Die Kosaken

[323] Die Kosaken, eine kriegerische Nation an Rußlands mittägigen Gränzen, in der Nachbarschaft des südlichen Pohlens, der kleinen Tartarei, so wie der Asiatischen und Europäischen Türkei, die ihren Namen wahrscheinlich vom Tartarischen Worte Kasak haben, welches einen herumstreifenden, leicht bewaffneten und für Andere dienenden Krieger bezeichnet. Ihr Ursprung ist sehr in Dunkel eingehüllt; und um die Geschichte derselben darzustellen, muß man ihre verschiedenen Classen unterscheiden. Man findet nehmlich unter ihnen zwei Hauptstämme: 1) die Malorossiskischen Kosaken (Kleinreussen, Ukrainer) d. h. die Kosaken, die in Klein-Rußland, oder der Ukraine (d. h. das Gränzland), einem äußerst fruchtbaren und großen Landstriche an den Gränzen des südlichen Pohlens und der kleinen Tartarei, welche jetzt in vier Statthalterschaften getheilt ist, wohnen. Sie bilden den vorzüglichsten Kosakischen Stamm, und sind aller Wahrscheinlichkeit nach Russischen Ursprungs. Sie zogen sich im 14. Jahrhundert aus Furcht vor den Pohlnischen Eroberungen ihrer Sicherheit wegen in jenes vortreffliche Land hinab, stifteten daselbst einen besondern Staat, und unterrnahmen gegen die Türken und Tataren unaufhörliche Streifzüge. Pohlen nahm sie daher in Schutz, begünstigte sie sehr, und bediente sich ihrer als Vormauer gegen eben diese Völker mit dem glücklichsten Erfolg. Da es aber viele ihrer Freiheiten beschränkte, begaben sie sich im J. 1654 nach langen und blutigen Kriegen in Russischen Schutz, unter dem sie noch jetzt als ein eigner Staat stehen, ob sie schon durch Peter I. (unter dessen Regierung ihr damahliger Hettmann Mazeppa zu Carl XII. überging, woran jedoch nicht die ganze Nation Theil nahm) und Catharina II. vieler Rechte verlustig gemacht worden sind, und nachher schon gewisser Maßen als Unterthanen betrachtet werden können. – Mit diesen Kosaken waren die Saporogischen vereinigt; die zügelloseste und uncultivirteste Classe der Kosaken, welche bei den Pohlen Haydamacken heißen. Doch sind diese größten Theils sehr zur Ruhe und bürgerlichen Ordnung gebracht worden, indem Catharina II. i. J. [323] 1775 ihre ganze Verfassung aufhob. 2) Die Donischen Kosaken, welche größten Theils von den Tartaren abstammen, weit später als die erstern vorkommen und am Donstrom wohnen. Zu ihnen gehören noch als Nebenstämme: die Terkischen oder Grebenskischen am Flusse Terek; die Jaikischen oder Uralsischen am Flusse Jaik, jetzt Ural; die Sibirischen und die Wolgischen, welche zum Theil in Asien wohnen. Alle diese weitläuftigen Völkerschaften begaben sich nach und nach unter Russischen Schutz oder wurden von Rußland unterjocht. – Die Hauptbestimmung des Volks ist der Krieg, zu welchem sie daher beständig gerüstet sein müssen; und ihnen liegt es ob, nicht nur Türken, Tartaren und andere Rationen von den Gränzen abzuhalten, sondern auch gegen entlegene Feinde (wie im siebenjährigen Kriege gegen Preußen) zu ziehen. Sie bekommen daher jährlich 12 Rubel als Sold, nebst Pulver, Blei und Fourage für 2 Pferde, müssen sich aber, weil sie ohnehin viele Vorrechte haben, außerdem selbst in Kleidung (welche willkührlich, jetzt aber gewöhnlich grau und sehr schlecht ist) so wie in Nahrung erhalten, zwei Pferde in den Krieg mitnehmen und für ihre Waffen sorgen. Diese bestehen in einer 10 bis 12 Fuß langen Pike, einem krummen Säbel und einem Feuergewehr, dessen Wahl gleichfalls willkührlich ist. Jeder Kosakenstamm hat einen Hettmann, d. h. einen Anführer im Kriege und Regenten des Landes (welche Stelle bei den Malorossen, nachdem sie vorher schon eine Zeit lang unbesetzt geblieben war, Catharina II. i. J. 1764 abermahls aufhob, indem das Kleinrussische Gouvernement Statt der Kosaken-Hettmannschaft errichtet, im J. 1775 aber mit jener verbunden wurde), und ist in Pulki oder Regimenter, diese aber wieder in Sotnen oder Compagnien eingetheilt. Ihre Art Krieg zu führen besteht großen Theils in Rauben und Plündern und schnellen, wiederhohlten Augriffen mit fürchterlichem Geschrei und ohne Ordnung, wobei sie sich anfänglich mit den vorgestreckten Piken, dann mit den Säbeln und Feuergewehren vertheidigen. Gegen die Ueberwundenen so wie gegen die Einwohner des feindlichen Landes sind sie grausam und unerbittlich. Sie leisten der Krone als leichte fliegende Heere sehr [324] viel Nutzen, sind außerordentlich schnell und wohlfeil zu erhalten, und sollen sich allein an waffenfähigen Männern auf mehr als 600,000 Mann belaufen, von denen 54,000 im Solde sind; eine ungeheure und schreckliche Macht, wenn sie gehörig disciplinirt wäre. Artillerie und Feldmusik haben sie gar nicht, und können gegen regulaire Truppen nur durch ihre Ueberlegenheit etwas ausrichten. Die Religion der Kosaken ist die Griechische. Ihre Lebensart ist, die Neigung zum Trunk ausgenommen, ziemlich mäßig, und nur in den Hauptstädten, z. B. Kiew, etwas luxuriös. Ausschweifungen in der Liebe und Diebstahl unter einander selbst werden sehr hart bestraft. An Industrie mangelt es ganz, und man treibt außer dem Kriege bloß Viehzucht und etwas Ackerbau; überhaupt ist aber die Hanswirthschaft gänzlich den Weibern überlassen. In Künsten und Wissenschaften stehen sie auf einer sehr niedrigen Stufe. Sie haben gar keinen Erbadel, sind einander ganz gleich und nennen sich Brüder. Da übrigens die Kosaken keine eigentlichen Unterthanen, sondern vielmehr besoldete Dienstleute und Schutzverwandte des Russischen Reichs sind, so genießen sie vor allen andern Russen gewisse Vorrechte; denn sie sind frei von Kopfgelde, Landgrundsteuer und Leibeigenschaft (welche alle außerdem allgemein sind), regieren sich selbst durch ihren Hettmann nach eignen Gesetzen und Gewohnheiten, und haben in den meisten Gegenden freie Jagd, Fischerei, Branntwein-Brennerei und andre Rechte, die ehedem noch weit ansehnlicher waren, ehe die Russischen Regenten, besonders Catharina II. sie zu civilisiren, aber auch zugleich ohnmächtiger zu machen anfingen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 323-325.
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