Heeren der Alliirten brachte die ganze Classe vollends in äußersten Mißeredit. Der zahlreichste Theil mußte nun in der Irre umher wandeln und von den traurigen Trümmern seines ehemaligen Reichthums leben; Graf Provence läßt sich noch jetzt Ludwig XVIII. nennen, und wird sich erst dann im königlichen Glanze zeigen, wenn er dem Vaterlande nützlich sein kann; bis jetzt hat er in Manifesten regiert. Graf Artois lebt mit Erlaubniß des Königs von England in Schottland; und Prinz Condé ist der Anführer des noch übrigen Emigrantencorps, das in kaiserlichem Solde steht. – Nicht so zahlreich, aber weit schätzbarer, ist die Classe der so genannten constitutionellen Emigranten, die ihr Vaterland größten Theils als Märtyrer der Constitution von 1791 nach dem Umsturze des Königthums verließen. Zu dieser gehören, Malouet, die beiden Lameths, Lafayette und viele andere ehemalige Feuillants. Diese Männer würden, vermöge der ausgezeichneten Talente, welche die meisten von ihnen besitzen, der zahlreichen Classe der Ur-Emigranten vielleicht im Anfange des Kriegs sehr nützlich gewesen sein, wenn diese es über sich vermocht hätten, ihre Rathschläge anzunehmen. Aber ihr unerträglicher Stolz und beispiellose Verblendung ging so weit, daß sie [384] von einer gemäßigten Monarchie schlechterdings nichts wissen wollten, und daher die vorzüglichsten Urheber der Constitution von 1791 noch ärger, als die eigentlich so genannten Patrioten verabscheuten. Die ausgewanderten Constitutions- Freunde zogen sich daher im Auslande in die Einsamkeit zurück, einige erhielten ihr Andenken durch schriftstellerische Arbeiten, andere gingen nach Amerika, und nur wenige gesellten sich zu der abenteuerlichen Emigrantenarmee der Französischen Prinzen. – Eine dritte nicht minder zahlreiche Classe von Emigranten machen die vielen Flüchtlinge aus, welche Frankreich während der Tyrannei des Robespierre verließen, um den Mordbeile der Guillotine zu entgehen. Hieher gehören vorzüglich die Unglücklichen, welche bei den Drangsalen in Lyon und Toulon nach der Schweiz und Italien flüchteten. Unter ihnen sah man Menschen jedes Alters und Standes, welche den schrecklichsten Mangel litten, weil die Geschwindigkeit, mit welcher ihre Flucht beschleunigt werden mußte, sie verhindert hatte, sich mit den nothwendigsten Lebensbedürfnissen zu versehen. Sie hatten jedoch das Glück vor ihren übrigen Unglücks-Gefährten voraus, daß sie zuerst von ihren Drangsalen befreit wurden, indem nach dem Umsturze des Schrekkenssystems beinahe allen erlaubt wurde, in ihr Vaterland zurück zu kehren. Einige Freunde der andern Emigrantenclassen wollten diese Erlaubniß weiter ausdehnen, und dadurch auch den übrigen Emigranten den Eingang in ihr Vaterland öffnen; aber ihre Absichten wurden gänzlich vereitelt, und die strengen Gesetze, welche in den frühern Perioden der Revolution gegen die Ausgewanderten gegeben worden waren, blieben in voller Kraft. Man befahl denen, die sich wieder eingeschlichen hatten, das Land von neuen zu räumen, und fuhr in dem Verkauf der ihnen angehörigen Güter fort. Ihre zurück gelassenen Verwandten konnten nur mit Mühe einige Erleichterung ihres Schicksals erhalten. Wer mit den Waffen in der Hand auf Französischem Gebiet betroffen wurde, mußte ohne Bedingung sterben, und die unglückliche Emigranten-Expedition auf Quiberon (im Juli 1795) kostete einer großen Menge Gefangener das Leben. Selbst gegen die ehemahligen Constitutionsfreunde verfuhr man nicht gelinder, und Marchena und Röderer bemühten sich in ihren Schriften umsonst, ein günstiges Loos für sie zu erkämpfen. Vielleicht kann aber der allgemeine Friede, und die Rückkehr einer voll [385] kommnen Ruhe im Innern von Frankreich ihrem Schicksal noch eine günstige Wendung geben. Trüber sind die Aussichten der Ur-Emigranten, und beinahe scheint es, als wären sie dazu bestimmt, ihre ehemahligen Thorheiten durch ein beständiges Umherschweifen zu verbüßen.