[521] Kosaken (russ. Kasák, Mehrzahl Kasakí), früher selbständige, jetzt der Regierung unterworfene, vorzugsweise militärisch organisierte Völkerschaften im russischen Reich. Das Wort ist türkisch-tatarischen Ursprungs und bedeutet im Türkischen einen Straßenräuber, tatarisch einen freien Krieger. Schon Ende des 14. Jahrh. wanderten mit den moskowitischen Verhältnissen unzufriedene Elemente aus und bildeten, durch die Nachbarschaft der Tataren zu hoher Wehrkraft gelangt, den Stamm der Kosakenheere. Ende des 16. Jahrh. existieren: Don-, Greben-, Terek-, Wolga- und Jaik-Heer. Die Donkosaken, ihrer Zahl und räuberischen Kriegszüge wegen schon früh eine achtunggebietende Macht, erhielten von Iwan dem Schrecklichen 1570 die erste Gramotá (Urkunde) und beginnen nun, zunächst noch aus freiem Entschluß, in den Heeren der Zaren zu erscheinen. Von der Wolga gelangten K. nach Sibirien (der Stamm der heutigen sibirischen Heere) und an den Jaik (der Stamm des heutigen Uralheeres). Das Grebenheer (von greben, »Bergkamm«) ging später im Terekheer auf, das, aus Abenteurern, Auswanderern und Flüchtigen der verschiedensten Nationen sich bildend, den Zaren bald Heeresfolge leistete.
Auch in Polen entwickelte sich das Kosakentum in ähnlicher Weise und bildeten sich zunächst im 15. Jahrh. die kleinrussischen K., die infolge von Bedrückungen seitens der polnischen Regierung zum Teil auf russisches Gebiet übertraten (1653 Gründung von Charkow). Ein andrer Teil der aus Polen und teilweise auch aus Rußland hinter die Stromschnellen (sa porógi) des Dnjepr in die Ukraine Ausgewanderten bildete das Saporoger Heer (Ukrainische K.).
Im 17. Jahrh. erhielten die K. infolge der kirchlichen Wirren und der Einführung der Leibeigenschaft in Rußland bedeutenden Zuzug. Den Zaren gelang es noch keineswegs überall, ihre Oberhoheit über sie zur unbestrittenen Tatsache zu machen. Außerordentlich zäh erwiesen sich die K. bei ihrem Vordringen in Sibirien, das schon gegen Ende des 17. Jahrh. zu Kämpfen mit China führte. Auch in Städten siedelten sich K. an.
Peter d. Gr. wußte seine Autorität gegenüber den K. fest zu gründen. Die kleinrussischen und Saporoger K. hatten sich unter Mazeppa (s. d.) Karl XII. angeschlossen und büßten nach dessen Niederlage bei Poltawa ihre Selbständigkeit völlig ein. Auch die Donkosaken wurden nach ihrer Empörung unter Bulawin mit blutiger Strenge niedergeworfen. Die Regierung verwandte nun die Kosakenheere als willkommenes Mittel zur Sicherung der Grenzen gegen benachbarte Völkerschaften, wie Tataren, kaukasische Bergstämme,[521] Kalmüken, Kirgisen, Baschkiren und Mongolen. Hierbei wurde 1732 das (neue) Wolgaheer durch Übersiedelung von 1000 Donfamilien, später eine Anzahl kleinerer Kosakentruppen, speziell im Kaukasus, gebildet. Hand in Hand hiermit ging eine immer stärkere Beschränkung der Selbständigkeit der K., so daß z. B. der Atamán (Älteste), früher eine politisch völlig selbständige Stellung, zum hohen russischen Beamten wurde (s. Hetman).
Die Saporoger K., die sich zahlreicher Unbotmäßigkeiten schuldig gemacht hatten, wurden 1775 durch russische Truppen vernichtet, jedoch schon 1788 als treffliches Streitmittel gegen die Türken unter dem Namen Tschernomorzen oder Tschernomor- (Schwarzes Meer-) Heer neu errichtet. Das Jaikheer beteiligte sich an dem Pugatschoffschen Aufstand und wurde 1775 nach dessen Niederwerfung in Uralheer umbenannt. 1755 wurden alle im Gouv. Orenburg befindlichen K. als Orenburgheer einem Atamán unterstellt.
Zu Anfang des 19. Jahrh. waren die Kosakenstreitkräfte schon zu imposanter Höhe angewachsen, so daß z. B. 1812 sie allein gegen 90,000 Reiter stellten. Die kaiserliche Verordnung für das Donheer von 1835, die für die Organisation der Kosakenheere zunächst vorbildlich wurde, bezeichnete die K. als völlig abgeschlossenen Kriegerstand, aus dem ein Austritt unmöglich war.
Neu gebildet wurden 1828 das Donau- und Asowheer, 1832 durch Vereinigung früher errichteter Regimenter das kaukasische Linienheer (zur Sicherung der Linie, d. h. Grenze) und das Astrachanheer. Die Erweiterung der Reichsgrenzen in Sibirien veranlaßte in Transbaikalien 1822 die Ausstellung der Grenzkosaken, aus denen 1851 das Transbaikalische Heer hervorging. Dasselbe war zunächst zur Sicherung der Grenze gegen China zwischen Argunfluß und Baikalsee, speziell zum Schutze der Bergwerke von Nertschinsk und der Straßen von Kjachta nach Peking bestimmt.
Seit Alexander II. bis jetzt sind die K. unter tunlichster Wahrung ihres Charakters als Kriegerkaste mehr und mehr mit der übrigen Bevölkerung des Reiches auf ein Niveau gebracht wurden, durch Umgestaltung der Verwaltung, Polizei und Rechtspflege, durch Ermöglichung des Austritts aus dem Kosakenstand und der Besiedelung der ihnen früher ausschließlich zugewiesenen Gebiete mit Nichtkosaken, durch Teilung in eine dienende und nichtdienende Kategorie und seit 1874 durch Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Es wurden aufgelöst das Asowheer und das neurussische (früher Donau-) Heer, das kaukasische Heer wurde 1860 in das Kuban- und Terekheer geteilt, in Sibirien das Semiretschinskheer gebildet und die am Amur und Ussuri stehenden Truppenteile zum Amur- (1879) und Ussuri-(1888) Heer vereinigt. Als »Heere« werden übrigens trotz ihrer im Frieden wie im Kriege sehr geringen Stärke auch die schwachen Bestände in Irkutsk und Krassnojarsk bezeichnet. Die Friedensstärke der K. beträgt gegen 60,000 Reiter etc., die Kriegsstärke (mit Ersatz etc.) 195,000250,000 Reiter, bez. Mannschaften. Ein Teil der Truppen befindet sich im Verbande der regulären Armee, zurzeit 19 Reiterregimenter und 5 Batterien (s. Leibgardekosaken), sonst bilden die K. höhere Verbände für sich, was bei ihrer besondern Ausbildung und auch nationaler Rücksichten wegen das richtige sein dürfte. Es bestanden Anfang 1904:
Der Dienst der K. beginnt mit Erreichung des 18. Lebensjahres und währt drei Jahre in der Vorbereitungskategorie, zwölf in der Frontkategorie und fünf in der Ersatzkategorie, worauf der Mann zur Heereswehr (etwa unserm Landsturm entsprechend) übertritt. Im ersten Jahre der Vorbereitungskategorie ist der Kosak von allen Abgaben frei, muß sich aber equipieren, im zweiten und dritten finden militärische Übungen in den Stanizen (Dörfern) und Lagern statt. Die Frontkategorie ist in drei Aufgebote geteilt, das erste (4 Jahre) befindet sich im aktiven Dienste, das zweite auf Urlaub unter Bereithaltung von Uniform, Ausrüstung und Pferd; dem dritten Aufgebot ist die Bereithaltung des Pferdes erlassen. Die Kosten trägt jeder Kosak selbst, im aktiven Dienst erhält er Löhnung, Menage und Furage. Das zweite Aufgebot wird jährlich, das dritte einmal zu Übungen eingezogen. Die Ersatzkategorie tut im Frieden keinen Dienst. Zur Heereswehr werden alle nicht zur Frontkategorie gehörigen waffenfähigen K. gerechnet.
Die Bewaffnung besteht aus Säbel (Schaschka), Dreilinien-Dragonergewehr ohne Bajonett, Lanze (nur für das erste Glied der Steppenkosaken) und Dolch für die kaukasischen K. Die K. reiten ohne Sporen mit der Nagaika (Peitsche), die Pferde nur auf Trense gezäumt. Ihren nationalen Eigentümlichkeiten wird in der Ausbildung Rechnung getragen, wenn auch die Grundsätze der Ausbildung mit denen der russischen Kavallerie im allgemeinen übereinstimmen. Die den K. eigentümliche Form des Angriffs ist die Lawa, Anreiten in geöffneter Linie mit Unterstützungstrupps dahinter. Die Uniform ist ein bis zum Knie herabreichender kaftanähnlicher Rock von dunkelblauer oder dunkelgrüner Farbe, gleichfarbige Hosen, hohe Stiefeln, Feldmütze, bez. Pelzmütze (Papacha); die kaukasischen K. tragen noch die von den Tscherkessen übernommene Tracht. Da sich die Leute die Uniform selbst beschaffen müssen, so ist nach unsern Begriffen der Gesamteindruck wenig günstig. Für Ergänzung und Ausbildung der Offiziere. ist in den letzten Jahrzehnten viel geschehen. So gibt es ein Donsches Kadettenkorps in Nowotscherkask, drei Kosakenjunkerschulen[522] in Nowotscherkask, Stawropol und Orenburg und Kosakenabteilungen bei andern Junkerschulen. Doch bleibt auf diesem Gebiete noch viel zu tun. Die Erfahrungen des Krieges gegen Japan werden in der Organisation der K. manche Änderungen bringen; schon vor dem Kriege beriet eine Kommission in Petersburg über die beste Regelung ihrer Militärpflicht, wohl speziell von volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten aus.
Die hohe Wehrhaftigkeit und der alte kriegerische Sinn der K. geht bei zunehmender Seßhaftigkeit, dem damit verbundenen Mangel an steter kriegerischer Übung, und weil der schwere Militärdienst vielfach ihren wirtschaftlichen Rückgang veranlaßt, mehr und mehr zurück, doch bleiben sie ein Zuwachs zur regulären russischen Armee, der von höchstem Wert ist. Wenn die K. den Erwartungen, die man in sie setzte, im russisch-japanischen Kriege nicht entsprochen haben, so mag das weniger an ihnen, als vielmehr an dem Umstand liegen, daß die russische Führung nicht fähig war, große Reitermassen einheitlich und zielbewußt zu großzügigen Aufklärungs- und Kampfaufgaben zu verwenden. Die Sprache der K. ist meist die großrussische, ihre Lieder und Legenden sind von hoher Poesie, ihre Gesänge äußerst melodiös.
Vgl. v. Plotho, Die K. (Berl. 1811); Lesur, Histoire des Cosaques (Par. 1814, 2 Bde.); A. v. B., Die K. in ihrer geschichtlichen Entwickelung und ihren gegenwärtigen Zuständen (Berl. 1860); Springer, Die K., deren historische Entwickelung etc. (Leitmeritz 1877); v. Tettau, Die Kosakenheere (Berl. 1892); Bujac, L'armée russe, son histoire, son organisation actuelle (Par. 1894); Krahmer, Geschichte der Entwickelung des russischen Heeres (Leipz. 189697, 2 Tle.); Niessel, Les Cosaques (Par. 1898); »Die Heere und Flotten der Gegenwart«, Bd. 3: Rußland, von A. v. Drygalski und v. Zepelin (Berl. 1898); v. Tettau, Die russische Armee in Einzelschriften, Heft 8 (das. 1900); Peterson, Kort öfversikt öfver Rysslands härordning (Stockh. 1901); v. Drygalski, Die Organisation der russischen Armee (Leipz. 1902); v. Carlowitz-Maxen, Die Einteilung und Dislokation der russischen Armee (15. Ausg., das. 1905); Küster, Reglements der kaiserlich-russischen Armee (das.); Bronewskij, Geschichte des Donschen Heeres (Petersb. 1834, 2 Bde.); Riegelmann, Geschichte der Donschen K. (Moskau 1846); Choroschchin, Die Kosakenheere (Petersb. 1881); Erckert, Der Ursprung der K. (Berl. 1882); Pusyrewski, Die russische Armee vor dem Kriege 18771878 (Petersb. 1889); Tschitschagow, Die Organisation der russischen Kavallerie (das. 1890); Abasa, Die K. (das. 1891); Rediger, Ergänzung und Organisation der bewaffneten Macht (das. 1892); Lobko, Die Militärverwaltung für die Kriegs- und Junkerschulen (das. 1894); v. Loebells »Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen« (Berl.); zahlreiche Aufsätze in allen Jahrgängen des »Militärwochenblattes« (das.), der »Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine« (das.), der »Neuen Militärischen Blätter« (das.), des »Russkij Invalid« (Petersb.) und »Wajennü Sbornik« (das.).
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