[103] Die Gironde, ist der Name einer Partei, welche in der Französischen Revolution anfänglich eine sehr glänzende Rolle spielte, zuletzt aber ihre Häupter durch die hämische Jacobinerrotte auf der Guillotine verlor. [103] In der zweiten sehr übel organisirten National-Versammlung zeichneten sich unter einer Menge von ganz untauglichen oder unmoralischen Mitgliedern die Deputirten des Departements der Gironde sehr vortheilhaft aus, und gewannen bald durch gründliche Kenntnisse und einnehmende Beredsamkeit, welche man an ihnen bewunderte, ein bedeutendes Uebergewicht in der Versammlung. Gensonneʼ, Guadet und Vergniand waren unter diesen Männern die berühmtesten. Da sie die wahre Lage der Dinge in Paris als Fremde nicht ganz kennen konnten, so schlossen sie sich bald an Brissot und seine Anhänger an, und gewannen ein Jahr später (1792) durch die Partei des Minister Roland einen neuen Zuwachs. Der gesammte Anhang dieser Männer machte nun die Majorität in der Versammlung und dem nachherigen Convente aus, und hatte die Zügel der Regierung in den Händen, die er einem Robespierre, Danton, Marat und Andern nie hätte überlassen sollen, und auch wohl nie überlassen haben würde, wenn man voraus gesehen hätte, daß bei einer so gewaltsamen Revolution, wie die Französische, mit gewöhnlicher Klugheit nichts ausgerichtet werden könne. Die Girondisten traten zu einer Zeit auf den Schauplatz, da die Hofpartei immer noch mächtig genug war, einen entscheidenden Streich gegen das Volk auszuführen. Sie wollten das Glück des letztern, und machten daher im Anfange gemeine Sache mit den Jacobinern, unbekümmert um die nachtheiligen Folgen, welche eine Verbindung mit diesem losen Gesindel unausbleiblich nach sich ziehen mußte. Brissot und Vergniand nebst den übrigen Anhängern dieser Partei besuchten häufig den Jacobinerclub, und glänzten daselbst mit ihren Rednertalenten. Den Häuptern der Jacobiner mußte, ehe sie sich selbst stark genug fühlten, allein zu handeln, die Gemeinschaft mit diesen Männern, die wegen ihrer Gelehrsamkeit und Kenntnisse aller Art hoch über sie erhaben waren, äußerst willkommen sein. Man vertrug sich also brüderlich, und proclamirte nach dem Umsturze der Monarchie (den 10. Aug. 1792) mit schwärmerischem Enthusiasmus die Republik (den 21. Sept.). Alle Parteien schienen nun auf einmahl befriedigt; aber zum Unglück gab dieser Zeitpunkt das Signal zu gefährlichen Spaltungen, [104] welche nur ein bürgerlicher Krieg zu endigen drohte. Beide Parteien, Girondisten und Jacobiner, standen gegen einander, und würden gewiß gleich damahls hart an einander gekommen sein, wenn sie nicht das gemeinschaftliche Interesse an dem noch unbestimmten Schicksal des unglücklichen Königs einiger Maßen zusammen gehalten hätte. Die Girondisten wollten die Regierung der Republik auf einen festen Punkt bringen und die Verwaltung wo möglich selbst übernehmen: die Jacobiner hingegen wünschten alles erst recht zu verwirren, um sich ansehnlich zu bereichern, und dann dem Volke ein Schattenbild einer reinen Demokratie aufzudringen. Das Ministerium war zwar nach dem Sturze des Königthums meisten Theils mit Girondisten besetzt; allein sie waren damahls schon so ohnmächtig, daß Roland, der Minister des Innern, die empörenden Mordthaten in den ersten Tagen des Septembers 1792 nicht zu mißbilligen noch weniger zu verhindern wagte. Am 3. Sept. sprach er die merkwürgen Worte im Convent: »hier fut un jour fur les evenemens duquel il faut peut-être laisser un voile« (es ist rathsam, die Unthaten des gestrigen Tages hinter einem Schleier zu verbergen), und legte damit ein aufrichtiges Geständniß der Schwäche seiner Partei ab, welche nicht einmal Macht genug hatte, einen Haufen Mörder zu bändigen, und doch Frankreich regieren wollte. Ungeachtet der Menge von Broschüren, womit eben dieser Roland den Gemeingeist der Pariser zu verbessern und zu bilden hoffte, und ungeachtet der politischen Vorlesungen, welche seine schöne Frau (die Dumouriez sonderbar genugle point central du parti de la Gironde nannte) den Freunden ihres Mannes bei freundschaftlichen Gastmählern zu halten pflegte, wollte dennoch das Ansehen der Girondisten nicht steigen. Man verlor die Zeit mit Deliberationen, wo es darauf ankam, einen raschen Entschluß zu fassen, und legte gewöhnlich erst dann Hand an das Werk, wenn die Jacobiner den Streich schon ausgeführt hatten. Bei dem Prozesse des Königs suchten die Girondisten, bei der Unmöglichkeit ihn völlig zu retten, es wenigstens so weit zu bringen, daß der Ausspruch ans Volk gebracht würde, und erhielten deßwegen den Namen der Appellanten. Allein sie richteten bekanntlich damit nichts [105] aus, sondern erbitterten ihre Feinde, die Jacobiner, dadurch nur noch mehr. Ein Aufstand sollte sie am 10. März 1793 schon völlig verdrängen: allein er mißglückte, und die Jacobiner müßten den Triumph über ihre unglücklichen Gegner bis zum 31. Mai verschieben. Dieser Tag bereitete der Gironde den völligen Sturz. Die meisten ihrer Mitglieder wurden eingekerkert, andere kamen auf der Flucht ums Leben, und nur wenigen glückte es, in verschiedenen Schlupfwinkeln den spähenden Augen ihrer Feinde zu entgehen. Einige hofften Hülfe von ihren Departements; allein sie blieb aus, und niemand wollte die Geächteten unterstützen. Robespierre und seine Genossen säumten nicht, die Eingekerkerten aufs Blutgerüste zu bringen. Man beschuldigte sie gefährlicher Einverständnisse mit den Feinden der Republik und geheimer Verschwörungen zur Wiederherstellung der Monarchie. Am 31. Oct. 1793 mußten Brissot und zwanzig andere seiner Anhänger die Guillotine besteigen. Sie opferten alle ihr Leben mit der größten Standhaftigkeit auf, und zeigten durch die Ruhe und Heiterkeit, mit der sie starben, daß sie dieß harte Schicksal nicht verdient hatten. Mit den Jacobinern verglichen erscheinen sie immer in einem schönen Lichte; allein Helden einer strengen Tugend, Männer von völlig bewährter Rechtschaffenheit und aufrichtiger Freiheitsliebe waren sie wenigstens nicht alle. Zur Führung der Staatsgeschäfte taugten die wenigsten, weil die größte Anzahl unter ihnen aus Advocaten, Gelehrten und Kaufleuten bestand, welche über Staatsverfassung viel raisounirten, und auch wohl blendende politische Systeme auf ihren Studirzimmern ausbildeten, aber allemahl in Verlegenheit geriethen, wenn es aufs wirkliche Handeln ankam. – Wir wollen noch kürzlich die merkwürdigsten Anhänger der Gironde der Uebersicht wegen namentlich aufführen. Es waren: Brissot, Barbaroux, Büzot, Carra, Condorcet, Dücos, Doulcet, Fonfrede, Fauchet, Gensonne, Guadet, Isnard, Louvet, Lanjuinais, Lepaut, Lesage, Petion, Rabaut St. Etienne, Sillery, Vergniand und Valaze. Unter ihnen sind Doulcet, Isnard, Louvet, Lepaut, Lesage und Lanjuinais die einzigen, welche durch ein Decret vom 9. März 1795 in den Schooß des Conpents [106] zurück gerufen wurden, nachdem vorher die nicht geringe Anzahl der Deputirten, welche gegen den Sturz der Girondisten am 31. Mai 1793 protestirt hatten, wieder aufgenommen war. Auch bekamen sie bei der Einführung der neuen Constitution in den beiden Räthen Stellen als Gesetzgeber.
Brockhaus-1809: Die Gironde